P. Eser ua (Hrsg.): El atentado contra Carrero Blanco - H-Soz-Kult

P. Eser u.a. (Hrsg.): El atentado contra Carrero Blanco
Eser, Patrick; Peters, Stefan (Hrsg.): El atentado contra Carrero Blanco como lugar de (no-)memoria. Narraciones históricas y representaciones
culturales. Madrid: Vervuert/Iberoamericana
2016. ISBN: 978-8-48489-934-1.
Rezensiert von: Anna Catharina Hofmann,
Historisches
Seminar,
Albert-LudwigsUniversität Freiburg
Die Ermordung von Admiral Luis Carrero
Blanco durch die baskische Terrororganisation ETA gehört zweifellos zu den spektakulärsten politischen Attentaten des vergangenen Jahrhunderts. Am Morgen des 20. Dezember 1973 wurde die „rechte Hand“ des
Diktators Francisco Franco samt seinem Auto mitten im Zentrum von Madrid in die Luft
gesprengt. In der Rückschau wird dieses Ereignis oft als Anfang vom Ende der fast vierzig Jahre währenden Diktatur bewertet. Denn
nur Carrero Blanco schien das Überleben des
Regimes über den Tod des Diktators hinaus
garantieren zu können. Ziel des von Patrick
Eser und Stefan Peters (beide Universität Kassel) herausgegebenen Sammelbandes ist es,
die Erinnerung an die Ermordung Carrero
Blancos aus einer interdisziplinären Perspektive zu untersuchen und die These zu überprüfen, nach der das Attentat als „(Nicht-)erinnerungsort“ bezeichnet werden kann. Denn
trotz seines „erheblichen Erinnerungspotentials auf symbolischer und emotionaler Ebene“
(S. 25)1 , so die Autoren in ihrer Einleitung,
sei es weder im kollektiven Gedächtnis verankert, noch spiele es in politischen und historiographischen Auseinandersetzungen eine
Rolle.
Nach der Lektüre der zwölf Beiträge
scheint diese These widerlegt zu sein. Denn
die Autoren (und wenigen Koautorinnen) fördern eine Vielzahl von (populär)kulturellen,
literarischen und audiovisuellen Repräsentationen zu Tage, die darauf hindeuten, dass
das Attentat in der Erinnerungslandschaft in
Bezug auf den Franquismus offenbar doch einen größeren Raum einnimmt als von den
Herausgebern postuliert wird. Zunächst beleuchtet Eduardo Uriarte Romero mit Hilfe einer Analyse dreier Tageszeitungen die
offizielle Reaktion des Regimes auf das Attentat. Seine Schlussfolgerung, dass die Be-
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richterstattung weitgehend uniform war und
den Regimediskurs reproduzierte, ist vor dem
Hintergrund der Zensurmechanismen und
Presseanweisungen, auf die der Autor leider
nicht eingeht, allerdings wenig verwunderlich. Eine mögliche Antwort auf die Frage,
warum das Attentat schon kurze Zeit später in den Hintergrund rückte, geben Enrique
Maestu, Marina Montoto und Lidia Carrasco.
Sie können mit Hilfe einer Presseanalyse erstens zeigen, dass die Erinnerung an das Attentat bereits nach einem Jahr durch die Debatten um eine mögliche „Öffnung“ des Regimes verdrängt wurde und 1975 schließlich
endgültig vom Tod des Diktators überschattet
wurde. Zweitens weisen sie darauf hin, dass
der „Märtyrertod“ Carrero Blancos durch die
Hardliner des Regimes vereinnahmt wurde.
Für sie verkörperte Carrero Blanco in der
Endphase der Diktatur ein Symbol für die
Möglichkeit eines „Franquismus ohne Franco“, der jedoch spätestens 1976 mit dem „Gesetz über die politische Reform“ obsolet geworden war. Nicht zuletzt zeigt Pablo Sánchez León in seiner überzeugenden Auseinandersetzung mit der bisherigen Historiographie, dass die Rolle des Attentats für das Ende
des Francoregimes und die Transition durchaus sehr kontrovers bewertet worden ist.
