Franz Martin Olbrisch infinito blanco, Klanginstallation (2009) Eines der zentralen Anliegen vieler Klanginstallationen ist, dass der Rezipient den Klangraum durch Positionswechsel erfährt. In solchen Arbeiten werden Lautsprecher nicht so sehr dafür benutzt, ein bestimmtes Klangbild wiederzugeben, sondern dienen oftmals dazu, den Raum, in den sie eingebunden sind, akustisch zu aktivieren. In vielen meiner Klanginstallationen verwende ich daher elektrostatische Wandler als Lautsprecher. Diese Elektrostaten mit ihren extrem kleinen Abstrahlwinkeln werfen die Klänge wie Lichtstrahlen in den Raum, so dass deren Reflexionen die architektonische Besonderheit klanglich erfahrbar machen. "infinito blanco" entstand 2009 als Auftragswerk des Hessischen Rundfunks für die Goldhalle des Frankfurter Konzertsaal-Foyers. Die Klangereignisse treten vereinzelt, fast zusammenhanglos auf. Nirgends will sich Nähe oder gar Intimität einstellen, alles bleibt offen, auf Distanz. Titel und musikalischer Gestus der Installation beziehen sich auf die Kammeroper "infinito nero" von Salvatore Sciarrino. Aus der spanischen Variante vom 'unendlichen Weiß' ergaben sich für mich wichtige Bezüge: 'blanco' bezeichnet nicht nur die Farbe, sondern auch den unbesetzten Platz, den Raum zwischen den Dingen. Palinsesto, Klanginstallation (2010) Der Begriff Palimpsest wird sowohl für die zeitliche Abfolge eines Rundfunk- oder Fernsehprogramms verwendet, als auch für jene Form der Überschreibung älterer Manuskripte oder Schriftrollen, die man als Palimpsest bezeichnet. Kombiniert man diese beiden Bedeutungen miteinander, so erschließt sich ein Assoziationsfeld, das neue Bezüge herstellt: die Programmfolgen eines Rundfunksenders als ständige Ausradierung und Überschreibung älterer Programmfolgen im Sinne eines Palimp- sests. Und wie bei diesem lassen sich die Spuren vorheriger Inhalte niemals ganz beseitigen. Immer bleiben Rückstände, welche die neuen Inhalte mit der schattenhaften Aura der älteren anreichern, ohne dass ein inhaltlicher Bezug zwischen beiden gegeben sein muss. Bei der Klanginstallation "palinsesto" spielten solche Überlegungen für mich eine besondere Rolle. Das Auftragswerk des Westdeutschen Rundfunks für das Konzertsaal-Foyer im Funkhaus des WDR in Köln entstand für die Konzertreihe "ensembl[:E:]uropa". Frühere Aufführungen der Konzertreihe haben auf den unterschiedlichen Schichten meiner Arbeit ihre verwischten, zerkratzten Spuren ebenso hinterlassen, wie die gesammelten Klang- und Sprachfetzen aus verschiedensten europäischen Regionen. Inhaltliche Bezüge haben ihre Bedeutung verloren. Das Aufeinandertreffen verschiedener heterogener Klangtexturen wird zum eigentlichen Klangereignis. Schichtwechsel - temps et mouvement Dokumentation der Klanginstallation (2006) Akustisch verwendet die Arbeit mikroskopisch kleine Soundsamples und knüpft diese zu rhythmisch repetierenden Klangketten aneinander. Jede dieser Klangketten hat ihre eigene Zeit, ihr eigenes Metronom. Die Regelmäßigkeit bzw. Unregelmäßigkeit der Repetitionen und ihrer Tempi generieren neue Zusammenhänge, die in das Innere der Klänge vordringen. Visuell war diese Arbeit durch drei auf dem Fußboden angeordnete Projektionsflächen gegliedert. Die vertikalen Projektionen der Videos ließen eine ungewöhnliche Nähe zu den Bildern entstehen. Darüber hinaus warfen die in die Projektionsflächen eingearbeiteten Spiegel nicht nur Teile der Projektion in den Raum, sondern ließen umgekehrt auch Teile des Raumes und des Publikums in den Projektionen erscheinen. Sowohl die Bildinhalte als auch die Musik sind eigenständig und lassen durch ihre Vielschichtigkeit unterschiedliche, subjektive Lesarten zu. Diese Arbeit stellt sich nicht skulptural in Beziehung zu einem existierenden Ort, sondern definiert ihn medial, setzt ihn erst aus den einzelnen Komponenten zusammen. Die Arbeit ist für einen neutralen Raum konzipiert und wurde 2006 in der Kunsthalle Darmstadt erstmals gezeigt. Alle drei Arbeiten verwenden Ausgangsmaterial aus verschiedenen Werken der zeitgenössischen Musik – fragmentiert, wie die Scherben archäologischer Funde. Franz Martin Olbrisch, geboren 1952 in Mülheim/Ruhr, studierte Komposition und Musiktheorie bei Frank Michael Beyer an der Hochschule der Künste Berlin. 1988 bis 2008 Dozent für Musiktheorie, Komposition und Studiotechnik an der Hochschule der Künste Berlin und der Technischen Universität Berlin, 1994, 2004, 2006, 2010 und 2014 Dozent bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt, seit 2008 Professor für Elektronische Musik und Leiter des Studios für Elektronische Musik an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, seit 2011 Vizepräsident der Deutschen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik und seit 2015 Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste. www.olbrisch.eu
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