Manuskript downloaden

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Gabriel Fauré und seine Zeit (1)
Zwischen Kirche und Salon
Von Ines Pasz
Sendung:
Montag, 25. April 2016
Redaktion:
Ulla Zierau
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Mitschnitte auf CD
von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst
in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030
Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?
Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen
Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen
Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2
2
SWR2 Musikstunde mit Ines Pasz
Gabriel Fauré und seine Zeit (1)
Zwischen Kirche und Salon
Und da geht es in dieser Woche um den Komponisten Gabriel Fauré und seine
Zeit.
Heute um seine Anfänge in Kirche und Salon. Herzlich willkommen dazu sagt Ines
Pasz.
Indikativ
nach 10 Sekunden blenden
Als Gabriel Fauré 1845 geboren wird regiert in Frankreich noch Bürgerkönig Louis
Philippe.
Drei Jahre später fegt ihn die 48er Revolution vom Thron und für einen Moment
wähnen sich die Franzosen in dem Glauben die Zeit sei reif für eine Republik, ihre
zweite, was jedoch - mal wieder - ein Bonaparte verhindert.
Als Fauré knapp 80 Jahre später, 1924 stirbt hat die Welt sich grundlegend
geändert.
Der 1. Weltkrieg steckt noch allen in den Gliedern. Aber man ist froh, dass man
lebt, feiert den Beginn einer neuen Zeit, lässt sich irritieren, überraschen und
verführen.
Jazz, Kino, Charleston bei den einen, Zwölftonmusik, Bauhaus, radikaler
Expressionismus bei den Anderen, bei den Avantgardisten.
Fauré hat den ganzen Wandel miterlebt, auch mitgestaltet, allerdings nur bis zu
einem bestimmten Punkt. Nie schließt er sich einer Richtung an, oder gründet
selbst eine, und das, obwohl er Jahrzehnte lang unterrichtet. Er bleibt vor allem
bei sich, bei seinem Stil und schafft es trotzdem sich ständig zu verändern.
Welche Sprengkraft in seinem Werk liegt, welche Einflüsse sich darin
widerspiegeln, wie er seine Zeit prägt und sie wiederum ihn, das will die
Musikstunde in dieser Woche etwas genauer beleuchten und aufräumen mit
dem Image des schmusigen Salonkomponisten Fauré, der über Sicilienne und
Pavane nicht hinauskommt. Aber ja, Fauré schreibt durchaus für die Salons, mit
Vorliebe sogar. Aber welche Salons sind das? Die geistvollsten und kreativsten
der Welthauptstadt Paris. Und nicht umsonst liebt man dort vor allem die Musik
von Gabriel Fauré.
1‘50
Musik 1:
Fauré: Papillon
M0319747 016
2‘55
3
So leicht und entzückend wie ein Schmetterling, deshalb „Papillon“. Gabriel
Fauré hasste solche Etiketten bei seinen Werken, aber der Verleger konnte sich
durchsetzen und Fauré grummelt nur: „ Schmetterling oder Fliege, mir egal,
nennen Sie’s wie wollen“.
Es spielten der Cellist Gautier Capucon und Michel Dalberto am Klavier.
Die jungen französischen Musiker von heute fühlen sich Gabriel Fauré sehr nah,
spüren eine „geistige Verwandtschaft“, so der Geiger Renaud Caupucon und
glauben, dass sich das Wissen um und die Liebe zu dieser Musik vererben und
Gabriel Fauré ist Franzose mit jeder Faser.
Er stammt aus Südfrankreich, aus Pamiers in der Nähe von Toulouse. Seit ewigen
Zeiten gibt es hier den Namen Fauré. Irgendeiner der Faurés ergattert sogar
einen Adelstitel. Doch im 18. Jahrhundert verarmt die Sippe wieder und der Titel
ist dahin.
Als Gabriel auf die Welt kommt hat sich seine Familie bereits erholt. Sein Vater ist
immerhin höherer Beamter und verdient so gut, dass er seinen offensichtlich
musikalischen Jüngsten nach Paris schicken kann, auf eine Schule für
Kirchenmusik.
