Schattenblick Druckausgabe

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MA-Verlag
BÜRGER / REPORT
Das Anti-TTIP-Bündnis Vexierspiele ...
Investitionsschutz transatlantisch
TTIP Strategie­ und Aktionskonfe­
renz in Kassel
Elektronische Zeitung Schattenblick
Freitag, 29. April 2016
Die Zwischentürkei - Diplomatie und Nebelbomben ...
Hegemoniales Kalkül ­ Freibrief für Erdogan
Veranstaltung "Sicherer Drittstaat Türkei?"
am 11. April 2016 in Kiel
(SB) ­ Das Vertrauensverhältnis zwi-
schen Regierenden und Regierten
scheint, zumindest was die umstrittenen sogenannten Freihandelsabkommen CETA und TTIP betrifft, in
wachsendem Tempo zu erodieren.
Jüngst veröffentlichten Umfrageergebnissen zufolge stößt das Versprechen, vom Freihandel würden alle
profitieren, ... (Seite 6)
DIE BRILLE / REDAKTION
Der Überläufer
Beispiellose Zensur, Verdrängung
und Verschweigen bis in die Gegen­
wart.
Zu Siegfried Lenz' posthum erschie­
nenem Roman Der Überläufer
Kristian Brakel und Astrid Willer
Foto: © 2016 by Schattenblick
(SB) ­ Es kommt nicht so häufig vor,
(SB) ­ Bei der Veranstaltung "Siche-
dass ein Autor nach seinem Tod mit
einem neuen Roman für Schlagzeilen
sorgt, ja sogar Bestseller-Listen erobert, obgleich Nachlässe immer mal
wieder Überraschungen ... (S. 12)
SPORT / BOXEN
Heimkehr nach Rußland als
Weltmeister
(SB) ­ Sergej Kowaljow verteidigt
seine drei Titel im Halbschwergewicht am 11. Juli in Ekaterinburg gegen Isaac Chilemba. Der 33 Jahre alte Weltmeister der Verbände WBA,
WBO und IBF lebt mit ... (S. 15)
rer Drittstaat Türkei?" im Kieler
Landeshaus, zu der sich rund 150 interessierte Gäste einfanden, kam
nach den Rechtsanwälten Levent Tüzel aus Istanbul und Cihan Ipek aus
Diyarbakir der Leiter des Büros der
Heinrich Böll Stiftung in Istanbul,
Kristian Brakel, mit einem Vortrag
zum Thema "Deutsche und europäische Interessenpolitik gegenüber der
Türkei" zu Wort. Brakel, der das Büro seit Sommer 2015 leitet und davor
lange Jahre für den diplomatischen
Dienst der EU, das Auswärtige Amt
und die UN im Nahen Osten tätig
war, beleuchtete das umstrittene
Flüchtlingsabkommen zwischen der
EU und der Türkei unter drei Gesichtspunkten.
Mit Blick auf die außenpolitische
Dimension räumte der Referent unumwunden ein, daß sich die Türkei
in den letzten Jahren in Richtung einer "gelenkten Demokratie" entwickelt habe. Dennoch weise er die
Kritik an dem Abkommen zurück, da
man mit dessen Hilfe außenpolitische Gestaltungsmöglichkeiten gewinne, die andernfalls verlorengingen. Außenpolitisches Handeln werde von den Interessen der Staaten
bestimmt, wobei man in dieser Hinsicht durchaus eine gewisse
Deckungsgleichheit zwischen EU
und Türkei erkennen könne. Im übrigen schließe die Bundesrepublik
Abkommen mit Ländern wie Ägyp-
Elektronische Zeitung Schattenblick
ten, in denen die Menschenrechtsverletzungen wesentlich schlimmer
als in der Türkei seien, ohne daß ein
Hahn danach krähe.
Abstimmungsprozessen zu gefährden. Zugleich gedachte man Ankara
mit einer solchen Partnerschaft einzubinden, welche die Türkei zur Erfüllung von Auflagen gezwungen
Diese Argumentation ruft zwangsläu- hätte, ohne daß damit die Aussicht
fig Kritik auf den Plan, da sie auf ei- auf eine spätere Vollmitgliedschaft
ne Zusammenarbeit mit bestimmten verbunden gewesen wäre.
Regimes hinausläuft, ohne die zitierten Gestaltungsmöglichkeiten näher In der Flüchtlingsfrage habe die türzu spezifizieren. Die Bundesrepublik kische Regierung im Jahr 2011 die
beliefert den NATO-Partner Türkei Tür für Menschen weit aufgemacht,
mit Waffen, die dieser gegen seine die aus dem Nachbarland Syrien floBevölkerung wie vor allem die Kur- hen, so Brakel. Nachdem Gespräche
den einsetzt. Sie verfolgt linke Tür- mit Assad gescheitert waren, habe
ken und Kurden auch hierzulande, die Türkei in einer humanitären Gestatt sich für ein Ende der Repression ste gegenüber Glaubensbrüdern zueinzusetzen. Und sie arbeitet mit der nächst versucht, das Problem ohne
türkischen Regierung wie etwa bei jede äußere Finanzierung und Unterder Sicherung der Grenze zu Syrien stützung zu bewältigen. Als dann jemilitärisch zusammen. Die Auslas- doch kein Ende des Krieges absehsungen des Referenten hinsichtlich bar war, sei die Erdogan-Regierung
einer näheren Bestimmung jener In- nicht umhin gekommen, eine Lateressen, die EU und Türkei teilen, stenteilung mit der EU in Anspruch
dürften daher nicht von ungefähr zu nehmen, was absolut angemessen
kommen: Ginge man der Überein- sei. Das beiderseitige Interesse, den
kunft auf den Grund, träte die Kom- Deal zu erfüllen, eine die EU und die
plizenschaft und Mitverantwortung Türkei - ob er für die Flüchtlinge gut
für den repressiven Kurs der türki- sei, stehe auf einem anderen Blatt,
schen Regierung unverhohlen zutage. zog sich der Referent auf eine vorgebliche Ambivalenz zurück, das
Als zweite Dimension nannte Brakel Abkommen bereite ihm zwar Bauchdie Frage eines EU-Beitritts der Tür- schmerzen, sei aber die außenpolikei, der insbesondere von der Bun- tisch unverzichtbare Option.
desregierung abgelehnt worden sei.
Die AKP-Regierung habe anfangs Wenn die EU im Zuge des Abkomgroßes Interesse an einem Beitritt mens Visa-Freiheit für türkische
zum Ausdruck gebracht und nen- Staatsbürger in Aussicht stelle, könnenswerte Reformen eingeleitet, sei ne von einer Erpressung seitens der
angesichts der Zurückweisung später Türkei keine Rede sein. Vielmehr
jedoch verbittert auf einen EU-fernen handle es sich um ganz normale
Kurs umgeschwenkt. Wenngleich Schritte im Zuge eines Wiederankurdem Referenten zuzustimmen ist, daß belns des EU-Beitrittsprozesses, das
die Vorbehalte gegen den Islam in der zwar um mehrere Jahre zu spät komBundesrepublik und anderen euro- me, aber dennoch vom Prinzip her zu
päischen Ländern dazu beigetragen begrüßen sei. Die Vorstellung, daß
haben, die Türkei fernzuhalten, hätte künftig zahlreiche Türkinnen und
man sich doch eine substantiellere Türken Asyl in der EU beantragen
Analyse gewünscht. Der damalige könnten, sei völlig absurd. Denn unVorschlag der Kanzlerin, der Türkei geachtet aktueller wirtschaftlicher
eine privilegierte Partnerschaft anzu- Probleme gehe es den Menschen in
bieten, machte die Widerspruchslage der Türkei heute besser als noch vor
deutlich: Berlin hat kein Interesse fünfzehn Jahren.
daran, die bevölkerungsreiche Türkei
in die EU zu holen und damit die ei- Was die Wirksamkeit des Abkomgene Dominanz bei den europäischen mens betreffe, sei das eigentliche
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Problem die fehlende Bereitschaft
vieler EU-Mitgliedsstaaten, die Verteilung der vor allem in Italien und
Griechenland konzentrierten Flüchtlinge mitzutragen. Gemessen am gesamten Flüchtlingsaufkommen sei
die geringe Zahl, die aufzunehmen
Europa sich weigere, geradezu absurd. Die Entwicklung der zurückliegenden Monate habe offengelegt,
wie zerstritten die EU sei, die auseinanderzubrechen drohe. Die Finanzkrise in Griechenland, der mögliche Austritt der Briten, das Referendum in den Niederlanden und das
Erstarken rechter Kräfte in den Bundesländern, aber mehr noch in Ungarn oder Polen, erfordere eine Antwort. Auch wenn diese moralisch
zweifelhaft sei, müsse sie doch gegeben werden, darin stimme er mit
der Kanzlerin überein, so der Referent.
Weder sei die EU gegenwärtig in der
Lage, weitere Mitglieder aufzunehmen, noch habe die Türkei ein Interesse an einem Betritt zu den Konditionen der Europäer. Wenngleich
Ankara engere wirtschaftliche Beziehungen insbesondere zu Deutschland begrüßen würde und endlich auf
gleicher Augenhöhe behandelt werden wolle, dulde es keine Einmischung hinsichtlich der Menschenrechtslage. Beiden Seiten sei klar,
daß ein Prozeß der Annäherung derzeit nicht bis zum Ende durchgetragen werden könne, und deshalb lediglich ein symbolischer Schritt sei.
Erdogan stehe zu Recht auf dem
Standpunkt, daß Europa die Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lasse,
Tränengas auf sie abfeuere und sich
vor ihnen abschotte, weshalb es den
moralischen Anspruch verwirkt habe, andere zu belehren. Während die
Türkei die Flüchtlinge aufgenommen habe und sie versorge, seien die
Europäer nur daran interessiert, ihre
eigene Haut zu retten. Die Strahlkraft
Europas, so der Referent, sei auf
Jahrzehnte geschädigt worden. Es
werde sehr schwer sein, den Kern der
demokratischen Werte zurückzuerlangen.
Fr, 29. April 2016
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Zeit so gut wie geschlossen. Die EU
habe seines Erachtens bewußt keinen
Mechanismus der Kontrolle eingerichtet, weil sie von derartigen Verstößen in wachsender Zahl ausgehe.
Apologetisches mit Vehemenz
präsentiert
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Wenn Brakel demokratische Errungenschaften als Wesenskern der EU
proklamiert, kolportiert er die gängige Ideologie, sieht aber von jeglichen
ökonomischen und politischen
Zwecken und Zielsetzungen dieses
Wirtschaftsraums und seiner einflußreichsten nationalstaatlichen Akteure ab. Als Projekt der stärksten Staaten konzipiert und perfektioniert, einem freien Kapitalverkehr den Weg
zu bereiten, nicht jedoch soziale
Standards zu heben, dient es auf
Grundlage des unterschiedlich entwickelten Produktivitätsniveaus einerseits der Zugriffsentwicklung auf
die schwächeren Mitgliedsländer
und andererseits Vorteilen in der internationalen Konkurrenz. Die EU
an ihren selbsterklärten demokratischen Standards zu messen, mag opportun erscheinen, geht aber einem
Mythos auf den Leim, der den expansiven und aggressiven Charakter
dieses Bündnisses vernebelt.
