Modernes Vergaberecht für soziale Dienstleistungen ermöglichen Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (VergaberechtsmodernisierungsG - VergRModG) 27. Oktober 2015 Zusammenfassung Das Ziel des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes und der zugrundeliegenden Richtlinie, das Vergaberecht effizienter, flexibler und einfacher zu gestalten, ist zu begrüßen. Allerdings sind im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens noch einige wichtige Änderungen und Klarstellungen erforderlich: Klargestellt werden sollte, dass die Vorgaben des „Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes“ grundsätzlich auch für die Vergabe von Leistungen der Rehabilitation durch die Sozialversicherungsträger gelten. Dies ergibt sich zwar bereits aus dem Wortlaut von § 130 GWB-E, ist aber durch einige Formulierungen in der Gesetzesbegründung nicht ganz zweifelsfrei. Für die Anwendung von Vergaberecht auf die Vergabe von Reha-Leistungen sprechen die gleichen Argumente wie bei sonstigen öffentlichen Auftragsvergaben. Die gegen eine Anwendung des Vergaberechts bei Rehabilitationsleistungen angeführten Gründe überzeugen nicht. Dies gilt ganz besonders, weil der Entwurf des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes für die Vergabe von sozialen Dienstleistungen deutlich erleichterte Verfahren vorsieht. Bieterbezogene Qualitätskriterien sollten bei der Zuschlagsentscheidung im Rahmen der Vergabe von sozialen Dienstleistungen deutlich Berücksichtigung finden können. Vor allem sollten die nachgewiesenen Erfolge (z. B. Integrationser- folge) sozialer Dienstleister als eigenständiges Zuschlagskriterium gewertet werden können. Die Laufzeit von Rahmenverträgen muss für soziale Dienstleistungen länger sein als die grundsätzlich in der Vergaberichtlinie vorgesehenen vier Jahre. Eine Laufzeit von mindestens sechs Jahren mit der Möglichkeit der Verlängerung ist notwendig, um bei sozialen Dienstleistungen mehr Entbürokratisierung, Kontinuität in der Zusammenarbeit mit qualitativ hochwertig arbeitenden Dienstleistern und Planungssicherheit zu erreichen. Speziell für soziale Dienstleistungen sollte von den Mindestfristen für den Eingang der Angebote und der Teilnahmeanträge, die die EU-Vergaberichtlinie für die unterschiedlichen Verfahrensarten vorsieht, abgewichen werden und kürzere Fristen jedenfalls möglich sein können. Diese Mindestfristen mögen für andere Leistungen sinnvoll, teilweise sogar im Vergleich mit den aktuell geltenden Mindestfristen zu knapp bemessen und daher Fristverlängerungsgebote notwendig sein. Sie werden aber den Besonderheiten sozialer Dienstleistungen insbesondere von Arbeitsmarktdienstleistungen nicht gerecht, weil die BA die Maßnahmen den Arbeitslosen zeitnah anbieten muss. Bei diesen Maßnahmen sind kürzere Fristen angemessen und notwendig. Anderenfalls würden die Ausschreibungen unnötig verlängert und Maßnahmen verzögert. Sowohl unterhalb als auch oberhalb des neuen EU-Schwellenwertes in Höhe von 750.000 € müssen die o. g. Regelungen für soziale Dienstleistungen, insbesondere zur Berücksichtigung der Qualität der Leistungserbringer und zu Rahmenverträgen von bis zu sechs Jahren, gleichermaßen gelten, damit die Sozialversicherungsträger insoweit ein inhaltlich gleichlautendes Vergaberecht anwenden können. Für Vergaben oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte gelten unterschiedliche Rechtsvorschriften. Deshalb müssen in allen einschlägigen Verordnungen bzw. Abschnitten der Verdingungsordnungen entsprechende Regelungen aufgenommen werden. Es ist zu begrüßen, dass mit dem Gesetzentwurf, das Vergaberecht insgesamt effizienter, einfacher, flexibler und mittelstandsfreundlicher gestaltet werden soll. Diesem guten Ziel entgegengesetzt wäre aber der Ansatz, durch das GWB-E der ausschreibenden Behörde die Möglichkeit zu eröffnen, die Auftragsvergabe künftig stärker für die Durchsetzung rein politischer Ziele zu nutzen. Verbindliche Vorgaben für die Durchführung eines öffentlichen