-1- Unterhaltsames Lesefutter für den Katzenfreund: Mythen, Gewohnheiten, Verhalten des geliebten Pelztiers. Ein unverhoffter Leckerbissen, ein Klassiker – neu zu entdecken. »Das Buch der Lockridges ist bei weitem das beste und umfassendste Werk, das jemals über Katzen geschrieben wurde«, hieß es in der Chicago Tribune zur amerikanischen Neuauflage. -2- Mit ihrem höchst amüsanten Sachbuch über alles, was den Umgang mit Katzen so eigen macht, legten die Krimiautoren Frances und Richard Lockridge bereits 1950 einen spannenden Beitrag zu Geschichte, Mythos und Verhalten der schnurrenden Vierbeiner vor, den es nun erstmals auf Deutsch zu entdecken gilt: Die Katze – vergöttert und verteufelt; Kumpanin von Hexen und Propheten; ihr Leben in der Natur und mit den Menschen, ihr Liebesspiel – dies alles gewürzt mit amüsanten Anekdoten und aufschlußreichen Beobachtungen an Martini, Gin und Sherry, den Lieblingskatzen der Lockridges. Zur amerikanischen Neuauflage meinten zwei, die sich auf diesem Gebiet auskennen: »Das Kapitel ›Zur Gottheit beförderte‹ sollte Pflichtlektüre für jeden Menschen sein« (Sneaky Pie Brown). Und Rita Mae Brown fügte hinzu: »Sneaky denkt eben nur an sich!« Frances und Richard Lockridge waren als Journalisten in Kansas City tätig, bevor sie nach New York zogen, um sich dort als Krimiautoren niederzulassen. Zusammen haben sie um die Mitte des Jahrhunderts mehr als 25 Krimis geschrieben, von denen viele in den USA heute noch lieferbar sind. In allen Thrillern mit von der Partie: eine Katze. Und auch im Haushalt der Lockridges spielten Heimtiger stets eine Hauptrolle. -3- Frances und Richard Lockridge Von Katzen und anderen Menschen Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Hartmann Ullstein -4- Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Lockridge, Frances: Von Katzen und anderen Menschen / Frances und Richard Lockridge. Aus dem Amerikan. von Elisabeth Hartmann. – Berlin: Ullstein, 1999 ISBN 3-550-06983-9 © 1950 by Frances und Richard Lockridge Nachwort © 1996 by Otto Penzier Die amerikanische Originalausgabe erschien 1950 unter dem Titel Cats and People Amerikanische Neuauflage 1996: Kodansha America, Inc., by arrangement with the Lockridge Estate © der deutschsprachigen Ausgabe 1999 by Ullstein Buchverlage GmbH & Co. KG, Berlin Alle Rechte vorbehalten Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Hartmann Zeichnungen: Wolfgang Schedler Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: Graphischer Großbetrieb Pößneck GmbH, Pößneck Printed in Germany 1999 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff ISBN 3-550-06983-9 -5- Inhalt Erstes Kapitel Jede Katze eine Persönlichkeit 8 Zweites Kapitel Aus grauer Vorzeit 15 Drittes Kapitel Zur Gottheit befördert 36 Viertes Kapitel Übersinnliche Begabungen 52 Fünftes Kapitel Im Reich der Dunkelheit 66 Sechstes Kapitel Ruschelige Mausefallen 83 Siebtes Kapitel Katzen, Vögel und das Gleichgewicht der Natur 102 Achtes Kapitel Katzen – die besseren Menschen? 113 Neuntes Kapitel Vom Leben in zwei Weiten 129 -6- Zehntes Kapitel Bewußtsein und Verstand 164 Elftes Kapitel Katzen sind keine Affen 183 Zwölftes Kapitel Ein, zwei, viele Kätzchen 205 Dreizehntes Kapitel Hohe Erwartungen und Anspruchsdenken 233 Vierzehntes Kapitel Von Katzen und anderen Menschen 244 Nachwort von Otto Penzier 262 -7- Erstes Kapitel Jede Katze eine Persönlichkeit Da sitzt sie auf dem Boden, die Pfoten unvergleichlich ordentlich nebeneinander, den Schwanz um den Körper gelegt, und betrachtet aus runden Augen einen der beiden Menschen, denen sie auf besondere Weise zugetan ist. Ihre Augen sind jetzt vollkommen rund und bilden konzentrische Kreise zur Pupille, die sie nach Belieben zu einem Schlitz verengen kann, eine schwarze, unwägbare Tiefe. Ansonsten sind ihre Augen blau. Sie wirkt erwartungsvoll, doch zu erraten, was sie erwartet, ist unmöglich. Sie hat gefressen, nachdem sie wie immer abgewartet hat, bis ihre Kinder die Mahlzeit beendet haben, denn sie lehnt es ab, sich an einem unziemlichen Gerangel ums Fressen zu beteiligen. Ihr Katzenklo braucht nicht gereinigt zu werden; wenn es der Fall wäre, würde sie sich melden. Sie fühlt sich wohl, denn ihre Augen sind klar und ihr Fell ist glatt. Wenn sie den Wunsch hätte, auf dem angebotenen Schoß zu sitzen, würde sie es kundtun – vielleicht wäre es angemessener zu sagen: sie würde vorwarnen. Also ist anzunehmen, daß sie im Augenblick keinen äußerlichen Ausdruck der Zuneigung von diesem Menschen verlangt und auch ihrerseits keine Zuneigung zum Ausdruck bringen will. Sie möchte nur schauen. -8- Obwohl ihresgleichen schon seit mehr als viertausend Jahren mit dem Menschen lebt, vermögen genetische Erinnerungen nicht ihre persönliche Neugier zu befriedigen. Unter dem intensiven Blick fühlen sich viele Menschen unbehaglich, manche entwickeln sogar eine richtige Abneigung dagegen. Manche bekommen auch Angst, und diese Menschen sind womöglich – was allerdings umstritten ist -Träger eines Gens, das sie an bedeutend größere Tiere erinnert, die vor etwa einer Million Jahren genauso dasaßen, wie sie jetzt sitzt, sich genauso duckten, wie sie sich ducken kann, und etwas Menschenähnliches in einem Baum, nicht im Sessel, betrachteten, das allen Grund hatte, Angst zu haben. Der Mensch jedoch, den sie gerade anschaut, teilt diese Angst nicht und fühlt sich auch nicht sonderlich unbehaglich. Dennoch läßt einen dieser stille, starre Blick nicht völlig unberührt. Egal, was man hat, diesen Blick kann man nicht ignorieren. Am Ende erwidert man ihn, stellt fest, daß es an der Zeit ist, als erster das Wort zu ergreifen. »Ja, Teeney? “ Langsam schließt sie dann halb die Augen. Die Schwanzspitze zuckt. Ihre Augen werden schmal, Schlitzaugen, orientalisch. Sie hat zugehört, sie war höflich, hat die Beziehung zwischen sich und diesem größeren Tier jüngerer Herkunft bestätigt. Möchte sie, daß man ihr eine zerknüllte Zigarettenschachtel zuwirft, damit sie sie zurückbringen kann? Möchte sie hinter den spitzen Ohren gekrault, unter dem zierlichen und doch so kraftvollen Kiefer ge streichelt werden? Oder möchte sie nur dasitzen und nachdenken? Über ihren tiefen und unergründlichen Eigennamen grübeln, wie sie es nach T.S. Eliots Überzeugung in solchen Momenten tut? -9- Ob sie überhaupt denken, geschweige denn grübeln kann, steht allerdings seit Jahren heftig zur manchmal gar hitzigen Debatte. Diese Debatte wurde aufgrund einer häufig außer acht gelassenen Überlegung kompliziert, manchmal sogar unverständlich: Wir beziehen uns mit einem Vokabular auf sie, das womöglich gar nicht angemessen ist, mit Worten, die weniger über die Katze als über unsere eigene hilflose Beschränktheit innerhalb eines Systems von Werten aussagen, die nur auf eine bestimmte Gattung von Primaten zutreffen. Mit anderen Worten: Wir vermenschlichen sie. Wir sagen, sie ist »grausam« oder »hinterlistig« oder »stolz«; sie ist »intelligent« oder »verspielt« oder »anschmiegsam« oder »geheimnisvoll«. Wenn sie jagt, dann »wildert« sie, und wenn sie die Gelegenheit einer geöffneten Kühlschranktür nutzt und sich ein halbes Brathähnchen holt, dann »stiehlt« sie – ist eine »böse“ Katze. Keines dieser Worte, so läßt sich vermuten, würde eine Katze benutzen, denn es ist anzunehmen, daß sie sich nicht sonderlich für Abstraktionen interessiert. Sie hat ihr eigenes Vokabular. Einmal wurde ihr, wenn auch nicht allzu ernst gemeint, ein Wortschatz von etwa sechshundert Begriffen zugeschrieben. Ganz bestimmt ist sie fähig, sich einer anderen Katze, ihren Jungen, einem Hund oder Eichhörnchen verständlich mitzuteilen und am ehesten wohl einem Menschen, der bereit ist, ihr zuzuhören. Doch ob sie denken kann, hat sie bisher niemanden wissen lassen. Gewiß, sie ist schön, und sie scheint es zu wissen. Sie ist wunderbar für ihren Lebenszweck konstruiert, der darin besteht, Tiere, die ihrer Meinung nach zum Verzehr geeignet sind, anzuspringen und zu töten. Ihre Anmut ist ein Phänomen. Und wenn sie versehentlich mal tolpatschig oder ungeschickt ist, zeigt sie sich verlegen. -10- Sie führt sich auf, als würde sie leicht eifersüchtig – natürlich auch wieder ein Menschenwort. Sie entwickelt anscheinend ausgeprägte Vorlieben für gewisse Menschen. Die Katze, die hier auf dem Boden sitzt und immer noch aufschaut, faucht zum Beispiel eine bestimmte Person, mit der sie täglich zu tun hat und die stets freundlich zu ihr war, manchmal an. Und als wir beide sie einmal allein lassen mußten, hat sie zehn Tage nicht gefressen, obwohl sie zu der Zeit ihre Jungen säugte. Als wir zurückkamen, hat sie stundenlang nicht mit uns geredet, wohl aber gefressen, als wäre sie dem Hungertod nahe. Es ist schwierig, sie objektiv zu beurteilen; dazu war der Mensch selten in der Lage. Sie wurde als Göttin verehrt, als Satan gehaßt und bekämpft, sie war die Be gleiterin von Hexen und Propheten. In romantischer Überspitzung, wie sie in fast jede Diskussion über ihre Gattung einfließt, wird behauptet, man würde sie entweder lieben oder hassen, und weit verbreitet ist die Meinung, man müsse sich zwischen ihr und ihrem Vetter, dem Hund, entscheiden; beide zu mögen wäre ausgeschlossen. (Sie selbst allerdings kann sowohl mit Hunden als auch mit Menschen glücklich und in Frieden leben, was auch häufig der Fall ist.) Sie ist ein beliebtes Opfer menschlicher Verallgemeinerung: »Katzen sind so und so, tun dies und das.“ Doch in keiner Tierart ist die Individualität so ausgeprägt, sind individuelle Unterschiede so zahlreich. Und sie gehört zu den am stärksten mit Gefühlen belegten Tieren, sowohl von Seiten ihrer Bewunderer als auch ihrer Feinde. Die Katze auf dem Boden rührt sich nicht. Ihr Blick bleibt starr. »Teeney?« hört sie erneut, und erneut schliefen sich ihre Augen halb, zuckt ihre Schwanzspitze. -11- »Was gibt's, Teeney? Was willst du? “ Sie öffnet das Mäulchen und gähnt, zeigt dabei vier der spitzesten in der Tierwelt bekannten Reißzähne. Ein Ohr muß gekratzt werden. Doch dann sitzt sie wieder reglos da mit unbewegtem Blick. Sie wiegt etwa sechs Pfund, wenig selbst für die zierlichsten ihres Stammes. Ihr Gesicht ist rußigschwarz gezeichnet, ihre Ohren sind tiefbraun, fast schwarz, Schwanz und Beine sind von ähnlicher Färbung. Sie ist nur eine unserer Katzen; die »Hauptkatze«, die »Ober katze«. Das weiß sie, ganz gleich, was sie sonst so weiß und sie läßt nicht zu, daß wir es vergessen. Sie ist eine unserer Katzen, weil sie uns gehört und weil wir für sie lebenswichtige Dinge tun können, ob sie es uns gestattet oder nicht. Der Grund besteht darin, daß wir größer sind als sie und mit Instrumentarien ausgestattet sind, die ihr fehlen. Wir können zum Beispiel das Telefon benutzen – das mag sie nicht und gibt dann ein ärgerliches Schnattern von sich – und den Tierarzt rufen. Wir können sie festhalten, wenn der Arzt ihr eine Spritze gibt, die ihr letztendlich gut tut. Und weil es offenbar in ihrem und ganz gewiß in unserem Interesse war, haben wir dafür gesorgt, daß sie nie wieder ihre düstere, disharmonische Leidenschaft in die Welt hinausschreit und ruft: »Hier bin ich! Komm zu mir!«, wenngleich das bedeutet, daß sie uns auch niemals mehr nächtens in gewissen Abständen weckt und uns zu einer Kiste führt, damit wir wissen, daß sie jetzt, wie durch ein Wunder, geboren hat. Sie und ihre zwei Töchter fressen, was wir ihnen geben, allerdings nicht, ohne ihre Vorlieben kundzutun; sie leben dort, wohin wir sie bringen, in der Stadt oder auf dem Land. Bei Nacht sind sie eingeschlossen, obwohl keine Katze freiwillig nachts im Hause bleiben würde. Hin und wieder geben wir ihnen Tabletten, was keine Katze mag. -12- Es ist also absurd zu behaupten, wie es immer wieder getan wird, daß wir sie nicht besäßen, daß »kein Mensch eine Katze besitzen kann«. Wir besitzen sie, wir können mit ihnen tun und lassen, was wir wollen; wenn wir willentlich nichts tun, was ihnen schaden kann, wie es bei uns der Fall ist, können sie sich glücklich schätzen. Sie leben mit Menschen, die Katzen mögen, und als Gegenleistung dafür haben wir Katzen, die auf selektiver Basis anscheinend Menschen mögen. Andererseits mögen wir nicht alle Katzen. Freilich besitzen wir nicht ihre Seele, versuchen nicht, sie zu versklaven. Das würde uns nie gelingen, selbst wenn wir sie und uns so wenig achten würden, es zu versuchen. Sie werden niemals… Doch jetzt meldet sich die Katze auf dem Boden. Die Bemerkung ist kurz, als Frage angelegt, wie der Mensch durch Erfahrung gelernt hat. »Aber ja«, sagt der Mensch. »Komm.« Die Katze springt auf den Schoß, landet sanft, mit eingezogenen Krallen. Sie steht einen Augenblick, betrachtet dieses vertraute menschliche Gesicht aus größerer Nähe. Dann macht sie es sich gemütlich, nicht auf dem Schoß, sondern an der Brust, so daß ihr Kopf gerade eben das Kinn berührt. Sie streckt eine Pfote aus, legt sie zärtlich um den menschlichen Hals. Sie beginnt zu schnurren. Sie schnurrt nicht so laut wie ihre Kinder, doch das Geräusch drückt Zufriedenheit aus. Das war es also, was sie wollte. Felis domestica, aus der Unterfamilie Felinae und der Familie Felidae, aus der Überfamilie Feloidea, der Unterordnung Fissipedia und der Ordnung Carnivora von der Überordnung Ferungulata und der Klasse Mammalia, befindet sich an einem der Orte, an denen Felis domestica sich gern aufhält, wenn sie nicht Mäuse fängt. Felis und alles übrige ist ihr Name auf dem äonenalten -13- Tiermarkt, auf dem ihre Art das Blaue Band fürs Überleben gewonnen hat. Wir aber nennen sie Martini und meistens Teeney, denn sie ist unsere Hauptkatze, und so haben wir sie getauft, als sie noch klein war, nur tapsen konnte und das Laufen noch lernen musste und ihren Schwanz steil aufgerichtet trug. -14- Zweites Kapitel Aus grauer Vorzeit Für Martini und ihre Artgenossen sind die Menschen Emporkömmlinge, erst seit kurzem auf der Erde, immer noch eine unausgegorene Rasse. Vielleicht fragt sie sich, wenn sie uns aus runden Augen anschaut, lediglich, wie lange wir wohl noch bestehen können; in den vielen Millionen Jahren ihres Lebens haben die Katzen zahlreiche scheinbar vielversprechende Tierarten entstehen, zur Blüte kommen und wieder verschwinden gesehen. Womöglich nährt ihr genetisches Gedächtnis eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Dauerhaftigkeit von allem, was nicht Katze ist. Ein paar Zibetkatzen hatten zweifellos ein längeres Leben, aber Zibetkatzen sind nur die armen Verwandten der Katze. Es gab einmal eine Zeit ohne Katzen. Vor vierzig Millionen Jahren, vielleicht ein paar Milliönchen mehr oder weniger, war die Katze lediglich in einem kleinen, primitiven Säugetier angelegt, das die Paläozoologen Miacis nennen. Miacis hatte einen langen Körper und einen langen Schwanz, die Beine waren kurz; er sah mehr oder weniger aus wie ein Wiesel. Unter den Tieren, die damals die Erde von den riesigen Reptilien übernahmen, war Miacis wahrscheinlich unscheinbar und nicht sehr vielversprechend; bestimmt nicht vielversprechender als -15- die kleinen Affen, die in den Wäldern schnatterten. Doch von Miacis stammen alle auf dem Land lebenden Fleischfresser ab – die Hunde und Bären, die Waschbären und die Hyänen und die Katzen. Einige von ihnen traten frühzeitig in Erscheinung, andere später; die Katzen gehörten zu den frühesten. Die Evolution setzte sich über Jahrmillionen hinweg fort, bevor die Katze mit der Plage eines echten Hundes konfrontiert wurde. Miacis lebte im späten Eozän. Er lebte inmitten von schafgroßen Pferden, pferdeartigen Rhinozerossen und Kamelen, die an Gazellen erinnerten. Er brachte die Zibetkatze hervor, die ihm zuerst nicht unähnlich war. Und dann wurden aus den Zibetkatzen plötzlich Katzen. Das Tempo dieser Umwandlung versetzt die Paläontologen noch immer in mildes Erstaunen. »Betrachtet man den Wechsel rückblickend unter dem Aspekt von vierzig Millionen Jahren Zeitunterschied, sieht es so aus, als wären die Katzen ganz zu Anfang des Oligozäns plötzlich mit ausgesprochen geringem Entwicklungsaufwand erschienen, um auf der Bühne des grimmigen Wettbewerbs in einer Welt voller Feinde ihren Auftritt zu haben«, schreibt Edwin H. Colbert vom American Museum of Natural History. »Man könnte behaupten, daß bestimmte Zibetkatzen mit der evolutionären Geschwindigkeit eines wendigen Schauspie lers unter dem Druck einer komplizierten Doppelrolle in die Rolle der Katzen geschlüpft sind.« Nachdem sie nun zu Katzen geworden waren, gaben sich diese neuen Tiere zufrieden und unterzogen sich, mit der Ausnahme einer einzigen berühmten Variante, in den folgenden Äonen nur noch wenigen Veränderungen. Einige wurden groß und andere klein, einige bekamen Flecken und andere Streifen, das Fell einiger weniger wurde dicht, und eine andere Spezies verlor ihr Fell -16- nahezu vollständig, bevor die Natur, aufgestört durch ein derart unkatzenhaftes Verhalten, die Abart auslöschte. Katzen haben gelbe Augen oder grüne oder blaue; in hellem Licht verengen sich bei einigen die Pupillen zu Schlitzen und bei anderen zu stecknadelgroßen Punkten. Der Gepard verlor irgendwo auf dem Wege fast oder ganz die Fähigkeit, seine Krallen einzuziehen, und veränderte seinen Körperbau gemäß den Anforderungen an die Schnelligkeit. Doch die Veränderungen waren nebensächlich; die eigentliche Katze war seit Urzeiten so elementar, daß Mivart sich sowohl auf die sechs Pfund schwere Martini als auch auf den größten Löwen bezieht, wenn er die Katzen zu den am perfektesten spezialisierten unter den Säugetieren zählt und weiterhin schreibt: »Um sich von Tieren, die sie lautlos verfolgen und unter Ausübung ausgefeiltester Bewegungsabläufe erlegen muß, ernähren zu können, verfügt die Katze über weich gepolsterte Pfoten, auf denen sie sich geräuschlos fortbewegt, über im Vergleich zu ihrer Größe enorm massige und kräftige Muskeln in Verbindung mit Knochen, die so aufeinander ausgerichtet sind, daß sie das vollendetste System von Federung und Hebelwirkung zum Vorschnellen dieses Körpers in der gesamten Gruppe bilden. Die Krallen sind spitzer und stärker gekrümmt als die eines jeden anderen Säugetiers und können mit Hilfe besonderer Muskeln unter Polster zurückgezogen werden, um sie vor Abnutzung und Verletzung zu schützen, wenn sie nicht in Gebrauch sind. Kein Gebiß ist seiner Aufgabe besser angepaßt: die großen Eckzähne zum Reihen, die scherenartigen vorderen Backenzähne zum Zerteilen von Fleisch in Brocken, die klein genug zum Verschlingen sind. Die Fibern der Iris ihres Auges dehnen die Pupille bei der weitmöglichsten Öffnung zu einem Kreis, der die Dunkelheit der Nacht einläßt und durch rasches, spontanes -17- Zusammenziehen exzessives, blendendes Tageslicht ausschlieft, wodurch absolut genaue Sicht unter beiden Extrembedingungen gewährleistet ist.