Wei Sungs Impulse

Wei Sungs
Impulse
Heiner Brückner
HEINER BRÜCKNER
WEI SUNGS IMPULSE
Ein Weiser ist jeder
auf seine Weise auf meine ich.
Wei Sung, 200X
Heiner Brückner
Wei Sungs Impulse
Erlebenssplitter
und Aphorismen
Copyright: © 2016 Heiner Brückner, Bayreuth
http://heinerbrueckner.jimdo.com
Druck und Verlag: epubli Berlin
Cover: Buchstabenstein, Meißen.
Foto: © H. Brückner
Inhalt
I Erlebenssplitter
Inhalt
m-oral
Weisheit
Kehre
Kehr-Wende
Seine Seinung
Verwurzeln
Gesichtspunkt
Buch des Lebens
Standpunkt
Vogelfrei
Naturrecht
Vorstellung
Zeitmessung
Predigt
Öffnen
Erdschwamm
Fingerzeig
Die anderen
Scherbenglück
Rückhalt
Gründeln
Obhut
Beschneidung
Krummbaum
Handarbeit
Unerschöpflich
Ansage
Hohler Stein
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Ein-Sicht
Gerechte Teilung
Gefühlseindrücke
Trost
Der Arbeit Los
Ein Gedicht
Gefühlte Grade
Abstand
Liebe
Liebesschwur
Jeder Einzelne
Recht und Wahrheit
Rechthaben
Weihehandlung
Hirtenhunde
Schuhe los
Lachen
Beistand
Beim Bäcker bleiben
Frische Brötchen
Wirtschaftlichkeit
Stete Wahrheit
Religiöse Toleranzen
Das Auge Gottes
Sparpotenzial
Probleme im Rücken
Lex aurea
Lernmittelfreiheit
Entspannung
Scherenschnitt
Wagemut
Unterschied
Mitbringsel
Keks
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Fassungsvermögen
Kritik
Eile
Teamstärke
Dienen verpflichtet
Beten der Frösche
Zuletzt der Erste
Schöpfungen
Betgänse
Gammelfleisch
Seele von Mensch
Krieg und Frieden
Meinneid
Zurück im Leben
Weile
Wer man ist
Erdrund
Abschalten
Das Riesenrad
Schlüsselblumen
Beherrschung
Schultern
Alpenträume
Dung
Mit Leiden
Geistesbrüder
In vino …
Integration
Wühlwürfe
Einschränkung
Glaube hofft
Glaube
Hinterlassenschaften
Von der Pelle
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Vermögen
Hören
Überfluss
Größe
Grabmal
Das Letzte Wort
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II Aphorismen
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Vor den Wörtern
Vor den Sätzen sind die Wörter, davor waren die
Buchstaben.
In der Stadt Meißen an der Elbe wurde in die
Steinmauer beim oberen Ende der SuperintendenturStufen, die hinter der Frauenkirche durch den
Seelensteig hinauf zur Sankt-Afra-Kirche führen, ein
ehemaliger Torschlussstein eingefügt: der sogenannte
Buchstabenstein (Foto auf dem Cover). Er ist ein
gemeißeltes Monogramm, das den Beginn des Abc
abbildet. Vier Buchstaben A, B, C und E als Initialen
formen ineinander verschlungene Linien wie
verwachsenes Wurzelwerk. Zwei Deutungen gibt es
dafür:
1. Um 1690 bewohnten das Anwesen der kurfürstliche
Beamte Johann Christoph Beyer und seine Frau Anna
Elisabeth. Die Verstrickung der Anfangsbuchstaben
ihrer Vornamen und des Nachnamens sei quasi als
Familienemblem gestaltet worden.
2. Unter Aufbieten von viel Fantasie ergäbe dieser
Stein die Lösung für ein Rätsel: Sämtliche Buchstaben
des Alphabets sollen aus den Linienschlingen
herauszulesen sein.
Dieses Monogramm war für mich beim ersten Sehen
die geeignete Metapher für „Wei Sungs Impulse“.
