KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 DIENSTAG, 7. JUNI 2016 ** D 2,50 E URO B Zippert zappt KOMMENTAR J THEMEN Joachim Gauck kündigt im Schloss Bellevue seinen Rückzug an Eskalation des Hasses SASCHA LEHNARTZ D AFP/ CHRISTOF STACHE; DPA/ SOPHIA KEMBOWSKI oachim Gauck hört 2017 auf. Um das hohe Amt nicht zu beschädigen, werden wir hier nur die seriösesten Nachfolgekandidaten aufzählen: Ursula von der Leyen, Heide Simonis (bekannt aus „Let’s Dance“), Erika Steinbach, Norbert Lammert, Sigmar …, Blödsinn, Martin Schulz, Uta Ranke-Heinemann (stammt aus einer angesehenen Präsidentenfamilie), Christian Wulff (verdient eine zweite Chance), Uli Hoeneß, Nena (singt fast so gut wie Walter Scheel), Udo Lindenberg, Heino, Lothar Matthäus (könnte bis zu fünfmal in seiner ersten Amtszeit heiraten), Bushido, Markus Lanz (hat schon mit jedem Deutschen mindestens einmal gesprochen), der eine von den Flippers oder auch einer von den anderen, Jérôme Boateng (beliebtester Nachbar Deutschlands), Anne-Sophie Mutter, Mario Götze (wird künftig viel Zeit haben), der von den Klitschkos, der nicht Bürgermeister von Kiew ist, Günther Jauch, Stefan Raab oder Thomas Gottschalk, Margot Käßmann, Horst Lichter, die Ehrlich-Brothers (zwei Amtszeiten!), Franz Beckenbauer, Herbert Grönemeyer, Papst Benedikt oder doch Til Schweiger (kann alles spielen). „Ich kann Energie und Vitalität für fünf Jahre nicht garantieren“ Bundespräsident Gauck wird aus Altersgründen 2017 nicht erneut zur Wahl antreten. Respekt und Lob aus allen Parteien. Die Koalition will in Ruhe nach einem Nachfolgekandidaten suchen INTERVIEW David Garrett sieht sich von Pornostar erpresst Seite 8 POLITIK Mutmaßlicher EM-Terrorist gefasst Siehe Kommentar, Seite 5 SPORT Besuch im EM-Quartier der Nationalelf Seite 18 FEUILLETON Autor Stewart O’Nan über das Duell Trump gegen Clinton A cht Monate vor der nächsten Bundespräsidentenwahl hat Joachim Gauck seinen Verzicht auf eine weitere Amtszeit erklärt. Der 76-Jährige begründete die Entscheidung am Montag mit seinem hohen Alter. Nun zeichnet sich eine schwierige Suche nach einem Nachfolger ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will die Kandidatenfrage offenbar nach den Landtagswahlen im Herbst klären. „Ich möchte für eine erneute Zeitspanne von fünf Jahren nicht eine Energie und Vitalität voraussetzen, für die ich nicht garantieren kann“, sagte Gauck im Schloss Bellevue in Berlin. Die Entscheidung sei ihm nicht leichtgefallen. Bis zum Ende seiner Amtszeit im März 2017 werde er seine Aufgaben aber „mit allem Ernst, mit Hingabe und mit Freude“ erfüllen. Der Theologe Gauck war im März 2012 von einer Fünf-Parteien-Allianz aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen zum Bundespräsidenten gewählt worden, nachdem sein Vorgänger Christian Wulff vorzeitig vom höchsten deutschen Staatsamt zurückgetreten war. Kanzlerin Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel hatten sich für einen Verbleib Gaucks im Amt starkgemacht. Für die Partner der großen Koalition stellt sich nun die heikle Frage, ob und mit wem sie im Februar Seite 17 Punkte US-$ +0,18% ↗ Geboren am 24. Januar 1940 in Rostock. 1958 bis 1965 Studium der evangelischen Theologie in Rostock. 1959 Heirat, mit Gerhild „Hansi“ Gauck hat er vier Kinder. Seit 1967 als Pfarrer tätig. 1989 Mitbegründer des Rostocker Neuen Forums. 