Predigtmanuskript - Ev. Pfarrgemeinde Eutingen

Predigt „Mein Projekt – Gottes Projekt“
Predigttext (Neue evangelistische Übersetzung)
1
Bericht von Nehemia Ben-Hachalja: Im 20. Regierungsjahr des Artaxerxes hielt ich mich in der befestigten
Oberstadt von Susa auf. Im Dezember 2 kam Hanani, einer meiner Brüder, mit einigen Männern aus Judäa zu
mir. Ich fragte sie, wie es den Juden dort ginge, dem Rest, der dem Exil entkommen war, und erkundigte
mich nach Jerusalem. 3 Sie berichteten: "Die Juden dort in der Provinz leben in großer Not und Schande. Die
Mauer Jerusalems liegt immer noch in Trümmern und die Tore sind verbrannt."
4
Als ich das hörte, setzte ich mich hin und weinte. Ich trauerte tagelang, fastete und betete zu Gott im
Himmel. 5 Ich sagte: "Ach Jahwe, du Gott des Himmels, du großer und furchterregender Gott! Du stehst zu
deinem Gnadenbund und zu denen, die dich lieben und deine Gebote halten! 6 Hab doch ein offenes Ohr für
mein Gebet und sieh deinen Diener freundlich an. Tag und Nacht flehe ich zu dir für deine Diener, die
Israeliten. Und ich bekenne die Sünden, die wir gegen dich begangen haben, auch ich und meine Familie.
7
Wir haben uns schwer an dir vergangen; wir haben die Gebote, Gesetze und Anordnungen missachtet, die
du deinem Diener Mose gegeben hast. 8 Denk doch an das, was du ihm damals gesagt hast: 'Wenn ihr mir die
Treue brecht, dann werde ich euch unter die Völker zerstreuen. 9 Wenn ihr aber wieder zu mir umkehrt und
meine Gebote achtet und befolgt, dann werde ich euch wieder zurückholen, selbst die, die ich bis zum
fernsten Horizont verstoßen habe. Ich werde sie heimbringen an den Ort, den ich zum Wohnsitz meines
Namens erwählt habe.' – 10 Sie sind ja doch deine Diener und dein Volk, das du durch deine große Macht und
mit starker Hand befreit hast. 11 Ach Jahwe, erhöre mein Gebet und das Flehen deiner Diener, die dir
ehrfürchtig dienen wollen. Lass es mir, deinem Diener, doch heute gelingen, dass er bei diesem Mann
Erbarmen findet." Ich war nämlich Mundschenk beim König.
Einleitung
„Mein Lebensprojekt“ – dieses Thema habe ich für unsere Predigtreihe gewählt, mit diesem Thema wollen
wir uns heute und in den nächsten Wochen beschäftigen. Sicher betrifft Sie und euch dieses Thema sehr
unterschiedlich. Du bist vielleicht noch in der Schule, sagen wir mal in der 9. Klasse, und bist jetzt in den
Pfingstferien an verschiedenen kleineren privaten Projekten oder auch für die Schule. Ob du auch schon dein
Lebensprojekt nach dem Schulabschluss denkst? Oder du bist schon Student oder Azubi und denkst schon
sehr viel konkreter an deine berufliches Lebensprojekt, vielleicht sogar schon an Ehe, Familie und sonstige
persönliche Lebensprojekte. Andere stehen schon mitten im Berufsleben, Sie haben schon erwachsene
Kinder und haben auch im Beruf schon manches erreicht. Doch dann kommt die Frage: „Soll das, was ich
hier mache, wirklich mein Lebensprojekt sein?“ Wieder andere sind schon pensioniert, Sie haben ihr
berufliches Lebensprojekt schon abgeschlossen und beobachten die Lebensprojekte Ihrer Kinder und
Enkelkinder. Aber es müssen ja nicht immer die ganz großen Lebensprojekte sein. Unsere Gemeinde liegt
Ihnen oder dir immer wieder in den Ohren, wenn wir wieder Mitarbeitende für irgendein Gemeindeprojekt
suchen, und aus der Verwandtschaft oder aus den Vereinen kommen sicher auch immer wieder Anfragen zu
irgendwelchen Projekten. Machen wir mit oder wehren wir ab: „Ich hab schon genug am Hals!“? Und wenn
wir zugesagt haben – wie packen wirs an und wie bekommen wir es fertig?
