Die Anderen und ich „Die Anderen und ich“ – ein schwieriges Thema. Denn nicht immer läuft es rund mit uns. Das Miteinander von Menschen kann der Himmel auf Erden sein: als Liebende, als Geschwister, als Vater und Sohn und Mutter und Tochter, als Freunde. Gute Nachbarschaft? Wunderbar! Vertrauen und Solidarität unter Kollegen? Unbezahlbar! Denn leicht passiert es, dass sich der Himmel auf Erden verdüstert. Neid zerstört, wo zuvor Großzügigkeit herrschte. Ängste vergiften jede Herzlichkeit, die Menschen doch erst miteinander verband: die Angst, den Kürzeren zu ziehen. Die Angst, ausgetrickst zu werden. Die Angst, diese Freundschaft teilen zu müssen mit anderen. Die Angst, nicht der erste, der beste, der schnellste zu sein, übersehen zu werden. Immer, wenn sich das Ich aufbläht und alles hektisch um das Ego kreist, wird es schwierig mit den Menschen. Und dann wird´s auch schwierig mit dem Leben. Denn das übergroße Ich gebiert Neid, Angst, Eifersucht und Ablehnung. „Kein Ego, kein Leid!“ Vielleicht werde ich dieses Ideal nie ganz erreichen in diesem Leben. Aber trotzdem, es soll mein Ideal und mein Ziel bleiben: Kein Ego, kein Leid. Das Leben ist in jeder wachen Stunde ein Lernweg. „Ich und die anderen“, das bleibt mein Übungsfeld. Bis zum letzten Atemzug. Jesus hat diesem Thema die Bergpredigt gewidmet. In klaren und weisen Worten spricht er aus, wie das geht: den Himmel auf die Erde holen. „Selig sind, die keine Gewalt anwenden! Selig sind die Barmherzigen! Selig sind, die ein reines Herz haben! Selig sind, die Frieden stiften!“ Die Quintessenz seiner Weisung formuliert Jesus in der berühmten „Goldenen Regel“ (Matthäus 7,12): „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihr ihnen auch!“ – Da sind wir gefordert! Denn es geht nicht nur darum, den Mitmenschen nicht zu schaden, nein, es langt lange nicht aus, sie „nur in Frieden“ zu lassen, sondern: So, wie ich von meinen Mitmenschen mit Respekt, Güte, Mitgefühl und Liebe beschenkt werden möchte, so soll auch ich meine Mitmenschen mit Respekt, Güte, Mitgefühl und Liebe beschenken! Das ist übrigens eine Forderung, die nicht nur uns Christen, sondern auch unseren Geschwistern der anderen Religionen gestellt ist. Vor Jesus wurde die Goldene Regel in ganz ähnlichen Worten und mit absolut identischem Inhalt schon von Rabbi Hillel, von Konfuzius, von Buddha und vielen anderen Lehrern formuliert. – Respekt, Güte, Mitgefühl und Liebe verschenke ich gern! Das Herz geht über, wenn ich an die vielen Menschen denke, die in irgendeiner Weise zu mir gehören. Meine Familie, meine Freunde, meine Kollegen und Mitarbeiter, frühere Gefährten und liebe Menschen aus vergangenen Zeiten, die ich zwar aus meinem Blick, aber nicht aus meinem Herzen verloren habe. Ja, da fällt das Lieben leicht! – Aber da sind ja auch noch die anderen. Und nicht mal die, die einem übel mitgespielt haben, nein: Menschen, die man einfach nicht unbedingt kennenlernen wollte, die gibt´s auch! Und wenn man ehrlich ist: wenige sind´s vielleicht auch nicht. – Klar, nicht alle können einem sympathisch sein. Es gibt Menschen, die „passen“ einem einfach nicht: nicht ins Konzept, nicht in die Arbeit, nicht ins Haus und schon gar nicht als Schwiegertochter oder Schwiegersohn in die Familie! Menschen, die einfach nicht in mein Leben passen, weil sie so sind, wie sie sind! – Aber Hand auf´s Herz: Dieser Gedanke ist doch gleichermaßen hochmütig wie sinnlos. Erstens ist der einzige Mensch, den ich ändern kann, ich selbst. Und zweitens: Kein Mensch muss so sein, wie ich ihn gerne hätte. Und ich selbst muss auch nicht so sein, wie es einem anderen besser passen würde. Mein Lehrpfarrer, der beste Ratgeber, der mir jemals begegnete, sagte einmal: „Ich kann nicht alle mögen. Aber ich möchte auch nicht, dass sie das merken.“ Das trifft genau den Punkt der Goldenen Regel: Wenn ich meine Ablehnung und meinen Wiederwille nicht so ernst nehme, sondern beides für mich behalte, und wenn ich mich stattdessen um Respekt und Sachlichkeit bemühe, dann kann ich sogar mit dem gut auskommen, mit dem ich mich schwer tue. Und dann ist auch die Wahrscheinlichkeit durchaus da, dass wir uns morgen schon etwas sympathischer sind, und uns übermorgen mögen. Denn selig sind, die Frieden stiften! Pfarrer Sebastian Stahl
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