Brüssel erwägt Strafen im Flüchtlingsstreit

Raum schaffen mit Containern
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MITTWOCH / DONNERSTAG, 4. / 5. MAI 2016 · PREIS: 2,20 EURO · NR. 20.854*** · DIEPRESSE.COM
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FERNSEHEN
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Brüssel erwägt Strafen
im Flüchtlingsstreit
Dublin-Reform. Vorschläge
der Kommission für ein
reformiertes Asylwesen
sehen einen permanenten
Verteilmechanismus vor.
Wer sich nicht daran hält,
könnte sanktioniert werden.
Wien/Brüssel. Die EU-Kommission macht
Ernst. Am heutigen Mittwoch stellt die Brüsseler Behörde eine seit Langem erwartete
Reform der Dublin-III-Regelung vor, die sich
während der großen Flüchtlingswelle seit
Mitte vergangenen Jahres als weitgehend ungeeignet erwiesen hat. Das Papier dürfte bei
mehreren EU-Regierungen auf großen Widerstand stoßen – findet sich darin doch ein
brisantes Detail: Jene Mitgliedstaaten, die
die Aufnahme von Asylwerbern unter einem
geplanten, automatischen Verteilmechanismus verweigern, sollen künftig bestraft
werden, und zwar in Höhe von bis zu
250.000 Euro pro abgewiesenem Flüchtling.
Das berichtete die „Financial Times“
(FT) unter Berufung auf Diplomaten in Brüssel. Die Höhe der Strafzahlung könne noch
angepasst werden; die Idee sei aber, „die
Strafe wie eine Sanktion erscheinen zu lassen“, wird ein Beamter zitiert. Die Kommission selbst wollte dazu gestern keine Stellungnahme abgeben.
AUF EINEN BLICK
Die EU-Kommission will laut „Financial Times“
Länder, die sich künftig nicht an einer geplanten,
automatischen Umverteilung von Flüchtlingen
beteiligen wollen, finanziell sanktionieren. Ihnen
droht demnach eine Strafe von 250.000 Euro
pro zugewiesenem Schutzsuchenden.
Zu Flüchtlingsquotengegnern zählen vor allem
osteuropäische Staaten wie Ungarn oder Polen. Sie
laufen bereits jetzt gegen die im vergangenen Jahr
festgesetzte, einmalige Flüchtlingsquote von
160.000 in Griechenland und Italien gestrandeten
Menschen Sturm. Das Vorhaben ist der strittigste
Punkt einer geplanten EU-weiten Reform des
Dublin-Systems, das am heutigen Mittwoch in
Brüssel präsentiert wird.
Die drastische Maßnahme soll sicherstellen, dass ein permanenter Schlüssel zur
Umsiedlung von Flüchtlingen – der bei Überforderung eines Mitgliedstaats in Kraft treten
soll – auch in der Praxis funktioniert. Die
Vergangenheit hat ja gezeigt, dass die Solidarität unter den EU-Regierungen gerade in
der Flüchtlingsfrage enden wollend ist: So
wurden von jenen 160.000 in Griechenland
und Italien gestrandeten Menschen, über
deren Umsiedlung sich die Innenminister im
vergangenen Jahr per Mehrheitsbeschluss
geeinigt haben, bis zum 28. April gerade einmal 1441 tatsächlich verteilt.
Das liegt zum einen daran, dass einige
Länder – darunter Österreich – bereits im
Jahr 2015 eine überdurchschnittlich hohe
Zahl an Asylwerbern aufgenommen haben
und an der Verteilung vorerst nicht teilnehmen. Mehrere osteuropäische Mitgliedstaaten wie Polen, Tschechien oder die Slowakei
wollen von einem permanenten Mechanismus zur Umsiedlung hingegen gar nichts
wissen. Warschau und Bratislava haben gegen die im September beschlossene Umverteilung der oben erwähnten 160.000 Personen sogar Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht. Spätestens im
Oktober will der rechtskonservative ungarische Regierungschef, Viktor Orbán, in seinem Land zudem ein Referendum über die
geplanten Flüchtlingsquoten abhalten – und
sich auch auf diesem Weg gegen die Pläne
absichern.
