Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko 09.10.2015 Fachprüfung aus Verfassungsrecht und allgemeiner Staatslehre Lösungsskizze I. Was wird ihm Rechtsanwalt Mag. Allwissend raten? Welche Rechtschutzmöglichkeiten stehen ihm offen? 1. Revision beim VwGH: Gegen das abweisende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (im Folgenden kurz BVwG) kann Ali H Revision beim VwGH gemäß Art 133 Abs. 1 Z 1 B-VG erheben. Ali H muss behaupten, durch das Erkenntnis des BVwG in seinen subjektiven Rechten verletzt zu sein (Art 133 Abs. 6 Z 1 B-VG). Das Erkenntnis des BVwG ist nach Art 133 B-VG auch tauglicher Revisionsgegenstand. Die Revisionsfrist beträgt 6 Wochen (§ 26 Abs. 1 Satz 1 VwGG), die Revision ist beim BVwG einzubringen (§ 25a Abs. 5 VwGG), die Formvorschriften richten sich nach den §§ 24 iVm. 28 VwGG. Die Revision ist zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt (Art 133 Abs. 4 B-VG), insbesondere weil das Erkenntnis des BVwG von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wird. Gemäß § 25a VwGG hat das BVwG im Spruch seines Erkenntnisses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist (ordentliche Revision). Wird die ordentliche Revision ausgeschlossen, so steht dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offen, eine außerordentliche Revision an den VwGH zu erheben (§ 30a Abs. 7 VwGG). Ali H wird im vorliegenden Fall die Verletzung von Grundrechten vorbringen, es empfiehlt sich daher die Erkenntnisbeschwerde beim VfGH. 2. Erkenntnisbeschwerde beim VfGH: Gegen das abweisende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes kann Ali H Erkenntnisbeschwerde beim VfGH gemäß Art 144 Abs. 1 B-VG iVm §§ 82ff VfGG erheben. Ali H müsste vorbringen, durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht und /oder in einem subjektiven Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm bei der Erlassung dieses Erkenntnisses verletzt worden zu sein. Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko 09.10.2015 Ali H muss die Erkenntnisbeschwerde innerhalb von 6 Wochen nach Zustellung des Erkenntnisses, wenn jedoch das Erkenntnis nur mündlich verkündet wurde, mit dem Tag der Verkündung, beim VfGH einbringen (§ 82 Abs. 1 VfGG). Der Inhalt der Erkenntnisbeschwerde richtet sich nach den §§ 15 und 82 VfGG. Die Formvorschriften ergeben sich aus den §§ 15, 82 Abs. 4 und 5 VfGG. Demnach ist die Erkenntnisbeschwerde schriftlich beim VfGH einzubringen. Weiters muss die Erkenntnisbeschwerde gemäß § 17 Abs. 2 VfGG von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden, es ist eine Eingabegebühr von derzeit 240 Euro zu entrichten (§ 17a Z 1 VfGG). Begründetheit der Erkenntnisbeschwerde: Die Erkenntnisbeschwerde wäre begründet, wenn Ali H durch das Erkenntnis des BVwG in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde. In Betracht kommen folgende Grundrechte: das Recht auf Leben (Art 2 EMRK, 13. ZP-EMRK), das Verbot der Folter und das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art 3 EMRK), das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK), Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach Art 47 Abs. 2 GRC. Recht auf Leben (Art 2 EMRK, 13. ZP-EMRK): Art 2 EMRK bestimmt, dass das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt ist; dh auch, dass das Recht auf Leben nicht nur jede Art von Tötung durch staatliche Organe ausschließt, sondern die Staaten auch verpflichtet sind, das menschliche Leben vor Eingriffen durch Private zu schützen. Grundrechtsträger sind alle Menschen zwischen Geburt und Tod. Jede absichtliche, aber auch unabsichtliche Tötung durch Exekutivorgane stellt einen Eingriff in das Recht auf Leben dar. Die Abschiebung bzw. Auslieferung eines Fremden in ein Land, wo dieser eine Tötung (zB durch Todesstrafe) zu erwarten hat, ist ebenso verboten und würde einen Eingriff in dieses Grundrecht