1990 Abgeordneter von Bündnis 90 in der Volkskammer und Vorsitzender des Sonderausschusses zur Überprüfung der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit. 1991 bis 2000 Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde. Seit 2000 mit der Journalistin Daniela Schadt liiert. 18. März 2012: Wahl zum Bundespräsidenten als gemeinsamer Kandidat von Union, FDP, SPD und Grünen. [email protected] Kostbares Kulturgut oder peinliches Handicap? Erstmals haben es Wörter aus Singapurs Mundart ins Oxford English Dictionary geschafft Im Plus 10.121,08 Vom Pfarrer zum Bundespräsidenten CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt als mögliche Kandidaten. Aus den Reihen der Sozialdemokraten wurde Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ins Spiel gebracht. Die Linkspartei bekräftigte am Montag ihre Bereitschaft, mit SPD und Grünen bei der Suche nach einem Kandidaten zusammenzuarbeiten. Die Nachfolgedebatte dürfe „keine strategische Machtarithmetik sein, sondern muss eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Herausforderungen leisten“, erklärten die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. „In Zeiten, in denen Hass und Ausgrenzung dramatisch zunehmen, braucht es jemandem, der für Weltoffenheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt steht“, sagte der Chef der Grünenfraktion im Bundestag, Anton Hofreiter, der „Welt“. „Und es wäre ein schönes Zeichen, wenn endlich eine Frau Bundespräsidentin würde. Mit diesen Anliegen sind wir bereit, Gespräche mit allen demokratischen Parteien zu führen. Es geht uns um eine starke, unabhängige Persönlichkeit, nicht um Farbspiele für die nächste Bundestagswahl.“ FDP-Chef Christian Lindner warnte vor „Geschacher und Parteitaktik“. Seine Partei werde „völlig unabhängig von koalitionspolitischen Erwägungen die Kandidatenlage bewerten“. Seiten 2 und 3 ie gute Nachricht ist: Der Mann wurde gefasst. Ukrainische Beamte haben an der ukrainisch-polnischen Grenze einen 25 Jahre alten Franzosen festgenommen, der mit dem Lieferwagen seines Rinderbetriebes erstaunliche Mengen Sprengstoff, Dutzende Kalaschnikows und über 5000 Schuss Munition transportierte. Das klingt wie eine Szene aus einem Louis-deFunès-Film, war aber blutiger Ernst. Angeblich, so die Ermittler, wollte er damit während der Fußball-EM in Frankreich bis zu 15 Anschläge verüben. Die vorläufige Pointe dieser haarsträubenden Geschichte: Bei dem Gefassten handelt es sich nicht, wie man reflexartig hätte vermuten können, um einen Dschihadisten, der die vom Navi empfohlene Umleitung zur Umfahrung der gesperrten Balkanroute eingeschlagen hat, um islamistischen Terror nach Frankreich zu tragen. Anscheinend ist der junge Mann aus Lothringen eher auf einem rassistisch-nationalistisch-identitären Trip: Grégoire M. plante angeblich Anschläge auf Synagogen und Moscheen, aber auch auf Finanzämter und Mautstationen, um „gegen den massiven Zuzug von Fremden nach Frankreich, gegen den Islam und gegen die Globalisierung zu protestieren“. Nun liegen die Hintergründe dieser bizarren Festnahme noch im Dunkeln. Es ist unklar, ob der Verdächtige ein „einsamer Wolf“ ist oder ob er Hintermänner hatte. Sollte sich Letzteres herausstellen, verliehe dies dem Fall eine völlig neue Dimension. Es würde bedeuten, dass Frankreich erstmals seit dem Algerienkrieg wieder Terror von rechts droht. Die Vorstellung, dass in irgendwelchen finsteren Kammern gerade sowohl islamistische als auch rechtsextremistische Terroristen hocken, die