A k t u e l l es a u s d er Arbei tsmed iz in 16 Schweigepflicht aktuell Ausgabe September 2015 Schweigepflicht Arbeitsmedizin zwischen Schweigepflicht und Informationspflichten – eine Rechtsgüterabwägung © contrastwerkstatt · fotolia.com Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Hauptverwaltung Hamburg „Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, […] darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unbefugter gelangt. Nur so kann zwischen Arzt und Patient jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt […].“ Diese Aussage des Bundesverfassungsgerichts umschreibt in anschaulicher Weise den Sinn der ärztlichen Schweigepflicht. In der Deutschen Rechtsordnung kommt der Schweigepflicht ein so hoher Stellenwert zu, dass ein Verstoß gegen dieses Gebot als Straftat gewertet wird. Die Schweigepflicht beschränkt sich nicht nur auf das „klassische“ Behandlungsverhältnis zwischen Arzt und Patient; sie ist auch von Betriebs- und Werksärzten bei ihrer Tätigkeit zu beachten. Es gibt Ausnahmen, die es Ärzten erlauben, sie sogar verpflichten, anvertraute Geheimnisse, zu offenbaren. In diesen Fällen sind sie befugt, ihre Schweigepflicht zu durchbrechen. Die Frage nach der befugten Weitergabe medizinischer Daten der Beschäftigten kann für Betriebsärzte eine Herausforderung sein. Denn sie stehen neben den Beschäftigten, die ein Interesse an der Geheimhaltung ihres Gesundheitszustands haben, auch den unterschiedlichsten Akteuren des Arbeitsschutzes mit ihren jeweils ganz eigenen Informationsbedürfnissen gegenüber. 1. Inhalt und Umfang der ärztlichen Schweigepflicht Ein Gesetz, das die ärztliche Schweigepflicht definiert, existiert nicht. Lediglich der Verstoß gegen dieses Gebot ist als „Verletzung von Privatgeheimnissen“ in § 203 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) beschrieben: „Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis […] offenbart, das ihm als Arzt“ oder „Zahnarzt […] anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.“ Allein die berufsrechtliche Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) enthält in § 9 Abs. 1 eine Definition der ärztlichen Schweigepflicht: „Ärztinnen und Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus – zu schweigen. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen der Patientin oder des Patienten, Aufzeichnungen über Patientinnen und Patienten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde.“ Diese Regelungen unterscheiden nicht, ob Ärzte Informationen im Rahmen einer Behandlung im unmittelbaren Arzt-PatientenVerhältnis oder im Zusammenhang mit einer betriebsärztlichen Tätigkeit erlangt haben. Die Schweigepflicht des Betriebsarztes schützt die betreuten Beschäftigten umfassend vor der un- Aktuelles aus der Ar b eits mediz in aktuell Ausgabe September 2015 befugten Weitergabe ihrer Geheimnisse an den Arbeitgeber, an die betriebliche Interessenvertretung, an (Ordnungs-) Behörden und Sozialversicherungsträger sowie an andere Ärzte. 2. Ausnahmen von der ärztlichen Schweigepflicht Die ärztliche Schweigepflicht gilt jedoch nicht grenzenlos. Es gibt Sachverhalte, in denen die Schweigepflicht durchbrochen werden darf, ohne dass der Arzt mit rechtlich nachteiligen Konsequenzen rechnen muss. In einigen Fällen besteht sogar eine Verpflichtung für Ärzte zur Offenbarung der ihnen anvertrauten Geheimnisse. Eine Darstellung der Offenbarungsbefugnisse findet sich in § 9 Absatz 2 Satz 1 und 2 der oben zitierten MBO-Ä: „Ärztinnen und Ärzte sind zur Offenbarung befugt, soweit sie von der Schweigepflicht entbunden worden sind oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist. Gesetzliche Aussage- und Anzeigepflichten bleiben unberührt.