SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Der Osteraufstand 1916 Beginn der Unabhängigkeit Irlands Von Michael Reitz Sendung: Freitag, 22. April 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Martin Gramlich Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. 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April 1916, dem Ostermontag, von irischen Rebellen besetzt wurde. Es war der Beginn des sogenannten Osteraufstandes mit der Proklamation einer unabhängigen irischen Republik. Denn Irland war seit dem 12. Jahrhundert von England besetzt. Die Erhebung endete bereits nach sechs Tagen in einem totalen Fiasko. Der Grund: Kaum eine Rebellion der Weltgeschichte war dermaßen chaotisch geplant und durchgeführt worden wie der Irische Osteraufstand. Und trotzdem wurde er gerade durch sein Scheitern zum Erfolg. Ansage: Der Osteraufstand 1916 – Beginn der Unabhängigkeit Irlands. Eine Sendung von Michael Reitz. Musik Erzählerin: Irland gehört zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den ärmsten Regionen Europas. Die Auswirkungen einer Serie von schweren Hungersnöten in den 1840er-Jahren sind verheerend: Fast ein Drittel der irischen Bevölkerung ist verhungert oder ausgewandert. Leben Anfang des 19. Jahrhunderts noch 8 Millionen Menschen in Irland, sind es jetzt nur noch rund 4 Millionen. Doch das britische Mutterland unternimmt nichts, um das Elend der Iren zu verringern oder die industrielle Entwicklung des Landes zu fördern. Die Schaltstellen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung im katholischen Irland sind von Protestanten besetzt, die dem britischen Königreich treu ergeben sind, erzählt der irische Publizist Padraig Yeates. Er hat eine Fülle von Büchern geschrieben zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Irlands vor der Unabhängigkeit. OT 02 Padraig Yeates: All the big companies were owned ... Übersetzer: Alle großen Unternehmen waren in den Händen von Protestanten, die für eine Union mit England standen. Irland war Englands erste Kolonie. Was die Briten hier gelernt haben, konnten sie anderswo anwenden. Zum Beispiel, dass sie im 17. Jahrhundert protestantische Landwirte aus dem schottischen Tiefland hier ansiedelten, um die permanenten Aufstände in Schach zu halten. Sie waren so etwas wie der verlängerte Arm für die Briten. Erzählerin: Dublin, im 18. Jahrhundert noch eine blühende Handelsmetropole, ist 1916 eine heruntergekommene Stadt, so Padraig Yeates. 2 OT 03 Padraig Yeates: Dublin had very little industry … Übersetzer: Dublin hatte keine Industrie. Im Wesentlichen wurden irische landwirtschaftliche Produkte nach Britannien exportiert, während britische Industrieprodukte importiert werden mussten. Die Arbeiterklasse bestand also hauptsächlich aus Transport- und Hafenarbeitern – Stauer, Packer und menschlichen Lasteseln, diese Sorte von Jobs. Weil es keine nennenswerte Industrie gab, waren die meisten ohne einen erlernten Beruf, wie das ansonsten in Industrieregionen der Fall ist. Eine qualifizierte Arbeiterklasse gab es also nicht. Erzählerin: Anfang des 20. Jahrhunderts hat Dublin 400.000 Einwohner, 75 Prozent der Familien leben in Ein-Raum-Wohnungen. Die Kindersterblichkeit beträgt 14 Prozent, in den beiden Obdachlosenasylen Dublins hausen knapp 7.000 Menschen. In der übervölkerten und verarmten Hafenstadt an der Ostküste Irlands grassieren Lungenentzündungen und Tuberkulose – und eine rebellische Stimmung. Doch die irische Unabhängigkeitsbewegung ist zerstritten, so Fearghal McGarry, Historiker an der Königlichen Universität Belfast. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte der irischen Widerstandsbewegungen. OT 04 Fearghal McGarry: Everybody had their own idea ... Übersetzer: Jeder Ire hatte so seine eigenen Ideen von einer neuen Gesellschaft und wie eine Irische Republik aussehen sollte. Das große Problem war von Anfang an: Wie konnte man heimatverbundene Traditionalisten, katholische Nationalisten und nichtreligiöse Republikaner unter einen Hut bringen? Vor 1916 waren namhafte irische Nationalisten der Meinung, dass sich irische Interessen mit denen der Briten vereinbaren ließen, dass Irland Teil des Britischen Empires sei und man sowohl Ire als auch Brite sein könne. Erzählerin: Jahrhundertelang regierte der britische König in Personalunion auch das Königreich Irland. Seit dem sogenannten "Act of Union" aus dem Jahr 1801 sitzen irische Abgeordnete im Londoner Parlament. Doch das genügt vielen Iren nicht. So entsteht Mitte des 19. Jahrhunderts die "Home-Rule-Bewegung". Initiiert wird sie von der "Irish Republican Brotherhood", der "Irisch Republikanischen Bruderschaft", genannt die "Fenier", nach dem gälischen Wort für 'Kämpfer'. Sie will für Irland nach dem Vorbild der US-Bundesstaaten eine autonome politische Verwaltung, die in die völlige Unabhängigkeit übergehen soll. Die radikalen Fenier sind zeitweise mit 60 Abgeordneten im Britischen Unterhaus vertreten. Gemäßigter ist die "Irish Parliamentary Party", die einen Kurs vorsichtiger Verhandlungen mit den Briten fährt. Eine weitere Widerstandsbewegung ist die "Irish Citizen Army" des Gewerkschafters James Connolly, eine linksradikale Splittergruppe. Das größte Kontingent stellen jedoch die "Irish Volunteers", 1913 von Patrick Pearse und Sean Mac Diarmada gegründet. Alle politischen Gruppierungen verbindet eines, so Fearghal McGarry: 3 OT 05 Fearghal McGarry: Each of the groups, the republicans ... Übersetzer: Ob Republikaner, Sozialisten oder Traditionalisten – sie alle waren grundsätzlich pessimistisch und wenig zuversichtlich, was die politischen Verhältnisse in Irland anbelangte. Oft wird vergessen, dass die Mehrheit der Iren eher gemäßigt war. Sie unterstützten die Irische Parlamentspartei, eine moderate politische Gruppierung. Und sie unterstützten das Home Rule Prinzip, das nach ihrer Meinung ausreichen würde, um sich nicht als Kolonie des Britischen Weltreiches zu fühlen, sondern als Teil des Vereinigten Königreiches. Musik Erzählerin: Vor allem die "Irish Volunteers" haben großen Zulauf in dieser Zeit – die Organisation zählt vorübergehend circa 180.000 Mitglieder. Das macht die Briten nervös: Im Mai 1914 erlassen sie das Home-Rule-Gesetz, Irland soll ein eigenes Parlament und eine rein irische Verwaltung erhalten. Doch der Jubel ist verfrüht: Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 setzt die britische Regierung die Home RuleRegelung aus. Irland steht erneut mit leeren Händen da. Und es kommt zu einer Radikalisierung der politischen Akteure: In einer spektakulären Aktion schmuggeln die Irish Volunteers 900 deutsche Mauser-Karabiner mit 45.000 Schuss Munition nach Irland. Die Zeichen stehen auf Sturm, eine bewaffnete Auseinandersetzung mit den Briten ist nur noch eine Frage der Zeit. Fearghal McGarry: OT 06: Fearghal McGarry: All the rebels talked about ... Übersetzer: Wegen des Krieges redeten jetzt alle Nationalisten davon, dass Englands Schwierigkeiten eine Chance für Irland seien. Tatsächlich war es aber gerade zu dieser Zeit sehr riskant, die Briten aufs Korn zu nehmen, denn