Lebenszeichen

Zwischen Willkommenskultur und
Abschottung
„Entängstigung als Zukunftschance?“
Lebenszeichen
Von Helena Pekalis
16.05..2016
O-Ton Asif:
Ich möchte der deutschen Regierung und den Deutschen danken! Für ihre
Aufgeschlossenheit und Offenherzigkeit. Sie haben mir so viel geholfen! Dabei hat
Deutschland die Flüchtlinge nicht eingeladen. Ich komme aus einem muslimischen
Land, bin aber Christ....
Sprecherin:
Der 39-jährige Suchmaschinenexperte Asif floh vor Gewalt und Verfolgung aus Pakistan.
Umso entsetzter war er über die massenhaften Übergriffe auf Frauen hier, in der Kölner
Silvesternacht.
O-Ton Asif:
Es hat mir wehgetan, und auch für viele andere im Asylheim war es ein Schock. Wir
sind tief verletzt, so wie jeder andere Deutsche auch.
O-Ton Anas:
Ich bin ein Muslim-Mann und mein Koran hat gesagt, ich muss alle die Frauen
respektieren. Und was passierte in Köln, Das ist nicht Islam! Das macht mir Angst!
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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Zwischen Willkommenskultur und Abschottung
„Entängstigung als Zukunftschance?“
Lebenszeichen
Von Helena Pekalis
16.05..2016
Sprecherin:
Der 36-jährige Syrer Anas hatte eine Apotheke in Damaskus bevor er im Krieg alles verlor.
O-Ton Anas:
Wenn ich habe nach Deutschland gekommen, ich suche eine neues Leben: Ich habe
nichts und die deutsche Leute geben mir alles. Die Flüchtlinge hier wir sind Besucher
hier in Deutschland und wir müssen respektieren, was Deutsche leben!
O-Ton Asif:
Und wir fordern, dass die Täter angeklagt und bestraft werden.
Sprecherin:
Welche Werte Asif und Anas selbstverständlich teilen, machten sie der deutschen
Öffentlichkeit vor kurzem deutlich - mit der Bitte, doch zu sehen, wie sehr Bibel und Koran
die gleichen Werte hochhalten. Gemeinsam mit zwei anderen syrischen Flüchtlingen
verfassten sie unterstützt vom Flüchtlingsrat in Duisburg einen offenen Brief an
Bundeskanzlerin Merkel, stellten ihn zum Unterschriftensammeln ins Internet und bekamen
prompt mehrere Drohanrufe. Doch Anas und Asif, der in seiner Heimat zwei Mordanschläge
von Islamisten überlebte, ließen sich von ihrem Anliegen nicht abbringen.
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Zwischen Willkommenskultur und Abschottung
„Entängstigung als Zukunftschance?“
Lebenszeichen
Von Helena Pekalis
16.05..2016
O-Ton Wolf-Dieter Just:
Also Köln war eine Katastrophe! Und zwar erstmal für die Frauen, die da eben Opfer
waren…
Sprecherin:
- aber auch für die Flüchtlinge, meint der evangelische Ethik-Professor Wolf-Dieter Just:
O-Ton Wolf-Dieter Just:
...und es ist eine Katastrophe für unsere Arbeit, die wir also seit Jahren versuchen, ein
flüchtlings-freundliches Klima zu schaffen in Deutschland und sehen uns jetzt
natürlich um Jahre zurückgeworfen.
Sprecherin:
Als Mitglied des Duisburger Flüchtlingsrates unterstützte er die Briefaktion. Aus allen
Bundesländern kamen binnen einer Woche über 1600 Unterschriften von Flüchtlingen
zusammen.