Auftrags, die nicht strikt auf den Auftragsgegenstand bezogen, d. h. nicht direkt leistungsbezogen sind, müssen in jedem Fall weiterhin ausgeschlossen bleiben. Das Preis-LeistungsVerhältnis muss weiter das entscheidende Kriterium bei der Auftragsvergabe bleiben. Alles andere würde zu ausufernden und kaum objektivierbaren wie überprüfbaren Vergabekriterien führen. Es muss daher in jedem Fall auch weiterhin die freie Entscheidung des Auftraggebers bleiben, ob und in welchem Umfang er sog. strategische Aspekte bei der Vergabe seiner Aufträge berücksichtigen möchte. Die Berücksichtigung des „Design für Alle“ und der Zugänglichkeit insbesondere bei Dienstleistungen, „die zur Nutzung natürlicher Personen vorgesehen sind“ (§ 121 Abs. 2 GWB-E), muss gerade in Bezug auf soziale Dienstleistungen praxisgerecht angewandt werden können. Es darf nicht zu Anforderungen an die Zugänglichkeit kommen, die die Auftragsausführung beispielsweise bei Arbeitsmarktdienstleistungen unnötig erschweren und verteuern. Entscheidend muss sein, dass dies für eines gleichberechtigten Zugang oder die gleichen Nutzungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen an einer Dienstleistung auch tatsächlich erforderlich ist. Die Regelung zur bevorzugten Auftragsvergabe an Sozialunternehmen in § 118 GWB-E ist zu unbestimmt und berücksichtigt unzureichend bestehende Regelungssystematiken des deutschen Rechtes und muss angepasst werden. Im Einzelnen I. Rehabilitationsleistungen nicht Vergaberecht ausnehmen vom Mit dem Entwurf des „Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes“ wird die jahrelange Streitfrage wieder aktuell, ob die Sozialversicherungsträger auch bei Rehabilitationsleistungen vergaberechtliche Vorschriften zu beachten haben. Während im Grundsatz unbestritten ist, dass die Sozialversicherungsträger bei der Vergabe von Aufträgen an das Vergaberecht gebunden sind, wird diese Bindung von Teilen der Sozialversicherungsträger für den Bereich der Leistungen der Rehabilitation bestritten und deswegen auch nicht beachtet. Dementsprechend uneinheitlich ist die Handhabung innerhalb der Sozialversicherung: So vertritt die Bundesagentur für Arbeit seit langem die Rechtsauffassung, dass es sich bei den von ihr vergebenen Leistungen zur Rehabilitation grundsätzlich um einen öffentlichen Auftrag eines öffentlichen Auftraggebers handelt, so dass das Vergaberecht gilt. Dementsprechend wendet sie bereits seit dem Jahr 2004 konsequent Vergaberecht an. Dagegen ist von den Geschäftsführungen der 16 Rentenversicherungsträger die überwiegende Mehrzahl der Meinung, Rehabilitationsleistungen seien von der Anwendung des Vergaberechts ausgeschlossen. Vor dem Hintergrund des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens zum „Vergaberechtsmodernisierungsgesetz“ sollte nunmehr Klarheit geschaffen werden, dass grundsätzlich auch bei der Vergabe von Rehabilitationsleistun- Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (VergaberechtsmodernisierungsG - VergRModG) 27. Oktober 2015 2 gen Vergaberecht anzuwenden ist. Zwar sieht § 130 Abs. 1 GWB-E ausdrücklich vor, dass bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU Vergaberecht anzuwenden ist. Die in die Gesetzesbegründung aufgenommene Formulierung, dass „die Zulassung von Dienstleistungserbringern im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis“ vom Vergaberecht ausgenommen sei, hat allerdings wieder Zweifel hinsichtlich des tatsächlichen Willens des Gesetzgebers aufkommen lassen. Anwendung von Vergaberecht beugt Unwirtschaftlichkeit, Diskriminierung und Korruption vor Für die Anwendung von Vergaberecht bei der Vergabe von Rehabilitationsleistungen sprechen die gleichen überzeugenden Gründe wie bei der Vergabe sonstiger Aufträge der öffentlichen Verwaltung: Die Anwendung von Vergaberecht trägt zur Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns bei, gewährleistet Transparenz bei der Auftragsvergabe und beugt damit der Diskriminierung von Anbietern und Korruption