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MA-Verlag
Elektronische Zeitung Schattenblick
Samstag, 18. Juni 2016
POLITIK / REDAKTION
Manga trifft Hokusai - im Spiegel gezeichneter Erzählung ...
NATO richtet sich auf Dauerkrieg
in Afghanistan ein
Hokusai x Manga
Japanische Popkultur seit 1680
Indiens Partnerschaft mit den USA
treibt Pakistan in die Arme Chinas
Beim NATO-Gipfel in Warschau Anfang Juli dürfte die Dauerstationierung westlicher Truppen in
Afghanistan besiegelt werden. Spätestens dann werden sich die früheren Ankündigungen eines Truppenabzugs endgültig als Täuschung erweisen. Durch die Liquidierung des
Taliban-Chefs Mullah Aktar Muhammad Mansur ... (Seite 4)
(SB) ­
DIE BRILLE / REPORT
Zukunft, Literatur, Gesellschaft Rückbesinnung nach vorn ...
Ingar Solty im Gespräch (2)
Widerstand als Klassenkampf
neuformieren
Interview am 19. Mai 2016 im
Brecht­Haus in Berlin Mitte (2. Teil)
Im ersten Teil eines Gesprächs, das der Schattenblick mit
Ingar Solty, einem der beiden Organisatoren der Tagung "Richtige Literatur im Falschen?" ... (Seite 5)
(SB) ­
SPORT / BOXEN
Pläne weit über den Tag hinaus
Anthony Joshua stehen
drei Optionen offen
(SB) ­ Auf dem Papier ist Tyson Fu-
ry gegenwärtig der führende Akteur
im Schwergewicht, da er die Titel der
Verbände WBA, WBO und IBF innehat. Er bestreitet am 9. Juli eine
Revanche mit seinem ... (Seite 10)
Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg
von Julia Barthel
Helden und Kurtisanen als Gegenwelt zum Großstadtleben
Die tägliche Bilderflut, die aus den sozialen Medien, dem Internet, Printmedien und Fernsehen auf uns einströmt,
verbinden die meisten Menschen mit
unserer modernen Gegenwart, in der
das Visuelle den Alltag und das Bewusstsein beherrscht. Dabei entwickelte sich bereits im 17. Jahrhundert in Japan eine höchst produktive
Popkultur, als die Welt der Bilder erstmals für ein breites Publikum zugänglich wurde. Im Gegensatz zur klassischen, japanischen Malerei der alten
Meister machten die "Bilder der fließenden Welt" die kleinen BegebenheiUtagawa Kuniyoshi (1797­1861),
ten des täglichen Lebens zum Thema.
"Ich will das Nächste sehen!",
Die farbenfrohen Holzschnitte von Japan, Edo, 1852, Farbholzschnitt,
Künstlern wie Hokusai und Hiroshige
36,2 x 24,6 cm,
konnten schnell vervielfältigt werden
Museum für Kunst und Gewerbe
und befriedigten das Bedürfnis der
Hamburg, © MKG
Stadtbewohner nach Unterhaltung und
tionen des täglichen Lebens oder
einer Gegenwelt zum Alltag.
flüchtige Begebenheiten fokussierten,
Das Museum für Kunst und Gewerbe das Bild als ein ganz eigenständiges
in Hamburg präsentiert in der Ausstel- Medium hervorging. Die "Bilder der
lung "Hokusai x Manga" eine umfang- fließenden Welt" spiegelten Themen
reiche Sammlung japanischer Holz- wieder, mit denen sich die Bewohner
schnitte in direkter Verbindung mit der Großstadt Tokio besonders bemodernen Kunstformen aus Japan, schäftigten, wie die Träume und Affävom Manga über Animationsfilme bis ren, welche der geheimnisvollen Welt
hin zu Videospielen. Dabei wird be- der Kurtisanen angedichtet wurden,
sonders anschaulich, warum aus dem oder der Starkult um berühmte SchauGenre der Holzschnitte, die aufSitua- spieler des Kabuki-Theaters. Da sich
Elektronische Zeitung Schattenblick
die Holzschnitte mit den alltäglichen
Wahrnehmungen und Sehnsüchten der
Menschen beschäftigten, wurden die
Bilder zu einem sehr wirkmächtigen
Medium. Über das Bild wurden Werte wie Loyalität und Ehre im Sinnbild
des Samurai gegen die Willkür des
herrschenden Militäradels in Stellung
gebracht oder die Kurtisane als Idol
der Weiblichkeit und Erotik in einer
sexuell restriktiven Zeit gefeiert.
Durch die Vielfalt, Erschwinglichkeit
und Produktionsgeschwindigkeit
konnten in den Bildern gesellschaftliche Themen verhandelt und subversive Botschaften gesendet werden.
Spätestens an diesem Punkt entsteht
mit dem Bild als Medium eine lebendige Brücke zwischen Vergangenheit
und Gegenwart, denn auch in der modernen Großstadt sehnen sich die
Menschen nach einer Traumwelt, in
sich die Bilder nach und nach, bis man
plötzlich vor einer modernen Interpretation des Samurai aus dem Jahre 2013
steht und ein klassisches HolzschnittMotiv mit einer Videospiel-Szene in
einem Bild zusammenkommt.
Die Verbindung zwischen historischen Holzschnitten und visuellen
Massenmedien
Die Verbreitung und der Aufstieg des
gedruckten Bildes zum visuellen Massenmedium ging mit großen gesellschaftlichen Umbrüchen einher, aus denen zunächst eine Großstadt und mit ihr
ein breites Publikum für die Unterhaltungsindustrie entstand. Unter der Tokugawa Regierung erlebte Japan mit
Beginn des 17. Jahrhunderts eine längere Phase des Friedens und Wohlstandes
und die Hauptstadt Edo wuchs zu einer
Millionenstadt heran. Im heutigen Tokio entwickelten sich ganz neue gesellschaftliche Schichten aus Handwerkern,
Händlern und Kaufleuten, die sich nach
Vergnügen und Unterhaltung sehnten.
Im Klima des gesellschaftlichen Umbruchs und der wirtschaftlichen Blüte
entstanden das volkstümliche Kabuki
Theater und die geheimnisvollen Freudenviertel, in denen luxuriös gekleidete
Kurtisanen lebten, als Gegenwelt zum
Alltag. An diesen Orten suchten die
städtischen Bürger Zerstreuung und Erholung vom Großstadtleben, während
sich darum herum eine ganze Unterhaltungsindustrie entwickelte, um in immer
kürzeren Abständen den Hunger nach
neuen Reizen zu befriedigen. In der
schnellen Taktung des Konsums werden
die Holzschnitt-Bilder zu einem eigenen, zentralen Medium, das sich eignet,
um ganze Geschichten in gedruckten
Bildsequenzen zu erzählen.
Seite 2
der sie dem Stress und den Spielregeln
der Realität entfliehen können. Interessant ist dabei, dass in den Gegenwelten der vormodernen Edo-Zeit dieselben Themen auftauchen wie in der
Gegenwart. Heute wie damals haben
die Stadtbürger eine große Sehnsucht
nach rechtschaffenen Vorbildern und
lieben deshalb die Heldengeschichten
vom tapferen Samurai. In einer Zeit,
die von der Willkür des Militäradels
und politischer Restriktion geprägt
war, wurden die Samurai zu einem
Sinnbild für Loyalität und Ehre, um
die sich Mythen und Geschichten
rankten. Schon damals wurden diese
Legenden aufdie Gegenwart übertragen. Aufdem Weg durch die Ausstellung "Hokusai x Manga" stößt man auf
ein Bild, das die berühmten 47 herrenlosen Samurai in schwarz-roten Feuerwehrmänteln zeigt, denn in der EdoZeit waren die Holzhäuser in den
Städten ständig durch Brände bedroht
und der Feuerwehrmann galt als Inbegriff des modernen, urbanen Helden.
