Gedenktafel - Martin Krenn

Gedenktafel
2015
Saumon
norvègien,
sauce moscovite,
salade sauvage
Norwegischer Lachs
mit Moskauer Soß´
und Salaten
Suprême de poularde aux truffes,
asperges sautées,
riz au beurre
Getrüffelte Poulardenbrust mit
sautiertem Spargel
und Butterreis
Crème brûlée
Geflämmte Créme
18./19./20. Mai
Gedenktafel
Hotel
Metropole
Ein Projekt mit SchülerInnen
der Gastgewerbefachschule
Judenplatz, Wien.
Performance und
Rauminstallation von
Martin Krenn, 2015
E
ine herkömmliche Gedenktafel informiert anhand eines kurzen Textes
über die Geschichte eines Ortes. Im
Rahmen dieses Projekts wird jedoch
eine Gedenktafel der anderen Art errichtet: Sie ist nicht zum Lesen da,
sondern an ihr wird kommuniziert.
Die Tafel ist ein festlich gedeckter Tisch, der als inszenierte Situation eines Restaurants im öffentlichen Raum aufgebaut wird. Sie befindet sich in Blickweite des einstigen Standortes des Hotel Metropole.
ZeitzeugInnen, AnwohnerInnen,
SchülerInnen, RadiohörerInnen,
HistorikerInnen, KünstlerInnen,
u.a. sind an drei Tagen, von 18. bis
20. Mai 2015, eingeladen, an diesem
temporären Gedenkort Platz zu nehmen und sich an der Kommunikation zu beteiligen.
Ausgangspunkte der Gespräche
bilden sowohl die Geschichte des
Hotel Metropole als auch die darin von 1938 bis 1945 eingerichtete
Wiener Zentrale der Gestapo.
Die SchülerInnen der Gastgewerbefachschule Judenplatz eröffnen vor
Ort eine Rezeption, servieren Originalgerichte des ehemaligen Hotelrestaurants und sprechen mit den Gästen über ihre historische Recherche
und Antifaschismus heute. In der
4-monatigen Vorbereitungsphase,
die als Bestandteil des Schulunterrichts abgehalten wurde, führten sie
Interviews mit ZeitzeugInnen sowie
Gespräche mit HistorikerInnen und
KünstlerInnen und gestalteten einen
Radiobeitrag für die Ö1-Reihe Moment - Leben heute, der am 13. Mai
gesendet wurde.
Gedenktafel Hotel Metropole,
18.,19., 20. Mai, 2015,
12.45 bis 15 Uhr
Morzinplatz 1, 1010 Wien
Küche, Service und Moderation:
Schülerinnen und Schüler der
GAFA, Judenplatz, Wien
GestapoLeitstelle
Die Gestapo-Leitstelle Wien im
ehemaligen Hotel Metropole
A
m Morzinplatz befand sich
von 1873 bis 1938 das luxuriöse Hotel Metropole.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs
an NS-Deutschland wurde das Hotel beschlagnahmt und Sitz der Gestapo-Leitstelle Wien mit über 900
MitarbeiterInnen. Leiter der Gestapo Wien wurde der Münchner Gestapomann Franz Josef Huber. Die
wichtigsten Schlüsselstellen wurden
mit Beamten aus dem „Altreich“ besetzt. 80 Prozent der Beamten und
Angestellten wurden aus dem vormals österreichischen Polizeidienst
rekrutiert.
Bereits im März 1938 wurden
Juden, bekannte Gegner des NSRegimes, Kommunisten, Sozialisten und Repräsentanten des vorangegangenen „vaterländischen“ Regimes festgenommen. Am 1. April
1938 nahm die Gestapo-Leitstelle Wien ihren Betrieb auf und am
selben Tag erfolgte der erste Transport österreichischer Häftlinge in
das Konzentrationslager Dachau.
Die Gestapo forschte u. a. Personen aus, denen „volks- und
staatsfeindliche Bestrebungen“
angelastet wurden. Insgesamt wurden von der Leitstelle Wien 40.000
bis 50.000 Menschen in Karteien
erfasst. Vorladungen, Hausdurchsuchungen und Folter – beschönigend „verschärfte Vernehmungen“
genannt – zählten zu den alltäglichen Gestapopraktiken. Manche
Gefangenen wurden bei den Verhören derart misshandelt, dass sie
noch in der Haft oder kurz danach
verstarben.