vor. Die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung sind nach § 69 Abs. 2 SGB IV zu einer an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit orientierten Haushaltsführung verpflichtet. Wenn Rehabilitationsleistungen nicht im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben werden, kann das Ziel eines wirtschaftlichen und sparsamen Verwaltungshandelns nicht erreicht werden. Wenn Auftragsvergaben von Sozialversicherungsträgern nach intransparenten Kriterien erfolgen und die Vergabeentscheidungen für Außenstehende nicht nachprüfbar sind, kann es zu einer unzulässigen Diskriminierung von Marktteilnehmern kommen. Beispielsweise können neue Anbieter von Rehabilitationsleistungen bewusst benachteiligt werden, indem ihnen eine Zusammenarbeit – offen oder verdeckt – verweigert wird. Motive für ein solches Verhalten können z. B. Bequemlichkeit sein oder das Anliegen, gute persönliche Kontakte mit Vertragspartnern nicht zu belasten. Mangelnde Transparenz – gepaart mit diskretionären Entscheidungsspielräumen – begünstigt aber auch Korruption. Wo es an objektiven Vergabekriterien mangelt und sich öffentliche Auftragsvergaben rechtlich nicht überprüfen lassen, können Aufträge auch gezielt bestimmten Erbringern von Rehabilitationsleistungen zugeschanzt werden, in der Absicht, hierfür eine persönliche Gegenleistung zu erhalten. Eine Verwaltung, die auf offene, transparente und diskriminierungsfreie Auftragsvergaben im Wettbewerb verzichtet, macht sich sehr angreifbar, weil ihre Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind und sie auch nicht ausschließen kann, ihre Aufträge nicht an den qualitativ oder preislich besten Anbieter gegeben zu haben. Sowohl der Bundesrechnungshof als auch der Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages haben daher wiederholt die fehlende Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Beschaffungsprozesses von Leistungen der medizinischen Rehabilitation durch die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung kritisiert. Die BDA hat sich in ihrem Positionspapier „Rehabilitationsleistungen nicht vom Vergaberecht ausnehmen“ vom 14. Oktober 2015 ausführlich mit den Argumenten der Gegner der Einbeziehung von Rehabilitationsleistungen der Sozialversicherungsträger in das Vergaberecht auseinandergesetzt und diese Argumente (angebliche Gefahr der Marktkonzentration, Qualitätseinbußen und Arbeitsplatzverlagerungen) als nicht überzeugend eingestuft. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzentwurf bereits deutlich erleichterte Verfahren für die Vergabe von sozialen Dienstleistungen vorsieht (§ 130 Abs. 1 GWB-E) und damit den Besonderheiten dieser Dienstleistungen hinreichend Rechnung trägt: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (VergaberechtsmodernisierungsG - VergRModG) 27. Oktober 2015 3 Rehabilitationsträgern stehen erleichterte Vergabeverfahren offen Öffentlichen Auftraggebern – wie den Sozialversicherungsträgern – soll künftig grundsätzlich das offene und das nicht offene Vergabeverfahren zur Verfügung stehen (§ 119 Abs. 2 GWB-E). Welches Verfahren sie anwenden wollen, bestimmen sie selbst. Die zitierten Rechtsnormen werden für die Sozialversicherungsträger insbesondere dann relevant sein, wenn sie Bauleistungen, Kraftfahrzeuge oder EDV-Ausstattungen beziehen wollen, also in den Bereichen, in denen schon bislang von allen Sozialversicherungsträgern Vergaberecht angewandt wird. In ihrer Funktion als Rehabilitationsträger stehen den Sozialversicherungsträgern darüber hinaus aber noch weitere, erleichterte Vergabeverfahren offen. § 130 Abs. 1 GWBE ermöglicht bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU neben dem offenen und nicht offenen Verfahren auch die Anwendung erleichterter Verfahren. Zu den erleichterten Verfahren zählen das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, der wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft. Auch hier haben die Sozialversicherungsträger wieder die Wahlfreiheit, für welche