12.04.2016, Schutzlos im Flüchtlingsheim - Bedroht, verfolgt

Manuskript
Beitrag: Schutzlos im Flüchtlingsheim –
Bedroht, verfolgt, vergewaltigt
Sendung vom 12. April 2016
von Martina Morawietz und Dana Sümening
Anmoderation:
Sie sind vor Unterdrückung und Verfolgung geflohen, und jetzt
treffen sie im deutschen Flüchtlingsheim auf diejenigen, die sie
schon in der Heimat unterdrückten und verfolgten. Es trifft
Christen oder Homosexuelle. Es trifft sie, weil es keine
verbindlichen Standards für ihre sichere Unterbringung gibt - auch
nicht für Frauen und Kinder. Damit verstößt Deutschland gegen
EU-Richtlinien und versagt, wenn Flüchtlinge andere Flüchtlinge
bedrohen, verfolgen, vergewaltigen. Martina Morawietz und Dana
Sümening berichten.
Text:
Salome suchte in Deutschland Schutz, stattdessen erlebte die
Kenianerin in der Flüchtlingsunterkunft ‘Unterschleuse‘ in
Eisenhüttenstadt Gewalt.
Im Januar drangen nach ihren Aussagen drei arabisch
sprechende Männer in ihr Zimmer ein und vergewaltigten sie spät
nachts. Nach der Tat bat Salome in dem Camp verzweifelt um
Hilfe - vergebens.
O-Ton Salome:
Ich habe dem Wachdienst gesagt, was passiert ist. Der erste
hat kaum Englisch verstanden, der zweite hat gesagt, am
Sonntag können wir da nichts machen. Ich habe sie gebeten,
die Polizei zu rufen, doch man sagte mir, die habe sonntags
geschlossen. Es war einfach unfassbar.
Salome erstattet am nächsten Tag Anzeige. Die Flüchtlingsunterkunft in Eisenhüttenstadt betreibt das Deutsche Roten
Kreuz. Dort teilt man uns mit,
Zitat:
„Wir bedauern die Vorkommnisse in der Notunterkunft
Unterschleuse (…).
Außerdem prüft ein Revisor (…) die bestehenden Vorwürfe.“
Gewalt, Übergriffe, Bedrohung – nicht nur in Eisenhüttenstadt. Oft
schweigen die Opfer aus Scham und Angst, trauen sich nicht zur
Polizei. Wir treffen uns mit einem DRK-Mitarbeiter aus
Eisenhüttenstadt.
O-Ton Oliver, Mitarbeiter DRK:
Es gab von Anfang an kein wirkliches System im Camp. Es
gab keine Hausordnung, es gab keine Belegungsvorschrift.
Es gab eigentlich nicht wirkliche Regeln. Die Einsatzleitung
hat alles abgewiegelt. Es hieß immer: Kosten sparen, Kosten
sparen, Kosten sparen. Ich weiß nicht, ob man bei Menschen
Kosten sparen darf.
Salomes Zimmer war wie alle im Flüchtlingsheim nicht
abschließbar. Manchmal fehlt es in den Unterkünften an den
einfachsten Dingen. Sie hatte das beklagt. Auch DRK-Mitarbeiter
hatten das immer wieder kritisiert.
O-Ton Oliver, Mitarbeiter DRK:
Man muss die Flüchtlinge schützen und die müssen sich
auch selber schützen können. Und ein Schlüssel wäre dort
sehr, sehr wichtig gewesen.
Wir fragen nach beim DRK. Schriftlich teilt man uns mit,
Zitat:
„Zu Beginn der Belegung waren noch nicht ausreichend
Schlüssel vorhanden. Seit Mitte Februar werden an die
Bewohner Zimmerschlüssel ausgegeben.“
Zu spät für Salome. Seit der Vergewaltigung lebt sie in einem
Frauenhaus in Brandenburg, wird psychologisch betreut. Die
Polizei ermittelt gegen drei Beschuldigte. Inzwischen wohnen nur
noch Männer in der DRK-Unterkunft Unterschleuse.
Mittlerweile überprüft auch der Innenausschuss des
Brandenburger Landtags die Unterkunft in Eisenhüttenstadt.
Frontal 21 liegen mehrere Petitionen vor, die Missstände
anprangern:
„Besonders Schutzbedürftige Geflüchtete, fallen noch immer
mit ihrer spezifischen Situation komplett unter den Tisch. Sie
bekommen keinen besonderen Schutz, wie es internationale
und nationale Richtlinien vorschreiben.“
Wo der Staat versagt, sind Privatleute und Vereine oft die letzte
Rettung für besonders Schutzbedürftige. Ronald Zenker ist Leiter
vom Christopher Street Day Dresden - und im Dauereinsatz.
