Manuskript Beitrag: Das Geschäft mit Flüchtlingen – Planlos und teuer Sendung vom 24. Mai 2016 von Ulrike Brödermann, Julia Friedrichs und Bettina Malter Mitarbeit: Recherchezentrum CORRECTIV Anmoderation: Kürzlich forderte die Bundeskanzlerin, Politiker müssten den Bürgern ihr Handeln stets erklären. Handeln erklären ist aber nur das eine, Probleme klar benennen ist das andere. Zum Beispiel die hohen Kosten für die Integration und die Versorgung der Flüchtlinge in Deutschland. Rund 20 Milliarden Euro sollen es allein in diesem Jahr sein. Kosten, um die sich Bund, Länder und Kommunen streiten. Kosten, die von Geschäftemachern sogar noch in die Höhe getrieben werden. Unsere Kolleginnen von ZDFZoom bringen Beispiele. Text: Seit fast einem Jahr wohnt Familie Dághmach-Alenglizi in dieser Berliner Ferienwohnung. Für die fünf Kinder der Flüchtlingsfamilie ist das neue Zuhause ein prima Spielplatz. O-Ton Mohammed Dághmach, syrischer Flüchtling: Hört auf! Stopp, Stopp! Das Bett hält das nicht aus! Mohammed Dághmach und seiner Frau Amani Alenglizi ist klar: Mit ihnen werden profitable Geschäfte gemacht. 175 Euro zahlt das Amt dem Vermieter täglich, also 5.200 Euro im Monat. In einer Gegend, in der eine vergleichbare Wohnung um die 1.000 Euro kostet. O-Ton Mohammed Dághmach, syrischer Flüchtling: Die Miete ist viel zu teuer. So ein Geschäft sollte verboten sein. Zurück nach Syrien, nach Damaskus, können sie nicht. Ihr Haus ist zerstört, ihr Restaurant zerbombt. Dass die Wohnung in Berlin so teuer ist, ist ihnen unangenehm. O-Ton Amani Alenglizi, syrischer Flüchtling: Mit dem Geld, was Deutschland hier zahlt, könnten fünf Familien untergebracht werden. Im Berliner Abgeordnetenhaus treffen wir Fabio Reinhardt von der Piratenpartei. Er versucht die Geschäftemacherei auf dem Berliner Flüchtlingsmarkt zu entwirren. O-Ton Frontal 21: Wir erleben Sie denn die Verhältnisse hier in Berlin? O-Ton Fabio Reinhardt, PIRATENPARTEI, MdA Berlin, Sprecher für Migration, Integration und Flüchtlingspolitik: Hier für Berlin kann man schon sagen, dass sich hier einige Leute durchaus die Taschen vollmachen. Da gibt‘s immer wieder Betreiber, die negativ auffallen und die offensichtlich am Wohlergehen der Flüchtlinge wenig Interesse haben, aber daran, hier Profit zu machen sehr viel Interesse. Reinhardt zeigt uns: Bereits 2015 prüften Experten die Vergabepraxis bei Flüchtlingsunterkünften. Es gab keine Ausschreibungen, oft nicht mal einen Vertrag. Dazu chaotisch geführte Akten. Das Ergebnis der Prüfer - alarmierend. Es kann, Zitat: „die Einhaltung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht bestätigt werden.“ Der Berliner Senat für Soziales erklärt uns auf Nachfrage, Ausschreibungen seien oft nicht möglich, es ginge vor allem darum, Obdachlosigkeit zu verhindern. Typisch Berlin? Alles Einzelfälle? - Fest steht: Die Versorgung von Geflüchteten kostet Deutschland Milliarden. Völlig unklar ist, wohin das viele Geld fließt und wofür. Um Kosten und Standards zu vergleichen, schreiben wir zusammen mit dem Recherchezentrum CORRECTIV alle 295 Landkreise und alle kreisfreien Städte an. Wir fragen: Wie viel Geld und nach welchen Regeln geben sie für die ErstUnterbringung der Flüchtlinge aus? Nur ein Drittel aller Landkreise liefert überhaupt Zahlen. Sie reichen von 87 Euro in Saarlouis bis zu 1.100 Euro in Düsseldorf pro Monat und Flüchtling. Gewaltige Unterschiede Saarlouis: 87 Euro Saale-Orla-Kreis: 171 Oldenburg: 400 Euro Die Stadt Leipzig: 248 Düsseldorf: 1.100 Euro manchmal sogar bei ein und demselben Betreiber. Beispiel: Velbert in Nordrhein-Westfalen. Die Stadt baut eine Industriehalle zur Unterkunft um. Die Firma „European Homecare“ soll sie betreiben. Der größte deutsche Privatanbieter stellt der Stadt pro Flüchtling und Monat rund 1.500 Euro [inklusive Verpflegung] in Rechnung. Inklusive Verpflegung ist das fast viermal so viel, wie „European Homecare“ in Oldenburg nimmt. Dort zahlt die Stadt für fast die gleiche Leistung - Zimmer, Bewachung, Küchenbenutzung und Kita - nur 400 Euro. Erklärungsversuche in Velbert: O-Ton Holger Richter, Sozialdezernent Stadt Velbert: Als wir, sage ich mal, mit dem Rücken zur Wand