Was den humanitären Charakter der
Aufnahme syrischer Kriegsflüchtlinge in der Türkei betrifft, so sollte
nicht vergessen werden, daß die
AKP-Regierung selbst massives Interesse an einem Regimewechsel in
Syrien bekundet hat und im Falle des
nordsyrischen Kurdengebietes RojaFr, 29. April 2016
va auch nicht davor zurückschreckt,
eine ganz und gar nicht humanitäre
Grenzblockade zu errichten, mit der
das dort verfolgte Ziel, ein demokratisch selbstverwaltetes Gebiet innerhalb Syriens unter Einbeziehung der
arabischen Bevölkerung zu etablieren, torpediert werden soll. Die türkische Regierung ist zumindest mittelbar Akteur in diesem Krieg, wie auch
ihre einseitige, den IS schonende, syrische Kurden und die Assad-Regierung jedoch bekämpfende Politik
zeigt. Nicht zuletzt können Flüchtlinge auch dort für machtpolitische
Zwecke instrumentalisiert und humanitär lediglich bemäntelt werden.
Als dritte Dimension des Flüchtlingsabkommens führte der Referent
den menschenrechtlichen Aspekt an.
Es verstoße massiv gegen humanitäres Völkerrecht, indem es die Konventionen ausheble, wonach schutzbedürftigen Menschen ein Recht auf
Asyl zu gewähren sei. Da Griechenland die große Zahl an Flüchtlingen
nicht bewältigen könne, häuften sich
die Fälle, in denen Flüchtlinge mit
oder ohne Asylantrag in die Türkei
zurückgeführt werden. Laut Amnesty International würden zudem Syrerinnen und Syrer aus der Türkei ins
Kriegsgebiet zurückgeschickt. Ihm
seien aus seinem persönlichen Bekanntenkreis solche Vorkommnisse
bekannt. Grundsätzlich sei die Grenze zu Syrien bereits seit geraumer
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Die drei bis sechs Milliarden Euro
zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems in der Türkei seien dennoch
gut angelegt, so der Referent. Wenngleich registrierte syrische Flüchtlinge eine Arbeitserlaubnis beantragen
und das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen könnten, gebe der
Arbeitsmarkt eine Integration zahlreicher weiterer Menschen nicht her.
Investitionen seien insbesondere dafür erforderlich, daß Flüchtlingskinder zur Schule gehen können. Die
Türkei sei nicht darauf eingestellt,
ein Einwanderungsland zu sein, zumal Minderheiten im Land dem
Staatsverständnis zufolge für nichtexistent erklärt würden. Daß drei
Millionen Flüchtlinge auf Jahrzehnte oder gar dauerhaft bleiben könnten und damit die Kultur verändern
würden, sei völliges Neuland und
werde zu Auseinandersetzungen
führen.
Mit dem Spagat, es müsse aus realpolitischen Gründen prinzipiell ein
Abkommen geben, "nur nicht dieses", weshalb die EU bei der Verbesserung der menschenrechtlichen
Aspekte nachzusteuern habe, zog
Brakel ein in seinem vorgehaltenen
Zwiespalt aufschlußreiches Fazit.
Der strategische Ansatz der Kanzlerin, Europa im Dienst ungebrochener
deutscher Hegemonie zusammenzuhalten und die Abschottung vor
Flüchtlingen an die Türkei zu delegieren, läuft auf einen Freibrief an
das Erdogan-Regime hinaus, im eigenen Land nach Belieben zu verfahren. Die von Brakel angemahnte
Nachbesserung des Abkommens erweist sich im günstigsten Fall als
Tropfen auf den heißen Stein der
Flüchtungsabwehr und Repression,
sehr viel eher jedoch als Fiktion, die
die hochgradige Interessenübereinstimmung der Regierungen in Berlin
und Ankara verschleiern soll.
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Elektronische Zeitung Schattenblick
Levent Tüzel, Murat Kaya, Astrid
Willer, Kristian Brakel, Cihan Ipek
Foto: © 2016 by Schattenblick
Parteinahme statt Ambivalenz
In der anschließenden Diskussion
bot Levent Tüzel den lavierenden
Ausführungen des dritten Referenten energisch Paroli, indem er noch
einmal unterstrich, daß die Türkei
kein sicherer Drittstaat sei. Merkel
und die EU seien in alle Straftaten
verwickelt, die Erdogan und sein
Staat begangen hätten. Das Regime
habe den IS unterstützt, um Assad zu
stürzen und den kurdischen Aufbau
in Rojava zu zerschlagen. Jetzt verübe der IS blutige Anschläge in der
Türkei. Die türkische Regierung lasse Menschen ermorden, wochenlange Ausgangssperren verhängen, Kritiker verhaften, Schriftsteller und
Karikaturisten mundtot machen.
Wer sich für Verfolgte einsetze, werde als Terrorist bezeichnet und
drangsaliert. Doch die EU verschließe die Augen vor den Vorgängen in
der Türkei. International gesehen
werde Krieg geführt, an dem
Deutschland beteiligt sei und der
Menschen zwinge, ihre Länder zu
verlassen. Dafür seien die kapitalistischen und imperialistischen Staaten verantwortlich, die aufhören
müßten, sich in Länder wie Syrien
einzumischen.
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Diese erfrischende Klarheit der Argumente reizte Brakel zum Einwand:
Wenngleich er die Auffassung teile,
daß der Krieg in Syrien beendet werden müsse, könne doch niemand eine
befriedigende Antwort darauf geben,
wie das geschehen soll. Er könne
nicht verstehen, daß Tüzel so leidenschaftlich für den Schutz der Menschen in der Türkei streite, es aber anscheinend in Ordnung finde, wenn
das Regime in Syrien seine eigene
Bevölkerung massakriere. Diesen
Krieg habe nicht der Westen angefangen, sondern das Assad-Regime.
Kontrovers und erhellend
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Dieses kaum kaschierte Plädoyer für
eine sogenannte humanitäre Intervention seitens der westlichen
Mächte blieb im Publikum nicht unwidersprochen. Ob er sich etwa in
eine Rechtskurve lege, an deren Ende die schwarz-grüne Koalition auf
Bundesebene vermutet werde, wurde Brakel gefragt. Davon abgesehen
zeige eine Studie des Migrationspolitischen Forschungszentrums der
Universität Ankara, daß die Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen in der
türkischen Gesellschaft wachsen und
daher gewaltsame Konflikte zu befürchten seien. Die EU verspreche
der Türkei mit dem Abkommen, daß
sie von den 2,7 Millionen syrischen
Flüchtlingen vielleicht 78.000 loswerden könne. Werde die Türkei damit nicht unter dem enormen Risiko
alleingelassen, daß ein rassistisches
Gewaltpotential eskaliert?
Darauf erwiderte Brakel, daß die islamistische Regierungpartei zwar eine religiöse Umformung im Erziehungswesen fördere, jedoch die
Schreckensvision einer Theokratie
ähnlich der des Iran nichts mit der
Realität zu tun habe. Der Staat sei
seit Gründung der Republik autoritär
und gewalttätig. Es habe wechselnde Phasen gegeben, doch ein kemalistisches Wunderland sei er nie gewesen. Wenngleich ihm die HDP in
vielen Punkten näher liege, seien deren Politiker mit Blick aufRassismus
und Ablehnung der Flüchtlinge am
schlimmsten. Das Hauptproblem sei
nicht der Islamismus, sondern der
Nationalismus in allen Parteien, auch
in der HDP, wo er lediglich kurdisch
gefärbt sei.
Dieser Egalisierung, die den massiven Angriff der türkischen Regierung auf die Kurden nahezu auf ein
beiderseitiges Problem mit überzogenem Nationalismus reduziert, hielt
Tüzel entgegen, daß der Erfolg der
HDP am 7. Juni 2015 das Präsidialsystem verhindert habe. Es sei die
Rede davon gewesen, die kurdische
Frage demokratisch und in Freiheit
zu lösen, wofür die HDP große SymFr, 29. April 2016
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pathien erfahren habe. Erdogan habe
den Erfolg der HDP gefürchtet und
jegliches Eintreten für die Kurden mit
dem Terrorverdikt belegt. Am 10. Oktober sei eine große Demonstration
vom IS angegriffen worden, wovon
die Regierung gewußt habe. Die beiden Attentäter seien unter ständiger
Beobachtung des Geheimdienstes aus
Syrien nach Gaziantep und von dort
nach Ankara gereist. Ministerpräsident Davutoglu habe hinterher unverhohlen erklärt, daß die AKP von solchen Anschlägen profitieren könne.
Das bestätigte sich bei der Nachwahl,
da die AKP wieder allein die Regierung übernehmen konnte. Versammlungen wurden verboten, Demonstrationen nicht erlaubt, die Nevroz-Feierlichkeiten mit Ausnahme Diyarbakirs
untersagt. Man spüre überall im Land
ein autoritäres Regime, eine Diktatur,
so Tüzel.
Barrikaden in den kurdischen Städten
der Grund für die Angriffe gewesen
seien. Sie seien seines Erachtens vielmehr als Vorwand ins Spiel gebracht
worden, als die türkische Regierung
weder die Kurden in Syrien noch im
eigenen Land unter Kontrolle gebracht
habe. Die Jugendlichen wollten nicht
ohne Verhandlung ins Gefängnis geworfen werden und dort sterben, deshalb hätten sie Barrikaden errichtet.
Erdogan habe das Türkentum wieder
auf die Tagesordnung gesetzt, Wirtschaftkrise und Terror riefen auch in
der Türkei Nationalismus auf den
Plan. Nur eine breite nationale wie internationale Solidarität der Unterdrückten gleich welcher Herkunft
könne dem etwas entgegensetzen.
Cihan Ipek verwarf die Auffassung,
daß man die Türkei erst dann in die EU
aufnehmen dürfe, wenn sie die Kurdenfrage gelöst habe. Er halte umgekehrt den Beitritt zur EU auch für eine
Lösung der kurdischen Frage aufeiner
demokratischen Basis. Führe man die
Gespräche und Verhandlungen mit der
Türkei nicht weiter, werde sich der
Konflikt im Land noch mehr radikalisieren. Die Probleme müßten jedoch
auf demokratischem Weg und mit Veranstaltung "Sicherer Drittstaat
friedlichen Methoden gelöst werden. Türkei?" in Kiel im Schattenblick
Wenngleich die Häuser in den kurdi- www.schattenblick.de → INFO­
schen Städten zweifelsfrei durch Artil- POOL → POLITIK → REPORT:
leriebeschuß zerstört worden seien,
müsse man auch sagen, daß sie zuerst BERICHT/234: Die Zwischentürkei
für autonom erklärt und mit Barrikaden - nicht sicher, nicht frei ... (SB)
versehen worden und erst daraufhin die
Panzer eingerollt seien. Für diese Autonomieerklärung gebe es keine juristische Grundlage, und kein souveräner
Staat würde so etwas zulassen.