Heute und in den nächsten Wochen hören wir über Nehemia. Der hatte auch ein großes Projekt – er sollte die
Mauern Jerusalems wieder aufbauen. Wie hat er es angepackt? Was können wir von ihm lernen? Welche
Ermutigungen bekommen wir aus dem Buch Nehemia? Damit beschäftigen wir uns heute und in den letzten
Wochen.
A) Offene Augen und Ohren (V1-3)
Für Nehemia beginnt sein Projekt ganz harmlos und unverhofft mit einem Verwandtenbesuch. In den Versen
1b-3 lesen wir:
Im 20. Regierungsjahr des Artaxerxes hielt ich mich in der befestigten Oberstadt von Susa
auf. Im Dezember 2 kam Hanani, einer meiner Brüder, mit einigen Männern aus Judäa zu mir.
Ich fragte sie, wie es den Juden dort ginge, dem Rest, der dem Exil entkommen war, und
erkundigte mich nach Jerusalem. 3 Sie berichteten: "Die Juden dort in der Provinz leben in
großer Not und Schande. Die Mauer Jerusalems liegt immer noch in Trümmern und die Tore
sind verbrannt." (Neue evangelistische Übersetzung)
“Exil?” – “verbrannte Tore?” – “Susa”? – “Jerusalem”? – Haben Sie auch nur Bahnhof und umsteigen
verstanden? Nehemia konnte mit diesem Bericht seiner Verwandten sicher eine ganze Menge anfangen.
Aber wir müssen uns erst einmal hineindenken. Gerade das Alte Testament berichtet vom ganz konkreten
Handeln Gottes in der Geschichte der Menschen. Deshalb kommen wir leider nicht drum rum, uns mit dieser
Geschichte zu befassen. Auch wenn du Geschichtsunterricht öde und langweilig findest, auch wenn Sie
sagen: “Ich bin doch nicht zur Geschichtsvorlesung in die Kirche gekommen!” – Då misset er durch!
Also, ich mache es so kurz wie möglich: Im Jahr 587 vor Christi Geburt eroberte der babylonische König
Nebukadnezar Jerusalem, ließ den Tempel Gottes und die Stadt in Flammen aufgehen und führte die oberen
Zehntausend als Gefangene ins Exil nach Babel. Die Israeliten waren geschockt. Nach dem damaligen
Denken schien erwiesen: Marduk, der Gott der Babylonier, ist stärker und mächtiger als Jahwe, der Gott
Israels, der über den Cherubim thront. Aber die Israeliten blieben nicht in der Verzweiflung stecken.
Langsam wurde ihnen klar: Unsere Niederlage war nicht die Schuld unseres Gottes, sondern wir waren
selber schuld. Wir haben Gott verlassen und unser Gott selbst hat die Babylonier geschickt, um uns zu
bestrafen. Aber unser Gott wird uns auch wieder befreien. Die Israeliten kehrten um zu ihrem Gott. In dieser
Zeit taucht auch erstmals die Bezeichnung „Juden“ auf – eine Bezeichnung für diejenigen Israeliten, die
wirklich ihrem Gott treu sein wollten.
