Politische Architektur

Andreas Tönnesmann
Politische Architektur
aus: Denkmalpflege nach dem Mauerfall: Eine Zwischenbilanz. Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Heft 10. Berlin 1997, S. 129–131
Der Palast der Republik ist ein schwieriges Erbe. Daß seine Baugestalt nahezu einhellig auf
Ablehnung stößt, erschwert das unbefangene Eintreten für seine Erhaltung in der Mitte
Berlins. In der gegenwärtigen Situation hat der Bau mit dem ästhetischen Verdikt zu kämpfen, dem die Architektur der siebziger Jahre – gleichgültig ob in Ost oder West – generell
unterliegt. Gerade deshalb sollte man in der Diskussion um Abriß oder Erhaltung das
erfahrungsgemäß zeitgebundene Urteil über die künstlerische Qualität nicht zum alleinigen
Maßstab erheben. Der Zeugniswert des Berliner Palastes bemißt sich an Merkmalen, die
dem direkten Augenschein entzogen, dafür aber kunsthistorisch objektivierbar sind. Erst der
Blick auf die Vorgeschichte des Baus, seinen politischen Symbolwert in den siebziger Jahren,
seine Grundrißdisposition und seine Vorbilder macht jene Eigenschaften deutlich, die seine
Einstufung als erhaltenswertes Bauwerk begründen.
Um den Bau unter dieser Prämisse wissenschaftlich zu würdigen, ist eine genauere Beschäftigung mit der politischen Baugeschichte beider deutscher Staaten unerläßlich. Im Zentrum
steht das Problem, welche Funktion die Staatsarchitektur der alten Bundesrepublik wie der
DDR in der Konkurrenz der politischen und gesellschaftlichen Systeme erfüllte. Gab es, so
muß man zugespitzt fragen, einen architektonischen Dialog zwischen beiden deutschen
Staaten zu einer Zeit, in der die direkte politische Auseinandersetzung aufgrund verordneter
Kontaktsperren und selbstverantworteter Berührungsängste nicht möglich war? Und weiter:
Ist ein Bau wie der Palast der Republik in besonderer Weise geeignet, die Erinnerung an
diese inoffizielle Vorgeschichte der deutschen Einigung wachzuhalten?
Schon in der Gründungsphase beider Republiken waren im Westen wie im Osten durchaus
parallele Bemühungen um die Formulierung einer neuen politisch-institutionellen Architektur
im Gang. Das ist oft nicht klar genug gesehen worden, da den Plänen zunächst nur im
Westen Taten folgten, während sich die Institutionen der DDR länger als ein Jahrzehnt mit
der Umnutzung überkommener Politimmobilien begnügten, darunter auch geschichtlich
belasteter wie jener des Goeringschen Reichsluftfahrtministeriums von 1935, das bis zum
Ende der DDR als "Haus der Ministerien" in Gebrauch war und künftig erneut als Heimstatt
gesamtdeutscher Ressorts dienen wird.
Mit Hans Schwipperts Bundeshaus hatte sich die junge Bonner Republik schon 1949 einen
Staatsbau geschaffen, der mit seiner funktionalen Offenheit und formalen Zurückhaltung
dem politischen Neuanfang glaubhaft Gestalt verlieh. Auch wenn Schwipperts Formulierung
von den tragenden politischen Kräften der Bundesrepublik keineswegs gewollt, sondern eher
durch Zufälle, administrative Entscheidungen und Pragmatismus auf allen Seiten ermöglicht
worden war, wurde der Bonner Neubau in Ostberlin als demonstratives Bekenntnis der
Bundesrepublik zum Westen gewertet – sicher ein Argument unter anderen, das die SED
veranlaßte, in den kulturpolitischen Entscheidungen des III. Parteitags von 1950 dem
eigenen Staat ein gänzlich konträres Bauprogramm zu verordnen.