Neun Jahre alt ist Gabriel da alt und vorbei ist’s mit einer sorglosen Kindheit.
Er kommt auf ein Internat, ein geistiges und pädagogisches Zentrum für
Kirchenmusik, die „Ecole de musique religieuse et classique“. Gegründet wurde
sie ein Jahr zuvor vom gebürtigen Schweizer Louis Niedermayer. Er will nicht nur
begabte Kirchenmusiker heranziehen, sondern hat Größeres vor. Er will Frankeichs
Kirchenmusik retten, ihren Verfall aufhalten, so die Mission des Monsieur
Niedermayer.
Aber was ist eigentlich so schrecklich an dieser französischen Kirchenmusik? fragt
man sich. Sie ist völlig heruntergekommen, findet Niedermayer. Niemand
beherrsche mehr die alten Regeln, kenne einen gregorianischen Gesang, oder
die Kompositionsstile der großen Meister wie Palestrina, Schütz und Bach.
Niedermayer lässt die Knaben all deren Choräle singen, vermittelt ihnen den
theoretischen Überbau und sorgt für guten Unterricht in Latein, Geografie,
Arithmetik, Geschichte, Religion und Literatur. Und er engagiert ein junges,
kreatives Lehrerteam. Zuständig für das Fach Klavier ist ein gewisser Camille SaintSaens. Er wird zum Vorbild von Gabriel Fauré, sein Mentor und auf Lebenszeit sein
Freund.
Und Fauré arbeitet eifrig. Schon bald hagelt es Preise, in Solfège, Harmonielehre
und Klavierspiel, was sicherlich auch an seinem innig verehrten Klavierlehrer liegt.
Der übt mit ihm nicht nur Skalen, sondern weiht ein in die Geheimnisse der
zeitgenössischen Musik, erzählt ihm etwas von Robert Schumann, Franz Liszt und
Richard Wagner.
2‘45
4
Musik 2:
Wagner: Waldweben aus Siegfried
M0060241 012
2‘00
Eine Inspirationsquelle für Gabriel Fauré, das Waldweben aus Richard Wagners
„Siegfried“, hier mit den Berliner Philharmonikern unter Lorin Maazel.
Also auch Fauré unterliegt dem Zauber der Musik Richard Wagners, so deutschfeindlich Frankreich in dieser Zeit auch sein mag, Wagner steht darüber. Fast alle
französischen Komponisten sind irgendwann im Laufe ihres künstlerischen Lebens
berauscht von der sinnlichen Kraft dieser Musik, ihrer Kühnheit, ihrer Radikalität.
Dabei geht es ihnen gar nicht unbedingt um Wagners Metaphysik, auch nicht
um seine mitunter etwas zu plakative Leitmotivtechnik oder die epische Breite
seiner musikalischen Erzählkunst. Französische Komponisten lieben an Wagner
dessen unvergleichliche Melodik, seine Emotionalität, die ihnen wahrhaftig
erscheint und gleichzeitig verführerisch.
Später wenden sich manche wieder von ihm ab, oft aus idealistischen,
ästhetischen oder nationalistischen Gründen, wie Saint-Saens. Andere werden
ihren Respekt, sogar ihre Liebe zu Wagner nie verlieren, wie Gabriel Fauré.
Vielleicht weil seine Begeisterung nicht blind ist. Fauré behält einen kritischen Blick
auf den deutschen Opern-Guru. Von den Meistersingern ist er absolut hingerissen,
den Tristan findet er bedenklich. Angeblich weil der - da ist sie, die französischen
Clarté - zu stark mit den Ängsten menschlicher Leidenschaften spiele. Beim
Lohengrin lobt Fauré den 1. Akt uneingeschränkt, findet den zweiten Akt
interessiert und den dritten teilweise „langatmig und langweilig“. Manche seiner
Urteile ändern sich auch. An den Parsifal zum Beispiel muss er sich erst gewöhnen.