Nur wenige Menschen hatten
den Mut, sich in Widerstandsgruppen zu organisieren und das
Regime aktiv zu bekämpfen. Die
Mehrheit der Frauen und Männer,
die organisierten Widerstand leisteten, stammte aus der Arbeiterbewegung (SozialistInnen, KommunistInnen), viele gehörten aber
auch dem bürgerlich-konservativen Lager (ehemalige Christlichsoziale, MonarchistInnen etc.)
an oder standen der katholischen
Kirche bzw. religiösen Gruppierungen wie z. B. den Zeugen Jehovas nahe.
Die Beamten der Gestapo-Leitstelle Wien setzten ihre Tätigkeit
bis in die letzten Kriegstage fort.
Gleichzeitig versuchten sie ab
Jänner 1945 durch systematisches
Vernichten der Akten die Spuren
ihrer Verbrechen zu beseitigen und
unter Verwendung falscher Papiere
zu flüchten bzw. unterzutauchen.
Knapp vor Kriegsende wurde das Wiener Gestapo-Gebäude
durch Bomben zerstört und später
durch einen modernen Zweckbau
ersetzt. In diesem Gebäude – dem
nach dem Gestapohäftling und
nachmaligen Bundeskanzler benannten Leopold-Figl-Hof – errichteten die österreichischen Opferverbände 1968 einen „Gedenkraum für die Opfer des österreichischen Freiheitskampfes“. Diese
Gedenkstätte in der Salztorgasse
6 befindet sich an jener Stelle, wo
sich früher der ehemalige Lieferanteneingang des Hotels Metropole
befunden hatte, durch den die von
der Gestapo Verhafteten zu den
Verhören geführt wurden, die oftmals mit grausamen Folterungen
und Einweisung in ein Konzentrationslager verbunden waren. Eine
Dauerausstellung erinnert in der
Gedenkstätte an die Opfer und
bietet historische Informationen
zur Gestapo.
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW)
www.doew.at
Impressum
Gedenktafel Hotel Metropole
Ein Projekt mit Schülerinnen und Schülern der Gastgewerbefachschule Judenplatz, Wien
Performance und Rauminstallation von Martin Krenn, 2015
1873
1938
Das Hotel Metropole in der Zeit
von 1873 bis 1938
1
872 wurde Wien in einem Zeitungsartikel zum ersten Mal als
„Metropole“ bezeichnet. Diesen Status zu erreichen wurde angesichts der bevorstehenden Wiener
Weltausstellung 1873 zum selbst gesteckten Ziel.1
In diesen Jahren wurden die ersten
Pläne für das Hotel Metropole unter
Stadtbaumeister Johann Hanga entworfen und am 10. Februar 1873 dem
Wiener Magistrat zur Vorlage an den
Bürgermeister eingereicht.2
Das Hotel Metropole gehörte
nach der Fertigstellung mit seinen
460 Zimmern zu den imposantesten
und monumentalsten Hotelneubauten in Wien. In einem Inserat aus der
Jahrhundertwende wird es als „Hotel
I. Ranges“ angepriesen, „beste Lage
am Franz Josefs-Kai (Ringstrasse), ...
mit dem modernsten Komfort ausgestattet, ... Festsaal für Bälle, Soiréen,
Hochzeiten, Bankette etc. Erstklassiges Restaurant ... Vorzügliche Wiener und französische Küche.“
Die Zeit zwischen 1867 und 1873
war „das goldene Zeitalter des kapitalistischen Wachstums“, schrieb der
Historiker Eric J. Hobsbawm. Doch
dann krachte es am 9. Mai 1873,
dem sogenannten Schwarzen Freitag der Wiener Börse, nur eine Woche nach Eröffnung der Weltausstellung.3 Es folgte die „Große Depression“, die auch das Hotel Metropole
zu spüren bekam. Das Hotel war, wie
die gesamte Weltausstellung, zu groß
dimensioniert.
