Wolfgang Richter: „Dem Nazi muss man mit Liebe begegnen und

IM BLICKPUNKT
MONTAG
LDZ vom 23. NOVEMBER 2015
„Für Demokratie
und Toleranz“
Von Florian Mosig
GRONAU � Es ist zwar selten,
aber es gibt Tage und Begebenheiten, da weiß man als Redakteur, dass man ihnen nicht
gerecht werden kann. Die ergreifenden Beiträge des evangelischen Pastors Wolfgang
Richter und des katholischen
Pfarrers Dr. Christian Wirz kann
man nicht allein in Worten auf
einer Zeitungsseite einfangen,
und ebensowenig lässt sich
kaum in Buchstaben darstellen,
wie Bürgermeister Karl-Heinz
Gieseler am Ende einer geglückten Veranstaltung mit
den Freudentränen rang, als er
den knapp 500 Teilnehmern
der Demonstration „Für Demokratie und Toleranz“ zurief:
„Bleiben Sie besonnen!“ Da ich
aber ums eigene Scheitern
weiß, fällt mir das Schreiben
dieses Berichts schon etwas
leichter.
Bürgermeister Karl-Heinz Gieseler (Mitte vorn) fungiert als Versammlungsleiter und spricht auf dem Schulcampus ein paar einführende Worte. � Fotos: Mosig
Wolfgang Richter: „Dem Nazi muss man mit
Liebe begegnen und daran glauben, dass es
für ihn einen Weg zur Umkehr gibt.“
Dr. Christian Wirz: „Nationalbewusstsein ist etwas
Schönes, grundlegender aber ist das Menschsein.“
„Ich bin überrascht und
überwältigt, dass ich im Vorfeld so viele positive Rückmeldungen erhalten habe.“
Gronaus Bürgermeister KarlHeinz Gieseler ist erleichtert, dass er in so viele Gesichter blickt. Es dürften
über 300 sein. Er steht auf
dem grünen Hügel am
Schulcampus. Der Rat der
Stadt Gronau steht geschlossen hinter ihm. Gieseler hatte die Kundgebung unter
dem Titel „Für Demokratie
und Toleranz“ angemeldet,
um ein Zeichen gegen einen
geplanten Aufmarsch zu setzen, der unter dem Titel
„Asylflut stoppen und gegen
linke Hetze“ stand.
Positiv besetzt
Die andere Demo findet
nicht statt, und später am
Nachmittag verirrt sich
auch tatsächlich niemand in
die Innenstadt oder in die
Kuhmasch, doch der Bürgermeister und seine Kollegen
wollen dennoch eine „positiv besetzte Veranstaltung“
durchführen.
Gieseler
spricht über unsere 70 Jahre
alte Demokratie, über das
Die Rede von Pfarrer Dr. Christian Wirz wird durch den Zwischenruf eines Kindes aufgelockert.
Grundgesetz mit seinen fast
150 Artikeln und darüber,
dass es nicht von ungefähr
kommt, dass das Recht auf
Asyl als 16. Artikel so weit
vorne platziert ist. „Die Verbreitung rechtsextremistischen Gedankengutes ist ein
Angriff auf das Grundgesetz
und auf die Demokratie“,
sagt er, doch die Menschenrechte werden immer siegen. Samtgemeindebürgermeister Rainer Mertens
freut sich, dass viele KGSSchüler gekommen sind:
„Ihr seid der Grundstein unserer Demokratie. Beobachtet genau, was hier vor Ort
und in den sozialen Medien
passiert.“ Drei KGS-Schüler
halten ein Schild hoch. Darauf steht: „Im Namen der
Toleranz können wir Intoleranz nicht tolerieren.“ Der
Verwaltungschef
betont,
man wolle nicht gegen etwas, sondern für etwas spre-
chen, nämlich für die Toleranz. Seine Freude ist groß,
dass er nicht nur Gronauer,
sondern Abordnungen aus
dem ganzen Altkreis gesehen hat.