sie hatten so viele Männer unter Waffen und waren eine enorme militärische Macht. Erzählerin: Die Fenier der radikalen "Irish Republican Brotherhood", strukturiert wie ein Geheimbund, beschließen im September 1914 eigenmächtig den Fahrplan einer Rebellion. Zwei Maßnahmen stehen dabei im Vordergrund: zum einen die Unterwanderung der größten Unabhängigkeitsgruppierung, der paramilitärischen "Irish Volunteers", durch Mitglieder der Bruderschaft. Zum anderen Verhandlungen mit dem britischen Kriegsgegner Deutschland. Die Deutschen sollen weitere Waffen liefern und mit Truppen an der Westküste Irlands landen. Das deutsche Kaiserreich erklärt sich zwar zu Waffenlieferungen bereit, lehnt aber eine direkte militärische Intervention ab. Ein Rückschlag. Ein weiteres Problem: Weite Teile der irischen Bevölkerung wollen überhaupt keine bewaffnete Erhebung: 4 OT 07 Fearghal McGarry: There is a kind of radical republicans … Übersetzer: Es gab selbst radikale Republikaner und Nationalisten, die eine Erhebung zu diesem Zeitpunkt ablehnten. Sie wollten auf eine bessere Gelegenheit warten, beispielsweise auf die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Irland, die damals im Gespräch war. Dazu kam, dass der durchschnittliche irische Arbeiter eher an einem vernünftigen Job interessiert war, der ihm das Überleben sicherte. Erzählerin: Trotz dieser ungünstigen Bedingungen laufen die Aufstands-Vorbereitungen der Fenier weiter. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die größte irische Gemeinde außerhalb von Irland in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dorthin waren Iren nach den Hungersnöten des 19. Jahrhunderts ausgewandert, wie Fearghal McGarry erläutert: OT 08 Fearghal McGarry: The Easter Rising was essentially … Übersetzer: Der Osteraufstand war im Grunde auch so etwas wie eine internationale Verschwörung. Die irischen Republikaner in Amerika spielten eine große Rolle bei Spendensammlungen für den Aufstand und für die Verhandlungen mit möglichen weiteren Unterstützern. So handelten Amerikaner irischer Herkunft auch den Waffendeal mit Deutschland aus, und sie bekamen von den Deutschen auch die Zusage für diplomatische Unterstützung. Als der Aufstand dann losbrach, beherrschte er für zwei Wochen die Titelseiten der New York Times. Musik Erzählerin: Eine Schlüsselrolle bei der weltweiten Suche nach Unterstützung spielt Sir Roger Casement, ein britischer Diplomat irischer Herkunft. Er trommelt unter den amerikanischen Iren für Spenden und propagandistische Unterstützung, und er führt die monatelangen Verhandlungen mit dem Generalstab des deutschen Kaiserreichs. Die gesamte Zeit wird Casement dabei von britischen Spionen überwacht – was ihm eigentlich nicht entgangen sein kann. Für Fearghal McGarry wird hier ein Grundzug der meisten irischen Rebellen deutlich: ihre Naivität und völlige Fehleinschätzung der tatsächlichen politischen Kräfteverhältnisse. Das gelte nicht nur für Roger Casement, sondern auch für Patrick Pearse, den Anführer der "Irish Republican Brotherhood". OT 09 Fearghal McGarry: I think for the organisers of the Rising ... Übersetzer:: Für die Organisatoren des Aufstands war es, glaube ich, gar nicht mal so wichtig, tatsächlich Beistand aus Deutschland zu bekommen, nach dem Motto: Wenn’s klappt, wunderbar, wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Was sie in erster Linie 5 wollten, war der Aufstand. Die meisten Aktivisten interessierten sich nicht besonders für die militärischen Aspekte. Das gilt sogar für Patrick Pearse, eine der