Sonderregelung sie sich entscheiden wollen. Ausdrücklich klargestellt wird, dass bei der öffentlichen Auftragsvergabe – von der Definition der Leistung über die Festlegung von Eignungs- und Zuschlagskriterien bis hin zur Vorgabe von Ausführungsbedingungen – auch qualitative, soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte einbezogen werden können (§ 97 Abs. 3 GWB-E). Anwendung sollen die neuen GWBBestimmungen jedoch nur dann finden, wenn die Voraussetzung eines öffentlichen Auftrags (§ 103 Abs. 1 GWB-E) – also das Bestehen eines entgeltlichen Vertrages zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen – erfüllt ist. II. Gute Leistungserbringung, z. B. Integrationserfolge, bei sozialen Dienstleistungen als eigenständiges Zuschlagskriterium festlegen Die Entschließung des Bundestages läuft mit dem Entwurf noch ins Leere Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Legislaturperiode eine Entschließung „Mehr Berücksichtigung von Qualität bei der Vergabe von Dienstleistungen“ zur flexibleren Handhabung des Vergaberechts insbesondere bei arbeitsmarktnahen und anderen sozialen Dienstleistungen beschlossen, die die BDA ausdrücklich begrüßt hat. In der Entschließung des Bundestages heißt es: „So dürfen bieterbezogene Kriterien, wie [...] Erfahrung und Erfolge, stets nur im Rahmen der Mindestanforderungen an die Eignung der Bieter berücksichtigt werden, nicht aber in die Wertung der Angebote und damit in die Zuschlagsentscheidung einfließen. Auch ein über die Mindestanforderungen hinausgehendes „Mehr an Eignung“ darf bei der Zuschlagserteilung keine Rolle spielen. Diese strikte Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien [...] ist aber bei Dienstleistungen weder sachgerecht noch zwingend. Arbeitsmarktdienstleistungen und andere soziale Dienstleistungen unterliegen als „nachrangige Dienstleistungen“ nur sehr eingeschränkt den Vorgaben der europäischen Vergaberichtlinien ...“ Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung aufgefordert, „den nationalen Rechtsetzungsspielraum zu nutzen, um insbesondere bei sozialen Dienstleistungen die Berücksichtigung bieterbezogener Qualitätskriterien bei der Zuschlagserteilung stärker zu gewichten“. Daraufhin wurde § 4 Abs. 2 Vergabeverordnung zunächst wie folgt geändert: „Wenn [...] tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Organisation, die Qualifikation und die Erfahrung des bei der Durchführung des betreffenden Auftrags eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf die Qualität der Auftragsausführung haben können, können diese Kriterien bei der Er- Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (VergaberechtsmodernisierungsG - VergRModG) 27. Oktober 2015 4 mittlung des wirtschaftlichsten Angebots berücksichtigt werden. Bei der Bewertung dieser Kriterien können insbesondere der Erfolg und die Qualität bereits erbrachter Leistungen berücksichtigt werden. Die Gewichtung der Organisation, der Qualifikation und der Erfahrung des mit der Durchführung des betreffenden Auftrags betrauten Personals soll zusammen 25 Prozent der Gewichtung aller Zuschlagskriterien nicht überschreiten.“ Diese Formulierung lässt durchaus Zweifel zu, ob Qualität und Erfolg erbrachter Leistungen auch als direkte Messgrößen für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Angebote zulässig sind, weil ihr Wortlaut nur einen indirekten Weg (über die Beurteilung des eingesetzten Personals) beschreibt. Die der eigentlichen und zentralen Zielsetzung der Bundestagsentschließung entsprechenden Änderungen im Vergabeverfahren der BA, wurden durch die extrem enge Orientierung am Wortlaut der Vergabeverordnung vom Bundeskartellamt für unzulässig erklärt. Die richtige Zielsetzung, Dienstleister mit den besten Integrationsergebnissen und damit den besten Erfolgen für die Empfänger sozialer Dienstleistungen beauftragen zu dürfen, wurde durch diese Auslegung konterkariert. Das Risiko einer solchen Auslegung besteht weiterhin, auch wenn das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 