Während man als Besucher an den farbenfrohen Darstellungen von kämpfenden Kriegern in traditionellen Gewändern vorbei schlendert, verändern
www.schattenblick.de
links: Utagawa Kuniyoshi (1797­1861),
Der Held Yokagawa Kanpei
Munenori, 1852,
Farbholzschnitt, 36,1 x 24,5 cm,
Museum für Kunst und Gewerbe
Hamburg, © MKG
rechts: Jed Henry (*1983) (Design),
Blue Storm, 2013, Holzschnitt,
Holzschnitt und Druck David Bull,
© Jed Henry
Ohne es zu merken, gleitet der Besucher von den Holzschnitten der EdoZeit in die Comics-Videospiele der
Gegenwart hinein und begreift sofort,
warum die Verbindung zwischen historischer und zeitgenössischer Popkultur aus Japan so lebendig ist: Motive, Themen und Ästhetik aus dem
vormodernen Tokio sind universell
und dem modernen Menschen aus
Animationsfilmen, Manga und Videospielen vollkommen vertraut.
Comics und Cross-Media
Gespenster aus Tokio
Man stelle sich nun vor, wie Menschen
mit kleinen, gelben Büchern in der
Hand im 17. Jahrhundert durch die
Straßen der pulsierenden Großstadt
Sa, 18. Juni 2016
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Tokio laufen und in Bildsequenzen gedruckte Geschichten lesen, und sieht
die Geburtsstunde der Comics vor
sich. Die kleinen Hefte im gelben Einband waren unkompliziert und günstig
im Kiosk zu erwerben und ein kommerzielles Verlagswesen versorgte die
konsumorientierte Bevölkerung der
Millionenstadt mit immer neuen Geschichten. Die Ausstellung Hokusai x
Manga zeigt erstmalig diese frühen
Comics aus der Sammlung des
MK&G und wer sie sich ansieht, erlebt einen beinahe unheimlichen Effekt: Fast ist es, als würden die Grenzen zwischen der fernen Vergangenheit und der Gegenwart verschwimmen, denn schon damals entwickelten
die Künstler jene Bild-Text-Kombinationen, Symbole und verkürzten Darstellungsformen wie wir sie auch aus
den modernen Comics unserer Zeit
kennen. Es lohnt sich, einen zweiten
und dritten Blick aufdiese ersten illustrierten Bücher zu werfen, während
man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen muss, dass diese Exemplare
tatsächlich aus den Jahren um 1775
stammen und nicht zufällig in die
Schaukästen der Ausstellung geschummelt wurden.
ten Schaukästen besonders zur Geltung und lassen das Herz des Gespensterfreundes höher schlagen. Ein Kartenspiel aus der Edo-Zeit mit bunten
Miniaturabbildungen der Geister und
Gespenster zeigt eine weitere Parallele zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf. Schon im alten Tokio erfand man die ersten, crossmedialen
Vermarktungsstrategien, indem man
unheimliche Gespenster und berühmte Helden auf Sammelkarten, Holzschnitten und in Comicgeschichten
unter die Leute brachte.
bis in die Welt der futuristischen Animes und Großstadt-Dystopien und beginnt unterwegs zu begreifen, wie lebendig die Verbindung zwischen historischer und moderner Popkultur für jeden von uns ist.
Indem das Museum für Kunst und Gewerbe hochwertige Holzschnitte aus
fernster Vergangenheit in einer Ausstellung mit den Mangas, Animes und
Computerspielen der Gegenwart zusammen brachte, schuf es ein didaktisches Konzept, das voll aufgeht. Auch
ganz ohne Sprache erzählen die Bilder
ihre Geschichte und die zahlreichen
Verbindungen werden sichtbar. Wer
sich tiefere Erklärungen zu den Zusammenhängen zwischen der medialen
Welt der Edo-Zeit und den Bildwelten
der Moderne wünscht, wird aufder liebevoll gestalteten Webseite zur Ausstellung fündig und findet in den informativen Kurztexten viele spannende
Hinweise zum Weiterlesen: http://hokusaixmanga.mkg-hamburg.de/.
In der Ausstellung selbst gibt es neben
Geister- und Heldengeschichten noch
viele weitere Verbindungen, aber auch
Brüche und Gegensätze zwischen dem
alten und dem neuen Japan zu entdecken. Wer es irgendwie einrichten
kann, sollte sich die Gelegenheit nicht
entgehen lassen, in die japanischen
Traumwelten einzutauchen, und nebenbei einen Blick aufdas höchst reizvolle Begleitprogramm werfen, das von
der Manga/Comics/Games-Messe MaGnology 2016 http://www.hh-mag.net/
über ein Filmprogramm mit Animes im
Metropolis Kino http://www.metropoliskino.de/ bis zu einem Geistertreffen
im September reicht. Mir bleibt nur, den
nächsten freien Tag abzuwarten, um mir
die zehn verschiedenen Themenwelten
der Ausstellung noch einmal anzusehen
und mich jetzt schon auf das Geistertreffen im September zu freuen.
Unheimlich waren auch die Geschichten aus der Geister- und Gespenster- Katsushika Hokusai (1760­1849),
welt Japans. In der Edo-Zeit, an der Der Oiwa­Geist, 1831/ 32,
Grenze zur Industrialisierung, lebten Farbholzschnitt, 26,1 x 18,8 cm,
die alten Mythen und Traumwelten Museum für Kunst und Gewerbe Ham­
aus der vormodernen Lebenswirklich- burg, © MKG
keit noch einmal auf. Im alten Tokio
pflegten die Großstadtbewohner einander zum Vergnügen und für den Es gibt nichts,
Nervenkitzel gruselige Gespensterge- das nicht sehenswert wäre
schichten zu erzählen, bis etwas UnWer zwischen den Exponaten der Ausheimliches passierte.
stellung hindurch spaziert, wird unter
Dabei konnten sie auf eine große Viel- den folkloristischen Yokai unvermeidfalt an Monstern, Dämonen und Na- lich aufviele Bekannte aus der eigenen
turgeistern aus der traditionellen Gei- Kindheit treffen, denn viele von uns
sterwelt zurückgreifen, die vom bös- sind mit den freundlichen Naturgeistern
artigen Rachegeist bis zur gruseligen und elementaren Wesen aus Filmen wie
Erdspinne in allen möglichen Gestal- "Prinzessin Mononoke" und "Chihiros Die Ausstellung ist noch bis zum 11.
ten auftreten können. In den abgedun- Reise ins Zauberland" aufgewachsen. September 2016 zu sehen.
kelten Ausstellungsräumen des Muse- Zwischen all den farbenfrohen Bildern
http://www.schattenblick.de/
ums kommen die Darstellungen der wandert der Besucher von der fernen
infopool/kunst/report/
zahlreichen Arten von Geistern, Ge- Vergangenheit der Holzschnitte über
kurb0048.html
spenstern und Dämonen in beleuchte- die nähere Vergangenheit der Kindheit
Sa, 18. Juni 2016
www.schattenblick.de
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POLITIK / REDAKTION / ASIEN
NATO richtet sich auf Dauerkrieg in Afghanistan ein
Indiens Partnerschaft mit den USA treibt Pakistan in die Arme Chinas
(SB) ­ Beim
NATO-Gipfel in Warschau Anfang Juli dürfte die Dauerstationierung westlicher Truppen in
Afghanistan besiegelt werden. Spätestens dann werden sich die früheren Ankündigungen eines Truppenabzugs endgültig als Täuschung erweisen. Durch die Liquidierung des
Taliban-Chefs Mullah Aktar Muhammad Mansur am 21. Mai per
Drohnenangriff in der westpakistanischen Provinz Belutschistan haben die USA ihre Teilnahme an einer seit 2014 laufenden Vier-Länder-Initiative, zusammen mit Afghanistan, Pakistan und China die
Taliban an den Verhandlungstisch
zu holen und den Krieg in Afghanistan zu beenden, frühzeitig und einseitig aufgekündigt. Afghanistan
bleibt bis auf weiteres ein Ort des
Chaos wie zugleich Aufmarschgebiet für die NATO, von wo aus Geheimdienste und Militär des Westens in den Hinterhof von Rußland
und China einwirken können. Ohnehin hat die NATO zu keinem Zeitpunkt in den letzten 15 Jahren die
geringste Bereitschaft signalisiert,
auf die Kernforderung des militärischen Gegners, der Taliban, nach einer Beendigung der fremdländischen Truppenpräsenz in Afghanistan einzugehen. Von daher waren
die vielfachen Absichtserklärungen
bezüglich eines Abzugs mehr
Schaumschlägerei als ernstzunehmende Perspektive.