Gruppenbild anläßlich eines
denkwürdigen Treffens
Foto: © 2016 by Schattenblick
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0234.html
BERICHT/235: Die Zwischentürkei
- Sippenhaft und Bürgerkrieg ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0235.html
INTERVIEW/312: Die Zwischentürkei - taktische Spiele, strategische Ziele ... Martin Link im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0312.html
INTERVIEW/313: Die Zwischentürkei - ethnozidale Zielstrebigkeit ...
Cihan Ipek im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0313.html
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/report/
prbe0236.html
Das mochte Levent Tüzel nicht unwidersprochen stehenlassen. Er könne
das Argument nicht teilen, daß die
Die Vertreterin des Flüchtlingsrates
Schleswig­Holstein Astrid Willer
führte durch den Abend
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Fr, 29. April 2016
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Seite 5
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BÜRGER UND GESELLSCHAFT / REPORT / BERICHT
Das Anti-TTIP-Bündnis - Vexierspiele ...
Investitionsschutz transatlantisch
TTIP Strategie­ und Aktionskonferenz in Kassel
(SB) ­ Das
Vertrauensverhältnis zwischen Regierenden und Regierten
scheint, zumindest was die umstrittenen sogenannten Freihandelsabkommen CETA und TTIP betrifft, in wachsendem Tempo zu erodieren. Jüngst
veröffentlichten Umfrageergebnissen
zufolge stößt das Versprechen, vom
Freihandel würden alle profitieren, bei
immer mehr Menschen auf Skepsis
und Unglauben. [1] Ungeachtet anwachsender Proteste wird die Durchsetzung des Abkommens noch forciert, wie sich am vergangenen Wochenende anläßlich der HannoverMesse gezeigt hat, die US-Präsident
Obama und Bundeskanzlerin Merkel
zum Anlaß nahmen, für TTIP die Werbetrommel zu rühren. Nichts deutet
daraufhin, daß die vielfältigen Proteste und Gegenargumente sie veranlassen könnten, das gesamte Projekt zur
Disposition zu stellen.
Offenbar nimmt es in ihren globalstrategischen Planungen einen unverzichtbaren Platz ein. "TTIP könnte der EU und damit der Bundesrepublik die wichtige Positionierung in
einer multipolaren Weltordnung sichern", heißt es in einer im Vorfeld
des Obama-Besuchs vom Bundestag
weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit angenommenen Resolution. [2] In ihr wird TTIP als zukunftsweisendes Projekt bezeichnet,
das nicht nur wirtschaftliche Vorteile zeitigen, sondern die weltpolitische Stellung Deutschlands stärken
würde - ein bemerkenswert offenes
Bekenntnis, das den behaupteten
Allgemeinwohlnutzen, der durch
Freihandel [3] und dadurch forciertes Wirtschaftswachstum zu erwarten wäre, demaskiert.
Seite 6
Täuschungsmanöver Investitions- zentige Parteinahme für die Seite
schutz
bzw. Interessen der Investierenden
dar.
In den Redebeiträgen auf der großen
Anti-TTIP-Demonstration in Hanno- Zahlreichen TTIP-kritischen Orgaver ist neben vielen anderen Kritik- nisationen kommt das Verdienst zu,
punkten immer wieder auf die durch in Sachen Investor-Staat-Klagen undie Freihandelsabkommen geplante entbehrliche Aufklärungs- und ÖfEinführung von Sonderklagerechten fentlichkeitsarbeit geleistet zu haben.
für Konzerne hingewiesen worden. [4] So interessieren sich immer
Die US-Verbraucherschützerin Lori Menschen dafür, daß es bereits heuWallach bezeichnete das Instrument te über 3200 internationale Investitider Schiedsgerichte als er- onsabkommen gibt, die Sonderklaschreckend. TTIP-kritische Stimmen gerechte für Konzerne begründen.
haben schon mehrfach deutlich ge- Obwohl privatwirtschaftliche Untermacht, daß mit dem sogenannten In- nehmen selbstverständlich die üblivestorenschutz noch gänzlich ande- chen nationalen wie internationalen
re Zwecke verfolgt werden. Da die- Rechtswege in Anspruch nehmen
ses Thema auch auf der TTIP Strate- könnten, verfügen sie dadurch völlig
gie- und Aktionskonferenz am 26. einseitig über juristische Privilegien.
und 27. Februar in Kassel ein zentrales Thema war, wird an dieser Stelle Der erste Bilaterale Investitionsnoch einmal auf die umstrittenen schutzvertrag (BIT, Bilateral InvestKonzernklagerechte eingegangen.
ment Treaty) wurde bereits 1959
zwischen der Bundesrepublik
Investitionsschutz ist per se einsei- Deutschland und Pakistan geschlostig. Da unter einer Investition eine sen, zwei ökonomisch wie politisch
langfristige Kapitalanlage verstan- höchst ungleichen Staaten. Dieses
den wird, die ihren Besitzern Erträ- Mißverhältnis sollte charakteristisch
ge, Zinsen oder sonstige Gewinne er- werden für die vielen bilateralen
bringen soll, können nur äußerst ver- Verträge, die zwischen zumeist
mögende Privatpersonen oder Ge- westlichen Industriestaaten und den
sellschaften "geschützt" werden. sogenannten Entwicklungsländern
Daß Gewinne stets nur zu Lasten an- geschlossen wurden. Letztere befanderer erzielt werden können, steht den sich nach ihrer politischen Deselbstverständlich auf einem anderen kolonisation in einer von ökonomiBlatt. Die Lage derjenigen, die von scher Abhängigkeit und sozialer Not
Investionen direkt oder mittelbar be- geprägten Lage, weshalb viele Retroffen sind, ist mit diesem Schutz gierungen ihr Heil in ausländischen
nicht gemeint, sonst würde ihnen Investitionen suchten. Das Wunschwohl ein entsprechendes Klagerecht bild westlichen Wohlstands vor Aueingeräumt werden. Wenn also bei gen, wollten sie mit Hilfe entspreTTIP und CETA an exponierter Stel- chender Verträge, die sich häufig als
le von Investorenschutz die Rede ist, Instrumente postkolonialer Ausbeustellt dies bereits eine hundertpro- tung erweisen sollten, eine nachhowww.schattenblick.de
Fr, 29. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
lende Wirtschaftsentwicklung befördern. Diese so ungleichen Verhältnisse manifestieren sich noch heute
in den Investor-Staat-Verfahren,
durch die der Investor weitreichende
Rechte erhält, aber keinerlei Pflichten auferlegt bekommt. Zudem erheben die Konzerne diese Klagen nicht
vor den Gerichten des Landes, in
dem sie ihre Investition getätigt haben, sondern vor eigens zu solchen
Zwecken geschaffenen internationalen Sondergerichten.
Im Vergleich zum Schutz der Menschenrechte - laut Grundgesetz ist es
Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu
achten und zu schützen - tritt die Privilegierung des sogenannten Investorenschutzes deutlich hervor. Um
beispielsweise eine Beschwerde
beim Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte stellen zu können,
muß neben weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der innerstaatliche
Rechtsweg vollständig ausgeschöpft
sein. Konzernklagen hingegen werden ausschließlich auf der Basis der
Rechte und Verfahrensvorgaben verhandelt, die aus dem Investitionsschutzvertrag selbst stammen. In der
Regel sieht das so aus, daß internationale Ad-hoc-Tribunale, bestehend
aus drei von den Streitparteien ausgewählten Privatpersonen, über die
Fälle urteilen.
Diese Urteile sind allem übergeordnet, was in dem verklagten Staat
selbst gesetzlich bestimmt, von der
Regierung oder einem Parlament
beschlossen oder von einem nationalen Gericht entschieden wurde.
Es gibt keinen Instanzenweg und
keine Berufungsmöglichkeit. Die
Urteile der Tribunale sind für den
beklagten Staat absolut verbindlich
und können weltweit vollstreckt
werden. Der Begriff Schiedsgericht
bagatellisiert die Totalität des Zugriffs, der auf diese Weise realisiert
werden kann. Mit der Unterzeichnung eines solchen Vertrags hat sich
der betreffende Staat faktisch selbst
entmachtet.
Fr, 29. April 2016
Warum stimmen Staaten ihrer
eigenen Demontage zu?
Diese Frage ist, was die postkolonialen Staaten der sogenannten Peripherie betrifft, nicht schwer zu beantworten. Kapitalexportierende Staaten hingegen wollen "ihre" Unternehmen und deren Interessen - sehr
wohl auch zum eigenen Nutzen - im
Ausland schützen. Ist aber die begriffliche Trennung zwischen Staat
und Unternehmen hier überhaupt
noch tragfähig? In vielen Publikationen TTIP-kritischer Autoren und Organisationen wird zwischen profitorientierten Unternehmen und gemeinwohlverpflichteten Staaten
deutlich unterschieden und ein Interessengegensatz postuliert. Thomas
Fritz beispielsweise, freier Autor mit
Schwerpunkt Wirtschafts-, Entwickungs- und Umweltpolitik, bezeichnete die Investor-Staat-Klagen
als ein "scharfes Schwert". Die Industrie würde sich jedem Abkommen
widersetzen, in dem der Investitionsschutz gegenüber öffentlichen Interessen, einschließlich der Arbeitsund Menschenrechte, das Nachsehen
habe, zitierte er in einer Publikation
mit dem Titel "TTIP, CETA, TiSA:
Die Kapitulation vor den Konzernen" den Wirtschaftslobbyisten Pascal Kerneis vom European Services
Forum, dem u.a. die Deutsche Bank,
Microsoft und Siemens angehören.
[5]
"Öffentliches Interesse", ein unbestimmter Rechtsbegriff, der die Belange der Allgemeinheit gegenüber
Individualinteressen kennzeichnen
soll, ignoriert allerdings die innerstaatlichen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse, indem ein Interessengegensatz lediglich zwischen Allgemeinheit und Individuum angenommen wird. Doch wer erlangt die
Deutungshoheit darüber, was konkret unter Allgemeinheit zu fassen
ist? Nimmt man den Neoliberalismus
beim Wort, dann handelte ein Staat,
der zu einhundert Prozent die Profitmaximierungsinteressen der Unternehmen befördert, zugleich im Interwww.schattenblick.de
esse der gesamten Bevölkerung. Beschränkt sich die TTIP-kritische Argumentation auf den Begriff des öffentlichen Interesses oder Gemeinwohls, bleiben die gesellschaftlichen
Verfügungs- und Verwertungsbedingungen, die in ihrer Zuspitzung zur
sogenannten Freihandelsagenda
überhaupt erst geführt haben, von
Kritik und Inangriffnahme ausgenommen.
Im Vergleich zu Regierungsstürzen,
Staatsstreichen oder Interventionskriegen machen Handelsverträge
und Investitionsschiedsgerichte
einen harmlosen, zivilen Eindruck.
Ihre Wirkmächtigkeit dürfte ungleich größer sein. Der Trick besteht
darin, staatliches Handeln keineswegs für illegitim zu erklären, sondern ganz einfach Schadenersatzurteile in exorbitant großer Höhe zu
verhängen. In der Vergangenheit haben Schiedsgerichte bereits erkennen
lassen, wes Geistes Kind sie sind, indem sie, wie beispielsweise in Mexiko geschehen, die Entscheidung örtlicher Behörden, einem Konzern die
Betriebsgenehmigung für eine Sondermülldeponie zu verweigern, als
indirekte Enteignung bewertet haben.