Ausschlaggebend für die Sanktionierung eines neohistoristischen Staatsstils und die gleichzeitige Entfachung der Anti-Formalismus-Kampagne, die alle bis dahin tolerierten modernen
Architekturexperimente in der DDR abschnitt, war der Schulterschluß mit der stalinistischen
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Sowjetunion. Zugleich spielte aber das Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der Bundesrepublik eine entscheidende Rolle. Nicht umsonst ließ Ulbricht in der Folgezeit kaum eine Gelegenheit aus, den als nüchtern und ornamentfeindlich empfundenen "Amerikanismus" der
westdeutschen Architektur als Ausdruck kapitalistischer Ausbeutung und volksferner Ästhetik zu brandmarken. Dem wurde in der DDR die Ausbildung eines eigenen, antiwestlichen
und zugleich nationale Legitimität behauptenden Repräsentationsstils entgegengesetzt, der
in dem 1950 verabschiedeten Aufbauplan für das Zentrum Berlins gipfelte.
Der Plan, der während des folgenden Jahrzehnts in mehreren Entwürfen ausgearbeitet
wurde, sah als Hauptakzent der "sozialistischen Mitte Berlins" ein Regierungs- und Parlamentsgebäude vor. In radikalem Gegensatz zu Schwipperts Bundeshaus, das große Gesten
mied und sich als Beitrag zu einer politischen Ikonographie des Understatements verstand,
sollte der Berliner Staatsbau ein historisierendes Hochhaus nach Moskauer Muster werden
und die vertikale Leitmarke eines ausgedehnten städtebaulichen Bezugsnetzes bilden.
Ausgeführt wurde von den geplanten Staatsbauten lange Zeit nichts, abgesehen von der
Sprengung der Schloßruine im Jahr 1950, die der Gewinnung eines monumental gedachten,
schließlich nur leer gebliebenen Forums für öffentliche Manifestationen diente.
Wichtigste Voraussetzung für die Wende zugunsten eines modernen Architekturideals, die in
der DDR ab Mitte der fünfziger Jahre eher zögernd einsetzte, war Chrustschows Entscheidung für die Industrialisierung des Bauwesens der UdSSR, die der handwerklichen Bauproduktion des von Stalin propagierten Neohistorismus zwangsläufig ein Ende bereitete.
Gebärdete man sich beim Nachvollzug der neuen Leitlinie in der DDR ohnehin nicht übereifrig, so dauerte es besonders lange, bis sich moderne, bis dahin als westlich gebrandmarkte
Bauformen in das Machtzentrum Berlin und dort in die Gattung des staatlichen Repräsentationsbaus Eingang verschaffen konnten. Erst 1959 stellte der prominente DDR-Architekt
Hermann Henselmann im Rahmen eines Ideenwettbewerbs ein erstes, von der Jury noch
heftig attackiertes Projekt für einen modernen Neubau der Mitte Berlins vor. An westlichen
Hauptstadtprojekten wie Brasilia oder Chandigarh orientiert, sollte an der Spree ein städtebaulich rationalisiertes Forum entstehen, dessen Bauten das gestische Potential der Moderne voll ausgeschöpft hätten; Konkurrenzfähigkeit mit dem Westen bestimmte als neues,
wenn auch vorerst noch chancenloses Motiv erstmals einen politisch-repräsentativen Bauentwurf für Ostberlin.
