Banken brauchen neues Bewusstsein - GLS-Bank

POSITIONSPAPIER
Banken brauchen neues Bewusstsein
Die Banken sind zu sehr mit sich beschäftigt. Dabei
vergessen sie die Zukunftsfragen der Gesellschaft.
„Quo vadis, Banking?“ oder „Digital und dynamisch – die
Bank von morgen“: Wenn sich die Branche auf Konferenzen
trifft, wird ausführlich über die heftigen Umbrüche im
Bankgeschäft diskutiert. Die Ziele bleiben dabei dieselben
wie früher: Wachstum und Rendite. Die entscheidenden
Zukunftsfragen – etwa die ungerechte Vermögensverteilung
oder der Klimawandel – werden dagegen gar nicht
thematisiert.
Über die eigentlichen Herausforderungen ist man sich einig.
Erstens die Schatten der Vergangenheit, also der anhaltende
Vertrauensverlust der Banken in der Gesellschaft sowie die
daraus folgende Regulierung. Zweitens die Geldflutung durch
die Notenbanken in Verbindung mit dem niedrigen Zinssatz.
Und drittens die Digitalisierung. Der Tenor ist dabei einhellig,
egal ob sich die Vorstände von Deutschlands größten oder
kleinsten Banken äußern. Alle halten die Regulierung in all
ihren Details für übertrieben. Das sogenannte
„Niedrigzinsumfeld“ ist von Übel. Und technischen
Innovationen gehört die Zukunft.
Auch die GLS Bank widmet sich intensiv diesen
Veränderungen des Bankgeschäfts. Nur tut sie es mit einer
völlig anderen Ausgansfrage: Wie können wir gewährleisten,
dass Geld weiterhin dorthin gelangt, wo es in der
Gesellschaft gebraucht wird? Wo kann es sinnvoll wirken?
Wie eine „Portugiesische Galeere“
Der Philosoph Richard David Precht hat in einem Vortrag
über „Geld und Moral“ ein treffendes Bild gewählt. Er verglich
das Gebaren der Finanzbranche mit dem einer
„Portugiesischen Galeere“. Diese Qualle besteht aus
einzelnen hochintelligenten unabhängigen Organismen, die
sich mit ihren Tentakeln aneinanderketten – aber insgesamt
führungs- und orientierungslos durch das Meer wabern. Im
Bankgeschäft würde zwar viel über den Verfall von Moral und
Werten geklagt. Auf die Banker habe dies aber keinen
Einfluss, so Precht. Was nach seiner Analyse vollkommen
fehle, sei aus einer Gesamtintelligenz und einer
Gesamtverantwortung heraus Ziele zu erarbeiten und auf
diese allmählich zuzuwandern.
Die Finanz-Galeere treibt orientierungslos an allen
offensichtlichen Widersprüchen vorbei. In den vergangenen
Jahren sind etwa die globalen Geldvermögen deutlich
schneller gewachsen als die Wirtschaft. Händeringend wird
nach Anlagemöglichkeiten dafür gesucht. Eigentümer sind
schon seit Jahren aufgrund der überliquiden Märkte weder in
der Lage, ihr Vermögen real zu konsumieren, noch zu
investieren. Dieses Marktgeschehen hat zu den
Niedrigzinsen geführt, die wir gegenwärtig haben. Die
Notenbanken haben dies verstärkt – aber keineswegs
verursacht. Das Quantitative Easing der Europäischen
Zentralbank (EZB) hatte bisher keinerlei Auswirkung auf
Wirtschaftswachstum und Inflation. Auch der Einfluss auf das
Zinsniveau dürfte marginal sein. Dass dauerhaft zu viel Geld
im Markt vorhanden ist, ist eine bittere Erkenntnis und bedarf
einer gewaltigen Umstrukturierung unseres Bankensystems.
Darüber wird nicht gesprochen.
Digitale Innovationen gelten im Wesentlichen als positive
Zukunftsentwicklung, nicht nur im Bankensektor. Sie gelten
als einfach, flexibel und schnell. Nur drohen immer neue
Regeln und Vorschriften genau diese Entwicklungen
abzuwürgen. Denn die Banken müssen der Aufsicht
Unmengen von Daten liefern, Handlungsanweisungen
ausführen und ihre Prozesse darauf ausrichten. Das macht
wiederum eine ganz eigene Digitalisierung erforderlich, die
den Kunden keineswegs zugute kommt. Das kann sinnvolle
Investitionen verhindern und schränkt kreative
Finanzierungslösungen ein. Auch darüber wird nicht
gesprochen.
