Einführung

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Menschenhandel ist ein weltweites und schon lange existierendes Problem, das alle
Menschen unabhängig von Nationalität, Alter und Geschlecht betreffen kann.
Es handelt sich dabei um eine sehr komplexe Thematik, die später noch in ihren
unterschiedlichen Facetten detaillierter beleuchtet werden wird.
In Deutschland existieren seit 2005 zwei Straftatbestände „Menschenhandel“: zum Zweck
der sexuellen Ausbeutung (§232 StGB) und zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft
(§233 StGB). Beide sind den Straftaten gegen die persönliche Freiheit zugeordnet. Andere
Formen des Menschenhandels (z.B. Ausbeutung von Betteltätigkeit) werden erst zukünftig
im Rahmen der Strafrechtsreform ebenfalls sanktioniert werden.
Der Grundtatbestand des § 232 StGB (Menschenhandel zum Zweck der sexuellen
Ausbeutung) umfasst die Ausnutzung einer Zwangslage oder auslandsspezifischer
Hilflosigkeit um eine Person zur Aufnahme bzw. Fortsetzung der Prostitution oder zu
ausbeuterischen sexuellen Handlungen zu bringen.
Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung (§ 233 StGB) bedeutet, eine andere
Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder auslandsspezifischer Hilflosigkeit in
Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft oder zur Aufnahme oder Fortsetzung
einer Beschäftigung zur bringen, zu Arbeitsbedingungen, die in einem auffälligen
Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen Anderer stehen.
Jedoch werden auch unterhalb der strafrechtlichen Schwelle aus der Beratungspraxis Fälle
von schwerer Ausbeutung berichtet.
Menschenhandel tritt häufig im Zusammenhang mit Arbeitsmigration auf.
Armut und Ausgrenzung im Herkunftsland sowie die Hoffnung auf bessere
Lebensperspektiven sind starke Motive für eine Arbeitsaufnahme im Ausland.
Unzureichende finanzielle Ressourcen und fehlende Kontakte im Zielland erfordern jedoch
die Unterstützung durch andere Personen, entweder des sozialen Umfelds oder
professioneller Anbieter.
Dies kann zum Einfallstor für Menschenhändler werden.
Die Ausreise erfolgt demnach in fast allen Fällen freiwillig und oftmals wurde auch der Art der
Tätigkeit (auch in der Prostitution) zugestimmt. Dennoch kann der Straftatbestand
Menschenhandel verwirklicht sein, wenn Tatmittel wie Betrug, Nötigung, Gewalt etc.
eingesetzt werden mit dem Ziel, die betroffene Person auszubeuten.
1 So werden viele Betroffene des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
nicht zur Prostitution gezwungen, sondern müssen unter Bedingungen arbeiten, denen sie
nicht zugestimmt haben und werden finanziell extrem ausgebeutet.
Komplementär zu den oben skizzierten Push-Faktoren existiert in Zielländern wie
Deutschland eine große Nachfrage nach billigen Dienstleistungen, die oft durch Migrantinnen
und Migranten insbesondere in den Niedriglohnbranchen und in der Sexindustrie erbracht
werden.
Vom Menschenhandel und der Arbeitsausbeutung profitieren nicht nur die unmittelbaren
Täterinnen und Täter sowie die Nutznießerinnen und Nutznießer der erbrachten
Dienstleistungen, sondern auch z.T. auch Angehörige verschiedener Berufsgruppen, die die
Situation der Betroffenen ausnutzen und überhöhte Beträge z.B. für Übersetzungen,
medizinische Versorgung oder Rechtsberatung in Rechnung stellen.
Die Datenlage zum Ausmaß des Menschenhandels in Deutschland ist dürftig. Ein
Anhaltspunkt liefert das jährlich erstellte Lagebild des BKA, in dem die Anzahl der
Ermittlungsverfahren aufgeführt ist. Daraus und aus den Erkenntnissen der
Fachberatungsstellen ergibt sich, dass ein Großteil der Betroffenen des Menschenhandels
aus den EU-Ländern stammt, insbesondere aus Bulgarien und Rumänien. Ebenso finden
sich Hinweise, dass die Art der Ausbeutung geschlechtsspezifisch ist: Frauen sind
besonders von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung betroffen und von
Arbeitsausbeutung in den Bereichen Gastronomie, Haushalt, Pflege. Jedoch muss nochmals
betont werden, dass sich diese Ausführungen lediglich auf das Hellfeld beziehen.
Betroffene von Menschenhandel finden sich in Deutschland und anderen Zielländern oft in
prekären Lebensverhältnissen wieder: extreme Abhängigkeit von Arbeitgeberinnen und
Arbeitgebern, geringe oder keine Lohnzahlungen, überlange Arbeitszeiten, keine Trennung
von Arbeitsstätte und Wohnung, gefährliche Arbeitsbedingungen, Vorenthalten von Rechten,
Fehlen sozialer Absicherung (v.a. keine Krankenversicherung) – und auch Erfahrungen
psychischer und physischer Gewalt.
Menschenhandel ist ein klassisches Kontrolldelikt, welches ein aktives Vorgehen der der
Ermittlungsbehörden erfordert, da die Anzeigebereitschaft der Betroffenen sehr gering ist.