Auch die zeitgenössische Deutung des Attentats durch die Akteure wird eingehend
analysiert. Als Quelle dient dabei insbesondere der ETA-Bericht „Operation Menschenfresser. Wie und warum wir Carrero Blanco hingerichtet haben“2 , der erstmals 1974 im Pariser Exilverlag Ruedo Ibérico erschien. Während Ulrich Winter das Attentat auf dieser
Grundlage in der kulturellen Praxis der „direkten Aktion“ und der damit verbundenen
Zeithorizonte verortet, geht Germán Labrador Méndez in seinem Beitrag zunächst auf
die Selbstästhetisierungsstrategien der Täter
ein. Darüber hinaus analysiert er zahlreiche
Repräsentationen des Attentats von den bil1 Der
Sammelband ist durchgehend auf Spanisch verfasst. Alle Übersetzungen von der Verfasserin.
2 Camarada Julen Aguirre (= Eva Forest), Cómo y por
qué ejecutamos a Carrero Blanco, Paris 1974. Der Bericht erschien zwei Jahre später erstmals in Westdeutschland: Operation Menschenfresser. Wie und
warum wir Carrero Blanco hingerichtet haben. Ein authentischer Bericht und Dokumente von E.T.A. Übersetzt von Annie le Roux, Berlin 1976.
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denden Künsten bis zur baskischen ComicKultur der Transitionszeit. Die übrigen Beiträge zu den audiovisuellen und literarischen Verarbeitungen des Attentats zeigen,
dass die Erinnerung an die Ermordung Carrero Blancos vor dem Hintergrund der ETARadikalisierung seit Ende der 1970er-Jahre eine bemerkenswerte Verschiebung erfuhr. So
konstatieren Santiago de Pablo und Igor Barrenetxea Marañón in ihrem Aufsatz zum
Wandel in der filmischen Darstellung, dass
sich das Bild der „guten“, da antifranquistischen ETA nur noch in Gillo Pontecorvos Film
„Operación Ogro“ (1979) ausmachen lässt.
Mittlerweile hat sich die Deutung hingegen
vollkommen verkehrt, wie etwa die Fernsehserie „El asesinato de Carrero Blanco“ (Miguel Bardém, 2011) zeigt, in der Carrero Blanco als sympathischer Familienvater und erstes Opfer des baskischen Terrorismus dargestellt wurde. Auch Patrick Eser arbeitet in seinem ersten Aufsatz, der aufgrund seiner vergleichenden Perspektive besonders gelungen
ist, die rasche Entheroisierung der Attentäter
in literarischen, essayistischen und filmischen
Repräsentationen heraus. In seinem zweiten
Beitrag weist er auf den wichtigen Punkt hin,
dass es gerade auch der weit verbreiteten Darstellung der Transition als friedliche, modellhafte Erfolgsgeschichte geschuldet ist, dass
Gewaltakte wie das ETA-Attentat von 1973
aus der hegemonialen Erzählung herausgeschrieben wurden.
Im Vergleich zum ansonsten sehr hohen
analytischen Niveau fallen die Beiträge zum
Baskenland etwas schwächer aus. Zu den interessantesten Ergebnissen des Aufsatzes von
Ludger Mees und Virginia López de Maturana gehört sicherlich, dass Carrero Blanco in
der nationalistischen Presse des Baskenlandes
weder vor, noch nach seiner Ermordung eine große Rolle spielte. Am Ende kommen die
Autoren nicht nur zu dem Schluss, dass das
Attentat keinen Eingang in die baskische Erinnerungskultur gefunden habe. Zudem negieren sie dessen Bedeutung für den Zusammenbruch des Francoregimes mit der streitbaren Feststellung, dass die Diktatur aufgrund
der sozioökonomischen Modernisierungsprozesse ohnehin obsolet und der Übergang in
die Demokratie somit vorprogrammiert gewesen sei (S. 78). Mikel Ayerbe und Mari Jose
Olaziregi behaupten hingegen, dass sich das
Attentat im Baskenland in „einen wahrhaften
Erinnerungsort“ verwandelt habe, ohne dies
jedoch zu belegen. Denn von der Existenz eines baskischen Liedes über die Ermordung
Carrero Blancos darauf zu schließen, dass „es
kein Fest oder Volksfest im größten Teil des
Baskenlandes gab, auf dem es nicht gesungen, bejubelt oder im Chor gefeiert wurde“
(S. 219), scheint etwas gewagt.
