E-Zigarette: Harm-Reduction-Maßnahme? Einstiegsdroge?

Psychologie aktuell: Statement zum Welt-Nichtrauchertag: E-Zigarette: Harm-Reduction-Maßnahme? Einstiegsdroge?
27-05-16
Statement zum Welt-Nichtrauchertag: E-Zigarette: Harm-Reduction-Maßnahme? Einstiegsdroge?
In mehreren europäischen Ländern ist in den vergangenen Jahren der Trend zu beobachten,
dass die Nutzung von E-Zigaretten zugenommen hat. Anstatt Tabak zu verbrennen, wird in der
elektronischen, oft batteriebetriebenen Zigarette eine (meist) nikotinhaltige Flüssigkeit (Liquid)
verdampft. Gleichzeitig nimmt deshalb die Debatte um die E-Zigarette zu. Expertinnen und
Experten weisen auf die Unsicherheiten bei der Gefährdung der Verbraucherinnen und
Verbraucher hin, andere halten den Konsum von E-Zigaretten für eine mögliche Methode zur
Schadensminimierung bzw. sogar Tabakentwöhnung. Prof. Dr. Heino Stöver,
geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung (ISFF) der Frankfurt University of
Applied Sciences (Frankfurt UAS), nimmt zum Welt-Nichtrauchertag 2016 am 31. Mai,
ausgerufen von der Weltgesundheitsorganisation WHO, zum Thema E-Zigaretten Stellung.
Es steht die Frage in der Diskussion, ob die E-Zigarette eine Ausstiegshilfe oder eine Einstiegsdroge
darstellt. Stöver vertritt die Meinung, dass neben anderen Rauchentwöhnungsstrategien die
E-Zigarette eine weitere Ausstiegshilfe sei: Eine Veröffentlichung im Dezember 2014 bestätigt, dass
die Erfolgschancen auf einen dauerhaften Rauchstopp mit der E-Zigarette von 4% auf 9% mehr als
verdoppelt werden. Die Gefahr, dass E-Zigaretten ein Einstiegsprodukt sein könnten, ist gering:
E-Zigaretten werden von Nichtraucherinnen und Nichtrauchern eher selten probiert. Auch zeigt eine
im Januar 2015 veröffentlichte Studie, dass nicht rauchende Jugendliche wenig an E-Zigaretten
interessiert sind.
Die Gesundheitsgefährdung durch elektronische Dampferzeugnisse im Vergleich zum konventionellen
Tabakkonsum schätzt Stöver als geringer ein: In anderen Ländern werden die Risiken des Konsums
vor dem Hintergrund einer hohen tabakbedingten Sterberate viel stärker abgewogen: Die
Organisation Public Health England geht beispielsweise davon aus, dass E-Zigaretten etwa 95%
weniger schädlich seien als Tabakzigaretten und gründete daraufhin eine nationale
Public-Health-Strategie. Natürlich sind E-Zigaretten nicht völlig ohne Gesundheitsrisiken, es geht hier
aber um einen realistischen und pragmatischen Schadensabwägungsprozess. Auch in der
Gesundheitspolitik sollten Harm-Reduction-Erwägungen eine wichtige Rolle spielen.
Manche Gesundheitspolitiker/-innen befürchten, dass E-Zigaretten zu einer gesellschaftlichen
Akzeptanzsteigerung des Rauchens beitragen könnten. Es ist nicht davon auszugehen, dass die
E-Zigarette die Entwicklung des Nichtraucherschutzes behindert, da im Zentrum
gesundheitspolitischer Anstrengungen weiterhin die Reduktion des Tabakkonsums steht. Die
E-Zigarette soll als Alternative für ehemalige Dauerkonsumentinnen und -konsumenten von
Tabakzigaretten eine Rolle spielen. Es ist somit eine weniger riskante Substitutionsbehandlung ,
eine sogenannte Harm Reduction-Maßnahme . Eine Akzeptanzsteigerung wird dadurch nicht
provoziert; es ist eher eine Anerkennung, riskantere Konsumformen mit einer E-Zigarette zu
Seite 1 von 2
Psychologie aktuell: Statement zum Welt-Nichtrauchertag: E-Zigarette: Harm-Reduction-Maßnahme? Einstiegsdroge?
überwinden , erläutert Stöver.
Jedoch kritisiert Stöver die zahlreichen Forschungslücken hinsichtlich des E-Zigaretten-Konsums:
Von großer Relevanz ist die Frage nach den Gründen für den fehlenden Risikoabwägungsprozess in
der deutschen Gesundheits- bzw. Tabakpolitik. An den Folgen ihres Tabakkonsums sterben in
Deutschland täglich rund 300 Menschen, von der E-Zigarette sind bislang keine Mortalitätsdaten
bekannt. Es werden Forschungsergebnisse benötigt, die Aussagen zu gesundheitsschädlichen
Wirkungen der E-Zigarette treffen. Daneben sind die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz,
die Überprüfung der Gateway-Hypothese zum Einstieg in den Tabakkonsum über elektronische
Dampferzeugnisse sowie die Rolle der Gesundheitspolitik bei der Unterstützung von
Dauerraucherinnen und- rauchern beim Umstieg bzw. Ausstieg von Interesse.
Der Verbraucherschutz wird hinsichtlich des Konsums von E-Zigaretten ab Mai 2016 durch die
europäische Tabakproduktrichtlinie reguliert, die klare Vorschriften zur Produktqualität von
E-Zigaretten enthält. Es ist irritierend, eine tabak- bzw. nikotinlose E-Zigarette unter der
Tabakproduktrichtlinie zu regulieren. Es sollten alle Möglichkeiten der Produktsicherheit beachtet
werden: Auf dem Etikett sollten Angaben zur Herkunft des Liquids enthalten sein, zum Geschmack
und zur Zusammensetzung, v.a. dem Nikotinanteil, sowie über die Beimischungen. Leider haben hier
öffentliche Debatten über Kontrollstrategien und -alternativen in Deutschland gefehlt , appelliert
Stöver an die Gesundheitspolitik. Ich befürworte eine Abgabe nur an über 18-Jährige; diese
Produkte gehören nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen.
Zur Person:
Prof. Dr. Heino Stöver ist Dipl.-Sozialwissenschaftler und seit 2009 Professor der Frankfurt UAS am Fachbereich Soziale Arbeit und
Gesundheit. Sein Tätigkeitsschwerpunkt ist die sozialwissenschaftliche Suchtforschung. Er ist geschäftsführender Direktor des Instituts für
Suchtforschung (ISFF) der Frankfurt UAS. Zurzeit leitet er das Forschungsprojekt Der Konsum von elektronischen Dampferzeugnissen
(eDe) unter Jugendlichen , das neben der Analyse des Konsums auch praktische Vorschläge für einen verbraucherschutzorientierten
Umgang mit elektronischen Dampferzeugnissen entwickelt. Er hat den Master-Studiengang Suchttherapie und Sozialmanagement in der
Suchthilfe der Frankfurt UAS mitinitiiert.
Kontakt: Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit, Prof. Dr. Heino Stöver, Telefon:
069/1533-2823, E-Mail: [email protected]
https://idw-online.de/de/news653085
Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.): Tabakatlas Deutschland 2015
Pabst, 176 Seiten, ISBN 978-3-95853-123-9
Seite 2 von 2