17. Dezember 2014 eine andere Auslegung vorgenommen hat. Wir benötigen deshalb über eine eindeutige Klarstellung in der Vergabeverordnung eine absolut rechtssichere Lösung im Interesse der Arbeitslosen und auch aller Steuer- und Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung. Die schnelle und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ist das zentrale Ziel in der Arbeitsmarktpolitik. Daher muss auch dieses Kriterium direkt Eingang ins Vergaberecht finden. Der Erfolg von Arbeitsmarktmaßnahmen eines Trägers darf nicht ausschließlich über das Indiz der Qualifikation des eingesetzten Personals definiert werden. Das angewandte Maßnahmenkonzept und die Organisation des Anbieters sind in der Regel nicht minder bedeutsam. Dies gilt auch für gute und vertrauensvolle Kontakte des Dienstleisters zu den aufnehmenden Betrieben und Verwal- tungen. Deshalb ist es zwingend erforderlich, dass vom Träger erreichte Erfolge, insbesondere Integrationserfolge, ausdrücklich unabhängig vom eingesetzten Personal als eigenständiges Zuschlagskriterium bewertet werden dürfen. Nur so ist das Ziel der Entschließung des Deutschen Bundestages wirksam zu realisieren. Es ist bereits fraglich, ob sich Maßnahmenerfolge von Trägern bei z. T. in großer Anzahl eingesetzten unterschiedlichen Lehrkräften unmittelbar auf einzelne Mitarbeiter zurückführen lassen. Selbst wenn dies möglich wäre, müssten die Aufraggeber sozialer Dienstleistungen insbesondere BA und Jobcenter das Kriterium „Qualität des Trägers“ außer Acht lassen, wenn die für die Erfolge stehenden Mitarbeiter z. B. aufgrund von Fluktuation nicht oder nur z. T. zum Einsatz kommen oder wenn nicht sicher festlegbar ist, welche Mitarbeiter zum Einsatz kommen werden. Erfolge allein am Personal festzumachen ist schließlich deshalb bedenklich, weil sämtliche Bieter die entsprechenden Mitarbeiter für die Durchführung einer Arbeitsmarktmaßnahme vor- bzw. freihalten müssten, obwohl nur einer von ihnen den Zuschlag erhalten kann. Vor diesem Hintergrund schlägt die BDA für eine Regelung im Rahmen des neuen Sozialregimes folgende Formulierung in der Vergabeverordnung vor: "Bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots können die Organisation, die Qualifikation und die Erfahrung des Personals sowie bieterbezogene Kriterien zu erzielten Erfolgen (z. B. Integrationserfolgen) und zur Qualität von erbrachten Leistungen berücksichtigt werden.“ III. Sonderregime für soziale Dienstleistungen praxisgerecht gestalten Zu begrüßen ist, dass § 130 Abs. 2 bei der Vergabe sozialer Dienstleistungen Vertragsaufstockungen bis zu 20 % ermöglicht. Damit kann insbesondere die BA zusätzliche Bedarfe für Maßnahmeteilnehmer schnell und unbürokratisch abdecken. Das ist bei erheblichen Veränderungen der Arbeitsmarktlage (durch plötzlichen Konjunktureinbruch oder Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (VergaberechtsmodernisierungsG - VergRModG) 27. Oktober 2015 5 lokal besonders negativ wirkende Insolvenzen) erforderlich. Aufgrund der zunehmenden Dynamik am Arbeitsmarkt ist es nicht möglich, zukünftige Bedarfe für Teilnahme an Arbeitsmarktdienstleistungen ganz genau abzuschätzen. Vielmehr muss die BA in der Lage sein, laufende Verträge um zusätzliche Teilnehmerkontingente zu erweitern. Das Sonderregime für soziale Dienstleistungen muss weitere Flexibilisierungsmöglichkeiten enthalten, die eine praxisgerechte Ausgestaltung zulassen. Langfristige Verträge dienen der Planungssicherheit bei sozialen Dienstleistungen Der Gesetzentwurf enthält derzeit keine Regelung zur Laufzeit von Rahmenvereinbarungen. Von der in der Richtlinie in Art. 33 grundsätzlich vorgesehenen Laufzeit kann im Rahmen des Sonderregimes abgewichen werden. Die Begrenzung der Rahmenverträge in der EU-Vergaberichtlinie auf maximal vier Jahre entspricht nicht den Besonderheiten von sozialen Dienstleistungen. Längerfristige Verträge würden zur Entbürokratisierung, Kontinuität, Planungssicherheit und Verbesserung der