GDV: Die Positionen der deutschen Versicherer 2015

Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.
Die Positionen der
deutschen Versicherer 2015
DIE WICHTIGSTEN KENNZAHLEN 2015
IM ÜBERBLICK
Mitglieder*
460
Erwerbstätige**
533.000
Anzahl Versicherungsverträge
427.000.000
Leistungen***
207.400.000.000 €
Kapitalanlagebestand
1.450.000.000.000 €
*
Zahl gerundet, inkl. PKV-Verband
**abhängig Beschäftigte (VU und Vermittlergewerbe), selbstständige Versicherungsvermttler/-berater
*** an Versicherungsnehmer ausgezahlte Leistungen und Zuwachs der Leistungsverpflichtung gegenüber Versicherungsnehmern
VORWORT
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Versicherungswirtschaft ist in Bewegung. Der Zinsverfall
auf den Finanzmärkten, die Digitalisierung von Produktion
und Kommunikation, die demografische Entwicklung und
veränderte Kundenbedürfnisse – die Dynamik des Wandels
verändert uns selbst.
Denn wir Versicherer sind fest in der Gesellschaft verankert
– und unverzichtbarer Wegbegleiter im Alltag: Egal ob in unserem Land ein neues Haus gebaut wird, ein junger Mensch
das erste Mal mit seinem eigenen Auto fährt oder ein Mittelständler nach Asien exportiert – wir Versicherer sind
immer dabei. Für eine halbe Million Menschen schaffen wir
Arbeit – und für Millionen sind wir ein wichtiger Partner, um
für Alter oder Krankheit vorzusorgen. Das alles sind wir. Das
alles wollen wir bleiben. Und dafür tun wir viel.
Vor allem die niedrigen Zinsen fordern uns heraus. Deshalb
entwickeln wir neue Produkte, senken die Kosten und verändern unsere Anlagestrategien. Damit wir die garantierten
Zusagen an unsere Kunden erfüllen und weiterhin gute und
sichere Vorsorgeangebote machen können. Im vergangenen
Jahr sind Reformen auf den Weg gebracht worden. Bleibt
das Zinsniveau aber so niedrig – was zu befürchten ist –
werden wir mit der Politik über das Tempo beim Aufbau von
Reserven sprechen müssen.
Es steht außer Frage: Wir müssen Reserven bilden. Allerdings, allein im vergangenen Jahr mussten die Versicherer
über neun Milliarden Euro zusätzlich auf die Seite legen. Um
die Unternehmen nicht zu überfordern, sollten die Regeln
der Zinszusatzreserve wie bei einem Kompass um einige
Grad neu justiert werden. Denn für dieses extreme Umfeld,
in dem Marktgesetze von den Notenbanken außer Kraft gesetzt werden, ist das System nicht ausgelegt.
Um mehr Sicherheit und Stabilität geht es uns auch bei der
Gestaltung des neuen Aufsichtssystems in Europa. Solvency II wird nach jahrelanger Vorbereitung im kommenden Jahr
Wirklichkeit. Damit wir in Europa am Ende die beste und nicht
Dr. Alexander Erdland
(Präsident)
Berlin, 29. April 2015
nur die komplizierteste Aufsicht der Welt bekommen, dürfen
die Unternehmen im Schlussspurt nicht überfordert werden.
Doppel- und Überregulierungen müssen abgebaut werden.
Die Frage, wie eine sichere Altersvorsorge für möglichst
viele Menschen machbar bleibt, beschäftigt uns. Das ist
die Schicksalsfrage einer alternden Gesellschaft. Da sind
wir Versicherer in der Verantwortung. Aber in der Pflicht
ist ganz klar auch die Politik. Denn Menschen mit geringen
oder mittleren Einkommen werden in der Niedrigzinsphase nur dann stärker in Altersvorsorge investieren, wenn
der Staat ihnen dafür einen größeren Spielraum einräumt.
Möglichkeiten dafür bieten Initiativen bei der geförderten
Altersvorsorge und eine Stärkung der bewährten Angebote
in der betrieblichen Altersversorgung.
Das Gespräch mit der Politik suchen wir auch im Hinblick
auf die künftige Finanzierung öffentlicher Infrastruktur.
Private Investoren wie Versicherer können einen wichtigen
Beitrag leisten, um die zu Recht beklagte Investitionslücke
in Deutschland zu schließen. Dafür allerdings müssen die
Voraussetzungen stimmen. Vor allem aber brauchen wir
Rechtssicherheit bei eingegangenen Verpflichtungen und
Bestandsschutz für getätigte Investitionen.
Auch in der Gestaltung der digitalen Revolution liegen
Chancen. Hier kann die Versicherungswirtschaft helfen,
Probleme zu lösen. Bisher ist das Bewusstsein für die Risiken der Vernetzung in weiten Teilen unserer Gesellschaft
noch unterentwickelt. Neben mehr Aufklärung und einer
besseren Erfassung von Cyber-Attacken brauchen wir dazu
in Deutschland und Europa auch gemeinsame Sicherheitsstandards und -normen.
Zu diesen und vielen anderen Themen suchen wir den Dialog mit Politik und Gesellschaft. Unsere wichtigsten Positionen finden Sie auf den folgenden Seiten umrissen. Wir
wünschen eine aufschlussreiche Lektüre und freuen uns auf
den weiteren Austausch mit Ihnen.
Dr. Frank von Fürstenwerth
(Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung)
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 3
4 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
THEMEN
HERAUSFORDERUNGEN DER NIEDRIGZINSPOLITIK .................................................................................. 6
ALTERSVORSORGE .................................................................................................................................................................... 8
VERSICHERER ALS INVESTOREN ................................................................................................................................10
SOLVENCY II ................................................................................................................................................................................12
INTERNATIONALE REGULIERUNG ............................................................................................................................14
EUROPÄISCHE AUFSICHTSSTRUKTUREN ...........................................................................................................16
VERBRAUCHERSCHUTZ .....................................................................................................................................................18
DIGITALISIERUNG UND DATENSCHUTZ ..............................................................................................................20
STEUERN .........................................................................................................................................................................................24
KRANKENVERSICHERUNG ..............................................................................................................................................26
HAFTPFLICHT IM HEILWESEN ......................................................................................................................................28
NATURGEFAHREN ..................................................................................................................................................................30
VERKEHR UND MOBILITÄT .............................................................................................................................................32
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 5
HERAUSFORDERUNGEN DER NIEDRIGZINSPOLITIK
Die Niedrigzinspolitik ist eine Zumutung für alle, Ausschüttung der Bewertungsreserven aus Anleihen
die für die Zukunft vorsorgen wollen. Fakt ist: Sinkt
modifiziert und mit dem Lebensversicherungsreformder langfristige Zins um einen Prozentpunkt, muss ein gesetz weitere Impulse zur Erneuerung gegeben hat.
Bürger 15 bis 20 Prozent mehr aufwenden, um das
Niveau seiner Altersvorsorge stabil zu halten. Vielen Auch der Aufbau der Zinszusatzreserve ist deshalb
Menschen mit geringen oder mittleren Einkommen grundsätzlich richtig. Nur durch die rechtzeitige
fällt das sehr schwer. Die Folge ist, dass die Vorsor- Bildung von Reserven ist sichergestellt, dass trotz
gelücke in Deutschland immer
niedrigster Zinsen die Garantiegrößer wird – und die Zahl der
zusagen aus vergangenen Jahren
Um gut durch die NiedrigMenschen immer kleiner, die im
erfüllt werden können.
zinsphase
zu
kommen,
Alter ihren Lebensstandard halmüssen die Versicherer
ten können.
Der unerwartet deutliche Rückgang des Zinsniveaus hat allerihre Kräfte gut einteilen.
Das ist fatal für die Bürger – auf
dings dazu geführt, dass nach
Dauer aber auch eine Katastroden geltenden Regeln unverphe für den Staat. Denn unzureichende Altersvorsor- hältnismäßig schnell sehr große Reserven gebildet
ge heute bedeutet höhere soziale Lasten und weniger werden mussten. Eine Nachjustierung ist daher notKonsum, weniger Wachstum und weniger Steuerein- wendig. Darüber hinaus muss auch unter dem neuen
nahmen in der Zukunft.
Aufsichtsregime Solvency II gewährleistet bleiben,
dass der Aufbau der Zinszusatzreserve positiv berückBereits heute ringen langfristige Investoren mit den sichtigt wird – und sich nicht negativ auf die SolvabiliFolgen der Niedrigzinspolitik. Das gilt für Versicherer tät auswirkt (siehe Solvency II).
ebenso wie für berufsständische Versorgungswerke,
Spar- und Bausparkassen, Stiftungen und selbst die Ein weiteres Risiko, das aus der Niedrigzinsphase ergesetzliche Rentenversicherung. Versicherungsunter- wächst, ist paradoxerweise die Möglichkeit eines abnehmen entwickeln neue Angebote, senken die Kos- rupten Zinsanstieges. Eine solche Situation ist derzeit
ten und modernisieren ihre Prozesse. Anlagestrategi- zwar nicht abzusehen, aber grundsätzlich vorstellbar.
en werden weiter verändert und, wo möglich, neue
In diesem Fall würde der plötzliche Verfall der KapitalAnlagemöglichkeiten erschlossen – beispielsweise im werte dazu führen, dass Kunden und Unternehmen
Bereich von Infrastrukturinvestitionen (siehe Versiche- unnötigen Risiken ausgesetzt werden. Um dem vorzurer als Investoren).
beugen, sollten frühzeitig die richtigen Vorkehrungen
getroffen werden.
Dass sich diese Anstrengungen auszahlen, zeigen
die Zahlen des vergangenen Jahres. Über 5,7 Millio- Über notwendige rechtliche Anpassungen und Denen neue Lebensversicherungen wurden 2014 abge- tailregelungen darf aber nicht das eigentliche Kernschlossen. Die Zahl der Kündigungen ist weiter rück- problem aus dem Blick verloren werden: Die Stärkung
läufig und liegt mit 3,1 Prozent auf dem niedrigsten der Altersvorsorge in Deutschland. Wenn die Niedrig­
Stand seit über 20 Jahren. Das alles zeigt: Die Deut- zinsphase anhält, sind zusätzliche Anstrengungen
schen haben Vertrauen in die Lebensversicherung.
und auch finanzielle Anreize dringend erforderlich.
Um dieses Vertrauen weiter zu rechtfertigen, bleibt
Mit Blick auf die Zukunft und die Realitäten einer alaber für die Branche viel zu tun.
ternden Gesellschaft kann Deutschland es sich nicht
leisten, hier nichts zu tun (siehe Altersvorsorge).
Entscheidend ist dabei vor allem, dass die Versicherer
ihre Kräfte – sprich: ihr Kapital – gut einteilen können. Vor allem aber ist die Politik in der Pflicht, Reformen
Um gut durch die Niedrigzinsphase zu kommen, ist umzusetzen, um in Europa wieder ein selbsttragenein langer Atem erforderlich. Deshalb war es richtig, des Wachstum zu schaffen – und damit auch die Vordass die Politik im vergangenen Jahr die vorzeitige aussetzung für ein Ende der Niedrigzinspolitik.
6 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
Unsere Positionen
Der Aufbau der Zinszusatzreserve
muss neu justiert werden
Reformen für Europa voranbringen
Die Versicherungswirtschaft beurteilt die Geldpolitik der EZB außerordentlich kritisch. Durch die
anhaltende Niedrigzinspolitik und das Anleihekaufprogramm werden langfristige Investoren bestraft,
Spekulation befeuert, die Funktion des Zinses als
Risikoindikator außer Kraft gesetzt und dadurch die
Gefahr einer Blasenbildung vergrößert. Gleichzeitig
schwächt die Geldpolitik den Druck zu Reformen für
mehr Wachstum.
Ein solides, selbsttragendes Wachstum ist aber notwendig, um die Niedrigzinspolitik der EZB zu beenden. Die Staaten der Eurozone und die Europäische
Union müssen durch eigene, starke Reformimpulse,
eine solide Haushaltspolitik und nicht zuletzt die Mobilisierung zusätzlicher privater Investitionen dafür
sorgen, dass Europa aus der wirtschaftlichen Stagnation herausfindet. Wenn diese Reformen jetzt nicht
umgesetzt werden, droht Europa im internationalen
10
Wettbewerb zurückzufallen. Die Bundesregierung
sollte sich auf europäischer Ebene darum weiterhin
8
engagiert für einen entsprechenden Reformkurs und
die Einhaltung der geltenden Regeln der Währungs6
union einsetzen.
4
Zinszusatzreserve neu justieren
2
Um zu gewährleisten, dass auch in Zeiten niedriger
0
Zinsen die höheren Garantien aus früheren Jahren
erfüllt werden können, sieht die Deckungsrückstellungsverordnung richtigerweise vor, dass eine zusätzliche Rücklage gebildet werden muss, wenn der
Referenzzinssatz niedriger ist als der Garantiezins der
Verträge. Diese sogenannte Zinszusatzreserve musste zum ersten Mal 2011 bereitgestellt werden. Insgesamt haben die Versicherer seither über 21 Milliarden
Euro an zusätzlicher Deckung bereitgestellt.
Allein im vergangenen Jahr mussten die Versicherer
über neun Milliarden Euro zur Seite legen, weil der
Zinsrutsch unerwartet deutlich weiterging. Der immer stärker beschleunigte Aufbau von Reserven führt
dazu, dass die Leistungsfähigkeit von einzelnen Unternehmen beeinträchtigt wird, obwohl diese eigentlich
Referenzzins
in Prozent
Reserveaufwand
(kumuliert) in Mrd. €
5%
20
9,0
4%
16
3,92 %
12
5,7
8
3,15 %
3%
5,1
4
1,5
2011
2012
2013
0
2014
Quelle: GDV
solide aufgestellt sind. Vor diesem Hintergrund spricht
die Versicherungswirtschaft sich dafür aus, die Regeln
auf festverzinsliche
Wertpapiere
in Mrd. Euro [rechte Achse]
für den Bewertungsreserven
Aufbau der Zinszusatzreserve
neu
zu kalibrieren.
Zinsniveau 10-jährige Bundesanleihen [linke Achse]
Anpassung der Rückkaufswerte an den
Marktwert von Anleihen
4,0
Eine länger anhaltende Niedrigzinsphase schafft auch
neue Risiken im Hinblick auf plötzlich sprunghaft steigende Zinsen. Denn ein unerwartet starker Zinsan3,5
stieg würde dazu führen, dass die Kapitalwerte zum
Beispiel von Anleihen deutlich sinken. Die Differenz
zwischen dem Zeitwert dieser (Lebensversicherung)
Anleihen und dem höheren Buchwert in den Bilanzen der Versicherer würde
zu hohen, so genannten „stillen Lasten“ führen. Wird
3,0
ein Versicherungsvertrag in einer solchen Situation
gekündigt, müssen diese stillen Lasten realisiert werden. Versicherer müssen im Zweifelsfall gut verzinste
Papiere zu einem schlechten Kurs verkaufen, um die
Forderungen eines Kunden zu erfüllen. Aus stillen LasErstversicherung in Deutschland:
ten würden echte Verluste – die aber alleine zulasten
Anhaltend stabile Beitragsentwicklung
der verbleibenden Kunden gehen. Das ist nicht nur
Beiträge in Mrd. Eu
eine Ungleichbehandlung der Versicherungsnehmer.
+7,1 %
+6,6 %
2009
20
Es besteht auch das Risiko,80
dass +1,2
ein%starker Zinsanstieg 2008
eine regelrechte Stornowelle auslösen könnte.
+0,7
+0,2 % +0,2 %
60
Um dieses Risiko auszuschließen und gleichzeitig eine
40
+3,0 % +3,8 %
gerechte Behandlung aller Versicherten zu garantieren,
ist es gleichermaßen sachgerecht
und notwendig, die
20
Rückkaufswerte dann an die veränderten Marktwerte
der Anleihen anzupassen. 0
Lebensversicherung i. e. S.
+5,8 %
private KrankenSchaden- und
versicherung
Unfallversicheru
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 7
ALTERSVORSORGE
In einer alternden Gesellschaft ist ergänzende,
kapitalgedeckte Altersvorsorge zwingend notwendig.
Dies hat zuletzt auch der Rentenbericht der Bundesregierung im November 2014 noch einmal festgestellt:
„Die gesetzliche Rente (wird) zukünftig nicht alleine
ausreichen, um den Lebensstandard des Erwerbs­
lebens im Alter fortzuführen.“ Gleichzeitig wird infolge niedriger Zinsen die individuelle Vorsorge immer
schwieriger. Selbst Bürgern mit mittleren Einkommen
dürfte es in Zukunft immer schwerer fallen, ihren Lebensstandard im Alter zu halten.
Die Zinsentwicklung der vergangenen Jahre hat faktisch dazu geführt, dass nicht mehr, sondern weniger
vorgesorgt wird. Die Vorsorgeneigung ist so gering
wie lange nicht. Gleichzeitig tut auch die Politik zu
wenig, um die private und betriebliche Vorsorge zu
verbessern, wie kürzlich die Europäische Kommission
in ihrem Länderbericht zu Deutschland mahnend angemerkt hat.