In Art. 12 des TTIP-Entwurfs soll
den Vertragsparteien verboten werden, Maßnahmen zu ergreifen, die
einen Bruch der legitimen Erwartungen von Investoren darstellen. Weltweit bekannt geworden ist das Urteil
eines Schiedsgerichts, durch das Libyen für die vom Investor erwarteten
zukünftigen Gewinne Schadenersatz
in Höhe von 905 Millionen US-Dollar leisten mußte, obwohl dieser lediglich 5 Millionen US-Dollar investiert hatte. [6] Die EU-Kommission
will im TTIP-Investitionskapitel
auch eine "indirekte Enteignung"
verankern. Staatliche Eingriffe in Eigentumsrechte wären dann nur erlaubt, wenn sie einen legitimen
Zweck verfolgen, notwendig und
verhältnismäßig sind - worüber im
Zweifelsfall die sogenannten
Schiedsgerichte entscheiden. [5]
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Müssen nicht auch in Deutschland
die Regierungen von Bund und Ländern eine Klageflut ausländischer,
zumeist US-amerikanischer Unternehmen befürchten, die die ihnen
durch CETA resp. TTIP ermöglichten Investor-Staat-Klagen gegen regulatorische Entscheidungen deutscher Stellen richten? Man denke nur
an die zweite Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall,
der die Bundesregierung vor einem
internationalen Schiedsgericht auf
3,7 Milliarden Euro Schadenersatz
verklagt hat mit der Begründung,
wegen der Stillegung der AKWs
Krümmel und Brunsbüttel enteignet
und nicht 'gerecht und billig' behandelt worden zu sein. Bemerkenswerterweise verweigert die Bundesregierung dem Bundestag wie auch der
Öffentlichkeit nähere Informationen
zu diesem Fall. [7]
richten in Frage gestellt wurden. In
97 Prozent der rund 150.000 bei der
EU eingegangenen Stellungnahmen
wurden die Konzernklagerechte abgelehnt. Im Herbst 2015 legte die
EU-Kommission einen Reformvorschlag vor, in dem die bisherigen Investor-Staat- Klagerechte ISDS (investor-state dispute settlement) durch
einen Internationalen Handelsgerichtshof ICS (Investment Court System) ersetzt wurden. Behauptet wurde, ICS wäre unabhängig und würde
das staatliche Regulierungsrecht
schützen. Faktisch würde dieses
Recht den Investitionsschiedsgerichten, die darüber entscheiden, ob eine
Regierungsentscheidung, ein Gerichtsurteil oder ein vom landeseigenen Parlament erlassenes Gesetz
einen legitimen Zweck verfolgt, notwendig und verhältnismäßig ist, untergeordnet werden.
Wenn Regierungen wie die bundesdeutsche und die US-amerikanische,
obwohl sie selbst bereits von Investorklagen in Milliardenhöhe betroffen sind, daran festhalten, TTIP
schnellstmöglich umzusetzen, kann
dies nur bedeuten, daß diese Nachteile von ihnen als geringfügig eingestuft werden gegenüber dem Nutzen, den sie durch dieses Abkommen
für sich realisieren zu können glauben. Längst wird seitens der Kritikerinnen und Kritiker auf den sogenannten "regulatory chill" hingewiesen, womit die faktisch einschüchternde Wirkung der Konzernklagen
und -klageandrohungen, aber auch
der bisherigen Schiedsgerichtsurteile, gemeint sind.
Eine Analyse TTIP-kritischer Organisationen zeigte, daß der neue ICSVorschlag für die staatliche Regulierung genauso gefährlich ist wie der
vorherige und sich nur marginal von
diesem unterscheidet, da er einige
wenige prozedurale Verbesserungen
enthält. Auch der neue Entwurf
schreibe eine extrem weitgehende
Auslegung der Schutzstandards fest,
indem er Investoren den Schutz legitimer Erwartungen und eine faire
und gerechte Behandlung zubilligt.
Die umstrittenen Konzernsonderklagerechte würden nicht abgeschafft,
sondern faktisch verewigt werden.
Kein EU-Staat könnte diese Klagerechte wieder aufkündigen - er müßte aus der EU austreten. Mit ICS
würde ein zutiefst ungerechtes System festgeschrieben werden, "in
dem nur eine Seite (üblicherweise
große Konzerne und wohlhabende
Privatpersonen) mit weitgehenden
einklagbaren Rechten ausgestattet
ist, während die andere Seite (üblicherweise die Bevölkerung eines
Landes) ausschließlich Pflichten
auferlegt bekommt", hieß es. [6]
Ein Reformvorschlag soll den
Widerstand brechen
In den zurückliegenden Jahren sind
die Investor-Staat-Klagen so massiv
in die Kritik geraten, daß die EUKommission im Frühjahr 2014 die
Modalitäten des Investitionsschutzes
öffentlich zur Disposition stellte, wobei weder die Klagerechte an sich
noch die Einrichtung von SondergeSeite 8
Der Deutsche Richterbund hat sich
im Februar gegen diesen Reformvorschlag ausgesprochen. Für ein
solches Gericht gäbe es weder eine
Rechtsgrundlage noch eine Notwendigkeit, so die Begründung. Sollten
die Gerichte der EU-Mitgliedsstaaten ausländischen Investoren keinen
effektiven Rechtsschutz gewähren eine Annahme, die sachlicher Feststellungen entbehrt -, wäre es Aufgabe der Gesetzgeber, in den bestehenden nationalen oder europäischen
Rechtssystemen Abhilfe zu schaffen.
Der Deutsche Richterbund zweifelt
auch an, daß die EU die Kompetenz
zur Errichtung eines Investitionsgerichts hat. Nicht einmal die geringfügigen verfahrensrechtlichen Verbesserungen des ICS-Vorschlags haben
in den Augen der größten Vereinigung deutscher Staatsanwälte und
Richter Bestand. Das ICS wäre kein
internationales Gericht, sondern ein
ständiges Schiedsgericht. Die Kriterien der Magna Charta der Richter
des CCJE (Konsultativrat Europäischer Richter des Europarats) vom
17. November 2010 für eine richterliche Unabhängigkeit wären beim
ICS nicht erfüllt. [8]
Ungenannter Kollateralnutzen?
Die vielen Kritikpunkte und Einwände auch gegen den marginal modifizierten, in Gänze der Öffentlichkeit
noch immer vorenthaltenen TTIPEntwurf geben Anlaß zu grundsätzlichen Fragen. Handelt es sich bei den
sogenannten Investitionsschutzabkommen tatsächlich um Instrumente,
die ausschließlich den Profitmaximierungsinteressen der Unternehmen
gewidmet sind? Auch die größten
Konzerne bedürfen staatlicher wie international organisierter Zuarbeit, um
ihre Geschäfte tätigen zu können. Die
Annahme, die Regierungen führender
westlicher Staaten wären durch die
Konzerne korrumpiert, ist so wenig
stichhaltig wie die Vermutung, daß
die EU und die USA tatsächlich mitMit ihrer Kritik stehen die Herausge- einander ein Freihandelsabkommen
berorganisationen nicht allein da. schaffen wollen, das sie durch die
www.schattenblick.de
Fr, 29. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
weitreichenden Konzernklagerechte
faktisch selbst entmachtete.
Vorstellbar wäre so etwas wie ein
Spiel mit verteilten Rollen zwischen
Staat und Kapital, in dem die unterschiedlichen Funktionen geschickt
nebeneinander zur Anwendung gebracht werden. Für Schadenersatzklagen, bei denen Konzerne als Akteure auftreten, können ihre Regierungen nicht verantwortlich gemacht
werden. Diese juristischen Instrumente können problemlos überall
dort eingesetzt werden, wo gleichermaßen politische wie profitorientierte Interessen dieser eher informellen
Bündnisse durchgesetzt werden sollen. Die eigentliche Zweckbestimmung des sogenannten Investitionsschutzes könnte in der Etablierung
eines repressiv-politischen Machtmittels liegen, für das es noch kein
Beispiel und keine adäquate begriffliche Bezeichnung gibt.
Sondergerichte, die den nationalen
wie internationalen rechtlichen Institutionen übergestülpt bzw. vorgelagert sind, werden mit Sanktionsbefugnissen ausgestattet, die es ihnen
ermöglichen, die Regierungen ganzer Staatengruppen faktisch in die
Knie zu zwingen, indem ruinöse
Schadenersatzurteile gegen sie verhängt oder, im Vorfeld, entsprechende Drohungen geltend gemacht werden. Durch TTIP würde dies im Verhältnis zwischen der EU und den
USA die Option bieten, exekutive
Maßnahmen, die zu massiven Protesten der Bevölkerungen führen,
durchzusetzen mit dem Argument,
durch die Investorschutzbestimmungen des Abkommens oder dementsprechende Schiedsgerichtsurteile
dazu gezwungen zu sein. Kurzum:
Durch TTIP könnte ein System
zweckgebundener Verantwortungsübertragung installiert werden, das
die quasi-diktatorischen Verhältnisse bemäntelt, die durch die faktische
Unterordnung staatlicher Souveränität und demokratischer Prinzipien
unter das Primat der Investitionslogik geschaffen werden.
Fr, 29. April 2016
Anmerkungen:
[1] Einer von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie
zufolge haben sich in Deutschland
nur noch 17 Prozent der Befragten
für TTIP ausgesprochen, während 33
Prozent das Abkommen total ablehnten. 2014 war es um die Akzeptanz
dieses transatlantischen Projekts
deutlich besser bestellt gewesen, hatten sich noch 88 Prozent für und nur
9 Prozent gegen TTIP ausgesprochen.
[2] Die transatlantischen Beziehungen zukunftsfest weiterentwickeln.
Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD. Deutscher
Bundestag, Drucksache 18/8072, 18.
Wahlperiode,
12.04.2016.
www.dip.bundestag.de
[3] Zu der Behauptung, durch TTIP
würden soziale und ökologische
Standards nicht gesenkt werden, siehe im Schattenblick
www.schattenblick.de → INFOPOOL
→ POLITIK → KOMMENTAR:
PROPAGANDA/1486: Mythos
Freihandel (SB)
[4] Siehe auch: Investitionsschutz
am Scheideweg. TTIP und die Zukunft des globalen Investitionsrechts. Von Pia Eberhardt. Mai 2014.
Veröffentlicht von der FriedrichEbert-Stiftung, Internationale Politikanalyse - Dialogue on Globalization
[5] TTIP, CETA, TiSA: Die Kapitulation vor den Konzernen. Von Thomas Fritz, November 2014. 3. Kapitel: Ein scharfes Schwert: Investitionsschutz und die Investor-StaatKlagerechte, S. 7-12. Hrsg.: Powershift, Europäische Bürgerinitiative
Stopp TTIP, BUND, Attac Deutschland, ver.di Bayern
[6] TTIP: Eine transatlantische Verfassung der Konzerne? Februar 2014
von Peter Fuchs & Pia Eberhardt.