Eine Blütezeit des Hotel Metropole erlebte der US-amerikanische
Schriftsteller Mark Twain, der von
September 1897 bis Mai 1899 in
Wien weilte. 2008 schrieb das Magazin Time: Der Hoteldirektor „bot
Twain um 40 Prozent verbilligt sieben große Räume an, ein Wohnzimmer mit Balkon, ein Musikzimmer für die Tochter, ein Arbeitszimmer für den Autor selbst, und vier
Schlafzimmer, insgesamt für 460
Dollar im Monat, inklusive Bedienung und Mahlzeiten, nur das Baden kostete extra.“4
1907 erschien die erste Auflage des Lexikons der Küche als „ein
schmales Heftchen mit knapp 1000
Kochkunstanweisungen“, wie es in
der erweiterten Auflage von 1929
heißt. Autor war der ehemalige Küchenchef im Hotel Metropole, Richard Hering. Das Lexikon wird
noch heute in der professionellen
Gastronomie verwendet, es erschien
bereits in 25. Auflage und umfasst
nun mehr als 32.000 Stichwörter.
Zwischen 1927 und März 1938
wechselten die Eigentümer des Hotels nicht weniger als siebenmal, ein
Ausdruck für die Weltwirtschaftskrise der 1920er- und 30er Jahre.5
Bereits wenige Tage nach „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurde die GestapoLeitstelle Wien vom Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes Reinhard Heydrich
im Auftrag des Reichsführers SS
Heinrich Himmler installiert. Am
25. März 1938 wurde das Hotel
Metropole beschlagnahmt und
zum Sitz der Gestapo Wien.6
Das Hotel Metropole war 1938
im Eigentum einer Aktiengesellschaft, zu deren Hauptaktionären
die Familien Friediger und Klein
zählten. Die damalige Generaldirektorin Elisabeth Klein und ihre Tochter Annemarie konnten
entkommen. Die Schwiegermutter von Annemarie, Olga Böhm,
wurde 1944 in Auschwitz ermordet, der Schwiegervater Adolf
Böhm, Autor des Standardwerks
Die zionistische Bewegung, wurde
1941 in der Euthanasie-Tötungsanstalt Hartheim ermordet. Einer der Mitbesitzer, Karl Friediger,
floh nach Prag, spielte der Widerstandsgruppe Burian die Hauspläne zu und war an der Planung eines Sprengstoffanschlags auf das
Gebäude beteiligt.7
1933 wurden auch Bücher des
österreichischen Autors Stefan
Zweig in deutschen Städten verbrannt. Die letzten zwei Lebensjahre verbrachte Zweig, der bereits
1934 Österreich und Kontinentaleuropa verlassen hatte, in Brasilien. Zweig kannte das Hotel Metropole und seine Verwendung als
Zentrale der Gestapo. Dies und ein
Gespräch mit einem Mitreisenden
auf dem Schiff nach Brasilien, der
Zweig von der Brutalität der Gestapo erzählte, soll den Autor zum
Verfassen der Schachnovelle bewogen haben.8 Diese Novelle erschien
1942 kurz vor seinem Suizid und
erzählt vom österreichischen Emigranten Dr. B., der von der Gestapo
verhaftet worden war, um von ihm
Material gegen Kirche und Kaiserhaus zu erhalten. In der langen Isolationshaft hatte er heimlich ein
Buch zu sich nehmen können, zu
seiner Enttäuschung ein Schachrepetitorium.9
2014 hatte der Film Grand Hotel
Budapest Premiere. Der Regisseur
Wes Anderson ließ sich von den
Schriften Stefan Zweigs inspirieren. Gegen Ende des Films besetzt
der „Führungsstab“ eines faschistischen Regimes das Hotel. Der Hotelconcierge Monsieur Gustave H.
