wAruM uNS TeILeN gLÜckLIcH MAcHT

philoSPIRIT
philoSPIRIT
ten überschüssige Lebensmittel kostenlos
anbieten, damit sie nicht im Müll landen.
20.000 bis 50.000! Dies ist die Zahl der
in einem durchschnittlichen modernen
Haushalt vorhandenen Einzelgegenstände.
Und über 90 % davon verwenden wir weniger als eine Stunde im Monat. Wir haben
gar nicht die Zeit, dies alles zu warten, zu
pflegen und so abzuarbeiten, dass es einen
spürbaren Nutzen bringt. „Konsum-Burnout“ nennt dies der Wachstumskritiker
Niko Paech. Übermäßiger Besitz belastet
und frisst wertvolle Lebenszeit. „Ich habe
festgestellt, dass mehr Krempel auch mehr
Stress bedeutet“, schreibt der US-Amerikaner Michael Kelly Sutton in seinem
Blog „The Cult of Less“. Er lebt mittlerweile mit 126 Dingen, 12 davon stehen
im Netz zum Verkauf bereit. Neben diesen „Minimalisten“ sind eine ganze Reihe
von Tausch-Plattformen entstanden, wo
Menschen ihre needs (was sie brauchen)
und ihre gives (was sie zu verschenken
oder teilen haben) einstellen. Nichts ist
zu skurril, um nicht einen neuen Besitzer
zu finden. Ein Luftschloss? Nein! Aber so
heißt der Umsonstladen in Würzburg. Mit
einem kompletten kostenlosen Sortiment
will diese Initiative „Dingen einen längeren
Nutzen geben, um Menschen, die Umwelt
und Ressourcen zu schonen.“
© Wavebreakmedia Ltd | Dreamstime.com
Warum uns teilen
glücklich macht
Ist Geiz noch geil? Leider ja! Aber parallel dazu bahnt sich ein neuer Trend seinen Weg: Share Economy
und Share Community, auf Deutsch KoKonsum. Nicht alles selbst besitzen, sondern nur Zugang
dazu haben. Es wird geteilt und geschenkt – von Autos, Kleidung, Büchern über Couchsurfing bis
zum Crowdfunding. Warum? „Weil es glücklich macht“, sagt eine leidenschaftliche Foodsaverin.
Von Mag. Hannes Weinelt
8 Abenteuer Philosophie / Nr. 1 42
1
57.000 Tonnen! Dies ist die Zahl der
jährlich in österreichischen Haushalten weggeworfenen – noch genießbaren – Lebensmittel. In einem durchschnittlichen französischen Supermarkt sind es
500 Tonnen pro Jahr, in der gesamten EU
90 Millionen Tonnen. Filme wie „Taste the
Waste“ oder „Plastic Planet“ zeigen die
fatalen Folgen unserer Konsumgesellschaft
mit ihrer Massenproduktion auf und haben
viele Menschen sensibilisiert. Und einige
zum Handeln animiert. Beispielsweise den
Produzenten von Taste the Waste, Valentin
Thurn: Er gründete nach dem Erfolg seines
Filmes die Onlineplattform foodsharing.de.
Mittlerweile können auch in Österreich,
der Schweiz und vielen anderen Ländern
Privatpersonen, Händler und Produzen-
Anderssein wollen
Bestehen all diese Initiativen rein aus
Weltverbesserern und Konsumverweigerern? Nein, längst haben diese Bewegungen
die bürgerliche Mittelschicht erfasst und
vor allem unter der jüngeren Generation
beginnt ein breites Umdenken. Mehr als
ein Umdenken ist es einfach eine andere
Lebenseinstellung: Lebensqualität vor Geld
und Karriere, weniger ist mehr, Qualität vor
Quantität bei Lebensmitteln und anderen
Produkten, Zugang zu den Dingen, anstatt
sie selber zu besitzen und einander begegnen und miteinander teilen. Das Netz und
vor allem die sozialen Netzwerke tun das
ihrige für diese neue Share Community.