O-Ton Wolf-Dieter Just:
Und das war schon auch z.T. rührend, da ist dann noch so ein Brief angehängt
worden, wo ein Flüchtling nochmal über eine ganze Seite an Angela Merkel -'das
möchten wir doch bitte mitschicken!' - wo sie sich also vom Herzen gesprochen
haben, wie sehr sie das verabscheuen, was in Köln passiert ist und dass sie sich
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Zwischen Willkommenskultur und Abschottung
„Entängstigung als Zukunftschance?“
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Von Helena Pekalis
16.05..2016
auch dagegen wehren, dass sie als Flüchtlinge über einen Kamm geschoren werden
oder auch als Nordafrikaner oder Syrer, so wie das im Augenblick in den Medien ja
sehr stark passiert.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Mich hat das sehr betroffen gemacht, also Köln hat die Kultur verändert. Und ich
glaube, wir müssen zurück zu einer emotionsärmeren Behandlung dieses Themas
und dann zu einer Politik der ruhigen, gezielten Schritte- aber in Richtung
Menschlichkeit und nicht in Richtung Unmenschlichkeit.
Sprecherin:
Prof. Michael Paul Zulehner ist Religions- und Werteforscher.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Weil der Mensch ist nicht nur Emotion- er hat neben der Emotion einen Verstand und
er hat auch ein Herz!
Sprecherin:
Optimisten sind ihm zu blauäugig - Pessimisten zu schwarzmalerisch: Paul Zulehner geht
persönlich als Possibilist durchs Leben, mit offenem Blick für Möglichkeiten.
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Zwischen Willkommenskultur und Abschottung
„Entängstigung als Zukunftschance?“
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Von Helena Pekalis
16.05..2016
O-Ton Paul M. Zulehner:
Es ist immer die Realität durchwachsen, es gibt das Gute und das Böse, und zwar
nicht nur außen, sondern auch innen. Ich bin immer zugleich gefährdet, also es zieht
mich runter, - aber ich kann auch zugleich jede Situation nützen, ein Stück weiter zu
reifen. Es ist möglich, zu reifen- wenn ich mich auf diese Möglichkeit einlasse!
Sprecherin:
Kaum ein Thema sorgt derzeit so für ein Wechselbad der Gefühle wie die Flüchtlingsfrage.
Helfen oder abwehren? Zwischen Willkommenskultur und dem Ruf nach Abschottung
herrscht allgemeine Verunsicherung. Wie kommt es eigentlich, dass ein und dasselbe
Phänomen
so
unterschiedliche
Reaktionen
auslöst?!
Der
Wiener
Theologe
und
Religionssoziologe Zulehner wollte es genauer wissen und startete eine große OnlineStudie.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Und in mir selber habe ich sehr gemischte Gefühle- weil das ganz normal ist. Ich habe
aus meiner Forschung her ja auch das klare Bewusstsein, wenn man als Säugling
geboren wird, dann kommt man aus einem paradiesischen Mutterschoß und kriegt
eine kalte Welt ab, vor der man zunächst Angst hat, und dann muss ich Vertrauen
gewinnen. Und da helfen mir die Eltern und andere Begegnungen, - manchmal auch
Gott, würde ich jetzt als Theologe sagen - aber das gesamte Lebenskunstwerk ist:
dem Chaotischen, der Angst ein bisschen felsenfesten Boden des Vertrauens
abzugewinnen.
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Von Helena Pekalis
16.05..2016
Sprecherin:
3000 Teilnehmer antworteten auf Zulehners detaillierten Fragebogen nach den persönlichen
Ansichten und Empfindungen zum Flüchtlingsthema. Dabei kristallisierten sich drei große
Gefühlslager heraus: Die Zuversichtlichen, die sich meist auch auf irgendeine Weise
engagieren;
die
Besorgten,
die zwischen
Ängstlichkeit und
Zuversicht
hin- und
herschwanken und sich teils einsetzen oder raushalten; und als letzte Gruppe die
Verärgerten, die vor allem mit Abwehr reagieren.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Und die fürchten, dass das Ganze in einer Katastrophe endet. Und da hab ich eben
beobachtet, dass Menschen, die auf der Seite des Ärgers sind vermeiden, Gesichter
zu sehen und von einzelnen Frauen und Männern und Jungen und Alten zu reden,
und deswegen reden sie dann eher technisch: da geht eine Lawine ab, eine
Flüchtlingslawine; da ist ein Strom, der mitreißt, der Flüchtlings-strom. Und da
brauchen wir Stacheldrahtzäune und da muss Europa zur FESTUNG ausgebaut
werden- es ist schon interessant, dass dann zwei AfD-Politiker im Europarat sagen:
'und notfalls mit Schießbefehl!'. Und da muss ich sagen: Da ist das Christliche in
Europa endgültig gestorben.