Es ist darum richtig, dass
die Bundesregierung die betriebliche Altersversorgung
(bAV) stärken will. Der Aufbau und die Privilegierung
neu zu gründender Versorgungseinrichtungen, wie vom Bundesministerium
für Arbeit und Soziales (BMAS) vorgeschlagen, sind
dafür aber nicht geeignet: Sie stellen etablierte Versorgungswerke in Frage und gefährden erreichte Erfolge.
Stattdessen müssen die Rahmenbedingungen für die
bestehenden Durchführungswege verbessert werden,
damit sie leichter genutzt werden können – auch und
gerade von mittelständischen Unternehmen.
Die betriebliche Altersversorgung muss für Arbeitgeber
einfacher und für Arbeitnehmer attraktiver werden.
Die Versicherungswirtschaft ist dafür ein entscheidender Partner. Schon heute wählen 80 Prozent der
kleinen Unternehmen für Angebote der betrieblichen
Altersversorgung den Weg über die Direktversicherung. Das ist nachvollziehbar, denn sie ist besonders
sicher und der Aufwand in der Verwaltung gering.
Will man die kapitalgedeckte Altersvorsorge – ob
betrieblich oder privat – tatsächlich stärker in die
Breite tragen, braucht es eine Reform aus einem
Guss: Die Informationen über bereits bestehende
8 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
Rentenansprüche sollten verbessert, die Spielräume
für Vorsorge durch eine finanzielle Entlastung der Bürger vergrößert und die Säulen der individuellen Altersvorsorge weiter ausgebaut werden. Neben der bAV
gibt es vor allem bei der Riester-Rente Verbesserungsbedarf. Sie ist zwar schon heute für viele attraktiv;
ihre Akzeptanz ließe sich aber noch steigern, wenn sie
weiter vereinfacht würde. Wichtig sind auch bessere
Vorsorgeanreize für Geringverdiener. Denn gerade in
unteren Einkommensgruppen ist die Vorsorgeneigung
traditionell besonders gering.
Die Kleinen haben noch Potenzial
Aufwendungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern
für die bAV im Jahr - nach Unternehmensgröße
2.500 €
Arbeitgeber
2.000 €
Arbeitnehmer
(Entgeltumwandlung)
1.500 €
1.000 €
500 €
0€
10-49
Mitarb.
50-249 250-499 500-999 über 1000
Mitarb. Mitarb. Mitarb. Mitarb.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015
Die Versicherer sind die wichtigsten Partner der Altersvorsorge3000
für Bürger und Unternehmen. Das gilt
auch und gerade in Zeiten niedriger Zinsen, in denen
2500
die Versicherer ihr Angebot durch neue Produkte und
neue Garantieformen
ergänzen, um eine sichere und
2000
attraktive Altersvorsorge zu bieten (siehe Herausfor1500
derung der Niedrigzinspolitik).
Über 90 Millionen Lebensversicherungen
–
davon
40
Millionen Rentenpo1000
licen – und über 5,7 Millionen neue Verträge allein im
500 zeigen, dass die Bürger das Angebot
vergangenen Jahr
der Versicherer nutzen.
0
Die Dynamik beim Aufbau zusätzlicher Altersvorsorge,
zu der Versicherer einen wesentlichen Beitrag geleis(Lebensversicher
tet haben, ist in den letzten Jahren erlahmt. Es braucht
einen neuen Anstoß und zusätzliche Anstrengungen.
Dafür muss das Rad nicht neu erfunden werden. Es
würde reichen, ihm neuen Schwung zu verleihen.
Erstversicherung in Deutschland:
Anhaltend stabile Beitragsentwicklun
+7,1 %
Beiträg
Unsere Positionen
Betriebliche Altersversorgung einfacher und
attraktiver machen
Die vom Bundesarbeitsministerium angedachte Privilegierung gemeinsamer Einrichtungen der Tarifvertragsparteien zulasten betrieblicher Lösungen ist
der falsche Weg zu dem richtigen Ziel, die bAV insbesondere in den kleinen und mittleren Unternehmen
(KMU) stärker zu verbreiten. Ein faktisch zusätzlicher
Durchführungsweg macht die bAV noch komplizierter, beschädigt bestehende Versorgungswerke und erreicht gerade viele KMU nicht. Denn diese sind häufig
und bewusst nicht tariflich gebunden.
Um die Breitenwirkung der bAV zu vergrößern, muss
diese für Arbeitgeber einfacher werden. Der Dotierungsrahmen im Steuerrecht sollte es dem Arbeitgeber ermöglichen, seine standardmäßigen Versorgungszusagen auf nur einen Durchführungsweg zu
konzentrieren. Und wenn der Arbeitgeber es möchte,
sollte er bestehende Arbeitsverhältnisse außerdem
einfach und rechtssicher in jene neuen bAV-Modelle
einbeziehen können, die eine automatische Einbeziehung vorsehen.
Auch für Arbeitnehmer muss die bAV attraktiver werden. Dazu gehört etwa, dass auf die Leistungen nicht
der volle Beitragssatz zur gesetzlichen Kranken- und
Pflegeversicherung erhoben wird. Als Anreiz für Geringverdiener sollte eine gezielte steuerliche Förderung – z. B. ein pauschaler Zuschuss – eingeführt werden, die vom Arbeitgeber möglichst einfach verwaltet
werden kann.
Private Altersvorsorge muss sich lohnen
Ein wichtiges Instrument zur Förderung der privaten
Altersvorsorge bleibt die Riester-Rente, gerade für
Geringverdiener und Familien mit Kindern. Aber seit
2002 ist die Förderung nicht angepasst worden. Um
dem steigenden Vorsorgebedarf und den sinkenden
Zinsen Rechnung zu tragen, müsste das Fördervolumen mindestens um ein Drittel erhöht und in Zukunft automatisch angepasst werden. Konkret heißt
das: Die Grundzulage von derzeit 154 Euro sollte auf
mindestens 200 Euro angehoben werden und die
Kinderzulage generell 300 Euro betragen – also auch
für Kinder, die vor 2008 geboren wurden. Auch Selbstständige sollten gefördert und die Fördergrenze für
alle angehoben werden – analog zu Regelungen in der
bAV auf vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze
einschließlich Zulagen. Bezogen auf 2015 wäre das
eine Anhebung des Dotierungsrahmens von derzeit
2.100 Euro auf gut 2.900 Euro.
Vollanrechnung auf die Grundsicherung
beenden
Mit Blick auf Geringverdiener muss sowohl bei der betrieblichen als auch bei der privaten Vorsorge sichergestellt sein, dass sich individuelle Anstrengungen
auszahlen. Die Vollanrechnung von Leistungen der
privaten oder betrieblichen Vorsorge auf die Grundsicherung im Alter muss deswegen beendet werden.
Nur wenn, zum Beispiel durch die Einführung von
Freibeträgen, die Aussicht besteht, dass die Bemühungen sich am Ende auszahlen, gibt es überhaupt einen
Anreiz zu individueller Vorsorge.
Flexibilität in der Altersvorsorge
Die Gestaltung von flexiblen Übergängen in den Ruhestand („Flexi-Rente“) mit dem Ziel eines längeren
Erwerbslebens und gleitender Rentenübergänge ist
ein richtiger Ansatz. Wichtig ist, bei allen Überlegungen zur Flexi-Rente auch die private und betriebliche
Vorsorge mit in den Blick zu nehmen.
Renteninformationssystem aufbauen
Viele Bürger wissen nicht genau, wieviel Geld sie später aus der gesetzlichen, privaten und betrieblichen
Rente zu erwarten haben und wie groß ihre Vorsorgelücke gegebenenfalls ist. Um das Bewusstsein für
die Notwendigkeit einer individuellen Vorsorge zu
schärfen, sollte eine internetbasierte Informationsplattform aufgebaut werden. Per Mausklick könnte
sich dann jeder Bürger über seine gesamten Altersvorsorgeansprüche aus den verschiedenen Säulen der
Alterssicherung informieren.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 9
VERSICHERER ALS INVESTOREN
Als großer Wirtschaftsstandort ist Deutschland
auf funktionierende Verkehrswege und leistungsstarke Daten- und Stromnetze angewiesen. In der Vergangenheit wurde die Infrastruktur jedoch vernachlässigt.
Zu dem Befund kommen nicht nur etliche Studien, der
Substanzverlust ist vielerorts auch
Als großer Wirtschafts- nicht mehr zu übersehen.
standort ist Deutschland auf leistungsstarke
Verkehrs- und Stromnetze
angewiesen.
Die Bundesregierung will nun die
Modernisierung der Infrastruktur
vorantreiben. Das hat sie im aktuellen Jahreswirtschaftsbericht als
eines ihrer Kernanliegen definiert. Die Aufgabe wird
zu einem finanziellen Kraftakt: Laut dem Institut der
deutschen Wirtschaft (IW) müssen in den nächsten
zehn Jahren 120 Milliarden Euro in die Infrastruktur
fließen, davon 80 Milliarden in Fernstraßen und Brücken, der Rest in den Ausbau der IT- und Stromnetze.
Eine wichtige Rolle bei der Finanzierung von Infrastrukturprojekten sollen institutionelle Investoren
spielen. Die Bundesregierung verspricht sich davon
Effizienzvorteile und eine Entlastung von Projekt- und
Kostenrisiken. Eine vom Bundeswirtschaftsministerium ins Leben gerufene Expertenkommission hat
bereits Pläne präsentiert, wie unter anderem private
Geldgeber sinnvoll eingebunden werden können.
70,5
51,6
4
Auch auf europäischer Ebene tut sich was. Mit dem
13
8,5 Juncker-Investitionsplan
8
sogenannten
will die EU die
Wirtschaft
ankurbeln
und die Arbeitslosigkeit bekämp13,7 15,1
19,6
fen.
Initiative ist der europäische Fonds
72,7Kernstück
11,8 der 1,7
für strategische Investitionen (EFSI). Er soll ein Volumen
von 315 Milliarden Euro haben und weitestgehend von
Privatinvestoren gefüllt werden. Um Geldgeber anzulocken, will die EU sie teilweise von den Risiken entlasten.
Die deutschen Versicherer mit einem Kapitalanlagebestand von rund 1,4 Billionen Euro stehen als Partner
bereit. Die Investitionszyklen der Infrastrukturprojekte
von 20, 30 und mehr Jahren passen gut zum langfristig ausgerichteten Geschäftsmodell. Zugleich bieten
die Nutzungsgebühren relativ planbare und stetige
Rückflüsse, die die Versicherer benötigen, um die Leistungsversprechen gegenüber ihren Kunden erfüllen zu
können.
Derzeit entfällt weniger als ein Prozent der Kapitalanlagen der deutschen Versicherer auf den Bereich Infrastruktur und Erneuerbare Energien. Würde die Branche den Anteil nur um einen Prozentpunkt ausbauen,
käme ein Betrag von rund 14 Milliarden Euro zusammen. Dafür aber müssen die Bedingungen stimmen.
Am wichtigsten ist ein verlässlicher Rechtsrahmen.
Versicherer brauchen Planungssicherheit. Einmal aufgestellte Regeln dürfen nicht rückwirkend geändert
werden. Nötig sind auch regulatorische Verbesserungen. Mit der kürzlich verabschiedeten Änderung der
Anlageverordnung wurde auf nationaler Ebene bereits
ein wichtiger Schritt9 getan. Hilfreich wäre nun auch
eine geringe Eigenmittelunterlegung
für Infrastruktu8
rinvestitionen (siehe7Solvency II).
Der große Verschleiß
Zustand der Fernstraßen in Deutschland; Anteil in Prozent
8,5
13
8
15,1
70,5
sehr gut
11,8
19,6
Autobahnen
Bundesstraßen
51,6
13,7
gut bis befriedigend
1,7
4
Brücken
an Fernstraßen
72,7
schlecht
sehr schlecht
Quelle: Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur
10 | GDV – Die Positionen der
deutschen Versicherer 2015Brücken an Fernstraßen
Bundesstraßen
sehr gut
Zinsniveau 10-jährige Bundesanleihen [linke Achse]
6
5,7
5 Verbesserung der InvestitionsUm eine
5,1
4
bedingungen
geht es auch bei der Kapi3
talmarktunion.
Die EU-Kommission will
2 einen grenzüberschreitenden
bis 2019
1,5
1
Kapitalmarkt
schaffen,
der die bestehen0
de Fragmentierung in Europa beseitigt.
2011
2012
2013
Die Politik verspricht sich davon eine bessere Kreditversorgung der Realwirtschaft
und mehr Finanzierungsmöglichkeiten
insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen, die bislang noch
stark von Bankkrediten abhängen. Die
vorgestellten Pläne gehen aus Sicht der
deutschen Versicherungswirtschaft in
die richtige Richtung.
3,15 %
2014
Unsere Positionen
Rechtssicherheit und Vertrauen sicherstellen
Planungssicherheit, aufsichtsrechtliche Stabilität
sowie ein verlässlicher ordnungspolitischer Rahmen
sind die entscheidenden Voraussetzungen für das
finanzielle Engagement von Versicherern. Wegen ihrer treuhänderischen Verpflichtung gegenüber ihren
Kunden müssen sie ihre Anlageentscheidungen stets
auch auf eine möglichst hohe Rechtssicherheit stützen. Dies gilt umso mehr für die sehr langfristigen Investitionen in Infrastruktur und Erneuerbare Energien
– mit Laufzeiten von 20, 30 und teilweise noch mehr
Jahren. Die zum Investitionszeitpunkt geltenden Regelungen und Rahmenbedingungen dürfen deshalb
von der Politik nicht nachträglich geändert werden.
Rückwirkende Eingriffe würden das Vertrauen der Investoren erheblich beschädigen.
Ökonomische Rahmenbedingungen für
private Investitionen verbessern
Bei der Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur
und kommunaler Einrichtungen mangelt es noch an
Projekten, die infolge ihrer Größe bzw. ihres Finanzierungsvolumens für institutionelle Investoren geeignet
sind. Zudem dauern die Genehmigungsprozesse – insbesondere bei größeren Neubauten – sehr lange. Der
Ausgang der Verfahren und der Zeitplan sind wegen
der vielen beteiligten Behörden für Investoren kaum
planbar. Neben einem ausreichenden Angebot an Investitionsmöglichkeiten wäre es deshalb wünschenswert, wenn die Planung und Umsetzung der Projekte
stärker zentralisiert wären. Das gilt sowohl für die Ausschreibung als auch die Vergabe und Steuerung. Um
Kosten zu senken, sollten zudem die Vertragswerke
möglichst standardisiert und verschlankt werden.
Entflechtungsvorschriften lockern
Investitionen der Versicherer in Erneuerbare Energien
und Infrastruktur werden auch durch aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen erschwert. Ein Beispiel
dafür sind die von der EU vorgegebenen Entflechtungsvorschriften, die eine strikte Trennung von
Energieerzeugung und -transport vorschreiben. Diese
Einschränkung führt dazu, dass sich Investoren nur für
eine Variante entscheiden können und damit das zur
Verfügung stehende Finanzierungsvolumen privater
Kapitalgeber geringer ausfällt. Vor diesem Hintergrund sollten die maßgeblichen Richtlinien 2009/72/
EG und 2009/73/EG mittelfristig überarbeitet werden,
um privaten Investoren die Finanzierung von Projekten entlang der gesamten energiewirtschaftlichen
Wertschöpfungskette zu ermöglichen. Da eine Überarbeitung der Richtlinien länger dauern dürfte, sollte
in der Zwischenzeit zumindest die von der Europäischen Kommission geforderte Folgenabschätzung
(Impact Test) deutlich vereinfacht werden. Damit können Investoren die Genehmigung der Europäischen
Kommission für Projekte einholen, die zwar formal
den Entflechtungsvorschriften widersprechen, nicht
aber den Zielen zuwiderlaufen. Eine Vereinfachung
des Impact Test ist notwendig, da er für Investoren mit
einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand sowie
großer Unsicherheit verbunden ist.
Kapitalmarktunion: Harmonisierung ohne
Aufweichung bewährter Standards
Die deutsche Versicherungswirtschaft bewertet die
Initiative der EU-Kommission für eine europäische
Kapitalmarktunion grundsätzlich positiv. Eine sinnvolle Harmonisierung würde es den Versicherern
erleichtern, ihre Anlagen zu erweitern und über Ländergrenzen hinweg zu diversifizieren. Bei der Vereinheitlichung der Regeln ist es jedoch wichtig, dass
bewährte Standards und Finanzinstrumente nicht
beeinträchtigt werden. Dies gilt beispielsweise für die
in Deutschland etablierten Schuldscheindarlehen, die
eine sinnvolle Alternative zu Bankkrediten darstellen.
