Wenn Denken schwer fällt Teil III

Egon W. Kreutzer, Paukenschlag an Fronleichnam, 26. Mai 2016
Wenn Denken schwer fällt
Teil III
In den ersten beiden Teilen dieser Aufsatzreihe ging es um
die Unterscheidung zwischen Siegern und Besiegten und um
die den Besiegten vorenthaltenen Rechte. Teil II endete mit
einem Hinweis auf die Filmtrilogie „MATRIX“ und der
Warnung vor der roten Pille in Teil III.
Ein Teil der im Stil von Hollywood-Kulissen buntbemalten
Ringmauer, die einen weiten Horizont vortäuscht, während
sie in Wahrheit den Blick begrenzt, ist bereits löchrig
geworden, doch wäre es töricht zu glauben, hinter dieser
Mauer sei nun schon so etwas wie „die Wahrheit“ zu
erkennen. Hinter dieser Mauer erwartet uns nur ein weiteres,
kunstvoll gestaltetes Szenario. Ein Szenario, das weit über
Deutschland hinausreicht, das die ganze Welt erkennen lässt,
so, wie wir sie uns schon immer vorgestellt haben, nur eben
mit der Erkenntnis gewürzt, dass wir, die Deutschen, in einem
Staat leben, der eine seltsame Zwitter-Rolle einnimmt.
Einerseits ist Deutschland Mitglied der Vereinten Nationen,
der NATO, der EU, ist Mitgliedsstaat des Internationalen
Währungsfonds und der Weltbank, dabei bei den
Gipfeltreffen von G7 bis G30 – und andererseits immer noch
unter der Feindstaatenklausel der Vereinten Nationen
stehend, ist damit völkerrechtlich faktisch vogelfrei, duldet
immer noch Soldaten der Siegermächte auf seinem
Territorium und überweist immer noch Geld zur Erstattung
der laufenden „Besatzungskosten“.
Damit das Denken hier noch etwas schwerer fällt, kann man
bei Wikipedia nachlesen, die herrschende Auffassung der
Völkerrechtswissenschaft
gehe
davon
aus,
die
Feindstaatenklausel sei längst obsolet und sie spiele
überhaupt nur noch in verschwörungstheoretischen
Diskursen eine Rolle.
Andererseits standen die Feindstaatenklauseln 1995 bei der
50. UN-Generalversammlung auf der Agenda. Mit der
Resolution
50/52
wurde
bekanntgegeben,
die
Feindstaatenklauseln seien obsolet und sollten in einer der
nächsten Sitzungen, bzw. so früh wie möglich (!) gestrichen
werden. 21 Jahre später stehen diese Klauseln immer noch in
der Charta der Vereinten Nationen. Ist es immer noch zu früh,
immer noch nicht möglich, sie tatsächlich zu streichen?
Wenn die USA, England und Frankreich auch im
Atomwaffensperrvertrag von 1969 erklärt haben, dass Art. 53
und 107 der UN-Charta kein Recht zur gewaltsamen
Intervention in Deutschland gewähren, dann sollte aber auch
bedacht werden, dass jeder Staat das Recht hat, jederzeit in
Ausübung seiner nationalen Souveränität von diesem Vertrag
wieder zurückzutreten. Eine Ewigkeitsgarantie ist der
Atomwaffensperrvertrag also nicht. Auch die Ostverträge, die
unter Willy Brandt ausgehandelt wurden und die einen
„Gewaltverzicht“ beinhalten, sind, vor allem wenn man die
russische Sicht berücksichtigt, wonach die Charta der
Vereinten Nationen „Das Völkerrecht“ ist, diesem Völkerrecht
untergeordnet.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45935451.html
Die Frage, die hier zu klären ist, lautet nicht, ob führende
Völkerrechtler die Feindstaatenklauseln für obsolet erachten,
sie lautet schlicht und einfach: Wie stehen die 45
Feindstaaten
Deutschlands
und
Japans,
die
als
Erstunterzeichner der UN-Charta sich das Recht vorbehalten
haben, ohne gesondertes völkerrechtliches Mandat in den
von ihnen als Feindstaaten angesehenen „Gebieten“ zu
intervenieren, wenn ihnen die Politik des „Feindstaates“
aggressiv erscheint, heute noch dazu. Würden sie von sich
aus darauf hinwirken, diese diskriminierenden Klauseln
schnellstmöglich zu streichen, es gäbe sie längst nicht mehr.
Es ist wie mit der Karte „Du kommst aus dem Gefängnis frei“
aus dem Monopoly-Spiel. Es ist eine Option. Man weiß nicht,
ob man sie irgendwann einmal brauchen kann, aber nur, weil
die Karte im Augenblick nicht gezogen werden braucht, wird
sie keiner ungenutzt in den Stapel zurücklegen, bevor das
Spiel entschieden ist.