„Als die erste Partitur in Paris erschienen war stürzten wir alle zum Verlag um das
edle Stück zu holen“, erzählt Fauré. Chabrier, Duparc, d’Indy, Messager und ich
konnten es kaum erwarten, das neueste Werk des großen sächsischen
Komponisten kennen zu lernen. Nach einem üppigen Mahl wollten wir abends
den Parsifal erstmals am Klavier durchgehen. Kaum hatten wir den Beginn des
Vorspiels gespielt riefen wir im Chor: „Aber das ist doch Massenet. Schlechter
Massenet!“.
Der Eindruck hält sich sogar eine ganze Weile. Erst als die Pariser Oper die ersten
Vorstellungen des Bühnenweihfestspiels zelebriert, schließt Fauré seinen Frieden
mit dem Werk, mehr noch, er ist begeistert. So wie auf Anhieb vom Ring des
Nibelungen.
Nachdem er den in der fränkischen Provinz gehört hat, bannt er das
beeindruckende Erlebnis in eine Fantasie in Form einer Quadrille, und so wird
daraus sein „Souvenir de Bayreuth“.
2‘30
5
Musik 3:
Fauré: Souvenir de Bayreuth
M0355900 011-015
4’26
Gabriel Fauré Antwort auf Wagners Ring, „Souvenir de Bayreuth“ mit Eric Le Sage
und Alexandre Tharaud vierhändig am Klavier.
Wagner also als Inspirationsquelle für den jungen und den älteren Gabriel Fauré.
Er wird den großen Deutschen kaum noch los, auch wenn ihm das selbst
vielleicht gar nicht so klar ist. Sein Leben lang bleibt Fauré bei der Oper
zurückhaltend, fühlt sich am wohlsten in der Kammermusik und beim Lied.
Eindeutig Wagner geschädigt, urteilen viele Musikforscher mit psychologischem
Deutungsdrang. Fauré hatte ihrer Meinung schlichtweg zu viel Respekt vor
Wagners Kunst und zu wenig Selbstbewusstsein.
Aber zuerst mal soll der junge Gabriel ja auch Kirchenmusiker werden. Präpariert
jedenfalls ist er bestens. Sein Ausbildungsinstitut, die Ecole Niedermayer hat
ganze Arbeit geleistet. Alte, polyphone und modale Musik, wie intensiv hat sich
der junge Fauré damit beschäftigt. Sein ganzes künstlerisches Leben lang wird ihn
das prägen.
Niedermayer hat zwar ein väterliches, fast schon zärtliches Verhältnis zu seinem
Zögling Gabriel, bleibt aber in einigen Punkten kompromisslos. Schumann und
Chopin sind verboten, das sei keine Musik für junge Leute, findet Niedermayer.
1861 stirbt der gestrenge Institutsleiter und an seine Stelle tritt Camille Saint-Saens.
Der sorgt gleich für frischen Wind an der Ecole, vor allem im Fach Komposition.
Faurés erste Versuche scheinen glücklich, er bekommt viel Lob. Unter anderem
für ein etwa
10 minütiges Chorwerk mit Sinfonieorchester, dick besetzt mit drei Posaunen und
dreifachen Holzbläsern. Auch das Sujet gleich auf großer Linie, „Super Flumina
Babylonis“, an den Wasserflüssen Babylons, nach einem biblischen Psalm. Fauré
scheint das Werk geschätzt zu haben, jedenfalls bewahrt er es bis zuletzt in seiner
Schublade. Doch dann ist es nach seinem Tod plötzlich verschwunden und
taucht erst 1997 wird auf. Vor zwei Jahren haben das Stuttgarter Vokalensemble
und das RSO Stuttgart es dann zum ersten Mal aufgeführt, unter der Leitung von
Stephane Deneve.
2‘10
Musik 4:
Fauré: Super Flumine babylonis
M0378056 004
3’15
6
Ein Livemitschnitt aus der Stuttgarter Stiftskirche, das Jugendwerk von Gabriel
Fauré „Super flumine babylonis“ mit Christina Landshamer, Sopran, Michael
Nagy, Bariton, dem SWR Vokalensemble und dem RSO Stuttgart unter Stephane
Deneve.
Einen ersten Kompositionspreis ergattert sich Gabriel Fauré dann in seinem letzten
Studienjahr. „Cantique de Racine“, ebenfalls für Chor und Orchester, aber schon
sehr eigen gestrickt. Klar, transparent die Harmonik, leicht die Stimmführung.