Der Text ist eine gekürzte Fassung
eines Beitrags für das Buch Die Freihandelsfalle. Transatlantische Induwww.schattenblick.de
striepolitik ohne Bürgerbeteiligung das TTIP (Hrsg: Klimenta/Fisahn
et.al.; VSA-Verlag).
http://www.zeitschrift-luxemburg.de/ttip-eine-transatlantischeverfassung-der-konzerne/
[7] Totgesagte leben länger - der
ISDS-Zombie. Wie die EU-Kommission gefährliche Konzernklagerechte weiterleben lässt. Kurzfassung einer von Corporate Europe
Observatory, Association Internationale de Techniciens, Experts et
Chercheurs, Attac Österreich, Campact, ClientEarth, Ecologistas en accíon, Forum Umwelt & Entwicklung, Instytut Globalnej Odpowiedzialnosci, PowerShift, Seattle to
Brussels Network, Traidcraft, Transnational Institute, Umanotera, Védegylet, Vrijschrift, War on Want,
11.11.11 im März 2016 herausgegebenen Studie.
[8] Stellungnahme zur Errichtung eines Investitionsgerichts für TTIP Vorschlag der Europäischen Kommission vom 16.09.2015 und
12.11.2015. Deutscher Richterbund.
Stellungnahme Nr. 4/16, Februar
2016. www.drb.de
TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel im Schattenblick
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:
BERICHT/068: Das Anti-TTIPBündnis - Widerstand und Kompromiß ... (SB)
BERICHT/069: Das Anti-TTIPBündnis - Lackmustest Verschärfung
... (SB)
BERICHT/070: Das Anti-TTIPBündnis - die Hoffnung auf Mehrheiten ... (1) (SB)
BERICHT/071: Das Anti-TTIPBündnis - die Hoffnung auf Mehrheiten ... (2) (SB)
BERICHT/072: Das Anti-TTIPBündnis - Erhalt marktregulierter
Vorherrschaft ... (SB)
BERICHT/075: Das Anti-TTIPBündnis - beim Thema bleiben ... (SB)
Seite 9
Elektronische Zeitung Schattenblick
BERICHT/076: Das Anti-TTIPBündnis - Freiheit säen, utopisch
ernten ... (SB)
BERICHT/077: Das Anti-TTIPBündnis - Abwicklungsdruck ...
(SB)
BERICHT/078: Das Anti-TTIPBündnis - Ein großes Spektrum ...
(1) (SB)
BERICHT/079: Das Anti-TTIPBündnis - Ein großes Spektrum ...
(2) (SB)
INTERVIEW/097: Das Anti-TTIPBündnis - die Säge am Überlebensast ... Pia Eberhardt im Gespräch
(SB)
INTERVIEW/098: Das Anti-TTIPBündnis - Kulturelle Errungenschaften im Ausverkauf ... Olaf Zimmermann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/099: Das Anti-TTIPBündnis - Konsens ... Nelly Grotefendt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/100: Das Anti-TTIPBündnis - Rechtsprechung statt Verträge ... Petra Pinzler im Gespräch
(SB)
INTERVIEW/101: Das Anti-TTIPBündnis - Korrumption im Zangengriff der Basis ... John Hilary im
Gespräch (SB)
INTERVIEW/102: Das Anti-TTIPBündnis - Kontroll- und Verwertungsmotive ... Uta Wagenmann im
Gespräch (SB)
INTERVIEW/103: Das Anti-TTIPBündnis - der Kriegsführung entlehnt ... Uwe Hiksch im Gespräch
(SB)
INTERVIEW/104: Das Anti-TTIPBündnis - Großer Spieler Eurozone
... Francisco Mari im Gespräch (SB)
INTERVIEW/105: Das Anti-TTIPBündnis - Betrogene Mehrheitsinteressen ... Melinda St. Louis im
Gespräch (SB)
INTERVIEW/106: Das Anti-TTIPBündnis - eine globale Antwort ...
Alexis Passadakis im Gespräch (SB)
INTERVIEW/112: Das Anti-TTIPBündnis - Einfluß nehmen ...
Jörg Haas im Gespräch (SB)
Demonstration gegen TTIP am 23. April
2016 in Hannover im Schattenblick
www.schattenblick.de → INFO­
POOL → BUERGER → REPORT:
BERICHT/080: TTIP Nein danke Demo auf dem Nebengleis ... (SB)
INTERVIEW/113: TTIP Nein danke
- unaufgeregt und skeptisch ...
Lori Wallach im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/
infopool/buerger/report/
brrb0081.html
BÜRGER UND GESELLSCHAFT / AMNESTY INTERNATIONAL / SÜDAMERIKA
Erneuter Anstieg der Polizeigewalt in Rio
Internationale Presseagentur Pressenza ­ Büro Berlin
Nachricht von Amnesty International vom 27. April 2016
27.04.2016 ­ London / Bern ­ Amnes­
ty International. Die Polizei in Rio
de Janeiro hat seit Monatsbeginn bereits elf Personen erschossen. Die erneute Zunahme der Polizeigewalt
versetzt die Bewohnerinnen und Bewohner der Favelas in Angst und
Schrecken, stellt Amnesty International 100 Tage vor Beginn der
Olympischen Spiele fest.
Mindestens 307 Menschen wurden
2015 alleine in der Stadt Rio de Janeiro von der Polizei getötet. In anderen Worten: Einer von fünf Toten ging auf das Konto der Polizei.
Statt die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, gehen die
Behörden der Stadt mit harter
Seite 10
Hand gegen friedliche Demonstrie- Weder Ermittlungen noch klare
Vorschriften für die Polizei
rende vor.
"Den Bewohnerinnen und Bewoh­
nern von Rio wurde als Vermächtnis
der Olympischen Spiele eine sichere
Stadt versprochen. Stattdessen erle­
ben sie einen Anstieg der Polizeige­
walt ­ bis hin zu Tötungen."
Atila Roque, Direktor von Amnes­
ty International Brasilien
Die Polizei reagiert auf Demonstrationen und Proteste vermehrt mit Gewalt: In den vergangenen Jahren
wurden durch den Einsatz von Gummigeschossen, Handgranaten und
Feuerwaffen mehrere Menschen
ernsthaft verletzt.
www.schattenblick.de
Zu kaum einem der tödlichen Polizeieinsätze wurden bisher Ermittlungen eingeleitet und die Sicherheitskräfte erhalten weder ein angemessenes Training noch klare Vorschriften für den Einsatz von sogenannten
"nicht-tödlichen Waffen". Demonstrierende werden mittlerweile wie
Staatsfeinde behandelt.
Die Behörden der Stadt und das Organisationskomitee von Rio 2016
haben noch hundert Tage Zeit, um
sicherzustellen, dass durch Einsätze
zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit an den Olympischen SpieFr, 29. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
len keine Menschenrechte verletzt
werden. Wir erwarten von den Polizeikräften, dass sie bei ihren Einsätzen mit Umsicht vorgehen, statt ihre
bisherigen Strategie 'erst schiessen,
später fragen' fortzuführen.
chen Sicherheit mit Blick auf die http://creativecommons.org/licenOlympischen Spiele erlassen hat, ein ses/by/4.0/
Anti-Terror-Gesetz, das häufig als
*
Vorwand dient, um Protestkundgebungen zu verbieten oder Protestie- Quelle:
Internationale Presseagentur
rende zu kriminalisieren.
Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
Junge, schwarze Männer am
E-Mail:
Anmerkung:
stärksten betroffen
[email protected]
[1] https://www.amnesty.ch/de/laen- Internet: www.pressenza.com/de
Im August 2015 veröffentlichte der/amerikas/brasiliAmnesty International den Bericht en/dok/2015/brasilien-polizeigewalt
http://www.schattenblick.de/
"You Killed My Son: Homicides
infopool/buerger/amnesty/
Committed by Military Police in the Der Text steht unter der Lizenz Creabasam047.html
City of Rio de Janeiro" [1].
tive Commons 4.0
Dieser belegt, dass die Gewaltbereitschaft der Polizei in der Favela Acari nach der Weltmeisterschaft 2014
gestiegen ist. Die grosse Mehrheit
der Opfer exzessiver Polizeigewalt
sind junge, schwarze Männer, die in
den Favelas oder anderen marginalisierten Gegenden wohnen.
"Es ist beunruhigend, zu sehen, wie
die Polizei in Rio und anderen bra­
silianischen Städten jeden Tag tötet
und die Behörden kaum was dagegen
unternehmen. Den Preis für das Ver­
sagen der Behörden bezahlen mehr­
heitlich die Bewohnerinnen und Be­
wohner der Favelas."
Atila Roque, Direktor von Amnes­
ty International Brasilien
Anti-Terror-Gesetz zur Wahrung
der öffentlichen Sicherheit
Weitere Besorgnis bereitet die gewaltsame Unterdrückung von Protesten im Vorfeld der Olympischen
Spiele. Zwei Jahre nach der FussballWeltmeisterschaft sind noch immer
keine wirksamen Massnahmen zur
Verhinderung von Polizeigewalt implementiert worden. Und das, obwohl Amnesty International damals
mehrere Fälle von exzessiver und
unnötiger Gewaltanwendung durch
die Polizei bei Protestkundgebungen
dokumentiert hatte. Bezeichnenderweise ist das einzige Gesetz, das die
Regierung zur Wahrung der öffentliFr, 29. April 2016
BILDUNG UND KULTUR / LITERATUR / MELDUNG
Lateinamerika
Buch von Eduardo Galeano posthum veröffentlicht
poonal ­
Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
(Mexiko­Stadt, 13. April 2016, desin­
formemonos) ­ Knapp ein Jahr nach
dem Tod des am 13. April 2015 in
Montevideo verstorbenen uruguayischen Schriftstellers und Journalisten
Eduardo Galeano ist ein Buch aus seinem Nachlass erschienen. "El Cazador
de Historias" ("Der Geschichtenjäger") wurde zunächst in Argentinien
und in Mexiko veröffentlicht. Eduardo Galeano war in den 1970er Jahren
mit seinem Buch "Las venas abiertas
de América Latina" ("Die offenen
Adern Lateinamerikas") weltberühmt
geworden. Er hinterließ den Text des
nun veröffentlichten Buchs vollständig und korrigiert. In Verlegerkreisen
ist die Rede von einem Werk, aus dem
Rohheit, Sanftheit und Humor der
heutigen Welt sprächen.
litäten, die eigentlich klar erkennbar
sind, aber doch nicht von allen gesehen werden. Auf der Rückseite des
Buchdeckels heißt es: "Das 21. Jahrhundert erweist sich nicht gerade als
ein großes. Die Missbräuche eines
Systems aus Reichen, die immer reicher werden und immer unverschämter, sind an der Tagesordnung."
Gedanken über den Tod
Die Leser*innen von "El Cazador de
Historias" finden einige schöne und
kraftvolle Geschichten, die staunen
machen. Diese erzählen von Kindheit und Jugend Galeanos, von seinen ersten Reisen durch Lateinamerika, von den Menschen, die sein LeGroßes Unbehagen
ben und sein Schreiben prägten - es
am 21. Jahrhundert
geht aber auch um die Vorstellungen,
die sich der im Alter von 74 Jahren
Dem Verlag Siglo XXI zufolge an Lungenkrebs Gestorbene über
schreibt Eduardo Galeano über Rea- den Tod machte.
www.schattenblick.de
Seite 11
Elektronische Zeitung Schattenblick
Feilen an den Texten bis zum
Schluss
meisten liebte: Texte zu schreiben
und immer wieder an ihnen zu feilen.