Am 3. Juni haben 13 ehemalige USDiplomaten und -Generäle, darunter
David Petraeus, Stanley McChrystal
und Zalmay Khalizad, bei der konservativen Politzeitschrift National
Interest in einem offenen Brief an
Präsident Barack Obama appelliert,
die Anzahl der amerikanischen Soldaten in Afghanistan von derzeit
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rund 9000 nicht weiter zu reduzieren, sondern zu erhöhen und deren
Aktionsradius, der sich seit eineinhalb Jahren auf "Terrorbekämpfung" sowie Ausbildung und Beratung der afghanischen Armee und
Polizei beschränkt, wieder zu erweitern. Wenige Tage später ist Obama
dem Drängen der Kriegsfalken gefolgt. Wie Obamas Pressesprecher
Josh Earnest am 11. Juni erklärte,
hat am Abend zuvor das Weiße Haus
an das Pentagon die Erlaubnis für
die US-Streitkräfte übermittelt,
nach eigenem Ermessen aktiv in das
afghanische Kriegsgeschehen einzugreifen. US-Kommandeure vor
Ort dürfen künftig über den Zweck
der Selbstverteidigung hinaus eigene Bodentruppen einsetzen sowie
Luftangriffe anordnen - letztere
auch auf der pakistanischen Seite
der Grenze zu Afghanistan.
In einem Bericht der Nachrichtenagentur Associated Press hieß es unter Verweis auf eine Quelle bei der
Obama-Administration, die neue
Richtlinie soll das US-Militär in den
Stand versetzen, "den Afghanen soweit zu helfen, daß sie den Krieg bestreiten und gewinnen können". Die
Aussicht auf einen Sieg für Amerika und seiner Verbündeten im Afghanistankrieg ist vollkommen illusorisch. Trotz des Einsatzes Hunderttausender NATO-Soldaten und
Finanzmittel in Höhe von rund 700
Milliarden Dollar ist Afghanistan
heute genauso wie nach dem gewaltsamen Sturz der Taliban-Regierung Ende 2001 ein "gescheiterter
Staat". Der Krieg, der bisher 2000
westlichen Soldaten, mehr als
90.000 afghanischen Kombattanten
und mehr als 26.000 Zivilisten das
Leben gekostet hat, läßt weder ein
normales Leben und noch einen
www.schattenblick.de
"Wiederaufbau", der diesen Namen
verdient, zu.
Ihrerseits bereiten sich die Taliban
auf ein Aufflammen der Kämpfe
vor. Vier Tage nach dem gewaltsamen Tod von Mullah Mansur haben
die Taliban nach einem Geheimtreffen der Führungsriege Mullah
Mawlawi Haibatullah Akhundzada
zum neuen Chef ernannt. Mawlawi
Haibatullah, der einst dem Islamischen Emirat Afghanistan als Richter in Kandadar sowie in Kabul
diente, gilt als geistliche Autorität
und Koran-Exeget, auf dessen Rat
einst Taliban-Gründer Mullah Mohammed Omar häufig zurückgegriffen hat. Mit seiner Ernennung zum
neuen Chef soll verhindert werden,
daß es zum Machtkampf innerhalb
der Taliban kommt. Diesem Zweck
dient auch die Ernennung des erfahrenen Rebellenkommandeurs Saradschuddin Hakkani sowie von
Mullah Omars Sohn, Mullah Muhammad Jakub, zu den Stellvertretern Mawlawi Haibatullahs. Darüber hinaus gehört der neue Talibanchef zum mächtigen Stamm der
Nurzai, aus dessen Reihen sich eine
Dissidentengruppe 2015 nach Bekanntwerden des Todes von Mullah
Omar zwei Jahre zuvor abgespalten
hatte. Wahrscheinlich wird Mawlawi Haibatullah versuchen, seine
Stammesvetter für eine Rückkehr
zur eigentlichen Talibanbewegung
zu gewinnen.
Die Wende in Richtung Kriegseskalation, die Washington mit dem tödlichen Angriff auf Mullah Mansur
eingeleitet hat, birgt weit größere
Gefahren als nur die Fortsetzung des
blutigen Dauerkrieges in Afghanistan. Mit der Operation haben sich
die USA von ihrem bisherigen Verbündeten Pakistan demonstrativ abSa, 18. Juni 2016
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gewandt. In Islamabad und Rawalpindi, dem Sitz des mächtigen pakistanischen Militärs, ist man über
den unangekündigten, erstmaligen
Drohnenangriff der Amerikaner außerhalb der paschtunischen Stammesgebiete auf der pakistanischen
Seite der Grenze zu Afghanistan
mehr als erzürnt. Hinzu kommt die
Aufwertung Indiens infolge des Besuchs von Premierminister Narenda
Modi in Washington Ende Juni zum
strategischen Partner der USA,
während Weißes Haus, Pentagon
und Kongreß Pakistan ungeachtet
der hohen innenpolitischen und
ökonomischen Kosten, die das Land
im Rahmen seiner jahrelangen Beteiligung am großen Antiterrorkrieg
hat aufbringen müssen, weiterhin
quasi als Schurkenstaat behandeln.
Aus Angst, infolge der verstärkten
Rüstungszusammenarbeit der USA
mit Indien hinter dem großen Nachbarn militärisch ins Hintertreffen zu
geraten, hat Pakistan bereits den
forcierten Ausbau seines taktischen
Atomwaffenarsenals angekündigt.
Gleichzeitig wendet sich Pakistan
immer mehr China zu in der Hoffnung, von Peking militärische und
wirtschaftliche Hilfe zu erhalten. So
gesehen ist der Konflikt in Afghanistan lediglich der sichtbarste Teil eines geopolitischen Ringens, das sich
jederzeit in einen großen Krieg zwischen mehreren Atomstaaten entladen kann.
http://www.schattenblick.de/
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asie­836.html
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Sa, 18. Juni 2016
DIE BRILLE / REPORT / INTERVIEW
Zukunft, Literatur, Gesellschaft Rückbesinnung nach vorn ... Ingar Solty im Gespräch
Widerstand als Klassenkampf neuformieren
Interview am 19. Mai 2016 im Brecht­Haus in Berlin Mitte
(2. Teil)
Autoren, die eine dezidierte Vorstellung davon haben, was Literatur in
der Arbeitswelt bedeutet, und neuere Literaten, die in dieser Tradition
nicht so verankert sind?
Ingar Solty
Foto: © 2016 by Schattenblick
Im ersten Teil eines Gesprächs, das
der Schattenblick mit Ingar Solty, einem der beiden Organisatoren der
Tagung "Richtige Literatur im
Falschen?", die vom 19. bis 21. Mai
im Literaturforum im Brecht-Haus in
Berlin stattfand, führen konnte [1],
standen die Entstehung dieser Veranstaltung und ihrer Vorläuferin im
vergangenen Jahr, aber auch einige
der Fragen, die an diesen drei Tagen
von Autoren und Autorinnen, Literatur- und Kulturwissenschaftlern unter Mitwirkung weiterer Interessierter diskutiert wurden. Im zweiten
Teil geht es nun, noch etwas allgemeiner gefaßt, um die aufder Tagung
aufeinandertreffenden verschiedenen Theorieansätze, den Sicherheitsdiskurs der Linken, die Transformationsdebatte sowie die gegenwärtige
Renaissance des Revolutionsbegriffs.
