Unterschiedliche Kriterien der öffentlichen Wiedergabe für Urheber

546
ZUM
7/2015
Holtz, Unterschiedliche Kriterien der öffent lichen Wiedergabe für Urheber- und Lcisrungsschutzrechte?
Unterschiedliche Kriterien der öffentlichen Wiedergabe für Urheberund Leistungsschutzrechte?
Anmerkung zu LG Köln, Vorlagebeschluss vom 20. Februar 2015 - 14 S 30/14 (ZUM 2015, 596)
Von Dr. Marco Holtz':', Berlin
1. Einleitung
Der Vorlagebeschluss des LG Köln l betrifft die insbesondere für Tatbestände der Rundfunkwiedergabe
äußerst praxisrelevante Frage, ob die vom EuGH entwickelten Kriterien für eine öffentliche Wiedergabe in
Bezug auf Urheber- und Leistungsschutzrechte einheitlich anzuwenden sind.
Anlass der Vorlage sind die Urteile des EuGH in
Sachen »SCF/Marco Dei Corso2«, »PPL/Irland3« und
»OSA/Lecebne lazne4«, in denen der EuGH auf Grundlage der Vermiet- und Verleihrichtlinie 2006/115/EGS für
Leistungsschutzrechte scheinbar höhere Anforderungen
an das Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe gestellt
hat als an die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich
geschützter Werke nach der Informationsgesellschaftsrichtlinie 2001/29/EG6.
Dies führt zu Schwierigkeiten, wenn, wie in dem
vom LG Köln zu entscheidenden Fall einer öffentlichen
Wiedergabe von Fernsehprogrammen, durch eine einhei tl iche Nutz ungshandlung gleichzeitig Urheber- und
Leistungsschutzrechte betroffen sind. Hier stellt sich die
Frage, nach welchen Kriterien das Vorliegen einer
öffentlichen Wiedergabe zu beurteilen ist.
Die Urtei le des EuGH stehen zudem im Widerspruch
zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs? und der
überwiegenden Auffassung in der Rechtswissenschaft&,
die übereinstimmend für eine richtlinienübergreifend
einheitliche Auslegung des Begriffs de r öffentlichen
Wiedergabe plädieren.
II. Der Vorlagebeschluss des LG Köln
1. Sachverhalt
Gegenstand des Vorlagebeschlusses ist eine Schadensersatzklage der GEMA gegen den Betreiber eines
Rehabilitationszentrums, der in zwei Warteräumen und
einem Trainingsraum Fernsehgeräte installiert hat, zu
denen er ein Sendesignal übermittelt und so Fernsehsendungen für die sich dort aufhaltenden Personen wahrnehmbar macht. Bei diesen Personen handelt es sich
nach den Feststellungen des Landgerichts überwiegend
um Patienten, die s.ich zur Behandlung in das Rehabilitationszentrum begeben.
Die GEMA macht in dem Verfahren nicht nur
Ansprüche der von ihr vertretenen Komponisten und
Textdichter geltend, sondern im Rahmen einer Inkassokommission auch Ansprüche weiterer Verwertungsgesellschaften, insbesondere der VG WORT, VG BildKunst und GVL, sodass vorliegend sowohl Vergütungsansprüche von Urhebern als auch Ansprüche von Leistungsschutzberechtigten im Streit stehen.
2. Die Vorlagefragen des Landgerichts Köln
Das LG Köln hat das Verfahren ausgesetzt und dem
EuGH insgesamt vier Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
Das Landgericht fragt erstens, ob sich eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. l der Richtlinie 2001129/EG und/oder im Sinne von Art. 8 Abs. 2
Richtlinie 2006/115/EG stets nach denselben Kriterien
beurteilt.