Fauré widmet das Werk Cesar Franck und verfasst damit gleichzeitig eine an
Hommage an den französischen Tragödiendichter Jean Racine aus dem 17.
Jahrhundert, dem „Grand siecle“ der Franzosen. Die Verse also von Racine, eine
Paraphrase auf einen Hymnus des heiligen Ambrosius, bei Fauré eine eigenartige
Mischung aus barocker Dichtkunst, katholischem Mittelalter und seiner eigenen
zarten, innigen Klangsprache.
„Welche Musik ist religiös. Welche Musik ist es nicht?“ fragt Fauré sich selbst. „Das
zu beantworten“, fährt er fort, „ist ziemlich gewagt in Anbetracht dessen, dass
wie tief das religiöse Empfinden eins Musikers auch sei, er es doch durch seine
persönliche Sensibilität zum Ausdruck kommen lässt und nicht infolge von Regeln,
die nicht festzulegen sind.“
1‘15
Musik 5:
Cantique de Racine
M0358335 004
4‘15
Komponiert vom Musikstudenten Gabriel Fauré, sein „Cantique de Racine“
op.11, in einer Bearbeitung für Violine, Chor und Streicher waren das Daniel
Hope, der Deutsche Rundfunkchor und das Deutsche Kammerorchester Berlin
unter Simon Halsley.
20 Jahre alt ist Fauré als er an der Kirchenmusikschule in Paris sein Examen macht.
Tatsächlich bekommt er auch sofort eine Stelle, allerdings in der tiefsten Provinz,
am „Ende der Welt“, wie er findet, in der Bretagne, in Rennes.
Vier Jahre lang wird er hier bleiben, nicht besonders glücklich. Alles scheint ihm
eng, bieder und bigott. Nach der harten Schule in Paris verfällt er in eine Art
Lethargie. „Ich dachte an nichts“, beschreibt er später diesen Zustand, „hatte
mäßige Vorstellungen von mit selbst und war von ungeheurer Gleichgültigkeit
geprägt. Außer wenn es um schöne Dinge und bedeutende Gedanken ging.
Aber selbst da fehlte mir der Ehrgeiz. Es war Saint-Saens, der mich durch
aufmunternde Gedanken vor dem Abstumpfen bewahrte.
7
Er spornte mich zur Arbeit an und forderte mich auf, ihm meine Skizzen zu
schicken.“
Eine davon ist der Entwurf zum „Tantum ergo“. Saint-Saens schätzt es so sehr, dass
er später das Hauptmotiv daraus in sein eigenes zweites Klavierkonzert einbaut.
1‘00
Musik 6:
Tantum ergo
M0410072 011
2‘24
„Ich habe diesem Werk so viel menschlichen Ausdruck verliehen, wie mir nötig
schien“, urteilt Gabriel Fauré selbst über sein Tantum ergo. Solisten waren Avital
Razund Ayala Shemesh, dazu der Ankor Choir unter Dafna Ben-Yohanan.
Geschrieben in Rennes, redigiert von Camille Saint-Saens.
Der ist nicht nur geistiger Mentor des jungen Komponisten, sondern hilft ihm schon
bald mal wieder aus der Klemme.
Vor lauter Langeweile in der bretonischen Hauptstadt wird Fauré allmählich
etwas übermütig. Schlimm genug, dass er immer während der Predigt im
Hinterzimmer Zigaretten raucht, Eines Morgens aber erscheint er sichtlich
übernächtigt, nach einer rauschenden Ballnacht, oder dem, was man in Rennes
als solche bezeichnet auf der Orgelempore im schwarzen Frack mit weißer
Krawatte und das bei gut gefülltem Gotteshaus. Der Pfarrer und alle Gläubigen
der Gemeinde sind entsetzt. Fauré wird entlassen.
Es ist dann sein Freund Camille, der ihm eine neue Stelle besorgt. Und das, großes
Glück für den jungen Organisten, in einem Vorort von Paris. Endlich wieder die
Hauptstadt, die Weltstadt, endlich wieder Salons, nach deren geistigem Flair
Fauré sich so sehnt. Bekanntschaft mit Künstlern, mit Musikern, mit Dichtern.