O-Ton Ronald Zenker, Vorstand Cristopher Street Day
Dresden:
Wir fahren jetzt in die Erstaufnahmeeinrichtung nach
Heidenau und holen dort einen homosexuellen Flüchtling ab,
der aufgrund seiner sexuellen Orientierung in den
Wohnheimen dann Schikanen ausgesetzt ist. Und um das zu
vermeiden, bringen wir ihn in einen geschützten Wohnraum.
Inzwischen hat Ronald Zenker fast 50 Flüchtlinge aus großen
Camps in kleinen Wohngruppen untergebracht. Yazan aus Syrien
und Saef aus dem Irak wurden in einem der Heime sogar mit dem
Tode bedroht. Zum ersten Mal fühlen sich die die jungen Männer
nach ihrer Flucht in Deutschland sicher - wollen trotzdem
unerkannt bleiben.
O-Ton Yazan und Saef:
Wir konnten es nicht mehr aushalten. Denn es kamen Leute
zu uns in die Baderäume. Es gab Leute, die uns selbst beim
Schlaf störten. Sie weckten uns und wollten, dass wir für sie
tanzen. Wir mussten sie anflehen, uns schlafen zu lassen.
Wir wurden ständig gestört. Das Problem wurde so groß,
dass sie uns mit Steinen beworfen haben.
Ronald Zenker will nun ein eigenes Heim für homosexuelle
Flüchtlinge bauen. Oftmals ist räumliche Trennung der beste
Schutz, sagen Experten. Das gilt besonders für
Massenunterkünfte.
O-Ton Prof. Andreas Zick, Direktor Institut für
interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung:
Konflikte, die ich vielleicht in meinem Herkunftsland erlebt
habe, die finde ich auf einmal vor Ort wieder. Das heißt, in
diesen Unterkünften, in dieser Anonymität schaffen die
Gruppen sich selber Regeln und sie verfallen dann in alte
Identitätsmuster. Das muss man begleiten, um die Konflikte
im Vorfeld schon nicht entstehen zu lassen. Tut man das
aber nicht und bewacht nur und kontrolliert nur, dann ist die
Wahrscheinlichkeit höher, dass es diese Konflikte gibt.
Das erleben auch die Christen von Pfarrer Martens.
O-Ton Pfarrer Gottfried Martens, Dreieinigkeitsgemeinde
Berlin-Steglitz:
Lasst uns beten für die Flüchtlinge. Besonders für alle
Verwandten der Mitglieder unserer Gemeinde, die gerade auf
der Flucht sind.
Sonntagmorgen in der evangelisch-lutherischen
Dreieinigkeitsgemeinde in Berlin Steglitz. Die Flüchtlinge hier
kommen aus dem Iran oder Afghanistan. Sie konvertierten zum
christlichen Glauben und erleben deshalb in den Unterkünften
Schikanen und Bedrohungen.
O-Ton Pfarrer Gottfried Martens, Dreieinigkeitsgemeinde
Berlin-Steglitz:
Das hat sich seit Sommer letzten Jahres ganz, ganz massiv
gewandelt. Seitdem haben sich in sehr vielen Heimen
geschlossene muslimische Communties gebildet, in denen
die Christen eine kleine Minderheit sind und in denen sie
nicht anders behandelt werden, als sie in ihrer Heimat auch
behandelt wurden.
Ssassan wurde schon im Iran als Christ verfolgt und muss sich
jetzt im deutschen Flüchtlingscamp erneut fürchten - vor radikalen
Muslimen.
O-Ton Ssassan:
Ich habe Angst davor, dass jemand erfährt, dass ich ein
Christ bin und mir nach dem Leben trachtet. Ich kann meine
Religion nur heimlich praktizieren. Und wegen meines
Tattoos, gehe ich immer morgens früh gegen fünf oder sechs
Uhr, wenn niemand da ist, duschen. Wenn jemand
reinkommt, muss ich sofort aus der Dusche, damit niemand
mein Kreuz sieht und merkt, dass ich ein Christ bin. Es ist
tatsächlich so, dass sie einem nach dem Leben trachten.