Im nachhinein überrascht es kaum, daß in der DDR praktische Schritte zur Realisierung
einer eigenen Staatsarchitektur vor dem Mauerbau von 1961 nicht getan worden sind. Erst
nach der offiziellen Verabschiedung gesamtdeutscher Zukunftserwartungen konnte die
bauliche Repräsentanz des sozialistischen Staates wirklich zum Thema werden, wobei sich
jetzt, nach der klaren Separation vom Westen und der Beseitigung peinlicher Verwechslungsgefahren, auch für die Staatsarchitektur der DDR ein Freiraum zur selbständigen
Aneignung moderner Traditionslinien ergab. Daß man dabei durchaus eigene Akzente setzen
wollte, zeigt das Staatsratsgebäude am Marx-Engels-Platz, ein Bau, der das höchste Gremium der Republik beherbergen sollte und damit schon auf funktionaler Ebene den Anspruch
der DDR auf dauerhafte staatliche Eigenexistenz vertrat. Nach einem Entwurf des Architektenkollektivs Roland Korn 1962–64 errichtet, verdeutlicht die Baugestalt des langgestreckten Riegels auf programmatische Weise die Umorientierung der DDR-Architektur auf ein
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modernes Stilideal. Kennzeichnend für den Bau ist die Kombination moderner Konstruktions- und Stilelemente mit einem dokumentarischen Versatzstück historischer Architektur,
dem ehemaligen Portal IV des Berliner Stadtschlosses, von dessen Balkon Karl Liebknecht
1918 die erste sozialistische Republik auf deutschem Boden proklamiert hatte. In der
Absicht, das Zugriffsrecht des sozialistischen Staates auf die deutsche Geschichte einzufordern und damit dem Kontinuitätsprinzip der Bundesrepublik eine eigene Strategie historischer Legitimation entgegenzusetzen, war die architektonische Collage des Gebäudes die
Antwort auf den kurz zuvor in Westberlin begonnenen Ausbau der Reichstagsruine.
Vergleicht man die beiden Bauvorhaben, so tritt ihre gegenseitige Abhängigkeit klar zutage.
Hier wie dort war es das Verhältnis der Nachkriegsstaaten zur deutschen Geschichte, das
durch den Einbezug historischer Bausubstanz in neue architektonische Zusammenhänge
visuell thematisiert wurde. Die Inanspruchnahme des wilhelminischen Reichstags durch die
Bundesrepublik, unmittelbar darauf der die Eigenstaatlichkeit der DDR zementierende
Mauerbau und schließlich die Realisierung des Staatsratsgebäudes verbinden sich zu einer
Kette von Ideen und Ereignissen, in der die Staatsbauten wechselseitig als Manifestationen
politischer Ansprüche dienten.
Erst Anfang der siebziger Jahre begann man sich hüben wie drüben auf die Zweistaatlichkeit
als Dauerzustand einzurichten. Bereits die Gipfeltreffen zwischen Brandt und Stoph von
1970 ließen trotz ihres informellen Gepräges ein neues Bewußtsein gleichberechtigter
Nachbarschaft erkennen. Ihren sichtbaren Ausdruck fand die veränderte politische Lage
wenig später in der letzten architektonischen Ideenkonkurrenz, die zwischen Bundesrepublik
und DDR ausgetragen wurde. Hatte der Bonner Umbauplan für das Parlamentsgelände, der
1973 mit einem ersten Wettbewerb eingeleitet wurde, die endgültige Ansiedlung der Regierungsfunktionen am Rhein zur Voraussetzung, so war der im selben Jahr nach Plänen von
Heinz Graffunder begonnene, 1976 vollendete Palast der Republik ein augenfälliges Bekenntnis der DDR zur Hauptstadt Ostberlin.
Inhaltlich und funktional ist der Berliner Palast der Republik nicht nur Antithese zum Bonner
Bundestag, sondern zur bürgerlichen Tradition des Parlamentsbaus überhaupt. Dafür steht
seine charakteristische Disposition: Ein kleinerer Saal, der den seltenen Sitzungen der
Volkskammer diente, liegt einer sehr viel größeren Kongreßhalle ohne institutionell fixierte
Zweckbestimmung gegenüber, die für Propagandaveranstaltungen im weitesten Sinne
genutzt wurde. In westlichen Demokratien undenkbar war nicht nur die eher beiläufige
Gewichtung der parlamentarischen Funktion, sondern zugleich der Grad an Öffentlichkeit,
den der Bau nicht nur behauptete, sondern mit allgemein zugänglichen Foyers und Restaurants sowie seiner politisch programmierten Bildergalerie tatsächlich besaß.