Aus einzelnen Episoden entfaltet der Eigenbrötler
Wei Sung impulsive Weisungen für ein ganzes Leben
und zeigt in wenigen Sätzen das gesamte Alphabet
seiner Lebensanschauung. Seine Denk-Weise führt
über Buchstaben- und Wort-Drehungen in seinen
Erzählarten zur vorwärts gewendeten Erinnerung.
Hier und da nennt er seine Erkenntnisse „Wachsringe
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aus meinem Holzkopf“. Sozusagen Hirnholz quer zur
Faserung geschnitten, Scheiben, dem Durch-Schnitt
entgegen. Sie sind dem Querdenken erwachsen. Ihnen
ist das Ringen der Jahre anzusehen, doch sie zerfasern
in die gegenwärtige Erlebens- und Gefühlswelt.
Wei Sung denkt auch ver-kehrt, quer und zuwider
zugleich und handelt folglich nicht selten entgegen
dem Zeitgeist. Das beginnt beim eigenen Standpunkt
und verdreht sich weiter bei der Sicht-Weise. Immer
aber ist der Herzschlag im Stammholz zu hören.
Sungs Richtungen, Überlegungen und Berichte sind
von allgemein wichtiger Be-Deutung, denn sie loten
die Erfüllungsfähigkeit gemeinschaftlichen Lebens
aus.
Gelegentlich meint Wei Sung seine Antriebe im Puls
zu haben, so tief, dass er seine Erkenntnisse am Ende
infrage stellt, weil es keine Ich-Kenntnisse sind, weil
es Folgerungen eines eingeschränkten DenkProgramms sind, eine subjektiv beschränkte Weisheit.
Dann beginnt er erneut nachzudenken. Manch einem
kommen seine Philosophierereien als Umtriebe vor,
so als stehe er alltäglich unter Impulsstrom. Der
Wörterfanatiker würde auch dem widersprechen:
Nicht unter, sondern im Impulsstrom stehe ich, er ist
mein Impetus.
In diesem Geist treiben ihn seine Erlebnisse im ganz
normalen Leben zu quirligen Gedankenströmen. Mit
den Antithesen, Gegensätzen und Paradoxien, die
dabei herausquellen, winkt er den Leser zu seinen
Aphorismen weiter.
Bayreuth 2016
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I Erlebenssplitter
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m-oral
mein mund schäumt
meint die menge
mores lehren zu müssen
ich halte ihn beim kehren
vor dem eigenen haus
staubt es
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Weisheit
„Du weißt auf alles eine Antwort. Hast du etwa die
Weisheit mit dem Löffel eingenommen?“, wunderte
sich ein Bekannter Wei Sungs.
„Ich habe keine Flasche Weisheit.“
„Bist du als Meister vom Himmel gefallen?“
„Aufgehoben habe ich den Löffel.“
„Ist das der Weisheit letzter Schluss?“
„Nein“, sagte Wei Sung, „Weisheit kennt kein Ende.
Ich löffle täglich.“
Kehre
„Jeder kehre zuerst vor meiner eigenen Tür“,
antwortete Herr Sung der Nachbarin, die über den
neuesten
Skandal
im
Städtchen
mit
ihm
schwadronieren wollte.
„Sie besitzen die sonderbare Gabe, einem das Wort im
Munde umzudrehen“, mokierte sich die gesprächige
Frau.
„Erkennen Sie mich wieder, wenn wir uns nach Ihrer
Kehre treffen. Dann wird auch Ihnen das Wunder
offenbar.“
„Was haben Sie nun schon wieder gedreht?“,
wunderte sich die Frau.
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Kehr-Wende
Wei Sung hat die Frage der Nachbarin noch einmal
überdacht, als er sich umgedreht hatte. Umkehr im
geistigen Sinne bleibt Theorie, war sein Ergebnis. Ich
muss mich in der Tat ändern.
