AG Modul Strafrecht I WS 15/16 Fall 5: Bratenmesser Sajanee Arzner Wissenscha@liche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und neuere Rechtsgeschichte von Prof. Dr. MarNn Heger Kommode Raum 129 Email: sajanee.arzner@hu-‐berlin.de Themenübersicht Stunde 6 1. RechVerNgung durch Notwehr § 32 StGB 2. Fall 5: Bratenmesser 1. RechVerNgung durch Notwehr § 32 StGB (1/6) A. Zweck und Natur des Notwehrrechts – Schutz von Individualrechtsgütern und Verteidigung der Rechtsordnung – Notwehr (Verteidigung eigener Interessen) und Nothilfe (Verteidigung von Rechtsgütern Dri`er) – Keine Güterabwägung (nur ggf. Gebotenheitseinschränkung in Ausnahmefällen), denn „Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“ 1. RechVerNgung durch Notwehr § 32 StGB (2/6) B. Prüfungsschema I. Notwehrlage: GegenwärNger, rechtswidriger Angriff Angriff: jede von einem Menschen ausgehende drohende Verletzung rechtlich geschützter individuelle Güter und Interessen Gegenwär-gkeit: unmi`elbar bevorstehend, gerade staeindend, noch andauernd Rechtswidrigkeit: Wenn der Angegriffene den Angriff nicht zu dulden braucht – – – • • Strafrechtswidriges Verhalten ist nicht erforderlich Der Angreifer darf aber seinerseits nicht gerechVerNgt sein 1. RechVerNgung durch Notwehr § 32 StGB (3/6) II. Notwehrhandlung: § 32 Abs.2 StGB • Verteidigung: Notwehrhandlung muss sich gegen die Rechtsgüter des Angreifers richten • Erforderlichkeit: Geeignetes und relaNv mildestes Mi`els (=das mildeste unter den gleich geeigneten Mi`eln) – Sonderproblem Schusswaffengebrauch: Warnschuss-‐ Beinschuss-‐Kopfschuss • Gebotenheit: Grundsätzlich erfüllt, nur ausnahmsweise im Einzelfall sozial-‐ethisch bedingte: ① Gebotenheitseinschränkung ② Ausschluss der Gebotenheit Beachte: Einzelfallprüfung erforderlich ob das Rechtsbewährungsinteresse zurücktri`! 1. RechVerNgung durch Notwehr § 32 StGB (4/6) ① Gebotenheitseinschränkung a. Fallgruppen – Selbstverschuldet herbeigeführter Angriff (FahrlässigkeitsprovokaNon; str. ob rechtswidrig, so Lit. oder lediglich sozial-‐ethisch vorwerkar, so BGH) – Familiäres Näheverhältnis oder enge persönliche Bindung – Erpressungsangriffe – Angriff eines erkennbar schuldlos Handelnden (Kind, Geisteskrank, Irrender, Betrunkener) b. Rechtsfolge: Flucht – Schutzwehr – Trutzwehr 1. RechVerNgung durch Notwehr § 32 StGB (5/6) ② Gebotenheitsauschluss a. – – b. Fallgruppen AbsichtsprovokaNon (Rechtsmissbrauch) Krasses Missverhältnis zum drohenden Schaden Rechtsfolgen: Ausschluss des Notwehrrechts, keine RechVerNgung über § 32 StGB 1. RechVerNgung durch Notwehr § 32 StGB (6/6) III. SubjekNves RechVerNgungselement • Kenntnis der Notwehrlage • Verteidigungswille (Handeln um das beeinträchNgte Rechtsgut zu verteidigen) Sonderproblem: Fehlen des subjek-ven RechFer-gungselements? • Rspr. Bestrafung wegen vollendetem Delikt • H.M. Lit: untauglicher Versuch – Erfolgsunrecht beseiNgt, Handlungsunrecht verbleibt – Beachte: Notwehr gegen dieses objekNv erlaubte Verhalten ist dann nicht zulässig 2. Fall 5: Bratenmesser (1/10) Strakarkeit des V gemäß §§ 223 Abs.1, 224 Abs. 1 Nr.2 Var.2, Nr.5 I. Tatbestand 1. ObjekNver Tatbestand a. Grundtatbestand des § 223 Abs.1 aa) Tathandlung (1) Körperliche Misshandlung (2) Gesundheitsschädigung bb) Taterfolg