Manuskript Beitrag: IS-Rückkehrer in Deutschland – Zum Terror bereit? Sendung vom 7. Juni 2016 von Anna Feist und Kyo Mali Jung Anmoderation: Verdächtige verhaftet, Anschlagspläne vereitelt. Kurz vor der Europameisterschaft wächst die Angst vor Terror. Da war das eine gute Nachricht. Die schlechte Nachricht: Wenn wahr ist, was der Syrer Saleh A. über die angebliche Terrorzelle aussagte, sucht der IS auch in Deutschland gezielt nach Orten, wo er besonders viele Menschen treffen kann. Die verhafteten Verdächtigen kamen zum Teil mit dem Flüchtlingsstrom und sollten offenbar im Düsseldorfer Vergnügungsviertel zuschlagen. Solche Ziele kennen andere potenzielle Attentäter ganz genau. Deutsche, die zum IS zogen und lernten, zu hassen und zu morden. Eine Recherche von Frontal21 und Zoom. Text: Brüssel und Paris – nach den Anschlägen. Ein Propagandavideo der Terroristen. Sie singen: „Tötet sie, wo immer ihr sie findet.“ Auch Deutschland ist im Fadenkreuz. In Düsseldorf sollten offenbar Selbstmordattentäter um sich schießen – der Terrorplan flog rechtszeitig auf. O-Ton Propagandavideo: Wir fordern Euch heraus, eure Anzahl fordert nur unseren Glauben. O-Ton Hans-Georg Maaßen, Präsident Bundesamt für Verfassungsschutz: Die Anschlagsgefahr ist da, die Situation ist ernst. Der IS hat sich in den letzten Jahren zu einem Monster entwickelt, das man so nicht vorhersehen konnte. Wir müssen davon ausgehen, dass jeder, der beim IS war und wieder auch zurückreisen konnte und durfte, kann eine Gefahr auch sein für unsere innere Sicherheit. Der IS dokumentiert sehr genau, wer sich der Terrormiliz anschließt. Frontal21 liegt ein Melderegister des Islamischen Staates für das Jahr 2013/2014 vor. Darauf: 54 Deutsche, die in den Krieg nach Syrien zogen. Penibel notiert: Name, Beruf, Blutgruppe, Kampf-Erfahrungen. Auch die Bereitschaft zu Selbstmordattentaten wurde abgefragt. Das Dokument zeigt auch, wo potenzielle Attentäter angeworben wurden. Unter anderen: Berlin, Hamburg, Bremen, Dortmund, Frankfurt, Kassel, Lübeck, Wolfsburg. Auch ihr Sohn steht auf der Liste. Anfang 2014 verlässt er Deutschland, angeblich will der Junge in den Urlaub. Wochenlang meldet er sich nicht. Dann schickt er eine Nachricht an seine Mutter: Er sei beim IS in Syrien. O-Ton Mutter: Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Weil, ich hab gedacht: Mein Kind ist da drüben? Was macht es da drüben? Was hat dich dazu bewogen? Es war alles vorhanden. Eine ordentliche Schulbildung, er hatte mehr oder weniger sein Einkommen, Freunde, ein Freundeskreis war da. Natürlich stellst du dir die Frage: Wie konnte das passieren? Es könnte jedes Kind sein. Hier trifft es alle Schichten. Die IS Propaganda wirkt - bis in die gutbürgerlichen Schichten. Recherchen bei Sicherheitsbehörden zeigen: Mindestens 810 Deutsche sind nach Syrien ausgereist, davon sind mittlerweile circa 270 zurück. O-Ton Hans-Georg Maaßen, Präsident Bundesamt für Verfassungsschutz: Das Problem bei Rückkehrern ist, man kann den Leuten nicht hinter die Stirn schauen. Wir wissen nicht, ob der Rückkehrer, der aus Syrien gekommen ist, ein Rückkehrer ist, der wirklich unauffällig ist oder ein Rückkehrer, der einen Tatplan verfolgt. Wir können nicht jeden Syrien-Rückkehrer wegschließen. Wir sind eine freiheitliche Gesellschaft und diese freiheitliche Gesellschaft hat sich auch als oberstes Gebot gegeben, nicht bei jedem Verdacht Menschen von der Straße zu nehmen und den, ich sag mal, in Schutzhaft zu nehmen. Dieser Mann sagt, er habe erlebt, wie ein ehemaliger Freund zum Gotteskrieger in Syrien wurde. Er will unerkannt bleiben, hat Angst. O-Ton: Der Mohammed war eigentlich so ein Sinnbild für einen Intensivstraftäter, Leute überfallen. Aber dann ging es relativ schnell. Er ist immer öfter beten gegangen, hat aufgehört zu kiffen, hatte plötzlich einen Bart und war radikal. Das ist echt die schlechteste Mischung: Jemand, der echt nicht schlau ist und kein Problem damit hat, anderen große Schmerzen anzutun, und dann kommt halt die Religion dazu und die falschen Leute. Auf Facebook prahlt Mohammed damit, dass er jetzt zum IS gehöre und postet Fotos aus Syrien - zeigt sich als treuer Anhänger der Terrormiliz, posiert sogar neben abgeschlagenen Köpfen. Nach einem dreiviertel Jahr ist er plötzlich zurück in Deutschland. O-Ton: Ich war beim Friseur, der sagte: Mohammed war gerade hier, der ist aus Syrien zurück. Freunde haben mir das auch erzählt. Viele Leute feiern den, die finden den toll, auch wenn die nichts mit Religion am Hut haben. Die sagen: „Guck mal, da ist einer aus Syrien, der kämpft für den Islam.