Wünschenswert sind zudem einheitliche Qualitätsund Informationsstandards für gedeckte Schuldverschreibungen („Covered Bonds“) und Pfandbriefe, um
den Prüf- und Kostenaufwand für Investoren zu senken. Doch auch hier gilt: Bewährte Qualitätsstandards,
die etwa der deutsche Pfandbrief erfüllt, dürfen nicht
gefährdet werden. Die deutsche Versicherungswirtschaft unterstützt auch das Vorhaben, den Markt für
Verbriefungen („Asset Backed Securities“) durch die
Einführung von Qualitätsstandards und verbesserte
Transparenz zu beleben. Allerdings sollten die Regelungen so gestaltet sein, dass sie zu gleichen Wettbewerbsbedingungen für alle Investoren führen.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 11
SOLVENCY II
Für die Versicherungsunternehmen wird es ernst:
Die Vorbereitungen für das neue Aufsichtssystem Solvency II gehen auf die Zielgerade. Am 1. Januar 2016
tritt das Regelwerk in Kraft. Es vereinheitlicht die Vorschriften in Europa und soll sicherstellen, dass Versicherer auch schwere Krisen
Das neue System verknüpft verkraften können.
die Eigenmittelanforderungen mit den Risiken, die ein
Unternehmen.
Damit geht ein langer Prozess
zu Ende. Bereits vor mehr als
15 Jahren reiften erste Ideen
für eine Reform der Versicherungsaufsicht. Aufsichtsbehörden sollten in die Lage versetzt werden, Risiken
frühzeitig zu erkennen und einzugreifen. Es folgten
jahrelange Verhandlungen auf politischer Ebene und
insgesamt sechs Auswirkungsstudien, ehe die ursprüngliche Idee in ein zukunftsfähiges Aufsichtssystem mündete.
Um den Wechsel in das neue System zu ermöglichen,
enthält Solvency II einige Übergangsvorschriften. Diese geben den europäischen Versicherern bis zu 16 Jahre Zeit, die Bewertungsmethodik ihrer Rückstellungen
den neuen Vorgaben komplett anzupassen. Die Lösung
trägt der extrem langen Laufzeit der Verpflichtungen
von Versicherern Rechnung und hilft bei der Abbildung
langfristiger Garantien.
Solvency II hat den Charakter eines Frühwarnsystems.
Es verknüpft die Eigenmittelanforderungen mit den Risiken, die ein Unternehmen eingeht. Dabei wird die Gefahr von Kapitalmarktverlusten ebenso berücksichtigt
wie versicherungsspezifische Risiken, falls etwa Anzahl
und Ausmaß von Naturkatastrophen über die kalkulierten Schäden hinausgehen. Komplettiert wird diese
Gesamtschau durch operationelle Risiken. Dazu zählen
mögliche Verluste durch menschliches Versagen.
Bis zum Start in gut sechs Monaten bleibt noch viel zu
tun. So lang der Weg zu Solvency II auch war, so eng
getaktet ist die Schlussphase. Zu Jahresbeginn sind
die delegierten Rechtsakte der Europäischen Kommission in Kraft getreten, die das neue Aufsichtssystem
konkretisieren. Mit der Novelle des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) wurden im April die europäischen
Vorgaben in nationales Recht umgesetzt. Parallel dazu
setzt die Finanzaufsicht BaFin die seit 2014 laufende
Vorbereitungsphase fort, um einen sicheren Start zu
gewährleisten.
Dicker als die Bibel
Ausmaß der Dokumente zu Solvency II in Zentimeter*
* einseitig bedruckt;
Annahme: 1 Seite = 0,1 mm
Quelle: GDV 2015
+ EIOPALeitlinien
(Vorbereitungsphase)
MüllerReport
April
1997
Solvency II stellt zudem detailliertere Anforderungen
an die Geschäftsorganisation. Versicherer müssen
nunmehr etwa eine unternehmenseigene Risiko- und
Solvabilitätsbeurteilung durchführen. Auch der Berichtsumfang wird nochmals größer: Neben vielen
quantitativen Kennzahlen müssen die Unternehmen
künftig regelmäßig Details zu ihrer Geschäftsorganisation an die Aufsicht melden.
+ Quick-Fix
+ Omnibus
+ EIOPA Technische
II-Richtlinie
Durchführungs+ EIOPA Technische standards (Set 2)
Durchführungs- + Entwurf EIOPAstandards (Set 1)
Leitlinien (Set 2)
+ Vorbereitungsphase (EIOPA-TS,
nationale Spezifika, BaFinVerlautbarungen)
+ Delegierte Verordnung
+ EIOPA-Äquivalenzbewertungen
+ EIOPA-Leitlinien (Set 1)
+ BaFin-Verlautbarungen
+ VAG
6.716 Seiten
= ca.
67,2 cm
Solvency-IIRichtlinie
November
2009
September
2013
Juni
2014
Dezember
2014
Die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA hat
ferner Leitlinien und technische Durchführungsstandards erarbeitet, die wichtige Details zu den Kapitalund Berichtsanforderungen enthalten. Zusammen
umfassen die Dokumente mehrere tausend Seiten. Die
Umsetzung der vielen Vorgaben verlangt den Unternehmen einiges ab und ist für alle mit einem großen
Aufwand verbunden.
Februar
2015
12 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
Daher müssen bei der Umsetzung vorhandene Gestaltungsspielräume erhalten bleiben. Das Proportionalitätsprinzip muss gelebt werden, wonach die
Anforderungen von Art, Umfang und Komplexität der
eingegangenen Risiken abhängen. Und ehe über neue
Vorschriften nachgedacht wird, sollte Solvency II erst
einmal eingeführt und erprobt sein, um zu sehen, ob
es überhaupt noch Regulierungslücken gibt.
Unsere Positionen
Zinszusatzreserve bei
Übergangsmaßnahmen berücksichtigen
Die mit Solvency II vereinbarten Übergangsmaßnahmen sind Teil eines gesamteuropäischen Pakets, um
die langfristigen Garantien der Versicherer angemessen abzubilden. Unternehmen müssen die Regeln
uneingeschränkt nutzen können, ihre Wirksamkeit
darf nicht nachträglich – und gegen den politischen
Willen – begrenzt werden. Daher darf auch eine nationale Besonderheit wie die Zinszusatzreserve (ZZR)
nicht dazu führen, dass die Übergangsmaßnahmen
verpuffen. Die ZZR dient dazu, die Garantien abzusichern und die Risikotragfähigkeit der Unternehmen
zu erhöhen (siehe Herausforderungen der Niedrigzinspolitik). Sie kann sich jedoch beim Übergang zum
Solvency II-Regime negativ auf die Solvabilität der
Unternehmen auswirken.
Proportionalitätsprinzip beachten
Solvency II enthält viele neue Berichtsanforderungen,
die vor allem kleine und mittlere Versicherer enorm
belasten. Bei der Umsetzung der Vorgaben muss
daher das Proportionalitätsprinzip – eines der Kernelemente von Solvency II – konsequent angewendet
werden. Nur so kann es gelingen, dass die Regeln in
allen Unternehmen – unabhängig von Größe und
Rechtsform – umgesetzt werden. So erlaubt etwa die
Rahmenrichtlinie, dass Mitgliedstaaten kleine und
mittlere Unternehmen von der Quartals- oder Einzelpostenberichterstattung befreien können. Diese Option sollte die Aufsicht auch konsequent nutzen. Dies
gilt insbesondere für die vierteljährliche Aufstellung
einer Solvabilitätsübersicht, die nach den bisherigen
Plänen für alle Versicherer verpflichtend bleiben soll.
Entbürokratisierung vorantreiben
Der Start von Solvency II bietet eine gute Gelegenheit, um Doppelarbeiten, Redundanzen und Widersprüche zu identifizieren und zu beseitigen. Beispiel
Berichterstattung: 2016 wird Solvency I zwar abgelöst, dennoch bleiben für Solvency II-Anwender einige der alten Berichtsanforderungen bestehen. Auch
die neuen Vorschriften für die Ausgliederung von
Unternehmenstätigkeiten dürfen die Organisationsfreiheit nicht unverhältnismäßig einengen. Sie sollten sich auf wesentliche Tätigkeiten mit Bezug zum
Versicherungsgeschäft beschränken. Zudem muss
eine flexible Handhabung bei konzerninternen Ausgliederungen gewährleistet sein.
Vor allem die technischen Durchführungsstandards
und EIOPA-Leitlinien ufern in Bürokratie aus. Die Regeln, etwa zu den Kapital- und Berichtsanforderungen oder aufsichtsrechtlichen Maßnahmen, haben
einen Umfang von mehreren tausend Seiten, obwohl
Solvency II noch gar nicht in Kraft ist. Zukünftig sollte
erst nach der Umsetzung und den ersten Erfahrungen
der Anwendung von Solvency II eine Bewertung hinsichtlich möglicher Regulierungslücken stattfinden.
Nachbesserungsbedarf gibt es auch bei den Vergütungsregeln: Die europäischen Vorgaben dazu und
die deutsche Versicherungsvergütungsverordnung
stimmen nicht überein, beide sind für die betroffenen Unternehmen aber verbindlich. Die Vorgaben
sind in Einklang zu bringen, um eine doppelte oder
gar widersprüchliche Regulierung zu vermeiden und
die bestehende Unsicherheit zu beseitigen. Dies
muss rechtzeitig geschehen, damit die Unternehmen
für den 1. Januar 2016 gut vorbereitet sind.
Eigenmittelanforderungen für
Infrastrukturinvestitionen reduzieren
Noch vor dem Start von Solvency II hat die EUKommission eine Überprüfung ihrer delegierten
Rechtsakte angestoßen. Sie betrifft die Behandlung
von Infrastrukturinvestitionen. Für solche Anlagen
ist bislang eine Eigenmittelunterlegung von bis zu
59 Prozent vorgesehen. Analysen zeigen jedoch, dass
sich die Zahlungsströme von Infrastrukturprojekten,
die für die Versicherungswirtschaft infrage kommen,
über einen langen Zeitraum recht sicher voraussagen
lassen. Gemessen daran sind die Eigenmittelanforderungen unverhältnismäßig hoch. Für risikoarme
Infrastrukturanlagen sollte deshalb unter Solvency II
eine neue Risikoklasse einführt werden – mit einer
Eigenmittelanforderung von maximal 20 Prozent.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 13
INTERNATIONALE REGULIERUNG
Während der Start von Solvency II für den europäischen Versicherungsmarkt einen wichtigen Meilenstein markiert, gehen die Regulierungsarbeiten auf
globaler Ebene weiter: Im Zentrum steht vor allem
ComFrame – eine Rahmenvereinbarung, die unter
Führung der Internationalen Vereinigung der Versicherungsaufseher (IAIS) entsteht und die planmäßig
2019 umgesetzt werden soll. Damit wollen die Aufseher die Kontrolle international tätiger Versicherungsgruppen (IAIGs) sicherstellen und
Nicht nur das Aufsichtsdie global zum Teil deutlich abweiregime wird von interchenden Aufsichtsregeln und -menationalen Entwicklunthoden vergleichbar machen.
gen beeinflusst, auch
die globalen Bilanzierungsstandards.
Der IAIS geht es inzwischen jedoch
um mehr als nur eine Verständigung auf global anwendbare Prinzipien. Auf Initiative des Finanzstabilitätsrats (Financial
Stability Board, FSB) hat das Gremium im Frühjahr sein
Konzept eines „Global International Capital Standard“
(ICS) vorgelegt. Dieses läuft auf einen eigenständigen
Kapitalstandard für international tätige Versicherungsgruppen hinaus. Aktuell prüft das Gremium
diverse Vorschläge, um das Problem der international
abweichenden Bewertungsansätze zu lösen und die
angestrebte Vergleichbarkeit zu erreichen. Parallel
Mehrfache Kontrolle
Zukünftige Architektur der
Versicherungsaufsicht
Quelle: GDV 2015
G-SIIs
Zusätzliche Regeln
für global systemrelevante Versicherer
(z. B. höhere Kapitalanforderungen,
Abwicklungspläne)
ComFrame/ICS
Ergänzende Regeln für alle international
aktiven Versicherungsgruppen
(z. B. Kapitalanforderungen, Unternehmensführung und Berichtswesen)
Solvency II
Einheitliche Regeln für alle Versicherungsunternehmen
und -gruppen in Europa
(z. B. Kapitalanforderungen, Unternehmensführung und Berichtswesen)
dazu erarbeitet die IAIS die Kriterien, nach denen global tätige Versicherungsgruppen identifiziert werden.
Und die IAIS bestimmt die Anforderungen, die Unternehmen etwa in Bezug auf ihre Governance-Strukturen unter ComFrame erfüllen müssen.
14 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
Die Entwicklung zeigt, dass auf viele Unternehmen
neue Anforderungen zukommen, die im besten Fall
auf den Solvency II-Regeln aufbauen, sie im schlimmsten Fall aber obsolet machen. Unsicherheit besteht
zudem darüber, wer als IAIG eingestuft wird. Nach den
derzeitigen Plänen der IAIS würden selbst Versicherer,
die ausschließlich in mehreren EU-Ländern aktiv sind,
ebenfalls ComFrame anwenden müssen, obwohl sie
mit Inkrafttreten von Solvency II einer einheitlichen
Regulierung unterliegen.
Änderungen an Solvency II drohen noch aus anderem
Grund: ComFrame soll auch Regeln für das Krisenmanagement und die Abwicklung von IAIGs beinhalten.
Wieder wird die Diskussion stark vom Finanzstabilitätsrat FSB geprägt. Bei der Vorlage seiner Pläne für
Abwicklungsregime von Finanzunternehmen Ende
2014 hat das FSB deutlich gemacht, dass es erweiterte Anforderungen nicht nur für IAIGs und die als
global systemrelevant eingestuften Versicherungsgruppen (G-SIIs) für notwendig hält. Nun denkt auch
die EU-Kommission darüber nach, die Eingriffsbefugnisse der Behörden bei der Abwicklung von Versicherern über die in Solvency II verankerten Regeln hinaus
auszuweiten.
Doch nicht nur das Aufsichtsregime wird von internationalen Entwicklungen beeinflusst, sondern auch die
global geltenden Rechnungslegungsstandards (International Financial Reporting Standards, IFRS). Sie sind
für die externe Finanzberichterstattung kapitalmarktorientierter Versicherungsunternehmen relevant.
Der unabhängige Standardsetzer – das International
Accounting Standards Board (IASB) – befasst sich seit
Jahren mit der fundamentalen Überarbeitung der
zentralen IFRS-Standards. Es zeichnet sich ab, dass das
IASB 2015 und 2016 entscheidende Weichen stellen
wird. Anschließend muss die EU entscheiden, ob die
überarbeiteten IFRS-Standards ins EU-Recht übernommen werden.
Von Bedeutung ist auch die FinanzkonglomerateRichtlinie, die für Versicherer relevant ist, die einem
Finanzverbund angehören. Die EU-Kommission hatte
die Arbeiten 2012 zurückgestellt, 2015 könnte die seit
langem angekündigte umfassende Überarbeitung jedoch wieder aktuell werden.
­
Unsere Positionen
ComFrame/ICS:
Keine Revision von Solvency II
Für die Umsetzung von Solvency II hat die deutsche
Versicherungswirtschaft bereits große Anstrengungen unternommen. Das moderne Aufsichtssystem
darf deshalb inhaltlich nicht durch abweichende
internationale Standards aufgeweicht werden. Das
IAIS-Regelwerk muss mit Solvency II kompatibel sein.
Dies gilt insbesondere für die Kapitalanforderungen
(ICS) für international tätige Versicherungsgruppen.
Die Erfahrung mit Solvency II zeigt auch, dass die Entwicklung eines soliden Aufsichtsregimes Zeit braucht.
Das gilt umso mehr für ein internationales Projekt wie
ComFrame, wo unterschiedliche Aufsichtskulturen
aufeinandertreffen und in einem einheitlichen Ansatz
vereint werden müssen. Der ambitionierte Zeitplan
des Projekts und der damit erzeugte Druck zur Kompromissfindung gibt Anlass zur Sorge, dass zentrale
Bausteine des Solvency II-Konzepts wieder zur Disposition gestellt werden könnten.
ComFrame/ICS:
Faire Wettbewerbsbedingungen schaffen
International aktive Versicherungsgruppen aus
Deutschland konkurrieren mit Unternehmen, die in
ihrem Heimatland mitunter weniger stark reguliert
sind. Daher ist es von grundlegender Bedeutung, dass
mit ComFrame gleiche und faire Voraussetzungen für
den Wettbewerb geschaffen werden. Das setzt klare
Regeln voraus, die in allen Rechtsräumen voll umgesetzt werden müssen.
Sanierungs- und Abwicklungsregime:
Versicherungsspezifika beachten
Die Pläne des FSB zur Ausrichtung von Sanierungs- und
Abwicklungsregimen für Versicherer sind erkennbar
von den Erfahrungen aus der Bankenkrise beeinflusst.
Eine Übernahme von bankengeprägten Modellen im
Versicherungsbereich wäre jedoch verfehlt. Solvency II bietet ein austariertes Eingriffsinstrumentarium für die Bewältigung von Krisen, das im Sinne der
Versicherungsnehmer und der Finanzmarktstabilität
auf einen weitgehenden Werterhalt ausgerichtet ist.
Demgegenüber zielen die vom FSB angedachten Eingriffe auf eine zügige Abwicklung von notleidenden
Unternehmen ab, um vermeintliche Ansteckungseffekte zu unterbinden.
