5. Stunde: Die Aufsicht über die Gemeinden

Dr. Rüdiger Engel/Dr. Torsten Heilshorn, Kommunalrecht, WS 2015/16, 19.11.2015, S. 1
5. Stunde: Die Aufsicht über die Gemeinden
Literatur: Franz, Die Staatsaufsicht über die Kommunen, JuS 2004, 937 ff.; Schoch, Die staatliche Rechtsaufsicht über Kommunen, Jura 2006, 188 ff.; ders., Die staatliche Fachaufsicht über
Kommunen; Jura 2006 358 ff.; Rennert, Die Klausur im Kommunalrecht (Teil 2), JuS 2008, 119
ff. – Zur Vertiefung: Brinktrine, Maßnahmen der Kommunalaufsicht im Spiegel der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, DV 42 (2009), S. 565 ff.; ders., Die Amts- und Staatshaftung
der Rechts- und Fachaufsichtsbehörden für Maßnahmen der Kommunalaufsicht, DV 43 (2010), S.
273 ff. – Fallbearbeitungen: Reimer, JuS 2005, 628 ff.; Pielow/ Finger, Jura 2005, 351 ff.; Jochum, JuS 2008, 1096 ff.; Schiffbauer, JuS 2015, 548 ff.
Die Gemeinden stehen (ebenso wie andere Selbstverwaltungsträger) unter der Aufsicht des
Landes. Für den Staat ist die Aufsicht über Träger der Selbstverwaltung in erster Linie ein
Thema der politischen Steuerung, das „nebenbei“ auch die Wächterfunktion hinsichtlich der
Bindung an Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG beinhaltet. Aus Sicht der beaufsichtigten Kommune stellen sich dagegen die Fragen nach den Grenzen der Aufsicht und zulässiger
Abwehrmaßnahmen. Die Staatsaufsicht ist beliebtes Prüfungsthema: Im Rahmen der Zulässigkeit sind z.B. die Qualifikation einer Aufsichtsmaßnahme als Verwaltungsakt und die Klagebefugnis, im Rahmen der Begründetheit die Reichweite der Aufsichtsbefugnisse und inzidenter die Rechtmäßigkeit des gemeindlichen Handelns gut zu erörtern. In der Praxis stellen
aufsichtsrechtliche Maßnahmen allerdings nur das „pathologische Extrem“ dar.
Das BVerfG spricht davon, dass die Kommunalaufsicht ein „Korrelat“ zur Selbstverwaltung darstelle (BVerfGE 78, 331, 341). Demzufolge wird die Kommunalaufsicht verfassungsrechtlich nicht nur in Art. 20 Abs. 3 GG, sondern auch in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG („im Rahmen der Gesetze“ bzw. als eine historisch immer vorhandene Beschränkung) verortet. Die
Rechtsprechung hat dabei herausgearbeitet, dass sich die Kommunalaufsicht nicht zur Einmischungsaufsicht entwickeln dürfe (BVerfG, aaO). Nach dem die Ermessensausübung steuernden Opportunitätsprinzip ist Kommunalaufsicht so zu handhaben, dass die Entschlusskraft
und Verantwortungsfreude der Gemeinden nicht beeinträchtigt werden (vgl. § 118 Abs. 3
GemO); Kommunalaufsicht ist also eher auf Kooperation als auf Konfrontation angelegt. Der
Alltag liegt deshalb in Beratungsgesprächen mit der Aufsichtsbehörde.
Daneben gilt ein ungeschriebenes Gebot der Zurückhaltung und des gemeindefreundlichen
Verhaltens bei der Ausübung von Aufsicht. Das Einschreiten der Aufsichtsbehörde setzt voraus, dass ein öffentliches Interesse oder Bedürfnis besteht (VGH BW, NJW 1990, 136).
Kommunalaufsicht wird zunächst allein in öffentlichem Interesse ausgeübt, um die Rechtmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) sicherzustellen. Die mit der Aufsichtsmaßnahme
verbundene Begünstigung Dritter ist ein bloßer Rechtsreflex. Weder der Private noch ein Gemeinderat haben einen Anspruch auf Einschreiten der Aufsichtsbehörde.
Unabhängig davon besitzt die staatliche Aufsicht aber auch eine Schutzfunktion gegenüber der Gemeinde, indem
sie dem Schutz der Gemeinde vor den Folgen einer Fehlentscheidung dient. Folge ist ein Amtshaftungsanspruch
der Gemeinde gegenüber der Rechtsaufsichtsbehörde, die einen Vertrag rechtswidrig genehmigt hat, s. BGHZ
153, 198 ff.
Begrifflich sind bei der Staatsaufsicht die (bloße) Rechtsaufsicht und die Fachaufsicht zu
unterscheiden. Die Gemeinden unterliegen gem. § 118 GemO in weisungsfreien Angelegenheiten (freiwillige Aufgaben und Pflichtaufgaben) der Rechtmäßigkeitskontrolle durch
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Rechtsaufsicht (dies wird üblicherweise als „Kommunalaufsicht“ bezeichnet) und in weisungsgebundenen Angelegenheiten der Fachaufsicht des Staates (genauer: des Landes). Die
staatliche Aufsicht orientiert sich damit an der Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung.
Einschränkungen der gemeindlichen Selbstverwaltung bedürfen einer Rechtsgrundlage, die sich für die Rechtsaufsicht in den §§ 118 ff. GemO findet. Da die Fachaufsicht in Weisungsangelegenheiten im badenwürttembergischen Modell des Aufgabenmonismus die landesverfassungsrechtlich gewährte Selbstverwaltungsgarantie des Art. 71 LV beschränkt, setzt ein Weisungsrecht eine spezialgesetzliche Anordnung voraus, die sich
beispielsweise in § 62 Abs. 4 Satz 2 PolG, § 47 Abs. 5 Satz 1 LBO oder § 21 Abs. 3 LVG findet.
Nach § 119 GemO ist Rechtsaufsichtsbehörde grundsätzlich das Landratsamt als untere Verwaltungsbehörde.
Für Stadtkreise und Große Kreisstädte ist das Regierungspräsidium Rechtsaufsichtsbehörde. Obere Rechtsaufsichtsbehörde ist für alle Gemeinden das Regierungspräsidium. Oberste Rechtsaufsichtsbehörde ist das Innenministerium. Die allgemeine Fachaufsicht ist im LVG parallel geregelt, sie wird für Stadtkreise und Große Kreisstädte, denen Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörde als Weisungsaufgabe übertragen sind, durch das Regierungspräsidium ausgeübt (§ 21 Abs. 2 LVG). Wenn fachgesetzlich Gemeinden weitere Weisungsaufgaben ausüben (z.B. als Ortspolizeibehörde gem. § 62 Abs. 4 PolG), folgt das Spezialgesetz hinsichtlich der Fachaufsicht
regelmäßig dem System, dass Stadtkreise und Große Kreisstädte der Fachaufsicht des Regierungspräsidiums
unterstellt werden, sonstige Gemeinden der des Landratsamts (z.B. § 64 Nr. 3 PolG).
I. Rechtsaufsicht (Kommunalaufsicht)
Die Rechtsaufsicht ist Ausfluss von Art. 20 Abs. 3 GG, also der Gesetzesbindung der Verwaltung und des Vorrangs und Vorbehalts des Gesetzes (Parlamentsvorbehalt). Rechtsaufsicht erstreckt sich auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit am Maßstab nicht nur bundesdeutscher Gesetze, sondern auch unmittelbar wirkender Vorschriften des EG-Rechts.
Die Einhaltung von Innenrechtsnormen – wie etwa der Geschäftsordnung des Gemeinderats – unterliegt hingegen nur insoweit der Rechtsaufsicht, als diese Regelungen gesetzliche Bestimmungen widerspiegeln. Die Kommunalaufsicht erstreckt sich nicht nur auf öffentlich-rechtliche Handlungen der Gemeinden, sondern auch auf die
Übereinstimmung privatrechtlichen Handelns mit Recht und Gesetz (s. OVG Nds., NVwZ-RR 2013, 995, str.).