Hier stößt man auf eine zunächst sonderbar anmutende
Begebenheit aus dem Jahr 1968. Damals marschierte die
Sowjet-Union in der Tschechoslowakei ein und beendete mit
militärischer Gewalt den so genannten „Prager Frühling“.
Wer sich jetzt fragt, was das mit den Feindstaatenklausel in
der UN-Charta zu tun haben könnte, muss sich daran
erinnern lassen, dass weite Teile der heutigen
Tschechoslowakei von 1939 bis 1945 als Reichsprotektorat
Böhmen und Mähren faktisch dem Feindstaat „Deutsches
Reich“ zugehörig waren und einen massiven Beitrag zur
Rüstungsproduktion für die Wehrmacht leisteten, während
die „Slowakei“ einen Schutzvertrag mit dem Deutschen Reich
abgeschlossen hatte.
Also bezog sich Breschnew zur Rechtfertigung seiner
Intervention auf die Artikel 53 und 107 der Charta der
Vereinten Nationen – und marschierte ein.
Dies wiederum führte zu heftiger Besorgnis bei Kurt Georg
Kiesinger, dem seinerzeitigen deutschen Bundeskanzler. Im
Protokoll der 138. Kabinettssitzung vom 18. September 1968
wurde festgehalten:
Der Bundeskanzler erörtert und bewertet die Erklärungen, die von den
Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich zur sog.
Feindstaatenklausel abgegeben worden sind. Die Frage sei in der
Öffentlichkeit zu stark in den Vordergrund getreten. Der
Bundeskanzler bittet das Kabinett um Zurückhaltung bei Äußerungen
in dieser Frage.
Siehe TOP 2 dieser Sitzung. - Die Sowjetunion hatte sich bei ihrem
militärischen Eingreifen in der Tschechoslowakei auf ihr
Interventionsrecht gemäß der Artikel 53 und 107 der Charta der
Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 (BGBl. 1973 II 431) berufen.
Die Bundesregierung zeigte sich besorgt über eine mögliche
Anwendung gegen die Bundesrepublik oder weitere Ostblockstaaten
und die Ressorts prüften in der Folge die juristischen
Auslegungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit dem NATOVertrag und dem zu unterzeichnenden und zu ratifizierenden
Nichtverbreitungsvertrag. Die drei Westmächte hatten versichert, dass
die sogenannten Feindstaatenklauseln die Sowjetunion nicht dazu
berechtigten, einseitig mit Gewalt in der Bundesrepublik zu
intervenieren.
Vgl. die Erklärungen der USA und Groß britanniens vom 16. und 17. Sept. 1968
in DzD V 2/2, S. 1258 f., sowie Aide-mémoire der britischen Regierung vom
20. Sept. 1968 in DzD V 2/2, S. 1265, vgl. Bahrs Aufzeichnung vom 11. Sept.
1968 in AAPD 1968, S. 1132 f., weitere Unterlagen in AA B 130, Bde. 2075,
2761, 4451, 5764, und AA B 150, Bde. 134 und 135, sowie AdsD, Depositum
Bahr, 1/EBAA000408. - Am 23. Sept. 1968 übermittelte die Bundesregierung
den drei Alliierten ein Aide-mémoire, in dem sie ihre Rechtsauffassung
erläuterte. Aide-mémoire in AA B 43-IIB2, Bd. 797.
Aus diesem Protokoll ist zu entnehmen, dass die drei
Westmächte der UdSSR das Recht absprachen, einseitig mit
Gewalt in der Bundesrepublik zu intervenieren. Klar, sie
hätten dann einen Anlass gehabt, die Bundesrepublik bis zum
Ural zu verteidigen, ebenso, wie die Westmächte wussten,
dass die Sowjet-Union bei einem einseitigen Einmarsch in die
DDR ihren Anteil am besetzten Deutschland bis in die
Pyrenäen verteidigt hätte. Die Tschechoslowakei hingegen
gehörte nach 1945 zu den Staaten des Warschauer Paktes. Da
war es den Westmächten, abgesehen von der Chance der
propagandistischen Ausschlachtung, völlig egal, wie
Breschnew sein Reich zusammenzuhalten versuchte.
Schließen Sie jetzt die Augen. Konzentrieren Sie sich auf
dieses Bild einer komplizierten Welt, voller Verträge und
Vereinbarungen, die, wenn auch manchmal bedrohlich, so
aber doch die Stabilität dieser Welt gewährleisten.
Wenn Sie die Augen wieder öffnen, wird dieses Bild zu Staub
zerfallen.
Sie werden feststellen, dass die Welt und die
Kräfteverhältnisse auf dieser Welt um keinen Deut anders
wären, gäbe es die Feindstaatenklausel nicht.