Er kehrte beim nächsten Mal zunächst die Straße vor
dem Haus der Nachbarin und danach kehrte er vor
seiner eigenen Tür. Er sah beim Zurückgehen den
Straßenabschnitt des Nachbarn auf der anderen Seite
und wollte nicht kneifen. Die Folgen der doppelten
Arbeit hatte er nicht bedacht.
Von nun an war vor seiner Tür geräumt, bevor er
damit beginnen konnte, bei den Nachbarn zu kehren:
die eine Hälfte vor seiner Tür hatte die Nachbarin
gefegt und die andere der Nachbar.
Am nächsten Tag wartete er die Nachbarn ab und
schlug vor: „Die Arbeit bliebe für alle gleich, wenn
wir es beim Alten beließen.“
„Sag ich doch, die Alten waren auch nicht dumm“,
sagte der Nachbar. Die Nachbarin meinte: „Och, ich
halte das neue Denken für eine bereichernde
Erleichterung.“ Ihr Gehsteiganteil war der kürzeste.
Seine Seinung
„Meinem besten Freund sollte ich echt die Meinung
sagen, aber bitte offen und ehrlich. – Jetzt redet er
nicht mehr mit mir“, klagte ein Bekannter.
„Meine Meinung, sagst du“, gab Wei Sung zur
Antwort, „seine Meinung meinte er.“
„Ist das wirklich deine Deinung?“
„Iwo, es ist seine Seinung.“
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Verwurzeln
Auf die Frage, an wen man sich denn am besten
halten sollte, antwortete Wei Sung einem schier
verzweifelten Studenten im zweiten Semester:
„Wer sich an ein Blatt klammert, wird vom nächsten
Orkan oder spätestens im Herbst verweht.
Wer sich einen Zweig greift, wird ihn abreißen, sobald
sich ein Zweiter und ein Dritter daran hängen.
Wer sich an einem Ast festhält, wird fallen, wenn der
dürre Ast bricht, und mit ihm zu Boden stürzen.
Lehne dich an den Stamm und warte, bis du mit ihm
verwurzelt bist. In seinem Schatten ist gut wachsen.“
Gesichtspunkt
„Dieser Kelch ist ebenmäßig schön“, sagte Wei Sung
zu seiner Frau und zeigte ihr ein Vexierbild.
„Einen Kelch siehst du?“, fragte seine Frau
verwundert.
„Was siehst denn du, Liebste?“
„Zwei Gesichter sehe ich. Jetzt, sie sind sich ganz nah
und ähnlich. – Willst du auf uns anspielen?“
„Was ist es nun wirklich?“, wollte Wei gerne wissen.
Da meinte seine Frau: „Lass uns uns sehen, dann wird
es sich zeigen.“
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Buch des Lebens
„Was starrst du von der Brücke, Wei?“, wollte der
Passant wissen.
„Ich lese im Fluss des Wassers“, sagte Wei Sung und
fügte nach einer kurzen Weile hinzu: „Aus der
Strömung sprechen Bände, aus deinen Augen
Fragen.“
„Hast du Antworten?“
Wei orakelte: „Nicht Tropfen will ich löffeln, ich
ströme der Mündung zu.“
Standpunkt
„Die Römer glaubten, Heil bringe der Vogelflug von
rechts. Unheil drohe, wenn die Auguren von links
daherflögen. Ist das purer Aberglaube?“, fragte ein
Schüler der Mittelstufe Herrn Sung.
„Siehst du die Tauben dort oben? Von welcher Seite
kommen sie geflogen?“
„Von links.“
„Dreh dich um. – Von wo kommen sie nun?“
„Von rechts.“
„Sind es andere Vögel? Hat der Schwarm seine
Flugrichtung geändert?“
„Es sind genau dieselben und sie fliegen wie zuvor
gegen Süden.“
Das Erstaunen des Schülers war nicht zu überhören.
Der Schulmeister Sung gab folgende Schlussantwort:
„Deine Blickrichtung hast du geändert, aber mit
Glauben hat das nichts zu tun.“
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Vogelfrei
„Frei wie der Wind schweben sie dahin. Aber wenn
der Wind sie in die Baumwipfel treibt oder der
Fallschirm nicht aufgeht …“
Die beiden Wanderer am Hügel verfolgten halb
sehnsüchtig und halb mitleidig die gleitenden
Nylonschwingen über dem Tal.