Und tatsächlich: 52 Jahre später, im Jahr 539 wendete sich das Blatt: Die Babylonier wurden ihrerseits
besiegt von dem Perserkönig Cyrus. Der verfolgte eine ganz andere Politik als die Babylonier. Schon im Jahr
darauf gab er den Israeliten bzw. den Juden die Erlaubnis, in ihre Heimat zurückzukehren und den Tempel
wieder aufzubauen – wobei das Land Israel natürlich jetzt zum persischen Reich gehörte, das hatten die
Perser einfach von den Babyloniern übernommen. Die Heimkehrer trafen in Israel natürlich auf andere
Israeliten, die gar nicht verschleppt worden waren. Bald machte man sich daran, den Tempel wieder
aufzubauen. Im Jahr 515 konnte der neue Tempel eingeweiht werden und man begann auch, die Mauern
Jerusalems wieder aufzubauen. Aber „es kann der frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen
Nachbarn nicht gefällt“. Die Samariter behinderten den Wiederaufbau und konnten ihn schließlich ganz
stoppen. Warum diese Samariter keine guten Samariter waren, werde ich an einem der kommenden Sonntage
erklären.
Am heutigen Sonntag ist für uns viel wichtiger: Nicht alle Israeliten bzw. Juden hatten die Erlaubnis von
Cyrus genutzt, um in ihre Heimat zurückzukehren. Einige von ihnen hatten es in der Fremde zu etwas
gebracht. Daniel und seine Freunde waren Ratgeber und Beamte geworden, Die Jüdin Esther schaffte es
sogar zur persischen Königin, andere besaßen gut gehende Banken usw. So gab es seitdem Juden im Land
Israel und Juden in den anderen Teilen des persischen Reiches. Aber diese beiden Gruppen besuchten sich
gegenseitig.
Und genau um so einen Besuch geht es in unserem heutigen Predigttext: Nehemia hatte es zur hohen
Position des königlichen Mundschenks gebracht und lebte in der persischen Residenzstadt Susa, und er
bekam Besuch von seinem Verwandten Hanani, der in Israel lebte. Der erzählte Nehemia, wie es in
Jerusalem aussah. Und Jerusalem befand sich wirklich in einem schlimmen Zustand: 93 Jahre nach der
Rückkehr der Heimkehrer lag immer noch vieles in Trümmern, der Wiederaufbau war schon seit einigen
Jahrzehnten ins Stocken geraten. Auf Anfrage erzählt Hanani dies alles. Aber interessanterweise folgt kein
Hilferuf: „Nehemia, du hast doch eine einflußreiche Stellung als königlicher Mundschenk, kannst du
vielleicht ein gutes Wort für uns einlegen beim König?“ Oder wenigstens: „Wir haben hier eine Opferbüchse
dabei. Von deinem guten Gehalt als königlicher Mundschenk kannst du doch wenigstens etwas springen
lassen für den Wiederaufbau Jerusalems.“ Nein, von solchen Aufrufen um Hilfe lesen wir nichts in unserem
Text. Und doch hat Nehemia später entscheidendes zum Wiederaufbau Jerusalems geleistet, wie wir später
hören werden.
Bedrängen wir die Menschen manchmal vielleicht zu sehr? Sind die Leute schon gewohnt: „Wenn d’Kirch
kommt, dann wollen sie unser Geld oder dass wir irgendwo ehrenamtlich mithelfen oder dass wir wenigstens
sonntags in die Kirche kommen.“ Gerade vor ein paar Tagen habe ich es bei einem Geburtstagsbesuch erlebt.
Gegen Ende des Besuches meinte die Frau: „Na, Herr Pfarrer, sagen sie’s schon, dass wir öfter in die Kirche
kommen sollen. Sagen sie schon ihr Sprüchle.“
Aber reicht es, einfach nur sachlich zu berichten, z.B.: „Wenn Herr Henning Harde uns zum 31.8. verlässt,
dann haben wir niemanden mehr, der sich um das Layout von unserer Galluspresse kümmert. Dann wird
unsere Galluspresse in Trümmern liegen.“ Und dann wird sich schon von selbst jemand melden und helfend
einspringen? Oder werden nur alle dasitzen und denken: „Hoffentlich findet sich bald jemand!“ Oder müssen
wir erst jahrzehntelang alles in Trümmern liegen lassen, bis sich jemand erbarmt?