“ Zusammenfassend gibt es drei Gründe, die Ärzten die Weitergabe eines anvertrauten Geheimnissees erlauben bzw. sie dazu verpflichten: » Der betroffene Patient bzw. Arbeitnehmer willigt in die Weitergabe des Geheimnisses ein, » es existiert eine gesetzliche Mitteilungspflicht oder » das Geheimnis darf nach einer Interessenabwägung zum Schutze eines anderen Rechtsgutes offenbart werden (sog. rechtfertigender Notstand, § 34 StGB). a) Einwilligung des Betroffenen Das Gesetz sieht für die Einwilligung in die Weitergabe der anvertrauten Geheimnisse grundsätzlich keine besondere Form vor. Sie kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent (durch schlüssiges Verhalten) erfolgen. Eine pauschale Schweigepflichtsentbindung des Betriebsarztes gegenüber dem Unternehmen im Rahmen einer kollektivvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Regelung ist nicht möglich bzw. äußerst umstritten. Die sicherste Art der Einwilligung ist die ausdrückliche Erklärung des Beschäftigten gegenüber dem Betriebsarzt. Diese Erklärung sollte sich mindestens auf folgende Punkte beziehen: » Welche Informationen dürfen preisgegeben werden, » wer darf die Information erhalten und » zu welchem Zweck werden die Daten weitergeleitet. Der ausdrücklichen Einwilligung kommt in der betriebsärztlichen Praxis vorrangig bei der Mitteilung an den Arbeitgeber über das Ergebnis von Untersuchungen, mit deren Hilfe die körperliche Schweigepflicht 17 und geistige Eignung für eine betriebliche Tätigkeit während eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisse ermittelt werden soll (Eignungsuntersuchungen), eine Bedeutung zu. Auch wenn für die ausdrückliche Einwilligung gesetzlich keine Schriftform vorgesehen ist, sollte sich der Arzt diese Erklärung aus Gründen der Beweissicherung schriftlich geben und unterschreiben lassen. Eine aus datenschutzrechtlicher Sicht bessere Alternative besteht darin, dem Arbeitnehmer oder dem Bewerber das Ergebnis seiner Eignungsuntersuchung schriftlich auszuhändigen und ihm selbst die Entscheidung zu überlassen, dieses seinem Arbeitgeber auszuhändigen. Der Betriebsarzt teilt dem Arbeitgeber dann nur mit, dass eine Untersuchung stattgefunden hat und dass dem Arbeitnehmer das Ergebnis ausgehändigt wurde. Bei der sog. konkludenten Einwilligung kann man aus dem Verhalten einer Person und den Gesamtumständen der Situation schließen, dass der Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden ist. Hiervon geht man z.B. bei Einstellungsuntersuchungen aus. Da die Teilnahme an einer solchen Untersuchung für den Bewerber freiwillig ist und er ein Interesse am Abschluss eines Arbeitsvertrags hat, wird i.d.R. unterstellt, dass er sich durch die Teilnahme an der Untersuchung auch mit der Übermittlung der Ergebnisse an seinen zukünftigen Arbeitgeber einverstanden erklärt. Ganz unumstritten ist diese Auffassung jedoch nicht. Wer sichergehen will, lässt sich entweder die Einwilligung des Bewerbers nach den o.g. Kriterien schriftlich erklären oder händigt das schriftliche Untersuchungsergebnis dem Bewerber aus, so dass er selbst entscheiden kann, ob er es an den potentiellen Arbeitgeber weiterleitet. Bei der Übermittlung medizinischer Daten ist aber trotz Einwilligung der datenschutzrechtliche Grundsatz der Erforderlichkeit zu berücksichtigen. Der Arzt darf