Auch Breschnew hätte sich 1968 nicht vom Einmarsch in die
Tschechoslowakei abhalten lassen, hätte ihm die UN-Charta
nicht eine Möglichkeit geboten, diese Aggression formal zu
rechtfertigen.
Wozu denn auch? Hält irgendetwas die USA und die Briten
davon ab, sich überall einzumischen, wo ihre Interessen
gefährdet sind? Durfte nicht selbst die Bundeswehr
völkerrechtswidrig in Jugoslawien mitbomben?
Foltergefängnisse werden errichtet, wenn die Meinung
herrscht, Folter sei nützlich für das Imperium. Staatschefs
werden gestürzt, ermordet, wenn die Meinung herrscht, ihr
Ableben sei nützlich für das Imperium. Hunderte von
schwerbewaffneten Drohnen schwirren überall am Himmel
und entladen ihre tödliche Raketenfracht auf bloßen
Verdacht hin. Heute werden friedliche Völker überfallen und
ausgeplündert, weil man ihnen die Demokratie bringen will.
Vor ein paar Jahrhunderten geschah das gleiche, weil man
den Völkern das Christentum bringen wollte. Faktisch hat
man ihnen einst gezeigt, wozu das Christentum fähig ist, und
heute zeigt man ihnen, wozu Demokraten fähig sind.
Die Wahrheit hinter dieser nun zerbröselten Mauer lautet
schlicht und einfach, dass einzig und allein das Ausmaß der
Fähigkeit, Gewalt auszuüben, darüber entscheidet, wer seine
Interessen durchsetzen kann.
Gesetze? Verträge? Völkerrecht?
Das sollte grundsätzlich alles auf Tabakblätter geschrieben
werden müssen, damit die Pfeife, in der sie geraucht werden,
etwas besser schmeckt.
Krieg begleitet die Menschheit durch ihre gesamte bekannte
Geschichte – und stets haben die Sieger die Geschichtsbücher
geschrieben. Daran hat sich auch im Zeitalter der Republiken
und Demokratien nichts geändert.
Und jetzt wird das Denken wieder sehr, sehr schwer.
Warum hat sich nichts geändert? Welches Interesse hat ein
für wenige Jahre gewählter Präsident, der außer seinem
Gehalt nichts weiter davon hat, einen fremden, souveränen
Staat mit Krieg zu überziehen, die Städte in Schutt und Asche
zu legen, die Bodenschätze zu rauben und die Bevölkerung
zugleich der Anarchie zerstrittener Terrorgruppen zu
überlassen?
Als Kriege noch von Monarchen geführt wurden, war jeder
siegreiche Krieg (aus der Sicht des Kriegsführenden) ein
sinnvoller Akt der persönlichen Bereicherung. Bisweilen blieb
auch für die Soldaten die Möglichkeit der Bereicherung, wenn
ihnen die Erlaubnis zur Plünderung gegeben wurde.
Im ersten Teil dieser Aufsatzreihe haben wir uns klar
gemacht, dass der Unterschied zwischen Siegern und
Verlierern daran zu erkennen ist, dass am Ende die Sieger
MEHR und die Verlierer WENIGER haben.
Wenn also ein kriegsführender Präsident und seine Generäle
und die Soldaten aller Ränge nach dem Krieg NICHT MEHR
haben, als sie ohne den Krieg gehabt hätten, wenn aber auf
der anderen Seite klar und deutlich zu erkennen ist, dass die
Verlierer WENIGER haben, als sie ohne den Krieg gehabt
hätten, wer hat dann den Krieg gewonnen?
Und wer hat den Krieg warum begonnen, wenn nirgends
jemand zu erkennen ist, der von seinem Sieg einen Nutzen
gehabt hätte?
Wird Obama nennenswert reicher geworden sein, wenn er im
November 2016 nach acht Jahren Krieg sein Amt als Präsident
der Vereinigten Staaten von Amerika niederlegen muss, um
den Stab an den Milliardär Donald Trump zu übergeben?
Und selbst wenn er etwas für sich gewonnen haben sollte,
dann doch niemals so viel, dass damit die andauernden Einsätze des US-Militärs und der US-Geheimdienste überall auf
der Welt gerechtfertigt werden könnten!
Nein, dafür würde ein Friedensnobelpreisträger keinen
einzigen Krieg führen. Oder doch?
Was hat er denn davon, wenn er keinen Krieg führt? Fließen
dann die eingesparten Militärausgaben in seine
Privatschatulle? Natürlich nicht.
Rein vom persönlichen wirtschaftlichen Standpunkt aus
gesehen, kann es dem Präsidenten der USA vollkommen
egal sein, ob er Krieg führt oder nicht.
Er hat so oder so nichts davon. Nothing.