Zweitens möchte die Kammer wissen, ob sich in
Fällen wie im Ausgangsverfahren die Frage einer
öffentl ichen Wiedergabe nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 200 1/29/EG oder nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie
*
2
3
4
5
6
7
8
Der Verfasser ist Rechtsanwalt in Berlin und Syndikus der VG
Media, die als Verwertungsgesellschaft nahezu alle privaten
deutschen TV- und Radiosender sowie viele deutsche Presseverlage verrritt. Weder die VG Media noch der Verfasser sind oder
waren an dem Verfahren vor dem AG Köln oder dem LG Köln
beteiligt. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.
LG Köln ZUM 2015, 596; Vorinstanz AG Köln, Urt. v. 9. Jul i
2014 - 125 c 134/14.
EuGH ZUM-RD 2012, 241 Rn. 78 f. - SCF/Marco Dei Corso.
EuGH ZUM 20 12, 393 Rn. 29 f. - PPUlrland.
EuGH ZUM 20 14, 395 Rn. 35 - OSA/Lecebne lazne.
Richtlinie 2006/1 15/EG des Europäi schen Parlaments und des
Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und Vcrleihrecht sowie zu bestimmten d em Urheberrecht verwandten
Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ABI. Nr. L
376, S. 28.
Richtlinie 200 1/29/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 22. Mai 200 1 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schut7.rcchte in der
Informationsgesellschaft, ABI. Nr. L 167, S. 10.
BGH ZUM 2013, 662 Rn. 15 - Die Realität; ZUM 20 12. 889
Rn. 14 - Breitbandkabel.
v. Lewi11ski, in: Waltcr/v. Lewinski, European Copyright Law.
2010, Rn. 11.3.46; Leistnei; GRUR 20 14 , 1145. 1149: v.
U11f?er11-Stemhe111, G RUR 20 14 , 209, 21 1; ders.. GRUR 20 15.
205, 207; Handig, ZUM 2013, 273 f.
Hvlr~.
Unterschied liche Kriterien der öffentlichen Wiedergabe für Urheber- und Leistungsschutzrechte'1
2006/ 1 15/EG beurteilt, wenn mit den wahrnehmbar
gemachten Fernsehsendungen die Urheberrechte und
Leistungsschutzrechte einer Vielzahl von Beteiligten
betroffen sind.
Drittens stellt das Landgericht die Frage, ob in Fällen
wie im Ausgangsverfahren eine öffentliche Wiedergabe
gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001 /29/EG oder
gemäß Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115/EG vorliege und, sollte dies zu bejahen sein, ob viertens der EuGH
vor diesem Hintergrund seine Rechtsprechung in Sachen
»SCF/Marco Dei Corso« aufrechterhalte.
3. Begründung des Vorlagebeschlusses
Die Kammer begründet die Vorlage an den EuGH
damit, dass der Erfolg der Berufung von der Auslegung
bzw. Anwendbarkeit des Begriffes der öffentlichen Wiedergabe in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG
einerseits sowie in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/J 15/
EG andererseits abhänge. Denn sie gelange bei Anwendung der vom EuGH zur öffentlichen Wiedergabe entwickelten Kriterien zu unterschiedlichen Ergebnissen, j e
nachdem, welche Richtlinie sie zugrunde lege. Im vorliegenden Rechtsstreit seien jedoch beide Richtlinie n
einschlägig, da von der Fernsehwiedergabe der Beklagten sowohl Urheberrechte als auch Leistungsschutzrechte betroffen seien.
a) »Personen allgemein/private Gruppe«
Unterschiede ergäben sich zum einen daraus, dass
der EuGH in der E ntscheidung »SCF/Marco Dei Corso«
unter Anwendung der Ri chtlinie 2006/J 15/EG für die
Patienten einer Zahnarztpraxis angenommen habe, es
handele sich nicht um »Personen allgemein«, da andere
Personen grundsätzlich keinen Zugang zur Behandlung
durch den Zahnarzt hätten9. Nach diesen Gru ndsätzen
wäre jedoch auch im Ausgangsfall nicht davon auszugehen, dass es sich um »Personen allgemein« handele.
Denn auch die Patienten der Beklagten wären dann als
»private Gruppe« anz usehen, da andere Pe rsonen
grundsätzlich keinen Zugang zur Behandlung bei der
Beklagten haben.