daher nur die Informationen übermitteln, die zur Erreichung des Zwecks, für den sie erhoben wurden, notwendig sind. Im Falle einer Einstellungs- oder Eignungsuntersuchung ist es daher nur zulässig, dem Arbeitgeber mitzuteilen, ob der Bewerber bzw. Arbeitnehmer für die Tätigkeit „geeignet“ oder „nicht geeignet“ ist. Befunde, Diagnosen usw. dürfen nicht übermittelt werden. b) Besonderheiten bei der arbeitsmedizinische Vorsorge Die Novellierung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) im Jahre 2013 hat das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Beschäftigten gestärkt. Zum einen stellt § 6 Abs. 1 Satz 5 ArbMedVV klar, dass die Schweigepflicht auch im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge gilt. Darüber hinaus darf der Arzt dem Arbeitgeber regelmäßig (ohne Einwilligung des Beschäftigten) nur eine Vorsorgebescheini- A k t u e l l es a u s d er Arbei tsmed iz in 18 Schweigepflicht gung zukommen lassen, aus der sich ergibt, dass, wann und aus welchem Anlass ein arbeitsmedizinischer Vorsorgetermin stattgefunden hat, und wann der nächste Termin aus ärztlicher Sicht angezeigt ist (§ 6 Abs. 3 Nr. 3 ArbMedVV). Ergeben sich aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahmen des Arbeitsschutzes für den Beschäftigten oder andere Beschäftigte nicht ausreichen, hat der Arzt dies dem Arbeitgeber mitzuteilen und Maßnahmen des Arbeitsschutzes vorzuschlagen (§ 6 Abs. 4 Satz 2 ArbMedVV). Hält der Arzt aus medizinischen Gründen, die ausschließlich in der Person des Beschäftigten liegen, einen Tätigkeitswechsel für erforderlich, so bedarf diese Information des Arbeitgebers der Einwilligung des Beschäftigten (§ 6 Abs. 4 Satz 3 ArbMedVV). Diese in § 6 Abs. 4 ArbMedVV geregelten Mitteilungen an den Arbeitgeber werden in der Arbeitsmedizinischen Regel (AMR) 6.4 konkretisiert. Nach Ziff. 3.2 Abs. 3 der AMR 6.4 bedarf der Vorschlag einer Arbeitsschutzmaßnahme nicht der Einwilligung des Beschäftigten; dies soll selbst in den Fällen gelten, in denen es sich um eine individuell anzupassende Maßnahme handelt. Nur wenn dieser Vorschlag faktisch einem Tätigkeitswechsel gleichkommt, ist vor der Mitteilung eine Einwilligung einzuholen. Die Einwilligung in die Mitteilung über die Erforderlichkeit eines Tätigkeitswechsels regelt Ziff. 4.2 Abs. 2 der AMR 6.4. Weder die ArbMedVV noch die AMR 6.4 stellen besondere Anforderungen an die Form der Einwilligungserklärung. Auch hier empfiehlt es sich, die schriftliche Einwilligung vom Beschäftigten einzuholen. c) Gesetzliche Mitteilungspflichten Es gibt eine Vielzahl von Vorschriften, die den Arzt ausdrücklich dazu verpflichten, Patientendaten zu offenbaren. An dieser Stelle können nur einige genannt werden. aa) Anzeigepflicht gegenüber Unfallversicherungsträgern Ärzte, die den begründeten Verdacht haben, dass bei Versicherten eine Berufskrankheit besteht, sind gem. § 202 SGB VII verpflichtet, dies dem Unfallversicherungsträger (UV-Träger) unverzüglich anzuzeigen. Diese Anzeige ist aber auf keinen Fall an den Arbeitgeber zu richten. Der Versicherte ist über den Inhalt der Verdachtsanzeige und über den UV-Träger, an den die Anzeige übersandt wurde, zu unterrichten. Er kann der Anzeige – auch wenn er ein nachvollziehbares Interesse vorbringt – nicht widersprechen. Es ist aber möglich, dem UV-Träger zu signalisieren, dass der Versicherte einen möglichst diskreten Umgang mit seinen Daten insbesondere gegenüber seinem Arbeitgeber wünscht. Der Arzt kann die Bedenken seines Patienten auf der Unfallanzeige