Der mächtigste Mann der Welt? Kann wirklich mächtig sein,
wer sich nicht persönlich bereichern kann, obwohl er die
stärkste Streitmacht der Welt befehligt? Kann wirklich
mächtig sein, wer sich mit einem Präsidentengehalt zufrieden
gibt, obwohl die von ihm befehligten Truppen einen Staat
nach dem anderen abernten?
Oder sollten Kriege vollkommen unbemerkt inzwischen
wirklich einen anderen Zweck verfolgen als noch vor hundert
Jahren? Kann es sich der Präsident der Vereinigten Staaten
von Amerika leisten, jährlich mehr als eine halbe Billion Dollar
an Steuergeldern auszugeben, nur um weltweit humanitäre
Aktionen zu starten, um eine bessere, demokratischere,
gerechtere Welt herzustellen, soweit sein langer Arm reicht,
und so lange es nicht anders geht, eben mit militärischen
Mitteln?
Würden sich die amerikanischen Wähler das gefallen lassen?
Selbst auf Foodstamps angewiesen zu sein, und hungernd
den Rest der Welt retten zu müssen?
Das erscheint eher unwahrscheinlich.
Wie ist es aber bei David Cameron, Francoise Hollande,
Angela Merkel, und wie sie alle heißen, jene, die sich – mit
quantitativen Unterschieden zwar - letztlich vollkommen
gleich verhalten?
Verdient sich einer von denen eine goldene Nase beim
Mitspielen in der Achse der Willigen? Auch das kann wohl im
Großen und Ganzen guten Gewissens verneint werden. Was
da abfällt, sind eher Peanuts, da passen die Kollegen der
anderen Parteien schon auf!
Denken kann schwer sein.
Wer bereichert sich denn nun wirklich? Die Forbes Liste der
Milliardäre beginnt mit Bill Gates. 75 Milliarden Dollar hat er
mit Microsoft aufgehäuft, dann Marc Zuckerberg, 45
Milliarden per Facebook erobert, davon alleine 11 Milliarden
im letzten Jahr. Kann man deren Gewinne als Kriegsbeute
bezeichnen?
Indirekt ja.
Legen Sie jetzt die Sicherheitsgurte an und bringen Sie die
Sitzlehne in eine aufrechte Position. Wir gehen in den
Sturzflug über. Stürzen wir uns auf Marc Zuckerberg.
Nach den Angaben von Wallstreet Online steigerte Facebook
den Umsatz im Jahr 2015 auf 17,9 Milliarden Dollar. Der
Netto-Gewinn, nach Steuern, wurde mit 3,688 Milliarden USD
ausgewiesen.
Das ist viel. Sehr viel. Doch Zuckerbergs Vermögen stieg im
gleichen Zeitraum um 11,2 Milliarden Dollar.
Zwischen 3,7 Milliarden Gewinn und 11,2 Milliarden
Vermögenszuwachs klafft ein Loch in Höhe von 7,5 Milliarden
Dollar.
Ist Ihnen etwas davon bekannt, dass Marc Zuckerberg neben
Facebook noch weitere, außerordentlich ertragreiche
Unternehmen besitzt? Nein?
Wenn Sie davon überzeugt sind, dann werden Sie nicht vor
der Erkenntnis zurückscheuen, dass es sich nur um so
genannte Kapitalerträge handeln kann, die Zuckerberg
zugewachsen sind.
Kapitalerträge werden üblicherweise von Banken und
vergleichbaren Finanzinstituten „erwirtschaftet“. Wie
machen die das? Haben Sie jemals eine Bank gesehen, die
etwas Sinnvolles hergestellt hat? Brot, Strümpfe,
Fotoapparate, Autos oder Hochhäuser? Nein. Haben Sie
nicht. Das können Banken nicht. Damit geben Banken sich
nicht ab. Banken vermehren Geld.
Richtig. Banken vermehren Geld. Die Banken erzeugen ihren
Gewinn selbst. Niemand außer den Banken kann das, den
Gewinn selbst erzeugen. Jedes andere Unternehmen braucht
Kunden, die etwas kaufen, was dieses Unternehmen erzeugt
hat oder als Dienstleistung erbringt.
Banken nennen sich Dienstleister. Sie sind es nur in ganz
geringem Umfang. Da, wo Sie den Zahlungsverkehr, die
Überweisungen von Konto zu Konto übernehmen. Da
erbringen sie eine Dienstleistung. Alles andere, was sie tun,
tun sie nur zum eigenen Nutzen und zum Nachteil ihrer
Kunden.
Warum wird Marc Zuckerberg dann durch die „Arbeit“ der
Banken reich, wenn die Banken alles nur zum eigenen Nutzen
tun?
Eine gute Frage! Eine sehr gute Frage.
