Die Kreuzigung Christi von Matthias Grünewald

42 KULTUR
BASEL | BASELLANDSCHAFTLICHE
SAMSTAG, 25. APRIL 2015
Eine Klangreise von Flamenco bis Blues
Jazz Festival Mit Till Brönner und Joachim Kühn traten zwei international bekannte Stars im Basler Stadtcasino auf
VON REINER KOBE
Die deutsche Jazz-Szene hat nur wenige
internationale Stars zu bieten. Gleich
zwei der bekanntesten deutschen Jazzer
traten nun am Basler Jazz Festival auf:
Till Brönner und Joachim Kühn. Till
Brönner, ein Vertreter der jüngeren Generation, wurde in den vergangenen
Jahren als Shootingstar gehandelt, Joachim Kühn steht seit Jahrzehnten an der
Spitze. Beide zeichnet eine stilistische
Wandlungsfähigkeit aus, die sich unterschiedlich niederschlägt, wie deren
Konzerte in Stadtcasino und Volkshaus
unter Beweis stellten.
Mit seiner Eleganz im Spiel und souveräner Technik frönt Till Brönner einem abgestandenen Mainstream-Jazz
mit Fusion-Tendenz der 1970er- und
80er-Jahre. Hier mischt sich die typische Klangfarbe des Fender Rhodes Piano, von Jasper Soffers unauffällig gespielt, mit den Grundierungen des behäbigen elektrischen Basses von Christian Kaphengst mit heftigen Schlagzeugsalven von David Haynes. Einzig
die Unisono-Bläsersätze, die sich immer wieder in spannende Zwiegespräche zwischen Magnus Lindgrens Tenorsaxofon-Verzierungen und Till Brönners Trompete entladen, vermögen zu
überzeugen. Er produziert gestochen
scharfe Bebop-Chorusse, beherrscht
Freddie-Hubbard-Licks bis in die Fingerspitzen und nimmt Anleihen bei
Chet Baker bei balladesken gestopften
Soli. Insgesamt aber könnte der 43-Jährige sein Quintett in ein fruchtbareres
Fahrwasser lenken.
ne Notenketten aus seinem Instrument
heraus, dann plötzlich explodiert er in
einem rasenden Lauf der rechten
Hand, während die linke ostinate Bassfiguren unterlegt. Dann irgendwann
lässt Joachim Kühn ein paar Harmonien
heraus, die wunderbare Melodien formulieren. Majid Bekkas greift sie auf,
verwandelt sie auf seiner Guembri,
dem viersaitigen, rechteckigen Holzkasten mit spiessartigem Hals, in exotische
Welten mit archaischem Blues, kehligem Gesang und vertrackter Rhythmik.
Überhaupt Bekkas: der Marokkaner hat
traditionelle Songs seiner Heimat für
das Trio arrangiert und mimt mit fröhlich-stoischem Charme den Bassisten,
gezupfte, teils geschlagene ostinate Figuren allseits abwandelnd.
Den rhythmischen Kitt liefert Ramon
Derlei Einwände braucht das Joachim
Kühn Trio nicht zu fürchten. Hier dominiert kein Star über andere Musiker,
im Gegenteil. Des Pianisten Devise,
dass sich «keiner in der Band verstecken muss», ist Grundlage für hervorragendes Zusammenspiel. Seit einem
Jahrzehnt ist die Gruppe mit Majid Bekkas und Roman Lopez traumhaft zusammengewachsen – dies bei allen kulturellen Unterschieden. Harmonieverständnis, Tonbildung und Rhythmik rekrutieren sich aus den unterschiedlichen Kulturkreisen der Musiker und
fügen sich zu einer Einheit zusammen.