Nehemia hat sich wenigstens gefreut, Besuch zu bekommen und über die Situation in Jerusalem zu hören.
Damals war man froh über einen Besuch von weit her, denn so ein Besuch das war praktisch die einzige
Gelegenheit, Nachrichten von weit her zu bekommen. Heute werden wir von Nachrichten überflutet, über
Fernseher, Computer, Smartphone und viele andere Medien. Erst recht bei uns im Pfarramt bekomme ich
jeden Monat dicke Umschläge mit Info-Material und dem Vermerk: Zur Verteilung über die die Pfarrämter.
Wenn ich das alles in den Abkündigungen erwähnen würde, bräuchte ich eine halbe Stunde nur für die
Abkündigungen – und unser Schriftentisch würde zusammenbrechen. Und hinter vielen dieser Nachrichten
steht ausgesprochen oder unausgesprochen der Aufruf: „Helfen Sie! Spenden Sie!“ „Arbeiten Sie
ehrenamtlich mit!“
Da müssen wir umso sorgfältiger hinhören, offene Augen und Ohren haben: Was von diesen vielen Nöten ist
mein Lebensprojekt, oder wenigstens mein Projekt für die nächsten paar Jahre? Ich kann nicht „nur noch
kurz die ganze Welt retten“, aber ich kann offene Augen und Ohren haben, bis mir Gott zeigt, was mein
Projekt ist. Genau das hat Nehemia getan.
B) Ein Herz des Gebets (V4-10)
Aber dann kam ein wichtiger zweiter Schritt: Nehemia hat diese Informationen im Gebet verarbeitet. Er hat
nicht einfach die Ärmel hochgekrempelt, er hat auch nicht einfach seine grauen Gehirnzellen angestrengt und
Pläne geschmiedet. Er hat erst einmal seine Informationen im Gebet vor Gott gebracht. Das ist sicher auch
der wichtigste Schritt, wenn wir unsere Projekte beginnen. Das mag so einfach klingen, so trivial. „Naja, in
d’Kirche henn se’s halt immer vom Bete ...“ / „In der Kirche geht es eben immer ums Beten“ Und doch tun
wir es noch viel zu wenig. Das beginnt mit kurzen Gebeten zu Beginn unserer Treffen. Für meine Frau war
das einer der Kulturschocks, dass in Deutschland eine Probe des Kirchenchores oder einer christlichen Band
ohne Gebet beginnen kann, dass man beim Treffen eines kirchlichen Gremiums das Gebet vergessen kann –
so etwas wäre in Indonesien undenkbar, hier in Deutschland erleben wir es immer wieder.
Aber bei Nehemia ging es natürlich um mehr. Nicht nur ein kurzes Dreiminuten-Gebet und dann schnell an
die Tagesordnung. Er hat sicher länger gebetet, vielleicht mehrere Stunden. So wie das Gebet Nehemias in
der Bibel steht, kann man es in zwei Minuten herunterlesen. Aber im Original hat es sicher sehr viel mehr
Zeit gebraucht. Nehemia sagt sogar: „Tag und Nacht flehe ich zu dir” Nehemia hat sogar gefastet während
dieses langen Gebetes – vielleicht einen ganzen Tag von morgens bis abends, vielleicht sogar mehrere Tage.
Es gibt ja viele Gründe zu fasten: Die einen fasten, damit sie schlanker werden, in manchen Religionen wird
Fasten auch als gutes Werk betrachtet. Aber Nehemia fastet einfach, um seine tiefe Betroffenheit zum
Ausdruck zu bringen. Er wollte sich einfach nur auf das Gebet konzentrieren und sein Gebet nicht zum Essen
unterbrechen.