Ziehen Sie den Gurt noch etwas fester. Der Sturzflug geht
weiter.
Wenn es gelänge, genau in diesem Augenblick, in dem Sie
diese Zeilen lesen, eine vollständige Bestandsaufnahme über
alles Geld auf diesem Planeten zu machen, wenn also
feststellbar wäre, wie viele Dollars, Euros, Yen usw. sich
genau in diesem Augenblick in Form von Münzen, Banknoten
und Guthaben auf Girokonten liegt (Nicht auf Sparkonten!
Auf dem Sparkonto dokumentiert die Bank nur, wie viel Geld
sie dem jeweiligen Sparer schuldet!), dann stellen sich
unmittelbar zwei Fragen:
Wie ist dieses Geld entstanden?
Seit wann gibt es exakt diese Geldmenge?
Sie kennen die Antwort vermutlich selbst. Die Geldmenge, die
wir in einem Augenblick erfasst haben, gab es nur in diesem
einen Augenblick. Sie war einen Wimpernschlag vorher
anders und einen Wimpernschlag später schon wieder.
Damit die Geldmenge wachsen kann, müssen Banken Kredite
vergeben. Nur zur Erinnerung: Es entsteht dabei
„Bankengeld“, das dem Schuldner als Guthaben auf einem
Girokonto zur Verfügung gestellt wird, nachdem dieser sich
verpflichtet hat, es innerhalb der vereinbarten Frist zuzüglich
der vereinbarten Zinsen und Gebühren zurückzuzahlen. Kein
anderes Bankkonto, auch kein einziges Sparkonto bei dieser
Bank wird dabei verändert. Es wird nicht das Geld der
Einleger benutzt, um es dem neuen Schuldner als Kredit zu
überlassen.
Selbstverständlich kann die Geldmenge aber nicht nur
wachsen, sie schrumpft immer dann, wenn ein Schuldner
seinen Kredit tilgt.
Ein zweiter Weg, die Geldmenge schrumpfen zu lassen,
besteht darin, dass sofort verfügbares Geld, Liquidität also,
auf Bankkonten „gespart“ wird. Der Sparer benutzt es nicht folglich kann es auch niemand anderes benutzen.
Der berechtigte Einwand lautet an dieser Stelle: Das stimmt
doch gar nicht. Die Bank hat es doch. Die kann es doch
ausgeben!
Auch wenn es weh tut, an dieser Stelle korrekt weiter zu
denken, wir müssen es wagen. Dabei wird uns als erstes
auffallen, dass sogar die im Feenpark „Unser heiles
Deutschland“ angesiedelten Wirtschaftswissenschaftler und
Statistiker einen Unterschied machen, zwischen so genannten
„finanziellen“ und „nicht finanziellen“ Unternehmen. Zu den
finanziellen Unternehmen gehören Banken, Versicherungen
und Pensionskassen, zu den nichtfinanziellen diejenigen, die
Waren produzieren und nichtfinanzielle Dienstleistungen
erbringen.
Im Weiteren werde ich statt finanzielle Unternehmen den
Begriff
„Finanzsektor“
verwenden
und
für
die
nichtfinanziellen Unternehmenden Begriff „Realwirtschaft“
verwenden, der allerdings auch die Konsumenten, als
notwendige Partner der nichtfinanziellen Unternehmen, mit
einschließt.
Zwischen dem Finanzsektor und der Realwirtschaft besteht
eine für Waren und Dienstleistungen, gemessen am
Bilanzvolumen des Finanzsektors, nahezu undurchlässig
Mauer. Der Verbrauch des Finanzsektors an Waren und
Dienstleistungen ist gering. Er umfasst lediglich die
Ausstattung für den laufenden Geschäftsbetrieb mit
Investitions- und Verbrauchsgütern, sowie den Energiebezug
und wenige Dienstleistungen, zum Beispiel von
Reinigungsunternehmen.
Wenn der Finanzsektor also von dem Geld, was Einleger bei
ihm parken, etwas in die Realwirtschaft zurückgeben will,
dann ist das mögliche Volumen einer solchen Verwendung
gering.
Gleiches gilt auch für Löhne und Gehälter der Angestellten,
einschließlich der Leitenden Angestellten. Auch die hierfür
aufzuwendenden Kosten machen nur einen Bruchteil dessen
aus, was an Einlagen bei den Banken ankommt.
Zudem muss noch eine andere Überlegung angestellt
werden. Würde der Finanzsektor das bei ihm geparkte Geld
verwenden, um damit in Anspruch genommene Leistungen
aus dem Bereich der Realwirtschaft zu bezahlen, müsste das
geparkte Vermögen der Anleger letztlich abnehmen. Das
Gegenteil ist der Fall. Die Anleger erhalten auf ihre Einlagen
normalerweise Zinsen1.