« Mit derartigen Augen betrachten Katzen seit Jahrmillionen die Veränderungen anderer, die sie selbst nicht berührten. Sie haben gesehen, wie die Affen von den Bäumen kamen, vorsichtig, wachsam Ausschau haltend nach Raubtieren. Sie haben gesehen, wie ihre Vettern, die Hunde, langsam das Hundsein erreichten, ein Vorgang, der vor etwa zwei Millionen Jahren abgeschlossen war; sie sahen auch, daß einige von den hundeartigen Abkömmlingen des Miacis einen anderen Kurs einschlugen, »Bärenhunde« (Daphaenus) wurden und schließlich dann Bären. Sie waren zur Stelle, hungrig, sprungbereit, als manche Tiere gegabelte Hörner auf den Nasen trugen, andere nutzlose große Stoßzähne mit sich herumschleppten und sich das Gesicht einer bestimmten Art zu einer Schaufel umformte. Die meisten von diesen Tieren fanden die großen Katzen jener Zeit äußerst schmackhaft. Die großen prähistorischen Katzen traten in zwei Arten auf, deren eine vielleicht gekommen wäre, hätte man gerufen: »Hierher, Hoplophoneus« – sie wäre womöglich rasend schnell und äußerst blutrünstig gekommen. Die andere Art, im frühen Oligozän nicht sehr anders gestaltet, hätte auf den Namen Dinictis gehört oder, wie es Katzenart ist, gar nicht reagiert, wenn es ihr nicht gene hm war. Beide Arten hatten Katzengestalt, Muskeln, Augen und Krallen wie Katzen und ziemlich lange Reißzähne. Doch Hoplophoneus unterlief eindeutig ein Fehler, wie sich letztendlich herausstellte, obwohl er ihm einen klingenden Namen unter den Tieren aller Zeiten einbrachte und ihn für Millionen von Jahren zum schrecklichsten unter den lebenden Tieren stempelte. In -18- den prähistorischen Zeiten des Menschen waren die Abkommen des Hoplophoneus stark vertreten und grauslich anzusehen. Mag sein, daß diejenigen, die heutzutage vor den kleinen Hauskatzen, ja sogar vor einem so winzigen Geschöpf wie Martini unwillkürlich zurückschrecken, sich unbewußt an das große, reißzahnbewehrte Tier zurückerinnern, das so lange Zeit mit schrecklichen Säbeln im Maul die Welt durchstreift hat. Hoplophoneus hatte etwas längere Reißzähne als Dinictis, die »wahre Katze«. Und wenngleich sie immer Katzen blieben, entwickelten sich die Stränge, beides Prototypen, auseinander. Die Reißzähne der einen Art wurden länger und länger, ragten weiter und weiter über den Unterkiefer hinaus, wurden zu Stichwaffen. Diese Spezialisierung zog als logische Folge weitere nach sich. Der Schädel streckte sich, um Halt für die kräftigen Nackenmuskeln zu bieten, die Katze insgesamt wurde mit zunehmender Schlagkraft massiger, richtete sich somit auf die schwerfälligsten der inzwischen ausgestorbenen Tiere als Beute aus, die damals große Teile der Erde bevölkerten. Im späten Pleistozän gipfelte diese Katze im Smilodon, dem Säbelzahntiger. Vor gar nicht langer Zeit gehörte er noch zu den Lebenden: vor nur zwanzigtausend Jahren. Es wurde erwogen, daß die Reißzähne, Smilodons ausgeprägtestes Kennzeichen und bedeutendste Waffe, letztlich Ursache seines Niedergangs waren – seine Säbel wären zum Schluß so lang geworden, daß er den Unterkiefer nicht mehr schliefen konnte und dadurch mitten im Überfluß an einer Art Maulsperre zugrunde ging, so perfekt zum Beutemachen ausgerüstet, daß er nicht mehr fressen konnte. Das ist eine hübsche Theo rie und, zumindest als Analogie, durchaus nicht die erste -19- dieser Art. Die riesigen Reptilien starben womöglich aus, weil sie schließlich und endlich durch ihre schützende Panzerung zu unbeweglich wurden, wie in späterer Zeit der stahlbewehrte Ritter flinkeren Waffen wich. Der Mensch der Moderne war hinsichtlich der Perfektion seiner Bewaffnung häufig zu Kompromissen gezwungen – Stahlplatten auf Kosten der Geschwindigkeit von Kampfschiffen zum Beispiel Doch wahrscheinlich lag es nicht an diesem Umstand, daß der Säbelzahntiger zur Erleichterung der Pflanzenfresser von der Erdoberfläche verschwand. Die moderne Forschung überzeugte die Paläontologen, daß der Smilodon trotz seiner Reißzähne sehr wohl den Unterkiefer öffnen und schließen konnte. Offenbar war er zu diesem Zweck mit einem Spezialscharnier ausgerüstet. Inzwischen wird angenommen, daß er aus dem einfachsten aller Gründe unterging: Zuerst starb seine Nahrung aus. Er lebte von Riesenfaultieren und ähnlichen Wesen; er war dazu ausgerüstet, die mächtigen, aber langsamen Tiere zu überwältigen. Faultiere und ihresgleichen starben aus; vielleicht hat der Smilodon seinen Teil dazu beigetragen, wenn auch wahrscheinlich nicht den ausschlaggebenden. So verhungerte der Smilodon schließlich inmitten von Wild, das er nicht fangen konnte, und desha lb dürfen wir ihn nie im Zoo bewundern, während die Nachkommen von Dinictis – die flinken Springer, mit wenigen Ausnahmen die Kletterer, die katzenartigen Katzen – mit Sicherheit zu sehen sind. Und wir laden keine Säbelzahntiger in Kleinformat ein, auf unserem Schoß zu sitzen. Die Nachkommen des Dinictis, von denen manche um ein Drittel größer waren als die größten unter den heutigen Katzen, waren für andere Tiere eine genauso tödliche Gefahr wie der Smilodon, und wahrscheinlich noch mehr -20- für den Menschen, denn sie waren flinker und vermutlich auch intelligenter. Sie erbeuteten wohl, ähnlich wie ihre wildlebenden Nachkommen heutzutage, vornehmlich grasende, schnell laufende Tiere. Während der Säbelzahntiger ein dickhäutiges Faultier zerriß, fragen seine Zeitgenossen unter den wahren Katzen die kleinen Kamele und Pferde, die auf drei Zehen liefen. Während der Smilodon zuschlug, sprangen sie an, schärften ihren Verstand, wenn sie Tieren auflauerten, die wohl häufig beim ersten Versuch erlegt werden mußten oder entkamen. Und alle bis auf die größten unter den wahren Katzen konnten klettern, zweifellos stiegen sie den Affen nach. Wie die Affen konnten sie beim Klettern weit übers Land blicken. Der Säbelzahntiger und die wahren Katzen waren in diesen Zeiten überall vertreten, wie uns die Knochen der alten Ausgestorbenen heute verraten. Katzen lieben es warm und bevorzugen auch heute in der wildlebenden Form hauptsächlich Landstriche, in denen die Sonne brennt. Doch irgendwann einmal war es fast überall auf der Erde warm genug für Katzen, und sie hinterließen überall ihre Knochen, abgesehen von den Polarzonen und Australien und einigen Inseln. Nordamerika war ein Lieblingsort der Katzen wie auch der Mammuts, der frühen Kamele und der Boden-Faultiere. Wo sich heute Los Angeles befindet, fauchten die großen Katzen über ihrer Beute, und ein paar von ihnen stürzten in Teergruben und wurden so konserviert. Als das Eis aus dem Norden herab kam, wanderten die großen Katzen mitsamt ihrer Nahrung zur Halbinsel Florida, wo Jäger und Beute gleichermaßen Wärme suchten. Die zwei Katzenarten kamen, soweit man es heute beurteilen kann, einigermaßen gut miteinander aus. Jedenfalls schienen Rivalitäten eher persönlicher als -21- rassischer Natur zu sein. Die wahren Katzen töteten, was der Säbelzahntiger nicht erjagen konnte, der Säbelzahntiger lebte von Tieren, die den wahren Katzen zu zäh waren. Hin und wieder müssen einzelne Individuen aneinander geraten sein und sich Kämpfe geliefert haben, deren Ausmaß schwer vorstellbar ist. Dann zitterte die Luft unter ihren Schreien, zerrissen sie die Erde in ihrem rasenden Ringen. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, daß der Säbelzahntiger die wahren Katzen als solche bekämpft hätte; meistens war die Schlacht wohl privat, denn es liegt in der Natur der Katze, sich auf Kampf einzustellen, wenn sie einer anderen Katze begegnet. Ebenso liegt es in der Natur der Katze, Fleisch zu fressen und, wildlebend, Beute zu reißen. Die Katze legt größten Wert auffrische Nahrung; vieles, was einen Hund entzücken würde, verursacht der Katze ganz offensichtlich Übelkeit. Kein Tier, sofern man es halbwegs läßt, ist in bezug aufs Fressen so eigen wie die Katze. Für den menschlichen Verzehr genau richtig abgehangenes Fleisch mag von der Hauskatze durchaus mit einem empörten Schniefen abgelehnt werden, und wenn der Mensch sich nicht auf ihre Bedürfnisse einstellt, sucht die Katze – sofern die Umstände es gestatten – sich ihre Nahrung im Freien. (Allerdings geben die meisten Katzen frischem Rinderhack den Vorzug vor jeder noch so frischen Maus, und nur wenige unterziehen sich der Mühe, Vögel zu fangen, wenn sich Ersatz finden läßt.) Zur Not frißt die Hauskatze auch Gemüse und nimmt damit ihre Zugehörigkeit zur Ordnung der Carnivora nicht so wörtlich wie die Großkatzen. Dies trifft freilich auch auf zahlreiche andere Tiere dieser Ordnung zu, wie jeder bestätigen kann, der einmal einen Bären kennengelernt hat. Auch andere Aspekte – des Körperbaus, des Gebisses, -22- der Abstammung - stehen im Zusammenhang mit Freßgewohnheiten und ordnen Martini, zusammen mit einem kleinen schwarzen Hund namens Smokey, der sie besucht und Freundschaft schließen möchte, auf seine Annäherungsversuche jedoch keine freundliche Antwort erhält, den Fleischfressern zu. Neben ihr und dem Löwen im Zoo gibt es vielerlei breitgefächerte Wesen in dieser Ordnung der Klasse der Mammalia, zu der auch der Mensch gehört. (Der Mensch ist kein Fleischfresser, wenngleich er Fleisch verzehrt. Der Mensch ist ein Primat.) So lautet die Sprache der Taxonomen, deren Aufgabe die Klassifizierung von lebenden wie ausgestorbenen Tieren ist – das Sortieren der Natur, der Aufbau des Lebens. Die Taxonomie ist eine Welt, in die der Laie sehr behutsam eindringen sollte, wie in ein Labyrinth, in dem er auf dem Weg vorsichtshalber eine Spule Garn abrollen sollte, damit er wieder herausfindet. Dennoch ist es, wenn auch nur verschwommen gesehen, eine faszinierende Welt voller unverhoffter Entdeckungen. Die Katze zum Beispiel hat zahlreiche erstaunliche Verwandte, sogar ohne so weit zu gehen, daß man den Seehund und den Seelöwen hinzurechnet, die ebenfalls Fleischfresser sind, allerdings von der Unterordnung Pinnipedia, Wassertiere. Die Katze wie auch der Hund und das Stinktier, der Bär und die Hyäne – sind Zugehörige der Unterordnung Fissipedia. Nach den Unterordnungen folgen Oberfamilien, und von diesen gibt es zwei: die Canoidea, manchmal auch Arctoidea genannt, und die Feloidea, die lange Zeit und auch heute noch häufig als Aeluroidea bezeichnet werden. Hier handelt es sich um die Oberfamilien des Hundes und der Katze; der Canidae, zu denen die Hunde und auch Schakale, die Wölfe und die kleinen Füchse gehören, und der Felidae, die alle Katzen umfaßt, lebende wie -23- ausgestorbene, wahre Katzen und Säbelzahntiger, oder, um mit den Taxonomen zu sprechen, die Felinae und die Maichairodontinae – sofern man Taxonom und der lateinischen Aussprache kundig ist. So einfach ist das. Doch die Canoidea umfassen auch eine Familie namens Ursidae, das heißt die Familie der Bären, weiterhin eine Familie namens Procyonidae, zu denen unter anderen der Panda gehört, und die Familie der Mustelidae, zu der so unterschiedliche Tiere wie der Nerz, der Otter und der Skunk, eine nahezu ausnahmslos als bedauerlich empfundene Art der Katze, gehören. Die Katze hat zudem ziemlich unglaubliche nahe Verwandte. Dazu gehören, wie zu erwarten, die Zibetkatzen (Viverridae), von denen eine Art so katzenähnlich ist, daß sie ein fehlendes Glied in der Familie Felinae sein könnte, und die Mungos. Daß auch die Hyänen (Hyaenidae) in dieser Gruppe auftauchen, ist nicht unbedingt naheliegend – und es steht zu vermuten, daß keine Katze sonderlich stolz auf diesen Vetter ist. Die Klassifizierung der Felidae selbst verstrickte die Taxonomen im Verlauf der Jahre in Diskussionen, die in weniger gelehrtem Umfeld leicht in Streitereien hätten ausarten können. Dr. George Gaylord Simpson bemerkt bei seiner Annäherung an das Thema in der Classification of Mainmals, daß es nicht zu vereinbarende unterschiedliche Meinungen hinsichtlich der Phylogenie gebe und somit auch der hauptsächlichen Klassifizierung der Felidae, zusätzlich zu den üblichen zahlreichen Meinungsverschiedenheiten in Detailfragen, und tut wenig später die Ausführungen eines Kollegen mit der Bemerkung ab, »dieses Argument (sei) nahezu genauso falsch wie richtig«, wahrhaft harte Worte von einem Kurator für fossile Säugetiere und Vögel. Diese Meinungsverschiedenheit, die in Beziehung zu einem -24- prähistorischen Tier zu Tage tritt, das entweder Hyäne oder Katze war, spitzt sich zu, sobald die Taxo nomen sich der heute lebenden Katzen nähern. Hier gehen unterschiedliche Meinungen derartig ins Detail, daß sie dem Laienverstand kaum noch begreiflich sind. Fast jede zweite befragte Kapazität klassifiziert die Katzen in unserer Umgebung unter den wahren Katzen (Unterfamilie Felinae), von denen die meisten zur Zeit noch existieren, im allgemeinen anders. Für unsere Begriffe zählen fast alle Katzen – ausgenommen der Acinonyx, der Gepard – zur Gattung Felis, so daß unsere Martini wissenschaftlich der Spezies Felis domestica zugeordnet wird und der Löwe im Zoo der Spezies Felis leo. Für andere dagegen ist sogar eine so eindeutige Katze wie der Ozelot Mitglied einer eigenen Gattung: Leopardus. Dr. Simpson selbst läßt nur drei Gattungen gelten: Felis, wozu er alle kleinen Katzen einschließlich Luchs rechnet, Panthera, die Gattung der Großkatzen: Löwe, Leopard, Tiger, Jaguar und Acinonyx, eine Gattung, in der der hochbeinige Gepard mit seinen nicht einziehbaren Krallen allein ist. Denken wir an Martini und ihre Töchter, an den verstorbenen Jerry und unsere heißgeliebte Pammy, an den schwarzweißen Pete vor vielen Jahren, an die wilde Schwarze, die lange Zeit die Müllgrube in einem Sommerlager heimsuchte und sich gegen Hunde und Krähen durchzusetzen wußte, dann folgen wir, soweit wir können, Dr. Simpsons Linie. Sie sind Felis domestica, ganz gleich, wie sehr sie sich durch Zucht unterscheiden. Sie sind die Katzen, die dasitzen und Leute anschauen, sie sind die Katzen, die vom Menschen gezähmt wurden. Warum es so ist und nicht anders, wird nur teilweise klar. Vor vierzig Millionen Jahren mochte ein -25- unparteiischer Beobachter die Zukunft wohl als eine Art Würfelspiel betrachtet haben, wobei die Chancen für die Katze ein bischen günstiger standen als für die anderen. Die frühen Katzen waren wahrscheinlich genauso klug wie die kleinen Affen; in dieser Hinsicht besteht heute kaum ein Unterschied zwischen dem Affen, der Affe geblieben ist, und der Katze, und das, obwohl die meisten von Menschen erdachten Tests eindeutig und aus naheliegenden Gründen den Affen bevorzugen. Körperlich gesehen war die Katze zunächst die stärkere und flinkere; sie hatte es nicht nötig, auf Listen zurückzugreifen, sie brauchte nicht schlau zu sein. Selbst gegenüber den modernen Katzen, die, so wild und groß sie auch sein mögen, nicht mehr die Katzen prähistorischer Zeiten sind, können die Affen bei gleichem Gewicht, Affe gegen Katze, absolut nichts ausrichten. Vor nicht allzu langer Zeit wurde in Kalifornien ein Gorilla tödlich von einem schwarzen Panther von nur einem Drittel seiner Größe verletzt, als der Gorilla mit seinen neugierigen Händen die Trenntür zwischen ihren Käfigen geöffnet hatte. Der Mensch selbst hätte, unbewaffnet, nicht durch Kleidung geschützt, ohne die gegerbte Haut eines anderen Tieres an den Füßen, reichlich Probleme, sich gegen einen Hafenkater zu wehren, und könnte sich glücklich schätzen, wenn er dem Angriff eines Ozelots lebend entkommt. Und ein Ozelot ist nur geringfügig größer als die Hauskatze. Mag sein, daß die Katzen sic h veränderten, nicht die Affen, daß sich aus den alten Katzen eine Rasse superkatzenartiger Wesen entwickelte, wie der Mensch ein Superaffe ist. Zu diesem Thema ist viel spekuliert worden, allerdings von niemandem mit mehr Eleganz und Weisheit als von dem verstorbenen Clarence Day. Superkatzen hätten gute Menschen abgegeben – flink und einzelgängerisch, gewalttätig, aber voller Anmut. Freilich, -26- sie wären gefährlich gewesen, aber nur füreinander als Individuen. Sie hätten niemals, wie Day betont, in Armeen gekämpft, denn das ist nicht Katzenart, sie hätten weniger geschwatzt und nur über unmittelbar Wichtiges geredet. Und sie wären gewiß sehr schön gewesen, so schön wie kein Affe, ganz gleich, wie weit entwickelt, jemals hoffen kann zu sein. Da ihre Waffe in ihrem eigenen Körper bestanden hätte, wäre es nicht nötig gewesen, Waffen zu erfinden. Vielleicht ist es diese Katzengenügsamkeit, die sie dabei belassen hat, was sie ist: die vom Menschen Ge zähmte, nicht die Zähmerin. Wenn der Baumaffe alter Zeiten weiterkommen wollte, wenn er am Leben bleiben sollte, mußte er seinen Verstand beisammen haben, und das Benutzen des Verstands soll den Verstand ja schärfen. Schließlich brauchte er noch mehr als den Verstand, denn selbst, als er größer von Gestalt wurde, war er, wie sich vermuten läßt, auf seinem Weg zum Menschwerden niemals stark wie ein Gorilla. Er war körperlich nur den kleineren unkriegerischen Tieren gewachsen, und diese zu fangen muß ihm Schwierigkeiten bereitet haben. Er brauchte Waffen, um seine geringe Stärke auszugleichen; ein bedauernswert großer Teil der Geschichte befaßt sich damit, wie der Mensch zu diesen Waffen kam und wie er sie einsetzte. Um diesen Drang zu befriedigen, woran er immer noch arbeitet, ist der Mensch durchaus in der Lage, sich den Boden unter den Füßen wegzuziehen – und den Katzen auch. Vermutlich war der Affe trotz aller Tatsachen, die dagegen sprachen, schon vor vierzig Millionen Jahren zum Triumphieren vorgesehen. Die Hand ist schneller als die Pfote, und seit frühesten Zeiten benutzen Affen ihre Hände. Vom Greifen nach einem Baumast, um daran zu schaukeln, ist es kein weiter Weg – nur ein paar Millionen -27- Jahre – bis zum Abbrechen und Schwingen des Astes. Dann aber: Obacht, Tiere, hier kommt der Mensch! Eure Krallen sind besser, eure Zähne scharf und gefährlich, eure Körper geschmeidig und schnell. Wenn ihr Katzen seid, ist der weiteste Sprung eines Menschen nicht mehr für euch als ein träger Hüpfer. Doch ihr könnt dem Menschen nicht zu nahe kommen, jedenfalls nicht immer, nicht oft genug. Sein Arm ist um eine Keulenlänge länger, und einmal schleudert er seine Keule nach euch, einmal benutzt er Steine, und jetzt, die Evolution möge uns helfen! – jetzt hat er einen zugespitzten Stein am Ende seiner Keule befestigt und sich damit eine schreckliche Kralle geschaffen. Und während er all dies tut, teilweise auch weil er all diese Dinge tut, wird er immer intelligenter und geschickter. Für dich gräbt er Gruben, in die du stürzen sollst, Säbelzahntiger. Bald wird er lernen, eine Ziege auf deinem Pfad anzupflocken, Löwe, und im Hinterhalt warten, bis du sie dir holen willst. Dann tötet er dich mit Stahl und Feuer. Zu diesem Zeitpunkt, Martini, wird er über eine Sprache verfugen, in der er dich und alle deiner Art »hinterlistig« nennen wird und »falsch«. Die Katze brauchte keine derartigen Hilfsmittel oder wußte nicht, daß sie sie brauchte ~ und hätte sie in jedem Fall sowieso nicht benutzen können. Mit einer Pfote kann man an Dingen zupfen, wie man mit einem Huf nach ihnen treten kann; falls die Pfote Krallen hat, kann man damit sogar Gegenstände aufheben. Aber man kann sie nicht greifen, kann sie nicht im eigentlichen Sinn benutzen. Das konnte der Affe von Anfang an, und als er schließlich einen Daumen hatte, war alles vorbei. Da war er ein Mensch. -28- Zudem hatten die Affen etwas, was die Katze nie besessen hat – etwas, was die Wissenschaftler Formbarkeit nennen, die innewohnende Fähigkeit, sich zu verändern. Andere Tiere verfügen freilich auch über diese Fähigkeit. Der Hund zum Beispiel, so daß eine Sorte Hund ein Bär werden konnte, und ein Wesen, das als Wolf angefangen hatte, nachdem der Mensch die Zucht in die Hand nahm, konnte so unterschiedliche Gestalt annehmen wie die große Dänische Dogge und der Chihuahua, wie die Englische Bulldogge und der Whippet. Nichts Vergleichbares geschah mit der Katze, und nichts von allem, was der Mensch unternommen hat, um künstliche Veränderungen hervorzurufen, hat nennenswerte Ergebnisse gezeitigt. Durch selektive Zucht kann der Mensch die Farbe der Katze änd ern – nur sehr geringfügig ändern. Manchmal gelingt ihm eine Modifizierung von Dichte oder Länge des Fells. Doch er erhält immer wieder Katzen – innerhalb der Gattung stets so ziemlich von gleicher Größe und Gestalt, mit dem typischen Katzenschädel und -kiefer. Die ersten wahren Katzen hatten in etwa den gleichen Schädel; ein Wissenschaftler kann anhand von zwei Fotografien feststellen, daß es sich bei dem einen um einen fossilen Katzenschädel handelt, der vor ein paar Millionen Jahren ein Gehirn enthalten hat, und bei dem anderen um den Schädel einer Katze, die vor sechs Monaten noch Katze war. Ohne Anleitung kann ein Laie diese Unterscheidung nicht treffen. Der Mensch kann Tiger und Löwen kreuzen – Katzen lassen sich bereitwillig untereinander kreuzen, denn sie erkennen eine andere Katze auf den ersten Blick – und eine andere Großkatze erhalten, eine etwas seltsam gemusterte, die nicht ganz Löwe und nicht ganz Tiger ist, sich aber auch nicht wesentlich von beiden unterscheidet. Katzen sind nämlich genetisch festgelegt und zwar schon -29- aus rein praktischen Gründen, seit sie aufhörten, Viverridae zu sein. Die einen sind größer als die anderen, die meisten, bis auf wenige Ausnahmen, haben Schwänze, es treten vielerlei verschiedene Fellfärbungen auf. Doch an keine m Punkt auf ihrem Weg brachte ein abgeirrter Zweig die Superkatze hervor. Deshalb liefen sich die kleinen Katzen zu irgendeinem Zeitpunkt mit dem Menschen ein. Wann das geschah oder wie es geschah, weiß niemand und wird niemand jemals wissen. Höchstwahrscheinlich vollzog es sich völlig unabhängig an vielen Orten, wo Menschen und kleine Katzen zusammentrafen. Es ist durchaus möglich, daß die Katzen den ersten Schritt unternahmen, weil sie erfahren hatten, daß es dort, wo Menschen lebten, vor den Höhlen der Menschen, womöglich frisches Fleisch zu holen gab – nur zum Teil vom Menschen abgenagte Knochen, die noch Nahrung für eine Katze boten, Teile von Tieren, die der Mensch nicht essen mochte, auch wenn sie noch ziemlich frisch waren. (Von letzteren kann es nicht viel gegeben haben, denn mit der eigenen Beute ist die Katze genauso wählerisch wie der Mensch.) Und der Mensch stellte fest, daß diese kleinen Katzen nicht gefährlich waren, und lernte sie vielleicht als primitiven Müllschlucker zu schätzen. Und irgendein