Nehmen wir uns Zeit für solches gründliches, ernsthaftes Gebet? Ich gehe am liebsten in den Wald, wenn ich
wirklich gründlich und lange beten will. Manchmal lasse ich dabei auch das Essen ausfallen. Am letzten Tag
vor meiner Abitursprüfung z.B. habe ich einen ganzen Tag von Morgens bis Spätnachmittags im Wald
gebetet und habe das Mittagessen ausfallen lassen. Oder als ich 2011 angefragt wurde, Pfarrer in
Deutschland zu werden, da bin ich oft für mindestens 1-2 Std. in den Wald gegangen und habe intensiv
gebetet, im Prinzip mehrere Jahre lang – bis mir klar wurde: Das ist jetzt mein Projekt, dafür muss ich andere
Projekte aufgeben. Von solchem intensivem Gebet haben wir auch vorher in der Evangelienlesung aus Lukas
18 gehört. Wie diese arme Witwe sollen wir Gott in den Ohren liegen.
Was mir weiter auffällt an dem Gebet von Nehemia: Er ist solidarisch mit seinem Volk. Nehemia war sicher
ein frommer Mann. Dennoch betet er: „Und ich bekenne die Sünden, die wir gegen dich begangen haben,
auch ich und meine Familie. 7 Wir haben uns schwer an dir vergangen; wir haben die Gebote, Gesetze und
Anordnungen missachtet, die du deinem Diener Mose gegeben hast.” Nehemia schimpft nicht über die böse,
schlechte Welt. Er weiß: ich gehöre doch irgendwie dazu, bin von dieser Welt mit beeinflusst, ich kann mich
nicht aus allem raushalten. Nehemia gebärdet sich nicht als der großartige Weltretter, der diesen armen,
verirrten Israeliten den richtigen Weg zeigen muss. Er ist sich bewusst: ich gehöre dazu. Welches Projekt wir
auch immer anpacken, es ist gut zu wissen: Ich bin nicht die Lösung für die Probleme dieser Welt, ich bin
auch ein Teil des Problems. Deshalb tun auch wir gut daran, zu beten: “„Und ich bekenne die Sünden, die
wir gegen dich begangen haben, auch ich und meine Familie. Wir haben uns schwer an dir vergangen; ...”
Aber Nehemia verlässt sich auch auf Gottes Güte und betet weiter: “Denk doch an das, was du Mose damals
damals gesagt hast: 'Wenn ihr mir die Treue brecht, dann werde ich euch unter die Völker zerstreuen. 9 Wenn
ihr aber wieder zu mir umkehrt und meine Gebote achtet und befolgt, dann werde ich euch wieder
zurückholen, ...” Martin Luther hat einmal gesagt: “Du musst Gott mit seinen Verheißungen die Ohren
reiben, bis sie heiß werden.” Das setzt natürlich voraus, dass wir Gottes Verheißungen, Gottes Versprechen
in der Bibel auch wirklich kennen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir täglich persönlich in der Bibel lesen.
Nur dann können wir in unseren Gebeten Gott seine Verheißungen vorhalten, z.B.: “Lieber Gott, du hast
doch gesagt, ich will dich mit meinen Augen leiten! Dann zeig mir doch bitte auch den richtigen Weg in
meiner Entscheidung.” (Psalm 32,8) Oder: “Himmlischer Vater, du hast doch in der Bibel versprochen, dass
denen die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Dann zeig mir doch auch bitte, wie mir diese Sache zu
meinem Besten dient!” (Römer 8,28)
Liebe Gemeinde, wir feiern heute das Trinitatis-Fest, wir denken besonders an die Dreieinigkeit von Gott
dem Vater, von Gottes Sohn und von Gottes Heiligem Geist. Aber in unserem Text aus dem Nehemiabuch
ist doch gar nicht die Rede von Jesus Christus, dem Sohn Gottes? Auf den ersten Blick nicht. Nehemia betet
zum Gott des Himmels, dem Schöpfer des Himmels und der Erde. Aber dieser allmächtige Wort sendet sein
Wort zu uns, und dieses Wort und diese Verheißung hält Nehemia Gott vor. Als Christen glauben wir:
Dieses Wort Gottes ist in Jesus Christus Mensch geworden. Und Nehemia wird in seinem Gebet von Gottes
Geist geleitet. So betet Nehemia zu dem dreieinigen Gott, auch wenn von Jesus und vom Heiligen Geist gar
nicht die Rede ist.