Finanzmarkt hat dienende Funktion
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat bei einem
Branchentreffen betont, der Finanzplatz Deutschland müsse
sich daran messen lassen, ob er seiner dienenden Funktion
für die Realwirtschaft nachkomme. Die Banken stimmen
dieser Aussage zwar zu. Aber wie das gelingen soll, ist völlig
unklar. Die einzig sinnvolle Aufgabe des Finanzmarktes ist es
doch, Geld dorthin zu bringen, wo Menschen es in der
Realwirtschaft brauchen. Dieser Aufgabe kann aber ein
Finanzmarkt nicht nachkommen, wenn er sich nicht mit den
gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen unserer
Gesellschaften beschäftigt. Im Gegenteil. Der Finanzmarkt
diskutiert lediglich darüber, dass die Realwirtschaft wachsen
muss. Das impliziert, dass letztendlich die Realwirtschaft dem
Finanzmarkt zu dienen hat. Das wird nicht infrage gestellt.
Gerade die hochentwickelten Gesellschaften müssen heute
die Frage beantworten, wovon wir mehr brauchen und wovon
möglicherweise nicht. Umbrüche können derzeit oft
deswegen nicht in der notwendigen Art und Weise
vorangebracht werden, weil es an Finanzierung fehlt. Wenn
der Finanzmarkt eine dienende Funktion für die
Realwirtschaft hat und dies, wie Schäuble sagt, der einzige
Maßstab ist, dann muss man sich die Fragen stellen:
• Wie finanzieren wir den Stopp der Klimaerwärmung und
lösen die Energiefrage?
• Wie finanzieren wir die Neugestaltung der weltweiten
Ernährung, ohne die natürliche Bodenfruchtbarkeit weiter
zu zerstören?
• Wie finanzieren wir die notwendigen InfrastrukturInvestitionen?
• Wie finanzieren wir neue Mobilitätskonzepte?
• Wie finanzieren wir die Verbesserung unseres Bildungsund Kulturwesens?
• Wie finanzieren wir die Integration und Inklusion von
Migranten und Flüchtlingen?
Die Bankkunden von gestern erwarteten vornehmlich eine
sichere, ertragreiche Geldanlage, eine günstige Finanzierung
sowie einen einfachen, gut funktionierenden
Zahlungsverkehr. Als Bürger von heute und morgen fragen
sie nach Lösungen für die großen Zukunftsaufgaben – und
deren Finanzierung. Sollten die Banken darauf nicht
reagieren, würde die Akzeptanz ihrer Geschäftsmodelle
gewaltig sinken.
Zudem wird das Misstrauen gegenüber dem Finanzmarkt
besonders dadurch befeuert, dass die Ungleichverteilung von
Geld und sonstigem Vermögen immer weiter steigt. Laut
einer Oxfam-Studie besitzen die 85 reichsten Menschen so
viel wie die ärmsten 3,5 Milliarden Menschen.
Das schadet auch den Vermögenden selbst. Es ist
offensichtlich, dass für vorgenannte Herausforderungen
erhebliches – vorhandenes – Geld eingesetzt werden muss.
Wer weniger Verschuldung will, muss eine realwirtschaftliche
Antwort geben, wo das Überangebot an Anlage suchendem
Geld hinfließen soll. Wenn zu viel Geld lediglich abstrakt
eingesetzt wird, führt dies – wie wir in der letzten Krise
gesehen haben – zu einem zerstörerischen Potential für die
Realwirtschaft.
Mehr Schenkungen und Stiftungsmittel
Schon aus langfristigem Eigeninteresse ist es daher
notwendig, dass sich der Finanzmarkt und die Vermögenden
intensiv mit der Finanzierungsfrage der großen
Herausforderungen unserer Zeit beschäftigen. Dies wird nicht
mit sicheren Anlagen möglich sein, sondern nur in
Verbindung mit erheblichen Risiken und letztendlich auch mit
viel Schenkungs- und Stiftungsmitteln. Insbesondere Letztere
sind in Europa im Vergleich zu den USA noch völlig
unterentwickelt. Die Vermögenden müssen sich in ganz
anderem Ausmaß als bisher an der Finanzierung öffentlicher
und meritiorischer Güter beteiligen. Tun die Eigentümer es
nicht, gefährden sie langfristig ihren Wohlstand.
Diese zunächst unlösbar erscheinenden Sachverhalte
spiegeln sich längst in den betriebswirtschaftlichen Daten der
Banken wieder. Dass Null- oder sogar Minus-Zinsniveau wird
sich so schnell nicht ändern. Es wird mittel- bis langfristig die
bisherige Art von Bankgeschäft, insbesondere in Bezug auf
Einlagen und Kredit, unfinanzierbar machen.
Diese großen widersprüchlichen Fragen sind scheinbar bei
den meisten Bankvorständen noch nicht angekommen. Die
einzigen Treiber von Umbrüchen sind Einsicht und Not. Es
bleibt darum zu wünschen, dass zukünftig endlich eine
Diskussion über die gesellschaftlichen Widersprüche
stattfindet. Nur so können wir die Umbrüche aktiv und
zielgerichtet gestalten. Wird die Finanzbranche das nicht tun,
treibt sie auf eine noch größere Not zu. Der notwendige
Umbruch wird langfristig kommen – so oder so!
Bochum, 17.11.2015
gez. Thomas Jorberg