Brexit, TTIP und die Zukunft der EU

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Ausgabe 5 | 8. Juni 2016
Brexit, TTIP und die Zukunft der EU
Gunther Schilling
Leitender Redakteur
­ExportManager,
FRANKFURT BUSINESS MEDIA
Wenn die britischen Wähler am 23. Juni über den Verbleib des Landes in der Europäischen Union entscheiden, werden auch die
deutschen Exporteure gebannt auf das Ergebnis blicken. Es drohen Zölle und zusätzliche Kontrollen. Und schließlich bleibt offen,
wie sich das Ergebnis der TTIP-Verhandlungen auf die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA einerseits und den
Handel mit Großbritannien andererseits auswirken würde.
gunther.schilling@
frankfurt-bm.com
Exportzuwächse in Gefahr
teile durch die europäische Arbeitsteilung
werden zunichte gemacht. Und schließlich dürfte die Nachfrage in Großbritannien zurückgehen und sich auf andere
Lieferanten verlagern.
Das Vereinigte Königreich ist aktuell nach
Frankreich und den USA drittgrößter
Absatzmarkt der deutschen Exportwirtschaft. Die deutsche Ausfuhr verzeichnete
dort in den ersten beiden Monaten 2016
mit +5,1% zudem weit überdurchschnittliche Zuwächse. Sollten die Wähler für
einen Austritt Großbritanniens aus der EU
stimmen, würde sich zunächst nichts an
den Möglichkeiten des Zugangs zum britischen Markt ändern. Erst nach einer
Übergangszeit von zwei Jahren würde der
Austritt wirksam.
© XXLPhoto/iStock/Thinkstock/Getty Images
Doch die Marktreaktionen dürften
wesentlich schneller erfolgen, da sich
bereits zahlreiche Unternehmen auf eine
Standortverlagerung auf das europäische
Festland vorbereiten. Vor allem die Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen, die bislang von den günstigen
Standortbedingungen in Großbritannien
profitierten, scheuen die mit dem Austritt
verbundene Unsicherheit. Dadurch verlagert sich auch das deutsche Exportgeschäft in die neuen Standorte, bzw. die
Großbritannien unter Druck
Frachtschiff in Dover – ein EU-Austritt Großbritanniens würde auch die britischen Häfen treffen.
Lieferungen erfolgen innerhalb Deutschlands.
Dass dies kein Nullsummenspiel ist, also
nur eine Verlagerung des Geschäfts
erfolgt, zeigen die positiven Effekte der
Handelsliberalisierung im Zuge der EUErweiterung. Die dadurch entstandene
Verflechtung von Wertschöpfungsketten
bildet sich durch den Aufbau von Handelsbeschränkungen wie Zöllen und Kontrollen wieder zurück. Wettbewerbsvor-
Eine zentrale Bedeutung für die britische
Wirtschaft hat der Finanzsektor, der unter
dem Austritt des Landes voraussichtlich
besonders leiden würde. Durch den
Abzug von Kapital dürfte das Britische
Pfund unter starken Abwertungsdruck
geraten und Importe aus der EU kräftig
verteuern. Allerdings böte der Kursverfall
ausländischen Investoren günstige Einstiegsmöglichkeiten in den britischen
Markt und britischen Exporteuren deutliche Preisvorteile im internationalen Wettbewerb – sofern die Produktion keinen
hohen Importanteil benötigt.
Weitere Unsicherheit kommt durch die
Verhandlungen über das TTIP-Abkommen zwischen der EU und den USA in die
Exportaussichten Richtung Westen. Bei
einem erfolgreichen Abschluss würde ein
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Großbritannien droht indes eine Zerreißprobe im Innern, wenn Schottland seine
Ankündigung wahr macht und in einem
erneuten Referendum über den Austritt
aus dem Vereinigten Königreich abstimmen ließe, um in der EU zu bleiben. Auch
die Republik Irland verbliebe in der EU
und müsste mit Beschränkungen im Wirtschaftsverkehr mit Nordirland reagieren.
Dies würde den Handel auf den britischen
Inseln beeinträchtigen.
EU im Belastungstest
Derzeit sind die EU-Mitglieder außerhalb
der Euro-Zone die Stütze des deutschen
Exports. Fast der gesamte Exportzuwachs
der ersten beiden Monate 2016 entfällt
auf diese Gruppe, zu der neben Großbritannien vor allem die EU-Staaten in Mittel- und Südosteuropa zählen. Auch dort
ist die Skepsis gegenüber der Europäischen Union gewachsen. Im Falle Polens
und Ungarns ist ein ernster politischer
Konflikt mit den westlichen Mitgliedstaaten nicht ausgeschlossen – nicht allein
wegen der Flüchtlingspolitik, sondern
auch in Fragen der Rechtsstaatlichkeit.
Zudem wächst in einigen Ländern die
Bereitschaft, durch zusätzliche Kontrollen
die Freizügigkeit im Binnenmarkt einzuschränken. Schließlich bleibt die Schuldenkrise in den südlichen Mitgliedstaaten
eine anhaltende Belastung für die EuroZone, die einer erneuten Wirtschafts- und
Finanzkrise möglicherweise nicht mehr
standhalten würde.
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„Derzeit sind die EU-Mitglieder
außerhalb der Euro-Zone die Stütze
des deutschen Exports. Fast der
gesamte Exportzuwachs der ersten
beiden Monate 2016 entfällt auf
diese Gruppe .“
Bei allen Risiken und negativen Szenarien
sind jedoch auch starke Kräfte spürbar,
die die Europäische Union zusammenhalten. So überwiegt doch in den meisten
Ländern die Zustimmung zur europäischen Zusammenarbeit und zu den wirtschaftlichen Vorteilen des gemeinsamen
Binnenmarktes. Dies gilt in den Mitgliedstaaten, die von der politischen und finanziellen Unterstützung der europäischen
Partner profitieren, ebenso wie in den
Ländern, die den gemeinsamen Markt
erfolgreich nutzen. Vor allem die deutschen Exporteure würden unter einem
Auseinanderfallen der Europäischen
Union leiden.
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aus der EU ausgetretenes Großbritannien
voraussichtlich deutliche Nachteile erleiden. Sollte das Abkommen scheitern,
könnten sich dagegen die Absatzmöglichkeiten deutscher Unternehmen auf
dem US-Markt verschlechtern – insbesondere, wenn stattdessen ein Abkommen
zwischen den USA und Großbritannien
zustande käme.
Unbenannt-1 1
06.06.16 14:37