Grundsätzlich zu kritisieren ist im Grunde nur die Ausgangshypothese des Bandes,
die den Blick auf den Ort des Attentats in
der spanischen Erinnerungskultur eher verstellt, als dass sie erkenntnisfördernd wäre.
Dabei verweisen Eser und Peters bereits in
ihrer Einleitung auf die Schwierigkeit, „Vergessen“, „Verschweigen“ und „Verdrängung“
empirisch zu belegen. Im vorliegenden Fall
hätte man diese Frage vermutlich nur kontrastiv, und das heißt durch die Kontextualisierung in der Erinnerungslandschaft bzw. im
Vergleich mit anderen Erinnerungsorten des
Franquismus lösen können. So fragt sich der
Leser im Laufe der Lektüre immer wieder,
was denn den Autoren zufolge „richtige“ Erinnerungsorte in Bezug auf den Franquismus
sein könnten. Eine Antwort auf diese Frage
bleibt der Sammelband jedoch schuldig. Darüber hinaus hätten die Spezifika der stark
fragmentierten, ideologisch polarisierten Erinnerungskultur in Spanien und die weit verbreitete Indifferenz in Bezug auf die diktatoriale Vergangenheit unter Auseinandersetzung mit der bisherigen Literatur stärker reflektiert werden müssen. Auch das Argument, die weit verbreitete Unkenntnis in Bezug auf das Attentat insbesondere bei jüngeren Generationen als Beleg für die These des
„(Nicht-)erinnerungsortes“ anzuführen, überzeugt nicht. Dies zeigt etwa eine Umfrage
aus der Tageszeitung „El Mundo“ aus dem
Jahr 2000, derzufolge die befragten Schüler
zum großen Teil nicht einmal in der Lage waren, Franco einer historischen Epoche zuzuordnen.3 Schließlich sei noch angemerkt, dass
der Band sorgfältiger hätte lektoriert werden
müssen. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die
fehlerhafte Wiedergabe spanischer Originalti3 Vgl.
Enrique Moradiellos, Un incómodo espectro del
pasado: Franco en la memoria de los españoles, in: Pasajes (11) 2003, S. 5–11, hier S. 7.
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P. Eser u.a. (Hrsg.): El atentado contra Carrero Blanco
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tel. Auch Druckfehler wie der Widerstandskämpfer „Georg Eisler“ (S. 142) oder der Philosoph „Peter Marcuse“ (S. 260) stören bei
der Lektüre. Insgesamt überzeugt der Sammelband jedoch sowohl durch die Breite seiner Untersuchungsfelder als auch durch die
interdisziplinäre Perspektive und zeigt, dass
die These eines „Schweigens in der Historiographie und der Erinnerung in Bezug auf
das Attentat gegen Carrero Blanco“ (S. 258)
so nicht zu halten ist. Die zahlreichen aktuellen Nachrichten über Verurteilungen aufgrund des Straftatbestands „Verherrlichung
von Terrorismus“ gegen Personen, die sich bei
Facebook und Twitter über die Ermordung
Carrero Blancos lustig machten, mögen ein
weiterer Beleg dafür sein, dass das Attentat
offenbar doch einen Platz im kollektiven Gedächtnis gefunden hat.4
HistLit 2016-2-133 / Anna Catharina Hofmann über Eser, Patrick; Peters, Stefan
(Hrsg.): El atentado contra Carrero Blanco como
lugar de (no-)memoria. Narraciones históricas y
representaciones culturales. Madrid 2016, in: HSoz-Kult 27.05.2016.
4 Vgl.
etwa das derzeit laufende Verfahren gegen César
Strawberry, den Sänger der spanischen Band Def con
Dos, dem vorgeworfen wird, über Twitter das Attentat gegen Carrero Blanco verherrlicht zu haben. Vgl. El
líder de Def Con Dos, ‚César Strawberry’, entre los detenidos de la Guardia Civil, in: El Mundo, 10.12.2015.
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