Sprecherin:
Wenige Tage nach den Silvestervorfällen. Eisiger Wind fegt um den Kölner Dom. Doch die
jungen arabischen Männer lassen sich nicht abhalten. Klappernd vor Kälte, aber mit offenfreundlichem Lächeln überreichen sie Rosen an Passantinnen. Eine symbolische Geste der
Anteilnahme und Entschuldigung. Für etwas, das sie selbst gar nicht verbrochen haben!
„Syrer gegen Sexismus!“- auf Pappschildern und Transparenten zeigen syrische Flüchtlinge
hier, für welche Werte sie einstehen.
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„Entängstigung als Zukunftschance?“
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Von Helena Pekalis
16.05..2016
O-Ton Zakher Al-Mohammed:
Wir haben uns hier nicht nur für die Syrer versammelt, sondern für die Humanität im
Allgemeinen!
Sprecherin:
Es kamen Syrer aus verschiedenen nordrheinwestfälischen Städten zusammen. Der 27jährige Zakher Al-Mohammed, hatte die Kundgebung über Facebook initiiert. Er arbeitete vor
seiner Flucht als Redakteur eines Online-Magazins: „Positive Neuigkeiten aus der
arabischen Welt“.
O-Ton Zakher Al-Mohammed:
Was an Silvester passiert ist, liegt nicht an der Kultur oder der Religion! In allen
Kulturen und Religionen gibt es Gutes und Schlechtes, genauso wie es in jeder
Gesellschaft auch Kriminelle und ungebildete Menschen gibt. Manche Leute wollen
das Problem jetzt politisch instrumentalisieren gegen die Flüchtlinge und Ausländer,
aber wir müssen alle gemeinsam nach Lösungen suchen. Nur so kann die
Gesellschaft erfolgreich sein.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Angst ist auch in der Politik ein ganz wichtiges Thema- lange übersehen! ja.
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„Entängstigung als Zukunftschance?“
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Von Helena Pekalis
16.05..2016
Sprecherin:
Facettenreich sind die Gefühle und Argumente, die Paul Michael Zulehner in seiner Umfrage
untersucht hat. Dabei stieß er auf ein Phänomen, das sich - auch nach Ansicht anderer
Wissenschaftler
-
im
modernen
Leben
immer
weiter
ausbreitet:
Der
deutsche
Sozialwissenschaftler Heinz Bude spricht von einer „Gesellschaft der Angst“. Und der
französische Politologe Dominique Moisi bezeichnet - in seinem Bestseller über Gefühle, die
die Weltpolitik bestimmen, Europa als einen „Continent of fear“, einen „Kontinent der Angst“.
Zulehner verlangt nach einem Gegengewicht zu einer um sich greifenden „Politik der Angst“
in der Flüchtlingsfrage.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Und ich hätte ganz gern, dass wir eine Kultur sind, die auf dem Weg der
Menschlichkeit nicht nachlässt. Ich glaube, das ist für ein Land insgesamt ein
Markenzeichen, dass es viele Menschen- nicht nur in der Politik, sondern auch in der
Zivilgesellschaft, in den Pfarrgemeinden - gibt, die verstanden haben, dass der
Königsweg, ein Mensch zu werden, heißt: Ich verausgabe mich, ohne etwas
zurückzuerwarten.
Und so viele tolle Chancen, jetzt Mensch zu werden als in dieser Herausforderung der
Flüchtlingsfrage haben wir in unserem Land, auch in unseren Kirchen schon lange
nicht mehr gehabt.
Sprecherin:
Angst raubt Zuversicht. Um aber Zukunft gestalten zu können, findet Zulehner eine
Unterscheidung hilfreich: die zwischen diffusen Ängsten, die aus dem Bauch kommen und
einer realitätsbezogenen Furcht, die produktiv nach Lösungen drängt. Deswegen ruft er in
seinem gleichnamigen Buch dazu auf: „Entängstigt euch!“
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„Entängstigung als Zukunftschance?“
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Von Helena Pekalis
16.05..2016
O-Ton Paul M. Zulehner:
Und ich bin ein radikaler Gegner, dass wir das moralisierend machen und wir sagen 'ihr seid
schlecht, weil ihr Angst habt'- sondern ich sag: Nein, nein! ich versteh' das ganz gut, wenn
du Angst hast'! Aus meiner Studie weiß ich, dass die Angst vor allem dort ist, wo soziale
Abstiegsängste sind, und das ist eine absolut reale Angst – ich wünsche mir daher auch eine
Politik gegen die Angst und nicht eine Politik, die die Angst verstärkt, damit man gewählt
wird!
O-Ton Zakher Al-Mohammed:
Ich bin aus Syrien und lebe in Köln, weil es eine so offene Stadt ist. Die Menschen
hier sind sehr freundlich. Wir wollen hier eine neue Zukunft finden und niemandem
Probleme bereiten.“
Sprecherin:
So wie Zakher Al-Mohammed war auch Anwa bei der Aktion „Syrer gegen Sexismus“ dabei.
Er hat Philosophie in Aleppo studiert, war Kurdischlehrer im nun zerstörten Kobane und lebt
heute in Leverkusen.
O-Ton Zakher Al-Mohammed:
Sie können sicher sein, dass wir nicht einfach wegen des Geldes hier bleiben wollen.
Sondern wir wollen diesem Land, das uns so geholfen hat, auch etwas zurückgeben
und etwas zum Gemeinwohl beitragen. Ich hoffe, viele von uns wollen das.
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Zwischen Willkommenskultur und Abschottung
„Entängstigung als Zukunftschance?“
Von Helena Pekalis
Lebenszeichen
16.05..2016
O-Ton Paul M. Zulehner:
Ich würde mal erstens deutlich machen, dass diese sozialen Abstiegsängste nicht erst
mit
den
Flüchtlingen
gekommen
sind!
Das
ist
eine
brutale
Folge
der
Weltwirtschaftskrise, das verdanken wir natürlich auch unserem deregulierten
Banken- und Finanzsystem, das muss man sagen. Also ich denke, dass die Politik
eine Anstrengung machen muss in einem der reichsten Länder der Welt, dass wir
eine Politik machen - eine Arbeitsmarktpolitik, eine Wohnbaupolitik -, wo diese realen
Ängste der Betroffenen kleiner werden können! Das ist das erste, was die Politik
heute unbedingt machen muss- und wenn man das vernachlässigt, kriegen wir
wahrscheinlich diesen irrationalen emotionalen Krieg gegen die, die kommen und von
denen wir fürchten, die nehmen uns den Wohlstand weg, die nehmen uns die knapp
gewordene Arbeit weg, die nehmen uns alles weg, die bedrohen unsere Frauen...
also es ist schade! Ich glaube, diese Ängste sind sehr ernst zu nehmen und zu
bearbeiten.
Sprecherin:
Trotz Erfahrungen von Überfluss in Deutschland: Die Umfrageergebnisse des Wiener
Professors zeigen, wie Menschen hier von einem grundsätzlichen Mangelgefühl geprägt
sind: der Angst, zu kurz zu kommen.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Man kann ja geradezu den Marx umdrehen, der mal gesagt hat, 'wir haben die
Menschen auf das Jenseits vertröstet', aber diese Kultur vertröstet den Menschen auf
das Diesseits.