Fraglich ist nur, ob die Aufsichtsbehörde in einer weiteren Stufe die Erfüllung bürgerlich-rechtlicher Verpflichtungen (z.B. der Erfüllung eines Tarif-, Miet- oder Werkvertrages, der Pflicht zur Ausschreibung von Baumaßnahmen usw.) erzwingen darf. Das setzt im Hinblick auf § 118 Abs. 3 GemO ein besonders qualifiziertes öffentliches Interesse an der Einhaltung der privatrechtlichen Verpflichtung voraus.
Auch wenn die Gemeinden das Recht zur Selbstverwaltung haben, müssen sie die ihre Selbstverwaltung abgrenzenden und lenkenden Gesetze beachten; Aufgabe der Rechtsaufsicht ist es,
dies sicherzustellen und ggf. durchzusetzen. Die Aufsichtsbehörde hat dabei die gleichen methodischen Schritte zu vollziehen wie eine gerichtliche Kontrolle. Es erfolgt also eine vollständige Rechtsmäßigkeitskontrolle, wobei die gemeindliche Ermessenausübung nur auf
Ermessensfehler nach § 40 VwVfG überprüft wird (analog § 114 VwGO), eine Zweckmäßigkeitskontrolle erfolgt grundsätzlich nicht (BayVGH, NVwZ-RR 1993, 373, 374).
In der Landesverfassung ist in Art. 75 Abs. 1 S. 2 eine wichtige Ausnahme enthalten: Für die Übernahme von
Schuldverpflichtungen und Bürgschaften sowie die Veräußerung von Vermögen kann gesetzlich ein Zustimmungsvorbehalt vorgesehen werden, der sich auch auf den Gesichtspunkt einer geordneten Wirtschaftsführung
erstreckt, in diesem Sinn ist § 118 Abs. 1 GemO einschränkend auszulegen.
Systematisch lassen sich drei Gruppen von Aufsichtsmitteln unterscheiden, die nach dem
Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs gestaffelt einzusetzen sind:

Information und Beratung, § 120 GemO (Ermessensentscheidung),
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
präventive Aufsichtsmittel (Anzeige- und Genehmigungspflichten, §§ 87 Abs. 2, 88 Abs.
2, 86 Abs. 4, 89, 92 Abs. 3, 94, 108 GemO, §§ 6, 10 BauGB – gebundene Entscheidung)
und

repressive Aufsichtsmittel nach §§ 121 ff. GemO (Ermessensentscheidung).
1. Information und Beratung
Die Rechtsaufsichtsbehörde kann sich nach § 120 GemO über einzelne Angelegenheiten der
Gemeinde in geeigneter Weise informieren oder informieren lassen, beispielsweise indem ein
Bericht angefordert wird, die Akten vorgelegt werden müssen (= Verwaltungsakt) oder Beratungsgespräche geführt werden. Vorausgesetzt ist, dass konkrete Anhaltspunkte eines rechtswidrigen Verhaltens der Gemeinde vorliegen (s. Franz, JuS 2004, 937, 939). Die Information nach § 120 GemO und die nicht gesetzlich geregelte Beratung spielen sich gewissermaßen im Vorfeld von repressiven oder präventiven Aufsichtsmaßnahmen ab. Insbesondere
gegenüber kleinen Gemeinden mit geringer eigener Verwaltungskraft hat die – stets auf freiwilliger Basis vorzunehmende – Beratung durch das Landratsamt, dessen Kommunalaufsichtsbehörde zumeist von Juristen geleitet wird, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.
Das Informationsrecht beinhaltet erforderlichenfalls auch die Möglichkeit, an einer Gemeinderatssitzung teilzunehmen (ausdrücklich z.B. in § 120 GemO RP verankert). Umstritten ist, ob es darüber hinaus auch ein Rederecht der Aufsichtsbehörde in einer Gemeinderatssitzung zum fraglichen Thema gibt. Da bereits die Teilnahme
an der Gemeinderatssitzung nur dann infrage kommt, wenn die erforderlichen Informationen nicht anderweitig
beschafft werden können, muss sich die Rechtsaufsichtsbehörde bei der Teilnahme an der Gemeinderatssitzung
u.E. darauf beschränken, informiert zu werden und darf nicht aktiv in die Sitzung eingreifen.
Die Information darf nicht unter Hinweis auf Verschwiegenheits- oder Geheimhaltungspflichten verweigert
werden, andernfalls entstünden aufsichtsfreie Räume. Eine „Zwangsberatung“ ist vom Gesetz ebenso wenig
gedeckt wie ein öffentlicher Ratschlag der Kommunalaufsichtsbehörde über die Presse oder die unmittelbare
Zusendung eines rechtsaufsichtlichen Gutachtens zu einem Tagesordnungspunkt der Gemeinderatssitzung an
einzelne Gemeinderäte. Grundsätzlich gibt es einen „Numerus clausus“ der Aufsichtsmittel.
2. Repressive Aufsichtsmittel
Soweit im Einzelfall Beratung und Information „versagt“ haben, stehen der Aufsichtsbehörde
repressive Aufsichtsmittel, die Verwaltungsakte i.S.d. § 35 VwVfG sind, zur Verfügung.
a) Beanstandung (§ 121 GemO)
Rechtswidrige Beschlüsse oder Anordnungen darf die Aufsichtsbehörde beanstanden und
muss zudem ihre Korrektur innerhalb angemessener Frist durch die Gemeinde verlangen. Die
beanstandeten Handlungen können wie erwähnt öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher
Natur sein, sich also auch z.B. auf ein Grundstücksgeschäft oder den Abschluss eines Arbeitsvertrages erstrecken. Eine Beanstandung darf aber nicht dazu führen, dass sich die Gemeinde in ihrem Vollzug rechtswidrig verhält, sie darf sich also beispielsweise nicht auf die
gem. § 48 VwVfG unmögliche Rücknahme eines Verwaltungsaktes erstrecken.
§ 121 Abs. 1 S. 3 GemO sieht eine „aufschiebende Wirkung“ der Beanstandung vor, die der
Gemeinde den Vollzug der beanstandeten Maßnahmen verbietet. Die Beanstandung wirkt nur
gegenüber der Gemeinde. Ihr Widerspruch hat nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO aufschiebende
Wirkung und hemmt das Vollzugsverbot des § 121 Abs. 1 S. 3 GemO, wenn nicht der soforti-
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gen Vollzug anordnet wird. Dritte können sich nicht auf die Beanstandung berufen, da private
Dritte keinen Rechtsanspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten haben.
Beispiele für beanstandete Maßnahmen: rechtswidriger Beschluss der Gemeinde über die Erklärung zur atomwaffenfreien Zone, rechtswidrige Abgabensatzung, Befangenheit von Gemeinderäten bei der Beratung und Beschlussfassung, rechtswidrige Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 I BauGB, Beanstandung
der Haushaltssatzung.
b) Anordnung (§ 122 GemO)
Wenn die Gemeinde eine ihr nach Gesetz und Recht obliegende Pflicht nicht erfüllt, kann die
Rechtsaufsichtsbehörde anordnen, dass die Gemeinde innerhalb einer angemessenen Frist die
notwendigen Maßnahmen trifft. Während sich also die Beanstandung gegen ein rechtswidriges Tun wendet, kommt die Anordnung insbesondere bei Untätigkeit trotz bestehender Handlungspflicht in Betracht.