Finanzkonglomerate: Aufsicht überprüfen
Die anstehende Überarbeitung der Finanzkonglomerate-Richtlinie sollte sich mit der Frage befassen, ob
eine zusätzliche Beaufsichtigung noch erforderlich
ist. Denn sowohl im Banken- als auch im Versicherungssektor wurden die Aufsichtsregime in der Vergangenheit grundlegend überarbeitet, wobei auch
sektorübergreifende Risiken berücksichtigt wurden.
Eine zusätzliche Regulierung von Finanzverbünden
führt nur zu mehr Bürokratie ohne nennenswerten
Erkenntnisgewinn.
Rechnungslegung:
Aussagekraft der IFRS-Abschlüsse sichern
Deutsche Versicherer müssen auch mit der IFRSRechnungslegung ihr Geschäftsmodell abbilden
können. Deshalb braucht es Regeln, die auch und vor
allem die Besonderheiten der Lebensversicherungsprodukte mit den für sie charakteristischen, langfristigen Garantien angemessen berücksichtigen.
Eine ökonomisch ungerechtfertigte Volatilität im Ergebnisausweis in der Gewinn- und Verlustrechnung
der Versicherer sollte vermieden werden. Auch eine
aussagekräftige Darstellung der eingegangenen Versicherungsverpflichtungen in der Bilanz muss sichergestellt sein. Die deutsche Versicherungswirtschaft
hat hierzu einen Bilanzierungsansatz entwickelt, der
auf dem Grundmodell des IASB aufbaut. Er sollte vom
Standardsetzer als Gesamtpaket akzeptiert werden.
Nicht zuletzt erfordert der inhärente Zusammenhang
zwischen Versicherungstechnik und Kapitalanlagen,
dass die IFRS-Standards zur Bilanzierung der Finanzinstrumente (IFRS 9) und zur Bilanzierung der Versicherungsverträge (IFRS 4 Phase II) zueinander passen.
Entscheidend für eine sachgerechte Umsetzung ist
auch, dass die zusammenhängenden IFRS-Standards
zeitgleich zur Anwendung kommen.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 15
EUROPÄISCHE AUFSICHTSSTRUKTUREN
Die europäische Finanzmarktaufsicht funktioniert nicht immer reibungslos. Das verwundert nicht,
schließlich handelt es sich um ein junges Gebilde. Der
europäische Gesetzgeber hatte erst 2009 die Strukturen grundlegend umgestaltet, nachdem in der Finanzkrise erhebliche Defizite bei der Zusammenarbeit und
der Kommunikation zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden deutlich geworden sind. Vorrangiges
Ziel des neuen, 2011 in Kraft getretenen Europäischen
Systems für die Finanzaufsicht (ESFS) war deshalb,
die dezentrale und auf die Mitgliedstaaten bezogene
Aufsichtsstruktur zu überwinden. Der Blick sollte sich
verstärkt auf die Risiken für den euDas Drei-Säulenropäischen Finanzmarkt als Ganzes
Modell der europäirichten.
schen Finanzaufsicht
hat sich bewährt.
Die heutige Aufsichtsstruktur fußt
auf einem Drei-Säulen-Modell. Jeder Teilbereich des Finanzmarkts hat seine eigene, unabhängige europäische Aufsichtsbehörde: die EIOPA
für das Versicherungswesen und die betriebliche Al-
Auf drei Säulen
Aufbau des Europäischen Finanzaufsichtssystems (ESFS)
Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (ESRB)
Sitz bei der EZB in Frankfurt am Main
Gemeinsamer Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden
EBA*
EIOPA
ESMA
Europäische
Bankenaufsichtsbehörde
Europäische Aufsichtsbehörde für das
Versicherungswesen
und die betriebliche
Altersvorsorge
Europäische
Wertpapier- und
Marktaufsichtsbehörde
London
Frankfurt / Main
Paris
Nationale
Aufsichtsbehörden
Nationale
Aufsichtsbehörden
Nationale
Aufsichtsbehörden
* Die operative Aufsicht über die 130 größten Banken
übt im Rahmen der Bankenunion zentral die EZB aus.
Quelle: GDV 2015
tersvorsorge, die EBA für die Banken und die ESMA für
den Wertpapierbereich. Dahinter steht der Gedanke,
dass unterschiedliche Geschäftsmodelle ein sektorenspezifisches Know-how auf Seiten der Aufsicht erfordern. Aktuell ist allerdings festzustellen, dass diese
16 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
drei European Supervisory Authorities (ESAs) – entgegen dem Grundgedanken des Drei-Säulen-Modells
– vermehrt Entscheidungen im Gemeinsamen Ausschuss treffen. Diese Entscheidungen werden in der
konkreten Ausgestaltung dann allerdings nicht mehr
an die sektorspezifischen Besonderheiten angepasst.
Mit der neuen Struktur wurde auch die Aufgabenverteilung zwischen nationaler und europäischer Versicherungsaufsicht neu geregelt: Die laufende Kontrolle
der Unternehmen liegt weiterhin bei den nationalen
Aufsehern, in Deutschland bei der Finanzaufsicht BaFin. Dies ist wegen des erforderlichen engen Kontakts
zu den Unternehmen und wegen der guten Marktkenntnis auch sinnvoll. Die Aufgabe der EIOPA besteht
darin, die Aufsicht zu koordinieren und sicherzustellen, dass die Regeln in den EU-Mitgliedstaaten einheitlich angewendet werden. Nur in eng begrenzten
Ausnahmefällen darf die EIOPA auch direkt gegenüber
den Versicherungsunternehmen tätig werden. Darüber hinaus ist sie als Expertenbehörde stark in die
Finanzmarktregulierung eingebunden.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die in der
neuen Aufsichtsstruktur gestellten Weichen richtig
sind. Aktuell ist eine Debatte über die Zukunft des
europäischen Aufsichtssystems im Gange. Mitte 2014
hatte die Europäische Kommission einen Bericht vorgelegt, in dem sie mittel- bis langfristig Änderungen
am ESFS vorschlägt. Sie laufen darauf hinaus, die Befugnisse der ESAs zu erweitern.
Wichtige Fragen, die ebenfalls Teil der notwendigen
Grundsatzdiskussion sein sollten, greift der Bericht
aber nicht hinreichend auf. So ist zu klären, wie
künftig die demokratische Kontrolle und politische
Verantwortungsübernahme der unabhängigen Aufsichtsbehörden sichergestellt werden kann. Dies gilt
insbesondere mit Blick auf die Kompetenz der EIOPA,
Leitlinien zu erlassen. Diese Vorgaben der Aufsicht entfalten in der Praxis eine faktische Verbindlichkeit, sind
aber dem demokratischen Prozess entzogen. Auch
Fragen der erforderlichen Begrenzung der bestehenden Exekutivbefugnisse, etwa die Verhängung eines
Produktverbots, sind noch offen. Dies betrifft auch die
von der Europäischen Kommission angestoßene Frage
der künftigen Finanzierung der Aufsichtsbehörden.
­
Unsere Positionen
Grundsatzdiskussion über Rollenverteilung
im ESFS
In ihrem Evaluierungsbericht zur Zukunft des ESFS
schlägt die Europäische Kommission langfristig eine
Stärkung der europäischen Aufsichtsbehörden vor.
Nach der erst 2011 in Kraft getretenen Neuordnung
der Finanzmarktaufsicht müssen aber zunächst noch
mehr Erfahrungen gesammelt und ausgewertet werden. Erst mit dem Start von Solvency II im kommenden
Jahr werden die Aufsichtsbehörden ihre Arbeit vollständig aufnehmen. Gravierenden Änderungen sollte
zudem eine Grundsatzdiskussion vorangehen. Es geht
vor allem darum, wie die demokratische Kontrolle der
europäischen Aufsichtsbehörden sichergestellt und die
Exekutivbefugnisse im Verhältnis zwischen nationalen
und europäischen Aufsichtsbehörden klar abgegrenzt
werden können.
Befugnisse der Aufsichtsbehörden
angemessen regeln
Neben den vom Europäischen Parlament und Rat verabschiedeten verbindlichen Rechtsakten wie Verordnungen und Richtlinien sieht das europäische Recht
auch die Festlegung unverbindlicher Leitlinien vor.
Diese werden von den drei europäischen Aufsichtsbehörden ausgegeben und sollen dabei helfen, die
verbindlichen Vorgaben des EU-Gesetzgebers zu harmonisieren. Diese Leitlinien dürfen jedoch nicht über
die Basisrechtsakte hinausgehen und den Gesetzgebungsprozess aushebeln. Für die Ausgabe von Leitlinien braucht es deshalb eine klare Ermächtigung durch
den europäischen Gesetzgeber. Gleichzeitig müssen
EU-Parlament und EU-Kommission über ausreichende
Kontrollrechte verfügen.
Sektorale Aufsicht erhalten und stärken
Das Drei-Säulen-Modell in der europäischen Finanzaufsicht hat sich bewährt. Es stellt sicher, dass die Belange
der drei Sektoren angemessen berücksichtigt werden
und die Aufsichtsbehörden über spezialisierte Kenntnisse verfügen. Gleichzeitig ist das europäische Finanz­
aufsichtssystem jedoch auch darauf angelegt, für alle
Sektoren möglichst übereinstimmende Regeln zu
finden. Dieser Grundsatz darf aber nicht dazu führen,
dass Lösungen erarbeitet werden, die den besonderen
Bedürfnissen der einzelnen Branchen nicht gerecht
werden. Eine klare Trennung zwischen den Sektoren ist
unabdingbar. Es darf beispielsweise keine undifferenzierte Übertragung von Bankenstandards auf andere
Sektoren geben.
Enge Grenzen für Verbote setzen
Die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA kann
in begrenzten Einzelfällen verbindliche Beschlüsse
gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden und
– in noch engeren Grenzen – gegen die Versicherer
erlassen. Dazu zählen etwa Warnungen oder Produktverbote. Dabei muss sichergestellt werden, dass
der Rechtsschutz der betroffenen Unternehmen bei
Aufsichtsmaßnahmen der ESAs gewährleistet ist. Der
Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil zum Verbot von Leerverkäufen den Möglichkeiten der ESAs für
solche Eingriffe enge Grenzen gesetzt. Dazu gehört beispielsweise die Bedingung, dass vor einem solchen Verbot die nationale Aufsichtsbehörde untätig geblieben
ist. Der europäische Regelungsrahmen sollte in diesem
Sinne konkretisiert werden; die bisherigen Vorschriften
sind noch nicht ausreichend.
Einheitlichen Berichtsweg sicherstellen
Ein Problem für Versicherungsunternehmen sind die
zunehmenden Berichtsanforderungen verschiedener Behörden. Mit einem einheitlichen Berichtsweg
können Redundanzen vermieden und eine effiziente
Berichterstattung gewährleistet werden. Statistische
Daten im Versicherungsbereich sollten daher nur durch
die deutsche Finanzaufsicht BaFin gesammelt und von
dort an andere interessierte Behörden weitergereicht
werden. Das Konzept eines einheitlichen Meldewegs
ist aber keine Einbahnstraße. Der gesamte Datenverkehr sollte zwischen den Versicherungsunternehmen
und der BaFin stattfinden. Wenn nachgelagerte Behörden Korrekturanforderungen stellen, so sollten die
Informationen über die BaFin an die Versicherer gehen
– und den gleichen Weg wieder zurück.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 17
VERBRAUCHERSCHUTZ
Der finanzielle Verbraucherschutz wird weiter gestärkt – auf nationaler wie europäischer Ebene. So
hat die Bundesregierung zahlreiche verbraucherpolitische Initiativen auf den Weg gebracht, die in diesem
Jahr ihre Wirkung entfalten werden. Neben der Etablierung der Marktwächter „Finanzen“ und „Digitale
Welt“ wurde der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen ins Leben gerufen. Im Kleinanlegerschutzgesetz findet der kollektive Verbraucherschutz als
Aufsichtsziel der BaFin nun auch eine gesetzliche Verankerung. Andere Maßnahmen, wie die in der Umsetzung befindliche EU-Richtlinie zur außergerichtlichen
Streitbeilegung, sind in der Versicherungsbranche mit
dem Ombudsmann als wirkungsvolle Schlichtungsstelle bereits erfolgreich etabliert.
So reichen die Vorschläge von der Einführung eines
europäischen Standardprodukts im Bereich der Altersvorsorge bis hin zu einem verpflichtend vorgegebenen, internen Produktprüfungsprozess (Product
Oversight and Governance). Versicherungsprodukte
im Bereich der Altersvorsorge sind jedoch auf die jeweiligen nationalen Vorsorgesysteme zugeschnitten
und müssen auch in Zukunft ihre sozialpolitische
Funktion erfüllen können.
Die konsequente Stärkung der Beratungsqualität ist
ein Kernanliegen der deutschen Versicherer. Viele ihrer Produkte sind beratungsintensiv, da sie sensible
Lebensbereiche betreffen. Um Versorgungslücken
beim Alterseinkommen oder hohen Kosten im SchaDie Stärkung der
denfall vorzubeugen, müssen Kunden weiterhin zur
Beratungsqualität ist
Auch auf EU-Ebene befinden sich ergänzenden privaten Vorsorge motiviert werden
zahlreiche verbraucherpolitische
können. Das Vertrauensverhältnis der Kunden zu
ein Kernanliegen der
Maßnahmen in Planung. Die europä- ihren Beratern ist dabei besonders wichtig. Um erdeutschen Versicherer.
ische Versicherungsaufsicht EIOPA ist
kannte Defizite zu beseitigen, wurden von der Brandabei häufig Treiber neuer regulatorischer Initiativen che verschiedene Verbraucherschutzmaßnahmen
– im Verbraucherbereich war wiederholt der gemein- umgesetzt. So arbeiten die dem Verhaltenskodex für
den Vertrieb beigetretenen Unternehmen
nur mit Vermittlern zusammen, die sich
nachweisbar und laufend fortbilden. Mit
Hohe Kundenzufriedenheit in Deutschland
der Weiterbildungsinitiative „gut beraten“
verpflichten sich Versicherungsvermittler
7,3
85
Vertrauen, dass
7,2
80
überdies freiwillig zu einer umfangreichen
gekaufte Police zu
7,1
75
Bedürfnissen passt;
Fortbildung.
7,0
6,9
6,8
6,7
6,6
6,5
6,4
70
65
60
55
50
45
in % der Befragten
In der politischen Wahrnehmung ist das Bild
des mündigen Verbrauchers, dessen Rechte
durch eine kompetente wie mandatsstarke
Finanzaufsicht garantiert
+ EIOPA-werden, vielfach
40
Leitlinien
i
e
n
n
d
n
h
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dem Bild eines Verbrauchers
gewichen,
e
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(Vorbereind Pole
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bei
allen
Anlageentscheidungen
zu
S
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Gr brit
u
e
Fr
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De
Quelle: Ernst & Young (2012)
schützen gilt. Zunehmend sollen auch verSolvency-IIMüllerhaltensökonomische
Richtlinie Ansätze in politische
Report
Initiativen einfließen. Mit sogenannten
same Ausschuss der europäischen Aufsichtsbehörden „Nudges“ sollen Verbraucher bei individuellen EntImpulsgeber (siehe Europäische Aufsichtsstrukturen). scheidungen, z. B. durch Standardvorgaben, beeinNationale bzw. versicherungsspezifische Besonder- flusst werden. Der gegenwärtige Trend zur Nutzung
heiten
oder
eine Folgenabschätzung
spielenFebruar
hier eher von Nudges im Regierungshandeln birgt jedoch auch
April
Nov.
September
Juni
Dezember
1997 eine
2009
2013
2014
2015
untergeordnete
Rolle. Auch2014
gibt es Widersprüche
Risiken. Verbraucherschutz durch Voreinstellungen
und Überlappungen zu Regulierungsvorhaben des und verhaltenssteuernde Gesetzgebung dürfen die
europäischen Gesetzgebers. Es ist zu befürchten, dass Selbstbestimmung der Verbraucher ebenso wie die
die Vorgaben teilweise über das Ziel hinausschießen. unternehmerische Freiheit nicht beschneiden.
Zufriedenheit mit
dem Service des
Versicherers; Skala
bis 10 (sehr gut)
Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere
(Lebensversicherung)
18 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
5%
80
70
60
Unsere Positionen
Gute Beratung: Wahlfreiheit für Kunden
Um den Zugang zu Versicherungsleistungen nicht
zu gefährden, darf der faire Wettbewerb zwischen
Honorarberatung und Provisionsvertrieb nicht beeinträchtigt werden. Kunden müssen weiterhin die Möglichkeit haben, die Art der Beratung zu wählen. Die
Neufassung der EU-Vermittlerrichtlinie (IMD2) sollte
dazu genutzt werden, die Koexistenz von Provisionsund Honorarberatung eindeutig zu regeln. Eine einseitige Fokussierung auf die Honorarberatung würde
das Versorgungsniveau besonders bei Menschen
mit geringeren Einkommen verschlechtern. Kunden
finden bereits heute ein breites Angebot an NettoPolicen, das bei einer steigenden Nachfrage ausgebaut werden könnte. Zudem gewährleistet die mit
dem Lebensversicherungsreformgesetz eingeführte
Angabe der Kostenbelastung der Produkte (Effektivkosten) die Vergleichbarkeit. Die einkalkulierten
Abschlusskosten werden bei Lebensversicherungen
bereits seit 2008 in Euro und Cent ausgewiesen.