Nach einiger Zeit sagte Wei. „Wer ist schon frei? Auch
der Vogel hängt in der Luft.“
Naturrecht
Herr Sung war einmal mit seinem Sohn ins
Philosophieren gekommen.
„Mit welchem Recht setzen Menschen Menschen in
die Welt?“, fragte ihn schließlich sein Nachkömmling.
„Macht euch die Erde untertan“, antwortete er. Doch
der Sohn fragte weiter:
„Mit welchem Recht verweigern Menschen Menschen
das Leben?“
„Vergeltet nicht Gleiches mit Gleichem.“
„Mit welchem Recht lebe ich?“
„Mit dem Recht der Natur. – Und mit der Liebe
deiner Eltern.“
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Vorstellung
Familie
Sung
war
umgezogen.
Um
sich
schnellstmöglich bekannt zu machen und zu
informieren über das Leben im Viertel, schien ihnen
die Mitgliedschaft in verschiedenen Vereinen am
wirksamsten.
„Nun stellen Sie sich mal vor“, sagte der
Vereinsvorsitzende zu den Neuen. „Uns interessiert
hauptsächlich: Wem gehören Sie an? Wo kommen Sie
her? Was haben Sie vorzuweisen?“
Als Wei an der Reihe war, sich vorzustellen, sagte er:
„Ich bin bei Ihnen. Ihre Fragen liegen hinter mir.
Alles, was ich bin und habe, steht vor Ihnen. Nun
stellen Sie sich mich vor.“
Zeitmessung
Wei Sung war in der Dämmerung auf dem Fußweg in
die Stadtmitte unterwegs, als ein junger, kräftiger
Mann, der schon eine Weile vor ihm dahin schritt,
sich plötzlich umdrehte und auf ihn zuging:
„’tschuldigung, haben Sie eine Uhr?“
„Tut mir leid“, antwortete Herr Sung, der
üblicherweise ohne Zeitmesser durch das Leben geht.
„Noch so einer …“, konstatierte der junge Mann
durchwegs freundlich.
„Welch einer? Haben Sie auch ,Das Ergehen der Zeit‘
gelesen?“
„Kenn’ ich nicht. Ganz einfach: Die Batterien sind
leer.“
18
Predigt
„Denen haben Sie es aber heute wieder einmal
deutlich gesagt“, lobte Wei den Pfarrer nach der
Sonntagspredigt am Kirchenportal.
„Haben Sie es auch vernommen?“, entgegnete der
Pfarrer.
„Was wollen Sie mir damit sagen?“, fragte Wei nach.
„Nur das, Herr Sung“, erwiderte der Geistliche, „was
Sie gehört haben.“
Und er verabschiedete sich und wandte Wei den
Rücken zu.
Öffnen
„Was ballst du deine Faust?“, fragte Wei Sung seine
Frau.
Sie antwortete: „Damit mir der Edelstein nicht
entfällt.“
„Was du verhüllst, kann ich nicht sehen.“
„Aber ich hüte dein Geschenk als einen Schatz, mein
Lieber.“
„Als deinen Schatz. An der Rose erfreuen wir uns,
weil sie sich öffnet“, orakelte Wei.
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Erdschwamm
Hast du schon mal die ausgetrocknete Erde in einem
Blumentopf gegossen? Sie schluckt das Wasser nicht
wie ein nimmersatter Schwamm. Anscheinend
freundet sie sich mit der Wasserblase vorsichtig an.
Ganz gemächlich lässt sie die frische Nässe zu sich
ein, sie leckt anfangs nur zögerlich. Wenn sie sich aber
angefeuchtet hat, dann schluckt sie die Wasserlache in
einem Sog in sich auf. Gelegentlich blubbert sie dabei
und luftige Blasen entweichen aus dem Topf. Was sie
von dem Nass nicht benötigt, stößt sie sogleich am
Fuß wieder aus. Schau dir die gesättigte Blumenerde
an, sie glänzt mit feuchten Augen.