Schattenblick (SB): Hier auf der Tagung haben verschiedene Generationen zusammengefunden. Wie verträglich oder unverträglich sind denn
beispielsweise klassische Werkkreiswww.schattenblick.de
Ingar Solty (InS): Das Spektrum
reicht von Erasmus Schöfer, der ist
Jahrgang 1931, bis hin zu Ann Cotten, die mit Jahrgang 1982 die Jüngste ist; ich selbst bin Jahrgang 1979.
Da gibt es natürlich ganz unterschiedliche, auch erkenntnistheoretisch unterschiedliche bis verschiedene Erfahrungshorizonte. Meinem
Eindruck nach war sehr viel Übersetzungsarbeit nötig für diejenigen,
die eher durch marxistisch orientierte Theorieansätze geprägt wurden,
was vor allem die ältere Generation,
aber auch mich betrifft. Viele haben
dagegen eher poststrukturalistische,
postmoderne Theorieansätze wahrgenommen. Daraus ergeben sich
auch ganz einfach andere Herangehensweisen, etwa wenn es darum
geht, sich selbst als historisch anzuerkennen und die eigene Verhandlung der Gegenwart anhand historischer Ansätze, Politik und Literatur
zu diskutieren, aufzuarbeiten.
Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: Als wir die erste Tagung
konzipierten, orientierten wir uns etwa an dem historischen Diskurs über
Literatur und Gesellschaft, also der
Formalismusdebatte, der Expressionismusdebatte. Bei einigen der eher
poststrukturalistisch beeinflußten
Teilnehmenden gab es da Brüche, sie
konnten - so war mein Eindruck - mit
dieser Herangehensweise nicht so
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viel anfangen. Da ist die Methode
eher sich in der Geschichte zu bedienen, um vielleicht etwas ganz Neues
zu schaffen, wobei ich sagen würde:
Man würde sich wundern, wenn man
tiefer in die Geschichte guckt, denn
das ist oft gar nicht neu, sondern das
gab es schon einmal und wurde verworfen. Das war das eine und da ist
zwischen den verschiedenen Ausgangspunkten sicherlich Vermittlungsarbeit zu leisten: Worüber reden wir? Mit anderen Worten: Uns
war klar, daß wir nicht nur zwischen
Wissenschaftlern und Schriftstellern
würden Brücken schlagen müssen,
sondern auch wegen der teilweise
durchaus disparaten politischen
theoretischen Erfahrungen. Aber
auch das kann ja befruchtend wirken.
Außerdem ist es deshalb jetzt sehr
interessant zu sehen, inwieweit im
letzten Jahr eine Basis für ein besseres Verständnis der theoretischen
Herkunftsorte und Diskurse geschaffen werden konnte für die Diskussion, die wir über Literatur, Gesellschaft und Zukunft führen wollen.
SB: Was die Referentinnen und Referenten betrifft, habt ihr eine relativ
hohe Überschneidung mit denen der
ersten Tagung, es sind aber auch
noch neue Leute dazugekommen.
Habt ihr schon daran gedacht, euch
sozusagen offiziell als Kreis zu konstituieren, um eure Zusammenarbeit
auf festere Füße zu stellen?
nisten und Kulturwissenschaftler Jan
Loheit, der zugleich auch Redakteur
beim Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus ist, an dem ich
auch mitarbeite.
Ob sich die gemeinsamen Projekte,
die schon vorher existierten, durch
die Diskussion ästhetischer Fragestellungen intensiviert haben, ist
nicht so einfach zu beantworten. Aus
dem Bauch heraus würde ich sagen,
daß daraus noch kein über die Symposien hinausgehender, dauerhafter
Arbeitszusammenhang entstanden
wäre. Aber vielleicht kommt das
noch. Sicherlich hat sich zwischen
einigen der Kontakt intensiviert, und
sei es auch nur über die sozialen Medien, wo man einfach mehr Anteil
genommen hat an der Arbeit der anderen. Vielleicht hätte ich mich zum
Beispiel andernfalls nicht dazu entschieden, Katrin Rögglas Saarbrücker Poesievorlesungen zu rezensieren - also ohne das besonders verstärkte Interesse an ihrer Arbeit als
Ergebnis der ersten Tagung. Es hat
auch Diskussionen beispielsweise in
Tageszeitungen wie der jungen Welt
mit mehreren Beiträgen gegeben, die
dann auch Bezug aufeinander genommen haben.
Ordnung zu bringen". Wir wollten
die Frage nach der Möglichkeit, ob
es politische Literatur auch unter den
gegebenen Verhältnissen geben
kann, dagegen vom Ergebnis her offen stellen. Interessant waren die Reaktionen bei manchen, die sehr wohl
wußten, daß sich dieser Titel aufAdorno bezieht. Wolfgang Fritz Haug
zum Beispiel sagte, das sei doch
grammatikalisch falsch, weil es eigentlich "richtige Literatur in der
falschen Literatur" heißen müßte.
Wir haben uns dann darauf zurückgezogen, daß es "das Falsche" doch
geben kann. Für mich ist es am Ende aber eher eine Witzelei, denn natürlich gibt es auch im Falschen - und
der Kapitalismus ist und bleibt das
Falsche - richtige Literatur.
SB: Eine Frage noch zum Titel der
Tagung "Richtige Literatur im
Falschen?". Ist das nicht auch erklä- Falsch und richtig ­ klare Fronten
rungsbedürftig? Wie ist das ange- Foto: © 2016 by Schattenblick
kommen bei Interessierten, die vielInS: Diese Frage müßte man wahr- leicht nicht ganz so tief im Literatur- SB: Läßt sich denn aus dieser Referenz schlußfolgern, daß sich die Inscheinlich zwischen den einzelnen betrieb zu Hause sind?
itiatoren der Tagung im weitesten
Beteiligten, die an dieser wie auch
der vorigen Diskussion teilnehmen, InS: Es ist eine Referenz zu dem be- Sinne als Adorno-Schüler verstehen?
diskutieren. Es hat zwischen vielen rühmten Satz von Theodor W. Adorschon vorher gemeinsame Projekte no "Es gibt kein richtiges Leben im InS: Enno Stahl ist mehr noch als ich
und eine gewisse Zusammenarbeit falschen", der in gewisser Weise in- durch die Kritische Theorie beeingegeben. Um für mich zu sprechen: vertiert ist, denn für Adorno hätte es flußt. Als ich angefangen habe zu
Ich habe mit David Salomon schon da eigentlich kein Fragezeichen ge- studieren und schon in der Schulzeit
relativ viel im Wissenschaftsbereich geben und er hätte sicherlich auch in war ich auch sehr an ihr interessiert
zusammengearbeitet, mit Thomas der Realismusdiskussion immer gern und durch sie geprägt. Aber das hat
Wagner hatte ich durch verschieden- mal wieder Einspruch erhoben. Ad- sich dann über die Jahre hinweg etste politische und Wissenschaftskon- orno hatte natürlich auch seine Lieb- was gelegt durch den Versuch, die
ferenzen viel zu tun, auch mit dem linge wie zum Beispiel Samuel Frankfurter Schule, d.h. die Kritische
Literaturwissenschaftler Helmut Beckett, weil der für ihn seiner Vor- Theorie nach 1945, selber zu historiPeitsch, der häufig für "Das Argu- stellung nahekam, dass "die Aufga- sieren als eine Form des Marxismus
ment" schreibt, und mit dem Germa- be von Kunst heute ist, Chaos in die unter den Bedingungen der NiederSeite 6
www.schattenblick.de
Sa, 18. Juni 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
lage nach 1945 und den Bedingungen dieser besonderen Sonderepoche des Fordismus mit gleichzeitig
wachsenden Profitraten und Reallöhnen, die aber von dieser Theorie mit ihrem Fokus auf die Reproduktion des Kapitalismus, den sie
"Spätkapitalismus" nannten, selber
nicht als Sonderepoche reflektiert
wurde, ja wohl auch nicht reflektiert werden konnte. Denn das gleiche Problem der Wahrnehmung
dieses "Goldenen Zeitalters des
Kapitalismus" prägt ja auch alle
anderen neo- oder postmarxistischen Theorien der Zeit: Stuart
Halls Cultural Studies, der französische Strukturalismus mit Althusser, Foucault etc. Das änderte sich
ja erst mit der Epiphanie von 1968
und der Hinwendung zu akteursorientierten Theorien, die dann
aber wiederum die Analyse der gesellschaftlichen Strukturen des Kapitalismus über Bord kippten - bis
hin zum radikalen Subjektivismus
der Postmoderne. Ich glaube, es
wäre deshalb wichtig, diese Art des
historischen Denkens nicht so weiterzutreiben, als sei es nicht selbst
Ausdruck einer bestimmten historischen Epoche marxistischen
Denkens nach oder in der Niederlage gewesen, die sich dann immer
weiter vom Marx'schen Projekt
entfernte, das mit seinen vielfältigen Weiterentwicklungen - Luxemburg, Gramsci bis heute David
Harvey, Ellen Wood oder Leo Panitch - für mich weiter der Ausgangspunkt jeder Diskussion um
Alternativen zur bestehenden Gesellschaft ist.