G
ute Produkte: Produktinnovationen nicht
gefährden
Versicherungsunternehmen haben ein ureigenes Interesse an der Entwicklung attraktiver Produkte für
ihre Kunden, um im Wettbewerb bestehen zu können. Eine weitreichende Produktregulierung würde
die Unternehmen bei der Gestaltung neuer Angebote nachhaltig behindern und die Produktvielfalt
einschränken. Die Bestrebungen auf europäischer
Ebene zur weiteren Stärkung des kollektiven und
präventiven Verbraucherschutzes im Finanzbereich
(Product Oversight and Governance) dürfen nicht zu
einer detaillierten Produktkontrolle führen. Ein derartiger Paradigmenwechsel hin zu einer Einschränkung der unternehmerischen Freiheit und Angebotsvielfalt würde das anerkannte Ziel eines wirksamen
finanziellen Verbraucherschutzes konterkarieren
und damit den Wettbewerb zu Lasten der Kunden
beeinträchtigen.
G
ute Institutionen: Klare
Aufgabenverteilung im Verbraucherschutz
Für einen wirkungsvollen Verbraucherschutz sind
klar definierte Zuständigkeiten unerlässlich. Zu Recht
kommt der BaFin als staatliche Behörde die Aufgabe
zu, neben der Finanzmarktstabilität auch den kollektiven Verbraucherschutz sicherzustellen. Beide Ziele
müssen in Einklang gebracht werden. Sofern erforderlich, verfügt die BaFin bereits heute im Versicherungsbereich über die notwendigen Eingriffsinstrumente. Der Gesetzgeber hat zudem entschieden, die
Verbraucherzentralen ergänzend mit der Aufgabe des
Finanzmarktwächters zu betrauen. Zur Vermeidung
von Interessenkonflikten ist es sowohl bei der Frage
der konkreten Ausgestaltung der Befugnisse wie auch
bei der Frage der Finanzierung wichtig, klar zwischen
der politischen Interessenvertretung und der Aufklärungsfunktion zur Unterstützung der BaFin zu unterscheiden. Um die Skandalisierung von Einzelfällen zu
vermeiden, muss die Qualität der Erhebungen durch
den Finanzmarktwächter und eine Diskussion mit der
Anbieterseite sichergestellt werden.
G
ute Regulierung: Konsistenter
Regulierungsrahmen
Wie kaum eine andere Branche ist die Versicherungswirtschaft von einer starken Aufsicht und einer umfassenden, zunehmend europäischen Regulierung
geprägt. Aus der Perspektive der regulierten Unternehmen – des Rechtsanwenders – ist es daher wichtig, dass europäische und nationale Regulierung aus
einem Guss erfolgt. Widersprüchliche Regelungen
führen zur Rechtsunsicherheit und letztlich zu einer
Verteuerung der Produkte. Guter Verbraucherschutz
braucht auch technisch gute Gesetze. Soll ein Thema einheitlich in Europa reguliert werden, führt
eine 1:1-Umsetzung, nicht aber ein unkoordinierter
regulatorischer Wettbewerb (Goldplating) in den
Mitgliedstaaten zu der gewünschten Stringenz im
Binnenmarkt.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 19
DIGITALISIERUNG UND DATENSCHUTZ
Die zunehmende digitale Vernetzung aller Lebensbereiche verändert auch das Geschäft der Versicherer.
Von neuen Angeboten über die Automatisierung von
Geschäftsprozessen bis zur Optimierung der Kunden­
interaktion bietet die Digitalisierung das Potenzial,
viele Bereiche der Unternehmen grundlegend zu
verändern. Neue Wege in der Datenerfassung und
Datennutzung ermöglichen mittelSchutz und Integrität
bis langfristig auch neue innovative
der Kundendaten
Produkte und Dienstleistungen.
abgeschlossen, die von den Datenschutzbehörden
genehmigt wurde. Der sogenannte Code of Conduct
präzisiert die allgemeinen Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes für die Branche. Er gibt somit den
Versicherern klare Leitlinien und sichert ihren Kunden
ein hohes Datenschutzniveau. Mittlerweile sind mehr
als 290 Unternehmen dem Code of Conduct beigetreten, das entspricht fast 95 Prozent des Marktes. Diese
Versicherer müssen umfassende Datenschutz- und
Datensicherheitskonzepte vorweisen.
haben oberste Priorität.
Leitlinie für die Versicherer wird auch
in Zukunft sein, was der Kunde will. Die Studie „Generation Mitte 2014“ des GDV zeigte eine diffuse Angst vor
Datenmissbrauch. Die repräsentative Befragung der
30- bis 59-Jährigen machte aber auch deutlich, dass die
abstrakten Ängste die Menschen nicht davon abhielten, online einzukaufen und Dienstleistungen immer
stärker im Internet nachzufragen (siehe Grafik S. 23).
Auch Versicherer müssen ihre Kunden auf den bevorzugten Kanälen ansprechen – und zwar sowohl in der
Online- als auch der Offlinewelt. Um die großen Potenziale der Digitalisierung zum Vorteil der Kunden und
der Unternehmen nutzen zu können, bedarf es eines
innovationsfreundlichen Regulierungsrahmens. Gesetzliche Schriftformerfordernisse stehen beispielsweise einer medienbruchfreien Abwicklung über OnlineKanäle im Weg. Unternehmen können die technischen
Potenziale der Digitalisierung zum Vorteil ihrer Kunden
und ihrer betrieblichen Abläufe nur dann voll nutzen,
wenn ihnen dies auch rechtlich ermöglicht wird.
Die Erhebung und Nutzung von Daten zur Einschätzung von Risiken bleiben das Fundament des Versicherungsgeschäfts. Ohne Daten ist kein Versicherungsschutz möglich. Die rechtlichen Rahmenbedingungen
müssen eine sinnvolle Nutzung von Daten durch die
Versicherer für die Risikokalkulation und Tarifierung
sowie die Vertragsabwicklung weiter ermöglichen. Restriktionen für Online-Anbieter dürfen klassische und
akzeptierte Geschäftsmodelle anderer Branchen nicht
beschränken.
Schutz und Integrität der Kundendaten haben für
die Versicherer oberste Priorität. Als erste Branche in
Deutschland hat die Versicherungswirtschaft 2012
eine freiwillige Selbstverpflichtung im Datenschutz
20 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
Cyber-Kriminalität*
in Deutschland
Registrierte Fälle in Tsd.
60
50
40
30
20
10
0
2008
2009
2010
2011
2012
2013
* z. B. Computerbetrug; Betrug mit Zugangsberechtigungen; Ausspähen,
Abfangen von Daten; Datenveränderung/Computersabotage
Quelle: BKA
Mit dem Krisenreaktionszentrum der deutschen Versicherungswirtschaft (LKRZV) haben die Versicherer
zudem als eine der ersten Branchen eine zentrale Infrastruktur für die Kommunikation bei Sicherheitsvorfällen etabliert. Die Kernanforderungen des geplanten
IT-Sicherheitsgesetzes für kritische Infrastrukturen
hat die Branche somit längst erfüllt. Auch bei der Entwicklung sicherer Kommunikation sind die Versicherer
Vorreiter: Bereits seit 1993 betreibt der GDV ein sicheres Branchennetz, über das rund 180 Millionen Nachrichten pro Jahr sicher versendet werden, darunter
Schadenabwicklungen in der Kfz-Versicherung, Meldungen über Riester-Zulagen oder die elektronische
Versicherungsbestätigung (eVB) für Kfz. Im März 2015
wurde die Trusted German Insurance Cloud (TGIC) als
erste Cloud-Lösung Deutschlands vom Bundesamt für
Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) nach deutschen und internationalen Standards zertifiziert. Das
zeigt: Daten von Kunden sind bei Versicherern sicher
aufgehoben.
­
Unsere Positionen
Innovationsfreundlichen Regulierungsrahmen schaffen
Für die tatsächliche Ausschöpfung der Potenziale der Digitalisierung muss genügend Raum bleiben. Neue Technologien, wie etwa Big Data oder Cloud-Computing, benötigen einen offenen und innovationsfreundlichen
Rechtsrahmen. Dazu gehört auch, dass mögliche Datenmonopole, die zu Wettbewerbshemmnissen führen
können, vermieden werden.
DATENSCHUTZ
Schriftformerfordernisse und DatenschutzEinwilligungserklärungen modernisieren
Medienbruchfreie Verfahren sind nicht nur für Wirtschaftsunternehmen attraktiv, sie entsprechen auch
den Erwartungen der Kunden. Sie wollen Vorgänge
oder Verträge vollständig und zügig online bzw. unter
Nutzung moderner, mobiler Geräte wie Smartphone
oder Tablet-Computer abschließen können. Die Notwendigkeit, in einem ansonsten digitalen Vorgang
papiergebundene Zwischenschritte einzubauen, weil
Schriftformerfordernisse dies verlangen, ist weder für
den Verbraucher nachvollziehbar, noch fördert dies
die Effizienz, die durch digitale Prozesse eigentlich erreicht werden sollte.
Der Zwang zu schriftlichen Datenschutz-Einwilligungserklärungen ist beispielsweise nicht mehr zeitgemäß und auch aus Sicht des Verbraucherschutzes
nicht vorzugswürdig. Online-Prozesse bieten im
Vergleich zur Papierform deutlich erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten, sodass die Aufmerksamkeit des
Nutzers auf bestimmte Tatsachen gelenkt oder durch
den Prozessablauf die Kenntnisnahme bestimmter
Schritte sichergestellt werden kann. Dies dient auch
der effektiveren Wahrung von Informationspflichten.
Ebenso ermöglichen digitale Prozesse etwa die Sicherstellung von Warnfunktionen auf innovative und verbraucherfreundliche Art und Weise, die sogar über die
papierschriftliche Form hinausgehen können.
Selbstverpflichtungen im Datenschutz
fördern
Die Versicherungswirtschaft hat sich für den Schutz
der Daten ihrer Kunden stark gemacht und setzt dabei
auf regulierte Selbstregulierung: Die Verhaltensregeln
für den Datenschutz konkretisieren die allgemeinen
Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes für die Versicherungswirtschaft und schaffen Rechtssicherheit
und Transparenz. Mit Blick auf die Zukunft bietet
diese Selbstverpflichtung bereits datenschutzkonforme, spezifische Lösungen für elektronische Vertragsschlüsse und lässt sich auf Branchenbedürfnisse und
neue technologische Anforderungen anpassen. Der
Weg der regulierten Selbstregulierung sollte deshalb
gestärkt werden.
Verarbeitung von Gesundheitsdaten auf
gesetzlicher Basis ermöglichen
Um Risiken adäquat einschätzen und Schadenfälle
abwickeln zu können, müssen Versicherer Gesundheitsdaten verarbeiten können. Als sensible Daten genießen Gesundheitsdaten zu Recht einen besonderen
Schutz. Für die Verarbeitung von Gesundheitsdaten
bedarf es einer Einwilligung des Betroffenen oder
einer gesetzlichen Erlaubnis. Die Einwilligung stellt
Unternehmen im Massengeschäft der Versicherungen vor faktische und rechtliche Herausforderungen:
Infolge rechtlicher Anforderungen haben die Einwilligungserklärungen eine für Verbraucher kaum noch
nachvollziehbare Länge. Es besteht die Gefahr, dass
die Einwilligung zu einem Formalismus verkommt,
der den Verbraucher am Ende gerade nicht in seiner
Selbstbestimmung stärkt. Deshalb wäre eine eindeutige gesetzliche Erlaubnis in der EU-Datenschutzgrundverordnung der richtige Weg, damit Versicherer
und Rückversicherer Gesundheitsdaten verarbeiten
können, wenn dies für den Abschluss oder zur Durchführung eines Vertrags oder zur Prüfung von Ansprüchen notwendig ist.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 21
Überschießende Regelungen im
europäischen Datenschutzrecht vermeiden
Gegenwärtig konzentriert sich die Debatte zur EUDatenschutzgrundverordnung auf die Regulierung
der für das Internet typischen Prozesse. Hier wird der
größte Handlungsbedarf gesehen. Erkennbar wird
dies beispielsweise an den Vorschlägen zur Profilbildung. Die EU-weite Regulierung wird aber auch für
den Offline-Bereich gelten. Deshalb sollte stärker
darauf geachtet werden, dass notwendige Verarbeitungsprozesse wie die Risikoeinschätzung und die
Regulierung von Schadenersatzansprüchen nicht
verboten sind, sobald sie automatisiert stattfinden.
Genau dazu führt aber ein zu weit gefasster Begriff
der Profilbildung.
Wesentlich für das Versicherungsgeschäft ist es, dass
die Unternehmen auf der Basis von Schadenfällen Statistiken erstellen. Sie sind nötig, um Tarife zu überprüfen, neue Tarife zu berechnen und ein angemessenes
Risikomanagement zu gewährleisten. Auf die Beziehung zu den einzelnen Kunden und Geschädigten hat
dies keinerlei Auswirkungen. Diese aktuarische Arbeit
muss daher zulässig sein, wenn die Daten pseudonym
verarbeitet werden. Enge Zweckbindungsregelungen
und Verbotsnormen in der EU-Datenschutzgrundverordnung dürfen dem nicht im Wege stehen.
Aus Sicht der Versicherungswirtschaft sollte die EUDatenschutzgrundverordnung echte Anreize für den
technischen Datenschutz und für Datensicherheit
schaffen. Dazu gehören vor allem erleichterte Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Verarbeitung pseudonymisierter Daten, die eine gerechte Balance zwischen dem Interesse an der Datenverarbeitung und
dem Schutz der Betroffenen bietet.
Befugnisse zur konzerninternen
Datenverarbeitung modernisieren
Zentrale Aufgaben wie die Leistungsprüfung werden
in Unternehmensgruppen häufig gebündelt, um effizienter und kostengünstiger zu arbeiten. Dazu muss
es den Unternehmenseinheiten möglich sein, innerhalb der Gruppe personenbezogene Daten weiterzugeben. Die Strafbewehrung nach § 203 StGB beim
Outsourcing von Tätigkeiten in der Kranken-, Unfalloder Lebensversicherung ist nicht mehr zeitgemäß.
Vielmehr sollte eine gesetzliche Befugnis regeln, dass
die Daten ohne rechtliches Risiko an ausgewählte
Dienstleister und Konzerngesellschaften weitergegeben werden können. Durch eine klare Zweckbindung
und vertragliche Verpflichtungen des Dienstleisters
kann der Daten- und Geheimnisschutz gewahrt werden. Von einer gesetzlichen Lösung profitieren die
Kunden, indem ihre Schäden schneller und kostengünstiger von qualifizierten Dienstleistern geprüft
und abgewickelt werden können.
Verbandsklage im Datenschutz überdenken
Nach wie vor stellt sich die Frage, ob es notwendig ist,
kurz vor Abschluss der Arbeiten zur EU-Datenschutzverordnung eine nationale Regelung zum Verbandsklagerecht für den Datenschutz zu schaffen. Besser
wäre es, im Rahmen der Verordnung eine einheitliche
europäische Regelung zu finden. Im Übrigen stehen
mit den Datenschutzbehörden der Länder Stellen zur
Verfügung, die gegen die verantwortlichen Unternehmen einschreiten können.
DIGITALISIERUNG UND DATENSICHERHEIT
Sichere IT-Infrastrukturen weiter ausbauen
Für die Sicherheit digitaler Daten sind sichere
Übertragungswege von zentraler Bedeutung. Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten eine
moderne und medienbruchfreie Kommunikation.
Um die sichere Online-Kommunikation mit Kunden zu stärken, müssen De-Mail und der neue
22 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
Personalausweis eine größere Verbreitung finden.
Die Versicherungswirtschaft unterstützt daher die
Bundesregierung in ihrem Bestreben, die De-Mail
und die eID-Funktion (Online-Ausweisfunktion) des
Personalausweises zum Standard für sichere Kommunikation in Deutschland weiterzuentwickeln –
sowohl in der öffentlichen Verwaltung als auch im
Geschäftsleben.
­
Die Digitalisierung ist in der Generation Mitte angekommen
67 %
90 %
49 %
42 %
20 %
haben Angst vor
Datenmissbrauch
informieren sich durch die
Digitalisierung anders über
Produkte und Unternehmen
sind Mitglied in
mindestens einem
sozialen Netzwerk
Prozent kaufen
mindestens einmal im
Monat im Internet ein
könnten sich vorstellen,
ohne Weiteres ohne
Internet auszukommen
Quelle: GDV/Allensbach-Umfrage; Basis: 1.245 repräsentativ Befragte im Alter von 30 bis 59 Jahren
Im künftigen Recht muss sich auch die immer größere
Verbreitung des Cloud-Computing widerspiegeln. Darin ist auch die zunehmende Vernetzung, unter anderem durch neue Technologien, einzubeziehen. Die Versicherungswirtschaft hat mit der Pilotzertifizierung
der Trusted German Insurance Cloud gemeinsam mit
dem BSI einen Beitrag für die Etablierung von Sicherheitsstandards von Cloud-Lösungen gesetzt. Mindeststandards zum Schutz elektronischer Geschäftsprozesse sollten für alle Branchen etabliert werden.