Personalqualität beispielsweise im Bereich der Bildungsarbeit führen und damit einen Beitrag zu einer effizienten Arbeitsmarktpolitik leisten. Bei den Arbeitsmarktdienstleistungen müssen die Bieter mit den Arbeitsagenturen, Jobcentern, Arbeitgebern Kammern, Jugendhilfe und anderen Trägern zusammen arbeiten. Längere Rahmenverträge ermöglichen eine bessere Einbindung und Vernetzung des Trägers mit allen relevanten Partnern. Eine solche Vernetzung ist insbesondere auch bei Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation relevant. Längere Vertragsbeziehungen sollten deshalb als Grundlaufzeit von sechs Jahren mit Verlängerungsoption ausgestaltet werden. Spezielle Regelung zur Verkürzung der Mindestfristen für soziale Dienstleistungen sinnvoll Der Gesetzentwurf sieht derzeit keine Regelungen zu Mindestfristen vor. Speziell für soziale Dienstleistungen sollte von den Mindestfristen für den Eingang der Angebote und der Teilnahmeanträgen, die die EUVergaberichtlinie für die unterschiedlichen Verfahrensarten vorsieht, abgewichen werden und durch den Auftraggeber unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen sozialen Dienstleistungen kürzere Fristen festgelegt werden können. Die in der EUVergaberichtlinie vorgesehenen Mindestfristen mögen für andere Leistungen sinnvoll, teilweise sogar im Vergleich mit den aktuell geltenden Mindestfristen zu knapp bemessen und daher Fristverlängerungsgebote notwendig sein, sie werden aber den Besonderheiten gerade der Arbeitsmarktdienstleistungen nicht gerecht, weil die BA die Maßnahmen den Arbeitslosen zeitnah anbieten muss. Bei diesen Maßnahmen sind kürzere Fristen angemessen und notwendig. Eine entsprechende Öffnung müsste in der Vergabeverordnung vorgesehen werden. Anderenfalls würden die Ausschreibungen unnötig verlängert und Maßnahmen verzögert. Ergänzende Spezialregelungen für soziale Dienstleistungen müssen unabhängig vom Schwellenwert greifen Die von der BDA geforderten Flexibilisierungen und Erleichterungen für soziale Dienstleistungen, insbesondere die Berücksichtigung von guter Leistungserbringung in der Vergangenheit, sollten unabhängig vom EUSchwellenwert gelten. Es kommt auch unter dem Schwellenwert von 750.000 € entscheidend darauf an, dass effiziente und erfolgreiche Träger den Zuschlag erhalten. Daher muss das erleichterte Sonderregime auch unter dem Schwellenwert Anwendung finden. Andernfalls würde unter dem Schwellenwert ein strengeres Vergaberegime als über dem Schwellenwert gelten. Das wäre widersinnig. Zudem dienen einheitliche Regelungen der Verfahrensvereinfachung für Auftraggeber und Bieter. Wichtig ist, dass diese Gleichstellung der Verfahren unterhalb Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (VergaberechtsmodernisierungsG - VergRModG) 27. Oktober 2015 6 und oberhalb des Schwellenwertes so schnell wie möglich erfolgt, damit die Auftraggeber sozialer Dienstleistungen insbesondere die BA Rechtssicherheit hat und nicht unterschiedliche Vergabeverfahren (unterhalb des Schwellenwertes nach allgemeinem "strengem" Vergaberecht und oberhalb des Schwellenwertes nach erleichtertem Sonderregime) durchführen muss. Mit der deutlichen Erhöhung des Schwellenwertes von 207.000 € auf 750.000 € liegt ein sehr viel höherer Anteil der Ausschreibungsverfahren der BA unterhalb des Schwellenwertes als bisher. Berücksichtigung des „Design für Alle“ und der Zugänglichkeit praxisgerecht gestalten Die Berücksichtigung des „Design für Alle“ und der Zugänglichkeit insbesondere bei Dienstleistungen, „die zur Nutzung natürlicher Personen vorgesehen sind“ (§ 121 Abs. 2 GWB-E), muss gerade in Bezug auf soziale Dienstleistungen praxisgerecht angewandt werden können. Andernfalls kann diese Anforderung dazu führen, dass soziale Dienstleistungen erheblich verteuert werden, ohne dass der Auftragsgegenstand dies erfordert. Es darf nicht zu Anforderungen an die Zugänglichkeit kommen, die die Auftragsausführung unnötig erschweren, ohne dass sie durch den Auftragsgegenstand bedingt