Dies weicht nach Auffassung des Landgerichts von den
zur Richtlinie 200 1/29/EG entwickelten Kriterie n ab. Zum
Zahnarzt und dessen Räumlichkeiten habe grundsätzlich
jeder Zugang. Er müsse sich nur dorthin begeben und
werde entweder nach gewisser Wartezeit - oder als sogenannter Schmerzpatient im Zweifel sofort - behandelt,
oder er müsse sich einen Te1min geben lassen und schon
erhalte er Zugang zu den Räumlichkeiten. Patienten seien
keine »private Gruppe«. Patiente n seien einander in der
Regel unbekannt und stimmten sich auch nicht in irgendeiner Weise fü r den Besuch beim Zahnarzt ab. Auch folgten die Patienten in der Regel schnell aufeinander.
Z UM
7/2015
547
h) »Meh rzahl von Personen«
Nach Auffassung des Landgerichts habe der EuGH in
der Entscheidung »SCF/Marco Dei Corso« auch das
Kriterium einer »Mehrzahl von Personen« enger ausgelegt als in den Entscheidungen zu Art. 3 Abs. 1 der
Richtli nie 2001/29/EG. Nach Auffassung des EuGH
handle es sich bei den Patienten eines Zahnarztes um
eine nur unerhebliche oder sogar unbedeutende Mehrzahl von Personen, da der Kreis der gleichzeitig in der
Praxis eines Zahnarztes anwesenden Personen im Allgemeinen sehr begrenzt sei 10.
Lege man diesen Maßstab an den vorliegende n Fall
an, wäre auch der Kreis der Patienten der Beklagten als
begrenzt anzusehen, sodass auch dieser Umstand dem
Merkmal der »Öffentlichkeit« entgegenstehen dürfte.
Diese Wertung sei aber mehr als fraglich, da Patienten
regelmäßig im schnelle n Rhythmus wec hselten,
wodurch insgesamt eine beträchtliche Zahl an Personen
die Werke wahrnehmen könne. Ein Unterschied insbesondere zu den Gästen von Hotels und Besuchern von
Gastwirtschaften sei nicht erkennbar.
c) »Aufnahmebereitschaft«
Auch die Erwägung des EuGH in dem Urteil »SCF/
Marco Dei Corso«, einer öffentlichen Wiedergabe stehe
entgegen, dass die normalen Patienten eines Zahnarztes
für die Wiedergabe von Musik in den Räumlichkeiten
des Zahnarztes nicht aufnahmebereit seien, da sie diese
zufällig und unabhängig von ihren Wünschen genössen 11, führt nach Auffassung des Landgerichts im vorliegenden Fall dazu, dass keine öffentliche Wiedergabe
vorliege. Denn auch die Patienten des Rehabilitationszentrums nähmen die Fernsehsendungen in den Warteund Trainingsräumen unabhängig von ihren Wünschen
und ihrer Auswahl wahr, die Auswahl treffe vielmehr das
beklagte Rehabilitationszentrum.
Auch diese Einordnung entspricht jedoch nach Einschätzung des Landgerichts nicht der Rechtsprechung
des EuGH zur Richtlinie 2001 /29/EG. Bei der Yerschaffung des Zugangs zu Rundfunk- und Fernsehübertragungen könne es nicht auf die Wünsche der Patienten ankommen, welche Werke ihnen wiedergegeben werden. Dies
entspreche insbesondere auch nicht der Rechtsprechung
des EuGH zu Hotels, Gaststätten und Kureinrichtungen
sowie der von derselben Kammer des Gerichtshofs am
. selben Tag getroffenen Entscheidung »PPL/lrland« zu
A,.rt. 8 Abs. 2 der Richtli nie 2006/115/EG. Es sei Rundfunk- ' Und Fernsehübertragungen immanent, dass das
jeweilige„Sendeuntcrnehmcn die Zeit und die Reihenfol9 E uGH Z UM-RD 20 12. 24 1 Rn. 95 - SCF/Marco Dei Corso .