Mensch, einer, der empfindsamer war als seine Brüder, sanfter vielleicht, mag irgendwann mal ein junges Kätzchen in die Hand genommen haben. Vielleicht haben viele Menschen an vielen Orten auf der Welt mal ein junges Kätzchen in die Hand genommen. Fast jeder findet kleine Kätzchen süß und entzückend. Viele Menschen, die ausgewachsene Katzen nicht ausstehen können, können kleinen Miezen nicht widerstehen. (Und viel zu viele, die Katzen als grausam bezeichnen, setzen die Kätzchen aus, sobald sie anfangen, erwachsen zu werden. Jeden Herbst wimmelt es auf dem -30- Land von jungen, von Sommerurlaubern ausgesetzten Katzen; die Städte sind voll von menschlicher Zuneigung entwachsenen Katzen.) Höhlenmenschen und Höhlenkinder mögen junge Wildkätzchen hinreißend gefunden haben, so könnte die Höhlenkatze entstanden sein; sie mag ins Feuer geblinzelt haben, als der Mensch das Tierchen entdeckte, und gelernt haben zu schnurren, wenn sie gestreichelt wurde. Allein das Feuer mag Katzen angelockt haben, denn Katzen mögen Feue r, lieben warme Plätzchen. Als der Mensch seßhaft wurde und anfing, sein Getreide zu lagern, fand die kleine Katze einen weiteren Grund, dem Menschen wohlgesinnt zu sein. Wo Menschen Korn lagern, sammeln sie letztendlich auch Rat ten und Mäuse. Wo Ratten und Mäuse zahlreich vertreten sind, halten sich mit ziemlicher Sicherheit auch Katzen auf. Zu der Zeit, als er Kornvorräte anlegte, war der Mensch in der Lage, Ursache und Wirkung zu erkennen – zumindest bis zu dem Grad, der ihm überhaupt je möglich war. Je mehr Nagetiere, desto weniger Korn; je mehr Katzen, desto weniger Nagetiere. Damit hatte die Katze ihre Lebensaufgabe gefunden. Sie ist dem Menschen natürlich auch Schmusetier gewesen, wie so vieles andere. Doch im Grunde war und ist sie bis auf den heutigen Tag ein Arbeitstier. Es mag ihr nicht wie Arbeit erschienen sein; es liegt schließlich nicht in der Natur der Katze, sich zu knechten. Ganz gewiß würde ihr nicht im Traum einfallen, sich vor irgendwelche Karren spannen zu lassen, und geritten wurde eine Katze allerhöchstens in Mythen. Doch wenn ihr Sport dem Menschen als nützliche Arbeit erscheint, ist es der Katze auch recht. Katzen sind ziemlich tolerant menschlichen Eigentümlichkeiten gegenüber, solange sie selbst davon keinen Schaden haben. Höchstwahrscheinlich war die Katze nicht das erste Tier, -31- das menschlichen Eigentümlichkeiten mit Toleranz begegnete. Ihre Beziehung zum Menschen ist in der langen Geschichte der Katze lediglich eine Episode; es ist, als hätte sie in ihrem lange währenden Leben lediglich einmal kurz zum Tee hereingeschaut. Bei weitem während des größten Teils ihres Erdenlebens blieb der Katze keine andere Wahl. Und dann kam die Verbindung keinesfalls spontan zustande. Zuerst erfolgte die Verbindung des Menschen mit einem anderen Nachfahren des Miacis – mit ziemlicher Sicherheit erfolgte sie zuerst. Als der Mensch in Erscheinung trat, kam auch der Hund. Grob genommen, das heißt innerhalb von ein paar Äonen mehr oder weniger, haben diese beiden etwas jüngeren Tiere einen gemeinsamen Geburtstag. Der des Hundes liegt irgendwo im späten Pliozän, ungefähr vor ein paar Millionen Jahren. Der des Menschen dürfte etwa zur gleichen Zeit oder ein bischen später anzusiedeln sein – in den frühen Tagen des Pleistozäns, das aufs Pliozän folgte. Die Festsetzung dieses Zeitpunkts hängt weitgehend davon ab, was man als Mensch bezeichnen will beziehungsweise als Hund. Wir können den Eoanthropus einen Menschen nennen und den Tomarctus einen Hund, denn ersterer sah einigermaßen wie ein Mensch aus, und letzterer war einem Hund nicht unähnlich. Allerdings ist unwahrscheinlich, daß sie sich je begegnet sind. Ein viel späterer Mensch, nun aber unverwechselbar ein Mensch, traf den Wolf, und nach längerer Zeit taten sie sich zusammen. Bewiesen ist, daß sie vor fast zehntausend Jahren gemeinsame Sache machten; die Anfänge dieser Beziehung mögen noch weiter zurückliegen. Vermutlich ging die Katze zu dieser Zeit noch ihren eigenbrötlerischen Weg, was allerdings nicht zu beweisen ist. Der Hund war damals kein Eigenbrötler, wenn er denn -32- jemals einer gewesen sein sollte. Gesellig und intelligent, für den Einzelkampf nicht so gut ausgerüstet wie die Katze, lernte der Wolf, aus dem der Hund entstehen sollte, frühzeitig, daß man gemeinsam stark ist. Viele Wölfe, die sich bei der Jagd ablösen, sind besser als ein einzelner Wolf; mit der Zeit können sie das schnellste Wild müde hetzen. Eine Wolfsfamilie kann einen Bären töten, ein Rudel Wölfe ebenfalls; das Rudel hat vielleicht sogar eine Chance gegen eine Großkatze. Wie der Hund dies lernte, erfuhr es auch der Mensch. Man könnte annehmen, wenngleich es niemand| eindeutig wissen wird, daß es der Mensch war, der zuerst als schwachen Schimmer in seinem dunklen Bewußtsein den Vorteil der Verbindung dieser beiden Kräfte erkannte. Man könnte zudem annehmen, daß der Hund seine Nützlichkeit zunächst als Jagdgehilfe unter Beweis stellte. Der Hund lief schneller als der Mensch, wenn es ums Hetzen der Beute ging, er witterte Dinge, die der Mensch nicht roch, und er konnte ihn warnen – oft genug wohl davor, daß eine Großkatze gefährlich auf der Pirsch war. So wurde der Wolf schließlich zum Hund und machte sich im Lauf der Zeit, während sich auch die menschlichen Gewohnheiten änderten, auf vielerlei weitere Weise nützlich. Ein Hund kann vieles, und ein Hund ist nicht stolz. Ein Hund zieht einen Schlitten oder einen Karren, ein Hund kämpft für den Menschen und hilft ihm bei der Polizeiarbeit, ein Hund führt den Menschen zum Wild und legt es ihm zu Füßen. Ein Hund hütet die Schafe und das Vieh des Menschen und macht sich in mancher Hinsicht auch im Hause nützlich. In den frühen Zeiten glaubten Mensch und Hund wahrscheinlich, gemeinsam der Katze gewachsen zu sein. Ihr junges Leben als Tiere machte sie verwandt, obwohl schwerlich anzunehmen ist, daß es ihnen bewußt gewesen -33- wäre. Ihre vergleichsweise geringe Körperkraft, die Geselligkeit, die ihnen gemeinsam war, führte sie auf natürliche Weise zusammen. Mehrere tausend Jahre mögen verstrichen sein, bevor die Katze sich zu ihnen gesellte, um mit ihne n jenes Triumvirat am Feuer zu bilden, jenes unbehagliche Dreieck von Mensch und Katze und Hund, von denen sich keiner jemals der anderen sicher ist, in denen – vornehmlich aber in der Katze – die Wildheit nicht völlig gezähmt ist. Als Mitglied dieser Gruppe ist die Katze zuerst eindeutig bekannt aus dem alten Ägypten, woher wir unser sicherstes Wissen über die meisten Umstände in der früheren Zivilisation beziehen. Vor viertausendfünfhundert Jahren tauchen geschnitzte Katzendarstellungen auf, doch zu jener Zeit war sie offenbar schon gut gezähmt – das heißt, sie war kein geduldetes Tier am Rand der Gruppe. Sie saß unter dem Sessel ihres Herrn, manchmal mit einem Band daran angebunden. Sie saß aufrecht, den Schwanz um sich gelegt, wie es Katzen zu tun pflege n, wenn sie nichts Unmittelbares zu fürchten haben. Sie war zu Hause, und dem Anschein nach schon seit langer Zeit. Es ist möglich – es ist sogar sehr wahrscheinlich -, daß sie zu jener Zeit woanders domestiziert war. (KatzenExtremisten machen hier ungeschickterweise einen Einwand: Die Katze ist niemals domestiziert, sie ist lediglich gezähmt. Das ist ein Beispiel für die Sentimentalisierung der Katze, die unser Denken so weitgehend beeinflußt. Es ist eine nebensächliche Wortklauberei; der Hund ist ein gezähmter Wolf.) Zum Beispiel war die Katze vermutlich schon vor dem Eintreffen der Weißen in Nord- und Südamerika ein Haustier. In vielen Teilen des Ostens war sie beinahe mit Sicherheit gezähmt. Mit anderen Worten: Ihr Ursprung ist -34- vielfältig die Katze der Pallas, Felis manul, war keine eingeborene Ägypterin. Wahrscheinlich war sie gezähmt, vielleicht war sie die Ahnin der modernen Langhaarkatzen. Irgendeine andere Katze der frühen Zivilisation mag die heutigen Siamkatzen hervorgebracht haben. Die erste ägyptische Katze war vermutlich ein kleines eingeborenes Tier noch im wilden Zustand, bekannt unter dem Namen Caffre – das Wort wird unterschiedlich geschrieben. Sie hatte helles Fell und schwarze Fußsohlen. Vielleicht war sie die erste Katze, die vom Tisch des Menschen gefressen hat. Auf jeden Fall war sie die erste Katze, die zum Gott erhoben wurde. -35- Drittes Kapitel Zur Gottheit befördert Zwischen prähistorischen und historischen Zeiten befindet sich eine Zwielichtzone, und in dieser Zone bewegt sich die Katze als Schatten; sie besteht vielleicht als Theorie, kann aber nicht bewiesen werden. Bevor die Ägypter anfingen, in Schnitzereien und Bildern ihre Geschichte zu erzählen, mag es in Nordafrika Stämme von bedeutend primitiverer Kultur ge geben haben als die Menschen, die eine komplizierte Zivilisation am Nil errichtet hatten und den Menschen, die nach ihnen kamen, den deutlichsten Einblick in die Vergangenheit gewährten. Diese Stämme hatten vielleicht, wie die meisten primitiven Völker, Totems; das Totem eines dieser Stämme mag die Katze gewesen sein. Vielleicht bildeten sie den Katzen-Clan, wie sich viele Jahrhunderte später einige Schotten im Zeichen der Katze zu einem Clan vereinigten; wie sich in Sumatra gewisse Stammesmitglieder als Abkömmlinge einer Katze betrachteten. Totemtiere, sofern von der angenehmen Sorte – möglichst klein, möglichst harmlos, möglichst kontrollierbar -, werden oft von Stammesmitgliedern zur Verfügung gehalten, und so mag es in diesen fernen Tagen auch mit der Katze gewesen sein. Sie war wahrscheinlich gleichzeitig ein Hausgeist und eine Art kleiner Gott noch -36- nicht ganz Gott, erst nur ein Gott im Entstehen, ein Wesen, das zum Göttlichen strebte. Wenn dieser frühe Stamm Ackerbau betrieb, war sie ein hilfreicher kle iner Gott; indem sie das Korn derer schützte, die sie schützten, hat sie vielleicht dazu beigetragen, daß diese Menschen ein bischen besser genährt waren als die aus anderen Stämmen, und damit stärker. Vielleicht errang dieser Stamm im Lauf der Jahrhunderte, während sich Katzen und Katzenhalter vermehrten, die Vorherrschaft in Ägypten. Bubastis könnte seine Stadt gewesen sein, denn auch später noch war sie lange Zeit die Stadt der Katze. Niemand weiß Genaues über diese Dinge. Freilich haben sich hin und wieder Menschen voller Überzeugungskraft zu Wort gemeldet, als wären sie zu jener Zeit dabeigewesen. »In sehr frühen Zeiten, das heißt irgendwann zwischen viertausend und zehntausend Jahren vor Christus, war die ägyptische Katze schlichtweg das von uns beschr iebene Totemtier.“ Das behauptet Professor William Martin Conway 1891 in England, einige Zeit nach der genannten Epoche. Von dieser Theorie läßt sich nur soviel sagen: Sie ist einleuchtend. N. und B. Langton, die das Thema an die dreißig Jahre erforschten, sind sich weniger sicher. »Anscheinend ist kein ägyptischer Mythos, keine Sage über den ersten Kontakt zwischen Katze und Mensch bekannt«, schreiben sie voller Bedauern und verfallen ins Spekulieren, ob der Mensch die Katze eingefangen hat oder von ihr adoptiert wurde – und ins Spekulieren darüber, was für eine Art Katze diese erste Katze gewesen sein mag. Höchstwahrscheinlich war sie eine Caffre, doch nicht einmal das ist erwiesen. Zu dem Zeitpunkt, als sie in Ägypten so zur festen Einrichtung geworden war, daß sie ständig abgebildet wurde, war sie mit ziemlicher -37- Sicherheit eine Mischform, grundsätzlich Caffre, aber deutlicher getigert. Damals hatte sie (im allgemeinen) spitze Ohren und saß mit nahezu geradem Rücken, etwa wie es die heutigen Siamkatzen häufig zu tun pflegen, wenngleich die Siamkatze, soweit bekannt, kein geradliniger Abkömmling der ägyptischen Katze ist. Doch in ihrer ersten Erscheinungsweise war sie womöglich überhaupt keine Katze – jedenfalls keine Felis domestica, wenn auch mit großer Sicherheit eine Katzenart. Diese erste Darstellung eines Tieres, das vielleicht eine Katze gewesen sein mag, ist, wie die Langtons es beschreiben, eine Schnitzerei von »zwei katzenartigen Tieren, die an Standarten oder rituellem Zubehör hinaufklettern, auf zwei Fragmenten aus Abydos, die den Namen des Königs Den aus der Ersten Dynastie tragen. “ Den – Den Semti oder Den Sentui – hat etwa zwischen 5383 und 5363 v. Chr. gelebt oder war unserer Zeit um ein paar tausend Jahre näher. Und eines dieser Tiere, das an einer Standarte hinaufklettert, sollte womöglich einen Löwen darstellen, denn sein Schwanz endet in einer Quaste. (Ein Löwe klettert allerdings nicht an Standarten hinauf; der Löwe klettert uncha rakteristischerweise nicht wie eine Katze.) Es wurde Vermutet, daß diese Tiere überhaupt keine wie auch immer gearteten Katzen waren, sondern Mungos. Doch ihre Nasen und Schwänze sehen nicht aus wie die von Mungos. Stellen wir sie uns als Katzen vor; damit haben wir einen Ausgangspunkt. Aber wenn Katzen, diese »katzenartigen Tiere«, noch beträchtliche Zeit vom Gottsein entfernt waren, bleibt nur die Möglichkeit, daß sie in gewissem Sinne rudimentäre Totemtiere waren. Erst sehr viel später schleicht sich der erste Hinweis auf Anbetung ein. Erst in vergleichsweise später Zeit, in den Tagen des Neuen Reichs, vor höchstens dreitausendfunfhundert Jahren – wurde die Katze heilig -38- gesprochen und mit der Göttin Bastet in Beziehung gesetzt. Die Göttin hatte viele Namen; die Griechen nannten sie Bubastis. Oder sie waren nur in dem Sinne heilig, daß sie unantastbar waren, wie östliche Völker es mit vielen Tieren halten. Und es darf nicht vergessen werden, daß die Katzen, auch nachdem sich ihre Verbindung mit der Göttlichkeit gefestigt hatte, immer noch blieben, was sie schon immer waren – Haustiere und Jäger von Nagetieren. Von Zeit zu Zeit wurde vielleicht eine bestimmte Katze besonders geehrt; kleine, fellige Bastets ruhten womöglich auf Kissen und ließen sich huldigen. Doch vorrangig bewegten sich Katzen so, wie sie es seit jeher gewohnt waren: auf ihren eigenen vier Füßen. Keine Katze, ob Gott oder gewöhnlich Sterbliche, ist glücklich, wenn sie keinen Boden unter den Füßen hat; als Katze kann man nie wissen, wann man sich nach irgendwohin auf den Weg machen muß. Zur Zeit der XVII. Dynastie waren Katzen mit Gewißheit überall und wurden bei allen möglichen Katzenbeschäftigungen abgebildet: auf Gräbern, in Materialien von Gold bis Ton. Schnitzereien zeigen sie unter Sesseln sitzend, hin und wieder mit Leinen an die Sesselbeine angebunden, oder an Knochen nagend, Fisch verzehrend, mit Mäusen unter der Pfote, als Katzenfamilien, bestehend aus Mutter und Jungen – niemals mit mehr als vier Jungen -, manchmal die Kätzchen säugend. Einige dieser Darstellungen sind so lebensecht, daß man sie beinahe schnurren zu hören glaubt, andere sind stilisiert. Die Abbildungen variieren stark in der Größe; manche wurden offenbar als Amulett getragen. Die Langtons stellen fest, daß alle ägyptischen Katzen ihren Schwanz nach rechts gebogen tragen, obwohl, wie sie anmerken, »die Katze im wahren Leben unparteiisch ist«. -39- Die Sammlung der Langtons zeigt offenbar zwei Arten von Katzen: die kurzohrige mit stumpfer Nase und die langohrige mit spitzer Nase. Die häufigste Färbung, soweit sie heute noch entschlüsselt werden kann, ist rötlich mit schwarzem Muster. Die meisten Katzen waren zumindest bis zu einem gewissen Grad gestreift. In manchen Fällen wurden gefärbte Steine benutzt, um die Zeichnung herzustellen. Und eine ägyptische Abbildung zeigt ganz eindeutig eine Katze, die ihrem Herrn bei der Jagd assistiert, eine Beschäftigung, die Jules Fleury-Husson, der unter dem Namen Champfleury eines der ersten Katzenbücher schrieb, mit schweren Zweifeln betrachtet. Eine solche Beschäftigung, so schreibt er, würde an ein Wunder grenzen. Er tendiert offenbar zu der Annahme, daß irgendein Künstler aus alter Zeit diese Sache erfunden hat. Die relativ gut erhaltene Abbildung zeigt mit Gewißheit eine Katze, die ein Wildgeflügel aus dem Sumpf holt, wie es aussieht, auf menschlichen Befehl oder zumindest in menschlicher Begleitung. Und daran ist überhaupt nichts Wunderbares; es wäre im Höchstfall ein wenig ungewöhnlich. Im allgemeinen gehen Katzen nur ins Wasser, wenn sie sich dazu gezwungen sehen, doch schwimmen können sie problemlos, und einige genießen es offenbar sogar. Häufig genug gehen Katzen fischen, und nicht immer angeln sie nur vom Ufer aus mit der Pfote. Viele Katzen wurden beim Tauchen nach Fischen beobachtet, und anscheinend macht es ihnen Spaß. Und vom Instinkt her ist die Katze ein Apporteur. Sie pflegt ihre eigene Beute in die Höhle der Familie zu bringen, wie alle Katzenbesitzer ständig feststellen können. Sie legt dem Menschen ein frisch erlegtes Kaninchen zu Füßen, wenn auch meistens nur zum Anschauen und mit der Absicht, es selbst wieder mitzunehmen. Mühelos kann -40- man einer Katze das Apportspiel mit einem ihrem Maul angepaßten Gegenstand, vorzugsweise einer Maus aus Katzenminze, an einem einzigen Abend beibringen. Martini spielte dieses Spiel unermüdlich, bevor wir andere Katzen hatten, die neue Regeln und neue Spiele mit sich brachten. Sie spielte, bis ihre beiden Menschen erschöpft waren, während sie selbst nicht das geringste Zeichen von Ermüdung zeigte. Das Spielzeug wurde dem jeweils erwählten Menschen zu Füßen gelegt, und dann sprach Martini. Höflich ließ sie Zeit für eine Antwort. Dann sprach sie erneut, immer noch mit angemessener Höflichkeit – eine Siamkatze ist nicht auf sanfte Töne eingestellt, doch sie war nicht gebieterisch. Erst wenn mehrere Aufforderungen ungehört verhallt waren, legte sie die Pfote ans Menschenknie, wobei sie gerade soviel Krallen zeigte, wie nötig war, um das Vorhandensein dieser Krallen nicht vergessen zu lassen. Dann war es höchste Zeit, die Maus noch einmal zu werfen – in den langen Flur einer Stadtwohnung, wohin Martini in furioser Begeisterung folgte, um sie dann zurückzuerstatten. Ihr gefiel das Spiel am besten, wenn zwei Menschen teilnahmen und wenn wir in zwei Sesseln in etwa drei Meter Entfernung voneinander saßen. Dann war der Trick verwickelter, komplizierter. Einer von uns warf die Maus; Martini brachte sie zurück, aber nicht zu demjenigen, der geworfen hatte, sondern zum anderen. Nun warf dieser; die Maus wurde dem ersten Werfer zurückgebracht. So ging es abwechselnd immer weiter, für eine Stunde oder so, ohne Fehler. Hin und wieder schien sie allerdings zu vergessen, näherte sich dem, der nicht an der Reihe war. Doch immer besann sie sich noch rechtzeitig ~ rechtzeitig genug gewöhnlich, um seitlich nach dem Menschen zu schielen, der nicht an der Reihe war, einen kleinen mißbilligenden Ton von sich zu geben (als läge der -41- Beinahe-Fehler beim Menschen, nicht bei der Katze), und um jeden Gedanken an eine Unsicherheit durch einen etwas weiteren Umweg als gewöhnlich abzuschmettern. Katzen machen nicht gern Fehler; das ist ihnen peinlich. Wenn Katzen zu solchen Spielen fähig sind, und fast alle sind es, dann besteht kein ohne weiteres erkennbarer Grund, warum ihnen die Jagd auf Kleinwild nicht gefallen sollte. In Ägypten haben sie zweifellos gejagt. Zu jener Zeit wurden sie gut behandelt, und eine gut behandelte Katze ist sehr kooperativ. Daß eine Katze unter einem Sessel gehockt haben soll, selbst wenn es sich um einen Königsthron handelte, noch dazu mit einer Leine um den Hals und lange genug, um einem Bildhauer als Modell zu dienen – das ist bedeutend schwerer nachzuvollziehen. »Sitz doch um Ras willen endlich still!« mag der entnervte Künstler oft genug ausgestoßen haben. »Du sollst nicht an der Leine knabbern, Chaou!