sind. Den zielgruppenspezifischen Anforderungen an Maßnahmen für Teilnehmer mit Behinderungen werden zudem bereits jetzt im Rahmen der AZAV Zertifizierung Rechnung getragen. Im Rahmen der Zertifizierung von Maßnahmen müssen Träger vorweisen, dass sie für die Teilnehmer geeignete Räumlichkeiten haben bzw. Materialien vorlegen können. IV. Einbeziehung vergabefremder Kriterien keinesfalls ausweiten Es ist zu begrüßen, dass mit dem Gesetzentwurf das Vergaberecht insgesamt effizienter, einfacher, flexibler und mittelstandsfreundlicher gestaltet werden soll. Diesem guten Ziel entgegengesetzt wäre aber der Ansatz, durch das GWB-E der ausschreibenden Behörde die Möglichkeit zu eröffnen, die Auftragsvergabe künftig über die Vorgaben der EU-Vergaberichtlinie hinaus stärker für die Durchsetzung rein politischer Ziele zu nutzen. Keinesfalls darf aus der Möglichkeit in § 127 Abs. 3 GWB-E und § 128 Abs. 2 GWB-E eine Soll-Vorschrift oder eine Verpflichtung werden. Es muss in jedem Fall auch weiterhin die freie Entscheidung des Auftraggebers bleiben, ob und in welchem Umfang er sog. strategische Aspekte bei der Auftragsvergabe berücksichtigen möchte. Verbindliche Vorgaben für die Ausführungsbedingungen, also die Durchführung eines öffentlichen Auftrags, die nicht strikt auf den Auftragsgegenstand bezogen, d.h. nicht direkt leistungsbezogen sind, müssen in jedem Fall weiterhin ausgeschlossen bleiben. Das Preis-Leistungs-Verhältnis muss weiterhin das zentrale Kriterium für die Auftragsvergabe bleiben. Alles andere würde zu ausufernden, kaum objektivierbaren und vor allen Dingen auch für den Auftraggeber kaum noch überprüfbaren Vergabekriterien führen. Auch politische Aspekte dürfen bei der Auftragsausführung nur berücksichtigt werden, wenn sie strikt auf den Auftragsgegenstand bezogen, d. h. direkt produkt- bzw. leistungsbezogen sind. Es besteht ansonsten die Gefahr, dass die unternehmerische Freiheit erheblich beeinträchtigt wird, wenn bestimmte gesellschaftspolitische Kriterien, wie z. B. der Frauenanteil in Führungspositionen, zur Bedingung der Auftragsausführung gemacht werden. Die Durchsetzung vergabefremder sozial- oder gesellschaftspolitischer Ziele sollte wenn überhaupt, dann im Wege der allgemeinen Sozialgesetzgebung erfolgen, nicht aber über den Umweg des öffentlichen Auftragswesens. Dies hat bereits auf Länderebene dazu geführt, dass sich Unternehmen aus dem Markt um öffentliche Aufträge zurückziehen bzw. kleine und mittlere Unternehmen – entgegen der mit den EU-Vergaberichtlinien beabsichtigten verstärkten Beteiligung von KMU – sich gar nicht erst an Ausschreibungen beteiligen. § 129 GWB-E, der festlegt, dass zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen nur durch Bundes- oder Landesgesetz festgelegt werden dürfen, ist daher überflüssig. Dies gilt vor allem mit Blick auf die Öff- Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (VergaberechtsmodernisierungsG - VergRModG) 27. Oktober 2015 7 nungsklausel für die Bundesländer. Die Landesvergabegesetze mit ihrer Vielzahl unterschiedlicher Regelungen sollten vielmehr abgeschafft werden. Nur so kann wirksam der Zersplitterung des Vergaberechts entgegengewirkt werden und ein elementarer Beitrag zu einem vereinfachten, mittelstandsfreundlichen und rechtssicheren Vergaberecht geleistet werden. Von einer solchen Entbürokratisierung würden vor allem auch kleinere und mittlere Unternehmen profitieren. V. Weitreichende Bevorzugung von Sozialunternehmen abzulehnen Nach § 118 GWB-E können öffentliche Auftraggeber die Vergabe öffentlicher Aufträge auf Werkstätten und Unternehmen beschränken, deren Hauptzweck die Integration von Menschen mit Behinderung ist. 30 % der Beschäftigten dieser Unternehmen müssen behindert oder benachteiligt sein. Damit wird Art. 20 der EU-Vergaberichtlinie umgesetzt. Art. 20 der Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten allerdings die Freiheit, ob und wie sie diese Regelung umsetzen oder sogar von einer Umsetzung absehen wollen. Es ist bereits