blickt aus seinem Lieferwagen und
sagt: „Das Grandhotel wurde zu einer Truppenbaracke.“
Idee und Durchführung: Martin Krenn, Wolfgang Schlag
ProjektteilnehmerInnen: Jan Bauer, Julia Boublik, Peter Busek, Felix Edlinger, Adrian Fitz,
Raphael Friesacher, Iris Hagen, Christian Jung, Gloria Ligorio, Thomas Malik, Elias Metzke,
Nikola Mladenovic, Julia Regitschnig, Janette Sadkowska, Lukas Stagl,
(SchülerInnen des Aufbaulehrganges für Tourismus, Neue Oberstufe an der
Gastgewerbefachschule am Judenplatz in Wien, 2015)
Unter Mitarbeit der LehrerInnen: Christina Mahrhofer, Max Wernisch, Harald Fargel
Radioprojekt: Shenja von Mannstein
Gedenktafel-Vorträge: Mo 18.Mai: Ari Rath | Di 19.Mai: Marianne Schulze | Mi 20.Mai: Hans Breuer
1 Wolfgang Kos, Ralph Kleis, Zur
Ausstellung, in: Experiment Metropole.
1873: Wien und die Weltausstellung,
Wien Museum Karlsplatz, 2014, S. 14
2 Franz Weisz, Das Hauptquartier der
Wiener Gestapo - das Haus am Morzinplatz
Nr. 4, in: Jahrbuch des Vereins für Geschichte
der Stadt Wien, 1995, S. 243
3 Peter Eigner, Boom und Krach,
in: Experiment Metropole. 1873:
Wien und die Weltausstellung, Wien
Museum Karlsplatz, 2014, S. 84
4 Tom Appleton, Nachrichten
vom Eingang zur Hölle, Telepolis
Magazin vom 14.7.2008 – http://
www.heise.de/tp/artikel/28/28311/1.
html, Zugriff vom 11.5.2015
5 Franz Weisz, Das Hauptquartier der
Wiener Gestapo - das Haus am Morzinplatz
Nr. 4, in: Jahrbuch des Vereins für Geschichte
der Stadt Wien, 1995, S. 244
6 Brigitte Bailer, Elisabeth Boeckl-Klamper,
Wolfgang Neugebauer, Thomas Mang, Die
Gestapo als zentrales Instrument des
NS-Terrors in Österreich. www.doew.at
7 Brigitte Bailer, Elisabeth Boeckl-Klamper,
Wolfgang Neugebauer, Thomas Mang, Die
Gestapo als zentrales Instrument des
NS-Terrors in Österreich. www.doew.at
8 Wolfgang Kießling. Der Weg nach
Pétropolis, in Sinn und Form 35, 1983. S.387
9 Klaus Zeyringer, Helmut Gollner. Eine
Literaturgeschichte: Österreich seit 1650.
Studien Verlag. Wien. 2012. S. 602
Streetworker: Thomas Berger
Produktion: Ernst Reitermair, Roman Streuselberger
Wir danken dem Direktor Werner Sedlacek für die freundliche Unterstützung und Ermöglichung des Projektes.
Wir danken den ReferentInnen, welche die Gastgewerbefachschule im Rahmen der Projektentwicklung besucht haben:
Marianne Schulze, Tal Adler, Eduard Freudmann, Lisl Ponger, Ines Garnitschnig, Hans Breuer
In Kooperation mit Gastgewerbefachschule Judenplatz, Wien und
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
Grafische Gestaltung: Christian Bretter
Wiener Festwochen/Into the City 2015
Hotel Metropole. Der Erinnerung eine Zukunft geben
www.festwochen.at
Into the
Gastgewerbefachschule am
Judenplatz
D
as Haus der Wiener Gastwirte am Judenplatz 3-4
im Zentrum und ältesten Teil des 1. Wiener Gemeindebezirks hat seit seinem Bestehen, also
seit 1896, alle gastronomischen Schulen des Wiener Raumes beherbergt.
Aus dieser Tradition heraus hat sich
die Gastgewerbefachschule zu dem
anerkannten Institut entwickelt, das
es heute ist.