10 EuGH Z UM- RD 20 12, 24 1 Rn. 96 - SCF/Marco Dei Corso.
1 1 EuGH Z UM -RD 20 12. 24 1 Rn. 97 f. - SCF/ Marco Dei Corso.
548
ZUM
7/2015
Holtz. Unterschiedl iche Kritt:ricn der öffentlichen Wiedergabe flir Urheber- und Leistungsschutzrechte?
ge der ausgestrahlten Werke bestimme und nic ht derjenige, der die ausgestrahlten Werke wahrnehme. Vielmehr
sei auch hier maßgeblich, dass der Zahnarzt die Musikwerke nicht zweckfrei oder gar sinnlos ausstrahle. Er
bezwecke vielmehr damit die Verbesserung der Atmosphäre in seiner Praxis, insbesondere im Behandlungszimmer. Und gerade auch für den Zahnarztbesuch, der von
einem nicht unerheblichen Teil der Patienten als wenig
angenehm empfunden werden, gelte, dass jede Verbesserun g der Behandlungsatmosphäre geeignet sein kann, die
Zufriedenheit mit der Behandlung zu steigern. Damit sei
die Ausstrahlung der Werke geeignet, die Patienten zu
binden und ggf. weitere Patienten anzuziehen und so die
Rentabilität der Zahnarztpraxis zu steigern. Letztlich
diene die Ausstrahlung somit gewerblichen Zwecken.
4. Urteil des Amtsgerichts Köln als Vorinstanz
Das Amtsgericht Köln hatte der Klage in erster Instanz
stattgegeben12. Die Beklagte sei schadensersatzpflichtig,
da sie eine öffentliche Wiedergabe der Fernsehsendungen
vornehme. Die Wiedergabe sei gemäߧ 15 Abs. 3 UrhG
öffentlich, da es sich bei den Besuchern und Benutzern der
E inrichtung um eine Vielzahl von Personen handele, die
mit der Beklagten bzw. ihrer Geschäftsführung oder den
anderen Besuchern und Benutzern regelmäßig nicht durch
persönliche Beziehungen verbunden seien. Daran ändere
auch die Entscheidung des EuGH in Sachen »SCF/Marco
Dei Corso« nichts. Das Urteil sei missverständlich formuliert, da es den E indruck erwecke, den Öffentlichkeitsbegriff bei der Nutzung von Urheberrechten allgemein einschränken zu wollen. Dies sei aber ersichtlich nicht der
Fall, da der EuGH in der Entscheidung »OSA/Lecebne
lazne« ausdrücklich klargestellt habe, dass der Begriff der
öffentlichen Wiedergabe außerhalb des Anwendungsbereichs von Att. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG, insbesondere im Bereich der Anwendung von Art. 8 Abs. 2 der
Richtlinie 2006/ 1J 5/EG, nicht gelte.
D as Amtsgericht geht also offensichtlich davon aus,
dass für die Auslegung des Begriffs der öffentlichen
Wiedergabe in den Richtlinien 200 1/29/EG und 2006/
115/EG, also für Urheberrechte einerseits und für Leistungsschutzrechte andererseits, un terschiedl iche Voraussetzungen gelten. Die sich daraus ergebende Anschlussfrage, die für das LG Köln Anlass für die Vorlage zu m
EuGH war, nämlich welche Kriterien gelten, wenn - wie
regelmäßig - eine einheitliche Nutzungshandlung
sowohl Urheberrechte als auch Leistungsschutzrechte
betrifft, thematisiert das Amtsgericht nicht.
Anwendung der vom EuGH e ntwickelten Kriterien zum
Begriff der öffentlichen Wiedergabe ergeben.