Diskussionen, Esprit, Niveau, Inspiration.
1‘25
Musik 7:
Fauré: Automne
M0253977 017
2‘42
Automne, Herbst, Gabriel Fauré schreibt es in größter Melancholie, als seine
Geliebte Marianne Viardot, sich von ihm trennt. Es spielten der Geiger Matthias
Lingenfelder und Peter Orth am Klavier.
Fauré liebt die Salons von Paris, Pauline Viardot, die Mutter von Marianne führt
einen der geistvollsten. Als Fauré nach seinen grauen Jahren in der Bretagne
wieder nach Paris zieht, wird er hier bald ständiger Gast.
8
Doch sein Glück währt nicht lang. Kaum hat Fauré in Paris wieder Fuß gefasst holt
ihn die Geschichte ein. 1870, die Deutschen rasseln mit den Säbeln und
Napoleon der Dritte erklärt den Preußen den Krieg.
Die Sache geht für Frankreich schlecht aus, und auch Gabriel Fauré muss an die
Front.
Er überlebt unverletzt, braucht aber eine Weile, um sich von dem Schrecken zu
erholen.
Und wieder hilft ihm Camille Saint-Saens. Immer öfter darf Fauré ihn nämlich
vertreten an Hauptorgel der großen Madeleine in Paris. Eine der
außergewöhnlichsten Kirchen, nicht nur in der Hauptstadt. Eine Mischung aus
antikem Tempel, römischer Thermenanlage und katholischem Gotteshaus. Allen,
die das Herz der Grande Nation berührt haben,
wird hier die Totenmesse gesungen, von Chopin und Gounod über Offenbach
bis Charles Trenet. Auch der Sarg von Gabriel Fauré steht im November 1924 auf
den steinernen Stufen der Madeleine, dazu die Klänge seines eigenen Requiems,
bis heute eines seiner bekanntesten Werke.
Und eben nicht voller Todessehnsucht und tragischer Düsternis, sondern entrückt,
wie eine glückliche Erlösung aus dem irdischen Jammertal. Das verheißt schon
Faurés Kommentar zu diesem engelsgleichen Meisterwerk: „Mein Requiem ist für
nichts komponiert worden, zum reinen Vergnügen, wenn ich so sagen darf.
Vielleicht wollte ich einfach aus der Routine ausbrechen, schon lange genug
begleite ich Totenmessen an der Orgel. Ich bin ihrer so satt. ich wollte mal was
anderes machen“.
2‘00
Musik 8:
Fauré : Pie jesu
M0018132 004
3‘46
Johannette Zomer mit dem Pie Jesu aus dem Requiem von Gabriel Fauré, dazu
das Orchestre des Champs Eysees unter Philippe Herreweghe.
Aller Zorn, aller Schrecken, Verzweiflung sind in diesem Dies Irae gewichen. Was
bleibt ist ein schönheitstrunkenes Wiegenlied, das Fauré dem Tod da singt. Zart,
schlicht, gesanglich, seelenvoll, wie das ganze Werk. Dementsprechend auch
die Besetzung, zumindest die ursprüngliche. Nicht mehr als ein erweitertes
Kammerensemble begleitet die Solisten und den Chor. Mit Solo-Violine, geteilten
Bratschen, Celli, Kontrabässen, einer Harfe, Pauken und Orgel. So wird das
Requiem 1888 in der Madeleine uraufgeführt. Dann kommen zwei Trompeten
9
dazu und zwei Hörner wahrscheinlich auf Wunsch des Verlegers und noch zwei
Sätze, das Libera me und das Offertorium.
Die komplette sinfonische Version aus dem Jahr 1900 stammt wahrscheinlich von
einem Schüler Faurés, weil sich das Werk so besser verkaufen ließ. Und Fauré? Der
hat ganz offensichtlich weder Lust noch Zeit das selbst zu erledigen.
Aber er liebt sein Werk. Weil es ihm so ähnlich ist. „Es ist von sanftem Charakter,
so wie ich selbst“, gesteht er seinem Freund, den Geiger Eugène Ysaye.