SB: Beim Hamburger Institut für Sozialforschung ist 2010 eine Dissertation über die Zeit, die Herbert Marcuse und andere Beteiligte der
Frankfurter Schule in den USA verbrachten, veröffentlicht worden. [2]
Darin wird unter anderem Marcuses
Zusammenarbeit mit den dortigen
Geheimdiensten im sogenannten
Ost-West-Konflikt thematisiert.
Müßte da nicht in der hiesigen Linken das Ansehen der Frankfurter
Sa, 18. Juni 2016
Schule neu überdacht oder zumin- sowohl auf den Aufstieg der Rechten
dest in Frage gestellt werden?
als auch auf die neue europäische
Wirtschaftsregierung ein hochaktuInS: Wahrscheinlich hängt das davon eller Denker aus diesem Kreis - wie
ab, mit wem man spricht und wie kri- auch Otto Kirchheimer in der polititisch derjenige Marcuse sieht. Ich schen Soziologie, obwohl beide aus
persönlich rechne es ihm hoch an, heutiger Sicht eher am Rande des
daß er seine Theorie vom "Eindi- Frankfurter Instituts standen.
mensionalen Menschen", die selbst
ja Ausdruck dieses konservativ-pes- SB: Du hast unter anderem auch zur
simistischen Reproduktionsmarxis- aktuellen Flüchtlingsdiskussion pumus ist, wie ich ihn eben geschildert bliziert. Welche Stoßrichtung sollte
habe, mit der aus dieser Analyse fol- dieser Diskurs deiner Meinung nach
genden Randgruppenstrategie - Aus- nehmen?
steiger, Arbeitslose, psychisch Kranke etc. als plötzliche neue revolutio- InS: Darüber habe ich analytisch genäre Subjekte, weil scheinbar die Ar- schrieben im Rahmen einer Studie
beiterklasse durch die Konsumge- über die neue deutsche Außenpolitik,
sellschaft integriert schien - daß er die im Auftrag der Rosa-Luxemburgdiese Analyse zurücknahm - ange- Stiftung entstanden ist und die das
sichts der wiedererstarkten Klassen- Ziel hatte zu erklären, wie es zu diekämpfe und der wilden Streiks von ser Zäsur in der Außenpolitik, d.h.
1967/68, die er im Gegensatz zu Ad- einer neuen imperial-realistischen
orno eben noch so erlebte, daß er sie Offensivausrichtung gekommen ist.
theoretisch reflektieren konnte. In [3] Die Flüchtlingskrise wurde dabei
Schriften wie "Konterrevolution und vor allem in Hinblick auf die WiderRevolte" etc. Da revidiert er eben sprüchlichkeit der kapitalistischen
diese einseitig auf die Reproduktion Globalisierung diskutiert. In einem
des Systems fokussierte strukturali- Aufsatz in der Zeitschrift Luxemstische und deterministische Art mit burg [4] habe ich die FlüchtlingsfraMarx zu denken. Zugleich gibt es ge dann aus einer stärker unmittelbar
Dinge, eher noch in seinen Schriften politisch-strategischen Perspektive
zum Liberalismus wie "Der Kampf behandelt und gefragt, wie verhingegen den Liberalismus in der tota- dert werden kann, dass die Kombilitären Staatsauffassung", die ich nation aus Krise, Austeritätspolitik,
heute noch sehr interessant finde, ge- neoliberaler Flüchtlingspolitik und
rade vor dem Hintergrund des Auf- islamfundamentalistischem Terrostiegs der populistischen Rechten, rismus zum Konjukturprogramm der
und zum Teil natürlich auch - aller- nationalistischen Rechten zwischen
dings kritisch - das, was er über die Pegida und AfD wird.
Kultur, die affirmative Kultur geschrieben hat.
Ich habe mir die Frage gestellt, wie
die Linke in diesen für sie doch sehr
Es hat ja Versuche gegeben, anläß- ungünstigen, finsteren Zeiten handlich des 50jährigen Jubiläums des lungsfähig werden kann. Die Linke
"Eindimensionalen Menschen" das war ja ein Anhängsel - und ist es in
Interesse an Marcuse wieder zu Teilen immer noch - von Merkel und
wecken. Allerdings ist er trotz allem ihrem Satz "Wir schaffen das", inmeiner Meinung nach doch sehr dem sie erklärte, daß die Integration
stark von der Geschichte geprägt und geschafft werden muß. Die Linke
durch den Entstehungskontext be- kann aber kaum Einfluß nehmen auf
dingt. Interessanter finde ich, daß das die Rahmenbedingungen, die Integanze Projekt der Kritischen Theorie gration möglich werden lassen. Das
später auf die Frankfurter Schule re- ist eine sehr heikle Debatte, denn
duziert wurde. Franz Neumann bei- wenn eine Million Flüchtlinge intespielsweise ist für mich im Hinblick griert werden müssen, übt das einen
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erheblichen Druck auf den Arbeitsund Wohnungsmarkt aus, solange an
der schwarzen Null und der Austeritätspolitik festgehalten wird. Die
Verhältnisse sind eigentlich so ins
Arge geraten, daß sie die Machtfrage stellen müßte, es aber realistisch
gesehen nicht kann.
Meine Position dazu ist, daß die Linke auch das Sicherheitsthema besetzen sollte, was allerdings in der Regel, wenn Linke aus populistischen
Gründen glauben, das tun zu müssen,
so wie Rot-Grün und die Dritte-WegSozialdemokraten mit ihrer Null-Toleranzpolitik das gemacht haben, dazu führt, daß sie sich eher den Rechten anbiedern und deren Politik verfolgen, das politische Spektrum also
nach rechts verschieben. Das kann
natürlich nicht der Ansatz sein. Ich
bin auch gegen Obergrenzen, die gibt
es beim verfassungsmäßigen Recht
aufAsyl nicht. In der Linken ist aber
die Tendenz auszumachen, die Sicherheitsfrage als per se rechts anzusehen, was sie meines Erachtens
nicht ist.
