Die straflose Selbstanzeige im Schweizer Steuerrecht

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Sind Nachsteuern
und Verzugszinsen
bezahlt und ist die
Nachsteuerverfügung
rechtskräftig, dann
können die Steuerpflichtigen wieder
unbe­s chwert über ihr
Geld verfügen.
Die straflose Selbstanzeige
im Schweizer Steuerrecht
Mario Erni, diplomierter Steuerexperte/MLaw, Partner bei Rohner & Erni Tax AG
Die Selbstanzeige ermöglicht, steuerliche Verfehlungen offenzulegen
und reinen Tisch zu machen. Privatpersonen, aber auch Unternehmen
können auf diese Art nicht deklarierte Einkünfte und Vermögenswerte
nachträglich versteuern.
Die Person X besitzt ein nicht deklariertes Privatkonto.
Sie ist Alleinaktionär der H AG, die Maschinen verkauft.
Seit Jahrzehnten wird ab und zu nur ein Teil des mündlich
vereinbarten Verkaufserlöses von der H AG in Rechnung
gestellt und der restliche Betrag (nachfolgend «Restzahlungen») wird direkt auf das nicht deklarierte Privatkonto
von X überwiesen.
Was gilt es zu bedenken? Eine Auslegeordnung
• Gewinn- und Kapitalsteuern der H AG: Die Restzahlungen stehen der H AG zu. Durch die Nichtverbuchung
der Restzahlungen wird der Handelsertrag und damit
einhergehend der steuerbare Gewinn der H AG zu tief
ausgewiesen. Es liegt in der Regel eine Hinterziehung
von Gewinn- und Kapitalsteuern vor. Zudem wird
durch die vorsätzlich unterlassene Verbuchung regel­
mässig der strafrechtliche Tatbestand der Falsch­
beurkundung erfüllt.
• Mehrwertsteuern H AG: Die Lieferung von Maschinen ist
grundsätzlich eine steuerbare Leistung. Sofern die H AG
mehrwertsteuerpflichtig ist und keine befreite Leistung
vorliegt, muss auf der Lieferung die Mehrwertsteuer
erhoben und abgeführt werden. Es liegt eine Hinterziehung der Mehrwertsteuer auf den nicht abgerechneten
Restzahlungen vor.
• Verrechnungssteuern H AG: Durch die Vereinnahmung
der Restzahlungen auf dem Privatkonto von X wird die H
AG wirtschaftlich betrachtet «entreichert», was aus der
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Sicht der H AG eine verdeckte Gewinnausschüttung
darstellt. Gewinnausschüttungen unterliegen der Verrechnungssteuer, weshalb vorliegend zumindest eine
Hinterziehung der Verrechnungssteuer gegeben ist.
• Einkommens- und Vermögenssteuern X: Die von X
direkt vereinnahmten Restzahlungen hätten von der
H AG verbucht und dann ausgeschüttet werden müssen.
Die Restzahlungen stellen somit steuerbaren Vermögensertrag dar, der von X in seinem Wertschriftenverzeichnis als Einkommen zu deklarieren ist. Zudem ist
das Privatkonto auch für Vermögenssteuerzwecke zu
deklarieren. Es liegt eine Hinterziehung von Einkommens- und Vermögenssteuern vor.
Was nun? Entweder man hofft weiterhin auf die Nicht­
entdeckung der Verfehlungen und nimmt die Strafbarkeit
in Kauf oder man entscheidet sich für eine straflose
Selbstanzeige.
Voraussetzungen für eine straflose Selbstanzeige
Die Voraussetzungen für eine straflose Selbstanzeige
sind nicht bei jeder Steuerart identisch und müssen im
Einzelfall konkret geprüft werden. Verallgemeinert lassen
sich die Voraussetzungen wie folgt zusammenfassen:
Erstens darf die Hinterziehung keiner Behörde bekannt
sein; zweitens muss die Behörde bei der Festsetzung der
Nachsteuer vorbehaltlos unterstützt werden und es müssen alle relevanten Sachverhaltsmomente offengelegt
werden; drittens muss sich die steuerpflichtige Person
ernstlich um die Bezahlung der Nachsteuer bemühen; und
viertens muss es sich um eine erstmalige Selbstanzeige
handeln (Ausnahme Mehrwertsteuer: Straflose Selbst­
anzeigen sind mehrmals möglich). Wenn mehrere Steuerarten betroffen sind und mehrere Steuerbehörden (Eidgenössische Steuerverwaltung und Kantonale Steuerämter)
adressiert werden müssen, empfiehlt es sich dringend,
das Vorgehen zu koordinieren.