So lautetet Wei Sungs Erläuterung an den Neffen.
Dieser war laut blubbernd während des Vortrags
nach draußen gegangen.
Fingerzeig
„Warum hältst du dich an meinem kleinen Finger
fest?“, wollte Frau Sung wissen.
„Das ist mein Draht zu dir“, entgegnete Wei.
„Ja, ich spüre deinen Puls. Wann ergreifst du meine
Hand ganz?“, drängte Frau Sung.
„Wenn du den Impuls begreifst“, antwortete Wei.
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Die anderen
„Über die Errungenschaften deiner Nachbarn teilst du
mir vieles mit, klagst lange Zeit, dass du zu nichts
kämest ...“
„Ja, ich kann dir sagen ...“
„Wann wirst du mir von deinen Erfolgen berichten?“
Herr Sung klang sehr interessiert.
„Wie denn, wann soll ich dazu kommen?“
„In der Zeit, in der du andere über deine Nachbarn
unterhältst.“
Scherbenglück
Der Spiegel im Badezimmer war in viele Teile
zerfallen. Wei setzte die Splitter gemeinsam mit
seinem Sohn wieder in den Rahmen und verklebte sie.
„Leichter wäre das Puzzle zu schaffen, wenn es zuvor
ein ganzes Bild gewesen wäre“, meinte der Sohn.
„Aber ein Haufen gebrochener Spiegel wird niemals
ein richtig ganzer.“
„Dafür sehen wir viele Bilder: in jedem einzelnen
Scherben unser ganzes Gesicht.“
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Rückhalt
„Steh mir bei, ich schwanke“, sagte Weis Frau.
„Ich stehe voll hinter dir“, beteuerte Wei.
„Wieso bläst mir der kalte Wind ins Gesicht?“
„Sollte ich dir nicht den Rücken stärken?“, fragte er
nach.
„Und wie wahre ich mein Gesicht?“
„Nach vorne, meine Liebe.“
Gründeln
„Weshalb schielt dein Auge nach dem lauten
Lacher?“, wollte Wei ergründen.
„Sein Lachen steckt an und reißt mit“, gestand ihm
sein Gesprächspartner.
Wei meinte etwas skeptisch: „Während sie prusten,
hören sie nicht. Die stillen Schmunzler genießen
wirklich, sie denken nach.“
Das empfand sein Gegenüber anders: „Spötteln
scheint mir ihr Grinsen zu sein.“
„Verlasse den Schein und gehe ihrem Gründeln auf
den Grund, dann wird es Lächeln sein“, riet Wei.
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Obhut
Ein andermal disputierten die beiden:
„Ich habe alles unter einen Hut gebracht.“
„Wie viel kann das schon sein?“
„Zumindest alles, was ich im Kopf habe.“
„Mehr nicht?“
„Was über die Krempe ragt, kann ich nicht festhalten,
das sieht nur der, der darüber steht.“
„Sollte man nicht besser unbehutet gehen?“
„Was hast du dann im Kopf, im Griff?“
Beschneidung
Einer seiner Nachbarn hieß nicht nur Krauterer, er
war auch ein solcher. Wieder einmal schaute er Herrn
Sung eine Zeit lang über den Zaun zu. Dann sagte er
halb fragend, halb verächtlich: „Sie beschneiden mit
der Nagelschere die Hecke Blatt um Blatt?“
Wei ließ sich in seiner Tätigkeit nicht unterbrechen
und murmelte vor sich hin, ohne zum Zaun zu sehen:
„Beschneiden Sie mit der Heckenschere Ihre
Fingernägel?“
„Meine Finger sind doch kein Busch“, empörte sich
Herr Krauterer.
Und Herr Sung merkte an: „Die Zweige aber sind der
Hecke Finger.“
23
Ende der Leseprobe von:
Wei Sungs Impulse - Erlebenssplitter und Aphorismen
Heiner Brückner
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