oder in einem Begleitschreiben dem UV-Träger mitteilen. aktuell Ausgabe September 2015 bb) Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz Betriebsärzte können mit Infektionskrankheiten von Beschäftigten konfrontiert sein, deren Verbreitung im Sinne des Gemeinwohles verhindert werden muss. Dazu dienen Meldepflichten an das Gesundheitsamt nach dem Infektionsschutzgesetz (§§ 6 ff. IfSG). Sie sind auf den Schutz der Allgemeinheit ausgerichtet und schränken die Schweigepflicht ein, um die Ziele des Infektionsschutzes zu erreichen. Der Arzt ist deshalb in bestimmten Situationen verpflichtet – auch gegen den Willen des Beschäftigten – eine Meldung über eine bestehende Infektion abzugeben. Je nach Erkrankungsart und -beginn bestehen unterschiedliche Meldepflichten bezogen auf die persönlichen Daten des Erkrankten. Die wesentlichen Informationen für Ärzte sind in den entsprechenden Merkblättern für Ärzte des Robert KochInstituts zusammengefasst. Als gesetzlich angeordnete Durchbrechung der Schweigepflicht sind die Vorgaben der Meldepflichten zugunsten des Betroffenen streng zu beachten. Es gibt namentliche und nichtnamentliche Mitteilungspflichten. Die Meldungen dürfen nur die gesetzlich geforderten Inhalte haben (§§ 9, 10 IfSG). Es ist auch zu beachten, welcher Adressat für die Meldung vom IfSG jeweils vorgesehen ist. Der Betriebsarzt darf auf der Basis des IfSG den Arbeitgeber nicht informieren. Hier ist zunächst der infizierte Beschäftigte, der berufliche Tätigkeiten mit einem hohen Übertragungsrisiko ausübt, aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtungen ggf. selbst gefordert, seinen Arbeitgeber zu informieren. Nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen kann die Mitteilung über das Bestehen einer Infektiosität an den Arbeitgeber oder an andere Personen im sozialen Umfeld des Betroffenen unter dem Gesichtspunkt des rechtfertigenden Notstands für den Arzt zulässig sein (siehe unten). cc) Sonstige Mitteilungspflichten Nachfolgend werden Vorschriften genannt, die ebenfalls Mitteilungspflichten enthalten, die für die betriebsärztliche Praxis relevant sein können. Ihr genauer Wortlaut ist unter www. gesetze-im-internet.de zu finden. Auf die Einzelheiten kann an dieser Stelle jedoch nicht eingegangen werden. » § 294a SGB V, » § 16e Abs. 2 Chemikaliengesetz, » § 11 Abs. 2 Druckluftverordnung, » § 38 Abs. 3 Röntgenverordnung und » § 61 Abs. 3 Strahlenschutzverordnung dd) Kann Schweigen auch strafbar sein? Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass es auch Konstellationen geben kann, in de- Aktuelles aus der Ar b eits mediz in aktuell Schweigepflicht Ausgabe September 2015 nen Ärzte sich sogar strafbar machen können, wenn sie eine Information, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit anvertraut worden ist, nicht offenbart haben. Diese Sachverhalte, bei denen es vor allem um die Vermeidung von Straftaten bzw. den besonderen Schutz anderer Personen geht, kommen allerdings nur selten vor. Die korrekte rechtliche Bewertung ist für den Arzt im Einzelfall nur schwer möglich. Es empfiehlt sich hier, juristischen Rat einzuholen. Wer glaubhaft von dem Vorhaben oder der Ausführung einer in § 138 StGB genannten schweren Straftat zu einer Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann, erfährt und es unterlässt, den Behörden (i.d.R. Polizei) oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu machen, begeht selbst eine Straftat. Diese Pflicht zur Anzeige durchbricht auch die ärztliche