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„Entängstigung als Zukunftschance?“
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Von Helena Pekalis
16.05..2016
Sprecherin:
„Leben als letzte Gelegenheit“ - so zitiert Zulehner die Erziehungswissenschaftlerin
Marianne Gronemeyer. Der moderne Lebensstil wolle von einer Paradiesvorstellung nach
dem Tod nichts wissen und lasse kein Hintertürchen zum Himmel mehr offen. Deswegen
unternähmen viele Menschen den Versuch in der kurzen irdischen Zeitspanne dem maximal
optimierten Glück hinterherzujagen.
O-Ton Prof. Wolf-Dieter Just:
Also, meiner Wahrnehmung nach sind gar nicht so viele ängstlich im Blick auf
mögliche ökonomische Nachteile, sondern die sagen, das ist eine andere Kultur, ne
andere Religion und das ist fremd und davor haben sie Angst. Und sie nehmen auch
gar nicht wahr, dass die hier lebenden Muslime längst auch die Kultur auch
übernommen haben, wie sie hier existiert.
Sprecherin:
Gefühlt sind bald fast ein Drittel der europäischen Bevölkerung Muslime - das meinen
zumindest die Verärgerten aus Zulehners Studie über die Flüchtlingsfrage. Der errechnete
Prozentsatz der Vereinten Nationen liegt niedriger. Der Anteil der islamischen Bevölkerung
wird in Europa in den nächsten Jahren von 5 auf 6% steigen, heißt es.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Ich glaube schon, dass wir im sog. Christlichen Abendland, von dem ja auch in
Demonstrationen die Rede ist und das wir gerne retten möchten - jetzt ich weiß nicht,
vor wem?, weil ich habe mir immer gedacht:
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„Entängstigung als Zukunftschance?“
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16.05..2016
Das geschieht in Dresden, da hätte man das christliche Abendland vor dem
Atheismus retten können, das hätte ich gut verstanden - also ich hab mich dann
immer gefragt: Müsste man nicht sagen: 'Wir retten das Christliche im Abendland'?
Mit Blick eben auch auf diese latente Aggressivität und den Ärger, den man
herausspürt aus den Demonstrationen bis hin zu den mitgetragenen Galgen, die ja,
meines Erachtens wirklich deswegen gefährlich sind, weil wir aus der Forschung
wissen, dass wer mit Symbolen arbeitet, immer Leute findet, die das auch in die Tat
umsetzen.
Sprecherin:
Schon in seiner Zeit als evangelischer Pfarrer war der Bochumer Professor Wolf-Dieter Just
viel mit Flüchtlingen im Gespräch. Auch er stellt Angst fest bei Teilen der deutschen
Bevölkerung.
O-Ton Prof. Wolf-Dieter Just:
Das
wird
auch
von
der
Flüchtlingssolidaritätsbewegung
meines
Erachtens
unterschätzt: Ich denke, sehr viel von der Ablehnung von Flüchtlingen dahinter steht
sehr stark Angst vorm Islam. Der wird natürlich auch geschürt durch Terrorakte usw.
und Leute vermögen nicht zu differenzieren.
Sprecherin:
Just war maßgeblich beteiligt beim Ausbau des Kirchenasyls und ist seit 30 Jahren in der
Flüchtlingsarbeit aktiv.
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16.05..2016
O-Ton Prof. Wolf-Dieter Just:
Also die Unkenntnis, was den Islam betrifft, ist ungeheuer. Menschen können nicht
unterscheiden zwischen Islam und Islamisten und sind der Überzeugung, dass der
Islam also frauenfeindlich ist und ähnliches. Wenn man die Geschichte des Islam
bzw. die Entstehung des Korans betrachtet, dann ist es ja so, dass durch Mohammed
die Stellung der Frau enorm verbessert worden ist.
O-Ton Asif:
Sie haben ihre Religion und ich hab meine. In Pakistan habe ich als Christ mit
Moslems zusammengelebt und fühlte mich nicht schlecht dabei...
Sprecherin:
...erinnert sich Asif, der sich in seiner Heimat für Frauen- und Minderheitenrechte engagiert
hat.