Beispiele: unterlassene Bestellung einer Gleichstellungsbeauftragten; unterlassene Sicherung einer Altlast auf
städtischem Grundstück, von der eine Gefahr ausgeht; Anordnung zur Auslegung von Planunterlagen im straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren; Anordnung zur Einberufung und Ladung einer Gemeinderatssitzung;
Anordnung, bestimmte (höhere) Steuerhebesätze in der Haushaltssatzung festzusetzen; Anordnung, eine Straßenbeitragssatzung zu erlassen.
c) Ersatzvornahme (§ 123 GemO)
Wenn die Gemeinde einer festgestellten Verpflichtung nach §§ 120 – 122 GemO nicht innerhalb der bestimmten Frist nachkommt, kann die Rechtsaufsichtsbehörde diese Pflicht anstelle
und auf Kosten der Gemeinde selbst durchführen oder durch einen Dritten durchführen
lassen (s. hierzu Franz, JuS 2004, 937, 940). In diesem Fall wird die Rechtsaufsichtsbehörde
also ggf. auch gegenüber einem Dritten tätig. Erforderlich ist einerseits ein Verwaltungsakt
gegenüber der Gemeinde, der die Ausübung des Aufsichtsmittels zum Gegenstand hat und
eine weitere Handlung, die Realakt, Verwaltungsakt oder Normsetzung oder privatrechtliche
Willenserklärung sein kann.
Die im Wege der Ersatzvornahme getroffene Maßnahme wirkt für und gegen die Gemeinde, als ob diese sie
selbst getroffen hätte. Ein hierdurch erlassener Beitragsbescheid oder eine Abgabensatzung sind solche der
Gemeinde, so dass Rechtsmittel gegen die Gemeinde zu richten sind (str., a.A. insbes. OVG NW, NVwZ 1989,
987). Nach dem Empfängerhorizont des Vertragspartners ist zu entscheiden, ob ein zivilrechtliches Geschäft, das
die Aufsichtsbehörde im Wege der Ersatzvornahme abschließt, die Gemeinde oder das Land bindet.
d) Weitere Aufsichtsmittel
Ein weiteres Aufsichtsmittel ist die unter strengen Voraussetzungen stehende Bestellung eines Beauftragten nach § 124 GemO ("Staatskommissar"), der einzelne oder alle Aufgaben
des Gemeinderates oder des Bürgermeisters für eine bestimmte Zeit wahrzunehmen hat. Er
gilt als Organ der Gemeinde, seine Handlungen sind solche der Gemeinde. Zu unterscheiden
hiervon ist die Bestellung eines Beauftragten nach § 37 Abs. 4 GemO, wenn der Gemeinderat
wegen zu vieler befangener Mitglieder nicht mehr handlungsfähig ist.
Nach § 128 GemO besteht darüber hinaus auch noch die Möglichkeit, den Gemeinderat aufzulösen oder die Amtszeit des Bürgermeisters zu beenden.
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3. Präventive Aufsichtsmittel
Präventive Aufsichtsmittel haben das Ziel, rechtswidrige Beschlüsse und Maßnahmen zu
verhindern oder zumindest ihr Wirksamwerden zu unterbinden. Auch sie sind im Hinblick auf
Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG nur zulässig, soweit sie spezialgesetzlich vorgesehen sind. Wie auch
sonst sind drei Formen präventiver Aufsichten denkbar und gesetzlich vorgesehen: Anzeigepflichten, Vorlagepflichten und Genehmigungsvorbehalte. Auch nach einem weitgehenden Abbau diesbezüglicher Kontrollen bestehen für diese noch wichtige Felder fort:

Anzeigepflichtig sind beispielsweise Satzungen, soweit sie nicht genehmigungs- oder
vorlagepflichtig sind, § 4 Abs. 3 Satz 3 GemO. Durch die Anzeige ist gewährleistet, dass
die Aufsichtsbehörde sobald wie möglich von der Satzung Kenntnis erhält, sie überprüfen
und erforderlichenfalls nach § 121 GemO beanstanden kann.

Die Vorlagepflicht entspricht weitgehend der Anzeigepflicht und unterscheidet sich von
ihr dadurch, dass vorlagepflichtige Beschlüsse erst vollzogen werden dürfen, wenn die
Rechtsaufsichtsbehörde die Gesetzmäßigkeit bestätigt oder nicht innerhalb eines Monats
beanstandet hat, § 121 Abs. 2 GemO. Ein Verstoß gegen die Anzeige- oder Vorlagepflicht
hat keine unmittelbaren Rechtsfolgen und berührt nicht die Gültigkeit der zu Grunde liegenden Beschlüsse. Der Vollzug der betreffenden Maßnahmen stellt jedoch eine Dienstpflichtverletzung des Bürgermeisters dar. Vorzulegen sind beispielsweise die Haushaltssatzung (§ 81 Abs. 3 GemO), soweit sie nicht zu genehmigen ist, die Veräußerung von
Vermögen unter Wert (§ 92 Abs. 3 GemO) sowie verschiedene Maßnahmen im Bereich
kommunaler Unternehmen und Beteiligungen (§ 108 GemO).

Das einschneidendste präventive Aufsichtsmittel ist der Genehmigungsvorbehalt. Eine
Genehmigung ist beispielsweise für örtliche Satzungen von Zweckverbänden nach §§ 6,
7 GKZ oder einzelne Bauleitpläne nach §§ 6, 10 BauGB, sowie für die Aufnahme von
Krediten und kreditähnliche Rechtsgeschäfte (wie der Übernahme von Bürgschaften oder
des Leasing) nach §§ 87 Abs. 2, 88 Abs. 2 GemO erforderlich. In der Regel beschränkt
sich das Genehmigungsverfahren auf eine rechtliche Prüfung mit der Folge, dass die Genehmigung bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen erteilt werden muss, d.h. die
Gemeinde hat hierauf einen Rechtsanspruch, der mit Verpflichtungsklage verfolgt werden
kann.
Ausnahmsweise können auch weitergehende Gesichtspunkte geprüft werden, was zum Teil als staatliches
Mitentscheidungsrecht bezeichnet wird. Nach Art. 75 Abs. 1 S. 2 der Landesverfassung kommt dies aber
nur bei Kreditaufnahmen, Gewährleistungen und Vermögensveräußerungen und auch dort nur unter dem
Gesichtspunkt der geordneten Wirtschaftsführung in Betracht; diese Ermächtigung wird durch § 87 Abs. 2
Satz 2 und § 88 Abs. 2 Satz 2 GemO ausgefüllt. Da es sich bei der geordneten Wirtschaftsführung um einen
unbestimmten Rechtsbegriff handelt, stellt auch Art. 75 Abs. 1 S. 2 der Landesverfassung letztlich eine – allerdings sehr weitgehende – Rechtsprüfung dar.
Fehlt die erforderliche Genehmigung, dann ist der Vollzug des zugrundeliegenden Beschlusses rechtswidrig,
wenn nicht - wie z.B. in § 6 Abs. 4 Satz 4 BauGB - die Genehmigung nach Fristablauf fingiert wird. Nach §
117 Abs. 1 GemO sind zivilrechtliche Geschäfte bis zur Erteilung einer nach den §§ 77 ff. GemO erforderlichen Genehmigung schwebend unwirksam; wenn die Genehmigung versagt wird, sind sie nichtig.
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4. Sonderregelungen
Eine Sonderform der Aufsicht bilden die §§ 126 und 127 GemO: Nach § 126 darf nur die
Rechtsaufsichtsbehörde Ansprüche der Gemeinde gegenüber Gemeinderäten und dem Bürgermeister geltend machen. Praktisch bedeutsam ist § 127 GemO, der verlangt, dass eine
Zwangsvollstreckungsmaßnahme gegenüber der Gemeinde zuvor durch die Rechtsaufsichtsbehörde genehmigt wird. Ein Gläubiger benötigt damit nicht nur einen Titel (vollstreckbares Urteil, Vollstreckungsbescheid usw.) zur Vollstreckung, sondern auch die Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde.
II. Fachaufsicht
Im Bereich der Fachaufsicht (hierzu: Schoch, Jura 2006, 358 ff.) erstreckt sich die zugrundeliegende Weisungsbefugnis nicht nur auf die Rechtmäßigkeit, sondern auch auf Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit. Solche Sachanweisungen ermöglichen nicht nur die nachträgliche Korrektur bereits getroffener, sondern auch die Steuerung bevorstehender und künftiger
Maßnahmen. Über die Fachaufsicht wird die Gemeindeverwaltung funktionell in die allgemeine Staatsverwaltung einbezogen, auch wenn von den Befugnissen der Fachaufsicht nach
dem allgemein geltenden § 118 S. 3 GemO möglichst wenig Gebrauch gemacht werden soll.