Es wird deutlich: Einlagen fließen nur in sehr geringem
Umfang in die Sphäre der Realwirtschaft zurück, und das auch
nur dann, wenn es einer Bank so schlecht geht, dass sie ihre
Aufwendungen nicht aus ihrem Ertrag bezahlen kann, wenn
sie also Verluste schreibt und damit zu einem Fall für die
Bankenrettung wird.
Wir haben also den zweiten Weg der Reduzierung der
Liquidität in der Realwirtschaft aufgezeigt und verstehen nun
auch besser, warum auch hochoffiziell eine deutliche
Unterscheidung zwischen dem Finanzsektor und der
Realwirtschaft gezogen wird.
1
Dass diese im Augenblick ausgesprochen gering ausfallen, ja sogar dazu neigen, negativ zu werden, ist nicht
normal – und es wird auch nicht so bleiben. Es spielt im Zusammenhang mit dieser Überlegung auch nur eine
untergeordnete Rolle.
Der Finanzsektor erzeugt nichts. Sein Ertrag hängt davon ab,
dass er Teile der Leistung der Realwirtschaft für sich
abzweigt.
Beim Finanzsektor, so wie er heute aufgestellt ist und
arbeitet, handelt es sich um eine parasitäre Subkultur
innerhalb der Gesellschaft, der es gelungen ist, alle Bereiche
dieser Gesellschaft zu dominieren.
Die Hochachtung vor den Bankern, die ihnen überall erwiesen
wird, gilt nur ihrer Macht, nicht ihren Machenschaften. Ihre
Macht ist grenzenlos, ihre Machenschaften sind skrupellos.
Wie skrupellos, wollen wir jetzt beleuchten, bevor wir den
Sturzflug in die Niederungen des Finanzsektors abbrechen
und wieder steil nach oben ziehen.
Denken Sie weiter mit.
Die Liquidität der Realwirtschaft wird durch Tilgung
bestehender Kredite und durch die Hortung nicht benötigter
Liquidität bei den Banken reduziert. Auch die von den Banken
geforderten Schuldzinsen reduzieren die Liquidität, weil sie
zusätzlich zu den anfänglich bereitgestellten Guthaben an die
Bank abgeführt werden müssen.
Nehmen wir an, unsere Augenblickserfassung der Geldmenge
hätte einen bestimmten, fixen Betrag ergeben, den wir der
Einfachheit halber nun als 100 Prozent ansetzen.
Wir wissen, dass diese 100 Prozent Liquidität nur existieren
können, weil ihnen in gleicher Höhe Kreditschulden
gegenüberstehen.
Nehmen wir an, diese Kredite hätten eine durchschnittliche
Laufzeit von fünf Jahren, es wären also jährlich 20 % Tilgung
fällig. Nehmen wir weiter an, der vereinbarte Schuldzins läge
bei durchschnittlich 5 % p.a., und nehmen wir zudem an, dass
der Realwirtschaft durch Sparleistungen jährlich 10 % der
jeweils verfügbaren Liquidität entzogen werden.
Dann ist die Liquidität nach dem ersten Jahr auf 65 Prozent
des ursprünglichen Wertes geschrumpft. Dennoch müssen
daraus immer noch 80 % der ursprünglich gewährten Kredite
zurückgezahlt werden.
Nach zwei Jahren sind noch 38,25 % der ursprünglichen
Liquidität im Markt, aber noch 60 Prozent der Kredite sind zur
Rückzahlung offen.
Nach drei Jahren verbleiben 21,25 % der Liquidität für 40 %
der Kreditforderungen.
Nach vier Jahren ist die Liquidität bei 1,06 Prozent
angekommen aber immer noch stehen 20 % der Kredite aus.
Abgesehen davon, dass die Realwirtschaft schon nach einem
Jahr
unter
der
fehlenden
Liquidität
vollständig
zusammengebrochen wäre, soll diese Betrachtungsweise
deutlich machen, dass es prinzipiell vollkommen unmöglich
ist, alle Kredite zurückzuzahlen, solange die Banken Zinsen
beanspruchen und die Hortung von Liquidität möglich ist.
Genau dies ist aber die Grundlage des Geschäftsmodells des
Finanzsektors! Aus der systemischen Verknappung der
Liquidität durch Tilgung, Zinszahlungen und Hortung ergibt
sich ein systemischer Zwang zur Neuverschuldung, um die
Liquiditätsversorgung der Realwirtschaft zu gewährleisten.
Und damit ergibt sich ebenso ein systemischer Zwang zu
immer weiter wachsenden Zinserträgen der Banken und ihrer
Eigentümer.
Realistischer sieht das vorangestellte Rechenbeispiel also so
aus.