Cyber-Gefahren ernst nehmen
Verbraucher müssen stärker für Cyber-Gefahren sensibilisiert werden. Angebote wie „BSI für Bürger“ oder
die Initiative „Deutschland sicher im Netz“ sind ein
erster richtiger Schritt. Sie haben den privaten Verbraucher allerdings nicht wirklich erreicht. Die Branche
setzt sich daher selbst für die Aufklärung der Verbraucher ein, etwa mit der gemeinsam mit dem BSI zum
8. IT-Gipfel der Bundesregierung 2014 veröffentlichten
Broschüre zu sicheren elektronischen Identitäten.
Auch in kleineren und mittleren Unternehmen wird
die Gefahr vor Cyber-Bedrohungen zumeist noch unterschätzt. Die Versicherungswirtschaft unterstützt
die Bundesregierung in ihrem Ansatz, Prävention zu
stärken und gerade auch mittelständische Unternehmen für IT-Sicherheit zu sensibilisieren. So hat
die VdS Schadenverhütung GmbH (VdS), eine Tochtergesellschaft des GDV, einen „Quick-Check“ zur
Cyber-Sicherheit erarbeitet. Damit können kleine und
mittelständische Unternehmen eine automatisierte
Selbstauskunft über ihr IT-Sicherheitsniveau erhalten.
Zudem hat VdS gemeinsam mit dem Projektzentrum
Hannover IT ein neues Prüfverfahren für Informationssicherheit entwickelt, das mit einem Zertifikat (VdS
3473) verbunden ist. VdS testiert so dem überprüften
Unternehmen, dass es Maßnahmen gegen die wichtigsten Cyber-Gefahren umgesetzt hat. Es muss sich
zeigen, ob dieses Prüfsiegel vom Markt angenommen wird. Solche Prüfverfahren können dabei helfen,
Cyber-Risiken zu bewerten. Und das wiederum könnte
auch die Basis für einen individuellen Versicherungsschutz sein.
Normierung und Standardisierung
vorantreiben
Um die Potenziale der Digitalisierung nutzbar zu machen, sind anerkannte Standards und Normen für den
Datenaustausch mit Behörden und Geschäftspartnern erforderlich. Dazu müssen Reporting-Prozesse
harmonisiert und moderne und effiziente Prozesse
zum Datenaustausch zwischen Versicherungsunternehmen, Wirtschaft und Verwaltung geschaffen
werden. Die Digitalisierung von Verwaltungsverfahren wie z.B. im Steuerrecht bietet zudem die Chance,
die Verfahren insgesamt schlanker zu gestalten und
Bürokratie abzubauen. Mit der TGIC hat die deutsche
Versicherungswirtschaft bereits die Grundlage auch
für weitere Verfahren gelegt. Schon jetzt werden über
diesen virtuellen Datenspeicher unter anderem die
Meldungen der Versicherungswirtschaft an die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) für die
Riester-Rente in einem sicheren technischen Raum
abgewickelt. Auch auf EU-Ebene sollten gemeinsame
Normen verankert werden, um damit im gesamten
europäischen Wirtschaftsraum ein einheitliches und
maschinenlesbares Format zu etablieren.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 23
STEUERN
Steuerpolitik wirkt immer auf Wirtschaft und Gesellschaft ein. Sie hat eine fiskalische Funktion, mit der
der Staat seine Verpflichtungen für das Gemeinwesen
erfüllt. Und sie setzt Rahmenbedingungen, mit denen
der Staat etwa das Anlageverhalten von Investoren
beeinflusst. Steuerpolitik sollte deshalb nicht nur auf
den Aufkommenseffekt beispielsweise bestimmter
Steuersätze gerichtet sein. Sondern sie muss immer
auch etwaige Folgeeffekte berücksichtigen – insbesondere dann, wenn diese negative
Steuerpolitik darf
Wirkungen für Bürger und Unternehmen entfalten. Das gilt zumal
Vorsorgeanstrengungen
für Versicherungen, die sowohl eine
nicht konterkarieren.
zentrale sozialpolitische Funktion
erfüllen, weil sie die Risiken des Lebens von Millionen
Menschen absichern, als auch eine stabilisierende
Funktion auf den Finanzmärkten haben.
Investmentfondsbesteuerung trifft die Altersvorsorge
Anteil Aktien bei Publikumsfonds zur Kapitalanlage fondsgebundener
Lebensversicherungen (nach eigenen Erhebungen)
Publikumsfonds
in Aktien investiert
30 %
Publikumsfonds in
"Sonstiges" investiert
70 %
Quelle: GDV
Damit Versicherungen für Bürger attraktiv bleiben,
dürfen die individuellen Anstrengungen um eine möglichst ertragreiche Altersvorsorge nicht durch steuerpolitische Entscheidungen des Staates konterkariert
werden – weder durch eine übermäßige Besteuerung
der Versicherten noch durch eine zusätzliche steuerliche Belastung der Versicherer. Dieser Doppeleffekt
zeichnet sich durch die geplante Investmentfondsbe4,0Gewinne aus
steuerung ab. Statt aber erwirtschaftete
Kapitalanlagen bei Versicherungen durch neue steuerpolitische Maßnahmen weiter aufzuzehren, müssten diese vielmehr „entsteuert“ werden. Somit könnte
den Versichertenverträgen ein höherer Kapitalertrag
3,5
gutgeschrieben werden.
(Lebensversicherung)
24 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
3,0
Allein ein Wechsel des Besteuerungsregimes bei Publikumsfonds hin zu einer intransparenten Besteuerung würde beispielsweise dazu führen, dass die
erwirtschafteten Aktiengewinne (Dividenden) vor
Weitergabe an die Kunden mit bis zu 15 Prozent mehr
belastet werden – und infolgedessen in gleichem
Maße weniger zur Vorsorge zur Verfügung stehen.
Besonders stark betroffen wären insbesondere fondsgebundene Lebens- und Rentenversicherungen, da
hier ganz überwiegend in Publikumsfonds mit einem
hohen Aktienanteil investiert wird (siehe Grafik auf
dieser Seite).
Auch die geplante Finanztransaktionssteuer belastet
den Handel von Finanzprodukten mit Abzügen, die
9
für die Absicherung
der Kunden dann fehlen. Ent8
sprechend verhält
es
sich bei der Besteuerung von
7
Veräußerungsgewinnen
aus Streubesitz. Auch diese
6
3,92 %
5,7
Steuer schmälert
die Möglichkeiten, Gewinne
für den
5
5,1
Aufbau einer
4 Altersvorsorge weiterzugeben.
3,15 %
3
Neben einer2 Senkung der Steuerlast bei Kapitalan1,5 Spielräume, mit denen die Er1 weitere
lagen gibt es
0
tragskraft der Unternehmen erhöht werden kann.
2011
2012
2013
2014
Etwa indem Bürokratieanforderungen gesenkt sowie
Berichtsformate und Meldeverfahren standardi26,5
siert würden.
Auch mit diesen aufwandsneutralen
Mio.
Maßnahmen lassen sich Effizienz und Rentabilität
zugunsten des Vorsorgevermögens der Versicherten
steigern.
Schließlich ist auch der internationale steuerliche
Kontext in den Blick zu nehmen. Denn nicht nur nationale Regelungen belasten die Kapitalanlage und deren Verwaltung durch bürokratischen Aufwand. Auch
internationale Regelungen wie der internationale
Datenaustausch führen dazu, dass der Verwaltungsaufwand sich ständig erhöht und die Vorkehrungen
zum Schutz von Unternehmens- und Kundendaten
fortgesetzt angepasst werden müssen. Dabei steht
für die Versicherungswirtschaft außer Zweifel: Steuerhinterziehung darf nicht geduldet werden und ein
fairer Steuerwettbewerb ist Voraussetzung für internationales Geschäft. Aber der Kampf gegen Steuerhinterziehung darf nicht zulasten des Schutzes von
Unternehmensdaten und Kundengeheimnissen geführt werden.
Unsere Positionen
I nvestmentfondsbesteuerung – keine
Mehrbelastung für Versicherer und ihre
Kunden
Die Neukonzeption der bestehenden Investmentfondsbesteuerung darf nicht zu einer höheren Besteuerung der Kapitalanlagen der Versicherungsunternehmen führen. Durch einen Wechsel des
Besteuerungsregimes bei Publikumsfonds hin zu
einer intransparenten Besteuerung auf Fondsebene
würde die Kapitalanlage der Versicherer mit 15 Prozent belastet. Eine Steuermehrbelastung ergäbe sich
auch bei der vorgesehenen teilweisen Besteuerung
der thesaurierten Veräußerungsgewinne bei Spezialfonds. Den Versicherern würden dann entsprechend
weniger Mittel für die private und betriebliche Altersvorsorge ihrer Kunden zur Verfügung stehen.
Streubesitz – Veräußerungsgewinne
ausnehmen
Die Versicherungswirtschaft sieht die steuerliche
Erfassung von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitz kritisch: Damit verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für die Finanzierung insbesondere von
jungen Firmen und Existenzgründungen. Die Konsequenz: Die Versicherer wären in ihren Möglichkeiten
beschränkt, das Geld ihrer Kunden rentabel anzulegen. Des Weiteren führt die geplante Steuerpflicht
zu systemwidrigen Mehrfachbesteuerungen, wenn
der Gewinn über mehrere Beteiligungsstufen hinweg
ausgeschüttet wird. Sollte es dennoch zu einer Besteuerung kommen, sollte die neue Regelung nur für
die Zukunft gelten und die bis zu diesem Zeitpunkt
bereits getroffenen Investitionsentscheidungen von
der Besteuerungspflicht ausgenommen werden.
Finanztransaktionssteuer – Altersvorsorge
nicht belasten
Im Interesse ihrer Kunden lehnt die Versicherungswirtschaft die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ab. Sollte es dennoch zur Einführung
einer Finanztransaktionssteuer kommen, müssen
die Produkte, die der Altersvorsorge dienen, von der
Besteuerung ausgenommen werden. Auch darf es
nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den
Ländern kommen, die die Finanztransaktionssteuer
erheben und den Ländern, die diese nicht erheben.
Ferner muss den Unternehmen ein angemessener
Zeitraum zur Umsetzung der Anforderungen eingeräumt werden, die aus einer Finanztransaktionssteuer resultieren.
H
ybride Finanzierung – Doppelbelastung
für die heimische Wirtschaft vermeiden
Die Versicherungswirtschaft unterstützt ausdrücklich
das gemeinsame politische Ziel, den international
unlauteren Steuerwettbewerb und aggressive Steuerplanungen zu bekämpfen. Allerdings muss beim
Kampf gegen inkongruente Besteuerung dafür Sorge
getragen werden, dass es aufgrund der Neuregelung
zu keiner tatsächlichen Doppelbesteuerung kommt,
indem zwar die Einnahmen versteuert, aber die im
Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben einem
Abzug verwehrt bleiben. Daher muss insbesondere
bei den internationalen Verhandlungen darauf geachtet werden, dass das Korrespondenzprinzip von
Einnahmenbesteuerung abzüglich Ausgaben weiterhin zu beachten ist und dies nicht zu Lasten der heimischen Wirtschaft geht.
Internationaler
Datenaustausch – Schutz
der Unternehmensdaten
Die Versicherungswirtschaft unterstützt den Kampf
gegen Steuerflucht und Steuervermeidung und ist
bereit, ihren Beitrag im Rahmen des sog. Base Erosion
and Profit Shifting-Prozesses zu leisten. Der Kampf
gegen Steuerflucht und Steuervermeidung darf aber
nicht zulasten des Schutzes der Unternehmensdaten
und Kundengeheimnisse gehen. Neben der Frage
der Qualität und Quantität der angeforderten Daten
sollten auch deren Speicherdauer und weitere Verwendungsmöglichkeiten thematisiert werden. Bei
den kommenden Verhandlungen ist daher für transparente Regelungen zu sorgen, die einen angemessenen Schutz und eine sinnvolle Verwendung der Daten
sicherstellen.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 25
KRANKENVERSICHERUNG
Der im internationalen Vergleich hohe Standard der
deutschen Gesundheitsversorgung geht nicht zuletzt
auf das Nebeneinander von Gesetzlicher (GKV) und
Privater Krankenversicherung (PKV) zurück. So unterschiedlich diese beiden Sicherungssysteme auch sind:
Sie finanzieren ein gemeinsames Versorgungssystem.
In Deutschland steht gesetzlich wie privat Versicherten
gleichermaßen ein flächendeckendes Netz von Krankenhäusern, Haus-, Fach- und Zahnärzten offen. Dies
ist nicht zuletzt ein Verdienst der Privatversicherten,
die bereit sind, für besondere ärztliche Zuwendung und
medizinische Leistungen auch Honorare zu zahlen, die
über die gedeckelte Vergütung der geEine starke Säule im setzlichen Krankenkassen hinausgehen.
Dualen System.
Die amtierende Bundesregierung von
CDU/CSU und SPD hat sich in der Gesundheitspolitik
gegen Einheitslösungen und Radikalreformen entschieden. Damit trägt sie der Tatsache Rechnung, dass
sich das bestehende duale System aus GKV und PKV
bestens bewährt hat. Es bietet jederzeit die Chance, die
langfristige Finanzierung unseres Gesundheitswesens
ohne Systembrüche demografiefest zu machen. Die
PKV steht dafür ein, mehr Menschen und mehr Leistungen generationengerecht über ein kapitalgedeckt
finanziertes Gesundheitssystem abzusichern.
Vor diesem Hintergrund ist die Einführung der staatlich geförderten Pflegezusatzversicherung vor zwei
Jahren eine richtige und dringend notwendige Zukunftsvorsorge. Es wird sich auf Dauer als historische
Weichenstellung erweisen, die Bürger beim Aufbau
einer zusätzlichen privaten Vorsorge zu unterstützen.
Die Förderung ist beispielhaft für eine vorausschauende und generationengerechte Politik, die vor den demografischen Problemen nicht die Augen verschließt,
sondern frühzeitig gegensteuert.
Mit ihrem klassischen Sicherungsmodell ist die PKV gut
auf die Zukunft vorbereitet: Der Private Krankenversicherungsvertrag bietet einen unkündbaren Leistungskatalog, der sich stetig um den medizinischen Fortschritt
erweitert und dessen Umfang nicht von der Politik eingeschränkt werden kann. Mit der Bildung von Alterungsrückstellungen stellt die PKV eine nachhaltige Finanzierung der Gesundheitsversorgung sicher. Dabei bleibt sie
budgetfreie Zone und somit Träger von Innovation und
26 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
Versichertenstruktur und Aufteilung
der Beitragseinnahmen
8,83 Mio. Krankenvollversicherte
23,93 Mio. Zusatzversicherungen
202 Mrd. Euro Alterungsrückstellungen
Versichertenstruktur in der PKV
Pensionäre
Beamte
17,5 %
24,7 %
Rentner
7,5 %
Arbeitslose
0,2 %
Studenten
Selbständige
2,9 %
15,7 %
sonstige
Nichterwerbstätige
Arbeitnehmer
11,6 %
19,9 %
Aufteilung der Beitragseinnahmen
nach Versicherungsarten
Krankenvollversicherung
Pflegeversicherung
5,54 %
71,12 %
Zusatzversicherungen
21,34 %
Besondere
Versicherungsformen
2,0 %
Quelle: Wissenschaftliches Institut der PKV 2013
Wachstum im Gesundheitswesen. Ihr dynamisches Engagement für Qualitätssicherung und Beratung in der
Pflege sowie für Prävention sind ebenfalls Ausweis der
aktiven und gestaltenden Rolle der PKV.
Derzeit arbeitet der PKV-Verband an einem eigenständigen Beitrag zur Qualität in der medizinischen Versorgung, der nicht auf Datensammlung setzt, sondern auf
gesundheitliche Aufklärung. Ziel der geplanten Stiftung ist es, die Kompetenz und Selbstbestimmung der
Patienten zu stärken.
Über 90 Prozent der Privatversicherten fühlen sich gut
oder sogar sehr gut für den Krankheitsfall abgesichert,
wie mehrere Umfragen renommierter Institute zeigen.
Damit die Kundenzufriedenheit so hoch bleibt, verbessert sich die PKV beständig weiter. Ein neuer Leitfaden,
der Privatversicherten den unternehmensinternen Tarifwechsel erleichtert, ist dafür das jüngste Beispiel.
Unsere Positionen
Dualität aus GKV und PKV behutsam
weiterentwickeln
Dank seiner Vielfalt und Wahlfreiheiten bietet das
deutsche Gesundheitssystem allen Menschen eine
individuelle, gute Versorgung. Was hingegen die vermeintlich gerechten Einheitssysteme mit sich bringen, lässt sich in vielen europäischen Nachbarstaaten
beobachten: Wartelistenmedizin, keine freie Arztwahl, getrennte Versorgungsstrukturen für Arm und
Reich. Das ist Zwei-Klassen-Medizin in Reinkultur.