Ssassan lebt in der Berliner Erstaufnahmeeinrichtung ‘ICC‘,
Betreiber sind die katholischen Malteser. Ein christlicher Orden, in
dem sich christliche Flüchtlinge bedroht fühlen müssen? Die
Verantwortlichen bestreiten das.
O-Ton Matthias Nowak, Sprecher Malteser Hilfsdienst:
Wir können natürlich Einzelfälle nicht ausschließen. Das was
bei uns in der Einrichtung halt regelmäßig stattfindet , ist,
dass ein katholischer Diakon oder ein evangelischer Pastor
regelmäßig sich in der Einrichtung mit den Christen, von
denen wir wissen, treffen. Und die treffen sich nicht im
heimlichen Hinterzimmer, die setzen sich mitten in den
Aufenthaltsbereich.
Das hilft denen wenig, die Angst haben, ihren Glauben offen zu
zeigen, und die kein Vertrauen zu den offiziellen Helfern haben.
Denn im Heim werden muslimische Wachleute eingesetzt. Auch
von denen fühlen sie sich bedroht.
O-Ton Ebrahim:
Knapp zehn Personen vom Wachschutz zusammen mit
vielen Arabern kamen an, mit Pfefferspray, und sie sagten:
Hier herrscht der Islam. Wir alle hier sind Muslime. Hier
herrschen unsere Sitten und Gebräuche. Wenn ihr ein Kreuz
tragen will, dann werden wir euch töten.
Ein heimlich gedrehtes Handyvideo zeigt die alltägliche Schikane.
O-Ton Flüchtling:
Ich begreife nicht, warum sie immer sonntags, wenn wir nicht
da sind, das ganze Zimmer durchwühlen. Wir sind nicht da,
aber sie kennen unsere Betten.
O-Ton Flüchtling:
Schau mal, das ist mein Bett. Alles durchwühlt. Die Decken,
die Kissen herumgeworfen. Die Zimmernachbarn haben
erzählt, dass sie bei mir alles durchsucht haben.
O-Ton Flüchtling:
Hier schau mal, das ist die eine, die zweite und die dritte
Bibel. Guck mal, wo man die hingeworfen hat. Ich bin
fassungslos.
Der Malteser Hilfsdienst bezweifelt, dass sich solche Vorfälle
häufen.
O-Ton Matthias Nowak, Sprecher Malteser Hilfsdienst:
Wir haben ein gutes Miteinander mit unserer Wachfirma. Und
wir haben regelmäßen Austausch und regelmäßige
gemeinsame Runden mit den Verantwortlichen und mit den
Mitarbeitern. Sollte es mal zu persönlichem Fehlverhalten
kommen, was auch schon mal vorgekommen ist im
vergangenen halben Jahr eines Mitarbeiters vom
Wachdienst, dann wird der –sozusagen - vom Schichtplan
entfernt dort und dann arbeitet der nicht mehr bei uns.
Einzelne Maßnahmen, die den häufig systematisch verfolgten
Minderheiten in den Unterkünften nicht helfen. Denn besonders
schutzbedürftige Flüchtlinge benötigen auch eine besondere
Betreuung. Das legt die EU-Aufnahmerichtlinie von 2013 fest.
Darin sind Mindeststandards formuliert, um Gewalt und sexuelle
Übergriffe zu vermeiden - zum Beispiel eine getrennte
Unterbringung. Dazu gehören auch separate Toiletten und
Duschräume. Deutschland hat selbst diese Mindeststandards
noch nicht umgesetzt, kritisieren Experten.
O-Ton Prof. Andreas Zick, Direktor Institut für
interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung:
Wir müssen für diesen besonderen Schutz sorgen. Das sagt
das Menschenrecht, das sagt aber auch unser Grundgesetz,
das muss man sehr ernst nehmen.
Und so lange die Politik das nicht tut, bleiben nur Menschen wie
Pfarrer Martens. In seiner Kirche übernachten immer mehr
Flüchtlinge, die sich in ihrer vom Staat zugewiesenen Unterkunft
nicht mehr sicher fühlen.
Abmoderation:
Deutschland ist also verpflichtet, besonders schutzbedürftige
Flüchtlinge sicher unterzubringen. Das Familienministerium hat
dazu auch längst Vorschläge gemacht. Aber das
Innenministerium blockiert. Die Umsetzung der EU-Richtlinie, sei
mit einer, Zitat, „deutlich administrativen Mehrbelastung
verbunden“ – schreibt man uns auf Anfrage. Soll das etwa
heißen: Wir schaffen das nicht, wehrlose Flüchtlinge zu
schützen?
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