Nach dem ersten Jahr wurde die Tilgung (20%) durch neue
Kredite ersetzt, außerdem wurden für den Liquiditätsverlust
aus Zins und Hortung weitere neue Kredite im Umfang von
15% erforderlich. Die Liquidität liegt bei 100 %, die
Verschuldung bei 115 %!
Nach dem zweiten Jahr sind Tilgungsleistungen im Umfang
von 23 % der ursprünglichen Liquidität erforderlich, die durch
Neuverschuldung kompensiert werden. Die Zinsbelastung ist
auf 5,75 % angewachsen, die Hortung blieb konstant bei 10%.
Liquidität also 100 %, Verschuldung 120,75 %.
Nach dem dritten Jahr sieht es so aus:
Liquidität 100 %, Verschuldung 126,79 %.
Nach dem vierten Jahr ergibt sich folgendes Verhältnis:
Liquidität 100 %, Verschuldung 133,13 %
Nach dem fünften Jahr liegt die Verschuldung bei 139,78%,
nach dem zehnten Jahr bei 178,40, nach zwanzig Jahren bei
290,60 %.
Kapital und Einlagen der Banken sind dabei von Null auf
190,6% der ursprünglich vorhandenen Liquidität gestiegen.
Nur dadurch, dass es das Privileg des Finanzsektors ist,
Liquidität aus Krediten bereitzustellen, ein Privileg, das sonst
niemandem zukommt, sind gigantische Vermögen
angewachsen, die – in dieser Beispielrechnung – nach nur 20
Jahren doppelt so hoch sind, wie die ursprünglich in der
Realwirtschaft vorhandene Liquidität.
Wir werden jetzt den Sturzflug abfangen, um nicht auf dem
Boden der Tatsachen zu zerschellen, werfen aber noch einen
letzten Blick auf Marc Zuckerberg. Jene 7,5 Milliarden Dollar,
die Marc Zuckerbergs Vermögen alleine im vergangenen
Jahre - über den Gewinn aus Facebook hinaus - gewachsen
ist, sind ein Teil des Ertrags jener gigantischen Maschine,
welche die Liquiditätsversorgung der Realwirtschaft Jahr für
Jahr unerbittlich mit einem höheren Tribut belegt.
Es ist dabei vollkommen egal – und dabei sende ich einen
herzlichen Gruß an unseren lieben Finanzminister Wolfgang
Schäuble – ob die Neuverschuldung vom Staat, von den
realwirtschaftlichen Unternehmen oder von den privaten
Haushalten geschultert wird. In Summe bleibt der Zwang zum
Schuldenwachstum gleich – und es ist absehbar, dass die
Schuldenlast eines Tages nicht mehr getragen werden kann.
Es ist nicht vergessen: Die Ausgangsfrage für diesen Exkurs
lautete, welches Interesse der Präsident der Vereinigten
Staaten von Amerika daran haben könnte, die Welt
permanent mit Kriegen zu überziehen, da es ihm nicht
möglich ist, sich dadurch auf nennenswerte Weise persönlich
zu bereichern.
Die Antwort ist einfach und offensichtlich, allerdings ziemlich
kompliziert, wenn man den Beweis führen will:
Die USA werden vom Finanzsektor dazu gezwungen, Kriege
zu führen, wenn sie nicht vollautomatisch im Elend
verkommen wollen.
Wie das Elend aussieht, haben wir in der Beispielrechnung
gerade betrachtet. Die Zinseszinsrechnung ist unerbittlich.
Der von den Schuldnern geforderte Tribut – für die gleiche
Leistung, nämlich unveränderte Liquiditätsversorgung wächst stetig, doch die Leistungsfähigkeit der Schuldner kann
nicht mithalten. Irgendwann ist jede staatliche Gesellschaft,
jede Volkswirtschaft am Ende der Fahnenstange
angekommen. Entweder der Finanzsektor verzichtet dann
freiwillig auf das weitere Anwachsen seines Anteils am BIP,
oder er muss gezwungenermaßen verzichten, weil er das
fruchtbare Fundamente der Realwirtschaft, von dem er sich
nährt, durch Überforderung schlagartig vollständig ruiniert.
Wenn die Erträge des Finanzsektors aber weiter wachsen
müssen, auch um zu vertuschen, dass das Ende der
Fahnenstange schon erreicht ist, muss auf Biegen und
Brechen eine
zusätzliche Verschuldung herbeigeführt
werden.
Dies geschieht auf zwei Wegen.