Augenzwinkernd sprach er von
Verleger Carlos Díaz erklärt, das Buch "Kritzeleien", von denen einige sich
habe aufgrund des Gesundheitszu- nun im posthum erschienenen Buch
standes von Galeano nicht mehr zu finden.
dessen Lebzeiten veröffentlicht werden können. Man habe ihm den Stress URL des Artikels:
ersparen wollen, der mit jeder Veröf- https://www.npla.de/poonal/buchfentlichung verbunden sei und sich für von-eduardo-galeano-posthum-vereine Verschiebung entschieden.
oeffentlicht/
Galeano habe seine letzten Monate
mit dem verbracht, was er mit am
*
Quelle:
poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
Herausgeber:
Nachrichtenpool Lateinamerika e.V.
Köpenicker Straße 187/188,
10997 Berlin
Telefon: 030/789 913 61
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.npla.de
http://www.schattenblick.de/
infopool/bildkult/litera/
bklm0080.html
DIE BRILLE / REDAKTION / REZENSION
Siegfried Lenz
Siegfried Lenz
Der Überläufer
Der Überläufer
Beispiellose Zensur, Verdrängung und Verschweigen bis in die Gegenwart.
Zu Siegfried Lenz' posthum erschienenem Roman Der Überläufer
von Christiane Baumann
Es kommt nicht so häufig vor, dass
ein Autor nach seinem Tod mit einem neuen Roman für Schlagzeilen sorgt, ja sogar Bestseller-Listen
erobert, obgleich Nachlässe immer
mal wieder Überraschungen bereithalten. Siegfried Lenz' Roman Der
Überläufer, der bereits 1952 fertiggestellt und nun posthum aus seinem Nachlass im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar
veröffentlicht wurde, hat geradezu
für einen Paukenschlag gesorgt.
Der Roman ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst ist
es ein außergewöhnlicher literarischer Text. Doch noch ungewöhnlicher ist seine Entstehungs- und
Publikationsgeschichte, die ein
Schlaglicht auf bundesdeutsche
Wirklichkeit der 1950er Jahre
wirft, auf Zensur und Verdrängung,
die bis in die heutige Zeit nachwirken.
Seite 12
Aber zunächst zur Geschichte, die
am Ende des Zweiten Weltkriegs
einsetzt. Der 29 Jahre alte Soldat
Walter Proska kehrt 1944 an die Ostfront zurück. Dabei gerät sein Zug
bei Prowursk in den Rokitno-Sümpfen in einen Hinterhalt der Partisanen. Proska überlebt als Einziger,
kommt zu einem deutschen Wachkommando, das in den Sümpfen stationiert ist und den Bahndamm sichern soll. Sechs Soldaten und ein
Unteroffizier gehören zum Wachkommando der Festung "Waldesruh". Der Name erweist sich als trügerisch: Die Festung spiegelt im
kleinen, abgeschiedenen Raum alle
Facetten des mörderischen Krieges
wider.
Schon Proskas Ankunft wird von einem Toten begleitet, dessen Platz im
Wachkommando er nun einnehmen
soll. Wieder sind sie sieben Mann,
wie im Märchen, doch es ist ein Märwww.schattenblick.de
Roman
Hoffmann und Campe,
Hamburg, 2016
817 Seiten
25,00 Euro
ISBN: 978­3­455­40570­5
chen des Grauens. In dieser kleinen
Welt "führen auch die Mücken und
die Fliegen gegen uns Krieg" (S. 78),
erklärt einer der Kameraden Proska.
Der Krieg hat von Mensch und Tier
Besitz ergriffen: Jan Zwiczosbirski
widmet sich dem "Spiel der tödlichen Verführung" (S. 168) eines
Hechtes, der Koch Baffi erlegt fast
genussvoll eine Ratte und domestiziert ein Huhn. Der Soldat Helmut
Poppek zerstört mit Freude Birken
und Proska, der vom baldigen Ende
des Krieges überzeugt ist, erkennt im
Korporal Willi Stehauf einen Unteroffizier, der menschenverachtend
agiert, ein "Schwein" (S. 84), das
skrupellos einen Pfarrer hinterrücks
erschießt und mit Sprüchen wie
"Halten Sie das Maul, sonst erkältet
sich Ihr Darm" (S. 73) oder das Denken "überlassen Sie ruhig mir und
Ihren Vorgesetzten" (S. 119) blinden
Gehorsam einfordert.
Fr, 29. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Mitten in dieser Welt des Todes erlebt Proska eine Liebesgeschichte
mit der Partisanin Wanda, auf die er
bereits im Zug trifft und der er wie
im Märchen drei Mal wiederbegegnet. Wie ein mythisches Wesen
taucht Wanda überraschend in den
Sümpfen auf. Sie ist 27 Jahre alt, wobei nicht nur die Sieben nachdrücklich auf das Mythische deutet, auch
ihre "grünblauen Augen" (S. 26) erinnern an eine Wassernixe oder
Sphinx. Wegen ihres roten Haares,
das einer Hexe entstammen könnte,
nennt Proska sie liebevoll "Eichhörnchen" (S. 113). Der erfüllte Augenblick, der in lyrischen Versen seine poetische Entsprechung findet,
bleibt nicht folgenlos. Wanda und
Walter werden ein Kind haben,
"wenn der Winter fortgeht" (S. 265).
Die Geburt des neuen Lebens, das
aus der Liebe eines deutschen Soldaten und einer Partisanin, die auf Seiten des Feindes kämpft, entstanden
ist, fällt mit dem Ende des Krieges
und einem Neubeginn zusammen.
Das Kind wird zum Symbol einer
Liebe, die stärker ist als Krieg, Tod
und Vernichtung und erinnert an Anna Seghers bereits 1949 erschienenen Roman Die Toten bleiben jung
ebenso wie an Bruno Apitz' 1958
veröffentlichten Welterfolg Nackt
unter Wölfen.
schildert Lenz, wie Proska auf Seiten der Sowjetarmee gegen seine
einstigen Kameraden kämpft. Gemeinsam mit einem deutschen Offizier ist er an der Front per Lautsprecherwagen im Einsatz, um deutsche
Soldaten zum Überlaufen zu bewegen. Nach Kriegsende wird er im
Auftrag der sowjetischen Militäradministration tätig, erlebt dubiose
Verhaftungen, Säuberungsaktionen
und entzieht sich schließlich seiner
eigenen drohenden Festsetzung
durch Flucht in den Westen. Dort findet er die Behauptung eines russischen Obersts bestätigt. Er erlebt den
"Stillstand" (S. 299) der bürgerlichen
Welt, die nach dem mörderischen
Krieg ohne zu zögern zur Tagesordnung, zum Alltag übergegangen ist.
Hier schließt sich der Kreis, als Walter Proska, noch am Bahnhof, eine
Anzeige seiner Schwester liest, die
ihren Mann sucht. Allein Proska
weiß um sein Schicksal, hat er ihn
doch nach seiner Desertion noch in
den letzten Kriegstagen erschossen.
Proska ist 35 Jahre alt, als er sich entschließt, seiner Schwester in einem
Brief Rechenschaft über sein Handeln abzulegen. Dieser Brief wird
zum Auslöser für das Erinnern und
gehört zur Rahmenhandlung des Romans. In einer fast groteske Züge tragenden Erzähleröffnung bemüht sich
Proska, von einem alten Apotheker,
der seine Kriegserinnerungen mit
Morphium-Spritzen betäubt, Briefmarken zu bekommen, um diesen
Brief abzusenden. Während der Alte
Erinnerungen ablehnt, weil nur Wenige "aus dem lernen, was gewesen
ist" (S. 15), stellt sich Proska seiner
Vergangenheit. Doch sein Brief voller Erinnerungen kommt als "nicht
zustellbar" (S. 337) zurück. Finden
diese Erinnerungen im bundesdeutschen Alltag des Jahres 1950 somit
einerseits keinen Adressaten, so kann
sich Proska andererseits seiner Vergangenheit nicht entledigen.
das Erzählte immer wieder in archetypische Zusammenhänge stellt. Die
Liebe und das Töten werden als Gegenpole menschlicher Existenz erfahrbar und finden ihre Aufhebung
in den Elementen "Wasser oder Erde", die die Heimat aller Menschen
sind und die "Brücken der Unversöhnlichkeit" (S. 135) fortreißen
werden. Die Utopie einer geradezu
beschworenen Brüderlichkeit leuchtet auf und wird von Versen eingeleitet, die mit ihrem "Reibe, reibe,
dummer Knabe, dir den / Morgen aus
den Augen; / bald wird dich die
Nacht verprügeln, / und das Wasser
fließt von neuem" (S. 135) an Goethes Ballade Der Zauberlehrling erinnern. Doch die Autorität eines
Meisters wird und kann den "Lehrling" in dieser Welt des Krieges und
der Vernichtung nicht mehr retten. Er
muss sich selbst "den Morgen aus
den Augen reiben" oder wie es der
Soldat Wolfgang Kürschner ausdrückt und damit sein Desertieren
begründet: "Der untätige, der passive Pazifismus ist ein impotentes Gespenst. Wer nur immer sagt: Ich bin
gegen den Krieg und es dabei bewenden lässt und nichts außerdem
tut, damit der Krieg ausgerottet wird,
der gehört ins pazifistische Museum." (S. 237) Ist es Zufall, dass diese Roman-Passage, die die Vision einer menschlichen Welt entwirft, mit
dem Satz beginnt: "Der junge Vormittag saß ahnungslos über dem
Sumpf; mit vergnügter Torheit rieb
er die Landschaft heiter" (S. 135),
und damit mit einem Satz, der an
Anna Seghers erste Veröffentlichung
aus dem Jahr 1928, an ihre mit dem
Kleist-Preis ausgezeichnete Erzählung Aufstand der Fischer von St.
Barbara erinnert? Dort allerdings
"saß der Aufstand noch auf dem leeren, weißen, sommerlich kahlen
Marktplatz und dachte ruhig an die
Seinigen, die er geboren, aufgezogen, gepflegt und behütet hatte ..."
[1]
Proska, der mit seinem Kameraden,
dem Studenten Wolfgang Kürschner,
immer wieder über Flucht nachgedacht hat, wechselt nach der Einnahme der Festung durch die Partisanen
wie dieser die Seiten. Es ist keine
Kurzschlussreaktion, sondern er will
"die Klicke" (S. 241), die für diesen
Krieg verantwortlich ist, aus der
Welt schaffen und damit das "nationalistische Ressentiment" als "die
Wurzel des deutschen Hochmuts und
der Quell dieses gottverdammten
Auserwähltheitsbewusstseins" (S.
238). Lenz' Überläufer Proska sollte
1955 in Thomas aus Franz Fühmanns in der DDR erschienener Novelle Kameraden einen Bruder fin- Lenz' Roman atmet Authentizität. Er Lenz' Romanheld trägt autobiograden. Doch während bei Fühmann die ist kunstvoll gebaut und schwebt phische Züge. Wie Proska wurde er
Novelle mit dem Desertieren endet, über einem mythischen Grund, der im ostpreußischen Lyck geboren.