cc) Kausalität dd) ObjekNve Zurechnung 2. Fall 5: Bratenmesser (2/10) b. QualifikaNonstatbestand: § 224 Abs.1 Nr. 2 Var. 2, Nr.5 aa) §224 Abs.1 Nr. 2 Var. 2: gefährliches Werkzeug: Bratenmesser in den Bauch + bb) §224 Abs.1 Nr.5: das Leben gefährdende Behandlung – Abstrakte oder konkrete Lebensgefahr? – Hier: Streitentscheid entbehrlich, da sowohl abstrakte als auch konkrete Lebensgefahr + cc) Zwischenergebnis: objekNver QualifikaNonstatbestand + 2. Fall 5: Bratenmesser (3/10) 2. SubjekNver Tatbestand • Vorsatz bzgl. Grunddelikt? • Vorsatz bzgl. § 224 Abs.1 Nr.2 Var.2? • Vorsatz bzgl. § 224 Abs.1 Nr.5? • Zwischenergebnis: – Vorsatz bzgl. Grunddelikt + – Vorsatz bzgl. Gefährlichem Werkzeug + – Vorsatz bzgl. Lebensgefährdender Behandlung +/-‐ 2. Fall 5: Bratenmesser (4/10) II. Rechtswidrigkeit • Grds. bei Tatbestandsverwirklichung indiziert • Ausnahme: Eingreifen eines RechVerNgungsgrundes • Hier: ggf. § 32 StGB 2. Fall 5: Bratenmesser (5/10) RechVerNgung durch Notwehr gemäß §32 StGB 1. Notwehrlage: gegenwärNger, rechtswidriger, Angriff • Angriff: Schläge des S + • GegenwärNg: noch andauernde Schläge + • Rechtswidrig? S seinerseits gerechVerNgt, weil Äußerungen des V ggf. Beleidigung iSd § 185? Kann offen bleiben, da der ggf. erfolgte „Beileidigungsangriff“ schon beendet war 2. Fall 5: Bratenmesser (6/10) 2. Notwehrhandlung • Verteidigung: Gegen die Rechtsgüter des Angreifers+ • Erforderlich: Geeignet und relaNv mildestes Mi`el? – Körperlich weit unterlegen – Gebrechlich – also: kein anderes gleich geeignetes Mi`el ersichtlich = relaNv mildestes Mi`el 2. Fall 5: Bratenmesser (7/10) P: Gebotenheit • Grds. Gegeben • Hier Ausnahme? (1) Einschränkung der Gebotenheit bei familiären Näheverhältnissen und persönlichen Beziehungen: – +: Häusliche Gemeinscha@/ Elterliche Fürsorge § 1626 BGB – -‐: ersichtlich kein Solidaritätsverhältnis, massive Faustschläge des S, erhebliche A`acke – Zwischenergebnis: hier keine Einschränkung wegen des familiären Näheverhältnisses 2. Fall 5: Bratenmesser (8/10) (2) Einschränkung wegen eines ProvokaNonsverhaltens des V? • AbsichtsprovokaNon? Hier: -‐ (keine rechtsmissbräuchlich herbeigeführte Notwehrlage durch V) • Selbstverschuldet herbeigeführter Angriff (FahrlässigkeitsprovokaNon)? – Striyg ob die ProvokaNon rechtswidrig (Lit) oder nur sozial-‐ethisch vorwerkar (BGH) sein muss – Hier: weder rechtswidrig (§185 -‐), noch sozial-‐ethisch vorwerkar (SNchelei im engen Familienkreis) – Zwischenergebnis: kein Fall der FahrlässigkeitsprovokaNon 2. Fall 5: Bratenmesser (9/10) (3) Einschränkung wegen des Angriffs eines erkennbar Schuldlosen/vermindert Schuldfähigen? - S „angetrunken“ - Genaue Angaben fehlen (Schuldunfähigkeit 3,0 Promille, verminderte Schuldfähigkeit 2,0 Promille) - Zwischenergebnis: kann offen bleiben, da jedenfalls Voraussetzungen der Notwehrhandlung bei eingeschränkter Gebotenheit (Flucht-‐Schutzwehr-‐Trutzwehr) von V eingehalten wurden 2. Fall 5: Bratenmesser (10/10) 3. SubjekNves RechVerNgungselement • Kenntnis von der Notwehrlage: + • Verteidigungswille: + 4. Zwischenergebnis: V ist gerechVerNgt gemäß § 32 StGB und handelte daher nicht rechtswidrig. III. Ergebnis: §§ 223, 224 Abs.1 Nr.2 Var.2 und Nr.5: -‐
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