Sachanweisungen sind nur zulässig, wenn und soweit eine gesetzliche Ermächtigung hierzu
besteht, § 2 Abs. 3 GemO.
Vor Erlass einer fachaufsichtlichen Weisung ist die Gemeinde anzuhören, denn im Regelfall wird zumindest
ihre Organisationshoheit durch die Weisung berührt. Die Sachanweisung hat eine immanente Grenze darin, dass
sie Sachentscheidungen steuern soll. Zulässig sind also in erster Linie „Zielvorgaben“; in die Abwicklung des
Verwaltungsverfahrens darf u.E. grundsätzlich erst eingegriffen werden, wenn das formelle Verwaltungshandeln
selbst rechtswidrig ist. Es obliegt der Gemeinde selbst, wie sie die organisatorischen und personellen Voraussetzungen hierfür schafft, denn Fachaufsicht ist nicht Dienstaufsicht. Aufgrund des Rechtsstaatsprinzips darf die
Gemeinde nur zu einem rechtmäßigen Verwaltungshandeln verpflichtet werden. Zu Eingriffen in den gemeindlichen Selbstverwaltungsbereich ermächtigt die Fachaufsicht nur, wenn hierzu spezielle Selbsteintrittsrechte (beispielsweise § 44 Abs. 1 Satz 2 StVO, § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB) bestehen (VGH BW, NVwZ-RR 1992, 602).
Ist die fachaufsichtliche Weisung rechtswidrig, richten sich die Amtshaftungsansprüche Dritter nicht mehr gegen
die Gemeinde, sondern gegen das weisende Land.
Wenn der Bürgermeister einer Weisung der zuständigen Fachaufsichtsbehörde nicht nachkommt, kann die Fachaufsichtsbehörde die Weisung nur selbst umsetzen, wenn ein gesetzlich
angeordnetes Selbsteintrittsrecht besteht (so z.B. § 47 Abs. 5 Satz 2 LBO, § 65 Abs. 2 PolG).
Andernfalls muss sie sich an die Rechtsaufsichtsbehörde wenden und diese um Vornahme der
erforderlichen kommunalaufsichtlichen Maßnahmen (§§ 122, 123 GemO) bitten, vgl. § 129
Abs. 2 Satz 2 GemO. Da nach dem baden-württembergischen System des Aufgabenmonismus
Weisungsaufgaben auch Selbstverwaltungsangelegenheiten sind, ist dies logische Konsequenz des Gesetzesvorbehalts.
III. Rechtsschutzfragen
Der Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Aufsichtsbehörden richtet sich nach dem jeweiligen
Rechtsschutzbegehren. Maßnahmen nach §§ 120 bis 124 GemO sind Verwaltungsakte, gegen
die eine Gemeinde Anfechtungsklage erheben kann. Die Verpflichtungsklage ist richtige
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Klageart, wenn eine rechtsaufsichtliche Genehmigung (z.B. des Flächennutzungsplans) verweigert wird.
Die Rechtsaufsicht besteht ausschließlich im öffentlichen Interesse, so dass Klagen Dritter
gegen oder auf Erlass von Rechtsaufsichtsmaßnahmen durchweg unzulässig sind. Eine Ausnahme besteht bei der Ersatzvornahme, durch deren Vollzug ein Dritter beschwert sein kann,
s. OVG NW, NVwZ-RR 1996, 90 (91). Fehlerhafte Aufsichtsmaßnahmen können zu Amtshaftungsansprüchen der Gemeinde nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB führen, weil die
staatliche Aufsicht auch eine Schutzfunktion gegenüber der Gemeinde hat (BGHZ 153, 198).
Hinsichtlich fachaufsichtlicher Maßnahmen ist h.M., dass die Gemeinde grundsätzlich
keine Klagebefugnis habe, weil sie hier „Fremdverwaltungsangelegenheiten“ wahrnehme
und nicht in nicht in eigenen Rechten betroffen sei. Dies gelte unabhängig davon, ob man die
Weisung (zutreffend) als Verwaltungsakt einstufe (Anfechtungsklage), weil sie an einen vom
Staat unabhängigen Verwaltungsträger gerichtet sei, oder mangels Außenwirkung die Leistungsklage als richtige Klageart ansehe. Dies ist u.E. unzutreffend, weil im monistischen Aufgabenmodell der GemO die Gemeinden in ihrem Gebiet Träger aller ortsbezogener öffentlicher Aufgaben sind. Deshalb greift jede Weisung grundsätzlich in den gemeindlichen Rechtskreis ein und die Gemeinde ist klagebefugt (so auch Schoch, Jura 2006, 358, 363; a.A. VGH
BW, NVwZ-RR 2006, 416 f.). Dennoch hat eine Klage gegen Maßnahmen der Fachaufsicht
nur selten Erfolg, weil den Fachaufsichtsbehörden gesetzlich meist ein „unbeschränktes“
Weisungsrecht eingeräumt ist. Dann kann die Fachaufsichtsbehörde auch (rechtmäßige)
Zweckmäßigkeitserwägungen anstellen. Das Weisungsrecht darf aber nicht die Grenzen der
Fachaufsicht überschreiten und damit zugleich das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde beeinträchtigen, also beispielsweise das Opportunitätsprinzip des § 118 Abs. 3 GemO verletzen.
Ähnliches gilt, wenn im Widerspruchsverfahren die Entscheidung einer Gemeinde in Weisungsangelegenheiten durch die Widerspruchsbehörde aufgehoben wird: Dann kann die Gemeinde mit Erfolgsaussicht nur klagen, wenn die Widerspruchsentscheidung ausnahmsweise
in eine durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Position eingreift, z.B. ihre Planungshoheit
beeinträchtigt (BVerwGE 121, 339).
Für den Fall fehlerhafter Weisungen hat die Gemeinde nach § 129 Abs. 5 GemO einen Kostenerstattungsanspruch gegen das Land, der sich auf Fehlinvestitionen, Schadensersatzansprüche Dritter gegen die Gemeinde und entstehende Gerichtskosten (da die Gemeinde im
Prozess Beklagter ist) bezieht. Weisungen durch Bundesbehörden sind hiervon nicht erfasst.
Fragen zur Stunde vom 19.11.2015
1. Welche Formen staatlicher Aufsicht über Gemeinden unterscheidet man?
2. In welchen Gesetzen sind die verschiedenen Formen der Aufsicht geregelt?
3. In welchen Fällen kann sich eine Gemeinde gegen das aufsichtsrechtliche Einschreiten
wehren?
4. Hat der Bürger einen Anspruch auf Einschreiten der Aufsichtsbehörde?
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5. Was kann die Fachaufsichtsbehörde tun, wenn die Gemeinde ihre Weisungen nicht befolgt?
6. Welchen rechtlichen Charakter haben die Maßnahmen der Staatsaufsicht?
7. Welche Mittel der repressiven und der präventiven Aufsicht kennen Sie?
8. Muss die Aufsichtsbehörde einschreiten, wenn ein Gemeinderatsbeschluss gegen geltendes Recht verstößt?
9. Die Stadt U kann seit vielen Jahren ihren Haushalt nur mit Mühe ausgleichen. Dennoch
beabsichtigt sie, ihr Messegelände für 30 Mio. € auszubauen. Als kurz vor der Kommunalwahl eine Elterninitiative die Auflegung eines Sanierungsprogramms für Schulen und
den Bau von Cafeterien in Realschulen und Gymnasien fordert, lässt der ebenfalls kurz
vor der Wiederwahl stehende Schulbürgermeister S ein Leasing-Finanzierungsprogramm
hierfür ausarbeiten, das er dem Gemeinderat vorstellt. Der Regierungspräsident P hält
kurz vor der Gemeinderatssitzung eine Pressekonferenz ab, in der er äußert, er könne sich
nicht vorstellen, dass er im Rahmen des nächsten Doppelhaushaltes Kredite für beide
Maßnahmen genehmigen könne. Der OB ist empört und fragt Sie, ob P sich öffentlich so
äußern dürfe.