gleichzeitig Anschläge auf das am Freitag beginnende Fußballfest vorbereiten, ist ausgesprochen ungemütlich. Das Bürgerkriegsszenario, das Michel Houellebecq in seinem Roman „Die Unterwerfung“ ersann, scheint plötzlich näher an der Realität, als man es sich je hätte vorstellen können. Und selbst wenn es sich bei dem Verhafteten um einen verirrten Einzeltäter handeln sollte, zeigt der Fall: Wir befinden uns in einer gefährlichen Enthemmungsspirale. Die Zahl der Durchgeknallten nimmt täglich zu. Hasslawinen in den sozialen Medien, Patronen, die dem deutschen Justizminister in den Briefkasten geworfen werden, französische Rinderzüchter, die sich Kriegswaffen in der Ukraine organisieren – es drehen gerade zu viele Leute gleichzeitig durch. Wah, Singlish is shiok! DAX Euro EZB-Kurs Am Wochenende hatte ein Zeitungsbericht über Gaucks bevorstehenden Verzicht die Debatte über seine Nachfolge bereits befeuert. Bei der Union gelten unter anderem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU) und 2017 bei der Kür des Staatsoberhaupts gegeneinander antreten – und welche Signale damit wenige Monate vor der Bundestagswahl ausgesendet werden. In der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt und in der die Abgeordneten des Bundestags sowie Vertreter der Bundesländer sitzen, hat keine Partei allein die für die ersten beiden Wahlgänge nötige absolute Mehrheit. Merkel machte am Montag deutlich, dass sie sich eine zweite Amtszeit gewünscht hätte, Gaucks Entscheidung aber respektiere. Mit Blick auf die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern im September sagte die Kanzlerin: „Wir werden jetzt in aller Ruhe – wir haben ja noch zwei Landtagswahlen auch zu bestehen – dann im Lichte der Zusammensetzung der Bundesversammlung die geeigneten Entscheidungen treffen.“ Und sie fügte hinzu: „Ich glaube, jetzt freuen wir uns erst noch mal auf ein paar Monate Amtszeit von Bundespräsident Gauck.“ Gabriel würdigte Gauck als „exzellenten Präsidenten“, der in die Tat umgesetzt habe, was er versprochen hatte – „nämlich ein Präsident des ganzen deutschen Volkes zu sein“. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann forderte, nun „in Ruhe und mit dem notwendigen Respekt vor dem Amt“ Gespräche über mögliche Kandidaten zu führen. Seite 21 Dax Schluss Nr. 131 Dow Jones 17.40 Uhr 1,1349 17.914,44 +1,74% ↗ +0,60% ↗ Punkte ANZEIGE Superschwarm – Die Intelligenz der Masse Heute um 17.5 Uhr Wir twittern Diskutieren live aus dem Sie mit uns Newsroom: auf Facebook: twitter.com/welt facebook.com/welt „Die Welt“ digital Lesen Sie „Die Welt“ digital auf allen Kanälen – mit der „Welt“-App auf dem Smartphone oder Tablet. Attraktive Angebote finden Sie auf welt.de/digital oder auch mit den neuesten Tablets auf welt.de/bundle S hiok!“ ist jetzt salonfähig. In Singapur und Malaysia kennt diesen fröhlichen Ausdruck für „toll!“ jedes Kind. Und ab sofort soll das für die ganze Welt gelten: Neuerdings findet man „shiok“ nämlich im renommierten Oxford English Dictionary (OED) – der Bibel der englischen Sprache. Zusammen mit 18 anderen Ausdrücken des lokalen Dialekts Singlish wurde „shiok“ in das Wörterbuch aufgenommen und damit zu einem Bestandteil der Weltsprache erhoben. Danica Salazar, eine beratende Redakteurin des Oxford English Dictionary, erklärte in einem BBC-Interview, die neuen Worte zeigten, dass „die Leute nicht unbedingt Englisch wie die Amerikaner oder die Briten sprechen müssen, damit es korrekt ist“. Englisch sei „so eine globale Sprache, und das sollte gefeiert werden!