Wir werden weltweit um die gute deutsche Gesundheitsversorgung beneidet; diese ist deshalb so stabil
und leistungsfähig, weil sie auf den zwei Säulen der
Gesetzlichen und der Privaten Krankenversicherung
ruht. Dieses gut funktionierende System gilt es, behutsam weiterzuentwickeln, anstatt es mit Radikaloperationen fahrlässig aufs Spiel zu setzen.
Mehr Menschen und mehr Leistungen
kapitalgedeckt absichern
Demografievorsorge durch Kapitaldeckung bringt
mehr Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit
in die soziale Sicherung. Das ist gut für alle Versicherten und stärkt die finanzielle Basis des deutschen
Gesundheitswesens.
Verbesserung der Kundenfreundlichkeit
Weitere Reformen zugunsten der Versicherten erfordern die Unterstützung des Gesetzgebers: So sollte
der gut funktionierende PKV-Sozialtarif, der „Standardtarif“, wieder allen Versicherten offen stehen. Da
das Leben nicht immer so läuft wie geplant, müssen
und wollen wir den Menschen in allen Lebenslagen
– auch in sozialer Not – Lösungen anbieten können.
Abkehr von Wahl- und Zusatztarifen in der
GKV
Da anders als in der PKV die Wahl- und Zusatztarife
von den gesetzlichen Krankenkassen nicht risikogerecht kalkuliert werden können, sind diese Tarife
strukturell unterfinanziert. Die PKV garantiert nach
den Regeln des Versicherungsrechts eine lebenslange
Gültigkeit der vertraglich vereinbarten Leistungen.
Dagegen können die GKV-Wahltarife bei Unterkalkulation jederzeit geschlossen werden. So ist es bei
einigen gesetzlichen Krankenkassen bereits vorgekommen, dass Versicherte in einen Tarif eingezahlt
haben, ohne je von dessen Leistungen profitieren
zu können, weil er vor ihrer Erkrankung geschlossen
wurde. Überdies schaden solche Wahl- und Zusatztarife als Konkurrenzangebot sozialrechtlich privilegierter Krankenkassen dem Wettbewerb in einem funktionierenden Privatversicherungsmarkt.
Um dieses zukunftsfest zu machen, muss die Umlagefinanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf ihre Kernaufgaben begrenzt und
müssen mehr Leistungen in die kapitalgedeckte PKV
überführt werden. Dazu bieten sich insbesondere die
zahnmedizinische Versorgung, das Krankengeld und
die privaten Unfälle an. Durch ihre Ausgliederung aus
der GKV könnte deren Beitragssatz um fast 3 Punkte
abgesenkt werden.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 27
HAFTPFLICHT IM HEILWESEN
Seit einiger Zeit steht die wirtschaftliche Situation
der Hebammen im Fokus der öffentlichen Diskussion.
Der Grund: Immer höhere Kosten für Geburtsschäden
machen es Versicherern immer schwerer, freiberuflichen Hebammen den erforderlichen Versicherungsschutz für die Geburtshilfe zu einem Preis anzubieten,
der im Verhältnis zu ihrem EinExtrem steigende
kommen noch bezahlbar ist.
Infolge dieser Veränderungen sind Geburtsschäden
für Versicherer ein extrem schwer zu kalkulierendes
Risiko geworden, das zum Teil zu erheblichen Verlusten geführt hat. Das wiederum hat dazu geführt, dass
die Beiträge für die Berufshaftpflichtversicherung der
Hebammen stark gestiegen sind und nur noch wenige Versicherer bereit sind, überhaupt Versicherungsschutz anzubieten.
In Deutschland sind rund
16.000 freiberufliche Hebammen über eine Berufshaftpflichtversicherung versichert. Ungefähr 3.000 freiberufliche Hebammen leisten auch Geburtshilfe und
sind mit stark steigenden Haftpflichtbeiträgen für
ihre geburtshilfliche Tätigkeit konfrontiert. Studien
der Versicherungswirtschaft zum Heilwesen zeigen,
dass der Beitragsanstieg nicht auf eine zunehmende
Anzahl der Geburtsschäden, sondern auf einen massiven Anstieg der Leistungen für die einzelnen schweren Geburtsschäden zurückzuführen ist. Ursächlich
dafür sind mehrere Faktoren:
Mit dem Maßnahmenpaket des Bundesgesundheitsministeriums wurden 2014 erste Schritte unternommen, um diese Kostenspirale in den Griff zu bekommen und die Einkommenssituation der Hebammen
zu verbessern. Das Problem einer auskömmlichen und
bezahlbaren Absicherung des Haftungsrisikos bei der
Geburtshilfe ist damit gleichwohl noch nicht gelöst.
Kosten für Geburtsschäden verteuern den
Versicherungsschutz.
Dank des medizinischen Fortschritts steigt erfreulicherweise auch die Lebenserwartung Schwerstgeschädigter immer weiter. Das führt dazu, dass
Heilbehandlungs- und Pflegekosten sowie Verdienstausfallansprüche, die in der Vergangenheit
gar nicht zum Tragen kamen, länger bezahlt werden
müssen. Gleichzeitig wird auch medizinische und
pflegerische Betreuung der Geschädigten dank des
Fortschritts immer vielfältiger, aber damit auch immer teurer. Insgesamt hat diese Entwicklung dazu
geführt, dass seit 2003 die Leistungen für bei der
Geburt schwerstgeschädigter Kinder jedes Jahr um
fast sieben Prozent gestiegen sind.
Regressforderungen seitens der Sozialversicherungsträger haben deutlich zugenommen. Lässt
sich ein Geburtsschaden auf den Fehler einer Hebamme zurückführen, fordern Krankenkassen die
Behandlungskosten von der Hebamme zurück. Gezahlt werden diese Kosten dann am Ende von ihrer
Berufshaftpflichtversicherung.
Auch Schmerzensgeldansprüche müssen in wachsendem Umfang bedient werden.
28 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
Deshalb setzt sich die Versicherungswirtschaft in der
Debatte um den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung
der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz) für folgende
weitere Ziele ein, um den Versicherungsschutz für
freiberufliche Hebammen langfristig zu sichern:
Der Regressausschluss der Sozialversicherungsträger muss auf Fälle grober Fahrlässigkeit ausgeweitet werden, um die Schadenlast nachhaltig zu reduzieren und so zur Stabilität der Prämien beitragen
zu können.
Die Beschränkung des Regressausschlusses auf
Fälle einfacher Fahrlässigkeit wird dagegen zu aufwendigen Rechtsstreitigkeiten um den Grad der
Fahrlässigkeit führen, was in den Beiträgen auch zu
berücksichtigen wäre.
Maßnahmen zur Prävention, Qualifikation und zum
Risikomanagement müssen verstärkt werden.
Die Vergütungssätze für Hebammen müssen so angehoben werden, dass ihre Honorierung in einem
angemessenen Verhältnis zu ihrer Leistung und ihrer beruflichen Verantwortung steht.
Nicht nur bei den Hebammen – insgesamt muss es um
Lösungsmöglichkeiten gehen, die den Versicherungsschutz im Heilwesen langfristig bezahlbar machen.
Unsere Positionen
Regressausschluss der
Sozialversicherungsträger ausweiten
Das geplante Gesetz zur Stärkung der Versorgung
in der gesetzlichen Krankenversicherung regelt insbesondere den Regressausschluss der gesetzlichen
Kranken- und Pflegekassen für Ansprüche gegenüber
freiberuflichen Hebammen – allerdings nur bei einfach fahrlässigem Verschulden. Eine im vergangenen Jahr durchgeführte Analyse derzeit reguglierter
Schadenfälle in der Berufshaftpflichtversicherung hat
allerdings ergeben, dass Fälle leichter Fahrlässigkeit
nur einen geringen Anteil am gesamten Schadenaufkommen hatten. Demgegenüber dominierten Fälle
grober Fahrlässigkeit das Schadengeschehen und
zwar sowohl nach der Anzahl als auch hinsichtlich des
Schadenaufwandes. Die Kostenspirale bei schweren
Geburtsschäden würde deshalb perspektivisch nicht
durchbrochen, wenn die Sozialversicherungsträger
lediglich in Fällen leichter Fahrlässigkeit keine Regressforderungen mehr stellen dürften.
Außerdem würden durch die Begrenzung des Regress­
ausschlusses zusätzliche rechtliche Probleme entstehen, die es bislang nicht gab. Sofern der Regress in Fällen grober Fahrlässigkeit weiterhin zulässig sein soll,
würde dies für künftige Haftungsprozesse zur Folge
haben, dass nun auch der Grad der Fahrlässigkeit
zu prüfen wäre. Damit wären Streit und rechtliche
Auseinandersetzungen zwischen den Kranken- und
Pflegekassen auf der einen sowie Hebammen und
Haftpflichtversicherern auf der anderen Seite vorprogrammiert. Im Haftungsprozess hat diese Frage bislang kaum eine Rolle gespielt. Fahrlässig verursachte
Schäden sind unabhängig vom Grad des Verschuldens
versichert.
Deshalb verteuert und erschwert die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung die Schadenregulierung. Die Anzahl an Prozessen könnte steigen und
die ohnehin schon komplexen Haftungsansprüche
würden durch die neue Prüfungsaufgabe weiter
verkompliziert.
Deshalb muss der Regressausschluss auch für Schäden gelten, die von Hebammen – auch durch das
Zusammentreffen mehrerer Fehler – grob fahrlässig
verursacht worden sind. Darüber hinaus sollte im Gesetz klargestellt werden, dass der Regressausschluss
auch für Schäden gilt, die vor Inkrafttreten der geplanten Regelung eingetreten sind.
Versicherungsleistungen für schwere Geburtsschäden
stark gestiegen
Entwicklung des mittleren Schadenaufwandes für einen
schweren Geburtsschaden
2,6 Mio. €
Verteilung der Kosten
+7 %
Sonstiges
p.a.
Schmerzensgeld
1,5 Mio. €
Heilbehandlung
+15 %
p.a.
+8 %
p.a.
2003
Erwerbsausfall d. Kindes
vermehrte Bedürfnisse
(Pflege- und Therapieleistungen)
2012
Qualifikation, Prävention und Risikomanagement im Heilwesen ausbauen
Qualifikation, Prävention und Risikomanagement sind
weiter zu stärken. Deshalb begrüßen die deutschen
Versicherer die durch die im GKV-Finanzstruktur- und
Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz angestoßenen
Maßnahmen zur weiteren Qualitätsverbesserung
der Hebammenleistungen. Darüber hinaus sollte die
Erlaubnis zur Ausübung des Berufs nach dem Hebammengesetz widerrufen werden, wenn eine Hebamme
die Qualitätsanforderungen nach Maßgabe einschlägiger Anforderungen des Sozialgesetzbuches (§ 134a
Abs. 1a SGB V) nicht erfüllt.
Zur Unterstützung der Prävention sollten alle Geburtsschäden und möglichst auch alle BeinaheSchadenfälle in einem Zentralregister erfasst werden.
Aus diesem Register lassen sich Rückschlüsse auf
erforderliche Weiterbildungsmaßnahmen im Rahmen eines Qualitätsmanagementsystems ziehen. Im
Ergebnis sollte nichts unversucht bleiben, womit die
Anzahl der Geburtsschäden oder deren Ausmaß reduziert werden könnte.
Quelle: GDV
Mittlerer Schadenau
in Mio. Euro
2,0
1,5
1,0
0,5
0
2003
vermehrte Bedürfn
Heilbehandlung
Versicherung
stark gestieg
Entwicklung des mit
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 29
NATURGEFAHREN
Schadenregulierung ist Kernaufgabe der deutschen
Versicherer. Das haben sie nach der Sommerflut 2013
eindrücklich unter Beweis gestellt. Auch wenn das vergangene Jahr glimpflich verlief: Klimastudien belegen,
dass sich Deutschland in den kommenden Jahrzehnten
auf immer heftigere Wetterextreme vorbereiten muss.
Wie ein Vorbote dessen hat der Sturm „Niklas“ dies im
Frühjahr dieses Jahres mit Windgeschwindigkeiten bis
zu 140 Stundenkilometern bekräftigt.
Information und Prävention begrenzen Katas­
trophen nachhaltiger als
(Pflicht-) Versicherungen.
Von besonderer Bedeutung ist deshalb die Risikoprävention. Diese
Aufgabe der deutschen Versicherer,
Schäden zu verhüten und Gefahren
zu vermeiden, macht sie zu gefragten Partnern und Beratern der Vorsorge vor den Folgen
des Klimawandels. Denn nur wer die Gefahren kennt,
kann sich wirksam davor schützen. Nach Einschätzungen führender Klimaforscher werden die Schäden aus
Sommergewittern, Hagelschlägen, Sturzfluten und
Hochwasser künftig doppelt bis dreifach so hoch sein
wie heute. Und das nicht nur durch Überschwemmungen an den Flussläufen von Rhein, Donau und Elbe,
sondern etwa auch durch Starkregen, die in den versiegelten Flächen der Städte Kanalisation und Keller überfluten. Die Schadenereignisse der vergangenen Jahre
zeigen, dass ein großer Teil aller Überflutungsschäden
aus Wetterextremen gerade nicht in klassischen Hochwassergebieten lagen. Es wäre deshalb fatal, sich abseits großer Flüsse in Sicherheit zu wiegen.
Wetterextreme werden heftiger
Schadenaufwand durch Sturm, Hagel und Elementarereignisse in der
Wohngebäudeversicherung seit 2002 in Mio. Euro pro Monat
700
759
778
600
500
400
300
5,7
200
Erstens muss das Risikobewusstsein der Menschen
geschärft werden. Deshalb setzt sich die Versicherungswirtschaft für eine bundesweite Informationskampagne und ein Naturgefahrenportal ein, das
Einblick in Gefährdungslagen und Vorsorgemöglichkeiten gibt.
Zweitens müssen präventive Maßnahmen verstärkt
werden, damit Schäden schon im Entstehen vermieden werden können. Der staatliche Hochwasserschutz ist in den vergangenen Jahren gut vorangekommen. Darüber hinaus können angepasste
Flächennutzungspläne, verändertere Bauordnungen
und individuelle Prävention die Gefährdungslage
nachhaltig verändern. Ein hilfreiches Instrument, Risiken zu erkennen und Schäden vorzubeugen, ist der
Hochwasserpass. Er
hilft Gefährdungen einer ImmoArbeitgeber
bilie durch Überschwemmung,
Starkregen oder KaArbeitnehmer
(Entgeltnalrückstau zu identifizieren und mit professioneller
umwandlung)
Hilfe daraus individuelle Schutzmaßnahmen abzuleiten und baulich umzusetzen. Häufig sind solche
Präventionsmaßnahmen der Schlüssel zu bezahlbarem Versicherungsschutz.
Drittens muss
darüber
nachgedacht
10-49 gemeinsam
50-249 250-499
500-999
über 1000
Mitarb.
Mitarb.
Mitarb. Mitarb. Mitarb.
werden, wie
privater
Versicherungsschutz
stärker
in die Breite getragen werden kann. Elementarschadenkampagnen, das belegen die Zahlen in einigen
Bundesländern, haben die Versicherungsdichte
80steigen lassen, wo staatliche Stellen,
dort deutlich
70
Verbraucherschutz,
Ingenieurkammern, Versicherer
60
50 über Risiken aufgeklärt haben – mit
und viele andere
40
klaren Aussagen
zu den Grenzen staatlicher Hilfe30
leistungen im
20Schadenfall.
3,92 %
100
0
Praktisch alle Risiken gegen Elementarschäden sind
privat versicherbar. Dennoch liegt die Versicherungsdichte gegenwärtig erst bei knapp 40 Prozent. Was
aber ist zu tun, um Elementarversicherungsschutz in
die Breite zu tragen und zugleich mehr Menschen vor
den wachsenden Gefahren aus Wetterextremen zu
schützen? Zu nennen sind drei Dinge:
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013
Quelle: GDV 2014
30 | GDV3000
– Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
2500
Mit diesem Dreiklang
aus Risikoaufklärung, Schaden-10
-20 Versicherungsschutz lassen sich die
prävention und
-30
mitunter katastrophalen Folgen aus Naturgefahren
und Wetterextremen wirksam begrenzen.
Unsere Positionen
„Kompass Naturgefahren“ –
Informationsportal bundesweit einführen
Das Portal „Kompass Naturgefahren“ startete 2012 unter dem Namen ZÜRS public mit dem Ziel, die Menschen
durch wohnsitzgenaue Risikoeinschätzungen in die Lage
zu versetzen, sich ein Bild über die Gefährdungen ihrer
Gebäude durch Naturereignisse zu machen. Aber nur
gut zwanzig Prozent der Bundesbürger können sich auf
dem Internetportal „Kompass Naturgefahren“ darüber
informieren, wie stark ein Gebäude durch Naturgefahren
gefährdet ist. Bislang stellen lediglich Sachsen, SachsenAnhalt, Niedersachsen und Berlin entsprechende Daten
zur Verfügung.