J. Zielrichtung des Vorlagebesc:hlusses
Ziel des Vorlagebeschlusses ist in erster Linie, den
EuGH zu e iner Klarstellung seiner Rechtsprechung
dahingehend zu bewegen, den Begriff der öffentlichen
Wiedergabe richtlinienübergreifend einheitlich auszulegen. Dies ergibt sich deutlich aus der Frage 1 des Vorlagebeschlusses, die dieses Ergebnis nahelegt, und aus
Frage 4, die den nach Auffassung des Landgerichts sinnvollen Weg dorthin aufzeigt, nämlich eine Aufgabe der
Rechtsprechung gemäß dem Urteil »SCF/Marco Dei
Corso« durch den EuGH.
In zweiter Linie zielt der Vorlagebeschluss in den Fragen 2 und 3 darauf ab, der Kammer eine Entscheidungsgrundlage für die Bewertung von Verwertungshandlungen zu verschaffen, die sowohl Urheber- als auch Leistungsschutzrechte betreffen, sollte der EuGH von seiner
Rechtsprechung in den Urteilen »SCF/Marco Dei Corso«
und »OSA/Lecebne lazne« nicht abrücken. Ein (möglicherweise vom Landgericht auch intendierter) Nebeneffekt der Fragen 2 und 3 könnte sein, dem EuGH die praktischen Konsequenzen seiner Rechtsprechung im Sinne
eines »argumentum ad absurdum« zu veranschaulichen.
2. Interpretation der EuGH-Rechtsprechung durch das
Landgericht
Das Landgericht versteht d ie Entscheidungen »SCF/
Marco Dei Corso« und »OSA/Lecebne lazne« dahingehend, dass fü r die in der Richtlinie 2006/115/EG
geschützten Leistungsschutzrechte lew lich engere Voraussetzungen gelten als für den Urheberrechtsschutz
gemäß der Richtlinie 2001/29/EG.
Dieses Verständnis ist durchaus nachzuvollziehen.
Denn der EuGH betont in der Entscheidung »OSN
Lecebne lazne« ausdrücklich die Unterschiede zwischen
Leistungs- und Urheberrechtsschutz und führt aus, dass
die aus dem Urteil »SCF/Marco Dei Corso« hergeleiteten Grundsätze in der Rech tssache »ÜSA/Lecebne
lazne« nicht einschlägig seien, da dieses Urteil nicht das
Urheberrecht betreffe, sondern das Rech t mi t Entschädigungscharakter der ausübenden Künstler und der Tonträgerhersteller nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115/
EGI4.
12 AG Köln, Urt. v. 9. Jul i 20 14 - 125 C 13.i/1 4.
13 Bei l.:onsequcnter Anwendung ihres Verständnisses der F.uGH-
III. Bewertung
Der Vorlagebeschl uss illustriert anschaulich die
Schwierigkeiten t3, die sich für die Rechtspraxis aus der
Rechtsprechung hätte die Kammer der Klage letztl ich wohl hinsichtlich der Yt:rgütungsanspriiche der Urhe be r stattgeben und
. hi11sichtlich der Ansprüche der Leistung~schutzberechtigten
abweisen müssen.
14 EuGH ZUM 2014, 395 Rn . 35- OSA/Uccbne l;izne.
l/o/r:;, Unterschiedliche Kriterien der öffentlichen Wiedergabe für Urhcher- und Leistungsschut:trechtc?
Dieses Verständni s entspricht auch de r überwiegenden Auffassung in der deutschen Rechtswissenschaft,
die die Entscheidung »OSA/Lecebne lazne« als weiter
vertiefte Ungleichbehand lung von Ausschl ießlichkeitsrecht (zume ist de r Urheber) und Ve rg ütungsans prüchen der Leis tungsschutzberechtigten 15 bzw.
zumindest als Fe!-.t legung dahi ngehend ve rsteht, dass
de m Kriterium des Erwerbszwecks bei der Bestimmung des Inhalts der Rechte der ausübenden Künstler
und der Tonträgerhersteller im Unionsrecht e ine größere Bedeutung zukommen könnte als beim Urheberrecht, weil diese Rechte im Wesentlichen wirtschaftlich seient6.