“ Da ist halt so ‘ne gewisse Heldenverehrung. Einige Monate habe Mohammed Unterschlupf gefunden, bei Bekannten von früher. Er sei sogar regelmäßig in seine alte Moschee beten gegangen. Für den Freund von damals völlig unverständlich. O-Ton: Ich will den Typen hier nicht haben. Der ist halt so krank im Kopf, der hat sich sogar versucht, hier eine Kalaschnikow zu besorgen. Ich weiß nicht, ob er vorhatte, hier einen Anschlag zu machen. Aber, wenn man eins und eins zusammenzählt. Ich habe dann bei der Polizei angerufen, aber die haben zu mir gesagt: „Ja, wenn du den siehst, dann meld‘ dich bei uns.“ Diese Vorstellung alleine! Ich weiß echt nicht, was in deren Kopf vorgeht. Im Herbst 2015 kann Mohammed offenbar ungestört zurück nach Syrien reisen. Und nun, so fürchtet der ehemalige Freund, Mohammed werde noch in diesem Sommer zurückkommen. Warum stoppt ihn niemand? Wir fragen nach bei der Generalbundesanwaltschaft. Die will sich zum konkreten Fall nicht äußern. Das könne mögliche Ermittlungen gefährden. Der Verfassungsschutzpräsident versichert: Man habe die Rückkehrer im Blick, um vorbereitet zu sein, auf die schlimmsten Szenarien. O-Ton Hans-Georg Maaßen, Präsident Bundesamt für Verfassungsschutz: Es kann jeder Terroranschläge durchführen, ob es nun der Selbstradikalisierte ist oder der Syrien-Rückkehrer. Die sind in unterschiedlicher Art und Weise gefährlich. Das Mädchen, das auf dem Hauptbahnhof in Hannover einen Bundespolizisten mit einem einfachen Küchenmesser angegriffen hat, ist gefährlich, aber natürlich auch Personen, die gelernt haben, wie man mit Kalaschnikow umgeht oder Personen, die bereit sind, einen Sprengstoffgürtel umzubinden, um als Selbstmordattentäter in einem Fußballstadion oder in einer Menschenmasse Menschen zu töten. Untersuchungshaftanstalt Frankfurt. Zwei Drittel der Deutschen, die ins IS-Gebiet reisten, waren vorher schon aktenkundig. Viele saßen im Gefängnis. Oft wurden erst in der Haft aus Kleinkriminellen Dschihadisten. Das hessische Justizministerium will mit einem Deradikalisierungsprogramm gegensteuern - mit muslimischen Gefängnis-Seelsorgern wie Mustafa Cimsit. O-Ton Mustafa Cimsit, Gefängnisseelsorger JVA Frankfurt: Die allgemeine Radikalisierungsgefahr ist ja in der Gesellschaft schon sehr hoch. Und in den JVAs ist sie natürlich etwas erhöhter. Weil da die Isolation ist, weil da niemand da ist, den man schnell um Rat fragen kann, sondern die Gleichgesinnten, wenn die selber radikalisiert sind, dann einen weiterhin radikalisieren können. Deshalb ist diese präventive Arbeit sehr wichtig. Der Gefängnisseelsorger versucht in persönlichen Gesprächen und beim gemeinsamen Gebet radikale Überzeugungen zu entlarven. O-Ton Mustafa Cimsit, Gefängnisseelsorger JVA Frankfurt: Wir haben hier Muslime deutscher Herkunft, sie sind selber Deutsche. Und wenn sie selbst als Muslime sagen, alle Westler sind Ungläubige, sie sind selber ja Westler. Damit verleugnen sie automatisch sich selber, sie kommen in Widersprüche. Man muss ihnen die Widersprüche erklären. Dieser Häftling sitzt in Untersuchungshaft wegen schwerer Gewaltdelikte. Auch er sei schon von Dschihadisten umworben worden, sagt er. Auf die falschen Versprechen radikaler Glaubensbrüder würden vor allem Jüngere reinfallen. O-Ton Häftling, JVA Frankfurt: Die hören dann, was weiß ich, man kann da hin, man hat eine Waffe, man kann schießen oder einem wird halt zugehört und man ist dann wichtig oder man ist in gewissen Position, wo man vorher nicht sein konnte, so was halt, das zieht natürlich die Jugendlichen. Bis heute hat die Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staates offenbar nur wenig an Anziehungskraft verloren – auch für Deutsche. O-Ton Hans-Georg Maaßen, Präsident Bundesamt für Verfassungsschutz: Wir können feststellen, dass die Zahl der Ausreisen nicht mehr so hoch ist wie im Sommer 2014, als das sogenannte Kalifat ausgerufen worden war. Dieser Boom ist etwas abgeklungen, aber gleich wohl ist der IS immer noch attraktiv und zieht Monat für Monat neue Leute an, die dorthin ausreisen. Kanonenfutter für den Terror des IS - so wie ihr Sohn. Nach einem Jahr ein Anruf aus Syrien: Er sei tot, aber im Paradies. O-Ton Mutter: Das ist unglaublich, du glaubst es einfach nicht. Du sitzt erstmal da und denkst, das ist ein Albtraum, das kann einfach nicht wahr sein. Da ruft dich ein dummer Idiot an und sagt dir, dein Kind ist gestorben, im Kugelhagel. Es ist unglaublich, du kriegst gar nichts. Du darfst keine Fragen stellen, damit lässt man dich dann einfach sitzen und du sollst damit leben. Du bist ja schließlich ungläubig Warum gerade ihr Junge? Die Mutter wird es wohl nie genau erfahren. Ihr Sohn - einer von 800 Deutschen, die den Terror des IS verbreiten sollen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. 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