bedeuten. Eine bestimmte Lebensqualität oder Lebensbedingungen sind durch Art 2 EMRK nicht geschützt. Aus dem Sachverhalt geht jedoch nicht hervor, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Iran tatsächlich der Tod droht. Der Beschwerdeführer wurde laut Sachverhalt lediglich einmal von den iranischen Behörden wegen einer nicht angemeldeten Demonstration verhaftet und laut seinen Aussagen gefoltert. Der Beschwerdeführer gibt auch selber an, dass er vor dieser unangemeldeten Demonstration öfters an verschiedenen Kundgebungen, etc. teilgenommen hat; es geht aus dem Sachverhalt nicht hervor, ob er schon einmal in der Vergangenheit verhaftet und gefoltert wurde. Aus dem Sachverhalt geht lediglich hervor, dass die meisten Protestaktionen „ohne gröbere Zwischenfälle“ verliefen. Daraus kann nicht Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko 09.10.2015 geschlossen werden, dass der Beschwerdeführer bereits in der Vergangenheit Ziel staatlicher Repressalien wurde. Seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Aseri stellt für den Beschwerdeführer auch keine Gefahr für Leib und Leben dar, zumal aus dem Länderberichten hervorgeht, dass diese Minderheit im Iran keiner staatlichen Repression ausgesetzt ist. Art 2 Abs. 2 EMRK ist im vorliegenden Fall irrelevant, zumal keine der drei Tatbestände erfüllt ist. Das Erkenntnis des BVwG verletzt den Beschwerdeführer nicht im Recht auf Leben. Verbot der Folter und das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art 3 EMRK): Art 3 EMRK bestimmt, dass niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Fremde verletzen Art 3 EMRK, wenn stichhaltige Gründe dafür bestehen, dass der Fremde im Zielstaat gefoltert oder unmenschlich behandelt werden wird. Das Erkenntnis des BVwG verletzt Art 3 EMRK dann, wenn es in Anwendung eines gegen Art 3 EMRK verstoßenden Gesetzes ergangen ist, wenn es auf einer diesem widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn bei seiner Erlassung grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind. Aus dem Sachverhalt geht diesbezüglich nichts hervor. Hier kann auf die Ausführungen zu Art 2 EMRK verwiesen werden, wonach laut Sachverhalt nicht hervorgeht, dass dem Beschwerdeführer Folter, unmenschliche bzw. erniedrigende Strafe oder Behandlung im Heimatland droht. Der Beschwerdeführer wurde laut Sachverhalt auch nicht explizit wegen seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der Aseri von den staatlichen Behörden verfolgt, sondern weil er an einer unangemeldeten Demonstration teilgenommen hat. Er wurde auch wieder freigelassen, Angaben im Sachverhalt, wonach der Beschwerdeführer danach ein weiteres Mal oder in der Vergangenheit Repressalien ausgesetzt wurde, fehlen. Aus dem Sachverhalt geht auch hervor, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit öfters für die Rechte der Aseri im Iran demonstriert hat und deswegen nie einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt wurde. Aus der Staatendokumentation betreffend der allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Lage im Iran geht aus dem Sachverhalt lediglich hervor, dass die Anhängerschaft der Aseri rund 22% der Bevölkerung beträgt und dass keine kulturellen und politischen Aktivitäten vom iranischen Regime beschränkt werden. Festgestellt wurde auch, dass die Volksgruppe der Aseri „in Staat und Wirtschaft in der Regel gut integriert“ ist. Hinsichtlich der Länderberichte kann davon ausgegangen werden, dass sich seit dem Jahr 2011 keinerlei Änderungen hinsichtlich der Stellung der Volksgruppe der „Aseri“ ergeben haben, weshalb die Bezugnahme auf diese Berichte unproblematisch ist. Gegenteiliges ist aus dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko 09.10.2015 Das Erkenntnis des BVwG verstößt nicht gegen das Verbot der Folter und das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung. Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK): Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines „Privat- und Familienlebens“. Eingriffe in dieses Grundrecht sind nach Rsp des VfGH dann verfassungswidrig, wenn sie ohne jede Rechtsgrundlage, dh gesetzlos ergangen sind, wenn sie auf einer im Verhältnis zu Art 8 EMRK verfassungswidrigen Rechtsvorschrift beruhen oder wenn eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet wurde. Im vorliegenden Fall erging die Rückkehrentscheidung nicht gesetzlos, sondern aufgrund des § 52 FPG. Im Sachverhalt gibt es keinerlei Hinweise auf eine etwaige rechtswidrige Grundlage. Ali H könnte jedoch vorbringen, dass Art 8 EMRK durch die Rückkehrentscheidung des BVwG in denkunmöglicher Weise angewendet wurde. Denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch vor, wenn dem Gesetz ein verfassungswidriger Inhalt unterstellt wird. Die Rückkehrentscheidung des BVwG ist ein Eingriff in Art 8 EMRK, daher muss eine Interessenabwägung durchgeführt werden, um feststellen zu können, ob der Eingriff gerechtfertigt ist oder nicht. Bei dieser Beurteilung ist § 9 Abs. 2 BFA-VG heranzuziehen: - - - Der Beschwerdeführer befindet sich seit 10.12.2012 als Asylwerber in Österreich, was nicht unbedingt für einen Verbleib spricht. Es besteht kein Familienleben, Ali H hat weder Frau noch Kinder; die Beziehung zu seiner Freundin stellt noch kein tatsächliches Familienleben dar. Auch ist im Sachverhalt keinerlei Rede einer „Partnerschaft“. Dass er schon „viele neue Freunde“ kennengelernt hat, sprich alleine gesehen auch nicht für einen Verbleib. Der Onkel mütterlicherseits ist zwar ein Verwandter des Beschwerdeführers, jedoch nur dritten Grades. Dass der Beschwerdeführer „ein wenig Deutsch“ spricht ist für den Grad der Integration viel zu wenig, aus dem Sachverhalt geht auch nicht hervor, welche Deutschkurse er schon erfolgreich absolviert hat Die Sicherheit, in Österreich ein gutes Leben führen zu können ist für einen Verbleib zu wenig. Im Sachverhalt finden sich keinerlei Anhaltspunkte zu den Punkten des § 9 Abs. 2 Z 5 bis Z 9 BFA-VG, sodass darüber keine Feststellungen getroffen werden können. Aus dem Sachverhalt geht nicht hervor, welche Familienangehörige Ali H in seinem Heimtatland hat. Die familiären Beziehungen in Österreich sind für einen Verbleib jedoch zu wenig, ganz abgesehen von der Dauer seines Aufenthaltes in Österreich (unter 5 Jahre). Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko 09.10.2015 Nach der Interessenabwägung zu Art 8 EMRK hat das BVwG auch nicht gegen das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verstoßen. Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander: Das BVG betreffend das Verbot rassischer Diskriminierung ist ein sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtetes Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Demnach verletzt das Erkenntnis des BVwG dieses BVG dann, wenn damit gegenüber einem Fremden Willkür geübt wird, wenn er auf einem gegen dieses BVG verstoßenden Gesetz beruht oder wenn die Behörde dem angewendeten Gesetz fälschlich einen Inhalt unterstellt, der – hätte ihn das Gesetz – dieses dem genannten BVG widersprechend erscheinen ließe. Das BVwG handelt subjektiv willkürlich, wenn es absichtlich „Unrecht“ zufügt; objektiv willkürlich, wenn die Rechtslage gehäuft verkennt bzw. wenn gravierende Verfahrensfehler vorliegen. Im Sachverhalt gibt es keinerlei Hinweise, dass das BVwG willkürlich gehandelt hat; auch sonstige Verstöße gegen das BVG betreffend das Verbot rassischer Diskriminierung sind aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich. Das Erkenntnis des BVwG verstößt nicht gegen das BVG betreffend das Verbot rassischer Diskriminierung. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Art 47 Abs. 2 GRC): Art 6 EMRK ist im Asylverfahren nicht anwendbar, weil nicht über „civil rights“ in einem Zivil- oder Strafverfahren aberkannt wird; eine dem Art 6 Abs. 1 EMRK entsprechende Garantie normiert Art 47 Abs. 2 GRC. Art 47 Abs. 2 GRC gilt nicht nur im zivil- und strafrechtlichen Verfahren, sondern spielt vor allem im Asylverfahren eine wichtige Rolle. Der VfGH verlangt, dass der Betroffene seine Rechte „effektiv vertreten“ können muss. Dazu gehört auch insbesondere ein Recht auf Kenntnisnahme sowie ein Recht auf Gehör. Ein Absehen von der mündlichen Verhandlung ist nur unter besonderen Umständen möglich. Für das Asylverfahren vor dem BVwG ist § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm. § 24 VwGVG relevant. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Das BVwG leitet die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers unter anderem aus bestimmten Antworten auf Fragestellungen bzw. allgemein aus seinen Ausführungen zur behaupteten Folterung im Zuge der Einvernahme vor dem BAA ab. Dass der Beschwerdeführer bei der Schilderung seiner „Gefühlslage“ äußerst vage geblieben ist, leitet das BVwG lediglich aus der Aktenlage ab, ohne sich durch Konfrontierung Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko 09.10.2015 mit dem Beschwerdeführer selbst ein Bild davon gemacht zu haben. Das BVwG begnügt sich lediglich damit, dem Beschwerdeführer vorzuhalten, in seiner Schilderung zu vage geblieben zu sein bzw. nicht nachvollziehbare Ausführungen zu seiner Fluchtgeschichte gemacht zu haben. Die vom BVwG vorgenommene Begründung, wonach die Angaben zur behaupteten Folterung nur „vage“ und wenig detailliert gewesen seien, ist ein Indiz dafür, dass der Sachverhalt zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht völlig geklärt war. Die Glaubwürdigkeit ist für die Asylgewährung wesentliche Voraussetzung, das BVwG hätte den Beschwerdeführer persönlich laden müssen und ihm die Möglichkeit zu geben, seine Fluchtgeschichte darzubringen. Erst dann hätte sich das BVwG ein persönliches Bild von der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers machen können. Das Absehen einer – diesfalls im Lichte des § 21 Abs. 7 BFA-VG – gebotenen mündlichen Verhandlung durch das BVwG ist eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 47 Abs. 2 GRC. Ali H ist somit durch das angefochtene Erkenntnis des BVwG im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung nach Art 47 Abs. 2 GRC verletzt worden. II. Wie beurteilen Sie die gewählte Vorgangsweise aus verfassungsrechtlicher Sicht? (Gehen Sie dabei insbesondere auf folgende Aspekte ein: Was ist der verfassungsrechtliche bzw. verfassungsrechtspolitische Hintergrund für dieses Gesetz? Was ist formal auffällig und wie sind diese Auffälligkeiten zu bewerten? Welche verfassungsrechtlichen Bedenken könnte man bei den einzelnen oben angeführten Regelungen anführen?) Erklärtes Ziel des Gesetzes ist es, rasche Maßnahmen zu setzen, um hilfs- und schutzbedürftigen Menschen eine menschenwürdige Unterbringung in Österreich zu gewährleisten. Um Gebäude entsprechend nutzen bzw. adaptieren zu können, wären allerdings grundsätzlich Regelungen der Länder betroffen bzw. zu vollziehen, was nicht in die Kompetenz des Bundes fallen würde. Um Maßnahmen effektiv und rasch treffen zu können, wurde daher ein „Durchgriffsrecht“ des Bundes in Form dieses Bundesverfassungsgesetzes geschaffen. Diese Form als Bundesverfassungsgesetz ist damit die eine Auffälligkeit des Gesetzes. Es wird damit – in Österreich nicht unüblich – neues Verfassungsrecht geschaffen, um grundsätzliche verfassungsrechtliche Regelungen zu umgehen. (Aus verfassungspolitischer Sicht widerspricht dies freilich den Intentionen der letzten Jahre, die Fülle des Verfassungsrechts zu bereinigen.) Andererseits ist aber auch auffällig, dass das BVG ein zeitliches Ablaufdatum hat. Dies ist ebenso unüblich, relativiert aber damit auch die Umgehung der grundsätzlichen Verfassungsbestimmungen und auch die anlassbezogene Schaffung neuen Verfassungsrechts. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist prinzipiell zu sagen, dass das Gesetz nicht schlicht verfassungswidrig sein kann, da es ja selbst Verfassungsrecht darstellt. Für Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko 09.10.2015 die Erzeugung von Verfassungsgesetzen ist ein Präsenzquorum von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Nationalrates (Art 44 Abs. 1 B-VG; § 82 Abs. 2 Z 1 GOGNR) und ein Konsensquorum von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen (Art 44 Abs. 1 B-VG; § 82 Abs. 2 Z 1 GOG-NR) notwendig. Das zu beschließende Gesetz muss ausdrücklich als Verfassungsgesetz gekennzeichnet sein (Art 44 Abs. 1 B-VG; § 82 Abs. 4 GOG-NR). Verfassungsgesetze, die die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung oder Vollziehung einschränken, bedürfen der Zustimmung des BR (vgl. Art 44 Abs. 2 B-VG; absolutes Vetorecht). Allenfalls in Frage käme höchstens, dass das BVG (oder Teile) baugesetzwidrig ist (sind). Für die Erzeugung von gesamtändernden Verfassungsgesetzen wäre nämlich zudem eine zwingende Volksabstimmung durchzuführen (Art 44 Abs. 3 B-VG). Eine solche Volksabstimmung wurde jedoch nicht durchgeführt. Zu den einzelnen Bestimmungen des Gesetzes lässt sich aus verfassungsrechtlicher Sicht insbesondere Folgendes sagen: Nach Art 3 Abs. 1 dieses BVG kann der Bundesminister für Inneres, die Nutzung und den Umbau von bestehenden Bauwerken oder die Aufstellung beweglicher Wohneinheiten auf Grundstücken, die im Eigentum des Bundes oder diesem zur Verfügung stehen, ohne vorheriges Verfahren mit Bescheid anordnen, wenn dem überwiegende Interessen der Sicherheit, der Gesundheit und des Umweltschutzes nicht entgegenstehen. Dieser Bescheid ersetzt die nach bundes- und landesrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Bewilligungen, Genehmigungen oder Anzeigen. Gegen diesen Bescheid ist eine Beschwerde nicht zulässig. Nach Abs. 2 sollen Bau- und Raumordnungsrecht überhaupt „umgangen“ werden bzw. soll nach dieser Bestimmung der Bescheid des Bundesministers für Inneres sämtliche bau- und raumordnungsrechtlichen Bewilligungen ersetzen. Verfahrensrechtlich dürften sich einige Probleme ergeben, insbesondere im Hinblick auf die Rolle der Gemeinden und die der Nachbarn: Die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde hat in einem konzentrierten Verfahren zu prüfen, ob das Vorhaben bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften entspricht, bau- oder raumplanungsrechtliche Vorschriften sind jedoch unbeachtlich. Der Bescheid nach Abs. 1 muss der Gemeinde nicht einmal zur Kenntnis gebracht werden, überdies haben Nachbarn keine Parteistellung und können den Bescheid auch praktisch nicht bekämpfen, zumal keine Beschwerde zulässig ist. Außerdem muss der Bescheid nach Abs. 8 nur an den Grundstückseigentümer zugestellt werden. Dies erscheint vor dem Hintergrund der Europäischen Menschenrechtskonvention und EU-Grundrechte-Charta problematisch, ebenso wie die Nichtanwendung aller baurechtlichen Vorschriften (mit Ausnahme des Brandschutzes); die temporäre Ausschaltung raumplanungsrechtlicher Regelungen könnte noch unter gewissen Umständen gerechtfertigt sein. Der Ausschluss des Rechtsweges bzw. die Nichtgewährung der Parteistellung von Gemeinden und Nachbarn, insbesondere weil Bau- und Raumordnungsrecht quasi ausgeschalten sind, könnte in das rechtsstaatliche Prinzip eingreifen. Kern des rechtsstaatlichen Prinzips ist die Bindung der Verwaltung an das Gesetz im Sinne des Legalitätsprinzips (Art 18 Abs. 1 B-VG), das nach dem formellen Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko 09.10.2015 Rechtsstaatsbegriff schlechthin mit dem Rechtsstaatsprinzip identifiziert wird. Das rechtsstaatliche Prinzip verlangt auch Rechtsschutzeinrichtungen, um