Der Bundesgerichtshof hat sich - soweit ersichtlich bislang noch nicht zum Verständnis des Urte ils »OSA/
Lecebne lazne« geäußert. Beide Urteile17, in denen sich
der Bundesgerichtshof für eine richtlinienübergreifend
einheitliche Auslegung des Begriffs der öffentlichen
Wiedergabe ausgesprochen hatte, datiere n zeitlich vor
der Verkündung des EuGH-Urteil s »OSA/Lecebne
lazne«. Hier bleibt abzuwarten, ob und in welche r Form
der Bundesgerichtshof die Entscheidung »OSA/Lecebne
lazne« argumentativ aufgreift.
3. Berechtigung einer Ungleichbehandlung zwischen
Urheber- und Leistungsschutzrechten
Die Begründung des EuG H für die unterschiedliche Be handlung von Urheber- und Leistungsschutzrechten im Bereich der öffentlichen Wiedergabe ist
we nig überze ugend. D e r E uGH verweist hie rzu
schlicht in einem Halbsatz auf den Investitionsschutzcharakter der Leistungsschutzrechte de r ausübenden
Künstler und der Tonträgerherstelleri s. Dieser Unterschied kann für sich genommen jedoch keine unterschiedliche A uslegung rechtfertige n 19. Z um eine n sind
diese Unterschiede in der Regel bere its in der Ausgestaltung der übrigen Tatbestandsmerkmale und Sc hranke n der Urheber- und Le istungsschutzrec hte wie
Sc hutzdauer, E intrittsentgelterforderni s in Art. 8
Abs. 3 der Richtlinie 2006/11 5/EG usw. ausreichend
berücksichtigt. Zum anderen spricht insbesondere der
Grundsatz ric htlinie nübergreifend e inhe itliche r Auslegung übereinstimmender Begriffe im Unionsurheberrecht für gle ic he Maßstäbe20. Diesen Aspekt der Einhe it und Kohärenz der Unionsrechtsordnung hat auch
der E uGH gerade für den Begriff der öffentlichen
Wiedergabe ausdrücklich betont21. Hinzu kommt, dass
die Auswertung heutiger, komplexer Medie nprodukte
in der Regel einen gebünde lte n Rechteerwerb von
Urhebern und Le istungsschutzberechtigten erfordert,
wie de r vorliegende Sachverhalt zeigt, und auch aus
diesem Grund eine parallele Ausgestaltung der Rechte
dringend notwendig ist22.
ZUM
712015
549
4. Materielle Kritik des Landgerichts an der Entscheidung »SCF!Marco Dei Corso«
Unabhängig von der Frage, ob im Bere ich der öffentlichen Wiedergabe überhau pt unterschiedliche Kriterien
für Urheber- und Leistungsschutzrechte anzuwenden
sind, ist jedenfalls der materiellen Kritik des Landgerichts an der E ntscheidung »SCF/Marco Dei Corso«
zuzustimmen.
Zum Teil werden die Sinnhaftigkeit und Praktikabilität der vom EuGH zur öffentlichen Wiedergabe entwickelten Kriterien insgesamt mit deutlichen Worten
(und guten Argumenten) kritisiert23. Jedenfalls sind aber
die konkreten Wertungen des EuGH im Urteil »SCF/
Marco Dei Corso« kaum überzeugend. Insbesondere die
Ausfü hrungen des EuGH zu den Kriterien »Personen
allgemein/private Gruppe«, »Me hrzahl von Personen«
und »Erwerbszweck/ Aufnahmebereitschaft« werfen
mehr Fragen auf als sie beantworten. Hier befindet sich
der EuGH in unauflösbaren Wertungswidersprüchen zu
seinen diversen Entscheidungen zu Hotels, Gaststätten
und Kureinrichtungen. Z ur Detailkritik des U rteils
»SCF/Marco Del Corso« kann in vollem Umfa ng auf die
sehr sorgfältig begründete Entscheidung des Landgerichts verwiesen werden24.