Die Zusammenfassung parlamentarischer, propagandistischer, kultureller und öffentlichkommunikativer Funktionen im repräsentativen Staatsbau der DDR war keineswegs zufällig
zustandegekommen, sondern erweist sich bei näherem Hinsehen als gezielte Verknüpfung
architekturgeschichtlicher Traditionslinien. Unverkennbar nahm der Berliner Bau Elemente
des sozialistischen Kulturhauses auf, das seinerseits auf eine variantenreiche Vorgeschichte
in der deutschen Moderne zurückblicken konnte. Auch aus dem Repertoire des modernen
Theaterbaus lassen sich Vorbilder benennen. Vor allem aber schloß sich Graffunders Entwurf
an einzelne Wettbewerbsbeiträge für den ungebaut gebliebenen Moskauer Sowjetpalast von
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1931 an. Die internationale Ideenkonkurrenz, an der sich neben zahlreichen Sowjetarchitekten führende Vertreter der westlichen Avantgarde beteiligt hatten, gehört zu den berühmten
Ereignissen in der Geschichte ungebaut gebliebener Architektur. Auffälligerweise war es die
bipolare Gegenüberstellung von Parlaments- und Kongreßsaal, die einige westliche Konkurrenten zum Leitmotiv ihrer Entwürfe erhoben hatten, unter ihnen Le Corbusier, der aus dem
Antagonismus beider Saalbauten eine Komposition von großer gestischer Wirkung entwickelte. Neben der Disposition der Säle ist es vor allem die hohe Gewichtung der öffentlichen
Bewegungsflächen, die Honeckers Palast in die Nähe des illustren Vorgängers rückt; schon
Le Corbusier hatte die Foyers zwischen die Versammlungsräume gelegt.
Natürlich stößt der Vergleich zwischen einer großen Formfindung des zwanzigsten Jahrhunderts und einem Bau, dessen gestalterische Kraft mit der originellen Grundidee nicht ganz
Schritt zu halten vermag, rasch an seine Grenzen. Kennzeichnend für Graffunders Entwurf
ist die Tatsache, daß sich das dialektische Potential der Raumdisposition visuell nicht durchsetzen kann: Statt im Außenbau zutage zu treten, verschwindet es hinter der opaken
Glasfront; modischer Materialkult bestimmt im Sinne der siebziger Jahre das äußere Erscheinungsbild. Auch die Innengestaltung zeigt sich nicht frei von Widersprüchen. Gegen die
Zeitgebundenheit, die das Interieur der Empfangs- und Tagungsräume mit ihren Kronleuchtern, Rolltreppen und Teppichböden ausstrahlt, kann auch die charakteristische Bildausstattung Sittes und Neuberts wenig ausrichten.
Ein Argument für den Abriß ist dieser Befund keinesfalls. Das Besondere, ja Singuläre des
Berliner Palastes erschließt sich erst, wenn man nicht nur auf die konfektionierte Hülle
blickt, sondern hinter ihr das funktionale und typologische Konzept des Baus erkennt. Mit
dem Zitat nach Le Corbusiers Sowjetpalast hatte sich die DDR auf eine Bauidee eingelassen,
die das sozialistische Staatsgebäude seinen nach wie vor unbestrittenen Propagandazweck
nicht abseits der Gesellschaft, sondern in ihrer Mitte, unter der Bedingung allgemeiner
Zugänglichkeit, erfüllen lassen wollte. Anfang der siebziger Jahre suchte die neue Führungsschicht um Honecker, die Ulbricht und seine stalinistischen Apparatschiks eben erst abgelöst
hatte, mit der Bauentscheidung ihr politisches und kulturelles Profil zu schärfen. Setzte das
Ja zu einem Bauprogramm, dessen Realisierung einst in Moskau gescheitert und danach in
anderen sozialistischen Ländern nicht gelungen war, einiges Selbstbewußtsein den östlichen Nachbarn gegenüber voraus, so muß man diffus westliche Formensprache des
Palastes als Botschaft nach innen verstehen. Sie war der Versuch, die am Westen orientierten Konsumbedürfnisse der Allgemeinheit wenigstens optisch zu erfüllen und damit
einer Stimmungslage Rechnung zu tragen, deren Wahrnehmung die Ulbricht-Riege stets
verweigert hatte.