Traditionelle Songs aus Marokko
Kühn beugt sich tief über die Tastatur. Er setzt gemächlich Ton an Ton,
holt versunken Akkordfolgen und klei-
Lopez auf höchst ergiebige Weise. Der
spanische Schlagzeuger entzündet ein
Feuerwerk, bei dem der dynamische
Groove im Mittelpunkt steht. Stilistisch
sprengt Joachim Kühn die Ketten. Der
71-Jährige integriert Romantik und Impressionismus in den klassischen freien
Jazz, hämmert expressive Cluster in
fliessende Melodik hinein. So wechseln
arrhythmische Ausbrüche mit tänzelnden Melodien. Auch in eruptiven, freien Passagen ist Kühns Spiel swingend.
Insgesamt zeitigte dieses grandiose
Konzert einen beispiellosen, ureigenen
Trio-Kosmos. Es entstand eine Klangreise, die disparate Stilistiken wie
Blues, Reggae, Gnawa-Musik, Flamenco, Klassik und Jazz zusammenbrachte.
Mehr Menschen hätten an dieser fulminanten Reise teilnehmen müssen.
«Nicht nur das Bild ist
geheimnisvoll, der
Maler ist es ebenso»
Mein Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum (12) Beat von
Wartburg, Direktor der Christoph-Merian-Stiftung, wählt
Matthias Grünewalds «Die Kreuzigung Christi» um 1515
«
Die Kreuzigung von Matthias Grü- kriecht oder aus sich / heraus will, vernewald, dieses ebenso dunkle wie sammelt war, wird Grünewald, / der ohfarbstrotzende,
geheimnisvolle
An- nehin zu einer extremistischen Auffasdachtsbild im Kunstmuseum Basel zieht sung / der Welt geneigt haben muss, die
mich seit meiner Jugend in den Bann. Erlösung /des Lebens als eine vom Leben
Nicht nur das Bild ist geheimnisvoll, son- verstanden haben.›
dern auch der Maler Matthias Grünewald
Die Darstellung der Kreuzigungsszene
selbst. Über seine wahre Identität streitet
die Forschung noch heute. Nur eines ist war ein häufiger Bildtopos gotischer Angewiss, der Künstler, der heute unter dachtsbilder. Matthias Grünewalds Dardem Namen Matthias Grünewald be- stellung hebt sich von der seiner Vorgänkannt ist, hiess nie so. Während andere ger und Zeitgenossen aber dadurch ab,
Maler seiner Zeit profane Bildthemen dass der Leib Christi wie vielleicht nie zuvor derart todeswirklich darwählten, besteht sein Werk
gestellt wurde. Die Inszenieaus religiösen Motiven, darrung von Tod und Leichenunter vielen Kreuzigungshaftigkeit erinnert uns Basleszenen. Seine Kunst gehörrinnen und Basler natürlich
te zu einem künstlerischen
an Holbeins toten Christus
und spätgotischen Univerim Grab. Doch Holbein malte
sum, das im Zeitalter der
seinen Leichnam später und
Reformation im Untergang
man kann davon ausgehen,
begriffen war, er selbst verdass er von Grünewalds gehielt sich wie ein mittelalkreuzigtem Christus in Isenterlicher Maler, der hinter
heim inspiriert war.
seinem Werk zurücktritt.
So sehr der Gekreuzigte im
So wenig wir über GrüZentrum steht, die wichtigsnewald wissen, so wenig
te Figur auf dem Bild ist der
wissen wir über seine Bas- Beat von Wartburg.
Centurio Longinus, der erste
ler ‹Kreuzigung› und ihren
JURI JUNKOV
Mensch, der die Göttlichkeit
Ursprung. Nur so viel: 1775
wird sie von Christian Beck erwähnt in Christi erkannte: ‹Vere filius dei erat ille›,
einem handschriftlichen Inventar der steht wie in einer Sprechblase beim Kopf
Kunstsammlung der öffentlichen Biblio- des römischen Soldaten. Und genau um
thek Basel, die sich damals im Haus zur diesen Moment und um ihn, den CentuMücke befand. Dort heisst es lakonisch: rio, geht es in Grünewalds Bild. Für die
‹Ein Crucifix, dabey ein geharnischter katholische Kirche ist die Szene und die
Mann und drey Weiber, mit Ölfarben auf durch die Lanze des römischen Soldaten
Holtz gemalet.› Einer Hypothese folgend geöffnete Seite Jesu am Kreuz der spiritukönnte das Bild aus dem Besitz des Or- elle Ursprungsort, aus dem die Sakradens der Antoniter in Basel stammen. mente kommen: ‹ . . . einer der Soldaten
Das Basler Kloster unterstand dem Klos- stiess mit der Lanze in seine Seite, und
ter in Isenheim. Da entstand Grünewalds sogleich floss Blut und Wasser heraus›
( Johannes 19,34).