“ Vielleicht hat er auch »mau« oder »mai« oder »meau« gesagt, denn offenbar gab es mehrere Wörter für »Katze«. Oder aber wir können ihn, nachdem so viele Jahrhunderte vergangen sind, einfach nicht so gut verstehen. Auch verstehen wir, wenngleich viele so gelehrt über das Thema geschrieben haben, die ägyptische Religion nicht sonderlich gut. »Einen klaren, zusammenhängenden Einblick in die ägyptische Religion zu erhalten scheint unmöglich zu sein, aus dem einfachen Grund, weil der Ägypter selbst nie einen solchen Einblick hatte«, bemerkt James Baikie reichlich resigniert an einer Stelle seiner History of Egypt. Als also die Katze mit Bastet gleichgesetzt wurde, die so viele andere Namen hatte die, wie Herodot anregt, identisch waren mit Diana -, wurde sie in mancher Hinsicht noch geheimnisvoller denn je. Bastet war, abhängig vom jeweiligen Blickwinkel, die Göttin der Sonne und des Mondes, der Liebe und der Jagd; -42- sie war gut und böse zugleich, sie war verwandt und manchmal identisch gesetzt mit Sekhmet und Ashtoreh. Und sie wurde nicht immer in der gleichen Gestalt repräsentiert und schon gar nicht immer als Katze, wenngleich die Katzengestalt sich im Verlauf der Jahrhunderte immer weiter ausbreitete. In der V. Dynastie war sie nicht einmal katzenköpfig; es wäre vorstellbar, daß dies erst der Fall war, als der postulierte Katzen-Clan an die Macht gelangte, denn die Geschichte weiß, daß die Menschen immer wieder alte Götter übernommen und im Hinblick auf ihre Belange umgemodelt haben. Und bevor Bastet katzenköpfig wurde, hatte sie ein Löwenhaupt. Insgesamt tritt sie in vier Gestalten auf: katzenköpfig, katzenköpfig und katzenfüßig, mit Löwenhaupt und als Katze. Warum, weiß niemand zu sagen. Sie war eine veränderliche Göttin. Im Labyrinth von Religion und Katzendasein zeichnet M. Oldfield Howard einen so klaren Weg vor, wie er sonst nicht zu finden ist. Über die Katze und Bastet schreibt er: »Wie die Katze in der Dunkelheit sehen kann, so durchdrang die Sonne, wenn sie nachts in die Unterwelt reiste, die Finsternis. Bastet repräsentierte den Mond, denn der Mond galt als Auge der Sonnengöttin in den Stunden der Dunkelheit. Denn wie der Mond das Licht des Sonnensystems reflektiert, so begriff man die phosphoreszierenden Augen der Katze als Spiegel für die Sonnenstrahlen, solange sie anderweitig unsichtbar für das menschliche Auge blieb. Bastet als Katzenmond hatte während der Nacht die Sonne in ihren Augen, hielt Wache mit Hilfe des ihr anvertrauten Lichts, während ihre Tatzen den Kopf ihrer Todfeindin, der Schlange der Finsternis, packten und schlugen und zerfleischten. Dadurch rechtfertigte sie ihren Namen als Reißerin und bewies, daß er nicht unvereinbar war mit der Liebe.« -43- Dieser Beweis war notwendig; denn Bastet war, nicht zu vergessen, die Göttin der Liebe. Gezwungenermaßen mußte sie großartig in allen Bereichen sein, insbesondere als »Reißerin« in Zeiten der Sonnenfinsternis. Denn dann, so schreibt Howard, »fand ein entsetzlicher Kampf statt – eine titanische Schlacht zwischen Dunkelheit und Licht, Böse und Gut. Angsterfüllt und atemlos beobachtete der Mensch den Sonnengott in Gefahr, schrie und schüttelte das Sistrum, um den Feind, die Schlange, zu erschrecken. Urplötzlich sprang dann die himmlische Katze mit feurigen Augen und gesträubtem Fell das todbringende Reptil an, und Apap (die Schlange) floh blutend und zerrissen in die Tiefe der Dunkelheit. Nachdem die Sonnenfinsternis auf diese Weise beendet war, steigerte sich die Verehrung des ägyptischen Volks für das heilige Tier jedesmal erheblich.« Gesteigert haben muß sie sich, und hoffentlich in menschlicher Weise – das heißt, im Umgang des Menschen mit der Katze. Ob die kleine, pelzige »mau« oder »chaou« in ägyptischen Häusern besondere Leckerbissen erhielt, wenn sie die Welt vor der Dunkelheit gerettet hatte? Durfte sie zu diesem besonderen Anlaß vielleicht dort sitzen, wo sie schon immer gern hätte sitzen mögen und nie – wie ihre Besitzer dachten und was sie, die Katze, nicht korrigierte – wirklich gesessen hatte? Wurde sie gestreichelt, hinter den Ohren gekrault? Oder war sie für ein paar Tage zu schrecklich in ihrer Majestät für solche Zuwendungen und wurde daher mehr verehrt als geliebt? Das Sistrum, das die Ägypter schlugen, um die Schlange zu verscheuchen und die göttliche Katze anzufeuern, war immer mit der Katze assoziiert; das Bild der Katze schmückte diese altertümliche Rassel, die zum Teil Musikinstrument und zum anderen Teil Phallussymbol -44- war. Die Katzendarstellung symbolisierte vermutlich – und ganz, wie es ihr angemessen ist -Fruchtbarkeit. Denn die Katze war, um noch einmal Howard zu zitieren, »das Emblem des altehrwürdigen Ideals der jungfräulichen Mutterschaft, die große ägyptische Muttergöttin, die womöglich zu einer Vielzahl anderer Göttinnen in Katzengestalt zählte«. Die Verbindung der Katze mit Jungfräulichkeit ist sicherlich eine der seltsamsten menschlichen Einbildungen; Jungfräulichkeit ist ganz offensichtlich ein der Katze völlig unverständliches Konzept. In einem Land, in dem es von Katzen wimmelte, dürfte dies den Ägyptern kaum entgangen sein. Vermutlich war die Katze, solange sie Katze war, nichts weiter als die kleine »maou«, die um Beine strich und Mäuse fing, und göttlich war sie nur bei förmlicheren Anlässen. Doch diese zwei Sichtweisen der Katze trafen sich natürlich irgendwo, und das gereichte der Katze nur zum Wohle. Auch solange sie nur Katze war, blieb sie unverletzbar, in gewissem Maße göttlich. Ein römischer Soldat, der eine Katze tötete – und sich damit, wie man es sich so vorstellt, echt römisch aufführte -, wurde vom ägyptischen Mob wahrscheinlich nahezu in Stücke gerissen. Wer als erster eine tote Katze erblickte, lebte ungesund, denn es bestand die Gefahr der Vermutung, er könnte zu ihrem Tod beigetragen haben. Ein bestimmter hinterlistiger Kapitän alter Zeiten warf, als er eine ägyptische Stadt angriff, Katzen über die Mauern und schickte ihnen seine Männer hinterher, während die Ägypter nach einer Lösung für das Dilemma suchten, das dieser plötzliche Götterregen für sie darstellte. Da Katzen niemals willentlich getötet wurden und so fruchtbar sind, wie eine Göttin der Liebe es sich nur wünschen kann, wurden sie sehr zahlreich in Ägypten so -45- zahlreich, daß ein Grieche, ein Tourist in den späteren Tagen Ägyptens, berichtete, man träfe in diesem Land häufiger auf einen Gott als auf einen Menschen. Damit in dieser Übervölkerung durch Katzengötter keiner von ihnen Not litt, hinterließ ein Herrscher – el-Daher-Beydars – einen Fonds zur Einrichtung eines »Katzengartens« für, wie M. Champfleurys Übersetzer es ausdrückt, »bedürftige herrenlose Katzen«. Da alle Katzen sich, sobald sich die Fressenszeit nähert, als bedürftig betrachten, da es unvorstellbar ist, daß eine Katze glaubt, sie hätte einen Herren, wie auch immer der Mensch die Beziehung betrachten mag, wird dieser Garten oftmals überlaufen gewesen und der Beauftragte beschuldigt worden sein. Doch der Gedanke war ein freundlicher, und mancher Ägypter muß in seinem letzten Willen die weitere Versorgung einer Lieblingskatze festgelegt haben, wie Katzenliebhaber – und natürlich auch Hundeliebhaber – es zu allen Zeiten oft genug getan haben. Dennoch lebt auch die verwöhnteste, sorgsamst behütete Katze nicht ewig, wenngleich sie in Relation zu ihrer Lebenserwartung – die, sofern ihr kein Unfall zustößt, zehn Jahre beträgt – länger lebt als der Mensch. Also starben auch in Ägypten Katzen, und wenn die Familienkatze verstarb, trauerte die Familie; die Angehörigen rasierten sich die Augenbrauen. Die Katze wurde, genauso wie ein verstorbener Mensch, mumifiziert, und wenn es sich um eine gut situierte Katze handelte, bekam sie vielleicht sogar ihr eigenes Grab, in dem ihr Abbild in die Wände gehauen wurde. »Sie war eine ganz ungewöhnliche Katze«, ließ ein Mitglied der ägyptischen Aristokratie dann vielleicht seinen Künstler wissen. »Sie hatte die Angewohnhe it, so dazusitzen, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, und zu mir aufzuschauen. Stellen Sie sie bitte in dieser Haltung dar.“ -46- Und später mag solch ein Mann, bis es Zeit war, sein eigenes Abbild in die Wände seines Grabs hauen zu lassen, die Begräbnisstätte seiner Katze manchmal aufgesucht und das Bildnis der Katze betrachtet haben – wenn er mittlerweile auch längst andere Katzen hatte, schöne Katzen. Dann seufzte er wohl und gedachte der Wärme der lebendigen Katze an seinem Bein, dachte an ihr Schnurren, an ihre Eigenarten, die sie von anderen Katzen abhob. Wären Sie Ägypter gewesen in den großen Tagen der Katze und gleichzeitig auch Ägyptens, hätten Sie kleine Töpfchen mit Milch in das Grab gestellt, damit die Katze in der Unterwelt nicht Hunger leiden und sich vergessen fühlen mußte. Natürlich stehen die Chancen, daß Sie, wären Sie damals Ägypter gewesen, Ihrer Katze ein Grab hätten bieten können, denkbar schlecht, denn die ideale Lösung zur Verteilung des Reichtums war noch nicht entdeckt. Also bekam Ihre Katze, wenn auch mumifiziert, nicht gerade das alleraufwendigste Begräbnis und schon gar kein Grab. Vielleicht hätten Sie ein Fest zu Ehren der Katzengöttin abgewartet und die kleine Mumie dann zum Tempel getragen, um sie dort an der vorgesehenen Stelle beizusetzen. Vielleicht hätten Sie sie auch auf einen der Katzenfriedhöfe gebracht, deren größter am Ostufer des Nils bei Beni-Hasan liegt. Dort wurden Hunderttausende von Katzenmumien bestattet und im Laufe der Zeit, während Ägypten weniger und weniger Ägypten wurde, wieder ausgegraben. Sie wurden erst in jüngster Zeit ausgegraben und tonnenweise verkauft und als Düngemittel benutzt. Zahlreiche Mumien wurden nach England verschifft, wo es zur Zeit dieser Katzen noch keine Katzen gegeben hatte und wohin sie nicht hätten exportiert werden können. Denn Ägypten hütete seine Katzen streng, und es galt als -47- Verbrechen, gezähmte Felis caffre über die Grenzen des Reichs zu schmuggeln. Womöglich wurden die der Katzengöttin innewohnenden Tugenden als Geheimwaffe angesehen, von der die Größe Ägyptens in gewissem Maße abhing. Vielleicht waren die Ägypter aber auch lediglich nicht sicher, ob genug Katzen vorhanden waren, um die ganze Welt zu versorgen, und hatten selbst schwer genug an Nagetier-Problemen zu tragen. Doch wenn die Katze ein Staatsgeheimnis oder auch nur ein staatliches Hilfsmittel war, sickerte das Geheimnis doch durch, wie es Geheimnisse so an sich haben, ganz gleich, wie laut nationale Sprecher darüber tönten. In den frühesten Tagen waren Katzen offenbar nicht sehr weit verbreitet. In verschiedenen Gebieten der östlichen Halbkugel waren sie wohl bekannt und wurden vielleicht auch unabhängig voneinander gezähmt. Die Israeliten jedoch scheinen die Katze nicht gekannt zu haben; sie wird in jüdischen Schriften jedenfalls nicht erwähnt, außer in einem Satz aus den Apokryphen und auch hier wird bezweifelt, ob dieser sich tatsächlich auf eine Katze bezieht. Im frühen Griechenland und selbst im frühen Rom gab es anscheinend keine Katzen. In China, so wird vermutet – und nur vermutet -, waren Katzen bis ungefähr zu Beginn der christlichen Ära unbekannt. Als die Hauskatze Ägypten verließ und nach Europa vordrang, reiste sie – wie es Götter gern tun – mit dem Handel. Vermutlich waren es phönizische Händler, die beim Durchgang durch den ägyptischen Zoll um ihr Leben zitterten und die ersten schnurrenden Götter Ägyptens über das Mittelmeer verschifften – als Haustiere, als Mäusefänger, als Kuriositäten. In Europa angekommen, richtete die Katze sich dort ein. Sie traf auf eine Vielzahl von Vettern. Von England zum Beispiel als »katzenlos« zu sprechen, -48- ist im engeren Sinne nicht korrekt. Soweit bekannt ist, gab es vor der römischen Invasion dort keine zahmen Katzen. Doch in den Wäldern wimmelte es, wie in allen europäischen Wäldern, von der gemeinen Wildkatze, Felis catus – einer Katze, die sich in einigen Teilen Europas, besonders in Schottland, bis auf den heutigen Tag gehalten hat. Diese Katze hatte ungefähr die Größe der ägyptischen, war aber viel deutlicher gezeichnet – scharf gestreift oder gefleckt. (Diese Zeichnung scheint grundsätzlich allen Katzen zu eigen zu sein; sie taucht in Ansätzen sogar bei Siamkatzen auf, wo sie bei den Züchtern keineswegs gern gesehen ist. Die ägyptische Katze hatte offenbar von Anfang an eine Neigung zu Streifen.) Ein paar von diesen neuen, aus Ägypten nach Europa verschleppten Katzen gingen des Nachts aus, wie es Katzen nun mal mögen. Da hörte man einen neuen Katzenschrei in Europas Wäldern, und wenn auch ein ägyptischer Akzent feststellbar war, stand doch außer Frage, von wem er ausgestoßen wurde. Die Katze verfügt über eine universelle Sprache und stellt, über jeden Zweifel erhaben, eindeutig fest, was Katze und was nicht Katze ist. Europäische Katzenweibchen schrien ihre urzeitliche Einladung in die Dunkelheit und auch in den Tag hinaus – Zurückhaltung ist rezessiv bei Katzentieren , und eine freilaufende Katze schreit niemals lange vergeblich. Irgendwo ist immer ein Kater, und wenn er kann, dann kommt er. So kamen die europäischen Katzen aus den Bäumen, und die Neuankömmlinge aus Ägypten folgten ihnen hinauf in die Bäume, und alle zusammen bekamen viele kleine Kätzchen. Felis catus traf auf Felis caffre, und sie brachten die meisten unserer heutigen Felis domesticae hervor. So lautet zumindest die vorherrschende Theorie. Langhaar-, Siamkatzen und noch einige andere Arten haben -49- womöglich andere oder zum Teil andere Ahnen. Doch die Katze auf den Hinterbeinen an einer städtischen Mülltonne, die Katze in der Scheune eines Bauernhofs und die glatte, kurzhaarige, die immer weiß, wo ihre nächste Mahlzeit wartet und wie sie sie bekommt, die sich von einem Kind am Schwanz ziehen läßt – all diese Katzen können durch die Jahrhunderte zurückblicken in die Wälder Europas und auf die Wildkatze, einen gefährlichen Gesellen; sie können in die Vergangenheit lauschen und die Urwaldschreie dieser neuen Verbindung hören. Und wenn sie nicht daran gehindert wird, kann jede heutige Katze ihren Fensterplatz verlassen, sich von ihrem Kissen erheben und den nächstbesten verfügbaren Ort aufsuchen, der annähernd einem Wald gleichkommt, und selbst diese Schreie ausstoßen. Die Vermutung liegt nahe, daß die Nachkommen der einheimischen Wildkatze und der domestizierten Caffre (die womöglich selbst schon eine Mischzüchtung war) weniger schwer zu zähmen waren als die Wildkatze. Wenn die Ägypterin in dieser neuen Welt ein Heim gefunden hatte, brachte sie dort auch zweifellos ihre Jungen zur Welt, und diese waren dann von Anfang an zahm, weil ihre Mutter ihnen alles erklärt hatte. Und das eine oder andere Junge einer Wildkatze verspürte vielleicht eine Sehnsucht in sich nach dem Anblick und den Geräuschen von Menschen und nach ihrem Feuer und dem Überfluß an Mäusen bei den Menschen – und näherte sich vorsichtig an und ließ sich schließlich füttern und streicheln. Zu diesem Zeitpunkt war der Europäer reif für die Katze. Reif war er wohl nicht von jeher, und nicht nur aufgrund des niedrigeren Standes seiner Zivilisation. Vielleicht hatte er keine Mäuse, die ebenfalls aus dem Osten eingeführt wurden. Er hatte so manches nicht, -50- einschließlich einiger unserer modernen Krankheiten. Doch die Mäuse kamen, und dann war es lebenswichtig, daß auch die Katze kam. Die Griechen experimentierten anscheinend eine Zeitlang mit Mardern als Mausefallen, fanden sie jedoch unzureichend, denn wenn es um Mäuse geht, kommt nichts einer Katze gleich. So sah die Katze sich in Europa willkommen geheißen und breitete sich allmählich aus, wie sie sich inzwischen in der ganzen Welt ausgebreitet hat. Doch für diese Ausdehnung ihres Wirkungskreises mußte sie Strafe zahlen. Sie war nicht länger eine Göttin, doch die Attribute der Magie blieben an ihr haften. Sie trat in eine unbehagliche Verbindung mit der Unterwelt ein, und aus dieser Verbindung hat sie sich erst kürzlich, und keinesfalls überall, befreien können. Sie wartet immer noch, wie sie schon so lange geduldig gewartet hat, darauf, daß der Mensch erwachsen wird. Hin und wieder wird sie sich zwangsläufig fragen, ob es jemals dazu kommt. -51- Viertes Kapitel Übersinnliche Begabungen Historisch gesehen war die Katze zunächst ein Gott und wurde dann zum Teufel degradiert. Diese Entwicklung ist in keiner Weise ungewöhnlich; es ist das landläufige Schicksal von Göttern, in die Dunkelheit hinabzusteigen. Es ist dagegen keineswegs das gewöhnliche Schicksal von Tieren, mit dem Übernatürlichen in Verbindung gebracht zu werden und diese Position über Tausende von Jahren hinweg zu halten. Schlangen und Kröten freilich sind sehr versiert im Umgang mit nichtmenschlichen Wesen; der Stier war heilig, und der harmlose Hase war ein Begleiter, wenn nicht gar das zweite Ich von Hexen. Immer mal wieder kamen dem Menschen Zweifel, was die Eule betrifft. Aber nur die Katze schleicht so unentwegt durch die seltsam ausgeleuchteten Korridore des menschlichen Bewußtseins, in denen Gut und Böse in grauenhaften Gestalten miteinander ringen. Vielfältige Überlegungen, warum das so ist, wurden angestellt, warum diese Tatsache von der frühen ägyptischen Zeit bis gestern, wenn nicht sogar bis heute, Gültigkeit hat. Rein verstandesmäßig betrachtet, weist die Hauskatze wenig auf, was Ehrfurcht gebietet: Sie ist klein und wird uns kaum verletzen; sie ist ein Schmuckstückchen und gleichzeitig nützlich, und die -52- Dämonen, die sie anscheinend manchmal sieht, sind, dessen können wir sicher sein, nicht ihre, sondern die unseren. Da liegt sie auf dem Rücken, sieht aus, als würde sie lächeln, und bietet Freunden ihren ungeschützten Bauch, um sich kitzeln zu lassen; wenn sie gut gelaunt ist, mag sie einem Kind sogar gestatten, sie am Schwanz zu ziehen. Sie ist deutlich verspielter als die meisten Tiere, nicht nur als junges Kätzchen, und falls sie andere, anscheinend nicht so unschuldige Gewohnheiten hat, steht sie in dieser Hinsicht keinesfalls allein da. Und trotzdem gibt es heute noch Menschen, die, sobald sie eine Katze sehen, sich aufführen, als hätten sie den Satan persönlich unter höchst widrigen Umständen getroffen. Daß diese Opfer der Katzenphobie in Zeiten, da die meisten unserer Teufel in menschlicher Gestalt auftreten und unsere Hexenjagd sich nicht auf Hexen konzentriert, immer noch erstaunlich empfänglich für das Übernatürliche in der Katze sind, liegt nahe, läßt sich aber nicht beweisen. Wenn dem so ist, stehen sie ein bischen hilflos da, ohne hinreichende Form, in die sie vom Verstand her ihren instinktiven Abscheu pressen können. Ihre Angst vor Katzen können sie sich selbst nicht einfach damit erklären, daß die Katze Bastet ist, die nicht unbedingt eine angenehme Göttin war. Ihr Verstand läßt auch nicht zu, daß sie sich sagen, das Tier, vor dem sie zurückschrecken, sei ein verkappter Hexenmeister, der nur darauf wartet, sie mit einem Zauber zu belegen. Solcher Aberglaube ist aus der Mode gekommen. Der menschliche Instinkt, der ihn hervorgerufen hat, ist noch kraftvoll vorhanden, hat jedoch sein stützendes Gerüst verloren. Möglich ist, daß die Assoziierung der Katze mit dem Übersinnlichen zumindest zu einem beträchtlichen Teil schon immer ein solches Gerüst für die Vernunftarbeit gewesen ist, mit der unbewußten Absicht, mit Hilfe des -53- Verstands die Linderung einer innewohnenden Angst zu erreichen. Ein Mensch kann Ehrfurcht vor einem Gott haben, ohne seine Würde einzubüßen; Angst vor dem Teufel ist keine Schande. Diese Rechtfertigung vor sic h selbst mag in ganz verschwommener Form zu einer Zeit begonnen haben, als der Mensch gerade erst anfing, Mensch zu werden, das heißt, kurz nachdem er von den Bäumen stieg. Denn zu jener Zeit waren die ihm bekannten Katzen wahrhaft furchtbar. Wenn er schwatzend in seinem Baum hockte, sah der frühe Menschenaffe viele entsetzliche Begebenheiten im Zusammenhang mit dem mächtigen, schleichenden Feind, dessen Bewegungen so unmenschenaffenhaft geschmeidig waren. Schönheit und Tod sah er da vereinigt, ungerechterweise verbunden mit der Befähigung zum Klettern auf Bäume. Die Furcht vor der Katze brannte sich ein in das Hirn des kleinen Tierchens auf seinem Ast, und plappernd teilte er die Angst seinen Freunden mit. Der kleine Affe war vielleicht der erste, der unter Ailurophobie, unter einer Katzenphobie, litt. Der erste Mensch erbte womöglich eine Angst, die in Muskeln und Nerven hockte, die zum Schreckgespenst im sich entwickelnden Bewußtsein des Menschenaffen geworden war. Und der frühe Mensch selbst hatte jeden Grund, die Heidenangst des Affen zu teilen, denn er lebte in den Tagen der größten Katzen inmitten von Schwierigkeiten. Wahrscheinlich stellten die großen Katzen – Smilodon und die Nachfahren von Dinictis – für den Menschen die schlimmste Gefahr dar und trugen das Ihre zum langsamen Wachstum der menschlichen Bevölkerung bei, als der Mensch noch versuchte, sich die Erde zu eigen zu machen. Angesichts der großen Katzen muß der frühe Mensch mächtige Ehrfurcht gepaart mit mächtiger Angst -54- empfunden haben, vielleicht auch ein bißchen Neid. Da war ein Tier, unermeßlich stärker als er selbst und zudem unvergleichlich viel schneller. Da war ein Tier, das mühelos dort hinaufsprang, wohin der Mensch kaum durch Klettern gelangte, ein Gegner, so gut ausgerüstet, daß er mit einem einzigen trägen Wischen seiner Tatze einen Menschen zu einem blutigen Nichts reduzieren konnte. Zudem war dieses Tier listig – in dem Bereich, wo sie einander trafen, fast so