Fr, 29. April 2016
www.schattenblick.de
Seite 13
Elektronische Zeitung Schattenblick
Auch Lenz desertierte in den letzten
Kriegstagen und kam in britische
Kriegsgefangenschaft. Das Thema
des Desertierens und Fraternisierens
hat ihn intensiv beschäftigt wie auch
seine 1984 entstandene Erzählung
Ein Kriegsende belegt, in der ein
Steuermann eines deutschen Minensuchbootes für die Befehlsverweigerung der Besatzung die Verantwortung übernimmt, um nach erfolgter
deutscher Teilkapitulation deren Leben zu schützen, was er - vor ein
Kriegsgericht gestellt - letztlich mit
seinem Leben bezahlt. Da stellt sich
umso nachdrücklicher die Frage,
warum Lenz diesen Roman zu Lebzeiten nicht veröffentlichte.
Der Kommentar von Günter Berg,
früherer Lektor des Verlages Hoffmann und Campe, der dem Roman
beigegeben wurde, enthüllt einen
Skandal. Lenz, der nach seinem Romanerstling Es waren Habichte in
der Luft mit dem Verlag Hoffmann
und Campe einen Vertrag über einen
zweiten Roman geschlossen hatte,
legte diesen 1951 vereinbarungsgemäß vor. Der Verlag beauftragte
verschiedene Gutachter, schließlich
den "Germanisten und Volkskundler
Dr. Otto Görner in Karlsruhe" (S.
343-344), der sich in seinen kritischen Anmerkungen zur ersten Romanfassung zunächst auf das "Technische, das Handwerkliche" (S. 344)
beschränkte. Als Lenz die überarbeitete, zweite Fassung im Januar
1952 vorlegte, in der er die Motive
für das Desertieren offenbar noch
deutlicher herausgefiltert hatte,
lehnte Görner den Roman rundheraus ab. Aus seiner Sicht war es in
der Adenauer-Ära vor dem Hintergrund des Kalten Krieges nicht
mehr opportun, die Geschichte eines
Überläufers der Deutschen Wehrmacht zur Roten Armee zu erzählen.
"Ein solcher Roman hätte 1946 erscheinen können. Heute will es bekanntlich keiner mehr gewesen sein.
[...] Sie können sich maßlos schaden, da helfen Ihnen auch Ihre guten Beziehungen zu Presse und
Funk nicht" (S. 347). Damit war
Seite 14
Lenz' Roman de facto abgelehnt. In
seinem Antwortschreiben stellte der
Autor einmal mehr seine moralische
Integrität unter Beweis, in dem er
die von Görner empfohlene Umarbeitung konsequent ablehnte.
Die Frage, warum Lenz dem Verlag
dennoch zeitlebens die Treue hielt
und den Roman zu den Akten legte,
muss unbeantwortet bleiben. Dass
der Verlag von diesem Roman, inzwischen ein Bestseller, der in einem
Akt beispielloser Zensur verhindert
wurde, nun sogar profitiert, kann als
Ironie der Geschichte gelten. Dass er
jedoch die Identität des einstigen
Gutachters Otto Görner in seinem
Kommentar im Dunkeln lässt, befremdet zutiefst. Görner, der 1930/31
bei André Jolles und Theodor Frings
studierte, die später dem NS-Regime
ergeben waren, wurde Ende 1937 in
Dresden Referent für Volkskunde
beim nationalsozialistischen Heimatwerk Sachsen. Nach dem Krieg
ging er in den Westen und schlug
sich als Lektor durch. Dass Görner
Lenz' Antikriegs-Roman und seine
Verbrüderung mit dem Feind im
Osten gegen den Strich ging, kann
somit nicht verwundern. Dass der
Verlag seinem Votum folgte, belegt,
dass die "Görners" in der Bundesrepublik des Jahres 1952 keine Ausnahme waren. Zudem erfolgte die
Zensur ohne staatlichen Eingriff.
Das Verschweigen dieses gesellschaftlichen Hintergrunds im Textkommentar stimmt bedenklich, ist es
doch Ausdruck einer fehlenden kritischen Auseinandersetzung mit der
bundesdeutschen Geschichte und einer Verdrängung, die bis in die Gegenwart reicht.
SCHACH - SPHINX
Der ungeliebte
Orang-Utan
Die Sokolski-Eröffnung
1.b2-b4 genießt im hohen Schach
kein sonderlich gelittenes Ansehen.
Überhaupt hatten es Flankenspiele
seit jeher schwer, sich gegen die
traditionell ums Zentrum sich balgenden Eröffnungen zu behaupten.
Wer sich einen Spaß machen oder
der lieben Abwechslung den Vorrang geben wollte, der spielte hin
und wieder die verrückte "OrangUtan-Eröffnung". Tartakower, der
ihr 1919 diesen scherzhaften Namen gab, weil die logische Folge
mit dem "Klimmzug" b4- b5 bei
ihm die Gedankenassoziation eines
am Baum emporkletternden Affen
weckte, darf sicherlich nicht als ihr
großer Verfechter ins Buch der
Schachgeschichte eingeschrieben
werden. Seine Zeit war eine Ära
neuer Gehversuche. Kapriziös veranlagt, widmete sich Tartakower im
wesentlichen literarisch dem seinerzeit gerade erschlossenen Terrain. Ansonsten hielt sich der Sentenzenschmied bedeckt, liebäugelte
bald mit dieser Idee, tanzte bald auf
einer anderen Hochzeit. Der Eröffnung, der er einen leicht spöttischen
Namen gegeben hatte, wird auch
weiterhin die Anerkennung verweigert aus keinem anderen Grund als
dem, daß sie nie in Mode gekommen ist. Nur darf man sie natürlich
nicht leichtfertig handhaben, wie es
zum Beispiel Dr. Linder getan hatte, so daß er nach nur wenigen Zügen in eine Verluststellung hineinschlitterte, aus der es dann kein
Entkommen mehr gab. Sein KonAnmerkung:
trahent Machate nutzte die Fehler
[1] Seghers, Anna: Aufstand der Fi­ unbarmherzig aus. Zuletzt hatte
scher von St. Barbara. Die Gefähr- sich im heutigen Rätsel der Sphinx
ten. Berlin und Weimar 1990, S. 7. die Zugfolge 1...Sh5-f4! 2.Db2-c2
ergeben. Der nächste Zug von
Schwarz sorgte dann für den baldihttp://www.schattenblick.de/
gen Zusammensturz. Also, Wandeinfopool/d­brille/redakt/
rer, nicht jeder Baum ist für einen
dbrr0010.html
Orang- Utan gut!
www.schattenblick.de
(SB) ­
Fr, 29. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Dr. Linder - Machate
Triberg 1950
Auflösung des letzten
Sphinx­Rätsels:
Kortschnoj grub sich mit 1.Lc1-d2?
selbst das Loch für seinen Reinfall.
Die Schwäche des weißen Königs
erlaubte nämlich durchaus den Bauernraub auf b2. Nach 1...Db6xb2!
2.f4xe5 Lg7xe5 3.Sa3-c4 Sh5xg3! dieser Pointe hatte Kortschnoj zu
wenig Aufmerksamkeit geschenkt 4.Tf1xf8+ Te8xf8 5.De2-e1
Sg3xe4+ 6.Kh2-g2 Db2-c2 7.Sc4xe5
Tf8-f2+ blieb dem Exilrussen nur
noch 8.De1xf2, woraufhin er jedoch
sofort aufstand und kommentar- und
grußlos davonpreschte.
http://www.schattenblick.de/
infopool/schach/schach/
sph05820.html
SPORT / BOXEN
Heimkehr nach Rußland als
Weltmeister
Sergej Kowaljow verteidigt seine
Titel gegen Isaac Chilemba
Sergej Kowaljow verteidigt
seine drei Titel im Halbschwergewicht am 11. Juli in Ekaterinburg gegen Isaac Chilemba. Der 33 Jahre alte Weltmeister der Verbände WBA,
WBO und IBF lebt mit seiner Fami(SB) ­
Fr, 29. April 2016
lie in Los Angeles und steigt erst zum
dritten Mal in seiner Profikarriere in
seinem russischen Heimatland in den
Ring. Zu seiner achten Titelverteidigung kehrt der Champion in dieselbe
Arena zurück, die bei seinem letzten
Auftritt in Rußland Schauplatz einer
Tragödie war. Im Dezember 2011 besiegte er Roman Simakow in der
siebten Runde, der drei Tage später
den Verletzungen erlag, die er in diesem Kampf davongetragen hatte. Kowaljow hat es seither abgelehnt, sich
dazu in der Öffentlichkeit zu äußern.
Der ungeschlagene Weltmeister, für
den 29 Siege und ein Unentschieden
zu Buche stehen, hat bei seinem letzten Auftritt am 30. Januar in Montreal auch die Revanche gegen den früheren Champion Jean Pascal gewonnen. Der Lokalmatador war über
weite Strecken klar unterlegen und
mußte schließlich in der siebten
Runde die Segel streichen. Er freue
sich sehr darauf, wieder einmal in
Rußland einen Kampf zu bestreiten,
so Kowaljow. Es erfülle ihn mit
Stolz, am Ende doch mit den Titeln
heimzukehren. Er danke seinem Manager Egis Klimas, Promoterin Kathy Duva von Main Events und Igor
Altuschkin von der Russischen Kupfergesellschaft dafür, daß sein langgehegter Traum nun Wirklichkeit
werde. Chilemba sei ein zäher Gegner, gegen den er am 11. Juli in bester Verfassung antreten werde.
das Duell mit Andre Ward im November vorzubereiten.
Die Promoter Main Events und
RocNation Sports haben mit dem
Sender HBO im vergangenen Jahr
einen der attraktivsten Kämpfe vereinbart, mit dem das Boxgeschäft
gegenwärtig aufwarten kann. Mit
Sergej Kowaljow trifft der führende
Akteur im Halbschwergewicht auf
Andre Ward, den vordem besten Boxer des Supermittelgewichts. Der 32
Jahre alte frühere Champion aus Oakland ist in 29 Kämpfen ungeschlagen und will auch im höheren Limit
beweisen, daß er jeden Gegner entzaubern kann. Bei Vertragsschluß
wurde vereinbart, daß beide Boxer
vor ihrem mit Spannung erwarteten
Duell zwei weitere Kämpfe unter der
Regie des Senders bestreiten dürfen.
Kowaljow hat Pascal besiegt und
trifft auf Chilemba. Ward mußte
einen im November 2015 geplanten
Auftritt wegen einer Knieverletzung
absagen und feierte bei seinem Debüt im Halbschwergewicht am 26.