IV. Fazit
Dass ein Landgericht, wenn auch in der Berufu ngsinstanz, einen Vorlagebeschluss zum EuGH fasst, ist ungewöhnlich und verdeutlicht den Klarstellungsbedarf der
Rechtspraxis zu Verwertungshandlungen, die sowohl
Urheber- als auch Leistungsschutzrechte betreffen. Das
Landgericht verweist hierzu ausdrücklich auf die Vielzahl
gleichgelagerter Fälle, die e iner Entscheidung harren.
Ei ne Ungle ichbehandlung von Urheber- und Leistu ngsschutzrechten im Bereich der öffentlichen Wieder-
15 Leist11e1; GRUR 2014, 1145, 1153.
16 v. Ungern-Sternberg, GRUR 2015. 205, 208.
17 BGH ZUM 20 13, 662 Rn. 15 - Die Realität; ZUM 2012. 889
Rn. 14 - Breitbandkabel.
18 EuGH ZUM 2014, 395 Rn. 35 - OSA/Lecebne lazne. Unabhä ngig von der rechtlichen Tragfähigkeit des Arguments, erscheint
di es auch sachlich zwei fe lhaft, da zumindest das Leistungsschutzrecht de r ausübenden Künstler auch eine persönlic hkeitsrechtlichc Komponente enthält (vgl. für das deutsche Urheberrecht §§ 74, 75 UrhG).
19 I'. Ungern-Sternberg. GRUR 2014, 209 , 211 ; U' is111e1; GRUR
20 14. 11 45, 1149. 11 53.
10 /,ei~i11e1; GRUR 20 14, 1145, 1153.
2 1 EuG H Z UM2011 ,803Rn.188- Murphy.
22 v. Ungern-Sternberg. GRUR 20 14, 209, 2 11.
23 Vgl. Haberstru1111~f. GRUR lnt. 2013, 627. 633: »[Die vom
E uGH e ntwickelten] Kriterien sind jedoch weder einzeln noch in
ihrer .Kumulation notwendig und hinreichend für die /\nnahme
von Öffentlichkeit«.
24 Vgl. hierz u auch vorstehend II. 3.
550
ZUM
712015
gabe ist, wie der vorliegende Sachverhalt illustriert,
letztlich nicht sachgerecht und abzulehnen. Es bleibt zu
hoffen, dass der EuGH den Vorlagebeschluss des Landgerichts aufgreift und seine Rechtsprechung in Sachen
»SCF/Marco Del Corso« und »OSA/Lecebne lazne«
korrigiert.
Abschließend sei bemerkt, dass das Landgericht
wohl die Möglichkeit gehabt hätte, der Klage vollumfänglich stattzugeben, ohne die Angelegenheit dem
EuGH vorzulegen. Denn wegen der nach aJlgemeiner
Auffassung nur Mindeststandards setzenden Richtlinie
Gol/a/Lück. Der grüne Weg als Sackgasse?
2006/ 1 15/EG kann nach überwiegender Auffassung für
das deutsche Recht sowohl für Urheber als auch für
Leistungsschutzberechtigte einhe itlich an die Kriterien
der Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 der Richtli nie 200 l/
29/EG angeknüpft werden, o hne gegen Richtlinie nvorgaben zu verstoßen25.
0
25 Leistner, GRUR 201 4, 1145, 11 53; v. Ungem -Stemberg, GRUR
20 15, 205, 208.
Der grüne Weg als Sackgasse?