Wenn aber nicht das Weltverbessern
der Hauptfokus ist, woher kommt dann
diese andere Lebenseinstellung? Zunächst
scheint es eine Gegenbewegung zum Main-
stream zu sein, ein Anderssein-Wollen.
Eine junge Generation und alternative
Denker, die sich aus den Zwängen der
Konsumgesellschaft befreien wollen, so
wie sich die 68er aus den Zwängen der
bürgerlichen Gesellschaft befreien wollten.
Während die 68er-Bewegung massive und
radikal revolutionäre Züge trug, können
wir bei der Share Community fast von einer
stillen Revolution sprechen. Aber hinter
jeder Revolution stehen Bedürfnisse. Für
diese im Überfluss geborene Generation
entsteht das Bedürfnis nach weniger. Für
diese im Wettkampf und Konkurrenzdruck
erzogene Generation entsteht das Bedürfnis nach Teilen und Miteinander. Für diese
mit Fast Food aufgewachsene Generation
entsteht das Bedürfnis nach Qualität. Für
diese mit Massenprodukten großgewordene Generation entsteht das Bedürfnis
nach Originalität. Für diese von Materialität und Haben umgebene Generation
entsteht das Bedürfnis nach Spiritualität
und Sein.
Und da ist noch etwas: Diese „stillen
Revolutionäre“ haben entdeckt, dass diese
neue, einfachere, stressfreiere, miteinander
teilende Lebensweise schlichtweg glücklicher macht. Warum dies so ist, vermögen
sie kaum zu erklären. Vielleicht, weil diese
Lebensweise generell näher am Leben und
Menschsein ist?
Anderssein müssen
Neben der stillen gesellschaftlichen
Revolution hat sich parallel eine andere
Revolution vollzogen, eine wissenschaftliche. Das darwinistische Paradigma der
Evolution durch Konkurrenz und Überleben des „Tüchtigsten“ wurde abgelöst
vom Paradigma der Evolution durch
Kooperation und Überleben derjenigen,
die sich zusammenschließen. Die Gemeinschaftsbildung scheint uns demnach in
den Zellen zu liegen. Schon die urzeitlichen Einzeller bildeten unter Stressfaktoren einen gemeinsamen Organismus aus,
sozusagen als Überlebensstrategie. Der
bekannte Gehirnforscher Gerald Hüther
bezeichnete in seinem Vortrag „Die transformierende Kraft der Liebe“ die These,
dass für die Weiterentwicklung der Lebens-
Nr. 1 42 / Abenteuer Philosophie 9
philoSPIRIT
NachDENKEN
„Wer die Ärmsten
dieser Welt
gesehen hat,
fühlt sich reich
genug zu helfen.“
Albert Schweitzer
10 Abenteuer Philosophie / Nr. 1 42
© Nyiragongo70 | Dreamstime.com
© Dolgachov | Dreamstime.com
formen Konkurrenz notwendig sei als die Wandel von unten
Teilens lautet anders: „Teile und herrsche“,
„größte Irrlehre, die je verbreitet wurde“.