O-Ton Asif:
Man kann versuchen, einander zu lieben und besser zu verstehen. Nicht alle
Moslems waren Terroristen. Aber in Pakistan sind die Extremistenorganisationen
stark verwurzelt. Man hat mich schlimm zusammengeschlagen und ich habe sieben
Messerstiche in den Kopf bekommen. Ich denke, so schlimm sind die Deutschen
nicht. Sie sind gute Menschen!
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16.05..2016
O-Ton Paul M. Zulehner:
Es
gibt
eine
unglaubliche
Ähnlichkeit
zwischen
Islam
und
Christentum,
zeitverschoben.
Sprecherin:
Ein Blick fast 400 Jahre zurück in die christliche Geschichte zeigt, wie gefährlich
Glaubensanhänger werden können. Die Reformation brachte einen der brutalsten
Konfessionskriege in Europa hervor: den 30jährigen Krieg. In manchen Kriegsgebieten
wurde bis zu 70% der Bevölkerung getötet – und das im Namen Gottes.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Das Christentum hat blutige Hände gehabt damals und hat LANGE gebraucht,
Europa z.B. um VERGEBUNG zu bitten für die wahnsinnige Beschädigung dieses
Krieges des Christentums gegen das Christentum. Und genauso führt der Islam heute
Krieg gegen den Islam. Als wäre Gott der, der uns erlaubt jetzt wie der IS einen sog.
Gottesstaat zu errichten! das ist eine unglaubliche Gottes-lästerung, im Namen Gottes
zu köpfen, zu kreuzigen, zu vergewaltigen und so. Das ist im Grunde genommen
genau das Gegenstück wofür nämlich auch der Islam steht: Nämlich dass Gott der
Allerbarmer ist- so beginnt jede Sure.
Sprecherin:
Zulehner und auch andere meinen, so wie die Kirche müsse sich heute auch der Islam
erneuern. Z.B. durch in Europa ausgebildete Imame, die mit der Lebensrealität hier vertraut
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16.05..2016
sind und besonders auf die sozialen und spirituellen Bedürfnisse der Jugendlichen eingehen
können- anstatt sie zu fanatisieren.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Die Rechte der Frauen, die Freiheit des Menschen, die Absage an die Gewalt- das ist
etwas, was im Innersten des Korans drinnen steckt. Und der Koran muss selbst
genauso exegetisch gereinigt werden wie die Christen die Bibel gereinigt haben, das
Alte Testament, um dann hin zu kommen zu dem, was allen Religionen gemeinsam
ist: Dass Gott nämlich ein Feuer der Liebe ist - aus dem nicht Vernichtung, sondern
Erbarmen hervorgeht!
Sprecherin:
Um Hasspredigern etwas entgegenzusetzen, errichtet jetzt auch die österreichische
Regierung fünf neue Lehrstühle für Islamische Theologie. In Deutschland gibt es bereits
Ausbildungsprojekte für fortschrittlich-liberale Imame, etwa in Münster und Osnabrück. Und
immer mehr junge, akademisch gebildete Muslime erheben ihre kritische Stimme. Weil sie
sich von den Moscheeverbänden einen emanzipierten und zeitgemäßen Islam wünschen,
den sie selbst mit aufgeklärter Hingabe praktizieren.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Und dann sehe ich diese unglaublich taffen und coolen jungen Frauen und jungen
Männer, die eine Glaubensstärke haben und mit einer Selbstverständlichkeit ihren
Glauben leben in aller Öffentlichkeit, was wir gar nicht mehr gewohnt sind, und
erschrecken. Wir erschrecken eigentlich letztlich nicht über die Stärke der anderen,
sondern über die Schwäche von uns selber!
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Zwischen Willkommenskultur und Abschottung
„Entängstigung als Zukunftschance?“
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Von Helena Pekalis
16.05..2016
Und wenn man einen Satz sagen muss, dann ist das Problem nicht der
glaubensstarke Islam in Europa, sondern das vor sich hin schwächelnde Christentum
in Europa.