So wollen auch wir intensiv zu dem dreieinigen Gott beten, manchmal auch mit Fasten. Wir halten ihm seine
Verheißungen vor, aber wir sind auch solidarisch mit den Menschen um uns her und stellen uns nicht über
sie. Durch so ein Gebet merken wir, was wirklich unser Projekt sein soll. Da wird Gottes Projekt zu unserem
Projekt, wir sehen, welches von Gottes Projekten unser Projekt werden soll.
C) Füße, die sich in Bewegung setzen (V11b)
So kommt Nehemia am Ende seines Gebetes zu dem Schluss: „Lass es mir, deinem Diener, doch heute
gelingen, dass er bei diesem Mann Erbarmen findet.` Ich war nämlich Mundschenk beim König.” Nehemia
hat keine großartige Berufung erlebt, keine Berufung wie Mose oder wie der Prophet Jesaja. Weder kam eine
Stimme vom Himmel noch hat ihm ein Mensch gesagt: „Du musst etwas tun für den Wiederaufbau
Jerusalems“. Aber im Laufe des Gebets wurde Nehemia klar: Ich bin gefragt, ich soll meine Stellung als
königlicher Mundschenk benutzen, um mich für den Wiederaufbau Jerusalems einzusetzen. Ich soll nicht
allein beten, sondern auch etwas tun.
Ganz nach dem Grundsatz der niederländischen Christin Corrie ten Boom, die vielen Juden das Leben
gerettet hat: „Du kannst nie mehr tun als beten, bevor du gebetet hast. Aber du kannst immer mehr tun als
Beten, nachdem du gebetet hast.“ Mit diesem Grundsatz hat Corrie ten Boom sich eingesetzt für die Juden
und sie in ihrem Haus versteckt, als die Niederlande von den Nazis besetzt waren. Aber sie dabei auch das
Beten nicht vergessen.
Genau darum ging es auch Graf Zinzendorf in dem Lied „Wir wolln uns gerne wagen“, das wir vorher
gesungen haben. Dieses Lied wird uns in den nächsten Wochen als Themenlied begleiten. Darin heißt es:
1. Wir wolln uns gerne wagen,
in unsern Tagen
der Ruhe abzusagen,
die’s Tun vergisst. ....
2. Die Liebe wird uns leiten,
....
ob’s etwa Zeit zu streiten,
ob’s etwa Rasttag sei.
Zur Zeit von Graf Zinzendorf betonten viele evangelische Pfarrer recht einseitig die Gnade Gottes. Sie
sagten: „In der katholischen Kirche muss man sich den Himmel verdienen mit guten Werken. Aber in der
evangelischen Kirche verlassen wir uns nicht auf gute Werke, sondern allein auf die Gnade Gottes.“ Jeder,
der von guten Werken redete, war ihnen deshalb verdächtig. So fielen sie schließlich auf der anderen Seite
vom Pferd und vernachlässigten den tätigen Einsatz für Christus. Diese Haltung kritisiert Zinzendorf in der
Redewendung „Ruhe ..., die’s Tun vergisst.“
Heute gibt es immer noch Pfarrer, die so viel von der Gnade reden, dass man „das Tun vergisst.“ Aber es
gibt auch das andere Extrem, einen christlichen Über-Aktivismus in vielen Varianten: Einen christlichen
Polit-Aktivismus, einen Missions-Aktivismus, einen christlichen Öko-Aktivismus usw. Deshalb dichtet
Zinzendorf in der 2. Strophe:
2. Die Liebe wird uns leiten,
....
ob’s etwa Zeit zu streiten,
ob’s etwa Rasttag sei.
