Predigt Kirchenpräsident Jung zum Reformationstag 2015

Predigt
des Kirchenpräsidenten der
Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Dr. Volker Jung
31. Oktober 2015
Predigt zum Reformationstag 2015; Wiesbaden Lutherkirche
Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
Mt 5,2-10
Liebe Gemeinde!
Geistlich arm, Leid tragen, sanftmütig, hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, barmherzig,
reinen Herzens, friedfertig, um der Gerechtigkeit willen verfolgt. Es gibt Menschen, die halten
das, was Jesus da am Anfang der Bergpredigt sagt, für so etwas wie die „Magna Charta der
Gutmenschen“. „Gutmenschen“ werden in der Regel diejenigen genannt, die irgendwelchen
Idealen der Menschlichkeit anhängen und dabei angeblich den Blick für die Wirklichkeit
verlieren. Und „Gutmensch“ ist eigentlich immer abwertend gemeint. Bei der Wahl des Unwortes
2012 kam „Gutmensch“ auf Platz zwei.
Zurzeit ist das Wort wieder hoch im Kurs. Nicht selten werden diejenigen, die sich für Flüchtlinge
einsetzen, „Gutmenschen“ genannt. Und die Debatten werden nach meinem Eindruck schärfer.
Natürlich im Internet, hier und da hinter vorgehaltener Hand, manchmal auch offen und
aggressiv. Da sind die einen, die sagen: „Wir müssen die Not der vielen Menschen sehen und
nach Kräften tun, was wir tun können und zu helfen.“ Und da sind die anderen, die sagen: „Wir
müssen uns schützen vor Überforderung und Überfremdung.“ Der Bundespräsident hat am 3.
Oktober und wenige Tage vorher bei der Eröffnung der Interkulturellen Woche davor gewarnt,
dass nur noch in zwei Lagern gedacht wird. Da werden die einen für hoffnungslos verirrte
„Gutmenschen“ gehalten. Die anderen für fremdenfeindlich, wenn sie Sorgen äußern.
Mit dem, was Jesus in den Seligpreisungen gesagt hat, ist er sicher eher in der Gefahr für einen
„Gutmenschen“ gehalten zu werden. Die Debatte ist nicht neu. Vor allem in den siebziger und
achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde in der Friedensfrage viel darüber diskutiert:
Kann man mit der Bergpredigt Politik machen?
Nein, haben manche gesagt. Geht gar nicht: Barmherzigkeit, Sanftmut, Friedfertigkeit – das
taugt bestenfalls für das persönliche Leben, zwischenmenschlich, von Mensch zu Mensch. Aber
auch da nur begrenzt. Jesus rede auch gar nicht von dem, was verlangt wird. Er rede davon,
dass Gott Menschen in schwierigen Situationen tröstet. Er spricht zu denen, die
niedergeschlagen sind, die gescheitert sind – auch daran, dass sie Gutes tun wollten. Die tröstet
er mit einer himmlischen Seligkeit, die spätestens im Jenseits erfahren wird. Deshalb auch die
Mahnung an die Pfarrerinnen und Pfarrer: Tut das, was ihr am besten könnt: trösten. Und haltet
euch raus aus der Politik.
-2Kann man mit der Bergpredigt Politik machen? Ja, haben die anderen gesagt, was denn sonst?
Was Jesus sagt, sei mitnichten nur Trost für die Ewigkeit. Die Welt soll besser werden,
gerechter, friedlicher, barmherziger, und zwar hier und jetzt. Man muss nur konsequent sein und
auch auf jede Form von Gewalt verzichten.
