Schengen bleibt außer Kraft

Dinosaurier
ARNO BURGI/DPA - BILDFUNK
Braunkohlekraftwerke passen nicht
in ein modernes Energienetz. Sie sind
zu langsam, um auf wechselnden
Strombedarf zu reagieren. Benötigt
wird eine dezentrale Versorgung
durch viele kleine Kraftwerke.
Von Wolfgang Pomrehn
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Arbeitsprämie
Abstimmung
Auftragsarbeit
Alleingang
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Bundesregierung plant »Anreiz« für
Vor Eskalation: Am 5. Juni sollen in
Langzeiterwerbslose und GeringMazedonien Wahlen stattfinden.
qualifizierte. Ein Interview
Interview mit Andrej Hunko
Koalition einigt sich zu Leiharbeit
und Werkverträgen. Von Susan
Bonath. Siehe auch Seite 8
Saudi-Arabien will Wirtschaftspolitik
durch Ministerwechsel umkrempeln. Von Gerrit Hoekman
Superbehörde Europol
AP PHOTO/ERALDO PERES
Dilma Rousseff will
weiterkämpfen
JERRY LAMPEN/REUTERS
Europaparlament stattet EU-Polizeiagentur mit wesentlich mehr
Kompetenzen und technischen Möglichkeiten aus. Von Andrej Hunko
Ein Freund des deutschen Repressionsapparats: Der britische Direktor von Europol, Robert Wainwright, am 16. März 2011 in Den Haag
D
as Europaparlament hat am
Mittwoch in Strasbourg die
neue Europol-Verordnung
mit einer großen Mehrheit der Fraktionen angenommen. Vorher war der
Gesetzestext drei Jahre lang zwischen
dem Rat der Europäischen Union, der
EU-Kommission und dem Europaparlament beraten worden. Die Neufassung tritt im Frühjahr 2017 in Kraft,
allerdings werden viele der problematischen Regelungen schon jetzt im
rechtsfreien Raum angewandt.
Vorgesehen ist der Austausch von
Daten mit privaten Unternehmen. Dies
betrifft vor allem Internetkonzerne wie
Facebook, Google oder Twitter, mit
denen die Agentur mit Sitz in Den
Haag schon jetzt eine Art Stammtisch
eingerichtet hat: Eine bei Europol bestehende Meldestelle durchsucht das
Internet nach »gewaltverherrlichenden Inhalten« und beantragt bei den
Dienstleistern deren Entfernung. Zukünftig sollen die Unternehmen Per-
sonendaten der betreffenden Nutzer
übergeben, damit Europol gegen diese
ermitteln kann.
Anfangs arbeitete die Meldestelle
nur zu »islamistischem Terrorismus«,
3.200 Postings wurden gelöscht. Schon
seit geraumer Zeit verfolgt Europol
aber auch Facebook-Gruppen kommerzieller Fluchthelfer, über die viele
syrische Geflüchtete ihre Überfahrt
über das Mittelmeer organisieren. Das
führt zu noch gefährlicheren, unkontrollierten Fluchtrouten mit vermutlich
noch mehr Toten.
Viele der neuen Maßnahmen werden mit dem Kampf gegen »islamistischen Terrorismus« begründet. Rund
84.000 Personen werden hierzu in Datenbanken geführt, die Kriterien der
Speicherung sind aber unklar. Auch
sensible Informationen zu Kontaktpersonen werden erfasst.
Unter Anleitung des früheren niederländischen Geheimdienstchefs,
Wil van Gemert, hat Europol drei gro-
ße Zentren für die Bereiche Cyberkriminalität, Terrorismus und Migration
eingerichtet. Das zuletzt eröffnete
»Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung« kooperiert mit
der EU-Grenzagentur Frontex und
den Militäroperationen zur Migrationskontrolle im Mittelmeer. Europol
verdächtigt bereits 38.000 Personen
als »Schleuser«. Diese Zahl ist anzuzweifeln, denn es handelt sich vorwiegend um Geflüchtete, die bei der
Überfahrt kleinere Aufgaben übernehmen. Auch viele humanitär oder
politisch motivierte Fluchthelfer geraten mit solchen Meldungen unter
Generalverdacht.
Wir erleben einen rasanten Aufwuchs der Kompetenzen innenpolitischer EU-Agenturen. Zwischen dem
Beschluss und der Umsetzung von
Maßnahmen liegen manchmal nur wenige Monate. Diese Geschwindigkeit
macht eine gesellschaftliche und politische Debatte unmöglich.
Die Aufstockung von Europol bestätigt seit langem vorgebrachte Befürchtungen, denn sie steht in keinem
Verhältnis zu den parlamentarischen
Kontrollmöglichkeiten. Deutsche Polizeistellen gehören zu den »Power
Usern« bei der Lieferung und Abfrage
von Daten bei Europol. Dabei fungiert
als vermittelnde Zentralstelle das Bundeskriminalamt in Wiesbaden.
Seit Jahren kritisiert die Linkspartei
den Ausbau polizeilicher Informationssysteme und warnt vor einem »Data Mining«, wenn die verschiedenen Datensammlungen bei Europol miteinander
in Beziehung gesetzt werden. Möglicherweise umgeht das Bundesinnenministerium auf diese Weise die deutschen
Bestimmungen zum Datenschutz, denn
die gleichzeitige Suche in mehreren Datensätzen ist vom Bundesverfassungsgericht an hohe Auflagen geknüpft.