Dublin-Grundprinzip bleibt erhalten
Das Kommissionspapier sieht laut „FT“ aber
keine komplette Umkrempelung des DublinSystems vor: So soll das Prinzip erhalten
bleiben, dass jenes Land für einen Flüchtling
verantwortlich ist, in dem dieser zum ersten
Mal europäischen Boden betreten hat. Wenn
die Anzahl der Migranten jedoch eine bestimmte Grenze übersteigt, setzt sich der
automatische Verteilmechanismus laut den
Plänen in Gang. Zudem plant die Brüsseler
Behörde, der EU-Asylbehörde EASO ein größeres Durchgriffsrecht bei der Abwicklung
von Asylverfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten zu überantworten.
Die neuen Vorschläge sollen dazu beitragen, das grenzfreie Schengen-System bis Jahresende wieder funktionsfähig zu machen.
Da der Schutz der EU-Außengrenze noch
immer nicht ausreichend sichergestellt ist,
Alltägliche Szenen
in Idomeni nahe der
griechisch-mazedonischen Grenze:
Flüchtlinge stellen sich
für Feuerholz an.
[ AFP ]
können die von mehreren Mitgliedstaaten
eingeführten Binnengrenzkontrollen bis November aufrechterhalten bleiben.
Die Zahl der in Griechenland ankommenden Flüchtlinge ist zuletzt aber ohnehin
deutlich gesunken. Im gesamten April strandeten laut UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR lediglich 3469 Menschen in
dem südeuropäischen Land. Zum Vergleich:
Im März waren es noch 26.971 Personen.
Visumfreiheit – unter Vorbehalt
Ein wesentlicher Grund für den deutlichen
Rückgang dürfte der EU-Flüchtlingspakt mit
Ankara sein, der vorsieht, dass alle in Griechenland gelandeten Flüchtlinge in die Türkei zurückgeführt werden. Im Gegenzug hat
Brüssel der Regierung in Ankara unter anderem eine Visumbefreiung für türkische
Staatsbürger bis Juni versprochen, die die
Kommission am heutigen Mittwoch empfehlen will – allerdings unter Vorbehalt: Denn
noch hat Ankara von 72 Bedingungen lediglich 64 erfüllt. So dürfte sich etwa die Ausstellung biometrischer Pässe noch länger
hinziehen. Die Türkei hat ihrerseits bereits
per Verordnung die visumfreie Einreise für
EU-Bürger aus allen 28 Mitgliedstaaten vorbereitet. Mitte Juni könnte ein Zwischenbericht aus Brüssel über weitere Fortschritte in
der Zusammenarbeit informieren. Mitgliedstaaten und EU-Parlament müssen dem Vorschlag zur Visumbefreiung für Türken dann
ohnehin noch zustimmen.
(aga)
2009 ging Servus
TV auf Sendung –
und versprach gehobene Unterhaltung. Jetzt wird der
Sender abgedreht,
weil er „wirtschaftlich untragbar“ ist.
Warum haben es
Privatsender neben
dem ORF so
schwer?
S. 23
ÖSTERREICH
Angst um die
Rechte der
Frauen
Eine Mehrheit der
Österreicher bezeichnet Gewaltbereitschaft von
Flüchtlingen gegenüber Frauen als
Problem. Auch das
Zusammenleben
mit Muslimen
wird kritisch
gesehen.
S. 9
PROGNOSE
Mehr
Arbeitslose
bis 2017
Die EU-Kommission
erwartet eine wirtschaftliche Erholung in Österreich. Da sich aber
mehr Menschen auf
Jobsuche begeben,
wird die Arbeitslosenquote weiter
steigen.
S. 15
NAVIGATOR
Veranstaltungen,
Radio & TV ... S. 11, 14
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[ Fotos: Corbis ]
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