Wer hat Recht? – Ich denke: Keine der beiden Positionen. Die Frage verstellt den Blick auf die
Botschaft Jesu. Die Seligpreisungen sind weder bloßer Seelentrost noch sind sie einfach ein
politisches Programm. Die Seligpreisungen reden von Gottes Reich, vom Himmelreich. Und das
ist nicht irgendwo weit weg. Und es ist nicht ein Ereignis in der Ewigkeit. Jesus hat verkündigt:
Es ist nah – hier und jetzt. Es wird vollendet, erscheinen, verwirklicht – am Ende aller Zeit. Was
wir gar nicht denken können. Aber es ist jetzt schon da – nah für dich und alle Welt. Und es geht
darum, sich von Gottes Reich berühren und ergreifen zu lassen. Wenn du niedergeschlagen
und verzweifelt bist – dann lass dir gesagt sein: „Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer
ist das Himmelreich.“ Wenn du in Trauer bist, wenn du einen Menschen so sehr vermisst, dann
lass dich aufrichten: „Du sollst getröstet werden.“ Wenn du verzweifelst an dem Unrecht und
den Ungerechtigkeiten dieser Welt, dann antworte nicht mit Hass und Verachtung, denn: „Selig
sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit.“ Wenn du denkst, diese Welt ist doch
nur Hauen und Stechen, es gewinnen doch nur die Skrupellosen, die ihre Macht ausspielen,
dann schlage nicht zurück, vergelte nicht Böses mit Bösem: „Selig sind die Sanftmütigen, selig
sind die Barmherzigen, selig sind, die reinen Herzens sind.“
Martin Luther hat diese Worte auch für sich selbst als erlösende Worte gehört. In seinem Ringen
um die Frage „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ hat er verstanden: Ich kann mir Gottes
Gnade nicht erkämpfen. Ich brauche sie nur zu ergreifen, sie an mir geschehen lassen. Und so
ist es auch mit Gottes Reich, mit seinem Himmelreich. Das ist nichts, was Menschen einfach
machen können. Und die Geschichte lehrt uns: Jeder menschliche Versuch, Gottes Reich zu
machen – auch wenn man es anders nannte - wurde totalitär. Gekommen ist nicht der Himmel,
sondern die Hölle. Aber was geht ist, sich von Gottes Himmelreich ergreifen zu lassen. Sich
trösten und stärken zu lassen und das eigene Leben im Sinne Gottes auszurichten. Und das
bedeutet dann eben darauf zu vertrauen, dass das, was uns Menschen gut tut, wirklich gut tut,
von Gott kommt. Und was Menschen gut tut, das macht sie selig oder anders übersetzt
„glücklich“.
Sich davon ergreifen zu lassen, dass Gottes Reich nah ist, macht Menschen selig. Das aber ist
nicht nur Seelentrost. Es ist auch Kraft für die Seele. Und es gibt Orientierung im Leben. Es
bewegt Menschen. Wer dies in sich aufnimmt, wer hiervon in Herz und Seele berührt ist, der
kann nicht bei sich bleiben. Der lässt sich beanspruchen und gibt es an andere weiter. So gibt
der Zuspruch der Seligkeit dem Leben eine Richtung. Luther sah in den Seligpreisungen eine
„Auslegung aller Gesetze, die schon gegeben sind und noch je gegeben werden können“. Sie
sind dazu da uns die Augen zu öffnen, dass man „Gott in den Elenden, Irrenden und
Mühseligen suchen (soll), auf die er selber siehet: da schaut man Gott, da wird das Herz rein
und aller Hochmut liegt darnieder“. Und hier von bloßem „Gutmenschentum“ zu reden, greift viel
zu kurz. Das nimmt Gott nicht wahr und seine Kraft und sein Himmelreich – mitten in dieser
Welt.
Wie Gottes Reich unter uns sehr konkret wird, das hat Jesus gelebt und in seinen Gleichnissen
erzählt. Wer sich von Gottes Reich ergreifen lässt, kann nicht an dem Verwundeten
vorübergehen. Das Himmelreich bewegt Menschen – in aller ihrer Gebrochenheit und
Unzulänglichkeit – zu leben, was sie von Gott glauben: Barmherzigkeit und Sanftmut,
Gerechtigkeit und Frieden. Und so ist die Bergpredigt zwar kein politisches Programm, wie
Menschen das Reich Gottes machen können. Aber sie bewegt Menschen, im Vertrauen auf
Gott und in seinem Sinn, ihr Leben und das Leben mit anderen zu gestalten. Das heißt dann
auch, eine Politik zu machen, die sich an dem Leben orientiert, zu dem Gott uns hin bewegt –
zu einem Leben in Gerechtigkeit und Frieden, zu einem Leben, das das Wohl aller Menschen in
den Blick nimmt.