März einen ungefährdeten Punktsieg
gegen Sullivan Barrera. Möglicherweise bestreitet auch er noch einen
zwischenzeitlichen Kampf im Sommer. Wenngleich ursprünglich vereinbart worden war, daß alle vorangehenden Auftritte bis Ende Juni abgeschlossen sein sollten, haben sich
die Vertragspartner nach Angaben
Kathy Duvas auf einen Zusatz in ihKathy Duva, die als Promoterin bei- rer Vereinbarung geeinigt, wonach
de Akteure unter Vertrag hat, zeigte noch im Juli Kämpfe möglich sind.
sich gleichermaßen erfreut, daß es
ihr endlich gelungen sei, Kowaljow Chilemba unterlag bei seinem letzin Rußland auftreten zu lassen, wo er ten Auftritt im November in Montreerstmals als amtierender Weltmeister al nur knapp und umstritten dem Loin den Ring steigen werde. Der kalmatador Eleider Alvarez. Damit
33jährige Isaac Chilemba stammt ur- verlor er einen Ausscheidungssprünglich aus Malawi und lebt in kampf, dessen Sieger der neue
Südafrika. Er hat 24 Auftritte gewon- Pflichtherausforderer des WBCnen, drei verloren sowie zwei unent- Weltmeisters Adonis Stevenson
schieden abgeschlossen. Ein leichter wurde. Sollte es ihm wider Erwarten
Kampf sei das nicht, so Duva, doch gelingen, Kowaljow in die Schranhabe sich Sergej bei seiner Rückkehr ken zu weisen, würde er damit die
einen anspruchsvollen Herausforde- Pläne des Russen durchkreuzen, sich
rer gewünscht, der ihm dabei helfen im November mit Andre Ward zu
könne, sich im Falle des Sieges auf messen.
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Elektronische Zeitung Schattenblick
Der Herausforderer dankte Mains
Events für diese erneute Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu
stellen, wie auch seinem Trainer
Buddy McGirt, der stets an ihn geglaubt habe. Er sei immer wieder auf
unerwartete Hindernisse getroffen,
die ihn jedesmal straucheln ließen,
wenn er gerade geglaubt habe, er
hätte es geschafft. Er sei sich jedoch
seiner Ziele sicher und höre nie auf,
sie zu verfolgen. Als ihn sein Manager Jodi Solomon von dieser großartige Chance in Kenntnis gesetzt habe, sei er überglücklich gewesen. Er
danke Sergej Kowaljow dafür, daß er
seine Titel mit diesem Kampf aufs
Spiel setze, und kündige ihm zugleich eine faustdicke Überraschung
an, da er sich den falschen Gegner
ausgesucht habe.
Pflichtherausforderer des Verbands
WBC zu werden und gegen dessen
Champion antreten zu dürfen. Sie
stehe nicht allein mit der Auffassung,
daß ein Sieg gegen Alvarez nicht unverdient gewesen wäre. Glücklicherweise sehe sie sich in der Lage, Chilemba einen anderen Titelkampf
möglich zu machen. Dies sei für alle Beteiligten die bestmögliche Ausgangslage, weshalb sie es kaum erwarten könne, nach Rußland zu reisen.
Der Kampf wird in Rußland von
Kamal Eins live übertragen, während die Ausstrahlung in den USA
noch Verhandlungssache ist. Wenngleich Kowaljow vertraglich an den
Sender HBO gebunden ist, steht
noch nicht fest, ob dieser mit von
der Partie ist, da die Veranstaltung
Kathy Duva attestierte Isaac Chilem- an einem Montagnachmittag USba, daß er dicht daran gewesen sei, amerikanischer Zeit stattfindet. Wie
Kathy Duva einräumte, sei die
Übertragung aus einigen Regionen
Rußlands in der Tat eine Herausforderung. HBO Sports prüfe derzeit
die Möglichkeit, den Kampf für das
US-Publikum auszustrahlen. Noch
sei es zu früh für eine Einschätzung,
ob das gelingen werde, doch wisse
sie um die Popularität Kowaljows
beim Sender und bei der Zuschauerschaft. [1]
Anmerkung:
[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/15310821/sergey-kovalevdefend-light-heavyweight-titlesisaac-chilemba-russia-july-11
http://www.schattenblick.de/
infopool/sport/boxen/
sbxm1951.html
THEATER UND TANZ / VERANSTALTUNG / KLEINKUNST
Kulturcafé Komm du ­ Juni 2016
Improliga-Match: "Leistenbruch" vs. "Stadtgespräch"
Improvisationstheater am Samstag, 4. Juni 2016, 20.00 bis 22.00 Uhr
im Kulturcafé Komm du
Platzreservierungen per Telefon: 040 / 57 22 89 52
oder E­Mail: [email protected]
Eintritt frei / Hutspende
Leistenbruch vs. Stadtgespräch
und doppelten Boden. Es gibt keinen
vorgegebenen Text und kein Büh2. Hamburger Improliga: Zehn Im­ nenbild. Das Publikum entscheidet,
protheatergruppen treten in freund­ was gespielt wird. So entstehen
schaftlichem Wettstreit gegeneinan­ spontane Szenen aus dem Stegreif,
der an
immer neu, immer anders. Im vergangenen Jahr schlossen sich mehImprovisationstheater ist im übertra- rere Hamburger Improtruppen zu eigenen Sinn Schauspiel ohne Netz ner Liga zusammen. Auch 2016
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heißt es wieder: Jedes Team spielt
einmal gegen jedes andere, den Gewinner bestimmen die Zuschauer,
und die Ergebnisse werden in einer
Tabelle dokumentiert - wie in der
Fußball-Bundesliga. Im Komm du
stellen sich die Teams von "Leistenbruch" und "Stadtgespräch" dem
Wettbewerb.
Fr, 29. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
der Jungfernstieg-Bühne. Mit spontanen Szenen, dreisten Dialogen, rücksichtslosen Reimen und leidenschaftlichen Liedern stellen sich die Leistenbrüchler mutig, lässig, manchmal
auch wahnwitzig immer wieder neuen Herausforderungen und schrecken
vor (fast) nichts zurück. Im Jahr 2014
haben sie sich die Bühne des Komm
du und die Herzen ihres Harburger
Publikums erobert und kehren seitdem alle drei Monate dorthin zurück.
Leistenbruch ­ Homepage:
http://www.improtheater-leistenbruch.de
Schattenblick­Interview mit Winni
Die Improtheater­Ensemles "Leisten­
bruch" (links) und "Stadtgespräch"
(rechts) treten in freundschaftlichem
Wettstreit gegeneinander an.
Foto links: © by Leistenbruch,
rechts: © by Birgit Kuntz
Improliga Hamburg:
Leistenbruch vs. Stadtgespräch
Bei diesem Theatersport Match der
Hamburger Improliga im - als überkochender Harburger Hexenkessel
bekannten - Komm du Café wird sich
zeigen, welches Team das größere
Risiko auf der Bühne auf sich nimmt.
Die kessen Stegreif-Leistenbrüchler
oder die flottflinken Spontan-Stadtgesprächler. Szenen, Szenen, Szenen. Keine wie die andere, aber jede
doch voller Spiel und Spass. So will
und bekommt es zumindest das Publikum nach seinen zackigen Vorgaben und auch der (von der Impro-Fifa für "weitgehend neutral" erklärte)
Schiri (der mit dem ulkigen Streifenhemd auf der Bühne). Strafpunkte
gibt es für Kalauer über Harburg,
Bonuspunkte für allerfeinste theatrale Komik und Figuren. Rhythmus
und musikalische Begleitung dazu
gibt es vom kreativen Musiker an der
Seitenlinie.
Seid auch dabei. Sobald ihr das
Komm du betretet, werden Spannung und Vergnügen in eurem Gesicht zu sehen sein, wenn nicht, dann
Fr, 29. April 2016
allerspätestens nach der Show. Oder vom Improtheater Leistenbruch:
spontan zwischendurch mal.
http://schattenblick.de/infopool/theater/report/trpi0020.html
Die Kontrahenten:
STADTGESPRÄCH
Stadtgespräch, aus Hamburg besteht
aus Menschen mit verschiedensten Interessen und Berufen. Gemeinsam mit
dem Publikum eine oder mehrere Geschichten zu entwickeln und für kleine und große Momente zu sorgen,
verbindet die elf Stadtgesprächler, die
sich auf der Bühne blind verstehen.
Gelernt haben sie ihr Handwerk unter
anderem in Seminaren von Keith
Johnstone persönlich, einem der Väter des Improtheaters und Jacob Banigan, Impro-Weltmeister aus Kanada.
Die nächsten Auftritte von Leisten­
bruch im Kulturcafé Komm du:
Samstag, 3. September 2016 - 20
Uhr: "Impro Show: Der Leistenbruch Flohmarkt"
Samstag, 3. Dezember 2016 - 20
Uhr: "Impro Glücks Show - Teil 2"
Das Kulturcafé Komm du
in Hamburg-Harburg:
Kunst trifft Genuss
Hier vereinen sich die Frische der
Küche mit dem Feuer der Künstler
und einem Hauch von Nostalgie
Das Komm du ist geöffnet von:
http://www.stadtgesprae.ch
Montag bis Freitag 7:30 bis 17:00,
Samstag von 9:00 bis 17:00 Uhr und
an Eventabenden open end.
LEISTENBRUCH
Näheres unter:
Stadtgespräch ­ Homepage:
http://www.komm-du.de
Leistenbruch ist weiterhin Hamburgs http://www.facebook.com/KommDu
stets hoffnungsvollste Truppe. Impro- Kontakt:
visation ist ihre Passion! Seit der Kulturcafé Komm du
Gründung 2007 hat die Improgruppe Buxtehuder Straße 13
schon in der Kaderschmiede in Otten- 21073 Hamburg
sen und jahrelang regelmäßig zu- E-Mail: [email protected]
nächst im Atisha-Cafe, dann im echt- Telefon: 040 / 57 22 89 52
zeit-Studio in Winterhude gespielt,
außerdem als Acts in der Galerie der Komm du­Eventmanagement:
Gegenwart (Kunsthalle) und 2012 bei Telefon: 04837/90 26 98
der 9. Hamburger Theaternacht auf E-Mail: [email protected]
www.schattenblick.de
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Elektronische Zeitung Schattenblick
______I n h a l t_____________________________________Ausgabe 1809 / Freitag, den 29. April 2016____
POLITIK - REPORT
BÜRGER - REPORT
BÜRGER - AMNESTY
BILDUNG UND KULTUR
DIE BRILLE - REDAKTION
SCHACH-SPHINX
SPORT - BOXEN
VERANSTALTUNGEN
DIENSTE - WETTER
Die Zwischentürkei - Diplomatie und Nebelbomben ...
Das Anti-TTIP-Bündnis - Vexierspiele ...
Erneuter Anstieg der Polizeigewalt in Rio (Pressenza)
Lateinamerika - Buch von Eduardo Galeano posthum veröffentlicht (poonal)
Siegfried Lenz - Der Überläufer (Roman)
Der ungeliebte Orang-Utan
Heimkehr nach Rußland als Weltmeister
Improvisationstheater ... "Leistenbruch" vs. "Stadtgespräch", 4.6.2016
Und morgen, den 29. April 2016
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Und morgen, den 29. April 2016
+++ Vorhersage für den 29.04.2016 bis zum 30.04.2016 +++
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IMPRESSUM
Wenn Jean-Luc doch nur einfach wüßte,
warum sich Regenwolken stauen
und Sturm pfeift an der Nordseeküste,
würd' er die Zuflucht fester bauen.
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Verantwortlicher Ansprechpartner: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
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ISSN 2190-6963
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