Musikalisch kehrt er alles nach außen, was in seinem Innersten funkelt: Melodien
aus alten gregorianischen Antiphonen, weiche, lichte Harmonien, leuchtende
Klangfarben,
1‘25
Musik 9:
Fauré: In Paradisum
M0018132 007
3‘29
Voll Trost und Zuversicht endet das Requiem von Gabriel Fauré, „In Paradisum“,
ein entrückter Gesang in der Gewissheit himmlischen Glücks und ewiger
Erlösung.
Mit dem Collegium Vocale Gent und dem Orchester des Champs Èlysées unter
Philippe Herreweghe.
„Aber so empfinde ich den Tod“, wehrt sich Fauré gegen den Vorwurf, dies sei
ein geradezu heidnisches Werk, „als glückliche Befreiung, als Streben nach dem
jenseitigen Glück und weniger als schmerzhaften Übergang.“
Überhaupt hat Gabriel Fauré schon eine sehr eigene Vorstellung von Gott oder
dem ewigen Leben. Selbst seine 40 Jahre als Kirchenmusiker, die meisten davon
immerhin an der wunderbaren Cavaille Orgel der Pariser Madeleine machen aus
ihm keinen gläubigen Christen, oder besser gesagt keinen frommen. Als „nicht
gläubig, aber auch nicht skeptisch“, skizziert ihn sein Sohn später. Der Schriftsteller
Eugène Berteaux erklärt uns sogar, dass „das Wort „Gott“ für Fauré ein
umfassendes Synonym für das Wort „Liebe“ war“. Fauré selbst soll es ihm gesagt
haben. „Dieser Glaube“, so Berteaux, “sollte durch seine Weite früher oder später
die Kritik an Faurés schwammiger und leichtlebiger Gleichgültigkeit, sowie an
seiner Irreligosität, die ihm gewisse Kreise vorwarfen vernichten. Letztere ergriffen
mit dem Argument Partei, eine derart neutrale philosophische Haltung sei eines
ehemaligen Hauptorganisten der Madeleine nicht würdig. „Arme Leute“
erwiderte Fauré gelassen und unterstrich diese Bemerkung mit seinem
sanftmütigsten Lächeln.“
1‘35
10
Musik 10:
Fauré: Tu es Petrus
M0302141 009
2‘21
„Tu es Petrus“ von Gabriel Fauré mit dem Bariton Tomas Selc, dem Chor des
Schleswig Hostein Festivals und Paul Nancekievol an der Orgel.
Da taucht sie dann ja mal auf, die Orgel, aber nur als Begleitinstrument. Obwohl
Fauré als einer der besten Organisten von Paris gilt, mit geradezu legendären
Improvisationskünsten verfasst er für sein Instrument kein einziges Werk. Sie scheint
ihn nicht zu interessieren. Er findet die Orgel, nicht genügend formbar, nicht
nuanciert genug.
Seine Klangvorstellungen, seine harmonischen Kühnheiten realisiert Fauré lieber
auf dem Klavier. Der direkte Anschlag, das auf den Punkt spielen, die vielen
Zwischentöne, die möglich sind auf den Tasten, das alles entspricht eher seinem
musikalischen Geschmack. Und deshalb verfasst er auch seine kühnsten Werke
für das Klavier und nicht die Orgel, entweder als Teil seiner Kammermusik, oder
eben solo.
55
Musik 11:
Fauré: Barcarolle in Es-dur op.106
M0288460 018
3‘40
Komplizierteste Strukturen und trotzdem ein Wunder an Klarheit und Transparenz,
die Barcarolle Nr.12 in Es-Dur von Gabriel Fauré, gespielt von Anthony Spiri.
Der Komponist Gabriel Fauré ist das Thema in dieser Woche in der SWR2
Musikstunde. Heute haben wir den französischen Komponisten erlebt in Kirche
und Salon, morgen geht es um seine Kammermusik.
Vielen Dank für‘s Zuhören und noch viel Vergnügen mit dem Programm von
SWR2 wünscht Ihnen Ines Pasz.