„Das Haus der Wiener Gastwirte“, Leopold
Schneider, Milde Verlag Wien, 2003
Projektteilnehmerinnen
Geschichte
Das Haus am Judenplatz 4 wurde
1875 von der Genossenschaft der
Gastwirte Wiens erworben. Ein Komitee zur Errichtung einer fachlichen Fortbildungsschule beschloss
1891 die Schulen für das Gastgewerbe zu zentralisieren. Die Schule wurde am 2. Dezember 1891 im Palais
Mauroconcordato feierlich eröffnet.
Bald entschied man sich, das Haus
Judenplatz 3 dazu zu kaufen und am
23. November 1896 fand die offizielle Einweihung des neuen Hauses Judenplatz 3-4 statt.
1938 waren bereits sechs verschiedene Hotel-, Koch- und Fachschulen
am Judenplatz untergebracht. 1938
mussten alle diese Schulen aufgelassen werden oder wurden anderen,
deutschen Schulgesetzen entsprechenden Schulen zugeteilt.
Die Schule hat zunächst 1956 ein
auf 4 Jahre befristetes Öffentlichkeitsrecht bekommen. 1960 wurde das unbefristete Öffentlichkeitsrecht verliehen. Ab dem Schuljahr
1964/65 wurde die Kochfachschule 3-jährig geführt.
In den 1970-er Jahren wurde der
Platz im Haus immer enger. 1974
wurde die Berufsschule in der Längenfeldgasse fertig gestellt. Danach
wurde mit dem Umbau der Schule begonnen. Die Küche im 5. Stock
wurde umgebaut, ein Turnsaal und
ein Speisesaal errichtet. 2003 wurde das Dachgeschoß in der Kurrentgasse ausgebaut. 2012 wird die Küche im 3. Stock (Franz Zodl Küche)
komplett erneuert und - zusammen
mit dem Aufzug - auf den letzten
Stand gebracht.
Ab 1. September 2012 übernahm Werner Sedlacek die Leitung
der Schule.
2013 wurde die Küche im 5.
Stock komplett neu gestaltet.
www.gafa.ac.at
Jan Bauer, Julia Boublik, Peter Busek,
Felix Edlinger, Adrian Fitz,
Raphael Friesacher, Iris Hagen,
Christian Jung, Gloria Ligorio,
Thomas Malik, Elias Metzke,
Nikola Mladenovic, Julia Regitschnig,
Janette Sadkowska, Lukas Stagl
Klasse 1aga
an der Gastgewerbefachschule am
Judenplatz in Wien,
2015
Mama
am
Morzinplatz
Auszug aus einem Text von Rosa
Breuer (Rosl Grossmann-Breuer),
1920-2013 und Hans Breuer,
geb. 1954
Prüfungszeugnis der späteren Gastgewerbefachschule am Judenplatz, Wien. Elisabeth Böhm war
die Nichte von Elisabeth Klein, Generaldirektorin
des Hotel Metropole bis 1938.
Morzinplatz
I
ch wußte, dass sie mich an jenem Abend am Morzinplatz
hatten fertig machen wollen.
Ich mutete ihnen alle Mittel zu. Die
Injektionsspritze mit dem Totenkopf
am Schreibtisch des verhörenden Gestapomannes, die Marterwerkzeuge,
die aus einer mittelalterlichen Folterkammer entliehen schienen – es
waren Ochsenziemer, Schlagstöcke
mit stachelgespickten Kugeln an der
Spitze, Gummiknüppel, Peitschen
aus Leder, Ketten und Fesseln verschiedener Größe – ließen mir keinen Zweifel.
heraus – kommt immer näher. Ich
darf es nicht mehr aufschieben; darf
auch nicht zu spät springen. Und
schon habe ich mit beiden Händen
das Geländer umfasst. Nur ein Gedanke ist da: hinunterstürzen.
Der Gestapomann hatte das
nicht erwartet. Doch reagiert er
rasch. Er erwischt meine Beine.
Mein Rumpf hängt schon mit dem
Kopf nach unten. Wieder greife ich
nach dem gußeisernen Geländer.
Nur nicht mehr zurück.
Ich hatte sie gesehen und zum Teil
schon zu spüren bekommen. Ich hatte
beobachtet, wie hinter den schweren
Vorhängen Männer lauerten, wenn
mich der Gestapomann zum Schein
allein im Zimmer ließ. Ich hatte erlebt, wie sich eine Schar von Schlägern stundenlang mit mir beschäftigt hatten; einander die Schlagstöcke übergaben, zum Weitermachen,
wenn ich aus den kurzen Pausen von
Ohnmacht erwachte.