Zur Rechtsnatur des sogenannten Zweitveröffentlichungsrechts nach § 38 Abs. 4 UrhG
Von Sebastian J. Golla* und Benjamin Lück**, Berlin
1. Einleitung
De r Urheber eines wissenschaftlichen Beitrags hat
nach § 38 Abs. 4 UrhG unter bestimmte n Voraussetzungen »auch dann, we nn er dem Verleger ode r Herausgeber ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt hat, das Recht, den Beitrag [ ... ] öffentlich
zugäng lic h zu machen.« Die Rechtsnatur dieses sogenannten Zweitveröffentlichungsrechts ist j edoch soweit
ersichtlic h noch nicht geklärt 1• Die E inordnung des
Zweitveröffentlichungsrechts nach seiner Rechtsnatur
ist praktisch von Bedeutung - so etwa für die Bestimmung der internationalen Reichweite des Zweitveröffentlichungsrechts2 und die Mög lichkeit zu seiner Sublizenzierung. Grundsätzliche Bedeutung kommt der
Einordnung des Zweitveröffentlichungsrechts auch bei
de r Frage nach der europarechtliche n Zulässigkeit zu.
In einem Aufsatz für diese Zeitschrift grü ndeten
Bruch/ Pflüge r ihre Kritik an § 38 Abs. 4 UrhG unter
anderem auf die Annahme, dass das Zweitveröffentlichungs recht ein gesetzlich zugeordnetes e infaches Nutzungs recht darste1Je3. Andere vertre ten, dass das Zweitveröffentlichungsrecht eine Schranke des Urhe berrechts sei4 . Dieser Beitrag wird diese Ansichten untersuchen. Er wird zeigen, dass das Zweitveröffe ntlichungsrecht weder ein einfaches N utzungsrecht noch
eine Schranke des Urheberrechts darstellt. Auch eine
relative Beschrä nkung des Verbotsrechts des Verlegers
oder Herausgebers begründet das Zweitveröffe ntlichungsrecht ni cht. Vielmehr stellt das Zweitveröffentlichungs recht ein Recht des Urhebers zur öffentlichen
Z ugänglichmachung dar, an dem er keine ausschließliche n Nutzungs rechte einzu räumen vermag. Die Ein-
räumung mehrerer einfacher Nutzungsrechte an diesem
Zweitveröffentlichungsrecht, etwa an Repositorie n, ist
de m Urhe ber aber sehr wohl möglich.
II. Das Zweitveröffentlichungsrecht als gesetzlich
zugeordnetes einfaches Nutzungsrecht
Wie bereits dargestellt, gewährt § 38 Abs. 4 Satz 1
UrhG Urhebern nach einer Auffassung unter bestimmten Voraussetzungen »das einfache Nu tzungsrecht«S,
ihr Werk nach Ablauf von zwölf Monaten seit der Erstveröffentlic hung in der Ma nuskriptversion öffentlich
zugänglich zu machen, soweit dies keine m gewerblichen Zweck dient.
Das Zweitveröffe ntlichungsrecht würde demnach
ein einfaches Nutzungsrech t im S inne des § 3 1 Abs. 2
*
Der Verfasser ist Rechtsreferendar am Kammergericht.
** Der Verfasser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alexander
von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, Berlin .
Der Großteil der bisherigen Publikationen enthält keine Ausführungen zur Rechtsnatur, vgl. etwa Klass, GRUR Int. 201 3.
881, 893; Krings/Henrsch , ZUM 20 13, 909, 91 1; Sa11dberge1:
ZUM 20 13, 466, 470 ff. Peife1; NJW 201 4 , 6, l I spricht von
einem »zwi ngenden Eigennutzungsrecht«, Wandtke/Grunert, in:
Wandtke/Bullinger, UrhR, 4. Aufl. 2014, § 38 UrhG Rn. 2 1 von
· einem »Recht, den eigenen wissenschaftlichen Beitrag (erstmals
" oder erneut) öffentlich zugäng lich zu machen«.
2 Vgl. Fehling, OdW 20 14 , 179, 183 f.. der in seiner »unklaren
internationalen Reichweite« das »Hauptproblem« des § 38
Abs. 4 UrhG sieht.
3 Br11ch/P.fiüge1: ZUM 20 14, 389, 394.
4 Sprang, ZUM 201 3, 46 1, 465; vgl. auch Miijlig . JZ 20 15. 22 1.
229.
5 Brnch/Pflüger, ZUM 20 14 , 389.