Wirkung einer straflosen Selbstanzeige
Sofern die Voraussetzungen für eine straflose Selbstanzeige gegeben sind, werden die nicht verjährten Nach­
steuern zuzüglich Verzugszinsen nachgefordert und es
wird von einer Strafverfolgung abgesehen. In den meisten Fällen bedeutet dies vor allem, dass der steuerpflichtigen Person keine Busse auferlegt wird. Weiter hebt eine
straflose Selbstanzeige in bestimmten Konstellationen
auch eine allfällige Solidarhaftung auf. Eine strafrechtlich
relevante Falschbeurkundung bleibt in der Regel ebenfalls straflos.
Falls X vor der Einreichung einer straflosen Selbstanzeige
betreffend die Einkommens- und Vermögenssteuern
­versterben würde, könnten die Erben unter den gleichen
Voraussetzungen eine vereinfachte Nachbesteuerung
von Erben geltend machen. In diesem Fall wird die Nachsteuer (Einkommens- und Vermögenssteuern) zuzüglich
Verzugszinsen nur für die drei vorangegangenen Jahre
nachgefordert. Da die H AG ein anderes Steuersubjekt ist,
wäre die Bereinigung der H AG durch das Versterben von
X nicht unmittelbar tangiert.
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Wie geht man konkret vor?
•Informationsbeschaffung: Die Belege bezüglich der
bisher nicht deklarierten Werte sind zu beschaffen, was
sich nicht immer ganz einfach gestaltet. Im Bewusstsein
der Verfehlung werden Belege oft nicht aufbewahrt
und müssen bei den entsprechenden, regelmässig auch
ausländischen Institutionen neu angefordert werden.
Bei ausländischen Depots kommt erschwerend dazu,
dass die lokalen Auszüge nicht sämtliche für die Schweiz
relevanten Informationen enthalten oder nur auf aus­
ländische, vom Kalenderjahr abweichende Steuerperioden zugeschnitten sind.
•Auslegeordnung: Die gesammelten Informationen sind
auf Vollständigkeit zu prüfen und rechtlich zu würdigen.
In den meisten Fällen dürfte es sich lohnen, spätestens
hier einen Steuerexperten beizuziehen. Oft ergeben
sich im Rahmen der Auslegeordnung Folgefragen zum
Sachverhalt, die näher abgeklärt werden müssen, um
spätere Überraschungen zu vermeiden. Nach Abschluss
der Auslegeordnung kann in der Regel approximativ
geschätzt werden, was die Kosten einer (straflosen)
Selbstanzeige sind und wie viel der nicht deklarierten
Werte noch übrig bleiben werden.
•Selbstanzeige: Der Sachverhalt wird in einer Selbst­
anzeige zusammengefasst und mit Belegen dokumentiert. Aus zeitlichen Gründen kann bei überschaubaren
Sachverhalten eine «Red-Flag-Selbstanzeige» in
­Erwägung gezogen werden: Das heisst, die Verfehlung
wird angezeigt und die fehlenden Informationen werden
so rasch wie möglich nachgereicht. In der Praxis zeigt
sich, dass eine sauber dokumentierte und schlüssige
Selbstanzeige rascher erledigt wird und weniger oder
gar keine Rückfragen verursacht. Dies verwundert
nicht weiter, wenn man bedenkt, dass allein im Kanton
Zürich gemäss Angaben des Kantonalen Steueramtes
Zürich im Jahr 2015 rund 1500 Selbstanzeigen ein­
gereicht wurden.
• Nachsteuer- und Bussenverfahren: Gestützt auf die
Selbstanzeige eröffnen die zuständigen Behörden in der
Regel ein Nachsteuer- und Bussenverfahren. Sofern
nötig, wird die zuständige Behörde zur Beurteilung des
Falles zusätzliche Informationen anfordern und Rückfragen stellen. Anschliessend werden die Nachsteuern und
Verzugszinsen ermittelt sowie in Rechnung gestellt.
Wenn die Voraussetzungen der Straffreiheit erfüllt sind,
wird diese regelmässig explizit verfügt.
Eine Sorge weniger
Mit der Bezahlung der Nachsteuern mitsamt Verzugszinsen und der Rechtskraft der Nachsteuerverfügung findet
das Verfahren seinen Abschluss. Danach geniessen die
Steuerpflichtigen die Freiheit, über die nachversteuerten
Gelder unbeschwert verfügen zu können. Abgesehen vom
geringeren Schaden gegenüber einer potenziellen Auf­
deckung durch die zuständigen Steuerbehörden ist dies
der grösste Nutzen der straflosen Selbstanzeige: Den
Steuerpflichtigen (und oftmals auch ihren potenziellen
Erben) fällt ein grosser Stein vom Herzen.