Er hat meine Beine ganz unten
bei den Fußknöcheln erwischt und
will mich zurückziehen. Da rutscht
ein Fuß aus dem Schuh, der ohne
Schuhbänder ist – die werden einem
ja im Gefängnis abgenommen. Ein
Fuß mit dem schwarzen Strumpf in
meiner Trauerkleidung. (Rosas erster Mann, Hans Grossmann, ein linker Pazifist, starb als Soldat in Russland) Die schwarzen Strümpfe, die
ich demonstrativ bei der Verhaftung
angezogen hatte, zu meinem dünnen schwarzen Trauerkleid.
Und ich hatte während meiner
Vorführungen auf den langen Korridoren Männer gesehen, die man
nach Folterungen zu den Aufzügen
schleppte, wie halbgeschlachtetes
Vieh aus einem Schlachthaus. Blutend aus Wunden an Kopf und Gesicht. Mit aufgeschwollenen Lippen.
Flug in die Freiheit
(So hat sie es genannt)
Hier, über dieses Stiegengeländer,
würde ich in die Tiefe springen. Es
war meine letzte Chance. Ich durfte
nur nicht zu früh springen. Denn ich
mußte nachher tot sein. Nicht mehr
fähig, aufs neue ins Verhör genommen zu werden. Nichts mehr würde
man aus mir herausschlagen oder mir
durch ein Serum, das mich willenlos
und schwach machen könnte, entreißen können.
Während ich also langsam, dem
Gestapomann zu langsam, die dreieinhalb Stockwerke Stufe für Stufe
hinaufstieg, der Tür entgegen, durch
die das Licht fiel, stellte ich mit panischem Schrecken fest, dass die Namen, die man von mir wissen wollte, wie zum Trotz gegen meinen Willen in meinem Gehirn vordrängten.
Und zu den Namen die Erscheinungen all der Menschen, die man noch
heute Nacht aus den Wohnungen holen und hier verhören und prügeln
und foltern würde, wenn ich nicht
die Kraft aufbringe, zu verstummen.
Ich darf nicht zu früh springen,
denn aus dem zweiten Stock zu springen, vielleicht auch aus dem dritten,
genügt nicht. Das haben schon manche überlebt.
Wir sind schon im dritten Stockwerk. Die Tür, aus der das Licht fällt
– schon höre ich Männerstimmen
„Kanaille“, höre ich ihn fluchen.
Der Fuß rutscht aus dem lockeren Schuh.
Ich habe den Fuß frei und stoße damit den Mann, der mich zurückholen will, auftragsgemäß zum
scharfen Verhör da oben im vierten
Stock bringen will, in den Bauch.
Mein Körper hat ja schon das Übergewicht nach unten. Meine Hände
halten sich mit aller Kraft am Geländer fest.
Der von meinem Fußtritt getroffene schwarzgelockte preußische
Gestapomann taumelt nach hinten.
Ich spüre noch, wie auch mein zweiter Fuß aus dem Schuh rutscht.
Jetzt hält mich nichts mehr.
Mein Sturz ist wie ein Flug. Ich
nehme noch wahr, wie sich das Stiegenhaus vor meinen Augen dreht.
Ich kann mir noch heute dieses
Glücksgefühl in Erinnerung rufen,
wie ich da fliege, nicht stürze, sondern fliege, weit weg von der Folterkammer. Weit weg.
Ich muss gelacht haben, so habe ich dieses Gefühl in dunkler Erinnerung.
Um keine GenossInnen zu verraten hatte sich die
Widerstandskämpferin Rosa Grossmann am 23.