“ In Singapur selbst hat diese Entscheidung zwei Fronten geschaffen: Die einen halten das Singlish für ein kostbares Kulturgut, die anderen für eine peinliche Deppensprache, die Singapur auf der globalen Bühne lächerlich macht – und ihre Kinder im internationalen Wettstreit nicht konkurrenzfähig. „Wah!“ (ein Ausruf der reinen Freude und seit Neues- tem ebenfalls in dem gelobten Buch zu finden), jubeln die einen. Stehe der sanfte Singsang des Singlish, seine verkürzten, teils direkt übersetzten Patchworkbegriffe aus den verschiedenen Zungen der Multikultigesellschaft doch für die tief verwurzelte Tradition des südostasiatischen Tigerstaats. Singlish ist ein Mix aus den vier Staatssprachen Englisch, Malay, Mandarin und Tamil, gewürzt mit Ausdrücken aus den lokalen Dialekten Hokkien, Kantonesisch oder Bengali. Zum Zwecke der Integration mussten die Singapurer seit der Staatsgründung 1965 die vier Hauptsprachen lernen. Im Alltag schliff sich das über die Jahre zu einem spielerischen Mix ab, dem Singlish. Eine Sprache für die kleinen Leute, eine Lingua franca – zumal im Singlish alles erlaubt ist und zueinanderpasst. Dazu kommen ein paar Ausdrücke aus dem Alltag, made in Singapore. „Killer Litter“ ist einer davon, der nun ebenfalls seinen festen Platz im OED hat. Es sind herabfallende Objekte, eine lästige, manchmal tödliche Gefahr durch ruchlose Bürger, die ihren Abfall, sogar Getränkekisten und alte Kühlschränke, aus dem Fenster oder vom Balkon ihrer Hochhauswohnungen werfen. Zudem nahm das Lexikon lokale Delikatessen wie „Chilli Crab“, „Teh Tarik“ (süßer, dickflüssiger Milchtee) und „Char Siu“ (geröstetes Schweinefleisch in süßer Sauce) auf. Dabei ziehen die Behörden in dem Stadtstaat seit Jahren eine sogenannte „Sprich gutes Englisch“-Kampagne durch, um das Singlish aus der Hochsprache auszumerzen. Sie fürchten, es könne unzivilisiert wirken und Ausländer abschrecken – und das wäre schließlich schlecht fürs Geschäft. Viele tuten in öffentlichen Diskussionen nun in das gleiche Horn. Der bekannte DJ Glenn Ong etwa schimpfte: „Das OED setzt die Standards für das Englische, und ich bin überrascht, dass Singlish-Worte einbezogen werden. Ich habe das Gefühl, dass Singlish manchmal einfach eine Entschuldigung für mieses Englisch ist.“ Rapper Shigga Shay, der seine Songtexte oft und gern mit Singlish garniert, sieht das dagegen ganz locker. „Ich glaube nicht, dass Singlish den Tod von anständigem Englisch bedeutet. Man vergisst ja nicht plötzlich sein gutes Sprachgefühl, bloß weil neue Begriffe hinzugefügt SOPHIE MÜHLMANN werden.“ DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Telefon: 030 / 2 59 10 Fax 030 / 259 17 16 06 E-Mail: [email protected] Anzeigen: 030 / 58 58 90 Fax 030 / 58 58 91 E-Mail [email protected] Kundenservice: DIE WELT, Brieffach 2440, 10867 Berlin Telefon: 0800 / 9 35 85 37 Fax: 0800 / 9 35 87 37 E-Mail [email protected] A 3,20 & / B 3,20 & / CH 5,00 CHF / CZ 95 CZK / CY 3,40 & / DK 25 DKR / E 3,20 & / I.C. 3,20 & / F 3,20 & / GB 3,00 GBP / GR 3,40 & / I 3,20 & / IRL 3,20 & / L 3,20 & / MLT 3,20 & / NL 3,20 & / P 3,20 & (Cont.) / PL 15 PLN / SK 3,20 € + © Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung DW-2016-06-07-zgb-ekz- 2ce5cce690d1455cc77ae544e8bf4522 ISSN 0173-8437 131-23 ZKZ 7109
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