Ich habe dafür plädiert, die Sicherheitsproblematik als eine anti-neoliberale Stoßrichtung aufzulösen, weil
es ein Problem ist, wenn Kapitalismus zu Kriminalität führt - was er ja
tut - und die Linke darauf keine Antwort hat. Mein Vorschlag lautet, die
Sicherheitsfrage nicht auf die innere
Sicherheit zu reduzieren, sondern
anzukoppeln an Fragen der sozialen
Absicherung und des Gemeinwesens, also danach, wie wir eigentlich
leben wollen und wie sich zum Beispiel Sicherheit mit der Planbarkeit
von Familie und Beruf, mit nichtprekären Arbeitsverhältnissen und
armutsfesten Renten vereinbaren
läßt. Vor der Bundestagswahl 2017
wird es wieder eine Rentendebatte
geben. Die SPD schwenkt ja mittlerweile auf diesen Kurs ein, wenngleich sie selber für die grassierende
Altersarmut verantwortlich ist. In der
Rosa-Luxemburg-Stiftung, für die
ich auch arbeite, sprechen wir von
der Notwendigkeit der SichtbarmaSeite 8
chung eines "dritten Pols", wie Tom
Strohschneider das genannt hat, also
ein dritter Pol gruppiert um ein "Lager der Solidarität", das ein kollektiv-solidarisches, antineoliberales
Projekt der Wiedergewinnung der
Demokratie und sozialen Gerechtigkeit formuliert, das sich sowohl gegen den ersten Pol des autoritären
Neoliberalismus des Establishments
richtet und auch eine Alternative ist
zum zweiten Pol des autoritären nationalistischen Populismus von
rechts, den die Politik des Establishments hervorgebracht hat. Mein Vorschlag zur Stellung der Sicherheitsfrage von links ist in diesem Kontext
zu sehen, d.h. der Frage, wie man
den "dritten Pol", der wie Umfragen
zeigen ja längst schon existiert,
sichtbar und erfahrbar machen kann,
wie Mario Candeias das beschrieben
hat.
senprojekt der Bourgeoisie, als das
Projekt Globalisierung des Kapitalismus, um die Krise der 70er Jahre,
in der ich eine Profit-Klemmkrise
sehe und die aus Sicht der Herrschenden als eine "Krise von zuviel
Demokratie" erschien, wie das die
Trilaterale Kommission seinerzeit
nannte, zu lösen. Die Globalisierung
wurde erfolgreich als Vehikel genutzt, um die Klassenmacht des Kapitals wiederherzustellen durch die
Mobilität des Kapitals sowie dessen
Fähigkeit, Unterschiede zwischen
den Nationalstaaten bis hinein in die
Regionen auszunutzen, um Subventionen vom Staat und Konzessionen
von den Lohnabhängigen zu bekommen. Das ist ein Klassenprojekt, das
die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit auf globaler Ebene
dramatisch verschoben hat. Weil
aber Klassenkampf uns hierhin gebracht hat, ein Klassenkampf, der
das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit dramatisch zuungunsten der Lohnabhängigen verschoben hat, gibt es auch kein einfaches
Zurück zum keynesianischen Wohlfahrtsstaat, so wie sich Crouch und
andere das erhoffen. Denn der keynesianische Wohlfahrtsstaat war
eben lediglich ein Ausdruck einer Situation, in der die Lohnabhängigen
bedeutend stärker waren als heute.
SB: Wie würdest du Neoliberalismus
überhaupt definieren? Bei den Protesten gegen TTIP werden häufig die
Auswüchse des Kapitalismus und
bestimmte Zuspitzungen des Freihandels kritisiert auf der Basis eines
kapitalistischen Verwertungssystems, das durchaus für erhaltenswert gehalten wird. Unter den Gegnern der umstrittenen Freihandelsabkommen ist viel vom Neoliberalismus die Rede, wo vielleicht grundsätzlichere Fragen gestellt werden Die historische Lehre der neoliberasollten. Wie siehst du das?
len Wende ist meines Erachtens, dass
ein großes Denkparadigma zuende
InS: Viele verstehen unter Neolibe- gegangen ist, das in der Nachkriegsralismus einfach eine Ideologie des zeit und bis in die 1970er Jahre soMarktes, häufig in Verbindung mit wohl im Westen als auch im Osten
Colin Crouch, der vom "merkwürdi- auf seine Weise populär war und das
gen Überleben des Neoliberalismus" auch dem Frankfurter-Schule-Dengesprochen hat. Da gibt es die Vor- ken, wie ich es zuvor skizzierte, zustellung, es könne eine Rückkehr grunde lag. Das war die Vorstellung,
zum Vor-Neoliberalismus, also zum dass der Kapitalismus sich dauerhaft
Fordismus geben, dem historischen zivilisieren, eindämmen und von seiKlassenkompromiß zwischen Kapi- nen mutmaßlichen Geburtswehen tal und Arbeit, vermittelt über korpo- ganz am Anfang gab es den 16 Stunratistische Strukturen und eine key- den-Arbeitstag, Kinderarbeit, die tonesianische nachfrageorientierte tale Marktabhängigkeit in Sachen
Vollbeschäftigungspolitik als mate- Arbeitslosigkeit, Krankheit etc. - berieller Grundlage der Demokratie freien ließe, die Vorstellung, dass
etc. Ich verstehe Neoliberalismus sich die Widersprüche des Kapitalishingegen als ein historisches Klas- mus in einer Mischwirtschaft aufhewww.schattenblick.de
Sa, 18. Juni 2016
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ben lassen würden, so wie man sich
das in dieser Zeit dachte: der Westen
wird planwirtschaftlicher, der Osten
wird marktwirtschaftlicher und die
"Ostpolitik" sei lediglich Ausdruck
dieser quasi-natürlichen Entwicklung. Verkannt wurde meines Erachtens, dass diese Entwicklung ein Ergebnis von Klassenkämpfen war.
Und der Neoliberalismus lehrt uns
auf eine sehr schmerzhafte Weise,
dass keine Errungenschaft, die wir
gelernt haben, mit dem "Westen" und
seinem Kapitalismus zu assoziieren,
Demokratie, Sozialstaat etc. nicht
von Seiten des Kapitals infrage gestellt werden kann.
Die Vorstellung, den Kapitalismus
ins Gleichgewicht bringen zu können, die - bei allen Rückschritten, bei
allen Krisen - zwischen 1875 und
1975 plausibel erscheinen mochte,
ist mit dem Neoliberalismus meines
Erachtens gescheitert. Die Idee, sichere, gute Arbeitsplätze und hohe
Löhne, weniger Arbeiten, mehr Freizeit etc. seien unter den Bedingungen der privaten Profitproduktion,
also des Privateigentums an den Produktionsmitteln, zu schaffen, was
ohnehin nur regional gelang, hat sich
ebenfalls als Illusion erwiesen. Wir
können daraus lernen, daß es dahin
kein Zurück geben wird. In der Krise der 70er Jahre gab es nur die Alternative zwischen dem, was wir
jetzt haben, also Neoliberalismus
oder Wirtschaftsdemokratie, Sozialismus, also einem Voranschreiten in
antikapitalistischer Richtung. In der
Beschreibung ist man sich da mit
Crouch wohl auch einig, auch mit
Wolfgang Streeck und seiner These
vom "postdemokratischen Kapitalismus". Aber vor den politischen Konsequenzen schrecken viele, glaube
ich, noch zurück. Denn daraus folgt,
daß nichts daran vorbei führt, die
Kräfteverhältnisse, die sich global so
dramatisch zuungunsten der Arbeit
verschoben haben, wieder zurück zu
verschieben. Und dann reden wir
über Praxis. Die mühsame Arbeit in
den Ebenen des Organisierens, Reorganisierens, der Neuformierung des
Sa, 18. Juni 2016
Widerstands als Klassenwiderstand.
Eine Arbeit, die keine abstrakte Diskussion über Sinn oder Sinnlosigkeit
des Kapitalismus ersetzt.
Nun, und wenn man mit diesem
praktischen Ziel davon ausgeht, daß
der Kapitalismus nicht die letzte
Antwort der Geschichte ist, kann
man natürlich mit klassischen Sozialdemokraten zusammenarbeiten,
gemeinsam Übergangsforderungen
verwirklichen etc. Aber diese klassischen Sozialdemokraten, die dem
notwendigen Konflikt, der notwendigen Herausforderung der ökonomisch Mächtigen, nicht aus dem
Weg gehen wollen, existieren hierzulande und in Kontinentaleuropa mit
seinen Proporzwahlsystemen insgesamt mittlerweile außerhalb der etablierten Sozialdemokratien. Anders
sieht das in Großbritannien mit Jeremy Corbyn und den USA mit Bernie
Sanders aus, wo man diskutieren
könnte, ob es vielleicht möglich wäre, diese Parteien mit einem solchen
konfliktorientierten klassischen Sozialdemokratismus wiederzugewinnen. So oder so: Wenn man den Neoliberalismus als den Hauptgegner erkannt hat, würde ich sagen, ist die
wichtigste Frage, wie man den Übergang einleiten und wieder in eine Offensivposition der Arbeiterbewegung kommen kann, denn die Überwindung des Neoliberalismus ist eine Voraussetzung dafür, um den Kapitalismus langfristig zu überwinden.