Oktober 1943 nach viertägigen Folterungen vom
4. Stock der Gestapo-Zentrale am Morzinplatz
gestürzt und schwer verletzt überlebt. Ende Jänner
1944 wurde sie aus der Haft entlassen. Nach
dem Krieg war es ihr ein wichtiges Anliegen,
gegen das Vergessen und Verdrängen der
NS-Vergangenheit Österreichs aufzutreten.
www.hansbreuer.com
Der kleine
blaue brief
Ari Rath erinnert sich an
seine Erlebnisse in der GestapoZentrale im Hotel Metropole
Anfang Mai 1938
A
m 5. Mai 1938, kurz nach
7 Uhr, hatten zwei Polizeibeamte in Zivil unseren Vater Josef Rath von unserer Wohnung
in der Porzellangasse 50 im 9. Bezirk
abgeholt. Da alle Gefängnisse vollkommen überfüllt waren, wurden an
die 3000 jüdische Häftlinge in einer
Schule in der Karajangasse im 20. Bezirk untergebracht. Nach zwei Tagen
war die Schule leer. Es wurde bekannt
gegeben, dass man sich in der Gestapo-Zentrale im Hotel Metropole am
Morzinplatz erkundigen kann, wo
sich die jüdischen Häftlinge befinden.
Am nächsten Tag begleitete ich
unsere zweite Mutter Rita zum Hotel Metropole. Dort hatten sich schon
hunderte Frauen in zwei Reihen angestellt. Auf jeden Namen, der angegeben wurde, auch der unseres Vaters
Josef Rath, sagten SS Leute, nach kurzer Kontrolle in langen Listen: „Dachau, Dachau“. Die meisten Frauen,
auch Rita, hielten es vorerst für unmöglich, dass 3000 Männer nach Dachau verschleppt wurden. Manche
dachten, dass es eine sadistische Nazi-Geste sein könnte.
Der Beweis kam einige Wochen
später in Form eines kleinen blauen Briefs aus Dachau mit 12 Zeilen.
Mit Datum vom 16. Juni 1938 schickte uns mein Vater ein Lebenszeichen.
nur Eine
Station auf
der Flucht
Marianne Schulze schreibt über
ihre Vorfahren, darunter die
letzte Geschäftsführerin des Hotel
Metropole
M
eine Urgroßeltern, Elisabeth und Arthur Klein,
haben 1933 im Metropole Zuflucht gefunden. Ihr Hotel in Partenkirchen (Bayern, heute:
Garmisch-Partenkirchen) hatten sie
nach der Machtergreifung der Nazis samt Anteilen an anderen Hotels verkauft. Verwandtschaftliche
Bindungen an den Mehrheitseigentümer und ein kleiner Anteil an der
Aktiengesellschaft Metropole haben
sie nach Wien gebracht, wo sie dann
formal die Geschäftsführung des Hotels inne hatten. Nach dem Tod meines Urgroßvaters 1936 war meine
Urgroßmutter offiziell alleinige Geschäftsführerin des Metropole. In
den Privaträumen hatte sie, kurzzeitig auch ihre Kinder – mein Großonkel und meine Großmutter – ihre
Wohnung. Retrospektiv wohl nicht
mehr als eine Station auf der Flucht,
die meine Urgroßmutter vorweg
nahm, in dem sie bereits im Jänner
1938 nach Großbritannien reiste, wo
mein Großonkel bereits war. Meine
Großmutter, die im Juni 1938 flüchten konnte, musste die Privaträume
unter Aufsicht eines Nazis räumen –
soweit das eben zulässig war. In ihren
Memoiren schildert sie, dass sie den
Inhalt einer Truhe mit der gesamten
Korrespondenz von mehreren Generationen Frauen im Kamin des Metropole im Dachgeschoss – beaufsichtigt von einem Nazi – verbrennen
musste. In den Erzählungen, so es sie
gab, nahm die Unbeschwertheit und
Sorglosigkeit der Zeit in Partenkirchen wesentlich mehr Raum ein, als
Schilderungen über die Zeit im Hotel Metropole. Das Hotel Metropole
war für meine Familie ein Zwischenhalt auf der Flucht nach Übersee, ein
kurzes Innehalten vor dem endgültigen Abschied von einem Leben, vor
allem aber einer Weltanschauung,
die alle Familienmitglieder nie wiederfinden sollten.
1938-1945
Gestapo-Leitstelle Wien