Hauptwerk: der Isenheimer Altar...
Und noch auf etwas verweisen die entWer den Basler Grünewald sieht, ist in
Gedanken immer auch in Colmar im Mu- sprechenden Bibelstellen: Auf die Sonsée Unterlinden beim Isenheimer Altar, nenfinsternis, die sich bei der Kreuzidiesem gewaltigen Opus, dem doppelten gung zwischen 6 und 9 Uhr ergeben hatTriptychon, mit seiner unglaublichen te. Und so taucht Grünewald Jerusalem
Bildwucht, mit der Kreuzigungsszene, im Hintergrund in tiefe Nacht. Nur scheden schauerlichen Figuren, den geheim- menhaft kann man die Stadt und einzelnisumwitterten Landschaften, der eu- ne kleine Figuren erkennen, die ganz
phorischen farbexplosiven Auferste- klein, ganz fein und ganz transparent gezeichnet sind. Sind es Engel oder Aufhungsszene.
Im Antoniterkloster in Isenheim erleb- erstandene? Die Figuren irritieren in ihte Grünewald die Gläubigen, Pilger, Mön- rer Zartheit die Betrachter, weil sie – und
che und die an der Mutterkorn-Epide- die Kunsthistoriker – sie nicht einwandmie, dem Antoniusfeuer, erkrankten Da- frei deuten können.
Matthias Grünewalds ‹Kreuzigung› ist
hinsiechenden. Der deutsche Autor W.G.
ein kleines Bild – durch seine kompositoSebald beschreibt das so:
rische und expressive Dichte mit grosser
‹Spätestens mit dem Anfang der Arbei- Anziehungs- und Ausstrahlungskraft.
ten / in dem Elsässer Krüppelheim, wo
das vielfältigste / Anschauungsmaterial Die Kreuzigung ist bis 18. Februar 2016
dafür, wie der Mensch / in sich hinein- im Museum der Kulturen ausgestellt.
MARTIN P. BÜHLER/ KUNSTMUSEUM BASEL
Matthias Grünewald: «Die Kreuzigung Christi» um 1515.
SERIE
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Mein Lieblingswerk
Mit unserer Serie «Mein Lieblingswerk
aus dem Kunstmuseum» wollen wir
während der Zeit der Schliessung des
Basler Kunstmuseums dessen Schätze
in unser Bewusstsein rufen. Dies, obwohl einige Meisterwerke im Museum
der Gegenwartskunst (Moderne) und
im Museum der Kulturen (Alte Meister)
zugänglich sind. Jede Woche stellt eine
bekannte Persönlichkeit aus der Region
Basel ihr Lieblingswerk aus der Sammlung des Kunstmuseums vor.
Am 21. März wählte der Dirigent, Cembalist und Organist Andrea Marcon
(Chefdirigent von La Cetra Barockorchester Basel) das Bild «Der tote Christus im Grab» von Hans Holbein d.J.
(1521/22). Am 4. April wählte Philippe
Bischof, Leiter Ressort Kultur des Basler Präsidialdepartements, Arnold Böck-
lins «Toteninsel», (erste Fassung von
1880). Am 11. April stellte Katrin
Eckert, Intendantin des Literaturhauses Basel, «Lucretia um 1535-1540» von
Lucas Cranach dem Älteren vor und am
18. April Samuel T. Holzach, Regionaldirektor der UBS Basel und Präsident
des Verwaltungsrates des Theaters Basel, Franz Marcs «Tierschicksale» von
1913. (FLU)