Andrej Hunko ist Europapolitischer
Sprecher der Linksfraktion im Bundestag
Schengen bleibt außer Kraft
BRD darf weitere sechs Monate Grenze zu Österreich kontrollieren
D
ie EU-Staaten haben Deutschland und vier weiteren Ländern eine Verlängerung ihrer
Grenzkontrollen im Schengenraum
erlaubt. Die Botschafter der 28 Mitgliedsstaaten billigten am Mittwoch
einen Vorschlag der EU-Kommission,
die Kontrollen bis spätestens November beizubehalten. Deutschland kann
somit weiter an der Grenze zu Österreich kontrollieren. Die Fortführung
der Kontrollen wird auch Dänemark,
Österreich, Schweden und dem NichtEU-Land Norwegen gestattet.
Im Schengenraum kann man normalerweise ungehindert reisen. Am
13. September 2015 hatte die BRD
als erstes Land Grenzkontrollen eingeführt und diese mehrfach verlängert.
Auf Basis der bisherigen Rechtsgrundlage wären sie für Berlin nur noch bis
zum Freitag möglich. Über Artikel 29
des Schengener Grenzkodex können
die Kontrollen aber nochmals um jeweils sechs Monate bis zu einem Maximalzeitraum von zwei Jahren ausgedehnt werden.
Die EU-Kommission will dies nun
nur noch einmal für einen SechsMonats-Zeitraum erlauben. Bundesinnenminister Thomas de Maizière
(CDU) hatte die Kontrollen ursprünglich nicht über Mitte Mai hinaus verlängern wollen. Die CSU-geführte
Regierung in Bayern drängte aber auf
Beibehaltung.
Nach dem EU-Beschluss müssen
die Grenzkontrollen »gezielt und begrenzt in Ausdehnung, Häufigkeit, Ort
und Zeit« erfolgen. Österreich darf
nach der Entscheidung die Kontrollen
an den Grenzen zu Ungarn und Slowe-
nien beibehalten. Im Falle Dänemarks
geht es um Fähren und Landübergänge nach Deutschland. Schweden kann
weiter in Häfen im Süden und Westen
sowie auf der Öresundbrücke kontrollieren und Norwegen gleichfalls in
Häfen mit Fährverbindungen nach Dänemark, Deutschland und Schweden.
Formal muss der Beschluss noch
abschließend im EU-Ministerrat gefasst werden. Dies wird Diplomaten
zufolge am Donnerstag am Rande des
Treffens der Entwicklungsminister in
Brüssel erfolgen. (AFP/jW)
Brasilia. Brasiliens Senat hat in der
Nacht zum Donnerstag über eine
Amtsenthebung von Präsidentin
Dilma Rousseff abgestimmt. Mit
einer Entscheidung wurde in den
frühen Morgenstunden (MESZ) gerechnet. Bei einer Mehrheit für das
»Impeachment« wäre Rousseff für
maximal 180 Tage von ihrem Amt
suspendiert. In dieser Zeit muss der
Senat endgültig über ihre Absetzung
entscheiden. Bis dahin tritt Vizepräsident Michel Temer, ein Widersacher der Staatschefin, an ihre Stelle.
Strittig ist jedoch, welche Befugnisse
Temer hat. Rousseffs Arbeiterpartei
(PT) hat beim Obersten Bundesgericht eine Klage eingereicht, durch
die es dem Übergangspräsidenten
verboten werden soll, Minister des
bisherigen Kabinetts zu entlassen.
Rousseff sei trotz Suspendierung
weiter im Amt, Temer dürfe deshalb
keine ihrer Entscheidungen aufheben, argumentieren die Kläger. Die
PT wertet die Amtsenthebung der
Präsidentin als Putsch.
(Agencia Brasil/AFP/jW)
Metallindustrie:
Weiter Warnstreiks
Frankfurt am Main/Köln. Unmittelbar
vor der fünften Tarifrunde in der
Metall- und Elektroindustrie hat
die IG Metall am Mittwoch ihre
Warnstreiks fortgesetzt. Zu den
rund 95.000 Teilnehmern aus
mehr als 416 Betrieben gesellten
sich 61.500 VW-Arbeiter, die für
ihren Haustarifvertrag vor die
Werkstore zogen. Seit Ende der
Friedenspflicht haben sich damit
nach gewerkschaftlicher Zählung
mehr als 700.000 Beschäftigte an
den Warnstreiks beteiligt
In Köln treffen sich am heutigen
Donnerstag IG Metall und Arbeitgeber zur möglicherweise abschließenden Verhandlungsrunde für
das mitgliederstärkste Tarifgebiet
Nordrhein-Westfalen. Die Gewerkschaft fordert für die bundesweit
3,8 Millionen Beschäftigten fünf
Prozent mehr Geld, die Arbeitgeber haben für 24 Monate Laufzeit
2,1 Prozent angeboten. (dpa/jW)
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1.832 Genossinnen und
Genossen (Stand 29.4.2016)
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