Der „Kompass Naturgefahren“ kann sein ganzes Potenzial erst dann entfalten, wenn Bund und Länder, die Behörden und die Versicherungswirtschaft ihre Expertise in
ein deutsches Naturgefahren-Portal einbringen. Die Versicherungswirtschaft hat ihre fachliche Unterstützung
angeboten. Die Konferenz der Umweltminister hatte
diese Vorschläge Ende 2014 aufgegriffen und die Bundesregierung zur Umsetzung aufgefordert. Erste Schritte
sind im Januar 2015 erfolgt. Jetzt sind Bund und Länder
in der Verantwortung, die Beschlüsse umzusetzen.
Elementarschadenkampagne – Grenzen
staatlicher Hilfen verdeutlichen
Neben Aufklärung und Präventionsmaßnahmen gehört
zu guter Vorsorge auch Versicherungsschutz. Mangelndes Risikobewusstsein aber und der feste Glaube an
staatliche Hilfen im Schadenfall sind der Grund für die
geringe Verbreitung von Elementarversicherungsschutz
in Deutschland.
Nahezu alle Gebäude sind derzeit gegen Elementargefahren versicherbar. Nur knapp 40 Prozent der Gebäudebesitzer aber haben sich gegen Elementarschäden
versichert. Eine bundesweite Elementarschadenkampagne mit klaren Aussagen zu den Grenzen staatlicher
Hilfeleistungen könnte die Versicherungsdichte signifikant erhöhen: Wenn klargestellt wäre, dass es ohne Elementarversicherungsschutz keinen generellen Anspruch
auf staatliche Hilfe im Schadenfall gibt. Wer sich gegen
einen Elementarversicherungsschutz entscheidet, soll
auch die finanziellen Folgen im Schadenfall selber
tragen.
Eine Elementarschadenpflichtversicherung würde
diesen Anstoß konterkarieren: Erforderliche individuelle und staatliche Anstrengungen würden in den
Hintergrund rücken; öffentliche oder private Vorsorge- und Schutzmaßnahmen in Gefahrenzonen
würden vernachlässigt. Pflichtversicherungen bieten
keinen wirksamen Schutz vor Hochwasser. Hilfreicher
wäre es vielmehr, wenn Versicherungswirtschaft,
Bürger und öffentliche Hand gemeinsam nach Lösungen suchen, damit Versicherungsschutz auch in
hochexponierten Gebieten angeboten werden kann,
ohne die finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen zu
überfordern.
Zugang zu Geoinformationen über
föderale Ebenen hinweg erleichtern
Für die Versicherungswirtschaft sind valide und
statistisch normierte Daten für eine Abschätzung
existenzieller Gefahren durch Naturereignisse unabdingbar. Erst damit werden zuverlässige und nachvollziehbare Risikoeinschätzungen möglich.
Die Nutzung von Daten öffentlicher Stellen (etwa der
Katasterämter oder von Wasserwirtschaftsbehörden)
wird aber dadurch behindert, dass in den Bundesländern unterschiedliche Datenschutz-Maßstäbe angelegt werden. Die uneinheitliche Auslegung führt zu
Rechtsunsicherheit und behindert die wirtschaftliche
Nutzung von Daten öffentlicher Stellen. Das ist z. B.
der Fall, wenn Daten zu bestimmten Sachverhalten in
einem Bundesland verfügbar gemacht werden, in einem anderen unter Verweis auf den Datenschutz unter Verschluss bleiben. Eine überregionale Nutzung
wird dadurch faktisch verhindert.
Bund, Länder und Kommunen sollten Daten öffentlicher Stellen über die föderalen Ebenen hinweg zu fairen Lizenzbedingungen in einem klar strukturierten,
rechtssicheren, einheitlichen Rahmen wirtschaftlich
nutzbar machen. Erst dann kann Deutschland das
Potenzial seines Datenbestandes für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft nutzen.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 31
VERKEHR UND MOBILITÄT
Zu Wasser, zu Land und in der Luft – Mobilität
ist Voraussetzung und Bedürfnis einer modernen
Gesellschaft. Deutschland braucht darum moderne
und belastbare Infrastrukturen (siehe Versicherer als
Investoren). Ebenso unverzichtbar sind aber auch leistungsfähige Versicherer, um
Autoversicherer haben im
Menschen und Güter gegen
vergangenen Jahr über
Schäden abzusichern.
neun Millionen Schaden­
fälle mit Kosten von über
20 Milliarden Euro reguliert.
So übernehmen zum Beispiel
Transportversicherungen unter anderem das Risiko, dass
Waren bei Transport und Lagerung beschädigt werden oder verloren gehen. Und die Kfz-Versicherung
sorgt dafür, dass bei jedem Unfall – ob groß oder klein
– hinter dem Verursacher auch ein zahlungskräftiger
Versicherer steht. Über neun Millionen Schadenfälle
mit Kosten von über 20 Milliarden Euro haben die Autoversicherer im vergangenen Jahr reguliert.
Bereits seit 1951 engagiert die Branche sich dafür, Unfallopfer zu vermeiden: Das Institut „Unfallforschung
der Versicherer“ ist inzwischen der größte nichtstaatliche Auftraggeber für Forschungsvorhaben zur Verkehrssicherheit. In internationalen Gremien wirkt die
Versicherungswirtschaft an der Entwicklung von Normen mit. In Deutschland entwickelt sie mit der VdS
Schadenverhütung GmbH Richtlinien unter anderem
zum Brandschutz in Tunneln. Die Transportversicherer
im GDV beteiligen sich an der Erarbeitung internationaler Regeln für einen sicheren Containertransport.
Und mit dem Transport-Informations-System (TIS)
bieten die Versicherer ein umfangreiches Informationsangebot zum sicheren Güterverkehr, das jeden
Monat hunderttausendfach genutzt wird.
Mit dieser Erfahrung und Expertise begleitet und bewertet die Versicherungswirtschaft auch die aktuellen
Entwicklungen in der Verkehrssicherheit.
Dazu zählt unter anderem die Vernetzung und Automatisierung von Fahrzeugen: In Zukunft soll die Technik
dem Fahrer nicht mehr nur assistieren, sondern das
Fahrzeug aktiv steuern. Dieser technische Fortschritt
bietet, auch aus Sicht der Versicherer, neue Chancen
für mehr Sicherheit. Diese gilt es zu nutzen. Umgekehrt
muss aber auch weiterhin der Grundsatz gelten: Sicherheit hat Vorfahrt. Autonome Fahrzeuge müssen wenigstens genauso sicher sein wie menschliche Fahrer.
Aber auch schon heute müssen wir mehr für die Sicherheit tun, um das große Ziel zu erreichen, die Zahl
der Todesopfer von 2011 bis 2020 um 40 Prozent zu
reduzieren. Nach dem kontinuierlichen Rückgang
in den vergangenen Jahrzehnten sinkt die Zahl der
Verkehrstoten heute nicht mehr. Seit 2010 zählen
wir jedes Jahr zwischen 3.300 und 3.600 Todesopfer.
Dieser Stillstand ist ein Rückschritt. Darum sind jetzt
dringend zusätzliche Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit 9notwendig, vor allem auf den Landstraßen
und im Radverkehr.
8
7
Auch der 6demografische Wandel bleibt nicht ohne
3,92 %
5,7
Auswirkungen
für die Verkehrssicherheit.
Statistiken
5
5,1
4
zeigen deutlich,
dass das Unfallrisiko bei Autofahrern,
%
3 75 Jahre sind, erheblich ansteigt. 3,15
die älter als
In einer
2
alternden Gesellschaft muss auf diese Entwicklung
1,5
1
eine vernünftige
und
verhältnismäßige Antwort gege0
ben werden.
Risiko Landstraße
Getötete bei Straßenverkehrsunfällen nach Unfallort 2013
2011
Landstraße
1.146 441 137 136
Autobahn
268
Innerorts
174 151 216 393
0
500
1.000
49
1
27
1.500
Quelle: Statistisches Bundesamt
32 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
2012
2013
2014
Um
Sicherheit geht es auch im internationalen
70 mehr
%
Seeverkehr. Über 80 Prozent des deutschen Außenhandels werden per Schiff abgewickelt. Ein einziges
Schiff kann mit seiner Ladung einen Wert von bis zu
700 Millionen Euro erreichen. Um hier Risiken zu vermeiden, muss neben der Ladungssicherheit vor allem
der Brandschutz auf Containerschiffen in den Blick
genommen werden.
Publikumsfonds
in Aktien investiert
Publikumsfonds in
"Sonstiges" investiert
Unsere Positionen
Automatisierung des Verkehrs
Bereits jetzt werden auf deutschen Autobahnen die ersten hochautomatisierten Fahrzeuge getestet; in einigen
Jahren werden diese dort voraussichtlich auch regulär
fahren dürfen.
Der Halter muss dabei „Herr“ seiner Daten bleiben. Er
muss entscheiden können, welche Daten erhoben werden und wer Empfänger dieser Daten sein soll. Diese Daten müssen in einer standardisierten Form zur Verfügung
gestellt werden. Dafür bedarf es einer standardisierten,
offenen, diskriminierungsfreien, sicheren und interoperablen Schnittstelle im Fahrzeug. Die technische Ausstattung des Fahrzeuges muss für den Fahrer nachvollziehbar
dokumentiert sein. Der Halter muss das Recht behalten,
die in seinem Auto erhobenen Daten jederzeit einzusehen
und über ihre Verwendung zu entscheiden.
Im Notfall muss der Mensch rechtzeitig und angemessen
auf technische Fehler reagieren können. Dazu sind unter
anderem effektive Systeme zur Fehlererkennung erforderlich. Und sollte es trotzdem zu einem Unfall kommen,
muss bei einem Ersatz von Schäden auch in Zukunft das
Verursacherprinzip gelten. Dazu müssen Regresse gegenüber den Herstellern möglich sein.
Darüber hinaus ist vor allem eine stärkere Nutzung
von Fahrradhelmen notwendig. Bevor über eine
Helmpflicht diskutiert wird, sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um auf freiwilliger Basis
zu Verbesserungen zu kommen. Die Versicherungswirtschaft ist bereit, entsprechende Initiativen zu
unterstützen.
Sicher Fahren im Alter
In Anbetracht der demografischen Entwicklung
muss die Fahrsicherheit älterer Menschen in den
Blick genommen werden. Denn ab einem Alter von
75 Jahren steigt die Wahrscheinlichkeit deutlich an,
einen Unfall zu verursachen. Die Forschung zeigt
allerdings, dass Pflichtprüfungen (mit womöglich
drohendem Führerscheinentzug) nicht zielführend
sind. Zumal insbesondere in ländlichen Regionen die
Aberkennung des Führerscheins gleichbedeutend
mit dem Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben
sein kann. Sinnvoll sind allerdings – im Abstand von
einigen Jahren – obligatorische Fahrübungen, um
Senioren eine qualifizierte Rückmeldung zu ihren
Fahrfähigkeiten zu geben.
Brandschutz auf Containerschiffen
Verkehrssicherheit
Die Versicherungswirtschaft unterstützt weiterhin das
Ziel der Bundesregierung, die Zahl der Verkehrstoten
bis 2020 um 40 Prozent zu senken. Priorität hat dabei
die Sicherheit auf den Landstraßen. 60 Prozent aller Unfalltoten sind hier zu beklagen – jeder Vierte davon bei
einem Motorrad- oder Baumunfall. Hier müssen schnell
Verbesserungen erreicht werden: durch die Installation
von Schutzplanken sowie die gefahrenbezogene Anordnung und Kontrolle von Geschwindigkeitsbegrenzungen
und Überholverboten.
Auch der zunehmende Fahrradverkehr muss sicherer
werden. Stichproben an Unfallkliniken zeigen, dass viele
der im Verkehr verletzten Fahrradfahrer zum Zeitpunkt
des Unfalls mehr als 1,6 Promille Alkohol im Blut haben.
Die gesetzliche Einführung einer 1,1-Promillegrenze für
Radfahrer scheint daher geboten.
Heute sind Besatzungen zumeist nicht in der Lage,
einen Ladungsbrand mit Bordmitteln einzudämmen, geschweige denn ihn zu löschen. Um die
Ausbreitung von Bränden zu verhindern, müssen
zumindest Brandabschnitte gebildet werden können. Bei Schiffsneubauten kann das an Deck beispielsweise mit Wasservorhängen aus Sprayanlagen
und unter Deck mit auffüllbaren Zwischenräumen
(geflutete Kofferdämme) realisiert werden. Zusätzlich muss unter Deck die Schiffsstruktur mit Wasser
gekühlt werden können, damit der Stahl der Hitze
standhalten kann. Für sicherere Löscharbeiten sind
ferngesteuerte Wasserwerfer unabdingbar. Für
eine entsprechende Änderung der Bau- und Ausrüstungsvorschriften des Internationalen Schiffssicherheitsvertrages sollte die Bundesregierung sich
auf europäischer Ebene und in der Internationen
Seeschifffahrtsorganisation (IMO) einsetzen.
GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015 | 33
GDV KURZPORTRAIT
Über uns
Die deutsche Versicherungswirtschaft steht für Risikoschutz, Sicherheit und Vorsorge in allen Bereichen
des privaten und öffentlichen Lebens. Sie macht Risiken kalkulierbar und mittels eines auf Langfristigkeit
angelegten Risikotransfers für den Einzelnen tragbar.
Sie ist ein unverzichtbares Fundament für wirtschaftliches Handeln. Der Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft (GDV) mit Sitz in Berlin ist
die Dachorganisation der privaten Versicherer in
Deutschland. Seine rund 460 Mitgliedsunternehmen
mit rund 211.000 Beschäftigten und Auszubildenden
bieten durch 427 Millionen Versicherungsverträge
umfassenden Risikoschutz und Vorsorge sowohl für
die privaten Haushalte als auch für Industrie, Gewerbe und öffentliche Einrichtungen. Als Risikoträger und
bedeutender Kapitalgeber (Kapitalanlagebestand
etwa 1,45 Billionen Euro) haben die privaten Versicherungsunternehmen auch eine herausragende Bedeutung für Investitionen, Wachstum und Beschäftigung
in der deutschen Volkswirtschaft.
Präsidium des GDV
Dr. Alexander Erdland, Präsident, Gesamtverband der
Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., Vorsitzender
des Vorstandes, Wüstenrot & Württembergische AG;
Dr. Josef Beutelmann, Vorsitzender des Vorstandes,
Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen
in Deutschland e.V.;
Dr. Nikolaus von Bomhard, Vorsitzender des Vorstandes, Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG
in München;
Dr. Thomas Buberl, Vorsitzender des Vorstandes,
AXA Konzern AG;
Dr. Friedrich Caspers, Vorsitzender des Vorstandes,
R+V Versicherung AG;
Dr. Markus Faulhaber, Vorsitzender des Vorstandes,
Allianz Lebensversicherungs-AG;
Thomas Flemming, Vorsitzender der Vorstände,
Mecklenburgische Versicherungsgruppe;
Dr. Frank von Fürstenwerth, Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung, Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft e.V.;
Dr. Christian Hinsch, Vorsitzender des Vorstandes,
HDI-Gerling Industrie Versicherung AG;
Uwe Laue, Vorsitzender der Vorstände,
Debeka-Versicherungsgruppe;
Dietmar Meister, Vorsitzender des Aufsichtsrates,
Generali Deutschland Holding AG;
Dr. Torsten Oletzky, Vorsitzender des Vorstandes,
ERGO Versicherungsgruppe AG;
Dr. Markus Rieß;
Dr. Norbert Rollinger, Vorsitzender des Vorstandes,
R+V Allgemeine Versicherung AG;
Dr. Wolfgang Weiler, Sprecher der Vorstände,
HUK-Coburg Versicherungsgruppe;
Ulrich-Bernd Wolff von der Sahl, Vorsitzender des
Vorstandes, SV SparkassenVersicherung Holding AG
Geschäftsführung des GDV
Dr. Frank von Fürstenwerth (Vorsitzender), Dr. Bernhard Gause, Christoph Hardt, Thomas Ilka, Thomas Kräutter,
Dr. Peter Schwark, Dr. Axel Wehling
34 | GDV – Die Positionen der deutschen Versicherer 2015
IMPRESSUM
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.
Wilhelmstraße 43 / 43G, 10117 Berlin
Postfach 08 02 64, 10002 Berlin
Tel. +49 . 30 . 20 20 - 50 00
Fax +49 . 30 . 20 20 - 60 00
[email protected], www.gdv.de
Europabüro:
51, rue Montoyer, B-1000 Brüssel
Tel. +32 . 2 . 282 47 - 30
Fax +32 . 2 . 282 47 - 39
Redaktion:
Michael Gaedicke, Henning Engelage, Stefan Lösch, Karsten Röbisch,
Dennis Schmidt-Bordemann
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.
Wilhelmstraße 43 / 43G, 10117 Berlin
Postfach 08 02 64, 10002 Berlin
Tel. 0 30 / 20 20 - 50 00 · Fax 0 30 / 20 20 - 60 00
[email protected], www.gdv.de
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kompensiert
Id-Nr. 1547029
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