Schlüsselfiguren. Er stand im Mittelpunkt des öffentlichen Interessen, hielt die wichtigen Reden – hatte aber nicht die geringste Ahnung von militärischen Dingen. Er vertraute auf die Kraft der Agitation. Selbst Joseph Plunkett, der militärische Chefplaner, hatte keinerlei soldatische Erfahrung. Musik Erzählerin: Nichtsdestotrotz: Im April 1916 ist es soweit: Am 23. April soll der Aufstand losschlagen, am Ostersonntag. Doch von straffer militärischer Organisation oder gar Strategie kann nicht die Rede sein. Weltfremdes Wunschdenken und der Ehrgeiz der einzelnen Fraktionen, die treibende Kraft des Aufstandes zu sein, führen zu einer katastrophalen Panne nach der anderen. Blauäugig wie sie sind, vertrauen die Rebellenführer darauf, dass der Aufstand eine Sogwirkung entfalten wird, der innerhalb kürzester Zeit die Massen mobilisiert und den militärischen Riesen Großbritannien in die Knie zwingt. Dieser Glaube an eine geradezu religiöse Dimension des irischen Freiheitswillens schlägt sich auch in der Wahl des Datums nieder. Fearghal McGarry erklärt, warum es unbedingt Ostern sein musste: OT 10 Fearghal McGarry: It certainly turned that to be important because … Übersetzer: Der Tag war deshalb so wichtig, weil Patrick Pearse, der Vordenker und Führer des Osteraufstands, immer wieder Parallelen zog zwischen dem Opfer Christi, der sein Blut für die Menschen gab und der Idee einer irischen Republik. Nach seiner Auffassung sollte der Tod der Rebellen die Nation durch ein Blutopfer erlösen – und das an Ostern, den Tagen der Hinrichtung und der Auferstehung Christi. Atmo: Meeresrauschen Erzählerin: Doch es wird nichts mit Ostersonntag. Schuld ist eine Panne kurz zuvor: Anfang April 1916 macht sich die "Aud” – ein deutsches Schiff, das zur Tarnung unter norwegischer Flagge fährt – auf den Weg nach Tralee, einem Hafen an der irischen Westküste. An Bord sind 20.000 Gewehre, zehn schwere MGs und eine Million Schuss Munition. Das Treffen mit irischen Widerstandskämpfern und die Übergabe der Waffen sollen am 20. April stattfinden. Während die "Aud" pünktlich in Tralee am Pier anlegt, ist von irischen Rebellen weit und breit nichts zu sehen. Die entscheidenden Informationen sind offenbar nicht weitergegeben worden. Und so dauert es keine 24 Stunden, bis das Schiff von britischen Zerstörern aufgebracht wird und sich mitsamt der kostbaren Fracht selbst versenkt. Doch damit sind die Hiobsbotschaften dieser Tage noch nicht beendet: Roger Casement – der britische Unterhändler in Diensten der Iren – kehrt an Bord eines U-Bootes von Verhandlungen in Deutschland zurück und wird bei seiner Landung verhaftet. Unter dem Eindruck dieser Pleiten befiehlt Eoin McNeill, Stabschef der Irish Volunteers, den sofortigen Abbruch aller Vorbereitungen für den Aufstand. Doch die Fenier und 6 die Irish Citizen Army verschieben die Aktion lediglich um einen Tag: auf Ostermontag. OT 11 Fearghal McGarry: They were very poorly armed ... Übersetzer: Sie waren erbärmlich bewaffnet, und außerdem waren sie nicht in der Lage, sich in den Besitz einer großen Anzahl gleichartiger Waffen zu bringen. Die einzigen Standardwaffen, die sie besaßen, waren die deutschen Mauser-Karabiner, die sie sich durch den Waffenschmuggel gesichert hatten. Dazu kamen ein paar Gewehre, die sie aus den USA und anderswo her bekamen. Trotzdem gingen sie mit diesen Einschränkungen ausgesprochen kreativ um, denn sie bezogen im Zuge der Rebellion einfach in sehr stark befestigten Gebäuden Stellung, das gab den Briten die ein oder andere harte Nuss zu