Einerseits müssen sich die USA als Staat massiv weiter
verschulden, um den Rüstungsetat finanzieren zu
können. Hierüber fließt zunächst einmal ein großer
Geldstrom in die Realwirtschaft, von dem zugleich ein
großer Teil von der blendend verdienenden
Rüstungsindustrie wieder abgegriffen und in den
Finanzsektor verschoben werden kann. Wo wäre der
Binnenmarkt der USA, würden statt 600 Milliarden
Dollar nur 100 Milliarden2 aus dem Militärhaushalt
hineingepumpt? Das würde – mit den Folgewirkungen in
der Zivilwirtschaft - ungefähr 8 Millionen Arbeitsplätze
kosten.
Andererseits müssen neue Investitionsmöglichkeiten
außer Landes gefunden und geschaffen werden, es
müssen auch Menschen fremder Staaten in die Pflicht
genommen werden, sich beim westlichen Finanzsektor
zu verschulden, nur, damit über die neuen Kredite die
alten, im eigenen Bereich aufgelaufenen Schulden noch
bedient werden können.
Vasallenstaaten, wie Deutschland, kann schlicht befohlen
werden, sich an der Rettung des Finanzsektors zu beteiligen.
Wie kamen denn die vielen Schrottpapiere aus dem Subprime
Sektor in die Bücher deutscher Banken? War das nur die
Blödheit unserer Banker? Sicherlich nicht. War es nur die
Blindheit unserer Regierung? Sicherlich nicht.
Der westliche Finanzsektor ist in sich so verflochten, dass
sogar ein ehemaliger Direktor des größten Finanzhauses der
2
Zum Vergleich: Russland gibt jährlich umgerechnet weniger als 70 Mrd. Dollar für das Militär aus.
Welt ohne erkennbaren Widerstand aus der EU zum Chef der
Europäischen Zentralbank ernannt werden konnte.
Und so hat der westliche Finanzsektor durch die Inszenierung
einer Krise dafür gesorgt, dass Teile der von den US-Bürgern
nicht mehr tragbaren Verschuldung auf die Bürger Europas
überwälzt wurden. Es hat doch hervorragend funktioniert!
Die deutsche Regierung wird dazu wohl die dringende
Empfehlung erhalten haben, die Bankenrettung zu
unterstützen, statt sich dagegen zu stellen. Die deutsche
Regierung wird auch die dringende Empfehlung erhalten
haben, unbedingt den US-dominierten Internationalen
Währungsfonds mit in die Troika aufzunehmen, um
gegenüber Staaten wie Griechenland einen harten
Verhandlungspartner an Bord zu haben, der sich nicht dem
Gedanken europäischer Solidarität verpflichtet fühlt.
So ist denn auch alles - nach ein paar verbalen Verrenkungen
für das Publikum - glatt und geräuschlos über die Bühne
gegangen. Deutschland schultert rund ein Drittel, die übrigen
Staaten der Euro-Zone teilen sich zwangsläufig den Rest, weil
das Schwergewicht Deutschland die Richtung vorgegeben
hat, und jede Weigerung unmittelbar das beschert hätte, was
den Griechen wiederfahren ist.
Noch mehr neue Investitionsmöglichkeiten bieten sich
aber überall da, wo eine bestehende Infrastruktur durch
einen Bombenkrieg ebenso zerstört wurde, wie die
bestehenden Besitzverhältnisse. Nirgend kann so viel –
mit großzügig vergebenen Krediten des Finanzsektors –
in so kurzer Zeit mit so hohen Gewinnen wieder
aufgebaut werden, wie in einer vom Krieg vollständig
zerstörten Gegend! Und wenn dann auch noch
Bodenschätze in die Verfügungsgewalt westlicher
Unternehmen übergehen, dann sprudelt sogar wieder
die Geldquelle - und dafür muss sich dann das Ausland
verschulden. Pech gehabt. Ihr hättet ja einfach nur beim
Krieg mitmachen müssen, dann hättet ihr euch über
eure Banken auch einen Teil der Liquidität aus der
Neuverschuldung sichern können!
Der Begriff „Neue Aufschuldungsgebiete“ trifft den Nagel auf
den Kopf. Die einen müssen ihre neuen Aufschuldungsgebiete
mit Krieg überziehen, um sie gefügig zu machen, während
andere mit der Erweiterung eines gemeinsamen
Wirtschaftsgebietes um immer neue Mitgliedsstaaten das
gleiche Problem lösen. Die EU-Osterweiterung hat Millionen
neuer Schuldner in die Arme des westlichen Finanzsektors
getrieben. Die Aufnahme der Türkei, die jetzt noch von vielen
abgelehnt wird, wird zwangläufig kommen müssen, wenn das
Kreditgeldsystem der Euro-Zone wieder vor dem Kollaps
steht.
Ende der Fahnenstange?
Nein.
Es gibt noch eine Steigerung. Wir sind schon mitten drin, aber
kaum jemand bemerkt die finale Ekstase des Raubzugs des
Finanzsektors.
Mehr dazu demnächst im vierten Teil.