einfallsreich wie der Mensch selbst. Nun ist aber der Menschenaffe ein stolzes Tier und war es seit jeher. Wenn ein anderes Tier besser zu sein schien als der Menschenaffe – anmutiger, schöner, kraftvoller -, ist der Gerechtigkeit eindeutig ein Fehler unter laufen. Wenn der Gerechtigkeit in dieser Hinsicht ein Fehler unterläuft, sind offenbar zweifelhafte Mächte im Spiel; das Böse hat dem Gegner die helfende Hand gereicht. Ein Wesen, so mächtig, daß es Unheil anrichten kann, muß vom bösen Geist beeinflußt sein oder, allgemeiner, von irgendeiner übernatürlichen Macht. (Die meisten primitiven Götter des Menschen waren gleichzeitig oder abwechselnd gut und böse.) In der Katze steckt der Teufel; die Katze ist ein schrecklicher Gott auf vier Beinen mit Augen wie Feuer. Wenn wir ihr ein, zwei Kinder vorwerfen, als Opfer sozusagen, läßt sie sich vielleicht besänftigen. Wahrscheinlich gehen ihre große Kraft und kämpferische Fähigkeit auf uns über, wenn wir sie zu unserem Totemtier erwählen. (Tausende von Jahren später war die Katze nicht selten ein Wappentier -Symbol wilden Stolzes und todbringender Gefahr.) So oder ähnlich mag die Atmosphäre gewesen sein, geprägt von menschlicher oder auch vormenschlicher Angst, als die Katze zum ersten Mal ihren Platz im menschlichen Netz von Magie und Religion einnahm – in -55- diesem Netz, das den Menschen vor Gefahr schützen soll, in dem sich die Sonne fängt, damit sie jeden Tag wieder aufgehen kann und die Welt nicht zu ständiger Dunkelheit verdammt, in jenem Netzwerk, in dem der Korngott gefangen und erschlagen wird, damit er im Frühling wieder aufersteht und Wachstum mit sich bringt. Vielleicht war die Katze anfangs eine Göttin, weil der Mensch solch eine ehrfürchtige Angst vor ihr hatte. Und die Betrachtung aus der Nähe, die möglich wurde, als die Katze zur Begleiterin des Menschen wurde, tat wahrscheinlich ein übriges zur Stützung des Glaubens, daß Katzen etwas Unheimliches an sich haben. Zum einen ist die Katze, sofern man ihr ihren Willen läßt, weitgehend ein Nachttier – viel deutlicher als die anderen Vertrauten des Menschen in der Tierwelt, die es im allgemeinen bevorzugen, nachts zu schlafen, wenn auch nicht so ausschließlich wie der Mensch. Die Katze teilt diese Vorliebe nicht, und das ist höchst merkwürdig – höchst verdächtig. Der Mensch hat, hatte vielleicht schon immer, Angst vor der Dunkelheit. (Als die Großkatzen nächtens herumstreiften, hatte er allen Grund dazu.) Der Mensch war von jeher der Ansicht, die Nacht wäre die Zeit, in der sich böse Geister häuften. Und da ist die Katze, geht mit Vorliebe des Nachts aus, wenn Mensch und Hund wissen, daß es Zeit ist, beim Feuer zu schlafen. Nächtliches Herumstreifen, Nachtsicht, das ist etwas für besessene Wesen – und zu denen gehört die Katze; auch die Eule ist ein Nachttier. Sowohl Katze als auch Eule haben starre Augen, das heißt, die Katze nur beina he. Eulen starren Menschen angeblich an, Katzen tun es ganz sicher. Ein irregeleiteter Katzenhasser, der anscheinend nur wenige Katzen kennengelernt hatte, warf diesem Stamm einmal vor, sie wären nicht fähig, den Blick des Menschen zu ertragen, -56- und behauptete, in der Art, wie Menschen von anderen Menschen mit diesem Merkmal reden, sie wären verschlagen. Frühe, aufmerksamere Katzenhalter bemerkten zweifellos, was jeder, der Kontakt mit Katzen hat, bemerkt: daß es zu den Dingen zählt, die die Katze am besten kann und am häufigsten tut, den Blick des Menschen zu halten. Und dieses unentwegte Starren ist gewiß ein wenig unheimlich. Zum einen fehlt den Augen der Katze die Tiefe; bei ihrem Anblicken wird bewußt, daß man zwar in diese Augen hineinsieht, aber nicht ins Innere vordringt, und mit der Zeit kommt man voller Unbehagen zu der Überzeugung, daß die Katze derartige Probleme mit dem menschlichen Auge nicht hat. Die Katze schaut den Menschen nicht nur an, ganz offensichtlich schaut sie durch ihn hindurch, womöglich auf etwas in seinem Rücken. Von einer Katze angestarrt zu werden, ist höchst beunruhigend, und ein phantasiebegabter Mensch wird irgendwann das Gefühl halben, daß es mehr ist als bloß Katze, was ihn da aus den Katzenaugen durchschaut. Dieses Gefühl müssen die Menschen vor ein paar tausend Jahren sowohl häufiger als auch deutlicher erlebt haben, sie ließen ihre Phantasie stärker spielen, da so vieles mehr der Vorstellung überlassen war. (Wir stellen uns heute keinen Sonnengott in einem strahlend goldene n Wagen mehr vor; wir reden von einem ungeheuer weit entfernten Ball aus brennenden Gasen.) Das Unbehagen, das die Katze mit ihrem Starren hervorruft, mag den Menschen in seinem Glauben bestärkt haben, daß hinter der Katze mehr steckt, als auf den ersten Blick zu vermuten wäre. Und die Augen der Katze selbst führen sich merkwürdig auf, das heißt, nicht wie Augen sich aufführen sollten, also so wie die des Menschen. Abgesehen davon, daß sie nachts nicht nahezu blind sind, -57- weiten oder verengen sich die Augen der Katze mit nachlassendem oder zunehmendem Lichteinfall, und dies ließe sich als Beweis für die Verwandtschaft der Katze mit Sonne und Mond erklären – und wurde so erklärt. Bastet war, nicht zu vergessen, unter anderem auch die Mondgöttin. In der Mystik wird die Identifikation mit dem Mond bestärkt durch die Tatsache, daß die Katze zu einem mondähnlichen Kreis zusammengerollt zu schlafen pflegt. Die geschmeidigen Bewegungen der Katze mögen als weiteres Indiz für ihre Verbindung mit dem Übersinnlichen gewertet worden sein, und zwar ebenfalls wiederum aufgrund menschlicher Ängste. Der Mensch fürchtet die sehnige, geschmeidige Schlange. Der Mensch verabscheut, zweifellos aufgrund seiner Ängste, alles, was ihm katzenhaft geschmeidig erscheint. Wenn auch widerwillig, drängt sich der Schluß auf, daß der Mensch von Natur aus der Anmut abwehrend, wenn nicht feindlich gegenübersteht, vielleicht, weil er selbst im Vergleich zu anderen Tieren und besonders zur Katze so wenig davon besitzt. Die Zauberin ist in den Überlieferungen immer anmutig; ein Herz aus Gold schlägt bekanntlich nur unter der rauhesten Schale und in äußerst unvorteilhafter Hülle. Nun aber betrifft der Großteil dieser Erfahrungen und Beobachtungen, die den Menschen veranlagten, die Katze als magisches Wesen zu betrachten, Merkmale, die der Katze in ihrer Eigenschaft als Tier innewohnen, und hat damit nichts mit katzentypischen Fehlern oder Tugenden zu tun. Die Großkatze schlug den Menschen vor Tausenden von Jahren, weil sie hungrig war und weil der Mensch eine ihr angemessene Mahlzeit darstellte und leicht zu erbeuten war. Die Katze ist so anmutig in ihren Bewegungen, weil sie für ihre Zwecke optimal ausgestattet ist; ihre Augen weiten und verengen sich je nach den Lichtverhältnissen, weil ihr diese Fähigkeit sehr -58- zupaß kommt, und sie jagt bei Nacht, weil die Nacht die beste Zeit für die Jagd ist. Jedoch scheint es, als ob sie ihre Art, einen Menschen anzustarren und in die Defensive zu drängen, ein bischen übertreibt, und in mindestens einem weiteren Aspekt hat sie sich die Identifikation mit dem Übersinnlichen selbst zuzuschreiben, durch die sie soviel gewonnen und auch gelitten hat. Denn zweifellos benehmen sich viele Katzen, als stünden sie zumindest gelegentlich in Kontakt mit Mächten jenseits unserer Kenntnis, dazu offenbar noch aus freiem Willen, wenn nicht gar absichtlich. Dessen kann niemand sicher sein, denn die Ziele einer Katze sind undurchschaubar, sofern man selbst weder Katze ist noch dazu neigt, Katzenart einfach mit menschlicher Art gleichzusetzen – eine Gleichsetzung, die vieles, was wir als Menschen von Katzen halten, ungünstig einfärbt. Möglich ist auch, daß Katzen, die Dinge sehen, die nicht vorhanden sind oder besser nicht vorhanden wären, neurotisch sind. Eine solche Katze kann, wenn sie dahinschreitet, plötzlich stehenbleiben, herumfahren und ins Nichts starren, manchmal sogar angesichts des Unsichtbaren, das sie sieht, das Fell sträuben. Vorsichtig nähert sie sich diesem Nichts, anscheinend auf Zehenspitzen, bleibt stehen und lauscht – vielleicht hat ein Dämon den geheimen Namen der Katze gerufen, ihr einen Befehl erteilt. Die Katze kann diese Aktivität genauso schnell aufgeben, wie sie sie begonnen hat, zu einem Menschen aufblicken und sich freundlich melden. Dann hüpft sie davon, ga nz Katze und nur Katze, und sieht und hört nicht mehr, als einer respektablen Hauskatze zusteht. Sobald sie sich aber der Tür nähert, springt sie plötzlich zur Seite, als hätte sich vor ihren Füßen unvermittelt eine Grube aufgetan, als hätten unsichtbare Finger, die vermutlich -59- ähnlich ihren Pfoten mit Krallen bewehrt sind, ihr Fell gestreift. Für den Menschen, der so etwas beobachtet, kann dies durchaus beängstigend sein. Unsere derzeitigen Katzen führen sich ziemlich selten so auf, doch wir kannten eine Katzenfamilie, deren Mitglieder anscheinend nichts sahen außer Dingen, die uns unsichtbar blieben, und zudem wohl die unvorstellbarsten Geräusche hörten. Zu jener Zeit wohnten wir in einer selbst an schönen Tagen nicht sehr erfreulichen Souterrain-Wohnung, und die Katzen kamen und gingen, wie es ihnen paßte – kamen vom Garten her, die Treppe hinunter, vielleicht sogar durch den Fußboden. Sie kamen anscheinend, um Geister zu jagen, wie andere Katzen ein notorisch mäusereiches Gebiet aufsuchen würden. Sie waren unserer Erinnerung nach drei an der Zahl, doch uns erschienen sie immer zahlreicher; schließlich wirkte die gesamte Wohnung seltsam übervölkert auf höchst sonderbare Weise übervölkert. Als wir selbst anfingen zu sehen und zu hören, was die Katzen sahen und hörten, zogen wir um. Bestimmt hatten diese Katzen mehr Grund zur Wachsamkeit als viele andere, da sie dem Boß von Morton Street unterstanden, einer wahrhaft furchteinflößenden Gestalt. Auch dieser Kater ging ein und aus, wenn auch nicht so häufig, doch er sah keine Geister. Uns allerdings sah er sehr deutlich, und soweit wir es beurteilen können, betrachtete er uns als Beute. Er war groß und schwarz, narbenbedeckt und trotzdem, soviel war klar, unbesiegt. Er bewegte sich seltsam huschend, wie wir es zuvo r und seither nie wieder bei einer Katze beobachtet haben. Seine Gesichtszüge waren in einem beständigen Fauchen erstarrt, und er war wohl die Ausnahme zu der Regel, daß Katzen ihre Krallen einziehen können. Jedenfalls zog er seine Krallen niemals ein. Er sah in uns Mäuse, dessen -60- waren wir sicher mit der Zeit, und wir traten ihm niemals einzeln gegenüber, was uns tollkühn erschienen wäre. Die Katzen von niederem Rang, die unter einem Spuk litten, rannten in wilder Flucht davon, sobald er auftrat; sie lebten in ständiger Angst vor ihm, wie auch wir bis zu einem gewissen Grad. Mag also sein, diese Katzen sich lediglich eine Neurose angeeignet hatten und überall den Boß von Morton Street sahen und hörten, selbst wenn er ganz woanders war und gerade eine Dänische Dogge riß. Außerdem erschrecken Katzen mit ihrem im Vergleich zu unserem soviel empfindlicheren Gehör vermutlich über Geräusche, die für uns nicht vernehmbar sind. Wenn wir hören könnten, was sie hören, würden wir womöglich feststellen, daß das Geräusch nicht die Stimme des Teufels war, sondern nicht mehr als der ohrenbetäubende Aufprall einer Stecknadel auf den Teppich oder das Summen eines winzigen Insekts im Gras. Vielleicht sind Katzen auch körperlich bedeutend empfindsamer als wir und haben Wahrnehmungen über Haut und Fell, für die unsere gröber konstruierten Nerven unempfänglich sind. Viele Katzen sind fraglos hyperempfindlich; es gibt Katzen, denen eine Berührung ihres Schwanzes, und sei sie noch so sanft, unerträglich ist. Martini ist, wenn auch nicht bis zum äußersten Extrem, schwanzempfindlicher als die meisten Katzen. Als einmal eines ihrer Jungen beim Spiel ihren Schwanz berührte, war sie außer sich und biß das Kleine, während die meisten Katzen ihren Schwanz als Spielzeug für die Jungen zur Verfügung stellen. Je besser jemand Katzen kennt, desto besser versteht er sie – natürlich innerhalb gewisser Grenzen. Die Katze, die Gespenster sieht, reagiert, wenn man sie gut kennt, mit einiger Sicherheit auf nicht wahrnehmbare, aber trotzdem körperliche Stimuli. So kann der Mensch sich in Sicherheit wiegen, das unheimliche Verhalten wegdenken. -61- Wenn wir jetzt, na chdem wir so viele Katzen kennengelernt haben, den Kellerkatzen begegnen würden, fänden wir sie bestimmt vernünftiger als vor vielen Jahren. (Der Boß allerdings bliebe nach wie vor die furchteinflößendste Katze aller Zeiten für uns; womöglich war er der Teufel persönlich.) Die Kellerkatzen sahen nicht eigentlich Geister – glauben wir. Martini lauscht nicht auf Stimmen aus der Unterwelt – dessen sind wir fast sicher. Wenn wir aber tatsächlich an Geister glauben würden oder an eine Unterwelt, dann wären wir wohl nicht so überzeugt. Wenn wir an Geister glaubten und Angst vor Katzen hätten, wären wir, zugegebenermaßen, keineswegs überzeugt. Wir kennen nur wenige Menschen, die ehrlich an Geister glauben, dagegen aber viele, die Angst vor Katzen haben. Ailurophobie ist in verschiedenster Ausprägung weit verbreitet. Ein jeder, der Katzen beherbergt und mit Menschen zu tun hat, trifft unvermeidlich auf Menschen, die mit dieser oft nicht kontrollierbaren Angst vor Katzen geschlagen sind. Eine Freundin von uns wurde hysterisch und wäre fast in Ohnmacht gefallen, als ein Liftboy, allein mit ihr in der Kabine, aus Spaß wie eine Katze miaute. Jeder Katzenbesitzer ist mehr oder weniger extremen Beispielen dieser Angst schon begegnet – in Form von wie erstarrt dasitzenden Gästen, die mit verkrampftem Lächeln höflich versichern, alles wäre in Ordnung, und dabei voller Entsetzen das neugierige Annähern einer kleinen Katze im Auge behalten. Hierbei ist zu bemerken, daß sich die Katze unfehlbar immer diesen Unglücklichen nähert und, wenn möglich, versucht, es sich auf ihrem versteinerten Schoß gemütlich zu machen. (Ailurophobie ist nicht zu verwechseln mit der ziemlich weit verbreiteten Katzenallergie, die – zumindest vermutlich – auf ganz anderen Umständen basiert, nämlich -62- auf eher physischen als mystischen. Katzenhaar, das in der Umgebung von Katzen gewöhnlich in der Luft liegt und auf den Möbeln von Katzenbesitzern zweifellos vorhanden ist, sowie Katzenschuppen greifen an Asthma gleich welcher Form leidende Menschen heftig an. Einer unserer Freunde, gleichzeitig ein Geschäftspartner, kann uns niemals besuchen, so angenehm und erfreulich es auch sein würde, weil er es an keinem Ort aushält, wo Katzen sich aufhalten oder aufgehalten haben – er könnte dort nicht atmen. Es wäre sinnlos, die Katzen in einem anderen Raum einzusperren, solange die Katzen in jedem Zimmer, das er auch betreten mag, im ganzen Haus waren. Manchmal überrascht es uns, daß er beim Zusammentreffen mit uns an neutralem Ort nicht schon einen Asthmaanfall bekommt, so heftig reagiert er auf Katzen, und genauso unvermeidlich tragen wir Katzenspuren an unserer Kleidung, wie jeder Hund unverzüglich feststellen würde. Zufällig reagiert dieser Mensch in gleicher Weise auf Hunde und Pferde; seine Katzenallergie ist, wenn auch heftig in ihrer Erscheinungsform, nicht ausschließlich. Er mag Hunde wie auch Pferde und hat seines Wissens eigentlich nichts gegen Katzen, doch die Möglichkeit eines sozialen Kontakts mit einem dieser Tiere ist ausgeschlossen. Dies aber ist keine Katzenphobie, und er gibt den Katzen auch nicht die Schuld an seinem Dilemma.) Zahlreiche Studien beschäftigen sich mit der Ailurophobie und zeigen keine schlüssigen Ergebnisse. Die Forscher bemühen sich um eine besser greifbare Basis für diese Angst als die historische Erklärung, die offensichtlich nicht beweisbar ist. Leider entziehen sich auch alle anderen Theorien der Beweisbarkeit, einschließlich der sehr beliebten Behauptung, ein Mensch, der sich vor Katzen furchtet, habe in frühester Kindheit -63- ungünstigen, wenn nicht gar schmerzhaften Kontakt mit einer Katze gehabt, wodurch alle Angehörigen dieser Art in seinem Bewußtsein verzerrt gespeichert sind. Das ist nur eine dieser bequemen Theorien, deren Hauptvorteil darin liegt, daß sie genauso wenig bewiesen wie ausgeschlossen werden können. Sie haben Angst vor Katzen, können sich aber an keine Gelegenheit, nicht einmal in dunkelster Kindheit erinnern, als eine Katze Ihnen etwas angetan hat? Ah – das ist die schlimmste Ausprägung von allen. Allein die Tatsache, daß Sie sich nicht erinnern, ist Beweis genug, daß etwas vorgefallen sein muß, was Ihnen die Ailurophobie aufgezwängt hat. Erinnern Sie sich jedoch, daß eine Katze Sie, als Sie selbst noch auf allen Vieren krabbelten, mal gekratzt hat, und haben Sie trotzdem keine Angst vor Katzen, haben Sie die Theorie damit noch lange nicht widerlegt. Sie haben keine Angst, weil Sie sich erinnern. Die Windungen des menschlichen Bewußtseins bleiben, wie die des Katzenbewußtseins, undurchschaubar. Manchmal gewinnt man den Eindruck, daß Menschen beinahe genauso geheimnisvoll wie Katzen sind. Die Angst selbst ist allerdings keineswegs rein unterschwellig; die Symptome können so offensichtlich sein wie die der Windpocken. Dr. S. Weir Mitchell drang ziemlich tief, wie in so viele andere Themen, auch in das der Ailurophobie vor. Seine Forschung brachte ihm »unbezweifelbare Beweise hinsichtlich der großen Anzahl von Menschen (ein), in denen die Nähe von Katzen eine Vielzahl von Symptomen hervorruft«. Er fährt fort: »Bei solchen Menschen setzt das von der Katze hervorgerufene Gefühl spontan ein. Ein Asthmakranker erfährt es langsamer und kumulativ und vielleicht erst nach zwanzig Minuten oder noch später. Andere Menschen erleben andere Symptome, wenn sie eine Katze sehen, mit oder -64- ohne Begleitung von Atemnot. Vielleicht liegt nur Angst, Schrecken, Abscheu zugrunde. Hinzu kommen womöglich Frösteln, Schauern, Schwäche, Kieferkrampf oder, wie in einem Fall, Kiefersperre, Lähmung der Arme, Blässe, Übelkeit, selten auch Erbrechen, ausgeprägte hysterische Krämpfe und sogar zeitweilige Erblindung. Das alles vergeht, sobald die Katze entfernt wird, läßt das Opfer jedoch in wenigen Fällen für einen ganzen Tag unter nervöser Anspannung zurück.