Schweigepflicht. Der Arzt sollte auf jeden Fall immer den ernsthaften Versuch unternehmen, einen potentiellen Täter von seiner Tat abzubringen. Straftaten können auch durch ein Unterlassen (z.B. Schweigen) begangen werden, wenn ausnahmsweise eine besondere rechtliche Pflicht zur Abwendung eines Schadens besteht. Auch ein Arzt kann im Einzelfall eine solche sog. Garantenstellung haben, die ihn dazu verpflichtet, ihm anvertraute Geheimnisse einem Dritten gegenüber zu offenbaren, um diesen vor einem Schaden zu bewahren. Das Verhältnis zwischen einem Arzt und einem (anderen) Patienten kann im Einzelfall eine solche Pflicht begründen. Gerichtlicht bestätigt wurde dies z.B. bei folgendem Sachverhalt:6 Beide Partner einer Ehe waren Patienten bei demselben Arzt. Auf ausdrücklichen Wunsch des Ehemanns hatte der Arzt der Ehefrau die HIV-Infektion ihres Mannes verschwiegen. Das Oberlandesgericht hat in seiner – nicht unumstrittenen – Entscheidung u.a. die Auffassung vertreten, dass der Arzt aufgrund des Behandlungsverhältnisses mit der Ehefrau, die inzwischen auch infiziert war, ausnahmsweise eine besondere Verpflichtung hatte, sie über die HIV-Infektion ihres Mannes zu informieren. Diese gerichtliche Entscheidung lässt sich jedoch kaum auf die betriebsärztliche Tätigkeit übertragen, da hier ein Behandlungsverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht besteht. einer strafrechtlichen Sanktion rechnen zu müssen. Dies sind die Fälle des sog. rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB). Dem Arzt ist es ausnahmsweise erlaubt, seine Schweigepflicht zu verletzten, wenn dies erforderlich ist, um eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut von sich oder einem anderen abzuwenden. Dies setzt jedoch zunächst immer eine umfassende und gewissenhafte Abwägung der widerstreitenden Interessen voraus. Nur wenn das zu schützende Interesse das Interesse an der Geheimhaltung wesentlich überwiegt, darf der Arzt sein Schweigen brechen. Die Durchbrechung der Schweigepflicht auf der Grundlage des rechtfertigenden Notstands sollte vom Arzt erst als letztes Mittel und mit Bedacht gewählt werden, nachdem er den Betroffene über die Gefahren, die von seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung für andere ausgehen können, aufgeklärt und vergeblich versucht hat, ihn von einem gefährdenden Verhalten abzubringen. Um abzuklären, ob ein Fall des rechtfertigenden Notstands vorliegt, sollte sich der Arzt (z.B. durch die Ärztekammer) juristisch beraten lassen, bevor er sein Schweigen bricht. Außerdem sollte er die Inhalte seines Abwägungsprozesses und der Gespräche mit dem Betroffenen ausführlich zu Beweiszwecken dokumentieren. ■ Die ausführliche Version des Berichtes finden Sie im Internet unter www.vdbw.de Zur Person Ass. jur. Michael Woltjen » Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege » Juristischer Referent der Hauptgeschäftsführung Kontakt: [email protected] Dr. Johanna Stranzinger d) Rechtfertigender Notstand Während die eben dargestellten Konstellationen dem Arzt eine strafrechtliche Pflicht zur Offenbarung fremder Geheimnisse auferlegen, gibt es auch Sachverhalte, in denen der Arzt zum Schutze Dritter ein Geheimnis auch ohne Einwilligung oder ausdrückliche gesetzliche Erlaubnisnorm offenbaren darf, ohne mit 19 » Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege » Grundlagen der Prävention und Rehabilitation Fachbereich Gesundheitsschutz Kontakt: [email protected]
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