jetzt möglich, Aufträge freihändig an Werkstätten für behinderte Menschen zu vergeben (§ 3 Abs. 5 j) VOL/A) und Werkstätten können nach § 141 SGB IX bei der Vergabe bevorzugt werden. Die Angebote von Werkstätten dürfen dabei höher sein, als das des wirtschaftlichsten Bieters (15 Prozent nach der entsprechenden Richtlinie des Bundes). Eine Erweiterung der Regelung zur bevorzugten Vergabe öffentlicher Aufträge über die Werkstätten für behinderte Menschen hinaus ist grundsätzlich abzulehnen. Die exklusive Ausschreibung öffentlicher Aufträge für Integrationsbetriebe und sogar ganz allgemein Sozialunternehmen birgt hingegen die große Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen. Derartige Unternehmen bieten als Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes ihre Produkte, Angebote und Dienstleistungen in unmittelbarer Konkurrenz zu anderen Anbietern im gleichen Marktsegment an. Dafür, dass sie Menschen mit einer Schwerbehinderung oder z. B. Langzeitarbeitslose mit besonderen Vermittlungshemmnissen beschäftigen, bekommen sie bereits besondere Förderung. Für eine Bevorzugung durch eine exklusive Ausschreibung öffentlicher Aufträge ist daher auch kein Sachgrund ersichtlich. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsfirmen (BAG IF) betonen richtigerweise: „Integrationsprojekte sind Betriebe des ersten Arbeitsmarktes mit erwerbswirtschaftlicher Zweckrichtung, die von ihren Besitzern in eigener unternehmerischer Verantwortung betrieben werden. Die Finanzierung ihrer Kosten erfolgt im Wesentlichen über den Verkauf von Produkten und Dienst1 leistungen am Markt. “ Eine Gleichstellung in § 118 GWB-E mit Werkstätten für Menschen mit Behinderung erscheint vor diesem Hintergrund mehr als fraglich. Zudem ist die Formulierung in § 118 GWB-E sehr unbestimmt und ungenau. Inhaltlich wurde hier fast wörtlich Art. 20 der Richtlinie 2014/24/EU übernommen, jedoch scheinbar ohne die Auswirkungen auf das deutsche Recht und die deutsche Rechtssystematik zu hinterfragen. Was „benachteiligte Personen“ sein sollen, wird nicht näher definiert. Auch wird allgemein von Menschen mit Behinderung gesprochen. Integrationsbetriebe nach deutschem Recht zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass mindestens 25 % und maximal 50 % der Beschäftigten Menschen mit einer Schwerbehinderung sind. Denn sie werden durch die Integrationsämter aus der Ausgleichsabgabe gefördert, die nur für die Förderung schwerbehinderter Menschen verwendet werden darf. In Deutschland werden nur Menschen mit Schwerbehinderung, die bei einem Unternehmen beschäftigt werden, zudem über das Anzeigeverfahren erfasst. 1 Gemeinsames Positionspapier BIH und BAG IF, Oktober 2013; http://www.bag-if.de/wpcontent/uploads/2013/10/Positionspapier_BIH_ba g_v7c.pdf; abgerufen am 8. Oktober 2015. Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (VergaberechtsmodernisierungsG - VergRModG) 27. Oktober 2015 8 Ansprechpartner: BDA | DIE ARBEITGEBER Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Arbeitsmarkt T +49 30 2033-1400 [email protected] Soziale Sicherung T +49 30 2033-1600 [email protected] Die BDA ist die sozialpolitische Spitzenorganisation der gesamten deutschen gewerblichen Wirtschaft. Sie vertritt die Interessen kleiner, mittelständischer und großer Unternehmen aus allen Branchen in allen Fragen der Sozial- und Tarifpolitik, des Arbeitsrechts, der Arbeitsmarktpolitik sowie der Bildung. Die BDA setzt sich auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene für die Interessen von einer Mio. Betrieben mit ca. 20 Mio. Beschäftigten ein, die der BDA durch freiwillige Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden verbunden sind. Die Arbeitgeberverbände sind in den der BDA unmittelbar angeschlossenen 51 bundesweiten Branchenorganisationen und 14 Landesvereinigungen organisiert. Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (VergaberechtsmodernisierungsG - VergRModG) 27. Oktober 2015 9
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