diese Bindung effektiv gewährleisten zu können. Aus diesem Prinzip leitet auch der VfGH ab, dass es geordnete Verfahrensabläufe geben muss. Die Maßgeblichkeit der Verfassung sei ebenso wie die Zuständigkeit des VfGH zur Normenkontrolle ein wesentliches Element dieses Prinzips. Letztlich könnte auch das demokratische Prinzip berührt sein, denn laut VfGH „liefe die Möglichkeit zur Verfassungssuspendierung durch einfaches Verfassungsrecht darauf hinaus, dem Bundesvolk einen Teil der verfassungsgebenden Gewalt zu nehmen“ (vgl. VfSlg 16.327/2001). Für Nachbarn wäre der Rückgriff auf Grundrechte schwierig und problematisch, zumal die Grundrechte den gleichen Rang wie einfache Verfassungsgesetze haben. Nachbarn könnten sich eventuell nur über einen Individualantrag auf Normenkontrolle (Art 140 Abs. 1 Z 1 lit c B-VG) direkt an den VfGH wenden, dies jedoch nur dann, wenn in einem konkreten Fall baurechtliche Maßnahmen getätigt werden und sie ihre Interessen mangels Bescheid bzw. Parteistellung nicht geltend machen können. An dieser Stelle sei noch angeführt, dass eine Landesregierung ein abstraktes Normenkontrollverfahren beim VfGH gemäß Art 140 Abs. 1 Z 2 B-VG anstrengen kann. Weiters könnte im vorliegenden Fall auch das bundesstaatliche Prinzip tangiert sein, zumal in die bundesstaatliche Kompetenzverteilung eingegriffen wird. Nach Art 15 BVG ist Baurecht und Raumordnung Landeskompetenz in Gesetzgebung und Vollziehung. Beide Rechtsmaterien sollen aber im Zuge dieses konzentrierten Verfahrens nach Art 3 Abs. 5 unbeachtet bleiben und eine baurechtliche bzw. raumordnungsrechtliche Bewilligung durch einen Bescheid ersetzt werden. Somit wird die bundesstaatliche Kompetenzverteilung – wenn auch nur punktuell – durchbrochen. Wesentlich für einen Bundesstaat ist beispielsweise, dass die Kompetenzen der Länder gegenüber einer einseitigen Beschränkung seitens des Bundes verfassungsrechtlich geschützt sind. Verfassungsgesetze, die einen der leitenden Grundsätze in einem Maß abändern, das als Gesamtänderung der Verfassung zu qualifizieren ist, sind verfassungswidrig, sofern nicht eine Volksabstimmung gemäß Art 44 Abs. 3 B-VG stattgefunden hat. Der VfGH prüft Verfassungsrecht am Maßstab der leitenden Grundprinzipien und kann dieses gegebenenfalls als verfassungswidrig aufheben („verfassungswidriges Verfassungsrecht“). Fraglich bleibt trotzdem, wann die Grenze des „einfachen“ Bundesverfassungsgesetzgebers überschritten wird. Ob ein bloßes „Berühren“ eines der Grundprinzipien der Bundesverfassung eine Gesamtänderung darstellt oder nicht, bleibt weiterhin nicht eindeutig zu beantworten. Gegen eine Baugesetzwidrigkeit könnte sprechen, dass das BVG eben auf drei Jahre nach Art 6 befristet wurde und man argumentieren könnte, dass es sich aufgrund des unkontrollierten Flüchtlingsstroms um eine befristete Sondermaßnahme handelt. Ein Gegenargument wäre jedoch, dass dem Bund im Rahmen des Kompetenztatbestandes „Asyl“ (Art 10 Abs. 1 Z 3 B-VG) jedenfalls die überörtliche Standortplanung für Betreuungseinrichtungen zur Verfügung steht. Der Bund hätte schon in den vergangenen Jahren bereits entsprechende Vorsorgen Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko 09.10.2015 treffen können und nicht erst abwarten, bis eine Notsituation entsteht. Er hätte schon proaktiv agieren können. Daher wird das Argument der Befristung nicht wirklich für diese Bestimmung sprechen. Schließlich ist auch noch anzumerken, dass Gemeinden in ihrem Recht auf Selbstverwaltung verletzt sein könnten; allerdings erscheint der Eingriff nicht so weitgehend, dass dies eine Gesamtänderung der Bundesverfassung darstellen würde. III. Auf welchen Prinzipien beruht die Kompetenzverteilung zwischen der Union und den einzelnen Mitgliedsstaaten? Die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten beruht auf dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Nach diesem Grundsatz liegt die Kompetenz – Kompetenz bei den Mitgliedsstaaten, der EU müssen von den einzelnen Mitgliedsstaaten im Wege der Verträge Kompetenzen zugewiesen werden, alle anderen Kompetenzen verbleiben den Mitgliedstaaten (Art 5 Abs. 1 und 2 EUV; so auch der Bereich „Asyl“ – ist in Art 3 Abs. 1 AEUV nicht aufgelistet). Darin wird der wesentliche Unterschied zu einem Staat gesehen und daraus die mangelnde Staatsqualität der Union abgeleitet (EU ist ein Staatenverbund); die Mitgliedsstaaten bleiben „Herren der Verträge“ (jede Kompetenzübertragung bedarf einer Abänderung der Gründungsverträge und damit der Zustimmung aller Mitgliedsstaaten). Die EU hat in gewissen Bereichen ausschließliche Kompetenzen (zB im Bereich der Handelspolitik; vgl. Art 2 Abs. 1 und Art 3 Abs. 1 AEUV), dabei dürfen die Mitgliedsstaaten nur aufgrund einer speziellen Ermächtigung der Union tätig werden. Im Großteil der Fälle hat man jedoch mit geteilten Kompetenzen zu tun (zB im Bereich des Binnenmarktes; vgl. Art 2 Abs. 2 und Art 4 AEUV). Im Bereich der geteilten Kompetenz können die Mitgliedstaaten von ihren Kompetenzen solange Gebrauch machen, als nicht die EU tätig geworden ist, weil die Kompetenz der EU der der Mitgliedstaaten vor geht („Sperrwirkung“). Die EU verfügt über keinen eigenen „Verwaltungsunterbau“ in den Mitgliedstaaten, die Organe der Mitgliedsstaaten haben daher dafür zu sorgen, dass unmittelbar anwendbares Unionsrecht vollzogen wird. Die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden unterliegen in dieser Ausübung keinerlei Weisungsgewalt, wohl aber der Aufsicht der Kommission (vgl. Art 11 B-VG). Weiters ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Ausübung aller EU-Kompetenzen zu beachten (vgl. Art 5 Abs. 4 EUV), demnach dürfen Maßnahmen der EU nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinausgehen. Abschließend sei noch auf das Subsidiaritätsprinzip (eingeführt durch den Vertrag von Maastricht; vgl. Art 5 Abs. 3 EUV) für alle nicht ausschließlichen Kompetenzen der EU zu verweisen, wonach die Union in Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig werden kann, sofern und soweit die Ziele der in Betracht kommenden Maßnahmen auf Unionsebene tatsächlich besser erreicht werden können als in den einzelnen Mitgliedsstaaten auf zentraler, regionaler oder lokaler Ebene. An dieser Stelle sei noch kurz zu erwähnen, dass seit Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko 09.10.2015 dem Vertrag von Lissabon (2009) eine „Subsidiaritätskontrolle“ durch die nationalen Parlamente eingeführt wurde (vgl. Art 23g bis 23h B-VG). In Grundzügen: Wie verhält sich Unionsrecht zu österreichischem Verfassungsrecht? Das gesamte Unionsrecht (primäres wie sekundäres) hat nach der Rechtsprechung des EuGH (Anwendungs-)Vorrang vor dem gesamten nationalen Recht einschließlich des nationalen Verfassungsrechts. Das EU-Recht hat laut EuGH „autonome Geltung“, es bedarf keiner Transformation ins staatliche Recht der jeweiligen Mitgliedstaaten. Dieser Vorrang gegenüber nationalem Verfassungsrecht ist in der Rechtsprechung staatlicher Höchstgerichte nicht uneingeschränkt anerkannt. Laut Judikatur des VfGH ist von einem Vorrang des Unionsrechts gegenüber Bundesverfassungsrecht auszugehen. Dieser Vorrang gilt jedoch nicht gegenüber den Grundprinzipien des Bundesverfassung (vgl. Verweis des Art 50 Abs. 4 auf Art 44 Abs. 3 B-VG). Das Unionsrecht ist auch unmittelbar anwendbar, darunter versteht man, dass bestimmte Rechtsformen des Unionsrechts direkt an die Rechtsunterworfenen gerichtet sind. In der Regel trifft das auf Verordnungen sowie Beschlüsse zu. Anders verhält es sich mit Richtlinien, diese richten sich an die Mitgliedstaaten und müssen binnen einer gewissen Frist in nationales Recht umgesetzt werden.
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