PDF-Download - Katholische Kirche beim hr

1
hr2-kultur, Zuspruch am Morgen, Montag, 2. Mai 2016
Diakon Uwe Groß, kath. Kirche in Wiesbaden
Großherzigkeit
Sie sitzen in der Fußgängerzone in Wiesbaden und betteln. Oft liegt noch ein Hund
neben ihnen auf der Decke. Eine Hand streckt sich mir entgegen, zwei Augen schauen
mich bittend an. Besonders beschämt fühle ich mich, wenn da jemand vor mir kniet und
bettelt. Am liebsten weiche ich dem Blick aus, und nur manchmal werfe ich einem
Bettler etwas in seinen Hut oder seine Mütze.
Ein flüchtiger Blick in die Augen des Mannes oder der Frau und dann geht es weiter…
„Man kann nicht jedem etwas geben“, denke ich so bei mir, wenn ich an einem
vorbeigehe…aber ein besseres Gefühl hab ich doch, wenn ich ihm etwas gebe.
Einem anderen etwas geben, obwohl er kein Recht darauf hat. Großherzigkeit nennen
wir diese Tugend des Schenkens. Und das Gegenteil davon kennen wir auch, das ist
die Hartherzigkeit. Großherzigkeit zu üben, hat Jesus seine Freunde gelehrt. Er erzählte
ihnen einmal eine Begebenheit, die sich vor dem Tempel in Jerusalem zugetragen hat.
Viele Reiche sind dort in das Gotteshaus gegangen, manche von ihnen haben einige
Münzen in den Opferkasten geworfen. Die Spende tut ihnen nicht weh. Es ist das
Kleingeld, das sie für den Opferkasten hergeben. Dann aber kommt eine arme Witwe.
Auch sie wirft einige Münzen in den Opferkasten. Von dem wenigen was sie hat, gibt
sie trotzdem etwas her. Jesus kommentiert dies so: „Diese arme Witwe hat mehr getan
als alle anderen.“ (Lk 21,1-4)
Großherzigkeit hängt nicht davon ab, ob ich reich oder arm bin. Niemand ist so arm,
dass er einem anderen nichts geben könnte. Es kommt allein auf meine Einstellung an.
Ich bin immer wieder total erstaunt wie viel Großherzigkeit es auch schon bei Kindern
gibt: Wenn ich an meine Schüler in der Fastenzeit eine Spardose für Kinder in Afrika
austeile, dann gibt es immer ein paar, die schon nach wenigen Tagen mit einer prall
gefüllten Dose zurückkommen. Sie haben in ihre eigene Spardose gegriffen und auch
ihren Eltern und Geschwistern zum Spenden animiert.
In unserem Land ist die Spendenbereitschaft sehr groß. Egal ob beim Tsunami im
Pazifik, beim Erdbeben in Haiti oder bei der Hilfe für Flüchtlinge. Statistisch gesehen
spendet jeder der 80 Millionen Deutschen vom Kleinkind bis zum Greis 27 Euro pro
Jahr. Das macht über zwei Milliarden Euro insgesamt. Besteht also doch kein Grund für
ein schlechtes Gewissen wenn ich beim nächsten Mal am Bettler vorbeigehe? Ich
glaube, ich brauche kein schlechtes Gewissen zu haben.
Aber ich kann auch einfach nur großherzig sein, und das gibt mir ein richtig gutes
Gefühl.
Zum Nachhören als Podcast:
http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=22644