10. Das Landratsamt K will in der Gemeinde W ein Landschaftsschutzgebiet für Streuobstwiesen ausweisen. Der Gemeinderat ist empört, haben doch vier der 12 Gemeinderäte
Flächen in dieser Gegend. Der Gemeinderat lehnt (1) in der Anhörung das Landschaftsschutzgebiet ab und beschließt, (2) einen Bebauungsplan für gehobenen Wohnungsbau
aufzustellen. Das Landratsamt beanstandet diese Beschlüsse. Der Gemeinderat ist empört
und beauftragt den Bürgermeister, hiergegen zu klagen. Erfolgsaussicht?
11. Die Stadt F sieht sich als Vorreiterin zu Förderung erneuerbarer Energien. Nachdem sich
bereits auf mehreren Hügeln rings um die Stadt Windräder drehen, soll entlang der Autobahn ein 5 ha großer Solarpark entstehen. Die städtische Solarpark-GmbH stellt einen
Bauantrag, der von der unteren Baurechtsbehörde der Stadt nach § 35 I BauGB genehmigt
wird. Das Regierungspräsidium weist den OB an, die Baugenehmigung zurückzunehmen,
weil dies keine ausreichende Rechtsgrundlage sei und eine die Anlage das Landschaftsbild
beeinträchtige. Insbesondere der Blick vom Hausberg H in die Ebene werde für den Naturgenüssen aufgeschlossenen Betrachter gestört. Der OB ist sauer und fragt Sie, ob eine
Klage gegen die Rücknahmeverfügung zulässig wäre.
12. Die kreisangehörige Gemeinde G beherbergt einen großen Schrottplatz. Untersuchungen
ergeben, dass der Boden um den Platz herum schwer verseucht ist. Das Landratsamt B
fordert die G auf, die notwendigen Maßnahmen zu treffen. G weigert sich mit der Begründung, nicht sie, sondern der Pächter des Schrottplatzes sei verantwortlich. Nun beauftragt B ein privates Unternehmen mit der Aushebung des verseuchten Bodens. G soll die
Kosten tragen. Kann sich G gerichtlich zur Wehr setzen?
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Staatsaufsicht
Rechtsaufsicht
(freiwillige Aufgaben und Pflichtaufgaben ohne
Weisung)
Nur Rechtmäßigkeitskontrolle,
d.h. Ermessenskontrolle nur auf Ermessensfehler
nach § 40 VwVfG (VGH München, NVwZ-RR
1993, 373 [374]; Ausnahme: Art. 75 I 2 LV
i.V.m. § 87 II 2 GemO)
 Numerus Clausus der Aufsichtsmittel (Art.
28 II GG)
 Information und Beratung (§ 120 GemO) als
Tätigkeitsschwerpunkt (vgl. § 118 III GemO), hierzu Leisner-Egensperger, DÖV
2006, 761 ff.; Salzmann, LKV 2010, 349 ff.
 repressive Aufsichtsmittel nach §§ 121 ff.
GemO, insbes. Beanstandung, Anordnung
und Ersatzvornahme
 präventive Aufsichtsmittel (Anzeige- und
Genehmigungspflichten, §§ 86 IV, 87 II u.
VI, 88 I, 89, 92 III, 94, 108, 117 GemO, §§
6, 10 BauGB).
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
Amtshaftungsanspruch der Gemeinde
(BGHZ 153, 198 – Leasing-Genehmigung durch
Rechtsaufsichtsbehörde)
Rechtsaufsicht dient allein öffentlichen Interessen und schützt keine privaten Dritten (OVG
Koblenz, DÖV 1986, 152) => kein Anspruch auf
kommunalaufsichtliches Einschreiten
Fachaufsicht
(Pflichtaufgaben nach Weisung)
Recht- und Zweckmäßigkeit einer Entscheidung (§ 118 III GemO beachten!)
Gesetzliche Grundlage erforderlich, § 2 III
GemO
Bei Weigerung nur Einschreiten durch Rechtsaufsicht, wenn gesetzlich kein Selbsteintrittsrecht (z.B. § 65 II PolG, § 47 V 2 LBO, 44 I 2
StVO) der Fachaufsichtsbehörde vorgesehen
ist
Str. ist die Klagebefugnis der Gemeinde (abl.
die wohl h.M., z.B. VGH Kassel, NVwZ-RR
1990, 4 [6]; Streitstand bei VGH BW, NVwZRR 2006, 416); bei Aufgabenmonismus wird
Klagebefugnis oft bejaht, vgl. BbgVerfG,
NVwZ-RR 1997, 352 (353) m.w.N.; Schoch,
Jura 2006, 358 (362 f.), auch bei Übergriff in
den „klassischen“ Selbstverwaltungsbereich
(sh. OVG Münster, NuR 2006, 191; NVwZRR 2005, 58 [59]; VGH BW, NVwZ-RR 2006,
416)
Kostenerstattungsanspruch nach § 129 V GemO, evtl. auch Amtshaftungsanspruch bei
rechtswidriger Weisung, die in Selbstverwaltungsbereich übergreift (VG Leipzig, LKV
2001, 477 [478])
Fachaufsicht dient allein öffentlichen Interessen und schützt keine privaten Dritten
Dr. Rüdiger Engel/Dr. Torsten Heilshorn, Kommunalrecht, WS 2015/16, 19.11.2015, S. 10
Besprechungsfall: „Das gesponsorte Bürgerbüro“
Um den Einwohnern der nördlichen Stadtteile lange Wege zum Rathaus zu ersparen, beschließt der Oberbürgermeister N der Großen Kreisstadt E, ein Bürgerbüro einzurichten, das
u.a. für die Erledigung melde- und passrechtlicher Angelegenheiten zuständig ist, Antragsformulare und Informationsschriften bereithält und Sprechstunden von Gemeindebediensteten
anbietet. Als der Gemeinderat die Bewilligung der für die Anmietung von Räumlichkeiten
erforderlichen Haushaltsmittel abgelehnt hat, schließt N als Vertreter der E mit der „Werbegemeinschaft Kaufgut e.V.“ einen Sponsoring-Vertrag, durch den E die mietfreie Nutzung von
Räumlichkeiten im Einkaufszentrum K gestattet wird; K erwartet dadurch zusätzlichen Publikumsverkehr. Der Gemeinderat ist empört: N missachte durch den Abschluss des SponsoringVertrags die Zuständigkeit des Gemeinderats; die Inanspruchnahme von Drittmitteln sei kein
Geschäft der laufenden Verwaltung. N ist der Ansicht, für Errichtung und Betrieb des Bürgerbüros auch auf der Grundlage eines Sponsoring-Vertrags zuständig zu sein.
Nach mehreren heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Gemeinderat und N und Diskussionen in der Öffentlichkeit erlässt das Regierungspräsidium Freiburg am 6.4.2015 gegenüber E eine Verfügung, in der der Abschluss des Sponsoring-Vertrags durch N beanstandet und E aufgegeben wird, das Bürgerbüro in den Räumen des Einkaufszentrums K bis
zum 30.6.2015 zu schließen.
Gegen diese Entscheidung hat E fristgerecht Anfechtungsklage beim VG Freiburg erhoben.
Sie trägt vor, die Entscheidung sei rechtswidrig. Für den Abschluss des Sponsoring-Vertrags
sei N zuständig, wie sich aus § 12 Ziff. 10 der Hauptsatzung ergebe, wonach der Bürgermeister im Rahmen der bewilligten Haushaltsmittel Verträge über die Nutzung von Grundstücken
bis zu einem jährlichen Mietwert von 10.000 € abschließen dürfe. Es sei auch nicht Sache der
Rechtsaufsicht, sich in einen Streit zwischen Gemeindeorganen einzumischen.
Lösungsskizze nach VG Freiburg, Urt. vom 06.06.2002 - 9 K 714/01 -
I. Zulässigkeit der Klage
1. Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, denn streitentscheidende Norm ist § 121 GemO, eine
öffentlich-rechtliche Norm.
2. Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage, § 42 VwGO: Die Beanstandung des RP ist
als Maßnahme der Rechtsaufsicht gem. § 121 GemO gegenüber der Gemeinde E ein VA;
hiergegen ist die Anfechtungsklage statthaft. Das beanstandete gemeindliche Verwaltungshandeln betrifft eine Frage der internen Verwaltungsorganisation bzw. des Vertragsabschlusses im Bereich fiskalischen Handelns, beide Bereiche gehören zu „freien“ Selbstverwaltungsangelegenheiten, die vom Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 GG erfasst sind.
Ein rein innerstaatliches Verhältnis zwischen über- und untergeordneter Behörde liegt
nicht vor (anders evtl. im Bereich der Weisungsangelegenheiten).
3. Klagebefugnis, § 42 II VwGO
Die Gemeinde kann sich jedenfalls auf eine mögliche Verletzung von Art. 28 Abs. 2 GG
berufen, da Gemeinden das Recht haben, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft
- so auch die Regelung der inneren Verwaltungsorganisation - im Rahmen der Gesetze in
eigener Verantwortung zu regeln, und daher staatliche Korrekturen bei der Erledigung
weisungsfreier Aufgaben nur bei Gesetzesverstößen hinnehmen müssen.
4. Vorverfahren, 68 ff. VwGO i.V.m. § 15 AGVwGO
Dr. Rüdiger Engel/Dr. Torsten Heilshorn, Kommunalrecht, WS 2015/16, 19.11.2015, S. 11
Da die angefochtene Verfügung vom Regierungspräsidium erlassen wurde, ist ein Vorverfahren nicht erforderlich.
Die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind unproblematisch gegeben.
II. Begründetheit der Klage
Die Anfechtungsklage ist begründet, wenn die Beanstandungsverfügung des RP rechtswidrig
war und die Große Kreisstadt E dadurch in ihren Rechten verletzt wurde (§ 113 Abs. 1
VwGO). Die angefochtene rechtsaufsichtliche Beanstandung wurde auf § 121 GemO gestützt.
1. Zuständigkeit des Regierungspräsidiums
Das Regierungspräsidium war als Rechtsaufsichtsbehörde der Großen Kreisstadt E (vgl. §
3 Abs. 2 GemO) für eine Maßnahme nach § 121 GemO gem. § 119 GemO zuständig.
2. Voraussetzungen des § 121 GemO
a) Beschluss oder Anordnung der S, der / die das Gesetz verletzt
Vom Regierungspräsidium beanstandet werden der Abschluss des Sponsoring-Vertrags
und der Betrieb des Bürgerbüros in den Räumlichkeiten des Einkaufszentrums „Kaufgut“;
dies ist eine Anordnung des N i.S.v. § 121 GemO.
b) Verstößt das beanstandete Verhalten des N gegen das Gesetz?
Gesetz in diesem Sinne ist jede Rechtsnorm; gesetzwidrig sind alle materiellen und formellen Verstöße gegen zwingende gesetzliche Vorschriften und Überschreitung der Ermessensgrenzen.
aa) Verletzung der Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinderat und Bürgermeister,
wenn für den Abschluss des Sponsoring-Vertrags nicht N, sondern gem. § 24 II 2 GemO
der Gemeinderat zuständig gewesen wäre.
bb) Mögliche Kompetenzgrundlagen für ein Handeln des Bürgermeisters:
(1) § 44 II GemO - Geschäfte der laufenden Verwaltung
Geschäfte der laufenden Verwaltung sind durch zwei ungeschriebene Tatbestandsmerkmale gekennzeichnet: sie müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit
wiederkehren und dürfen weder von wirtschaftlicher noch von politischer Bedeutung sein. Die Entscheidung, Verwaltungsaufgaben durch Sponsoring-Verträge
fremd finanzieren zu lassen, ist aber eine Grundsatzentscheidung der Gemeinde
i.S.d. § 24 I GemO. Vor Abschluss eines solchen Vertrages ist abzuwägen, inwieweit die Gefahr von Abhängigkeiten der Gemeinde vom Sponsoring-Partner oder
von Interessenkollisionen besteht, wenn die Gemeinde ihre Verwaltungsaufgaben
von Privaten finanzieren lässt.
Gilt etwas anderes im Hinblick auf § 12 Ziff. 10 der Hauptsatzung? Nein, denn es
geht gerade nicht um einen Miet- oder Pachtvertrag, sondern um einen - atypischen
- kostenlosen Überlassungsvertrag, der obige Probleme birgt. Außerdem ist auch
i.R.d. § 12 Ziff. 10 vorausgesetzt, dass entsprechende Haushaltsmittel im Haushaltsplan bereitstehen.
(2) § 44 I 2 GemO - Regelung der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung
Nein, zwar könnte die Einrichtung des Bürgerbüros Sache der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung sein und daher Aufgabe des OB. Aber die Bestimmung des Standorts der Außenstelle des Rathauses ist eine Grundsatzangelegenheit, die m.E. dem Gemeinderat nach § 24 I 2 GemO obliegt. Zudem würden durch
Dr. Rüdiger Engel/Dr. Torsten Heilshorn, Kommunalrecht, WS 2015/16, 19.11.2015, S. 12
den Abschluss eines Sponsoring-Vertrags und dem fremdfinanzierten Betrieb des
Bürgerbüros bindende Vorgaben des Haushaltsplans (Kontrolle durch das Haushaltsrecht des Gemeinderats) unterlaufen, so dass das Organisationsrecht des OB
durch den Hauhaltsplan immanent begrenzt wird.
cc) Zwischenergebnis:
Der OB hat durch den Abschluss des Sponsoring-Vertrags und den Betrieb des Bürgerbüros in gesponserten Räumen des Einkaufszentrums „Kaufland“ in Kompetenzen des Gemeinderats, § 24 I 2 GemO, eingegriffen; die Missachtung zwingender Vorschriften über
die Zuständigkeit der Organe fällt unter Begriff der Gesetzesverletzung i.S.v. § 121 GemO.
c) Vorrang des Kommunalstreitverfahrens?
Ein solcher Vorrang existiert nicht; auch in Fällen, in denen Organkompetenzen streitig
sind, darf die Rechtsaufsichtsbehörde einschreiten.
d) Zwischenergebnis:
Die Voraussetzungen für ein Einschreiten des Regierungspräsidiums als Rechtsaufsichtsbehörde lagen vor.
3. Ermessensfehler
Für die Ausübung der Aufsicht gilt das Opportunitätsprinzip; ob und inwieweit eingeschritten
wird, liegt im pflichtgemäßen Interesse der Rechtsaufsichtsbehörde.
a) Entschließungsermessen:
Das Einschreiten des Regierungspräsidiums als Rechtsaufsichtsbehörde setzt voraus, dass
es im öffentlichen Interesse geboten ist (vgl. § 118 GemO, VGH BW, NJW 1990, 136).
Hier geht es nicht nur um einen internen Streit zwischen N und dem Gemeinderat, sondern
um eine langandauernde Diskussion auch in der Öffentlichkeit; das Einschreiten der
Rechtsaufsicht ist geboten, um die Situation verbindlich zu klären, zumal Klärung im
Rahmen eines Kommunalverfassungsstreitverfahrens nicht in Sicht ist.
b) Auswahlermessen:
Für die Ausübung der Kommunalaufsicht gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; die
ergriffene Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die Beanstandungsverfügung war geeignet, den Streit um Organkompetenzen und den rechtswidrigen
Zustand durch Betrieb des Bürgerbüros in gesponserten Räumen ohne entsprechenden Beschluss des Gemeinderats zu beenden; ein milderes (kommunalaufsichtsrechtliches) Mittel
ist nicht ersichtlich; der Eingriff ist auch angemessen.
