Konversatorium Strafrecht Allgemeiner Teil I 6. Stunde: Notwehr (§ 32 StGB) Viviana Thompson Lehrstuhl Prof. Dr. Schuster (Prüfungs-)Voraussetzungen für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr nach § 32 StGB 1. Notwehrlage 2. Notwehrhandlung 3. Verteidigungswille Objektive Voraussetzungen Subjektive Voraussetzung [beachte: die Nothilfe nach § 32 Abs. 2 Alt. 2 StGB hat entsprechende Voraussetzungen: Nothilfelage, Nothilfehandlung, Nothilfewille] Die Notwehrlage Eine Notwehrlage ist ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff (vgl. § 32 II StGB). → Ihr Vorliegen ist aus Sicht eines objektiven Betrachters ex post zu bewerten! • Ein Angriff ist jede von einem Menschen ausgehende unmittelbare Gefährdung oder Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen. • Gegenwärtig ist jeder Angriff, der (ohne weitere Zwischenschritte) unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert (zeitlich-räumlicher Zusammenhang). • Rechtswidrig ist ein Angriff, der objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung steht und nicht seinerseits durch einen Erlaubnissatz/Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. Die Notwehrhandlung Die Notwehrhandlung muss • (geeignet) • erforderlich (§ 32 Abs. 2 StGB) und • geboten (§ 32 Abs. 1 StGB) sein. → zu beurteilen vom Standpunkte eines objektiven Beobachters ex ante! → wichtig: die Notwehrhandlung darf sich nur gegen den Angreifer und dessen Rechtsgüter richten – wirkt sich die Verteidigung auch auf Unbeteiligte aus, ist dies nicht von § 32 StGB gedeckt (möglicherweise aber durch einen anderen Rechtfertigungsgrund) Zur („Geeignetheit“ und) Erforderlichkeit der Notwehrhandlung • Die Notwehrhandlung ist geeignet, wenn sie zur Abschwächung des Angriffs in qualitativer und quantitativer Weise taugt. → sie muss aber irgendeine nennenswerte Behinderung des Angriffs bewirken können → ungeeignet sind nur objektiv von vornherein aussichtslose Verteidigungshandlungen • Erforderlich ist die Verteidigung, wenn und soweit sie (zur Abwehr des Angriffs geeignet ist und) das relativ mildeste unter mehreren gleichermaßen geeigneten Mitteln darstellt. → von mehreren gleichwertigen, d.h. zur sofortigen, endgültigen und sicheren Abwehr des Angriffs gleich wirksamen Verteidigungsmitteln ist das für die Rechtsgüter des Angreifers schonendste einzusetzen → an dieser Stelle erfolgt grds. keine Güterabwägung („Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen.“) → es ist immer der Einzelfall, die „konkrete Kampflage“ zu betrachten Zur „Gebotenheit“ der Notwehrhandlung Die „Gebotenheit“ wird auch bezeichnet als „sozialethische Einschränkungen des Notwehrrechts“. • Die „Gebotenheit“ der Notwehrhandlung fehlt, wenn die Verteidigungshandlung rechtsmissbräuchlich ist. → Fallgruppen, in denen ein solches rechtsmissbräuchliches Verhalten in Betracht kommt: • Angriffe erkennbar schuldlos Handelnder (Kinder, geisteskranke Menschen) • unter Personen mit engen persönlichen Nähebeziehungen (Familie, Ehepartner) • krasses Missverhältnis zwischen verletztem und verteidigtem Rechtsgut/zwischen Erhaltungs- und Eingriffsgut • „Unfugabwehr“: Bagatellangriffe, die an der Grenze zu sozial noch hinnehmbaren Belästigungen liegen • absichtliche/fahrlässige Notwehrprovokation Der Verteidigungswille (das subjektive Rechtfertigungselement) • Der Verteidigungswille ist (nach h.M.) gegeben bei Kenntnis der Notwehrlage und Wille zur Verteidigung (die Verteidigungshandlung muss nach h.M. neben anderen Motiven „wenigstens auch zur Abwehr des Angriffs“ vorgenommen werden). → bei Fehlen dieses subjektiven Rechtfertigungselements ist der Täter nicht wegen Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt, auch wenn die objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen vorliegen, d.h. Bestrafung wegen eines vollendeten Delikts [nach a.A. ist aufgrund des ausgeglichenen Erfolgsunrechts nur wegen eines Versuchsdelikts zu bestrafen] (Prüfungs-)Voraussetzungen für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr nach § 32 StGB (detaillierter) 1. Notwehrlage a) b) c) Angriff gegenwärtig rechtswidrig 2. Notwehrhandlung a) b) (Geeignetheit und) Erforderlichkeit Gebotensein/sozialethische Einschränkungen der Notwehr 3. Verteidigungswille
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