« Manchmal mag es zutreffen, daß ein ausgeprägter Katzenphobiker einige, wenn auch nicht gerade die extremsten, dieser Symptome aufweist, ohne überhaupt eine Katze gesehen oder auch nur gehört zu haben. Der Mensch hat auch Angst vor anderen Lebewesen viele Menschen schrecken schon vor dem bloßen Anblick einer wenn auch noch so harmlosen Schlange zurück. Eine Spinne, die geschäftig ihr Netz webt, weckt Ängste, Schrecken und Abscheu, vielleicht sogar Hysterie. Solche Ängste sind allerdings nicht schwer zu verstehen. Abgesehen davon, daß sie dem Menschen im Paradies einen bösen Streich gespielt hat, ist die Schlange kalt, und ein Tier sollte nicht kalt sein, und zur Strafe für ihre Sünden kriecht sie auf dem Bauch. Das grausame Schicksal der Spinne besteht darin, auszusehen wie eine Spinne. Und da sowohl Schlange wie auch Spinne unter Umständen giftig sein können, ist es ratsam, einen großen Bogen um sie zu schlagen. Die Katze aber ist warm und schön, sie g eht zierlich auf der angemessenen Anzahl von Pfoten; sanft schnurrt sie auf des Menschen Schoß. Seltsam, daß sie so oft gefü rchtet ist, es sei denn, diese Furcht ist tatsächlich eine unbewußte Angst aus Urzeiten – es sei denn, man sieht den Teufel in der K atze. Das wäre keine Überraschung. Den Teufel hat man in der Katze tausend Jahre lang und länger gesehen. -65- Fünftes Kapitel Im Reich der Dunkelheit Abgesehen von den Jahrhunderten ihrer Göttlichkeit in Ägypten wurde die Katze gewöhnlich mit den Mächten der Dunkelheit assoziiert, mit den primitiven Göttern, die, entsprechend unserer heutigen Differenzierung, weder gut noch böse waren, sondern beides zugleich. Diese Assoziation brachte der Katze viel Leid, besonders, als sie nach Europa kam, und nie wieder so extrem wie in der Zeit des Ringens zwischen dem Christentum und den alten Göttern, die zu Teufeln geworden waren. Die Götter der einen Religion werden zu den Dämonen der folgenden; die Begleiter der früheren Götter folgen diesen in die Dunkelheit und teilen deren Transformation dortselbst. Die katzenköpfige Bastet war nicht die erste, die mit der Zivilisation, deren Träume sie hervorbrachte, unterging. Ihre Tempel bröckelten und wurden nicht wieder aufgebaut; es kam eine Zeit, da wurden keine neuen Priester in ihrem Namen geweiht. Andere Gottheiten übernahmen ihre Aufgabe, den Menschen vor der ihn umgebenden Dunkelheit zu schützen – vor der Dunkelheit der untergehenden und der vom Winter entkräfteten Sonne, vor der Dunkelheit des Todes, die Nacht und Winter symbolisierten. Doch Bastet starb nicht endgültig, wie auch die Gottheiten der Druiden nicht -66- starben, wie auch der primitive Korngott, ganz gleich, wie oft er getötet wurde, doch unsterblich war. Bastet – gleich unter welchem Namen, sei es Hekate oder Diana oder Lilith oder unter neueren Namen – schloß sich den kleinen Gottheiten an, das heißt, den Teufeln, denn das Wort Teufel bedeutet nichts anderes als ›kleiner Gott‹. Einstmals war sie das Symbol des altehrwürdigen Ideals der jungfräulichen Mutterschaft. Dann wurde sie zu einer der Mütter allen Übels. Bastet wurde zur enterbten Göttin in der Gesellschaft vieler anderer – vermischte sich zum Teil mit den anderen inmitten dieser komplizierten Hierarchie der Unterwelt, die keiner so recht entschlüsseln kann. Sir James G. Frazer, der der Sache am nächsten kam, mußte zahlreiche Bände füllen und war dann und wann doch aufs Raten angewiesen. Bastet beziehungsweise Diana gesellte sich zu den Geistern der düsteren Götter, die die Druiden in oftmals grauenhaften Riten besänftigt hatten; sie wurde mit Göttern in Verbindung gebracht, so primitiv, daß sie namenlos und durchgängig sind. Die an sie, an das Übersinnliche gefesselte Katze – was offenbar von jeher ihr Los ist – mußte, ob sie wollte oder nicht, mit hinab in diese Dunkelheit. Die Katze wurde zur Begleiterin von Hexen und Zauberern, das heißt, derjenigen, die nach dem Aufstieg der heutigen Götter immer noch die gestrigen anbeteten. Sie wurde zum Beiwerk von Satan, einem gestürzten Gott, wurde unfreiwillig zur Teilnehmerin an den primitivsten magischen Riten. Das alles war sehr schwer für die Katze. Ihr Martyrium in Europa begann früh, und es wäre optimistisch zu behaupten, es würde heute nirgends mehr andauern – es gäbe keinen versteckten Winkel auf diesem Kontinent, wo man es noch für angebracht hält, zur Erntezeit eine Katze zu töten, wo man aus Frömmigkeit -67- eine lebende Katze ins Osterfeuer wirft. (In den dreißiger Jahren oder so gab es in Pennsylvania noch Leute, die an Hexerei glaubten; manchmal hielt man es immer noch für ratsam, dem Teufel eine Katze zu opfern, die man lebendig in kochendes Wasser warf. Hinterher trug man einen Knochen von dem toten Tier als Amulett bei sich.) Die Katze starb durch Zauber, bevor die christliche Kirche stark genug war, um gegen die Hexerei ins Feld zu ziehen, ein Feldzug, der vielen tausenden Männern und Frauen und unzähligen Katzen den Tod brachte. Die alten Götter waren völlig ins Dunkel getreten, als die Hexen, und mit ihnen ihre Katzen, auf dem Scheiterhaufen brannten oder am Galgen hingen. Zumindest offiziell waren sie in die Dunkelheit verstoßen, wenngleich die Menschen sie immer noch verehrten, oftmals ohne noch von der tiefen Bedeutung der ausgeübten Riten zu wissen. Die Zeremonien der Druiden waren auf dem Höhepunkt der Hexenverfolgung im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nur noch dunkle genetische Erinnerung. Doch die Druiden hatten religiöse Gründe dafür gefunden, Tiere wie auch Männer und Frauen zu Tode zu quälen; für seine Grausamkeit hat der Mensch noch immer höchst moralische Rechtfertigungen ins Feld führen können. Es ist nicht bewiesen, daß die Druiden Katzen über ihren Freudenfeuern geröstet haben, wie sie es mit Schlangen und anderen Tieren hielten, einschließlich Menschen. Zur Zeit der Druiden – etwa 200 vor bis 200 nach Christi Geburt -, gab es Katzen in Gallien und Britannien, doch sie waren nicht zahm. Felis catus, die europäische Wildkatze, ließ sich nicht gern rösten und war kein zutrauliches Tier. Es wird angenommen, ist jedoch nicht belegt, daß das Ziel dieser alten Druiden-Riten darin bestand, Hexen und Zauberer zu vernichten, entweder in ihrer menschlichen -68- Erscheinungsform oder in der Verkörperung von Tieren, in die sie sich verwandelt hatten. Natürlich ist es möglich, daß die Druiden Götter geopfert haben anstelle von Dämonenanbetern. Frazer allerdings tendiert zu der Meinung, daß die gequälten Wesen als Hexen verbrannt wurden, und er untermauert diese Vermutung mit der Beobachtung, daß die Opfer moderner Scheiterhaufen meistens Katzen waren, und die Katze war eben das Tier, in das Hexen sich angeblich, abgesehen vom Hasen, vorzugsweise verwandelten. Doch falls die Druiden Tiere opferten, die durch Magie in Repräsentanten der Götter verwandelt waren, dann hätten sie unfraglich Katzen genommen, wenn Katzen einfacher verfügbar gewesen wären. Kaum standen dann Katzen zur Verfügung, wurden sie als Korngott erkannt und als solcher häufig getötet, sogar noch in jüngerer Zeit. Frazer führt eine Menge solcher Opfer auf: In Amiens bedeutete der Ausdruck sie werden die Katze töten bis vor kurzer Zeit den Abschluß der Ernte. Wenn das letzte Korn geschnitten ist, wird auf dem Hof eine Katze getötet. Und beim Dreschen wurde in manchen Teilen Frankreichs eine lebendige Katze in die letzte Korngarbe gesteckt, die gedroschen werden soll, und mit den Dreschflegeln erschlagen. Am Sonntag wurde sie dann gebraten und als Festschmaus verzehrt. Solche Praktiken, zu denen die Katze, sobald sie vorhanden war, hinzugezogen wurde, waren vor dem endgültigen Triumph des Christentums in Europa weit verbreitet. Viele Riten erforderten das Töten der Katze, doch an einigen nahm sie teil, manchmal gar als Ehrengast. In den Fruchtbarkeitsriten der Töchter Dianas repräsentierte die Katze den Mond und wurde sowohl als Mondgöttin als auch als Personifikation der Fruchtbarkeitsgöttin verehrt. Diese Riten hingen von den -69- Mondphasen ab und hatten den orgiastischen Charakter solcher Riten aus primitiver Vorzeit. Einige Fraktionen der Waldenser Sekte hielten in der dunklen Jahres zeit einen dunklen Karneval ab und feierten ihren Glauben, daß der Mensch satanischen Ursprungs sei und die /Mächte der Dunkelheit denen des Lichts in nichts nachstanden, und in ihrem Ritual spielte eine Katze die Hauptrolle und wurde auf merkwürdige Weise geehrt. In diesen Tagen stand die Katze noch mit gewissen Göttern in Verbindung – Diana war durch Transmutation dieselbe Göttin, wie die Katze einstmals war. Die Existenz dieser Götter wurde noch geduldet, wenn sie auch nur in isolierten Aspekten von der neuen Religion der Form nach toleriert wurden, hauptsächlich deswegen, weil diese neue Religion noch nicht stark genug war, sie endgültig zu Boden zu schmettern. So durchlebten die Katzen schwere Zeiten, schon bevor die Götter, mit denen sie identifiziert wurden, in die Vergessenheit – oder so weitgehend in die Vergessenheit, wie es nun mal das Schicksal eines Gottes ist – gestoßen wurden, und wurden von ihren Mauselöchern ferngehalten. Was man den Katzen im Zeichen der Magie antat, war, selbst wenn es nicht tödlich endete, gewöhnlich nichts, was Katzen mögen. Keine Katze, oder nahezu keine Katze, mag es, als zentrale Figur in einer Regenmacher-Zeremonie in einen Fluß geworfen zu werden. Und die waldensische Form der Anbetung muß eine schwere Beleidigung der Katzenwürde gewesen sein. Abgesehen davon, daß sie eine Katze oder Repräsentantin des Korngotts war, gab es übrigens noch andere Gründe, eine Katze zu Tode zu quälen. Magie hatte immer auch verständnisvolle Züge; es bestand stets die Chance, daß den Göttern, denen die Katze lieb war, Konzessionen abgerungen werden konnten, indem man ihnen eine Katze -70- opferte. »Diese Götter liebten die Katze als ihr erwähltes und heiliges Symbol«, bemerkt M. Oldfield Howey. »Die Katze zu quälen würde sie zwingen, die Forderung zu erfüllen, die der Folterer als Bedingung für ihre Erlösung stellt.“ Wenn also jemand vom Teufel die Zuwendungen verlangt, die der Teufel bekanntlich leisten kann, könnte er vielleicht Druck ausüben, indem er über kleinem Feuer langsam eine Anzahl von vorzugsweise schwarzen Katzen röstet. Wenn die erste Katze schreit, kommt vielleicht ein niederer Teufel – in Katzengestalt – und faucht vor Wut und macht Versprechungen. Doch der Aspirant auf dämonische Segnungen gibt noch nicht auf, hört nicht hin. Er röstet eine weitere Katze am Spieß, dreht ihn langsam, und wenn auch diese schreit vor Todesqual, mag ein zweiter Abgesandter des Teufels erscheinen – eine größere Katze, angsteinflößender, wichtiger. Wird dieser Prozeß lang genug fortgesetzt, erscheint am Ende vielleicht – und wird in gewissen Teilen der Welt zuversichtlich erwartet – Satan selbst, in Gestalt einer riesigen Katze und bereit, die Hälfte seines Reichs zu verschenken, wenn nur der Folter ein Ende gesetzt wird. Satan wurde offenbar barmherziger, ablehnender gegenüber grausamer Folter eingeschätzt als der Mensch selbst. So konnten in diesen frühen Tagen Europas in der Ausübung dessen, was man später als Hexerei bezeichnete, Katzen gequält und getötet werden, wie es beinahe zu jeder Zeit überall in der Welt, wo es Katzen gab, ihr Los war. Doch mehr, entschieden mehr Katzen starben in späteren Jahrhunderten von der Hand derer, die den Gott des Lichts verehrten, als Göttern der Dunkelheit gewidmeten Riten zum Opfer fielen. Es war das Göttliche, das die Hexen und ihre Katzen umbrachte. Die Unterscheidung zwischen den Göttern des Guten -71- und des Bösen ist in modernen Zeiten freilich leichter zu treffen, als sie in alten Zeiten zu verstehen war. Als gläubige Christen oder als in einer Zivilisation aufgewachsene Fraue n und Männer, in der der christliche Glaube vorherrscht, fällt es uns nicht schwer, eine moralische Wahl zwischen beiden Mächten zu treffen. Doch der gute Gott war ein ziemlich spätes Konzept des menschlichen Bewußtseins; die alten Götter standen jenseits von Gut und Böse; ihre Launen waren so uneingeschränkt wie ihre Macht. Sie konnten weder Gutes noch Böses tun, höchstens insofern als das, was für den Menschen gut war, als gut betrachtet wurde, denn sie standen weit über solchen von Menschen aufgestellten Regeln. Die Identifikation der Gottheit mit dem Guten, mit dem Aufrechten, die Zuweisung von Sanftmut und Gnade an den Gott sind eine relativ junge menschliche Vorstellung – und zeigen den Menschen durch sein Moralverständnis in seinem wehrhaftesten, differenziertesten Zustand im Vergleich zum Tier. Selbst Jehovah war eher ein Gott des Zorns als der Gerechtigkeit; wie er zum Gott der Liebe wurde, wird poetisch dargestellt in Marc Connellys Green Pastures, unter anderem ein Resume der religiösen Entwicklung des Menschen von zarter Schönheit. Die Männer und Frauen, die die Mondgöttin anbeteten, in Riten, die uns jetzt unwürdig erscheinen, beteten, nicht zu vergessen, das Böse nicht absichtlich an. Sie verehrten die amoralischen Götter, vermutlich ohne ein Bewußtsein von Sünde. Das Bewußtsein von Sünde kam später, als sie als Christen aus freiem Willen Dämonen verehrten, als sie wußten, daß das, was sie taten, falsch war, als sie, wie in Schwarzen Messen, verstockt darauf beharrten. Das Vergnügen wurde zweifellos noch durch das Verbotene ihres Handelns verstärkt; zusätzlicher Nervenkitzel kam -72- wahrscheinlich durch die Gefahr, in die sich diese Huldiger begaben. Als die Kirche, die im Dunklen Zeitalter langsam, aber unaufhaltsam erstarkte, mächtig genug war, gegen das Böse einzuschreiten, wurde die Gefahr erst recht beträchtlich. Da waren die Diener der Mondgöttin und ihrer irdischen Verkörperung, der Katze, keine unschuldigen Primitiven mehr, die nichts weiter taten, als es ihre Ahnen seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte getan hatten. Da waren sie Hexen und mußten ausgerottet werden. Diese Ausrottung nahm sehr lange Zeit in Anspruch; die Götter der Dunkelheit sterben langsam. Selbst heute, da die Essenz dieses heidnischen Glaubens eingetrocknet ist, hocken die Schatten noch in Winkeln des menschlichen Bewußtseins. Es bringt Unglück, wenn eine schwarze Katze, die Teufelskatze, dem Menschen über den Weg läuft. Die Hexerei war zu der Zeit, als sie so bezeichnet wurde, eine unterirdische Überlebensform heidnischer Religion; war, mit Howeys Worten »das Überleben des weiblichen Prinzips der Gottheit« – der ewigen jungfräulichen Mutterschaft des Schöpfers. Und untrennbar verbunden damit war die Katze, das Symbol dieses Aspekts des Göttlichen. »Daher«, fährt Howey fort, »ist die Katzengestalt auf der Spitze des Sistrums abgebildet, das Isis in der Hand trägt, und die Katze war in der Stunde der Gefahr, als ein entsetzlicher Taifun die Götter zwang, ihre Göttlichkeit zu verbergen und nach Ägypten zu fliehen, die gewählte Verkörperung von Diana (oder Hekate) selbst. In Katzengestalt suchte Diana Zuflucht im Mond, und alle Mondgöttinnen verschiedenster Länder und Zeitalter sind untrennbar mit der Katze verbunden. Hexen, einstmals ihre Priesterinnen, beteten den Mond mit unverminderter -73- Ehrfurcht an, und so behielt die Katze selbst nach der furchtbaren Degradierung der Mutter-Anbetung ihre Bedeutung im Diana-Kult… Zur Erklärung des Untergangs dieses alten schönen Glaubens müssen wir uns entsinnen, daß die Katze, sei es durch ihr eigenes vielschichtiges Wesen oder noch deutlicher, zu einem Kreis zusammengerollt wie der wandelbare Mond, den sie verkörperte, die Mutter der Natur als Ganzes repräsentierte. Sie war Venus die Schöne und Venus die Schreckliche, die Göttin des Lebens und des Todes, deren östlicher Name Alhuza oder Huza für das Ägyptische ›göttliche Frau‹ oder Isis steht.« Im Mittelalter sah sich die Kirche stark genug, um gegen die dunklen Götter, ihre Priester und Priesterinnen und natürlich ihre Katzen vorzugehen. Zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts war die Verfolgung voll im Gange; sie dauerte an die dreihundert Jahre und verlief dann mehr im Sande statt abrupt eingestellt zu werden. Noch im späten achtzehnten Jahrhundert wurden Frauen in Mitteleuropa als Hexen getötet. In Deutschland wurden im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert schätzungsweise einhunderttausend Hexen kraft des Gesetzes getötet, wurden in Frankreich siebenund fünfzigtausend und in Großbritannien noch einmal dreißigtausend von aufrechten Bürgern verbrannt oder gehenkt oder ertränkt. Wie viele Hunderttausende von Katzen als ihre Begleiter oder auch im Ruf, der Teufel selbst zu sein, starben, kann niemand schätzen. Doch es war eine schlimme Zeit für Katzen. Überall in Europa verbrannten Christen Katzen in Fastenfeuern oder rösteten sie langsam darüber. Sie stopften sie in Weidenkörbe und warfen die Körbe ins Feuer; als Elizabeth I. in England gekrönt wurde, opferte man einen solchen Korb voll schreiender Katzen als -74- Warnung an die Unterwelt und zur Unterhaltung der göttlichen Welt. Louis XIV. von Frankreich tanzte mit seinen Edelmännern und deren Damen 1648 vergnügt um ein Feuer, in den Ohren die entsetzlichen Schreie sterbender Katzen. In Schottland wurden anläßlich eines Festes mit Namen Taigheirn, das vier Tage andauerte, unzählige Katzen verbrannt. Dort wurden die Katzen den Teufeln – das heißt, den alten Göttern -, geweiht, denen sie dienten, und dann langsam geröstet. Katzen wurden zu Tode gepeitscht – »The finest pastime that is under the sun, is whipping the cat at Abrighton« (Das größte Vergnügen unter der Sonne ist das Peitschen der Katze zu Abrighton). Wäre die Katze nicht so zäh und nicht so fruchtbar – und wäre sie vielleicht nicht so nützlich, daß die Vernunft des Menschen sie letztlich schützt -, dann wäre sie womöglich inzwischen längst ausgestorben. Katzen mußten sterben, weil sie mit Hexen in Verbindung gebracht wurden, und Menschen mußten sterben, viele oftmals so unschuldig, daß sie nicht einmal die Absicht hatten, etwas Böses zu tun oder falsche Götter anzubeten, aus dem einzigen Grund, daß sie Katzen kannten. Im Jahre 1618 saßen in England einmal zwei alte Frauen beim Tee. Sie hatten eine befreundete Katze. Die Katze näherte sich auf der Suche nach Futter, und eine der Frauen wedelte abwehrend mit ihrem Taschentuch. Als sie mit ihrer Freundin vor Gericht stand, war es diese Geste, die sie überführte: Sie hatten mit Hilfe von mystischen Zeichen mit der Katze kommuniziert. Sie wurden angeklagt, durch bösen Zauber Krankheit und Tod der Kinder des Earl of Rutland herbeigeführt zu haben, wurden für schuldig befunden und gehenkt. Es ist anzunehmen, daß ihre Katze aufgestöbert und gleichfalls getötet wurde. Auf dem Höhepunkt der Hexenjagd war es schon gefährlich, eine Katze auch nur zu kennen. Sie war -75- eine Ausgestoßene unter den Tieren, der Teufel persönlich. Manche Leute haben das noch nicht vergessen. Trotz aller Bemühungen der Inquisition und ihrer weltlichen Handlanger, trotz allem, was Helfershelfer und Scheiterhaufen ausrichten konnten, wurden die Katzen nicht ausgerottet – und letztendlich auch nicht der Glaube an ihre übersinnlichen Verbindungen. (Auch nicht, wohlgemerkt, die Zauberei selbst. Noch bis vor nicht allzu langer Zeit wurden Frauen und Männer in Schottland beschuldigt, sich in Verfolgung böser Absichten in Katzen zu verwandeln. In abgelegenen Gegenden, zum Beispiel in Pennsylvania, werden vielleicht noch immer Katzen dem Teufel geopfert; sie werden womöglich immer noch nach alter Tradition als Geister des Korns getötet.) Katzen künden immer noch Böses an, besonders, wenn sie schwarz sind. Sie verursachen vielleicht immer noch, wie weltweit angenommen, den Tod von Kindern, indem sie sich ihnen aufs Gesicht legen und den Atem nehmen. Dieser letztere Aberglaube, bar jeder Grundlage, spiegelt höchstwahrscheinlich die Angst vor der Vampirkatze wider, einem angsteinflößenden Wesen, das durch die Windungen des mythosschaffenden Bewußtseins der Menschheit schleicht. Lilith, die dunkle Göttin der hebräischen Mythologie, verwandelte sich in eine Vampirkatze, El- Broosha, und saugte in dieser Gestalt das Blut ihres liebsten Opfers, des neugeborenen Säuglings. Die schwarze Katze wird natürlich von jeher am schnellsten als des Teufels verdammt. Jahrhundertelang hat der Mensch in der ganzen Welt die übersinnliche Katze erforscht, und er weiß sehr viel über sie. So ist auch weithin »bekannt«, daß eine fremde Katze, gleich welcher Farbe, allein dadurch, daß sie ein Haus aufsucht, den Tod bringen kann, daß eine Katze gleich welcher Farbe, die über einen Sarg springt, großes Übel -76- heraufbeschwört, es sei denn, sie wird schnellstens getötet. In China sind Hund und Katze in einem Haus, in dem ein Toter liegt, nicht zugelassen, da die Anwesenheit dieser Tiere den Toten befähigt, sich zu erheben und großes Unheil anzurichten. Im Mai geborene Kätzchen wurden jahrhundertelang mißtrauisch beäugt, und selbst heute noch glauben gewisse keltische Völker, daß eine im Mai geborene Katze Schlangen ins Haus lockt. Der Grund besteht vermutlich darin, daß der Mai für diejenigen, deren genetische Erinnerung Spuren der Druiden-Magie gespeichert hat, ohnehin ein schlechter Monat ist. Im Mai zelebrierten die Druiden ihre Frühlingsriten, um die Wiedergeburt der Erde sicherzustellen, und diese Riten beinhalteten höchst grauenvolle Opfer. Nachdem die Druidengötter in den Untergrund gegangen waren, traten die Hexen die unvermeidliche Nachfolge an; sie ritten ihre Katzen und ihre Besen auf hohe Berge und trieben dort in der Walpurgisnacht, umheult vom Wind, unsagbare Dinge, wenn der Mai begann. Wenn eine junge Katze, ob im Mai geboren oder nicht, des Nachts in ein Haus kommt, bringt sie Böses mit sich, es sei denn, sie bleibt, um es abzuwehren. Dafür können wir uns verbürgen: Eine unserer liebenswertesten Katzen kam an einem verregneten Abend zu uns, jammerte leise in der Nässe und wurde eingelassen. Und in jener Nacht befiel uns keinerlei Übel. Die Katze blieb etwa zehn Jahre und wirkte wohl die ganze Zeit über als eine Art Talisman. Hätte während dieser Jahre einer von uns ein Gerstenkorn bekommen, wäre er geheilt worden, indem er die betroffene Stelle mit dem Katzenschwanz rieb, zumal die Katze größtenteils schwarz war. (Keiner von uns stammt allerdings aus Cornwall, wo dieser Glaube über Generationen hinweg weit verbreitet war; vielleicht wäre auch keiner von uns in der Lage gewesen, den -77- Zauberspruch, der beim Reiben des Gerstenkorns unerläßlich ist, korrekt zu intonieren. Und vielleicht hätte Pete, der eine eigene Vorstellung von Würde hat, eine solche Nutzung seines Schwanzes freiwillig nicht geduldet.) Eine Katze bringt, je nach den Umständen, Glück oder Unglück, vorrangig jedoch letzteres. Im siebzehnten Jahrhundert sagte man: »Küßt du die schwarze Katze, wirst du fett, küßt du die weiße, wirst du mager«, was eine nette Verteilung des Glücks bedeutet, sofern die