Natürlich meint er mit „streiten“ nicht, dass die Christen dauernd Streit haben sollen. „Streiten“ ist im
übertragenen Sinne gemeint, es steht für jeden energischen Einsatz für Gott und den Nächsten – und dabei
haben wir am allermeisten mit unserem „inneren Schweinehund“ zu streiten und zu kämpfen. Die Liebe wird
uns also leiten, wann es Zeit ist, dass wir Gott und den Nächsten etwas tun, uns ganz einsetzen. Und die
Liebe wird uns zeigen, wann wir ruhen dürfen, wann wir im stillen Gebet auf Gott hören sollen, wann wir
einfach ruhen dürfen und alles weitere Gott überlassen.
Um diese Ausgewogenheit ging es auch Nehemia: Er hat nicht einfach die Ärmel hochgekrempelt und
losgewurstelt, er hat erst einmal ausgiebig gebetet, sogar für mehrere Tage. Aber das Gebet hat ihn dann
auch schließlich dazu gebracht zu handeln. Aus dem Gebet wurde der Gedanke geboren: Ich muss mit König
über die Lage in Jerusalem sprechen, ich muss einen Weg zur Hilfe finden. Und dass dieser Plan gelingt,
dafür hat er gleich wieder gebetet.
Diese Ausgewogenheit brauchen wir auch für unsere Gemeinde. Wir stehen vor großen Herausforderungen,
wenn uns im Herbst sowohl Ehepaar Harde als auch unsere bewährte Pfarramtssekretärin Doris Schmidt
verlassen werden. Wir müssen sehen, wie es mit dem Mäuerach weitergehen kann, wenn die Kirche überall
sparen muss. Und nachdem wir uns der Fusion widersetzt haben, sagt man umso mehr: Jetzt müsst ihr sehen,
wie ihr allein klarkommt. Diese Herausforderungen lösen wir sicher nicht, indem wir alle nur faul auf
unserem Hintern sitzen bleiben. Aber wir lösen sie auch nicht in blindem Aktivismus. Wir brauchen die
Ausgewogenheit von Nehemia, zwischen Beten und Planen, zwischen Ruhe und Einsatz.
Das wünsche ich jedem von uns, jedem von Ihnen, jeden von euch und unserer ganzen Gemeinde: Dass wir
diese Ausgewogenheit finden, zwischen Ruhe und Einsatz, zwischen Beten und Arbeiten.
Schluss
So haben wir gehört, wie Nehemia sein Lebensprojekt gefunden hat. Gottes Projekt wurde zu seinem
Lebensprojekt: Der Wiederaufbau Jerusalems. Dazu brauchte Nehemia:
A) Offene Augen und Ohren
B) Ein Herz des Gebets
C) Füße, die sich in Bewegung setzen
Das braucht auch jeder von uns, um sein Lebensprojekt zu finden – oder auch nur das Projekt für die
nächsten paar Monate. So werden Gottes Projekte zu unserem Projekt. Und wenn wir uns alle mit dieser
Haltung in die Gemeinde einbringen, dann wird auch das Projekt unserer Gemeinde gelingen.
Welchen Plan Nehemia dann ganz konkret hat, das können Sie selber weiterlesen in Ihrer Bibel, im
2. Kapitel des Nehemiabuches. Aber noch besser, wir hören gemeinsam davon und machen uns gemeinsam
Gedanken, was dieser Plan für uns heute bedeutet – am kommenden Sonntag um dieselbe Zeit in Ihrer
Evangelischen Kirche.
Amen.