Sprecherin:
Flüchtlinge bringen die Christen vielfach wieder ihrem Glauben näher, meinen selbst
Kirchenleitungen.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Die wir uns ja nicht ausgesucht haben, aber insofern sie mal jetzt uns in die Nähe
kommen, trifft das wohl zu, was Jesus sagt: Nächstenliebe! ist das Entscheidende an
deinem Christsein, sie sind jetzt also unsere Nächsten und ich kann mich da nicht
rausreden. Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes. Es gibt keine zwei Menschheiten!
Sprecherin:
Zulehner sieht in der Flüchtlingsfrage also auch eine große Chance, dass sich die Kirche auf
ihre elementare Berufung zurückbesinnt:
O-Ton Paul M. Zulehner:
Den Menschen vorzuleben, wozu Jeder erschaffen ist und eben dabei zu helfen, das
zu heilen, was ihn daran hindert: Und das sind die Ängste, die ihn böse machen.
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16.05..2016
Sprecherin:
Der Theologe erinnert an das Bibelzitat 'Ihr seid das Licht der Welt und das Salz der Erde'.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Wenn ein Mensch nicht beschädigt ist und schlecht erzogen ist und in einer dunklen
Kultur lebt, dann hab ich noch KEINEN getroffen, der nicht letztlich so ein wenig,
würden die Kirchenväter sagen, Gold im Herzen hat, das Gold der Liebe, das danach
drängt, sich im Leben auszubreiten - also die Menschen haben in der Tat durchaus
eine Sehnsucht, liebenswerte und liebende Menschen zu werden. Und so gesehen,
ist die Uraufgabe der Kirche, dass der Mensch von den selbst sich zugefügten und
den Anderen zugefügten Verwundungen geheilt werden kann.
Sprecherin:
Ein „therapeutisches Christentum“, wie es auch Eugen Drewermann vorschwebte, habe
schließlich auch Nebenwirkungen für die Kirche selbst. Menschennah statt moralisierend
könne sie sich vielleicht von den oft blutleeren Bänken erholen.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Alle Pfarreien jammern, dass sie keine Jungen mehr haben. DIE sind es, die an den
Bahnhöfen waren, die die Willkommenskultur gemacht haben, und ich glaube, wenn
endlich das Evangelium nicht nur in schönen Katechismen besungen wird, sondern
wenn es getan wird, und zwar handfest und dort, wo Not ist, dort werden sich junge
Menschen der Kirche anschließen und anderen sozialen Netzwerken auch
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16.05..2016
Wenn sich die Kirche erneuert dann eben durch diese Herausforderungen- nicht,
wenn wir in unserem Wohlstand bürgerlich-brav, religiös und fromm vor uns
hinsiechen.
Und ich glaube, wir müssen uns darauf einstellen, dass auch diese Spaltung der Welt
in reich und arm nicht mehr geht! Das ist die eigentlich Quelle von Unfrieden und
Krieg. Und solange es nicht Gerechtigkeit in den Zugängen zu dem gibt, was die
Völker zum Überleben brauchen, werden wir diesen massiven Migrationsdruck auf die
reichen Regionen der Welt haben.
Sprecherin:
Millionen Menschen sind vor Krieg und Gewalt, vor Armut und Perspektivlosigkeit auf der
Flucht. Wer nach Europa kommen, hier bleiben und integriert werden kann, ist ungeklärt:
eine Herausforderung, die an vielerlei Grenzen stößt. Für tragfähige Lösungen braucht es
nach Zulehner „eine couragierte Politik des langen Atems“, die sich mit Weitblick nicht nur an
europäischen Idealen, sondern auch an einer grundlegend ethischen Gesinnung ausrichtet.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Und wenn einer das nicht hat, dann macht er pragmatische Politik, die populistisch
wird und so unerträglich, dass jetzt bei uns in Europa Regierungen bei einem Institut
in
München
in
Auftrag
gegeben
haben,
zu
klären,
was
teurer
ist:
die
Stacheldrahtzäune oder die Flüchtlinge? Und heraus kam zu aller Überraschung: Die
Zäune sind billiger. Also können wir Zäune errichten, weil uns das wirtschaftlich
billiger kommt!