Ergebnis: Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Fallbeispiel – Streit um die Dienstvilla
Kurz nach seiner Wiederwahl und 5 Jahre vor dem Eintritt in den Ruhestand möchte Bürgermeister B die von ihm bewohnte Dienstvilla von der Gemeinde erwerben. Der Marktwert des
Anwesens beträgt 500.000 €, der Gemeinderat genehmigt am 17.7.2015 den Verkauf für
300.000 €, weil B ein verdienter Bürgermeister sei, der sich große Verdienste um den Ort
erworben habe, und sich die Gemeinde erspare, ihm eine Dienstwohnung zur Verfügung zu
stellen. Im Übrigen sei das Gebäude, weil bewohnt, nicht marktgängig, so dass eine Veräußerung zum genannten Preis sachgerecht sei. Das Landratsamt genehmigt das Grundstücksgeschäft am 21.7.2015. Der Kaufvertrag wird am 20.7.2015 notariell beurkundet, seitens der
Gemeinde durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht. Die Lokalpresse greift den Fall im
Sommer auf, so dass der Landrat am 1.9.2015 den Beschluss des Gemeinderates vom 17.7.
beanstandet und zudem die Rückgängigmachung des Kaufvertrages verlangt.
Lösungsskizze (Fallbeispiel nach OVG Münster, NVwZ 1987, 155)
Zunächst wie oben Fall 10 mit folgenden Abweichungen: Widerspruchsverfahren ist durchzuführen, da LRA tätig wird, das Rechtsaufsichtsbehörde für alle Gemeinden außer den Großen
Kreisstädten und Stadtkreisen ist, § 119 GemO.
Zur Prüfung der Rechtmäßigkeit: Rechtsgrundlage der Beanstandungsverfügung ist § 121
GemO.
1. Anwendbarkeit des § 121 GemO, wenn zuvor die rechtsaufsichtliche „Genehmigung“ des Kaufvertrages erfolgte?
Nach § 92 III GemO ist der Beschluss über die Veräußerung eines Grundstückes unter
Wert der Rechtsaufsichtsbehörde vorzulegen. Der Beschluss darf gem. § 121 II GemO
nicht vollzogen werden, bis die Rechtsaufsichtsbehörde seine Rechtmäßigkeit bestätigt hat
oder die Monatsfrist abgelaufen ist. Im vorliegenden Fall wurde eine „Genehmigung“ erteilt, d.h. die Gesetzmäßigkeit bestätigt; der Kaufvertrag ist aber noch nicht wirksam, weil
er seitens der Gemeinde durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht (§ 177 I BGB) abgeschlossen wurde, und die erforderliche Genehmigung dem Notariat noch nicht vorliegt.
Nach h.M. sperrt eine aufsichtsrechtliche Genehmigung nicht den Einsatz kommunalaufsichtsrechtlicher Mittel, weil es deren Sinn und Zweck entspreche, dass die Aufsichtsbehörde – etwa aufgrund neuerer höchstrichterlicher Entscheidungen – von einer früher vertretenen Rechtsauffassung abweichen könne (VGH München).
Das OVG Münster vertritt in der vorliegenden Entscheidung auch die – m.E. fragwürdige
- Auffassung, dass § 121 GemO stets zur Anwendung kommen könne, wenn die Behörde
das zugrundeliegende Rechtsgeschäft für nichtig halte, denn bei einem nichtigen Rechtsgeschäft gehe auch die aufsichtsrechtliche Genehmigung ins Leere.
2. Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 17.7.2015:
Nach § 92 GemO dürfen Vermögensgegenstände nur zu ihrem vollen Wert veräußert
werden, es sei denn die Gemeinde verfolgt hiermit legitime öffentliche Ziele (z.B. Wirtschaftsförderung, wobei solche indirekte Subventionen dem Gebot der Haushaltsklarheit
und Haushaltswahrheit widersprechen, d.h. das Grundstück müsste zum vollen Wert veräußert werden, und gleichzeitig dem Erwerber eine Subvention im Haushalt ausgewiesen
werden).
Nach § 2 II BBesG durfte ein Beamter aber nur in der gesetzlich zugelassenen Höhe besoldet werden, neben der Aufwandsentschädigung durfte dem BM keine Leistungsprämie
o.ä. gezahlt werden.
Dr. Rüdiger Engel/Dr. Torsten Heilshorn, Kommunalrecht, WS 2015/16, 19.11.2015, S. 14
Der Abschluss des Kaufvertrages hindert die Beanstandung nach § 121 I GemO nur, wenn
die Rückabwicklung unmöglich ist, dann liegt nach OVG Münster ein Verstoß gegen
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Hier: KV ist schwebend unwirksam wegen § 177
BGB, so dass die Beanstandungsverfügung dem Grunde nach rechtmäßig ist.
Fallbeispiel: Die NPD will in der Stadthalle (VGH BW, VBlBW 1989, 332)
Der Kreisverband Mannheim-Stadt der NPD erfragte bei der Stadt Mannheim freie Saaltermine im städtischen Kongresszentrum für die Durchführung eines Bundesparteitages. Daraufhin fasste der Rat der Stadt folgenden Beschluss: „Der Rat fordert die Verwaltung auf,
alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um in Mannheim NPD-Parteitage künftig zu
verhindern. Die Verwaltung wird angewiesen, die Benutzung städtischer Räume durch die
NPD zu verweigern“. Hierauf teilte der Oberbürgermeister der NPD mit, dass eine Überlassung städtischer Räume an sie nicht in Betracht komme. Hiergegen legte die NPD kein
Rechtsmittel ein; sie regte aber beim Regierungspräsidium Karlsruhe die Beanstandung des
Ratsbeschlusses an. Daraufhin beanstandete das Regierungspräsidium den Beschluss und
ordnete an, ihn binnen 6 Wochen aufzuheben. Hiergegen erhebt die Stadt beim VG Klage mit
dem Antrag, den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe aufzuheben.
Eine vergleichbare Fallkonstellation taucht häufig auf, weil praktisch jede Stadt, in der die
NPD ihren Parteitag abhalten will, die Zulassung (nach § 10 II GemO) zur Stadthalle oder
einem vergleichbaren Veranstaltungssaal verweigert, ungeachtet des klaren Prozessausgangs:
I.
Zulässigkeit der Klage:
1. Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO: öffentlich-rechtliche Streitigkeit, weil §
121 GemO streitentscheidende Norm ist
2. Klageart: Anfechtungsklage § 42 I VwGO: Beanstandung und Aufhebungsverfügung sind VA’e; Rechtswirkung nach außen liegt im potenziellen Eingriff in die
Eigenverantwortlichkeit der Gemeinde bei der Aufgabenerledigung (§ 2 GemO);
die Vergabe sogen. öffentlicher Einrichtungen ist „freiwillige“ Angelegenheit der
Gemeinde (§ 10 II GemO).
3. Klagebefugnis nach § 42 II VwGO: Mögliche Verletzung der Eigenverantwortlichkeit (Art. 28 II GG).
II.
Begründetheit: Die Anfechtungsklage ist begründet, wenn die Beanstandungsverfügung des RP rechtswidrig war und die Stadt Mannheim dadurch in ihren Rechten verletzt wurde. Die angefochtene rechtsaufsichtliche Beanstandung wurde auf § 121 GemO gestützt.
1. Anspruch auf Zulassung zur öffentlichen Einrichtung besteht im Rahmen der
Widmung und vorhandener Kapazitäten entsprechend der Benutzungsordnung oder hilfsweise der Verwaltungsübung für Einwohner und denen Gleichgestellte (§
10 II, V GemO). Hier: Widmung schließt Parteiveranstaltungen nicht aus (dazu:
OVG Bautzen, NVwZ 2002, 615), insoweit Verletzung dieses Anspruchs.
2. Anspruch auf Chancengleichheit der Parteien gem. Art. 21 I, 3 I und III GG i.V.m.
§ 5 I 1 ParteienG steht auch der NPD als potenziell verfassungsfeindliche Ziele
verfolgende Partei zu (st. Rspr. des VGH BW, VBlBW 1989, 332). Der beanstandete Ratsbeschluss beeinträchtigt die Chancengleichheit der Parteien willkürlich.
3. Ausschluss aufsichtsbehördlichen Einschreitens durch mögliche Klage der NPD
auf Zulassung? Nach h.M. schließt die Möglichkeit des Dritten, selbst ein Rechtsmittel einzulegen, aufsichtsbehördliche Maßnahmen nicht von vornherein aus,
Dr. Rüdiger Engel/Dr. Torsten Heilshorn, Kommunalrecht, WS 2015/16, 19.11.2015, S. 15
sondern ist im Rahmen des Entschließungsermessens i.S.d. § 118 GemO zu berücksichtigen. Hier: Die breite Öffentlichkeitswirkung des Ratsbeschlusses und
dessen offensichtliche Rechtswidrigkeit rechtfertigen das öffentliche Interesse am
Einschreiten.
Antworten zu Fragen der 4. Stunde
1. Die Gemeinde Merzhausen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald lehnt ab, Ihnen die
Festhalle für Ihre Examensparty zu überlassen, weil erhebliche Sachschäden befürchtet
werden. Wer ist zuständige Widerspruchsbehörde? Gegen wen richten Sie eine Klage?
Macht es einen Unterschied, wenn der Fall in Freiburg spielt?
Der Betrieb der Festhalle als öffentlicher Einrichtung i.S.d. § 10 Abs. 2 GemO ist „freiwillige“ Selbstverwaltungsaufgabe. Widerspruchsbehörde ist aber das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald (§ 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 AGVwGO),
das allerdings nur die Recht- nicht die Zweckmäßigkeit der Entscheidung zu überprüfen
hat. Die Klage richtet sich wiederum gegen die Gemeinde Merzhausen (§ 78 Abs. 1 Nr. 1
VwGO i.V.m. §§ 1 Abs. 4, 10 Abs. 2 GemO).
In Freiburg wäre die Stadt Freiburg selbst Widerspruchsbehörde, § 17 AGVwGO greift
nicht.
2. Sie haben Ihr Fahrrad am Bertoldsbrunnen (neben dem Straßenverkehrsschild, das ein
Fahrradabstellverbot verhängt) abgestellt und sind von dort aus mit der Straßenbahn zum
Bahnhof und von dort über ein verlängertes Wochenende an die Nordsee gefahren. Als Sie
zurückkommen, finden Sie Ihr Fahrrad nicht mehr vor und hören von einem Kommilitonen, dass es im Auftrag der Stadt zur Fahrradstation gebracht wurde. Sie sind nicht damit
einverstanden, dass man am Bertoldsbrunnen sein Fahrrad nicht mehr abstellen soll, und
legen Widerspruch ein. Wer ist Widerspruchsbehörde? Gegen wen richtet sich die Klage?
Es ist zu konkretisieren, worauf sich der Widerspruch beziehen soll.
Wenn er sich gegen die straßenverkehrsrechtliche Anordnung (Verkehrszeichen) richtet,
ist nach §§ 44 Abs. 1 Satz 1, 45 StVO die Stadt Freiburg als Straßenverkehrsbehörde bzw.
untere Verwaltungsbehörde zuständig (Weisungsaufgabe gem. § 15 Abs. 2 LVG). Widerspruchsbehörde ist dann nach § 73 Abs. 1 Nr. 1 VwGO iVm § 21 Abs. 2 LVG (Weisungsaufgabe ist keine bundesrechtliche, sondern nur eine landesrechtliche Selbstverwaltungsangelegenheit) das Regierungspräsidium.
Wenn sich der Widerspruch gegen die Wegschaffung des Fahrrades im Wege der Vollstreckung durch Ersatzvornahme (§ 25 LVwVG) richtet, so ergibt sich die Zuständigkeit
aus § 4 Abs. 1 LVwVG. Ob durch diese Vorschrift eine Weisungsaufgabe i.S.d. § 3 Abs.
3 GemO begründet wird, ist fraglich. Dafür spricht, dass nach § 4 Abs. 1 LVwVG die Zuständigkeit für die Vollstreckung der Zuständigkeit des zu vollstreckenden VA folgt. Deshalb könnte die Vollstreckungszuständigkeit für einen VA im Bereich der Weisungsaufgaben auch als Weisungsaufgabe angesehen werden. Andererseits verlangt der Gesetzesvorbehalt des § 2 GemO für die Begründung einer Weisungsaufgabe eine spezialgesetzliche Regelung; eine ausdrückliche Regelung fehlt aber.
3. Das Studierendenwerk will wegen der großen Nachfrage in Gundelfingen ein Wohnheim
bauen. Es besteht kein Bebauungsplan (=> § 34 BauGB). Der Gemeinderat lehnt den
Bauantrag unter Hinweis auf § 36 BauGB ab. Die Landrätin fragt sich, ob sie sich im Wi-
Dr. Rüdiger Engel/Dr. Torsten Heilshorn, Kommunalrecht, WS 2015/16, 19.11.2015, S. 16
derspruchsverfahren über das „versagte“ Einvernehmen hinwegsetzen kann; sie erinnert
sich, im Studium gehört zu haben, dass dies nur Gerichte dürfen.
Nach der Rspr. ist das Einvernehmen nach § 36 BauGB ein Verwaltungsinternum. Ohne
das erklärte oder nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB fingierte Einvernehmen darf weder die
Baurechts- noch die Widerspruchsbehörde die Baugenehmigung erteilen. Dies gilt auch
dann, wenn das Einvernehmen rechtswidrig versagt wurde (BVerwGE 22, 347; BVerwG,
NVwZ 1986, 556). BWü. hat von der sog. Ersetzungsbefugnis nach § 36 Abs. 2 Satz 3
BauGB in der LBO-Novelle 2010 Gebrauch gemacht (§ 54 Abs. 4 LBO), deshalb kann
(und muss wg. Amtshaftung!) sich bereits das LRA als Baugenehmigungsbehörde (nach
Anhörung der Gemeinde) über das versagte Einvernehmen hinwegsetzen, die Widerspruchsbehörde kann dies als höhere Baurechtsbehörde auch. Die Gemeinde kann die Entscheidung durch Anfechtungsklage auf ihre (bauplanungsrechtliche) Rechtmäßigkeit
überprüfen lassen.
Merke: Eine andere Situation liegt nach Auffassung des BVerwG vor, wenn – wie z.B. im Falle der Stadt
Freiburg – die Gemeinde zugleich untere Baurechtsbehörde ist. Die Beteiligung der Gemeinde sei dem Umstand geschuldet, dass über den Bauantrag allein die Baugenehmigungsbehörde entscheide. Des Schutzes,
dem § 36 I 1 BauGB zu dienen bestimmt sei, bedürfe die mit der Baugenehmigungsbehörde identische Gemeinde nicht; denn sie könne den Zweck des Einvernehmenserfordernisses selbst erfüllen (BVerwG, Urt. v.
19.8.2004, 4 C 16.03, NVwZ 2005, 83; a.A. zuvor zutreffend VGH BW, VBlBW 2004, 56). Die Einvernehmensregelung des § 36 BauGB sei bereits nicht anwendbar.
4. Im Eingemeindungsvertrag zwischen Freiburg und Hochdorf hat sich die Stadt Freiburg
verpflichtet, keine Unterkünfte für Zigeuner und Landfahrer auf der Gemarkung Hochdorf
anzulegen. Da sich immer mehr junge Menschen dafür entscheiden, in Bauwagen zu leben
und mit diesen umherzuziehen, beschließt der Gemeinderat von Freiburg, auf einer Wiese
am Waldrand in der Nähe des S-Bahn-Haltepunktes Hochdorf ein Grundstück für diese
Wohnform zur Verfügung zu stellen. Der Ortschaftsrat tobt und macht einen Verstoß gegen den Eingemeindungsvertrag geltend. Erfolgsaussicht?
Der Ortschaftsrat kann sich auf den Eingemeindungsvertrag berufen, soweit dieser nicht
gegen höherrangiges Recht verstößt. Hier dürfte die fragliche Bestimmung m.E. gegen das
in Art. 3 III GG enthaltene Diskriminierungsverbot verstoßen. Zwingende Gründe, die eine derartige Vorbehaltsklausel im Eingemeindungsvertrag rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.