knacken. Erzählerin: Im Feiertagstrubel des Ostermontags stürmen ungefähr 400 Männer über die belebte Sackville Road das im neoklassizistischen Stil gebaute Hauptpostamt – das General Post Office – in der nördlichen Innenstadt Dublins. Im Eiltempo machen sie das Gebäude zu einer Festung. Das Postamt wird zum Hauptquartier der Rebellen, weil von hier per Telegraph die ganze Welt über den Aufstand informiert werden kann. Nach der Besetzung verliest Patrick Pearse zwischen zwei der korinthischen Säulen stehend die "Proklamation der Provisorischen Regierung der Irischen Republik". Darin heißt es: Zitator: Irische Männer und irische Frauen! Im Namen Gottes und der toten Generationen versammeln sich die Kinder Irlands unter seiner Flagge und kämpfen für ihre Freiheit. Ausgebildet durch seine geheime revolutionäre Organisation, der Irisch Republikanischen Bruderschaft, der militärischen Formationen der Irish Volunteers sowie der Irish Citizen Army hat die Bewegung geduldig ihre Disziplin vervollkommnet und lange auf den richtigen Moment gewartet, in dem sie sich zu erkennen gibt. Sie ergreift nun die Gelegenheit zum Kampf. Mit voller Unterstützung ihrer exilierten Brüder in Amerika und tapferen europäischen Verbündeten, aber vor allem im Vertrauen auf ihre eigene Stärke und im Bewusstsein des Sieges. Erzählerin: Von begeisterter Aufnahme dieser Proklamation durch die Dubliner Bevölkerung kann nicht die Rede sein, im Gegenteil: Die meisten Passanten gehen achtlos vorbei, als würde nicht Patrick Pearse von der Zukunft Irlands reden, sondern ein Jahrmarktschreier seinen Plunder anbieten. Manche kommentieren Pearses Auftritt höhnisch. Die Erklärung der Rebellen ist einfach zu widersprüchlich und versucht, sämtliche unterschiedlichen Positionen unter einen Hut zu bringen. Es ist eine Mischung aus revolutionären Ideen und spiritueller Beschwörungspoesie: Zitator: Die Republik garantiert religiöse und bürgerliche Freiheit, gleiche Rechte und Aufstiegschancen für alle Bürger. Wir legen die Sache der Irischen Republik in die schützenden Hände unseres höchsten Gottes, dessen Segen wir für unsere Waffen 7 erbitten. Und wir beten, dass niemand, der auf unserer Seite steht, sie durch Feigheit in den Schmutz zieht. Erzählerin: Doch selbst unter den Kämpfern wissen die wenigsten, was in dem Aufruf steht. Denn weder konnten die Plakate mit der Proklamation rechtzeitig fertiggestellt werden, noch gab es Informationen zu aktuellen Entwicklungen und über die misslungenen Waffenlieferungen. Gleichzeitig mit der Erstürmung der Hauptpost werden von knapp 2.000 Männern weitere Punkte in der Stadt besetzt. Dabei passieren gleich mehrere schwere taktische Fehler, die schon zu diesem frühen Zeitpunkt den Aufstand zum Scheitern verurteilen: Erstens wird der größte Bahnhof Dublins nicht eingenommen, obwohl er sich in unmittelbarer Nähe zum irischen Hauptquartier befindet. Britische Truppen können so in den folgenden Tagen ungehindert nach Dublin gebracht werden. Zweitens lassen die Rebellen das protestantische Trinity College sowie das nahegelegene Shelbourne Hotel unbehelligt. Von den hohen Dächern dieser Gebäude aus könnten sie die gesamte Stadt überblicken. Statt der Rebellen geht aber dort sehr schnell eine große Anzahl britischer Soldaten in Stellung. Und feuert ungehindert in den Park von Stephen’s Green, wo sich ohne jeden militärischen Nutzen die Kämpfer der sozialistischen Irish Citizen Army eingenistet haben. Padraig Yeates kommentiert das so: OT 13 Padraig Yeates: It would be wrong to think ... Übersetzer: Es wäre falsch anzunehmen, dass es sich bei den Rebellen um das handelte, was man in Kontinental-Europa unter Revolutionären verstand. Nur ein Beispiel: In Stephen’s Green, wo sich die Citizen Army verschanzt hatte, wurde nach den Kämpfen jeden Abend gemeinsam der Rosenkranz gebetet – und das von Leuten, die sich selbst als Sozialisten und militante Gewerkschafter verstanden. Kaum vorstellbar, dass die Bolschewisten das gleiche vor der Erstürmung des Winterpalais gemacht hätten. Es war eine extrem konservative Form von Sozialismus – und das machte sie anfällig für die Parolen der Katholischen Kirche. Erzählerin: Und auch die Haltung der katholischen Kirche ist es, die eine landesweite Ausbreitung der Rebellion verhindert. Denn sie predigt ihren Gläubigen, dass sie Unrecht voll Gottvertrauen ertragen sollen, nicht Widerstand. Und deshalb stehen die meisten Iren dem Aufstand feindselig gegenüber. Aber vor allem, weil die Briten es schaffen, innerhalb von zwei Tagen ihre Streitkräfte von 2.000 Soldaten auf 20.000 aufzustocken – die nach und nach das gesamte Stadtzentrum in Schutt und Asche schießen. Dabei machen die Briten keinen Unterschied zwischen den befestigten Stellungen der Rebellen und den Mietskasernen der Dubliner Arbeiter, so Fearghal McGarry: OT 14 Fearghal McGarry: When the Rising breaks out there’s a need … 8 Übersetzer: Weil die Briten nicht wussten, was die Rebellen in der Hinterhand hatten, glaubten sie, möglichst schnell und brutal vorgehen zu müssen. Es hätte ja sein können, dass Deutschland tatsächlich irgendwo an der Küste Truppen zur Unterstützung absetzt. Abgesehen davon ist es schwer vorstellbar, dass irgendein Land unter den Bedingungen des Ersten Weltkrieges bei der Niederschlagung einer Revolution anders reagiert hätte als durch Feuerkraft. Erzählerin: Und was das Schießen anbelangt, sind die Briten ausgesprochen effektiv. Innerhalb weniger Tage gleicht das General Post Office einem Lazarett, denn pausenlos schlagen von der gegenüberliegenden Seite der Sackville Street Granaten ein. Scharfschützen einer australischen Einheit feuern auf alles, was sich bewegt. Der Versuch der Rebellen, Dublin Castle, das Hauptquartier der britischen Armee zu erobern, schlägt fehl. Ebenso endet der Angriff auf ein zentrales Waffenlager im nordwestlich gelegenen Phoenix Park für die Republikaner in einem Blutbad. Zwischen den einzelnen befestigten Bastionen der Rebellen besteht keinerlei Verbindung, jede Einheit agiert auf eigene Faust. Nach drei Tagen sind die britischen Streitkräfte auf dem Höhepunkt ihrer Schlagkraft. Von See aus feuert das Kanonenboot "Helga" nahezu ununterbrochen in das Stadtzentrum. Der Beschuss ist so ungenau, dass hauptsächlich Wohnviertel dem Erdboden gleichgemacht werden. Und da die Aufrührer keine Uniformen tragen, erschießen die britischen Soldaten einfach jeden männlichen Zivilisten, den sie auf der Straße antreffen. OT 15: Führung Erzählerin: Am Freitag nach Ostern, dem fünften Tag des Aufstands, ist die Situation aussichtslos. In dem lichterloh brennenden Hauptpostamt sitzen die Rebellen in der Falle. Touristenführer und Hobby-Historiker Rory O’Donnell erzählt, wie ihnen trotzdem die Flucht gelingt: Ausgerechnet im Schutz der voluminösen Admiral Nelson-Statue, dem Inbegriff britischer Kolonial-Herrschaft über Irland, gelingt es den republikanischen Einheiten zu fliehen. Denn die riesige Säule, auf der die Nelson-Statue steht, schränkt das Schussfeld der Briten ein. Nachdem die Rebellen die westliche Außenwand des General Post