Immer mehr Menschen erkennen, dass die uralte Formel des Beherrschens und
„Was wir für die Weiterentwicklung tat- ein Wandel – selbst wenn er als „Change“ Unterdrückens. Ihnen sei einmal mehr Goesächlich brauchen, ist die Begegnung und
zum Hauptmotto eines amerikanischen
thes Sprichwort ins Stammbuch geschrieben:
der Austausch“, belegte er im Weiteren Präsidenten erklärt wird – nicht von oben
„Entzwei und gebiete! Tüchtig Wort;
durch einen Versuch mit Pantoffeltierchen. kommt. Zu stark sind die Verflechtungen der
Verein´ und leite! Bessrer Hort.“
Konkurrenz führt nur zum Ausbau und
etablierten Systeme und Parteien mit den
zur Verbesserung der schon vorhandenen Waffen-, Industrie- und Wirtschaftslobbys. Großherzigkeit statt
Solidarität
Fähigkeiten, also zum Spezialistentum, was
So entstehen in Eigeninitiative unzählige
aber mit Weiterentwicklung nichts zu tun Projekte: Cohousing-Projekte, gemeinschaftDas heutige Schlagwort für eine Philohat. Lynn Margulis, die 2011 verstorbene
liche Landwirtschaftsprojekte, urbane Gar- sophie des Gebens und Teilens heißt SoliMitautorin der Gaia-Theorie, übertrug tenkulturen, selbstverwaltete Banken, lokale darität. Solidarisch sein bedeutet, etwas in
diese Beobachtungen auf
solido anzugehören, also so
die aktuelle Situation der
anzugehören, dass ich „für das
Menschheit: „Wenn wir die
Ganze“ bin. Wenn wir uns soliökologischen und sozialen
darisch erklären, bleibt immer
Krisen, die wir selbst herdie Frage: mit wem? Mit den
beigeführt haben, überleFlüchtlingen, mit den Asylanben wollen, müssen wir uns
ten, mit den Inländern, mit den
auf völlig neue und dramaReichen, mit den Armen? Der
tische Gemeinschaftsexpefranzösische Philosoph André
rimente einlassen.“
Comte-Sponville schreibt
Hier geht es also nicht
dazu in seiner „Ermutigung
mehr um ein Andersseinzum unzeitgemäßen Leben“:
Wollen, sondern um ein
„Der Missbrauch, den man mit
Anderssein-Müssen, wenn
dem Wort [Solidarität] heute
wir die aktuellen ökologitreibt, scheint mit vor allem
schen und sozialen Krisen
ein Hinweis auf unsere Unfämeistern wollen.
higkeit zu sein, die richtigen
Eine der führenden
Worte zu verwenden – denn sie
Stimmen afrikanischer
machen uns angst. Solidarität
Spiritualität, Sobonfu Somé
[…] ist […] ein zurückhaltenaus Burkina Faso, bezeichder Ersatz für Gleichheit, und
net Beziehung und Comfür Gerechtigkeit und Großmunity als wesentliche Eleherzigkeit, […].“
mente des Menschseins. Sie
Nennen wir das Kind also
erkennt „eine tiefe Sehnbeim Namen: „Wir brauchen
sucht unter den Menschen
Großherzigkeit.“ Descartes
des Westens, sich mit etwas
sieht darin das höchste Gut
Größerem zu verbinden –
für jedermann, es besteht „in
mit Gemeinschaft und
einem festen Willen, gut zu
Großherzigkeit macht Freude
Geist.“ Erziehung ist für
handeln, und in der Befriedisie ein Miteinander-Teilen
gung, die daraus erwächst“. Für
von Wissen, Erfahrungen, Lebenshaltun- Währungen, kollektive Alternativenergie- ihn ist Großherzigkeit Glück und versöhnt
gen innerhalb der gesamten Gemeinschaft anlagen, freie Kindergärten und Schulen, „die beiden gegensätzlichsten und berühmeines Dorfes. Die Eltern alleine sind dazu Tauschkreise und vieles mehr. „Yes, we can“ testen Meinungen der Alten, die der Epizu wenig. Und unsere Großstädte sind
bekommt hier eine besondere Bedeutung. kureer (diese erkennen das Vergnügen als
dazu ungeeignet. In ihnen leben wir nicht Es ist ein Wandel von unten. Dass die Herr- höchstes Gut) und die der Stoiker (Tugend
mit, sondern nebeneinander, in ihnen kön- schaften des Establishments und ihre Hand- als höchstes Gut).
nen Kinder auf den Straßen verwahrlosen, langer sofort Feuer schreien – von Sekten,
Der Großherzige erfreut sich eines festen
Obdachlose vegetieren, Alte und Kranke Nazis und Demokratiefeindlichkeit reden Willens, er ist frei. Frei von seinem klein
vereinsamt und unbemerkt krepieren.
und schreiben, hat Methode. Ihre Form des
karierten Ich. Und diese Freiheit ist Glück. ☐
Nr. 1 42 / Abenteuer
/ Abenteuer Philosophie 11