Gründe hierfür sind, dass selten Kenntnisse der eigenen Rechte und Möglichkeiten
vorhanden sind, Misstrauen gegenüber Behörden und Angst vor Sanktionen besteht sowie
kein Zugang zu (nichtstaatlichen) Unterstützungsstrukturen vorhanden ist. Und: die
ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und meist sehr geringen Einkünfte erscheinen Vielen
noch besser als die Lebensbedingungen im Herkunftsland.
2 Der Personenbeweis, die Aussage der Betroffenen, spielt aber eine zentrale Rolle bei den
Ermittlungen und später bei den Gerichtsverfahren. Die oben bereits erwähnte geringe
Anzahl von Strafverfahren, die zudem nur sehr zeit- und personalintensiv geführt werden
können, ist vor allem auch darauf zurückzuführen, dass sich selten Betroffene als Zeuginnen
oder Zeugen zur Verfügung stellen und dann auch bereit sind, vor Gericht auszusagen –
meist aus Angst vor Repressalien, auch gegenüber den Angehörigen.
Wenn Betroffene bei Gericht auftreten, sind sie, gerade in Fällen des Menschenhandels zum
Zweck der sexuellen Ausbeutung, oft in der Rolle der Hauptbelastungszeugin/des
Hauptbelastungszeugen, so dass hohe Anforderungen an ihre Aussage gestellt werden und
ihre Glaubwürdigkeit seitens der Verteidigung oft hinterfragt wird. Für Opferzeuginnen und –
zeugen stellen die Gerichtsverfahren nicht selten eine große psychische Belastung dar.
Daher ist es unbedingt erforderlich, Betroffenen frühestmöglich einen Rechtsbeistand zur
Seite zu stellen und den Kontakt zu einer Fachberatungsstelle zu vermitteln, die eine
umfassende psychosoziale Begleitung nicht nur während des Verfahrens sicherstellt,
sondern auch die Integration der Geschädigten unterstützt.
Die professionelle Beratung ist gerade dann unerlässlich, wenn Betroffene auf Grund von
Gewalterfahrungen traumatisiert sind und an Symptomen wie Alpträumen, belastenden
Erinnerungen, Vermeidungsverhalten, Gedächtnisstörungen, Übererregung und
Schlaflosigkeit leiden.
Die Traumatisierung hat auch Auswirkungen auf die Aussagefähigkeit der Betroffenen, so
dass deren Angaben oft unzusammenhängend oder sogar widersprüchlich erscheinen und
den Eindruck der Unglaubwürdigkeit hinterlassen können.
Die psychische Stabilisierung der Betroffenen ist daher nicht nur eine Voraussetzung für die
Alltagsbewältigung und Integration der Betroffenen, sondern auch im Hinblick auf ihre
Aussagefähigkeit eine Notwendigkeit.
Obwohl im Bereich des Menschenhandels nur selten organisierte Strukturen nachgewiesen
werden können, so ist dennoch in vielen Fällen von einer deliktsimmanente Gefährdung
auszugehen, wenn Betroffene zur Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden bereit sind.
3 Daher ist der Sicherheit von Zeuginnen und Zeugen von Beginn des Ermittlungsverfahrens
an in jedem Fall besondere Aufmerksamkeit zu widmen und gegebenenfalls auch seitens der
Polizei Opferschutz- oder Zeugenschutzmaßnahmen einzuleiten.
Aus dem zuletzt Gesagten wird deutlich, dass unterschiedliche Professionen an der
Begleitung und Unterstützung der Betroffenen des Menschenhandels beteiligt werden
müssen - selbstverständlich auch die kommunalen Behörden, v.a. wenn es um den
Aufenthalt und die Alimentierung der Opfer und/oder Zeuginnen und Zeugen geht.
In den meisten Bundesländern wurden mittlerweile Kooperationskonzepte entwickelt worin
die Aufgabenbereiche der einzelnen Akteure und die Art der Zusammenarbeit
festgeschrieben wurden, um strukturierte Abläufe zu gewährleisten. Nach Aussagen nicht
nur der Beratungsstellen zeigt sich jedoch leider oft in der Praxis, dass diese wichtigen
Konzepte noch nicht überall institutionell verankert sind und die interdisziplinäre
Zusammenarbeit personenabhängig geblieben ist.
Ein sehr wichtiger Punkt, bei dem sich eine funktionierende Kooperation bewährt, ist die
Möglichkeit, Betroffenen des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder
der Arbeitsausbeutung ausländerrechtlich eine 3-monatige Bedenkfrist einzuräumen, um
sich in Ruhe überlegen zu können, ob sie bereit sind auszusagen und dies auch vor Gericht
zu wiederholen.
Dieser Zeitraum kann auch den involvierten Behördenvertreterinnen und –vertretern sowie
den Beratungsstellen die Chance geben, das Vertrauen der Betroffenen zu gewinnen, sie zu
stabilisieren und so auch deren Aussagemotivation zu erhöhen.
In Mannheim arbeitet eine behördeninterne Steuerungsgruppe u.a. zum Thema
Menschenhandel, die sich nicht nur eine Verbesserung der Kooperation auf kommunaler
Ebene sondern auch präventive Maßnahmen zum Ziel gesetzt hat.
Ich bedanke mich für Ihr Interesse und freue mich nun auf die folgenden Beiträge der sehr
engagierten Menschen unterschiedlicher Berufsgruppen!
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