richtige Entscheidung getroffen wird. Es wäre anzunehmen, daß es für viele einfacher ist, eine weiße Katze zu küssen, als Diät zu halten, wenngleich bei weitem nicht für alle. Und ein altes Sprichwort besagt: Wer die Welt erobern will, braucht eine schwarze Katze, einen heulenden Hund und ein krähendes Huhn. Doch wenn Ihre Katzen Ihr Haus verlassen, wie es Katzen manchmal zu tun pflegen, wird unvermeidlich Krankheit folgen. (Dessen können wir nicht sicher sein. Zwar hat eine unserer Katzen, die schon vorher leise Anzeichen von Wahnsinn gezeigt hatte, unser Haus verlassen und ist nie zurückgekehrt, doch wir können uns nicht so ohne weiteres erinnern, ob das, abgesehen von Bedauern und einem bleibenden, leisen Kummer, auch Krankheit zur Folge hatte.) In zahlreichen Aberglauben werden Katzen, und das liegt auf der Hand, mit Liebe und Heirat assoziiert, und in diesem Zusammenhang ist ihr Einfluß meistens, wie nicht anders zu erwarten, günstig. Es bringt der Braut Glück, wenn eine Katze auf einer Hochzeit niest. Doch wenn eine Jungfrau einer Katze auf den Schwanz tritt, muß sie für ein Jahr jegliche Hoffnung auf Verheiratung aufgeben, wahrscheinlich weil sie irgendeine dunkle Liebesgöttin beleidigt hat. Ein Telugu-Inder wird, wenn er eine dritte -78- Frau nehmen will, zuerst eine Katze heiraten und ihr ein gelbes Band um den Hals legen. Allerdings sollten sich Männer vergewissern, ob die Frauen, die sie heiraten, nicht in Wirklichkeit verkappte Katzen sind; das ist oft genug vorgekommen. Aesop erzählt die bedauerliche Geschichte eines jungen Mannes, der ein wunderschönes Mädchen heiratete, ohne zu merken, daß Venus, um sein Verlangen zu stillen, aus der Katze des Hauses das Mädchen geschaffen hatte. In der Hochzeitsnacht hörte das Mädchen eine Maus rascheln, und in ihrem Katzenherzen vergaß sie alle anderen Freuden und stellte der Maus nach. Dies wiederum verärgerte Venus dermaßen, daß sie das Mädchen in die Katze zurückverwandelte, und auch den jungen Mann wird es einigermaßen verblüfft haben. Ein Mann, dessen Frau die Angewohnheit hat, des Nachts herumzustreifen, tut gut daran, sie im Auge zu behalten, selbst wenn keine Mäuse vorhanden sind. Einmal, vor ein paar Generationen, hatte ein Schotte solch eine nachtschwärmende Frau und folgte ihr, als sie das Haus verließ, in welcher Erwartung, ist nicht allzu schwer zu erraten. Was er allerdings wohl nicht vermutet hätte: Seine Frau verwandelte sich in eine Katze und stach mit sieben weiteren Katzen in einem Sieb in See. Der Mann rief die Heilige Dreifaltigkeit an; das Sieb wurde leck, und alle Katzen ertranken. So jedenfalls lautete die Geschichte, die er im Ausland zum besten gab. Schon immer hatte die Katze großen Einfluß auf das Wetter. Allein dadurch, daß sie sich das Gesicht wäscht, kann sie Regen bringen, und kluge Landleute töteten vor der Ernte nicht selten ihre Katzen, um trockenes Wetter zu gewährleisten. Wenn in Schottland eine Katze am Tisch kratzt, ist mit Wind zu rechnen; in Java wurden Katzen lange Zeit als Regenmacher eingesetzt. Laut Frazer -79- braucht man dazu nur eine oder zwei Katzen, Männchen und Weibchen, zu baden. Komplizierter und daher wohl auch effektiver ist eine Methode, zu der man nicht nur eine Katze, sondern sämtliche Frauen des Dorfs benötigt. Die Frauen steigen in einen Fluß und spritzen sich gegenseitig nach Herzenslust naß. Dann wird eine schwarze Katze mitten unter sie geworfen und gezwungen, eine Weile zu schwimmen, während die Frauen sie naß spritzen. Danach erst darf die Katze das Ufer gewinnen und flüchten. Und dann kommt der Regen. Seeleute sind sich der engen Beziehung von Katze und Wetter bewußt, seit die Katze zum ersten Mal auf der Arche in Erscheinung trat. (Die Ratten vermehrten sich so drastisch, daß sie zur Plage wurden, da strich Noah einem Löwen über den Kopf, der daraufhin eine Katze ausnieste. Vielleicht war es aber auch zu einer Mesalliance zwischen einer Löwin und einem Affen gekommen, deren Ergebnis dann die Katze war. Allerdings ist diese Theorie mit einiger Skepsis zu genießen, denn in der Katze findet sich nicht der geringste Hin weis auf Affenart. Eine weitere Möglichkeit steht zur Wahl: Die Sonne erfand den Löwen, und der Mond schuf, um nicht zurückzustehen, die Katze. Darüber lachten die Sterne herzlich, und der Mond versuchte es noch einmal. So entstand der Affe. Es wird gemunkelt, daß die Sterne sich angesichts dieser neuen Schöpfung schier ausschütten wollten vor Lachen. Einige zwinkern offenbar immer noch vor lauter Spaß an diesem Vorfall.) Seeleute, deren Leben immer in Gefahr ist und die sehr stark vom Schicksal abhängen, achten von jeher genau auf Omen und hüten sich vor bösen Mächten. Ihre traditionelle Verbundenheit mit der Katze äußert sich in den zahlreichen Bezügen in der nautischen Terminologie: Katzenpfötchen für den leisen Wellengang des Meeres, wenn ein Sturm bevorsteht, Katzenboot, neunschwänzige -80- Katze, Katzenkopf und Katzenblock. Katzen wurden auf der ganzen Welt häufig in der freundlichen, weißen Magie eingesetzt, meistens jedoch zu ihrem Unbehagen oder gar mit Todesfolge. In Südslavonien zum Beispiel herrschte lange Zeit der Glaube, daß ein Dieb, der auf dem Markt unbemerkt klauen wollte, nur eine blinde Katze verbrennen und ihre Asche aufbewahren mußte. Eine Prise Katzenasche, über den Händler gestreut, der als Opfer auserkoren war, ließ die Blindheit der Katze auf diesen übergehen und den Diebstahl zum Kinderspiel werden. In vielen Teilen der Welt wurde auch lange vermutet, daß die Gabe des zweiten Gesichts durch ein Katzenopfer erlangt werden könnte, da die Katze selbst als Seherin galt. Die Hexen früherer Jahrhunderte benutzten häufig Katzen, um in der Zukunft zu lesen. Über lange Zeiträume hinweg gab es so viele Gründe, Katzen zu töten, daß der ausgebliebene endgültige Erfolg, daß die Katze nicht ganz und gar ausgerottet wurde, schon erstaunlich ist. Vermutlich aber gibt es heute mehr Katzen auf der Welt als je zuvor, da es auch mehr Menschen gibt, und wo mehr Menschen sind, sind auch mehr Ratten und Mäuse. Die Möglichkeiten der Katze, sich zu ernähren, sich mit Mäusen zu vergnügen und ein Plätzchen im Haus des Menschen zu finden, vervielfachen sich dadurch, und analog zu ihren Möglichkeiten vermehren sich die Katzen. Denn die Katze war auch immer, wenngleich ein Wesen aus der Unterwelt, paradoxerweise das »harmlose, nützliche“ -81- Tier, von dem Shakespeare schrieb. Sie war schon immer eine kuschelige Mausefalle, und die Menschheit hielt ihr die Tür offen. -82- Sechstes Kapitel Ruschelige Mausefallen Niemand weiß, wie viele Millionen Ratten und Mäuse sich auf der Welt herumtreiben und dem Menschen mit äußerster Gewissenhaftigkeit den größtmöglichen Schaden zufügen. Wieviel von dem, was dem Menschen wert und teuer ist, durch diese kleinen, allgegenwärtigen Wesen zerstört wurde, seit sie anfingen, den Menschen zu belästigen, läßt sich höchstens raten. Ratten, so lautet, durchaus nachvollziehbar, die herrschende Meinung, haben in den Lauf der Geschichte eingegriffen. Die Pest, die sie verbreiten, hat bestimmte Populationen nahezu ausradiert und stellt in Teilen der Welt noch immer eine schwelende Gefahr dar. Was sie und ihre kleineren Vettern an Nahrung vernichtet haben, würde Generationen ernähren, und sie beschränken ihre Zerstörungswut keineswegs auf Nahrungsmittel. Mäuse und Ratten fressen nahezu alles, und was sie nicht fressen, verunreinigen sie. Der Mensch kennt keine Gnade mit diesen Nagetieren, und wären sie sich selbst überlassen, würden sie über kurz oder lang nur zu gern die Welt beherrschen. Kein anderes Tier, außer dem Menschen selbst, fügt der Menschheit soviel Schaden zu. Nahezu unbestreitbar ist, daß es mehr Ratten und Mäuse als Männer und Frauen auf der Welt gibt. Die Scheunen, -83- die Kornfelder der Welt sind voll von ihnen. An jedem Fluß- oder Bachufer plündern Ratten zu Tausenden; die großen Städte, die der Mensch aufgebaut hat, bieten mehr Nagern als Menschen Lebensraum. Ratten rascheln in Hauswänden und dringen vor, um die Nahrung des Menschen und sogar, ergibt sich die Gelegenheit, Menschen zu fressen. Keine Niederträchtigkeit ist einer Ratte fremd, und die Maus ist, unter Berücksichtigung des Größenverhältnisses, genauso schlimm wie die Ratte. So ist es schon seit ägyptischen Zeiten, als die Katze noch eine Göttin war, und so war es in Europa, während sie als Teufel galt. Ob als Gott oder als Teufel, die Katze spürte schon immer jedes Mauseloch auf und arbeitete für ihren Lebensunterhalt. Wahrscheinlich tat sie es nicht, weil es nützlich war und dem Menschen gefiel, bei dem sie lebte. Viel eher tat sie es wohl, weil es für eine Katze nichts Schö neres gibt als die Mäusejagd. Höchstwahrscheinlich erkannte sie aber auch, daß ihre Menschen sie lobten, wenn sie eine Maus gefangen hatte – eine recht angenehme Begleiterscheinung ihrer sportlichen Betätigung. Dann durfte sie vielleicht ins Haus und sich am Feuer räkeln. Die logische Fortführung dieser Gedanken erklärt dann auch, warum die Katze ihre Beute gern dem Menschen zu Füßen legt, während sie ernsthaft auf ihre Leistung hinweist und, wenn nötig, die angemessene Wertschätzung durch sanftes Hakeln an menschlicher Kleidung erzwingt. So verhalten sich zweifellos die meisten Katzen, und sie erwarten Lob, genauso, wie sie Lob verlangen, wenn sie eine sich windende Schlange oder ein schlimm zugerichtetes Kaninchen oder, zugegebenermaßen, einen Vogel heimbringen. (Daß die meisten Menschen das Vögelfangen nicht unbedingt lobenswert finden, wird für die Katze, gelinde gesagt, verwunderlich sein, zumal sie -84- noch weiß, daß eben dies in ihren ägyptischen Tagen als die einer Katze angemessene Tätigkeit galt. Die Katze weiß längst: Der Mensch ändert sich und ist unberechenbar.) Aber mit Ratten- und Mäusefangen sind alle Menschen ausnahmslos einverstanden; das finden alle Menschen nützlich, und hierfür belohnen Menschen die Katzen mit Obdach und Futter. (Zärtlichkeiten verdient sich die Katze auf andere Weise, indem sie sie selbst ist nämlich; indem sie sie selbst ist: warm und freundlich, gleichzeitig unter Beibehaltung einer anständigen Zurückhaltung.) Doch als Mausefalle erschien die Katze auf staatlichen Lohnabrechnungen und auf denen der Privatindustrie; aufgrund ihrer Eigenschaft als großartige Jägerin kleiner, dem Menschen schädlicher Tiere wurde sie in katzenlose Gegenden importiert – und störte dort ohne eigenes Verschulden das »Gleichgewicht der Natur«, von dem die Menschen so klug schwätzen und das sie so erfolgreich durcheinanderbringen. Als Rattenjäger wurde sie im endlosen Kampfzug gegen die Beulenpest, einem häßlichen Weggefährten der Ratte, eingesetzt, und ihr umfassenderer Einsatz wurde sehr ernsthaft empfohlen. So entzückend eine Katze für diejenigen, die sie entzückend finden, auch ist, läßt sich doch bezweifeln, ob Katzen es unternommen hätten, in Harmonie mit den Menschen zu leben, wären da nicht Ratten und Mäuse gewesen. Was den Hund betrifft, mag es sich anders verhalten haben, denn nur in primitiver Vorzeit haben die meisten Hunde tatsächlich Aufgaben für den Menschen erledigt. Heutzutage ist der Großteil der Hunde arbeitslos – ein paar wenige ziehen Schlitten, manche hüten die Herden des Menschen, andere begleiten ihn auf die Jagd und helfen dem Menschen, für ihn nicht genießbare Tiere auf die umständlichste Art und Weise zur Strecke zu bringen. Von manchen Hunden verlangt man, daß sie -85- Einbrecher verbellen. Ein Hund lebt nicht von seiner Arbeit, er lebt von seinem Charme, und zwar schon seit Generationen. Seine Zuneigung ist beinahe grenzenlos und wird nicht gerade subtil zum Ausdruck gebracht; einen Hund zu mögen, fällt überhaupt nicht schwer. Er würde Ihnen auf die Schulter klopfen, wenn er könnte, und seien wir ehrlich, manchmal tut er es auch. Einer der nettesten Hunde, die wir je kannten, ein prächtiger Dobermann, begrüßte sein Frauchen, das ein paar Monate fort gewesen war, so voller herzlicher Begeisterung, daß er es rücklings in den Kamin stieß und der Frau dabei zwei Rippen brach. Eine Katze zu mögen, ist etwas schwieriger. Sie besteht auf den Feinheiten in der Gunstbezeigung und ist auf ihre Art unglaublich kultiviert. Die Katze mußte zunächst unter Beweis stellen, daß sie unersetzlich ist. Der großen Mehrheit der Menschen konnte sie es beweisen. Doch es gibt auch Dissidenten. Nicht, weil die Katze eine fröhliche Gefährtin, sondern weil sie eine fleißige Arbeiterin ist, hält sich der Bauer eine Scheune voller Katzen – und erhält sich so seine Getreide Vorräte. Nicht etwa ihr ansprechender Umgang mit Menschen, sondern ihr »grausamer“ Umgang mit Mäusen sicherte der Katze ihren Platz im Lebensmittelladen an der Ecke; dort hielt sie sich rein geschäftlich auf und war nützlich wie eine Angestellte. Die Männer und Frauen, die auszogen, um einen neuen Kontinent urbar zu machen, hielten Katzen, die sie begierig den Händlern abkauften, nicht etwa aus Gefühlsduselei. Sie bezahlten bares Geld für die Katzen, ließen sie sich vermehren und ertränkten die Jungen nicht, weil es keine andere halb so gute Möglichkeit gab, das Ungeziefer – die Ratten und Mäuse, die Erdhörnchen und Ziesel – in Schach zu halten, die die Ernte vernichteten. Und wenn sie nicht gerade Nagetiere jagten, machten sich -86- die Pionier-Katzen freudig unter den Schlangen nützlich. So ziemlich jede Katze tötet gern Schlangen, wenn auch nicht viele sie genießbar finden. Unsere Katzen haben eine ganze Menge gefangen, doch keine hat eine Schlange je als Futter betrachtet, und Martini, genauso pingelig wie quengelig, verzieht jedesmal das Gesicht, wenn sie eine Schlange im Mäulchen hatte, wie ein Mensch, der unverhofft in etwas Ekliges beißt. Sie putzt sich das Mäulchen mit der Pfote, um den schlechten Geschmack loszuwerden, und protestiert vernehmbar, sofern einer von uns in der Nähe ist, wiederum wie ein Mensch, der die Schuld an seiner Unvernunft mit anderen teilen will. Die aus dem Käfig eines reisenden Kesselflickers gekauften Katzen, die bei der Unterwerfung eines Kontinents halfen, leisteten einen großartigen Beitrag zur Ausdehnung der menschlichen Zivilisation, und dieser Beitrag wird, zumindest von einem Autor, nahezu überschwenglich gewürdigt. »Dem Einfluß der Hauskatze auf die amerikanische Zivilisation wird entschieden weniger Beachtung geschenkt, als er verdient«, verkündet die Encyclopedia Antericana, und der Autor des Artikels über Katzen, eindeutig ein Katzenliebhaber, fährt trocken fort: »Der Vormarsch der Landwirtschaft wie auch ihre Ausdehnung über endlose Waldgebiete und Prairien wurde zum großen Teil von diesem so häufig mißbrauchten und mißverstandenen Tier ermöglicht. Unmöglich zu berechnen, wieviel Nahrung Katzen gerettet, wieviel Besitz sie vor der Zerstörung geschützt, welche Ungezieferplagen sie seit den Anfängen der Besiedlung Amerikas in Schach gehalten haben. Ohne ihre schlaflose Wachsamkeit wären die großen Städte in Windeseile von Ratten und Mäusen überrannt.« Da die großen Städte ohnehin überrannt sind oder doch zumindest beinahe, bedarf es nicht der Skepsis eines -87- Katzenfeinds, um diese Lobrede geringfügig einzuschränken. Katzen sind keineswegs schlaflos: Manche Katzen wachen blitzschnell auf, andere verschlafen nahezu alles. Wenn die Katze schläft, tanzen außerdem die Mäuse, hin und wieder sogar fast vor der Nase einer Katze, und mehr als einmal haben wir die eine oder andere unserer Katzen aufwecken müssen, um sie auf diesen Umstand hinzuweisen. Doch der Autor des oben zitierten Artikels, Ernest Ingersoll, ein wohlbekannter Naturforscher, übertreibt zweifellos in der Wortwahl, aber nicht die Fakten. Jeder Bauer würde ihm beipflichten. Pete und seine Nachfolger nahmen sich der Mäusemigration an, die uns jahrelang in unserem Häuschen auf dem Lande plagte. Anfangs suchten wir es nur an den Wochenenden auf, bis wir schließlich dazu übergingen, den größten Teil des Jahres dort zu verbringen. In der ersten Zeit war dieses Häuschen im wahrsten Sinne des Wortes ein Rattennest, und in sämtlichen Schubladen hatten sich Mäusefamilien häuslich niedergelassen. Im Winter nahmen die Ratten das Haus ungehindert in Besitz und auseinander; im Frühling, wenn wir aus unserem Stadtquartier wieder übersiedelten, fanden wir Verheerungen vor: Der Fußboden war übersät von Glas und Porzellanscherben, alles, was sich nagen ließ, war angenagt – Ratten können sich durch so ziemlich alles hindurchfressen -, und mit jedem Schritt stiegen wir auf ihre unverkennbaren Hinterlassenschaften. Es stank buchstäblich nach Ratte, und die Mäuse hatten sich in die Matratzen verkrochen, um Familien zu gründen. Diese Kreaturen zogen sich bei unserer Ankunft nicht bereitwillig zurück. Im Winter gehörte ihnen das Haus, und den ganzen Sommer über kämpften sie darum; das Rascheln von Ratten riß uns nachts aus dem Schlaf, und manchmal fanden in den frühesten Morgenstunden -88- spektakuläre Rattenjagden statt. Wir und unsere Gäste waren mit Besen und Schürhaken bewaffnet, die Ratten mit Haß und häßlichen Zähnen. Um hier leben zu können, mußte man beinahe ein professioneller Jäger sein, und es wurde zunehmend schwierig, Gäste zu uns zu locken, die dann als Gastgeschenke paketeweise neues, sehr zu empfehlendes Rattengift mitbrachten, welches den Ratten möglichst nachdrücklich zu empfehlen allerdings wohl versäumt worden war. Dann kamen nach den ersten paar Jahren die Katzen – zuerst Pete und dann weitere. Und als sie kamen, gingen die Ratten und nach ihnen die Mäuse. Und sie mieden das Haus nicht nur, wenn wir und die Katzen anwesend waren. Sie gaben es auch als Winterquartier auf, zumindest fast. In den letzten drei, vier Jahren sahen wir lediglich eine Ratte, und das geschah während der Zeit, als Martini, unsere damalige Katze, über die Maßen mit ihren Jungen beschäftigt war. Trotz allem sahen wir in dieser Zeit des Rückzugs der Nager, als sie diesen winzigen Teil der Welt widerstrebend an die Menschen und ihre Katzen abtraten, nur eine einzige von den Katzen jemals mit einer, noch dazu sehr kleinen, Ratte. (Zur Blütezeit ihrer Herrschaft waren die Ratten fast so groß wie Katzen.) Ein paar wurden wahrscheinlich in unserer Abwesenheit getötet und aus irgendwelchen Katzengründen verschleppt. Ratten sind nicht wie Mäuse, das wissen Katzen und spielen nicht mit ihnen. Die Tötung erfolgt wohl eher rasch und geheim. Jedenfalls wurde nur diese eine ziemlich mißratene Ratte als Beweis vorgelegt. Unserer Meinung nach wurden die Ratten von Angst vertrieben, nicht getötet. Denn Katzen haben eine besondere Wirkung auf Nagetiere: Gewöhnlich reicht allein ihre Anwesenheit. Für die menschliche Nase ist die Katze nahezu geruchlos; falls es in einem von -89- Katzen bewohnten Haus tatsächlich nach ihnen riecht – abgesehen von den Düften, die ein nicht kastriertes Männchen absichtlich absetzt -, dann sind die Katzen krank. Ratten und Mäuse jedoch empfinden ihren Geruch, womöglich Schwefelgeruch, sehr intensiv, und ohne Zweifel vertreiben Katzen bedeutend mehr Ratten und Mäuse aus Scheunen und Häusern, als sie tatsächlich töten. St. George Mivart, der Autor des monumentalsten und wohl auch maßgeblichsten Buches, das je über Katzen geschrieben wurde, erwähnt eine Katze, die erwiesenermaßen zwanzig Mäuse an einem einzigen Tag fraß und entschieden mehr in die Flucht schlug. Ratten scheinen sogar noch stärker auf der Hut vor Katzen zu sein und einen Ort, an dem eine Katze verkehrt, noch eiliger zu verlassen. So klug sind Mäuse im Hinblick auf Katzen nicht; sie müssen mehr oder weniger Stück für Stück getötet werden. Das besorgten alle unsere Katzen, von einer einzigen Ausnahme abgesehen, mit dem größten Vergnügen. In dieser Hinsicht hatte Pete Glück, denn er fand einen Ort vor, den sich seit Jahren keine Katze vorgenommen hatte und der deshalb nur so wimmelte von jagdbarem Wild. Im Verlauf seiner ersten Besuche räumte er im Nullkommanichts unter den Mäusen auf, und danach waren im Hause nur noch prophylaktische Patrouillen vonnöten. Zur echten Jagd begab er sich auf die Felder und fing die dort lebenden Mäuse – die, nicht zu vergessen, zwangsläufig ins Haus gezogen wären, hätten sie gewußt, welche Möglichkeiten sie sich dort entgehen liefen. In den etwa zehn Jahren, die Pete mit uns verbrachte, fing er vermutlich Hunderte von Mäusen, und Grund zu dieser Vermutung haben wir, weil er die meisten mit nach Hause brachte. Einmal, als wir mit Gästen noch spät in der Nacht wach waren und Pete noch draußen -90- umherstreifte, da die Gäste ihn nicht sonderlich