Office eingeschlagen haben, können sie sich über eine Seitenstraße in Sicherheit bringen und verschanzen sich erneut in einem nahegelegenen Haus. Dort werden sie von den Briten eingekesselt. Diese Situation führt dazu, dass die Stimmung in der Bevölkerung zugunsten der Revolte kippt. Denn erstens benötigen die Engländer 5.000 Mann und mehr als einen Tag, um gegen 200 zum Teil schwerverletzte und miserabel bewaffnete Widerstandskämpfer vorzugehen. Und zweitens stürmt das britische Regiment die umliegenden Häuser und massakriert deren Bewohner auf bestialische Weise. Am Samstag kapituliert Patrick Pearse, der Aufstand ist beendet. Er hat 500 britische Soldaten das Leben gekostet und mehr als doppelt so viele Iren. Musik 9 Erzählerin: Trotzdem: Die gescheiterte Rebellion wird zum Beginn des irischen Unabhängigkeitskampfes. Denn die Briten haben durch ihr brutales Vorgehen jede Sympathie bei den Iren verloren. Das steigert sich noch, als das Londoner Kabinett anordnet, die sechzehn Rädelsführer so schnell wie möglich hinzurichten. Fearghal McGarry: OT 16 Fearghal McGarry: I think the executions were crucial .. Übersetzer: Die Hinrichtungen brachten den entscheidenden Wendepunkt. Über zwei Wochen hinweg wurden alle paar Tage zwei oder drei Männer exekutiert. Bei den Iren setzte sich der Eindruck durch: Hier ist eine Besatzungsmacht, die unsere Leute über den Haufen knallt. Wahrscheinlich ist die entscheidende Folge des Aufstands, dass es jetzt ein gemeinsames politisches Ziel gab: eine vollkommen unabhängige Republik Irland. Davor kochte jeder seine eigene nationalistische Suppe und den meisten Iren erschien ein souveräner irischer Staat absolut unrealistisch. Hymne der IRA Erzählerin: Heute gelten die einst von der eigenen Bevölkerung verhöhnten Rebellen als irische Nationalhelden. Und jedes Kind in Irland kennt heute dieses Lied: Es ist die Hymne der Irisch Republikanischen Armee, der IRA. Sie wurde nach dem gescheiterten Aufstand gegründet. Von 1919 bis 1921 führte sie einen Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien, der zunächst in die Schaffung eines irischen Freistaates und schließlich in die volle Souveränität des südlichen Teils der irischen Insel mündete. Die sechs Grafschaften im Norden des Landes verblieben in Großbritannien. In Nordirland lieferten sich Jahrzehnte lang Protestanten und Katholiken einen erbitterten Bürgerkrieg, der erst 1998 beendet wurde – in der Osterwoche. Atmo: O’Connell Street Erzählerin: Hundert Jahre nach dem Osteraufstand 1916 heißt die Sackville Road O’Connell Street nach einem republikanischen Politiker aus dem 19. Jahrhundert. Es ist eine belebte Einkaufsstraße mit zahlreichen Pubs und Restaurants. Vor dem imposanten Portal des Hauptpostamtes befindet sich eine Suppenküche der Heilsarmee. Und es tummeln sich fliegende Händler, aber auch politische Aktivisten zwischen den Säulen, wo Patrick Pearse am Ostermontag 1916 die Proklamation der irischen Republik verlas. Haben sich die Iren des 21. Jahrhunderts mit den Briten ausgesöhnt? Oder gibt es immer noch offene Rechnungen? Ganz eindeutig lässt sich das nicht sagen: OT 17 Passant 1: Some, yes … 10 Übersetzer: Ja, schon. Aber nicht so viele. Andererseits: Solange die mich in Ruhe lassen, mach ich das auch. Das ist immer noch am besten. OT 18 Passant 2: We still feel … Übersetzer: Wir fühlen uns immer noch besetzt von den Briten, wegen der sechs Grafschaften im Norden. Wir sind immer noch kein vollkommen freies Land. ***** 11
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