SB: Daran schließt sich die Frage
nach der Zukunft, einem der zentralen Begriffe der Tagung, fast schon
von selbst an, genauer gesagt nach
Reform oder Revolution, um die
klassischen Begriffe zu verwenden,
oder eben nach der sogenannten
Transformation. Könntest du dazu
etwas sagen?
dert habe, ist es natürlich schwierig,
von Revolution zu sprechen. Der
Neoliberalismus muß als Konterrevolution gegen die Errungenschaften
der Arbeiterbewegung verstanden
werden. Hinzu kommt, daß der
Transformationsbegriff aus der Tradition vor allem des westlichen oder
auch gramscianischen Marxismus
kommt. Gramsci ist der Theoretiker
des Scheiterns der Revolution im
Westen, d.h. in entwickelten kapitalistischen Staaten. Er war ein glühender Anhänger Lenins, kein postmoderner Zivilgesellschaftstheoretiker, zu dem er heute gerne gemacht
wird. Aber Gramsci erkannte, daß
das, was in Rußland, einem unterentwickelten Land in der Peripherie des
Kapitalismus, an Bewegungskrieg
möglich war, im entwickelten Kapitalismus, wo die Herrschaft des Kapitals in die Zivilgesellschaft überwechselt, ganz anders aussieht und
daß man nicht einfach den Staat
übernehmen und dann glauben kann,
mit der politischen Macht hätte man
auch gleich die gesellschaftliche und
ökonomische Macht inne.
Der Transformationsbegriff ist der
Versuch, eine radikale antikapitalistische Strategie unter den Bedingungen des entwickelten Kapitalismus zu denken. Dieser Begriff unterscheidet sich vom Reformbegriff insofern, als er davon ausgeht, daß es
Grenzen der Reformierbarkeit des
Kapitalismus gibt und daß es auch
nicht wünschenswert ist, sich auf eine reine Reformillusion des Kapitalismus zu kaprizieren. Aber zugleich
geht er auch von dem Wissen aus,
daß eben die alten Revolutionskonzepte nicht mehr funktionieren, jedenfalls hier nicht. Interessant ist natürlich, daß der Revolutionsbegriff
gerade jetzt eine Renaissance feiert
und zwar nicht nur in der Werbung,
sondern wirklich im Politischen,
wenn man jetzt einmal an Bernie
Sanders denkt, der von einer politischen Revolution spricht.
InS: Manche Leute würden sagen,
daß man da, wo man früher von Revolution gesprochen hätte, heute von
Transformation spricht. Vor dem
Hintergrund der verschobenen Kräf- Diese politische Terminologie hat
teverhältnisse, die ich eben geschil- mittlerweile auch wieder Eingang
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Seite 9
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gefunden in die Diskussionen der
hiesigen Linken. In dem neuesten
Strategiepapier, das Bernd Riexinger
und Katja Kipping als Vorsitzende
der Linkspartei geschrieben haben
[5], fordern sie etwa eine "Revolution für Demokratie und soziale Gerechtigkeit". Es ist interessant zu sehen, wie der Revolutionsbegriff in
nicht-revolutionären Zeiten so eine
gewisse Zugkraft entfaltet vor dem
Hintergrund der tiefen Legitimitätsund Repräsentationskrise, die es im
Kapitalismus des Westens gibt. Ich
finde den Revolutionsbegriff weiterhin sympathisch, bin aber insgesamt
vielleicht doch eklektisch. Ob man
das nun Transformation oder Revolution nennt, ist mir am Ende relativ
egal, solange es um die Fragestellung
geht, wie man heute unter den Bedingungen der Defensive der Linken
und des entwickelten Kapitalismus
eine antikapitalistische Strategie
denken kann.
SB: Vielen Dank, Ingar, für dieses
lange Gespräch.
Anmerkungen:
[1] Erster Teil des Interviews mit Ingar Solty im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT:
INTERVIEW/065: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Rückbesinnung
nach vorn ... Ingar Solty im Gespräch
(1) (SB)
[2] Krieger und Gelehrte. Herbert
Marcuse und die Denksysteme im
Kalten Krieg. Von Tim B. Müller.
Hamburger Edition HIS Verlagsges.
mbH. Siehe die Rezension im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUCH → SACHBUCH
REZENSION/573: Tim B. Müller Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten
Krieg (SB)
tik, die Krise und linke Alternativen,
von Ingar Solty
https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/Studie_05-2016_Exportweltmeister.pd
Pläne weit über den Tag
hinaus
Anthony Joshua stehen
[4] Sicherheit: Ein heißes Eisen für
drei Optionen offen
die Linke? April 2016, von Ingar
(SB) ­ Auf dem Papier ist Tyson FuSolty
ry gegenwärtig der führende Akteur
http://www.zeitschrift-luxemburg.de/sicherheit-ein-heisses-eisen- im Schwergewicht, da er die Titel der
Verbände WBA, WBO und IBF infuer-die-linke
nehat. Er bestreitet am 9. Juli eine
[5] Die kommende Demokratie: So- Revanche mit seinem Vorgänger
zialismus 2.0. Zu den Aufgaben und Wladimir Klitschko, bei der die KarMöglichkeiten einer Partei der Zu- ten neu gemischt werden könnten.
kunft im Europa von morgen. Mani- Am stärksten einzuschätzen ist jefest von Katja Kipping und Bernd doch der WBC-Weltmeister Deontay
Wilder, für den am 16. Juli eine freiRiexinger, 2015. Broschüre, S. 5
willige Titelverteidigung gegen
Chris Arreola ansteht. Den Gürtel
Berichte und Interviews zur Tagung der IBF hat der in 16 Kämpfen unge"Richtige Literatur im Falschen?" schlagene Anthony Joshua in seinem
Besitz, der es am 25. Juni mit dem
im Schattenblick unter
ebenfalls unbesiegten Dominic
www.schattenblick.de →
Breazeale zu tun bekommt.
INFOPOOL → DIE BRILLE →
REPORT:
Sollte der 26jährige Brite in der LonBERICHT/044: Zukunft, Literatur, doner O2 Arena wie erwartet die
Gesellschaft - Lesen, schreiben, stö- Oberhand behalten, stünden ihm
nach den Worten seines Promoters
ren ... (SB)
Eddie Hearn für seinen nächsten
INTERVIEW/063: Zukunft, Litera- Auftritt im November drei Optionen
tur, Gesellschaft - Mangel an Sozial- offen. Er könnte sich mit Tyson Fukritik ... Enno Stahl im Gespräch ry, Deontay Wilder oder einem anderen Gegner seiner Wahl messen. Im
(SB)
Frühjahr 2017 soll dann der PflichtINTERVIEW/064: Zukunft, Litera- herausforderer Joseph Parker an die
tur, Gesellschaft - Die Krise als Reihe kommen. Ein Kampf gegen
Chance ... Erasmus Schöfer im Ge- Wilder gilt als die unwahrscheinlichste Möglichkeit, da Joshua in den
spräch (SB)
USA noch zu wenig bekannt ist, um
INTERVIEW/065: Zukunft, Litera- das Interesse einer breiteren Zutur, Gesellschaft - Rückbesinnung schauerschaft wachzurufen. Diese
nach vorn ... Ingar Solty im Gespräch Option muß noch geraume Zeit reifen, bis sie sich erfolgreich vermark(1) (SB)
ten läßt.
http://www.schattenblick.de/
infopool/d­brille/report/
dbri0066.html
[3] Exportweltmeister in Fluchtursachen: Die neue deutsche AußenpoliSeite 10
SPORT / BOXEN
www.schattenblick.de
Laut Eddie Hearn wäre Tyson Fury
der Wunschgegner, doch sei mit diesem Kampf wohl eher im Sommer
2017 zu rechnen, wo man ihn dann
vor großer Kulisse im Wembley-Stadion über die Bühne bringen könnte.