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Zwischen Willkommenskultur und Abschottung
„Entängstigung als Zukunftschance?“
Lebenszeichen
Von Helena Pekalis
16.05..2016
O-Ton Wolf-Dieter Just:
Ich meine, als Ethiker orientiere ich mich natürlich zunächst erstmal an den
normativen Vorgaben, nach denen unsere Gesellschaft funktionieren soll, sprich
Grundgesetz oder auch die Grundrechte-charta der Europäischen Union.
Die Menschenrechte sind ja orientiert an der Gleichheit und Würde aller Menschen
und das spielt immer weniger eine Rolle, sondern, was wir im Augenblick erleben hier
in Europa ist eine Zunahme nationalen Denkens und wenn wir jetzt auch noch die
Schengenbesitzstände aufgeben, indem wir Grenzen dicht machen, dann sind also
Jahrzehnte, in denen man dafür gekämpft hat, verloren gegangen.
O-Ton Paul M. Zulehner:
es gibt so viele Menschen, die heute durchaus der Meinung sind, wir dürfen über
diese großen Werte Europas wie Freiheit, wie Gerechtigkeit, wie Respekt vor den
Religionen und der Wahrheit- wir dürfen darüber nichts kommen lassen- auch nicht
über das Asylrecht, eine der größten Errungenschaften, die Europa zustande
gebracht hat!
Sprecherin:
Bertolt Brecht schrieb in den 30er Jahren die „Klage des Emigranten“.
Zitator:
„Ich aber lief bei Nacht durch einen Wald
Suchend ein Land, wo man uns nicht verfemt.
Doch bat ich wo um meinen Unterhalt
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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Zwischen Willkommenskultur und Abschottung
„Entängstigung als Zukunftschance?“
Von Helena Pekalis
Lebenszeichen
16.05..2016
Hieß man mich immer wieder unverschämt.
Ich bin nicht unverschämt: ich bin verloren.“
Sprecherin:
Der Theologe Paul Michael Zulehner fragt nach dem gesellschaftlichen Klima im
gewachsenen Europa der Religions- und Bewegungsfreiheit. Und er hofft auf eine
solidarische, gemeinsame Kultur und Frieden. Nötig sei eine Allianz über politische
Positionen
und
Konfessionen
hinaus.
Unkonventionell.
„Allumfassend.
In
diesem
universellen Sinne könnten alle, ob Gläubige oder Atheisten, zu „solidarisch Liebenden“
werden.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Ich glaube, dass ich die Wahl habe, entweder mich der Angst auszuliefern und in ihr
zu verweilen oder mich herauslieben zu lassen, aus diesem Angst-Eck herausheilen
zu lassen - und dann ist vieles möglich. Es ist immer mehr möglich, als wir für möglich
halten!
Sprecherin:
Auch Anas, der sich selber über Youtube Deutsch beibringt und seit über einem Jahr auf
einen Integrationskurs wartet, hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, bald auf Augenhöhe
etwas zur deutschen Gesellschaft beitragen zu können.
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Zwischen Willkommenskultur und Abschottung
„Entängstigung als Zukunftschance?“
Lebenszeichen
Von Helena Pekalis
16.05..2016
O-Ton Anas:
Ich hoffe, deutschen Lifestyle zu lernen. Was brauchen Deutsche von Flüchtlingen?
Bitte!, Lernen uns deutsche Leben!
Sprecherin:
Ebensowenig sein Freund Asif.
O-Ton Asif:
Wir haben als Flüchtlinge keinerlei Status, aber wir können bei dem Versuch
mithelfen, die Botschaft der Liebe zu verbreiten und den Hass beiseite zu legen. Mit
dieser positiven Geisteshaltung sollten wir weiter vorwärts gehen.
O-Ton Paul M. Zulehner:
Also ich glaube, wir sind in Zukunft religiös in Europa eine bunte Blumenwiese und
dass der Satz des großen Theologen Hans Küng stimmt: 'Es wird Frieden in der Welt
nur geben, wenn es Frieden auch zwischen den Religionen gibt', ja.
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