standen, da waren wir relativ hilflos im ersten Moment und heilfroh, dass es Anbieter gibt, die so etwas zur Verfügung stellen. Der Umsatz von „European Homecare“ ist in den vergangenen zwei Jahren von 17 auf 100 Millionen Euro gestiegen. Wir treffen Klaus Kocks, den Sprecher der Firma. O-Ton Frontal 21: Nervt Sie denn der Vorwurf, Sie machen aus der Not der Flüchtlinge Profit? O-Ton Klaus Kocks, Pressesprecher „European Homecare“: Ich verstehe es und es ist Unsinn. Weil wir machen keine Geschäfte mit den Flüchtlingen, wir machen Geschäfte mit den Kommunen. O-Ton Frontal 21: Das sieht schon ein bisschen nach Krisenaufschlag aus? O-Ton Klaus Kocks, Pressesprecher „European Homecare“: Es gibt keinen Krisenaufschlag, weil es wettbewerblich ausgeschrieben wird. Das heißt, wir kriegen nur den Zuschlag, wenn wir die Billigsten sind. Das Problem: Sie sind oft auch die Einzigen. Die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL fordert seit Langem klare Regeln für das Geschäft mit den Flüchtlingen und kritisiert, dass viele Kommunen Preistreibern in die Hände spielten. O-Ton Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer RO ASYL: Es gibt einen Wildwuchs auf dem Markt. Wir haben das ja ganz praktisch vor uns, wenn irgendwo eine Kommune, die es versäumt hat, frühzeitig auf die Suche nach Unterbringungsplätzen zu gehen oder auch nicht selbst gebaut hat, angewiesen ist auf Angebote, die bei ihr auf dem Schreibtisch landen. Dann ist oft das einzige Argument: Passt uns im Moment, wir müssen kurzfristig Flüchtlinge aufnehmen, wir schlagen da dazu. Kaum Kontrollen, keine einheitlichen Standards - auch der Spitzenverband der Kommunen, der „Deutsche Städtetag“, hat „keinen Überblick“ über die Ausgaben. Sicher ist: Die Kosten explodieren. Um Flüchtlinge zu versorgen, brauchen die Länder 20,9 Milliarden Euro - allein für 2015. Die Bunderegierung soll davon die Hälfte zahlen – obwohl offenbar niemand die genauen Kosten kennt. Ein vertraulicher Länderbericht, der Frontal 21 vorliegt, bestätigt das. Die Milliardenforderungen beruhen auf bloßen Schätzungen: "Eine vollständige Darstellung der in den Kommunen veranschlagten Kosten ist aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und der Notwendigkeit langwieriger Erhebungen in dem vorgegebenen Zeitrahmen nicht möglich." Treffen der Länderchefs im Bundesrat. Nachfrage bei Hannelore Kraft. Ihr Land leitet die verantwortliche Arbeitsgruppe zur Flüchtlingsfinanzierung. O-Ton Frontal 21: Ist es denn lauter, auf der Basis von Schätzungen solche Forderungen an den Bund zu geben? O-Ton Hannelore Kraft, SPD, Ministerpräsidentin NordrheinWestfalen: Wir haben in unseren Haushalten natürlich Pauschalen eingestellt und haben dann mit den Kommunen vereinbart, dass wir am Ende spitz abrechnen. Und ich sage Ihnen, die Kosten werden am Ende höher sein, weil wir vieles, was den Bereich Integration angeht, jetzt noch nicht abschließend beziffern können. Ein Eingeständnis. Was die Unterbringung und Versorgung der vielen Flüchtlinge kostet und kosten wird, weiß keiner so genau. Ohne klare Regeln und genaue Kontrollen können private Anbieter die Kommunen schröpfen. O-Ton Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer PRO ASYL: Das sind eigentlich Genehmigungen zum Gelddrucken für die Leute, die da am längeren Hebel sitzen, die das Angebot machen. Mehr als eine Million Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen, hat seinen Preis. Dass es viel teurer wird als nötig unverständlich und empörend – auch für manch einen Flüchtling: O-Ton Mohammed Dághmach, syrischer Flüchtling: Natürlich ist ein Vermieter ein Geschäftsmann, aber wir sind traurig, weil Deutschland so viel Geld verliert. Abmoderation: Bis Ende Mai wollen sich Bund und Länder über die Aufteilung der Kosten verständigen. Wäre ja zu schön, wenn bis dahin wenigstens mal klar wäre, was wie viel kostet und wer zu viel bezahlt. Das fördert die Ausgabendisziplin ungemein. ZDF-Zoom hat das Geschäft mit den Flüchtlingen in einer Dokumentation beleuchtet. Den Film finden Sie auf unserer Internetseite. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. 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