Darüber hinaus ist der Palast der Republik anschaulicher Beleg für die Liberalisierung der
Kulturpolitik, mit der die neue DDR-Führung – wenn auch nur für wenige Jahre – eine
entschiedenere Identifikation der Intellektuellen mit dem Staat erreichen wollte. Es konnte
und sollte als politisches Signal verstanden werden, daß Honeckers Repräsentationsbau den
bis dahin gewohnten, autoritären Stil staatlicher Selbstdarstellung hinter sich ließ und in der
Kommunikation zwischen Führung und Öffentlichkeit eine neue, gelassene Tonart anschlug.
Daß sich Honeckers DDR schon bald als unfähig erwies, die Versprechungen ihrer Architektur politisch einzulösen, mindert deren Rang als Geschichtszeugnis nicht im geringsten. Im
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Gegenteil: Mit Recht kann man den Palast der Republik als Denkmal jener Hoffnungen
ansehen, deren Enttäuschung schließlich in der Wende von 1989 mündete.
Trotz aller Gegensätze in Typus, Nutzung und architektonischer Qualität legt der Vergleich
zwischen dem Palast der Republik und dem Bonner Plenarsaal bezeichnende Parallelen in
der Wahl der kulturellen Leitbilder offen, die beide deutsche Staaten während der letzten
Phase ihrer Existenz getroffen haben. Disposition und Form beider Bauten orientieren sich
auf jeweils eigene Weise am Ideal einer aufgeklärten, transparenten Moderne, die als
architektonische Lingua Franca während der zwanziger Jahre schon einmal die politischen
Gegensätze zwischen Ost und West überbrückt hatte. Ein verbindendes Element ist dabei
die Abkehr von autoritären Gesten und hierarchischer Raumorganisation; hier zeigt sich ein
paralleles Interesse an der Korrektur von Richtungsentscheidungen, die in früheren Phasen
die offizielle Architektur der DDR, partiell auch der Bundesrepublik bestimmt hatten. Davon
unberührt bleibt die unterschiedliche Funktionsweise beider Bauten. In ihrer hier auf Kommunikation, dort auf Agitation zielenden Planstruktur sind Plenarsaal und Palast der Republik Ausdruck der konträren Auffassungen von Demokratie, auf denen das jeweilige politische System beruhte.
Über den gesamten Zeitraum ihres Verlaufs betrachtet, läßt sich die Architekturgeschichte
beider deutscher Staaten als ein Prozeß beschreiben, der von totaler Abgrenzung über die
konkurrierende Auseinandersetzung zur Akzeptanz eines gemeinsamen Stilideals führte.
Substantielle Gegensätze bleiben dabei stets erkennbar. Trotzdem registriert man in vierzig
Jahren offizieller Bautätigkeit zunehmend Momente von Nähe, die der divergierenden
politischen Entwicklung beider Staaten oft kontrapunktisch entgegenstanden und deshalb
um so präziser über unausgesprochene Wünsche nach Kommunikation Auskunft geben. Will
man rückblickend den Austausch zwischen beiden deutschen Staaten in seiner ganzen
Breite rekonstruieren und so den vorhandenen Fundus gemeinsamer Erfahrung aufdecken,
dann stellt die politische Architektur in Ost und West ein noch längst nicht ausgeschöpftes
Potential an Erkenntnissen zur Verfügung. Die herausragenden baulichen Zeugnisse dieses
zeitgeschichtlichen Prozesses für die Zukunft zu retten, ist ein dringlicher Appell an die
politischen Entscheidungsträger.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors
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