Alle zusammen ziehen
durch die Innenstadt, vor
das Bürgermeisterhaus. Hier
stoßen weitere Teilnehmer
hinzu. Nahezu 500 Menschen versammeln sich, um
den beiden Geistlichen aus
Gronau zuzuhören. Pastor
Wolfgang Richter spricht
über die Begriffe Kraft, Liebe
und Besonnenheit. Darüber,
dass Gronau bunt ist. Auch,
wenn es die vielen schwarzen Winterjacken nicht zeigen. Richter geht es darum,
darzulegen, dass es um das
„Bunte“ in den Köpfen geht.
Darum, dass man seinen
Nächsten lieben soll. Nicht,
weil er das Gleiche denkt
und fühlt wie Du, sondern
WEIL er denkt und fühlt.
Der Pastor betont, dass
Angst ein schlechter Ratgeber ist, dass man Ungläubige
und Nicht-Demokraten an
ihrer Humorlosigkeit erkennt. „Dass die eine Demo
abgesagt ist, ist kein Grund,
Vor dem Bürgermeisterhaus versammeln sich knapp 500 Teilnehmer und bekennen mit Transparenten und Plakten Farbe.
Der Demonstrationszug zieht durch die Innenstadt.
Pastor Wolfgang Richter hält, flankiert von den Mitgliedern des
Gronauer Stadtrats, seine Ansprache.
sich zurückzulehnen“, erläutert er: „Dem Nazi muss
man mit Liebe begegnen
und daran glauben, dass es
für ihn einen Weg zur Umkehr gibt.“
Dann kommt Pfarrer Dr.
Christian Wirz. Es ist die erste Demo überhaupt, an der
er teilnimmt, denn bei Demos geht es meist gegen irgendetwas. Er ist lieber für
etwas, nämlich fürs Setzen
von Akzenten: Vier hat er
dabei. Der erste: „Nationalbewusstsein ist etwas Schönes, grundlegender aber
ist das Menschsein.“ Er
sagt das, schildert seine
Auslandserfahrungen
und das schöne Gefühl,
wieder nach Deutschland
zu kommen. Menschen,
die ihre Heimat verlassen,
würden starke Gründe haben. Der zweite: „Deutsche Standards sind großartig, aber notwendig ist
Flexibilität.“ Der Satz ist
gesprochen, ein Kleinkind ruft laut: „Oh, oh!“
Das Gelächter ist groß,
und in die aufgelockerte
Stimmung hinein erzählt
Wirz von St. Martin, der
uns vorgeführt hat, wie es
geht. Man muss nicht alles geben, aber das Nötige: „Wir werden die wenigen
Einschränkungen
aushalten.“ Dann kommt
ein weiterer Zwischenruf,
der vorne nicht zu verstehen
ist. Es geht um 600 Brandsätze in Deutschland, dem Teilnehmer scheint die Veranstaltung wohl etwas zu
seicht, er hätte sich mehr
„Feuer gegen Rechts“ gewünscht. Wirz setzt weiter
Akzente. Der dritte: „Sicherheit ist wichtig, aber Leben
ist mehr.“ Wirz erzählt von
einer Reise in den Libanon.
Ein Mädchen, der Vater war
bei der EU, weinte. Sie erzählte dem Pfarrer, dass ihr
Vater Vorstandschef einer
Bank wird. Eigentlich großartig, den Libanon zu verlassen, oder? „Nein, dann muss
ich mit Personenschutz zur
Schule“, sagte das Mädchen.
Lokalpatriotismus
Der vierte: „Furchtlosigkeit ist wünschenswert,
aber Ängste müssen erlaubt
sein.“ Wer Ängste nicht
zeigt, dem wachsen Dämonen. Davon ist Wirz überzeugt. Deshalb: „Wir müssen mit den Flüchtlingen
über unsere Ängste sprechen. Sie werden uns verstehen.“ Wirz schließt mit den
Worten: „Schön, dass ich
hier niemanden überzeugen
muss. Das erlaubt mir, meinen Lokalpatriotismus zuzulassen.“ Gieseler dankt den
Geistlichen am Ende: „Sie
haben die richtigen Worte
gefunden.“