-3Was bedeutet das in der aktuellen Situation? Zwei Dinge möchte ich konkret benennen.
Wer die Worte der Bergpredigt in sich aufnimmt, wird zuerst auf die Not der Menschen schauen,
die Hilfe brauchen. Natürlich geht es da um die Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen,
weil sie vor Krieg und Elend fliehen mussten. Die erste Frage muss sein: Was brauchen sie und
wie können wir helfen? Die erste Frage kann nicht sein: Wie können wir uns vor denen
schützen, die Schutz suchen? Ich habe großen Respekt vor der Kanzlerin, die die Frage nach
der Not der Menschen erst einmal obenan gestellt hat. Und natürlich ist dann zu fragen: Wie
kann das alles organisiert werden? Wie können Belastungen verteilt werden? Was kann getan
werden, dass nicht alles und alle, die helfen und organisieren, zusammenbrechen? Es ist
wunderbar, dass sich so viele in den Einsatzkräften und so viele ehrenamtlich engagieren.
Gefragt sind jetzt Nüchternheit und Klugheit und gegenseitige Ermutigung. Natürlich muss vieles
bedacht und geregelt werden und die Integration ist eine gewaltige Aufgabe. Worte wie die der
Bergpredigt machen Mut – sie machen mir Mut darauf zu vertrauen, dass barmherziges
Handeln unter der Verheißung von Gottes Barmherzigkeit steht.
Ich spreche noch ein zweites an: In den Seligpreisungen ist von den Friedfertigen die Rede.
Genau übersetzt sind es diejenigen, die den Frieden machen. Es geht nicht nur darum,
friedfertig zu sein. Es geht um das aktive „Frieden“ machen. Ich weiß, dass es auch hier viel
Engagement gibt. Aber tun wir wirklich alles, um Frieden zu machen – vor allem im Syrien und
im Irak? Und ich denke dabei nicht an militärische Lösungen, die immer nur – wenn überhaupt –
ein letzter, ein allerletzter Schritt sein können. Wie oft sind Versuche gescheitert, mit Waffen
Konflikte zu lösen oder Kriege zu beenden. Ich denke zuallererst an Anstrengungen der
Weltgemeinschaft. Der Schriftsteller und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Navid
Kermani hat in seiner Rede vor wenigen Tagen in der Frankfurter Paulskirche dazu eindrücklich
aufgefordert. Und er hat auch die Zerrissenheit in dieser Frage beschrieben. Die Worte Jesu
fragen eindringlich: Tut ihr wirklich alles, um Frieden zu machen?
Das Jahresthema der Reformationsdekade heißt in diesem Jahr „Reformation und eine Welt“.
Es hätte nicht besser gewählt sein können. Es wird darum gehen, darauf zu schauen, wie
Reformation weltweit gewirkt hat. Viel wichtiger aber ist die Frage, was wir – angesprochen vom
Evangelium – tun können für das gerechte und friedliche und gute Leben in dieser einen Welt,
die Gott uns anvertraut hat.
Lassen Sie mich mit einer kleinen Erzählung schließen: Vor ein paar Wochen hatte ich ein
Gespräch mit einem Journalisten, der über eine reichhaltige Korrespondentenerfahrung verfügt.
Wir haben über viele der schwierigen Fragen in den Krisenherden dieser Welt geredet. In seine
scharfsinnigen Analysen streute er plötzlich den Satz ein: „Und wissen Sie, so traurig es ist: „Es
geht so oft und bei so vielen um den Erhalt der Macht und um Geld und Sex!“ Darauf habe ich
gesagt: „Also trifft der Vorwurf doch: Ihr Kirchenmenschen seid naive Gutmenschen!“ Und er hat
geantwortet: „Nein – es braucht Menschen, die daran glauben, dass wahres und gutes Leben
etwas anderes ist!“
Und weil wir das gewiss nicht aus eigener Kraft und Hoffnung können, bewahre der Frieden
Gottes, der höher ist als alle Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen