Im Interview: Wulf Herzogenrath

IM INTERVIEW: WULF HERZOGENRATH
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Von 1973 bis 1989 war Prof. Dr. Wulf Herzogenrath Direktor des Kölnischen Kunstvereins,
aktuell ist er Direktor der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste Berlin und
Sprecher des „Leipziger Kreises“ der deutschen Museen. Mit dem Rheinland ist er nach wie
vor eng verbunden und regelmäßig in Kunstinstitutionen oder bei Veranstaltungen in Köln,
Düsseldorf und Bonn anzutreffen.
Abb.: Sigmar Polke und Wulf Herzogenrath 1983 im Atelier Polke, Foto: Adolf Clemens
KUNST IM RHEINLAND: Herr Prof. Herzogenrath, mit der großen retrospektiven Ausstellung zur
Videoskulptur des 20. Jahrhunderts „Video-Skulptur : retrospektiv und aktuell, 1963 – 1989“, die nach
Köln auch im HDKW in Berlin und im Kunsthaus Zürich gezeigt wurde, haben Sie sich 1989 aus dem
Rheinland verabschiedet um dann in Berlin das neue Museum für Gegenwart im Hamburger Bahnhof
auf zu bauen. Auch hier herrschte nach dem Mauerfall wieder eine Aufbruchsituation wie zu Ihrer
Anfangszeit in Köln. Welche Kräfte waren jeweils prägend für die Kunstszenen einmal hier im Rheinland der 70er und dann im Berlin der 90er Jahre, gibt es Parallelen?
WULF HERZOGENRATH: Aus der Sicht von heute ist es kaum vorstellbar, dass Köln in den frühen
70er Jahren noch nicht interessant als Kunstort war! Der Sammler Wilhelm Hack sammelte die
klassische Moderne, Ernst Brücher begann den DuMont Verlag zu profilieren und allein ein
Wolfgang Hahn machte noch keinen Sommer. Die Sammler Peter und Irene Ludwig, die Buchhandlung Walther König, das erste deutsche Galeriehaus in der Lindenstraße oder eben auch der
weltweit erste Kunstmarkt - dies zeigte erst im Laufe der 70er Jahre Wirkung – wie auch der
Aufstieg der großen Galerien Der Spiegel (Hein Stünke), Zwirner, Reckermann, ganz zu schweigen von den damals jungen Paul Maenz oder Max Hetzler. Die Anziehungskraft auf die Künstler
wie Michael Buthe, Rune Mields, Sigmar Polke oder dann später auch Gerhard Richter war riesig,
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die Galerie-Wochenenden zogen ein großes Publikum aus den Benelux-Staaten und der ganzen
Bundesrepublik an. Ende der 70er Jahre fühlte sich Köln dann wie New York – die Stiftungen von
Peter Ludwig 1976 und seine geschickten Verhandlungen führten 1986 zur Gründung des
Museum Ludwig, Sammler wie Rainer Speck oder Udo Brandhost traten erst später in die Öffentlichkeit. Die Jungs von der Mülheimer Freiheit (Dahn, Dokupil, Adamski, Bömmels u.a.) waren
dann ebenso international erfolgreich wie die jungen Videokünstler, Marcel Odenbach, Klaus
vom Bruch und Ulrike Rosenbach. Ende der 80er Jahre trumpfte Frankfurt mit der Kulturmeile
der Museen auf, nach der „Wende“ allerdings begann dann der unaufhaltsame Aufstieg des
vereinten Berlin als Ort für internationale Künstler.
KIR: Im Ludwig Forum Aachen wird am 22. März 2015 die Ausstellung „Le Souffleur. Schürmann trifft
Ludwig“ eröffnet, in der sich Werke der beiden großen Sammlungen in einem offenen Konzept
begegnen und gegenseitig kommentieren. Gerade die Sammlerpersönlichkeiten haben die Kunstszene im Rheinland stark geprägt, profitiert Berlin in ähnlicher Weise von Sammleraktivitäten? Welche
Rolle spielen in diesem Zusammenhang die verschiedenen Berliner Kunstmessen?
WH: In Berlin entwickelten sich die neuen Strukturen langsam, Nationalgalerie, die Akademie der
Künste, die Kunstvereine, die Kunstämter (z.T. herausragend wie das Haus am Waldsee bis heute!)
wurden ergänzt durch Neues wie die Kunstwerke in der Auguststraße, die Klaus Biesenbaum
profilierte. Der Kunstmarkt erhielt einige brillante Ex-Kölner wie Paul Maenz, Max Hetzler oder
Rudolf Zwirner – aber wirklich verkauften auch die jungen Galerien wenig! Die Kunstmesse
wurde ein Flopp und es brauchte eigentlich bis in die Jahre 2010 dass die neuen Formen wie
ABC Messe und noch mehr die Art Week, die mit der Teilnahme von mehr als 60 der ca. 400
Berliner Galerien die Attraktivität des Kunstmarktplatzes Berlin belegt. Die Sammlungen Hoffmann, Boros und Olbricht (me-Collection) sind mit Voranmeldung zu besuchen, während der
Sammler Dieter Rosenkranz mehr mäzenatisch die Kunstszene mit einer temporären Kunsthalle
oder der Stiftung einer Turrell-Lichtinstallation unterstützt. Der Martin Gropius Bau, der Hamburger Bahnhof, die Neue Nationalgalerie, aber auch die Akademie der Künste (John Cage, Schwindel der Wirklichkeit und 2015/16 Terry Fox) oder der NBK mit seiner Videothek, der ersten in
Deutschland, bereichern mit eindrucksvollen Ausstellungen. Aber bestimmend für das Klima ist
die ungemein breite internationale Künstlerschaft, die Ausbildungsstätten UdK und Weissensee
– und die Aktivitäten in manchen Stadtteilen wie im Mies van der Rohe-Haus in Weissensee oder
dem Haus am Waldsee.
KIR: Nach Ihrer Tätigkeit als Hauptkustos der Nationalgalerie in Berlin waren Sie von 1994 bis 2011
Direktor der Kunsthalle Bremen. Zudem sind Sie seit 2007 in der Jury des Kaiserrings Goslar und
waren seit 2009 Vorsitzender des Hochschulrates der Hochschule für bildende Künste Braunschweig.
Welche Bedeutung hat das Rheinland für Sie aus diesen unterschiedlichen Blickwinkeln?
WH: Grundsätzlich bleibt meine alte Beobachtung bestehen: die Kölner Kunstszene kann nur
eins: himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt – eine Mittellage kennt man hier nicht; aber,
ehrlich gesagt, stimmt beides nie ganz richtig: weder war man NY in den 80er Jahren, noch ist
man Provinz in Nuller Jahren gewesen, aber man vermittelte beides nach außen so!
Die Kunstszene in Köln ist immer noch eine der spannendsten in Europa – die Selbsteinschätzung und leider auch die Politiker in Köln sehen das wohl anders. Immer wieder starten junge
Galerien, noch leben gewichtige Künstler in der Stadt und Museen wie das wunderbare Kolumba
sind europaweit einmalig, die Lebendigkeit der Szene, z.B. im Kölnischen Kunstverein und den
vielen Galerien – etablierten und jungen - sichtbar, die Aktionshäuser Lempertz und Van Ham
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sind nationalweit mit führend, und der Buchladen und der Verlag mit Vater und Sohn König doch
einmalig auf dem Planeten! Die Kunsthochschule für Medien, der WDR und die noch immer so
aktive Neue Musik-Szene beleben die Grenzgebiete zur Kunst wie kaum in einer anderen Stadt –
und die Nähe der rheinischen Rivalen belebt immer wieder die Szene!
KIR: Im Sommer 2014 hat der ZERO Mitbegründer Otto Piene im Alter von 86 Jahren in einem
enormen Kraftakt sowohl für die Neue Nationalgalerie in Berlin die Dia-Performance „The
Proliferation of the Sun“ und ein Sky Event mit bis zu 90 Meter hohen illuminierten Luftskulpturen wie auch die Ausstellung „Light and Air“ mit neuen Installationen und ein Sky Event für
die Langen Foundation in Neuss konzipiert. Wie haben Sie dieses Finale Grande erlebt?
WH: Über diese Frage bin ich sehr dankbar, denn als ich Ende 1973 (in meinem ersten Jahr als
Kunstvereins-Leiter) in Köln als meine erste große Ausstellung die erste deutsche Retrospektive
von Otto Piene zeigte, wollte die Kunstszene, auch der Kunstmarkt kaum etwas von ihm wissen.
Seine großartige Verbindung von Kunst und Technologie, von künstlerischer Tätigkeit und Lehre
(am CAVS des MIT in Boston) sowie von E und U (oder wie der Amerikaner sagt von High and
Low) – das war der auf Schwarz/Weiß und Concept Art eingestellten Kunstszene eher suspekt.
Deshalb habe ich für die Kunsthalle Bremen nicht nur den Salon de Lumiere, den er selbst
einrichtete, Ende der 90er Jahre gekauft, sondern insbesondere neben anderen Arbeiten auf
Papier die 400 handgemalten Dias für die Kodak-Karussell-Performance 1965 angekauft bzw.
von ihm geschenkt bekommen: Pienes wunderbare Umsetzung im Sommer 2014 in dem
verdunkelten Mies van der Rohe-Halle der Neuen Nationalgalerie hat tausende Menschen
begeistert; gefeiert wurde das wohl erste erfolgreiche Medien-Environment im 20. Jahrhundert.
Für seinen überraschenden Tod nach seinem Triumph in Berlin hat der Franzose einen Begriff:
LA BELLE MORT.