Fury wäre sicher nicht abgeneigt,
schon im November mit seinem
Sa, 18. Juni 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Landsmann in den Ring zu steigen,
sofern er gegen Klitschko die Oberhand behält. In diesem Fall könnte er
mit einer enormen Börse rechnen,
die jegliche Alternativen weit in den
Schatten stellen würde. Käme Fury
jedoch im Rückkampf gegen den
Ukrainer unter die Räder, schwände
seine Attraktivität für Joshua auf der
Stelle. Und selbst wenn sich der IBFChampion auch unter diesen Umständen bereiterklärte, Tyson Fury
eine Chance einzuräumen, wäre dieser schlecht beraten, nach einer Niederlage gegen Klitschko sofort das
nächste Desaster anzusteuern.
Was den 24jährigen Joseph Parker
betrifft, merkt Eddie Hearn an, daß
mit dessen Kampf gegen Anthony
Joshua im nächsten Frühjahr ein
spannendes und hochklassiges Duell
zweier junger Schwergewichtler ins
Haus stehe. Dem ist jedoch nur bedingt zuzustimmen, da der Neuseeländer bei seinem Sieg im Ausscheidungskampf gegen Carlos Takam am
21. Mai in Manukau City nicht wesentlich besser als der elf Jahre ältere Franzose war. Der Lokalmatador
profitierte in einem streckenweise
niveauarmen Gefecht von der geringen Aktivität und augenscheinlichen
Konditionsschwäche des Franzosen,
der noch seltener schlug und rascher
ermüdete als er selbst. Parker spielte
seine körperlichen Vorteile aus und
hielt den Gegner auf Abstand, der
nur selten an ihn herankam. Takam
machte nur dann eine bessere Figur,
wenn er den Gegner zurücktrieb und
mit Schlägen zu Kopf und Körper
traktierte. Er setzte jedoch nicht
nach, sondern legte anschließend jeweils eine längere Erholungspause
ein, in der sich der Neuseeländer
wieder in Szene setzen konnte.
Zwar ist nicht bekannt, ob Anthony
Joshua Luft für volle zwölf Runden
hat, da er noch nie so lange boxen
mußte, um zu gewinnen, doch dürfte auch eine kürzere Spanne für Joseph Parker ausreichen. Der IBFChampion macht genügend Druck,
um einen Gegner dieses Kalibers
Sa, 18. Juni 2016
derart mit Schlägen einzudecken,
daß dieser entweder umfällt oder
vom Ringrichter stehend aus dem
Kampf genommen wird. Problematisch könnte es für den Briten allenfalls werden, wenn er wie üblich von
Beginn an versuchen würde, Parker
in die Seile zu treiben, um ihn dort
zu stellen. Der Herausforderer verfügt über gute Nehmerqualitäten und
kann gehörig zurückschlagen, wenn
er in die Enge getrieben wird.
Da natürlich nicht auszuschließen
ist, daß Parker in absehbarer Zeit einige seiner Schwächen ausmerzen
kann, sollte Joshua diesen Kampf
nicht allzu lange hinausschieben.
Der Neuseeländer ist zwar in technischer Hinsicht limitiert, aber von robuster Konstitution und Standfestigkeit, so daß er sich nicht so leicht zurückdrängen und mit Schlägen eindecken lassen dürfte wie die bisherigen Kontrahenten des Briten.
Eddie Hearns größte Sorge ist jedoch
eigenen Angaben zufolge der Erwägung geschuldet, es könnte Anthony
Joshua aufs Gemüt schlagen, unablässig im Zentrum des Medienrummels zu stehen. Seit Beginn seines Trainingslagers vor dem Titelkampf gegen Charles Martin habe
ihn die Presse umlagert, und das setze sich nun ununterbrochen fort, da
er sich bereits auf Dominic Breazeale vorbereite. Sobald das geschafft
sei, werde er dafür sorgen, daß sein
junger Schwergewichtler eine ausgiebige Pause von vier bis sechs Wochen bekommt, in der er sich entspannen und zur Ruhe kommen könne. [1]
Anmerkung:
[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/hearn-lists-joshuasthree-options-november-fight/#more-212024
http://www.schattenblick.de/
infopool/sport/boxen/
sbxm1982.html
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SCHACH - SPHINX
Weltvergessendes Studium
(SB) ­ Kunst verlangt ungeteilte Auf-
merksamkeit, duldet keine Zweigleisigkeit, kein Sichverzetteln der Kräfte und Potentiale. Viele der namhaft
gewordenen Schachmeister führten
ein Einsiedlerleben, fernab vom Treiben der zerstreuenden Gesellschaft.
Einer Leidenschaft die Treue zu halten, nichts anderes auf der Welt zu suchen als das herzinnigste Anliegen,
den Becher der Kunst bis zur Neige
zu leeren und auch vor der Leere nicht
zu flüchten, war ihr Daseinsmotto.
Eine Lebensgefährtin nahmen sie sich
oftmals nicht zur Seite. Gleich einsamen Kometen durchzogen sie ihren
Kosmos, glühten hier und da auf, aber
ließen sich von keiner Atmosphäre,
keinem Glück, keiner Kulissenhascherei locken und einfangen. Der für
seine witzigen Aussprüche bekannte
Großmeister Fritz Sämisch hatte einmal treffend gesagt, daß schon eine
Frau zuviel sei für einen Schachkünstler, nämlich die auf dem Brett.
Sich mit einer anderen, und sei sie in
Fleisch und Blut noch so bezaubernd,
die Zeit auf Erden zu teilen, überfordere jede Schaffenskraft, sei aller
Gipfelstürmerei abträglich. Jeder
muß in dieser Frage natürlich seinen
Standpunkt wählen, und was er alles
auf dem steinigen Weg zu Höhe und
Flügelhaftigkeit zurücklassen will,
das bestimmt er selbst im Widerschein seiner für sich formulierten Interessen. Das weltvergessende Studium der Schachkunst bringt dann solche Blüten hervor wie diese im heutigen Rätsel der Sphinx, wo der ehemalige Weltmeister Emanuel Lasker
von einem jungen Gipfelstürmer
während einer Simultanvorstellung
auf reizvolle Weise besiegt wurde.
Dabei sah es auf dem ersten Blick gar
nicht danach aus, daß Schwarz die
Umwandlung des weißen h-Bauern in
eine Dame verhindern könnte. Oder
hast du einen goldenen Einfall, Wanderer?
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__I n h a l t____________Ausgabe 1858 / Freitag, den 17. Juni 2016__
1 KUNST - REPORT:
Manga trifft Hokusai - im Spiegel gezeichneter Erzählung ...
4 POLITIK - REDAKTION:
NATO richtet sich auf Dauerkrieg in Afghanistan ein
5 DIE BRILLE - REPORT:
Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Rückbesinnung nach vorn ...
Ingar Solty im Gespräch (2)
10 SPORT - BOXEN: Pläne weit über den Tag hinaus
11 SCHACH-SPHINX: Weltvergessendes Studium
12 DIENSTE - WETTER: Und morgen, den 18. Juni 2016
Lasker - Loman
Auflösung des letzten
Sphinx­Rätsels:
DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN
Und morgen, den 17. Juni 2016
+++ Vorhersage für den 17.06.2016 bis zum 18.06.2016 +++
Lasker begnügte sich nicht mit einem simplen Springer-Springer- Abtausch, sondern eroberte mit dem
Lenkungsopfer 1.b2-b4! La5xb4
2.Se1- c2 eine schwarze Figur, und
sein deutlich jüngerer Kontrahent
Max Euwe hatte etwas Neues dazugelernt.
Windbewegung, frisch und heftig,
Regenwolken und auch naß,
nur Frosch Jean-Luc fühlt sich kräftig,
viele sonst, die hab'n kein'n Spaß.
http://www.schattenblick.de/
infopool/schach/schach/
sph05870.html
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Sa, 18. Juni 2016