KIR: Sie haben in unserem Vorgespräch den Martin-Gropius-Bau mit seinem vielseitigen
Programm als ideale Kunsthalle bezeichnet - mir ist als rheinisches Gegenstück die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen mit ihren Spielstätten K20 und K21 eingefallen. Wie schätzen
Sie die nationale/internationale Relevanz der beiden renommierten Institutionen ein und
welche Kriterien würden Sie für einen Vergleich heranziehen?
WH: Marion Ackermann mit ihrem Team macht in K20 und K21 die vielleicht beste und interessanteste Museumsarbeit für Kunst des 20. Jahrhunderts in Deutschland – aber diese Beschränkung ist auch ein Handicap: Gereon Sievernich muss sich an keine Beschränkung halten und
kann von den Wikingern bis Olafur Eliasson, von Ai Weiwei im politischen Kontext bis zu Michael
Schmidt, von Bauhaus zu Frieda Kahlo alle Medien, Zeiten, Konzepte und Mitstreiter mischen, die
den Berliner Martin Gropius-Bau zu DER nationalen Kunsthalle hat werden lassen. Und trotzdem
kann man die Rheinschiene von Duisburg (Drei Museen und Ausstellungshäuser!!), Düsseldorf
mit seiner ganzen Fülle und der immer sich erneuernden Kraft der Kunstakademie, daneben
auch Folkwang Essen (mit der großartigen Fotografie-Sammlung und dem Kurator der deutschen Pavillons der Venedig-Biennale in 2015) Leverkusen (Markus Heinzelmann macht eine viel
beachtete Arbeit in Morsbroich) sowie Köln (ideal die Besetzungen im Kunstverein (Moritz
Wesseler) und Kolumba (Stefan Kraus und sein kompetentes Team) das Zentrum der Kunst in
Europa nennen! – und alle warten auf die Taten des Neuen, Yilmaz Dziewior im Museum Ludwig,
der hoffentlich von der Stadt Köln die langfristige Unterstützung erhält, die ein Erfolgsmodell
nun mal heutzutage noch mehr braucht als zu meinen Zeiten. Und dazu dann noch nah die
beiden Tanker in Bonn!
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KIR: Welche Museumsausstellungen im Rheinland würden Sie Kunstfreunden für 2015 ans Herz
legen?
WH: Natürlich die ART COLOGNE von Daniel Hug verantwortet und die Bonner Videonale in
ihrem 30. Geburtstagsjahr, die Ausstellung zum Thema KUNSTVEREINE im Neuen Aachener
Kunstverein, die ironischen, handfesten Skulpturen der Kaiserring-Preisträgerin Wiebke Siem im
Lehmbruck Museum Duisburg. Wie passend dass vor der großen ZERO-Ausstellung (ab 21. März
im Martin Gropius Bau in Berlin als große erweiterte Kooperation mit dem Guggenheim Museum
NY) die so reiche und zugleich präzise Uecker-Ausstellung im K20 gezeigt wird, grandios wie
vielfältig das Oeuvre aufgeblättert wurde: im großen Saal sind Sandmühle, Terror-Orchester und
Schrift-Tücher vereint, im anderen die Variationen der großen Nagelbilder sowie raffiniert eine
Medienmischung von Original und Dokument, von Film oder Drucksache als Kunstwerk und
zugleich als Information (siehe die Uecker-Zeitung). Besonders eindrucksvoll und mutig in der
Realisierung (zweieinhalb Jahre Überzeugungsarbeit mit den Behörden!) das Environment von
Saraceno in K21 in Düsseldorf: die feine Drahtnetz-Konstruktion können Mutige betreten und
über dem Innenhof schweben: Kunstwerk und Naturwissenschaft (Spinnenforschung) verbinden
sich zu einem einmaligen, emotionalen Erlebnis! Zur Besinnung auf das Wesentliche empfehle
ich Kolumba – und natürlich Polke, Polke, Polke, den großartigen Meister, dem die Kunst, die
Künstler und Sammler im Rheinland so viel verdanken, im Museum Ludwig! Und im Herbst:
nicht verpassen: Eine Exkursion in den Harz zur Verleihung des Kaiserrings Goslar an Boris
Mikhailow im Oktober 2015.
KIR: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview für KUNST IM RHEINLAND führte Tom Koesel.
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Alibis: Sigmar Polke. Retrospektive
14.03. - 05.07.2015
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16. - 19.04.2015
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Modell Kunstverein II
bis 08.03.2015
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen / K20
UECKER
bis 10.05.2015
Lehmbruck Museum
Wiebke Siem
bis 19.04.2015
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen / K21
Tomás Saraceno - in orbit
bis Ende 2015
KOLUMBA
playing by heart
bis 24.08.2015
Goslarer Kaiserring
Boris Mikhailov
Preisverleihung
10.10.2015
Weitere Informationen und Links zu den Institutionen auf www.kunst-im-rheinland.de
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