interessierten, fing er ein halbes Dutzend Mäuse und legte sie säuberlich in Reih und Glied auf die Türschwelle, als Hinweis für uns, daß er zwar abwesend, aber nicht untätig gewesen war. Nur hin und wieder fraß Pete eine von seinen Mäusen, und wenn, dann eher aus einer Art Pflichtgefühl als aus Appetit auf Mäuse. Wäre er hungrig gewesen, hätte er sicherlich anders empfunden. Doch wäre er hungrig gewesen, hätte er nicht so viele Mäuse gefangen, denn der beste Mauser ist stets eine wohlgenährte Katze, die Erholung sucht, nicht Nahrung. (Die Katze ist jedoch nicht ganz von demselben Geist getrieben wie der menschliche Jäger. Der Mensch weiß im voraus, daß er nur einen Bruchteil seiner eßbaren Beute verzehren wird; er würde niemals einen Löwen verspeisen. Die Katze merkt vermutlich erst, wenn sie die Maus gefangen hat, daß Beefsteak ihr lieber ist.) Petes gelegentliches Knabbern an Mäusen war eher eine Formalität, um Mäusen und Menschen zu beweisen, daß er erstere zu verschlingen in der Lage ist. Ein so erfreuliches Jagdgebiet fanden die Katzen, die nach Pete kamen, nicht vor. Pamela, mit ihrem Bruder Jerry Petes Nachfolgerin, verlegte den Großteil ihrer Jagdaktivitäten nach draußen, wenngleich sie in jedem Frühling auch noch ein, zwei Hausmäuse fand. Eine Reihe ihrer Feldmäuse überließ sie Jerry, der zwar eifrig, aber eine Niete war; er gehörte zu den wenigen Katzen unserer Bekanntschaft, die eine einmal gefangene Maus wieder entkommen ließen. Er ließ sie mit schöner Regelmäßigkeit entwischen, da er die Entfernung zwischen Maus und möglichem Schlupfwinkel schlecht abschätzen konnte – im Grunde konnte er überhaupt nichts richtig beurteilen. Den Großteil seiner Zeit verbrachte er vorm Fenster -91- sitzend, von wo aus er ärgerlich die Vögel anschnatterte, die er niemals fing. Martini, als sie an der Reihe war, traf es noch härter, und in unserem letzten Jahr im Häuschen auf dem Lande fand sie keine einzige Hausmaus mehr, so lange und so geduldig sie auch vor dem Mauseloch des vergangenen Jahres lauerte. Den Rest des Sommers verbrachte sie auf den Feldern, doch selbst dort war die Jagd nicht mehr das, was sie einmal war. In erster Linie war sie zwar Hauskatze, doch wir nahmen sie mit, damit sie Gin, einer ihrer Töchter, mit Rat und Tat zur Seite stehen konnte. Gin, Spätankömmling auf den Mäusefeldern, beschloß, sich lieber an Kaninchen zu halten. Diese Vorliebe und vor allem ihr Erfolg erwiesen sich für uns als einigermaßen beunruhigend, denn Kaninchen schreien, wenn sie erjagt werden, und sind hinsichtlich Erscheinung und Betätigung soviel liebenswerter als Mäuse. Aber kein Gärtner, ob er nun Blumen pflanzt oder Gemüse anbaut, kann sich übertriebene Sentimentalität in bezug auf Kaninchen leisten. Martinis zweite Tochter, Sherry, ist unseres Wissens die einzige Katze, die, soweit wir beobachten konnten, nichts tötet, was größer ist als ein Grashüpfer. Sie hat irgendwie Angst vor Mäusen, so scheint es jedenfalls, und deswegen blicken die anderen beiden auf sie herab. Sie mögen sie auf gewissermaßen nachsicht ige Art, sie schlafen bei ihr, lecken sie und spielen mit ihr die Kontaktspiele – worin Sherry nun wiederum widersprüchlicherweise höchst eindrucksvoll ist. Doch es liegt nahe, daß die anderen beiden nicht viel von ihr als Katze halten. Ihre Mutter bestimmt nicht, dessen sind wir sicher, denn Martini ist eine Person mit festen Meinungen und erlebte schon frühzeitig eine Enttäuschung mit Sherry. Diese Enttäuschung erfuhr sie, als Sherry noch sehr klein war -92- und unter mütterlicher Obhut stand. Martini gab ihren Jungen Erklärungen, wie alle Katzenmütter es tun sollten und wie es die meisten, Gelegenheit vorausgesetzt, auch tun. Martini behandelte das überaus wichtige Thema Maus. Das hier, ließ sie Gin wissen und legte ihr eine noch nicht ganz tote Feldmaus vor die Pfoten, ist eine Maus. Martini stupste die Maus, schob sie Gin zu. Mäuse sind etwas, womit sich eine Katze vertraut machen muß und was sie fangen sollte, sofern vorhanden. Martini schob die Maus näher zu Gin heran und machte tief in der Kehle ein leises Geräusch. »Maus«, sagte sie, so deutlich, wie es einer Katze gegeben ist. Und Gin sagte, nachdem ihr die Zusammenhänge so erklärt worden waren: »Oh. Maus!«, wobei sie Freude und Interesse zeigte. Sie stieß die Maus ein bischen hierhin und dorthin und schleppte sie dann lange mit sich herum, und wenn sie danach noch eine Weile dachte, Mäuse lebten in Martinis Mäulchen und müßten dort gefangen werden, so wuchs sie doch bald über diese kindliche Vorstellung hinaus und erkannte, daß jede Katze sich ihre Mäuse selbst erarbeiten muß. Sie wurde zu einem sehr guten Mauser, bevor sie sich größerem Wild zuwendete. Sherry allerdings benahm sich höchst seltsam, als sie Unterricht bekam. Martini brachte eine Übungsmaus für Sherry und legte sie ihr vor die Pfoten; Martini erklärte und erklärte. Doch Sherry griff nicht an. Sherry wich angsterfüllt zurück und stieß kleine, erschreckte Laute aus; sie zog die Pfoten ein, um die Maus bloß nicht zu berühren – es war, als hätte sie sich in ihren Rock gewickelt und sich auf einen Stuhl gerettet. Sie verkroch sich schließlich in eine Ecke und sagte: »Nein! Nein!«, bis Martini schließlich die Maus fortschaffte, wobei sie sich mehrmals kopfschüttelnd umdrehte. Seitdem hat Sherry nie eine -93- Maus gefangen, wenn sie auch hin und wieder gedankenverloren mit einer Spielt, vorausgesetzt, sie ist mausetot. Sie jagt Schmetterlinge, aber daß sie mal einen gefangen hätte, haben wir noch nie erlebt. Sherry ist eine äußerst anmutige Katze, doch hätte es in den frühen Tagen der Katze mehr von ihrer Sorte gegeben, wäre es wohl nie zu einem Zusammenleben von Mensch und Katze gekommen. In ihrer Eigenschaft als Mauser sind Katzen unterschiedlich; die Skala reicht von gut über gleichgültig bis völlig unzulänglich. Manche Katzen greifen niemals wirklich eine Ratte an. Hier benötigen sie eine andere Technik. Die Beute ist angsteinflößend und schwerer zu erwischen; trotz der Unmengen von Ratten auf der Welt mag manch eine Katze ihr Leben beschließen, ohne jemals eine zu Gesicht bekommen zu haben, es sei denn, sie ist eine Scheunenoder Lagerkatze oder sie sucht sich ihren Unterhalt in den Docks, wo sowohl die Katzen als auch die Ratten groß und gefährlich werden. Wenn alle Katzen wie Sherry wären, müßte bezweifelt werden, daß sie Nagetiere auch nur verscheuchen könnten, denn kein Nagetier hätte in diesem Fall Grund zur Angst vor Katzen. Doch Sherry ist nicht wie die meisten Katzen; manchmal scheint es, daß keine andere Katze so ist wie sie. (Als blaue Siamkatze sieht sie nicht einmal aus wie die meisten anderen Katzen.) Eine Rasse von Sherry-Katzen wäre nicht von Charles Darwin zur Rettung des englischen Rotklees empfohlen worden, wäre nicht gepriesen worden als bestes Mittel gegen die Beulenpest, wäre nicht in Porzellan nachgebildet worden aufgrund der Theorie, daß selbst eine Porzellankatze Ratten und Mäuse von Seidenraupenpuppen fernhält. Es waren die Petes und Martinis, die Bosse von der Morton Street, die Katzen, die in Scheunen hausen, die ihren Stamm dem -94- Zusammenleben mit dem Menschen zuführten und ihm die Billigung von seiten der Wissenschaftler eintrugen. Darwins klassische Passage über das Gleichgewicht der Natur und den Bezug der Katze hierzu ist weltweit bekannt und endlos paraphrasiert worden. Sie handelt, wie viele sich erinnern werden, von Mäusen und Hummeln, und lautet wie folgt: »Nur die Hummeln besuchen den Rotklee, denn die anderen Immenarten können den Nektar nicht erreichen. Man hat vermutet, daß auch Schmetterlinge den Klee befruchten können, aber ich bezweifle, daß dies beim Rotklee geschehen kann, denn ihr Gewicht ist zu leicht, um die Seitenblätter des Blütenkelchs niederzudrücken. Wir können deshalb als wahrscheinlich annehmen, daß, wenn in England die ganze Gattung der Hummeln selten würde oder gänzlich verschwände, das gleiche… beim Rotklee einträte. Die Zahl der Hummeln eines Bezirkes hängt großenteils von der Zahl der Feldmäuse ab, die ihre Waben und Nester zerstören. Oberst Newman, der lange die Gewohnheiten der Hummeln beobachtete, glaubt, daß ›in ganz England mehr als zwei Drittel der Hummelnester von Mäusen zerstört werden. ‹ Die Anzahl der Mäuse hängt bekanntlich wieder von der Zahl der Katzen ab. ›In der Nähe von Dörfern und Landstädtchen‹, sagt Newman, ›fand ich die meisten Hummelnester, was ich den Katzen zuschreibe, die die Mäuse vernichten.‹ Es ist daher durchaus glaublich, daß die Anwesenheit zahlreicher Katzen in irgendeinem Bezirk durch Vermittlung der Mäuse und dann der Bienen auf die Anzahl gewisser Pflanzen bestimmend einwirken kann.« Diese Studie über das Gleichgewicht der Natur wurde noch um einen Schritt weitergeführt: Die Anzahl der Katzen in einem Dorf variiert entsprechend der Anzahl der alten Jungfern, die – nach landläufiger Meinung und bis zu -95- einem gewissen Grad auch tatsächlich – die großen Schützerinnen der Hauskatze sind. Die Menge an rotem Klee mag sich also letztendlich oder fast letztendlich umgekehrt proportional zur Anzahl von Männern oder proportional zu männlicher Widerspenstigkeit verhalten. Das Gleichgewicht der Natur führt uns so ziemlich überall hin. Ein anderer britischer Wissenschaftler, weniger bekannt – nur ein Oberstleutnant, der als Zivilist in Indien als Chirurg wirkte -, forschte über Katzen und Ratten und die Pest und empfahl als Ergebnis folgendes: mehr Katzen. Diese Empfehlung sprach er zweimal, beim zweiten Mal ein wenig weinerlich, im British Medical Journal im Jahr 1908 aus, zuerst im Mai, um das Thema dann im Oktober noch einmal aufzugreifen. Der Oberstleutnant – sein Name war Buchanan – erwähnte, daß Ratten, wie auch 1908 schon jedermann wußte, die Beulenpest ausbrüten und durch ihre Parasiten auf Menschen übertragen. Er fand Beweise dafür, daß der Mensch diesen Zusammenhang schon seit Tausenden von Jahren vage vermutete und zumindest wußte, daß es Zeit war, aus dem Haus zu flüchten, wenn ein Rattensterben begann. Er wies darauf hin, daß Katzen den Mohammedanern und Hindus heilig sind. »Als jetzt«, so schrieb er, »die Mitglieder der Pestkommission die Ratten definitiv als Ursache der Pestepidemien erkannt hatten, wäre zu erwarten gewesen, daß man sich zuallererst nach einem natürlichen Feind der Ratte umsah und sich informierte, ob die Menschen bereit wären, ein solches Tier zu halten. Der erste Satz, den die meisten von uns in der Schule lernten, lautete: Katzen töten Ratten.« Wer jedoch solche Hoffnungen in die Pestkommission setzte, hatte sich leider, so gab Buchanan traurig zu, -96- getäuscht. Die Pestkommission schien nicht zu wissen, da Katzen Ratten töten, vielleicht, weil ihre Mitglieder andere Schulen besucht hatten; jedenfalls taten sie nichts, um die Katzenhaltung zu fördern. Und Katzen mußten gefördert werden; die meisten hatten nur zwei Würfe pro Jahr, und diese waren klein und die Sterblichkeitsrate der Katzenjungen war hoch. Jetzt schon war der Bedarf erheblich; hätte die Kommission gleich, also im Mai 1908, angefangen, hätte sie ein gutes Stück Arbeit zu bewältigen gehabt, denn »es würde beträchtliche Zeit dauern, eine ausreichende Menge an Katzen zu bekommen«. Doch die Kommission saß, wie Buchanan es sah, lediglich auf ihren Theorien und schaffte jedenfalls keine Katzen herbei. Der gute Arzt, der für seine Überzeugung kämpfte – und für das Leben vieler Menschen -, schüttelte traurig den Kopf über den Seiten des British Medical Journal. Er tat jedoch noch mehr. Er bemühte sich um den Be weis für seine These. Er führte eine Katzenzählung durch, dort in den schäbigen, übervölkerten Dörfern Indiens. Er fand zahlreiche Dörfer, in denen es eine Katze oder mehr auf zwei Häuser und keine Pest gab; er fand heraus und bewies, daß die Pesthäufigkeit mit dem Ansteigen der Katzenmenge abnahm. Er stellte den Unterschied zwischen drei Dörfern fest: In Dorf B gab es viele Katzen, in den Dörfern A und C nur wenige. In Dorf B herrschte keine Pest, in den Dörfern A und C wütete sie. Er fand ein Dorf mit vierzig Häusern und sechsunddreißig Katzen – es war pestfrei; im Dorf Jasapur stieß er auf achtunddreißig Pestfälle, davon einundzwanzig tödlich, in einundzwanzig Häusern, und all diese Fälle bis auf einen traten in katzenlosen Häusern auf. (Der einzige Ausna hmefall war ein Haus mit einer Katze, die noch zu jung zum Rattenfangen war.) Er stellte fest, daß die Hindus nicht -97- willens waren, Ratten in Fallen zu fangen oder sie zu vergiften, aber nichts dagegen einzuwenden hatten, daß Katzen Ratten fingen; die meisten Hindus und Mohammedaner zeigten sich als bereitwillige Katzenhalter. Und als die Pestkommission weiterhin untätig blieb, ließ Dr. Buchanan Pamphlete zum Lob der Katze drucken und weitgestreut verteilen. Das alles führte offenbar zu nichts. Weder die Pestkommission noch die Inder reagierten. Zwanzig Jahre später merkte ein katzenbewußter Besucher an, daß »nur wenige Inder die Katze zu schätzen wissen« und Indien eines der Gebiete der Welt bleibt, in denen die Pest noch immer lauert, bereit, jederzeit wieder zuzuschlagen. In der Schule lernen wir, daß Katzen Ratten töten; dieser Lehrsatz ist allerdings, wie Dr. Buchanan betrübt feststellte, offenbar »das letzte, was viele in die Tat umzusetzen bereit sind«. In Indien wie auch anderswo versuchen viele, dieses Naturgesetz zu umgehen. Man bemühte sich, es zu umgehen, schon seit den Tagen der alten Griechen und Römer, die lange Zeit versuchten, anstelle von Katzen Marder einzusetzen. Dieser Versuch fand allerdings statt, bevor die Katze Einzug in Europa hielt; als die Katze kam, ließen die vernünftigen Griechen von den Mardern ab. Natürlich tötet der Marder Ratten und Mäuse, wie eine ganze Reihe anderer Tiere auch – die Eule, das Wiesel, das Frettchen, der Mungo und das Stinktier unter anderen. Ebenso erfolgreich sind Fallen, sofern Ratten und Mäuse zu bewegen sind hineinzutappen, und den Ratten ist bekanntlich mit Fallen schwer beizukommen. Ebenso wirkt Gift, wenn auch die Opfer vielleicht mit höchst unangenehmem Ergebnis in unzugänglichen Winkeln des Hauses zu sterben beschließen, oder sie lassen das Gift unberührt, bis es zu gegebener Zeit von Hunden und -98- Kindern gefunden und verzehrt wird. Giftgas ist wirkungsvoll, aber äußerst gefährlich und nur unter Bedingungen anzuwenden, wo angemessene Kontrolle möglich ist, denn ein Gas, das Nagetiere tötet, tötet auch Menschen. Letzteres wurde leider viel zu häufig unter Beweis gestellt. Schwarze Schlangen sind gute Mauser, aber wer hält schon gern schwarze Schlangen als Haustiere? Es ist sogar wahrscheinlich, daß andere natürliche Feinde von Mäusen und Ratten – besonders Eulen, Wie sel und Stinktiere – weltweit mehr Nager im Jahr töten als Katzen. »Natürlich trifft das zu«, schreibt Ida M. Meilen, eine große Fürsprecherin der Katze, »da in den Wäldern und Feldern, wo diese Vögel und Tiere ihre Beute fangen, tausendmal mehr Mäuse leben als im Haus oder in der Scheune, und außerdem sind sie auf Mäuse als Nahrung angewiesen. “ Das stimmt, zumindest wahrscheinlich – Genaues weiß natürlich niemand -, und liegt außerdem auf der Hand. Die Feldmaus auf dem Feld interessiert niemanden sonderlich, abgesehen von anderen Mäusen, und richtet, solange sie auf ihrem Feld bleibt, keinen größeren Schaden an. Sie verfolgt Maulwurfsgänge bis zu den Tulpenzwiebeln und frißt die Zwiebeln, doch das ist eher lästig als bedrohlich. Mäuse und Ratten wachsen sich zu der bekannten Plage aus, sobald sie menschliche Behausungen heimsuchen, mit anderen Worten, wenn sie das Jagdrevier der Eule verlassen und das Territorium der Katze betreten. Diese Nagetiere gehen den Menschen und die Katze unmittelbar an. Wie andere Arbeitskräfte auch, werden Katzen als Mausefallen besonders hoch gehandelt, wenn sie rar sind. Im Jahr 948 gab es in Wales offenbar nicht genug davon im freien Handel, so daß König Howell die Preise -99- festlegte. Ein neugeborenes Kätzchen, das die Augen noch geschlossen hatte und dessen Qualität als Mauser nur vermutet werden konnte, war einen Penny wert. Konnte bewiesen werden, daß die Katze eine Maus gefangen hatte, verdoppelte sich der Preis. Stand eine Katze im Ruf, eine gute Mäusefängerin zu sein, war sie sozusagen eine zwanzig-Mäuse-pro-TagKatze, kostete sie vier Pence. Als Katzen in England rar waren, drohte einem Katzenmörder eine angemessene Strafe. Der Mörder mußte den Katzenbesitzer wie fo lgt entschädigen: Die Katzenleiche wurde am Schwanz so aufgehängt, da die Nase den Scheunenboden berührte. Dann mußte der Mörder Korn über die Katze schütten, so lange, bis der entstehende Kegel die Schwanzspitze bedeckte – Korn, das die Katze, wäre sie am Leben geblieben, vor Ratten und Mäusen geschützt hätte. Kameradschaft und Mäusefang sind so ziemlich alles, was der Mensch je von der Katze bekommen hat, wenngleich das nicht unbedingt heißt, daß man nie etwas anderes versucht hätte. Die Chinesen zum Beispiel sollen die Katze an wolkenverhangenen Tagen als Uhr benutzt haben, indem sie das Herannahen der Dämmerung an der zunehmenden Verengung der Pupille abschätzten. Das klingt allerdings reichlich unwahrscheinlich und ziemlich weit hergeholt. Im sechzehnten Jahrhundert schlug ein Erfinder vor, Katzen in der chemischen Kriegsführung einzusetzen. Kleine mit wahren Pestgerüchen geladene Kanonen sollten an Katzen befestigt werden, die dann in Richtung Feind liefen. Es ist nicht überliefert, ob derart ausgerüstete Katzen tatsächlich jemals losgelassen wurden, nicht zuletzt, weil von jeher schwer vorauszusagen war, wo eine Katze hinläuft. Im Mittelalter wurden Katzen ziemlich brutal als -100- Musikinstrumente benutzt, wie Champfleury berichtet. Er schildert eine Prozession aus dem Jahre 1549, in der eine Art Katzen-Kalliope mitgefuhrt wurde. Eine Reihe von Katzen steckte in einem Käfig, so daß ihre Schwänze heraushingen; die Schwänze waren an einer Art Klaviatur befestigt, und ein dressierter Bär drückte die Tasten, so daß die Katzen in Baß oder Sopran schrien, während sie durch die Strafen gefahren wurden. Diese diabolische Apparatur gab es in verschiedenen Varianten, doch die Idee setzte sich nicht durch, vielleicht weil die Ohren des Menschen empfindlicher sind als sein Herz. Katzen werden schon seit Jahrhunderten verspeist, manchmal als Katzen, häufiger aber wahrscheinlich als Kaninchen; ihr Körper, besonders die Leber, wurde zur Herstellung vieler jener alten Heilmittel benutzt, die uns so absurd erscheinen, bis wir uns darauf besinnen, daß wirksame Antibiotika aus Schimmelpilzen hergestellt werden; von vielen Katzen ließ man das Fett aus; das Fell wurde im Pelzgeschäft verwendet, aber das Angebot übertraf stets die Nachfrage – das Fell hält sich nicht lange, außer am Körper der Katze. Doch nicht diese kleineren Dienste und Eigenschaften brachten der Katze den Platz an der Seite des Menschen ein. Katzen und Menschen leben zusammen, weil die Hauskatze ein Jäger ist wie ihre Vorväter. Auch das kleinste Exemplar ist der in Schönheit gekleidete Tod, ein Wesen, dessen Beruf das Töten ist. -101- Siebtes Kapitel Katzen, Vögel und das Gleichgewicht der Natur Der Mensch muß der Katze äußerst rätselhaft vorkommen, denn mehr als die meisten anderen Tiere ist die Katze rational veranlagt. Katzen tuscheln miteinander über die Menschen, wobei sie höflichkeitshalber so tun, als würden sie einander nur die Ohren putzen. Wenn sie Menschen anstarren, geschieht es immer noch in der Hoffnung, daß sie durch ausdauernde Beobachtung vielleicht doch noch das Rätsel der augenscheinlichen Widersprüchlichkeiten im menschlichen Geist lösen können. Unsere Gin, noch ziemlich jung und ungewöhnlich bedacht auf die Herstellung gegenseitigen Verständnisses, stellt uns häufig gezielte Fragen, die wir, da wir keine Antwort bereit haben, einfach auf die bevorstehende Mahlzeit beziehen. Dabei will Gin in Wirklichkeit gern Näheres über unser Verhältnis zu Vögeln erfahren. Ihr lobt mich, hält sie uns vor, wenn ich eine Maus fange, und toleriert, daß ich ein Kaninchen mitbringe. Aber komme ich mit einem Vogel nach Hause, der doch so viel schwieriger zu fangen ist, schimpft ihr mit mir. Ihr sagt: »Böse Katze!« und »Laß ihn los, Gin!« und versucht, mir den Kiefer zu öffnen, damit der Vogel entwischen kann. Manchmal gelingt es euch, und das Tier, mit dem ich mir solche Mühe gegeben habe, fliegt davon. -102- Schließlich, fährt Gin – bemüht, sich für das benebelte menschliche Hirn klar genug auszudrücken – fort, haltet ihr mich und meinesgleichen doch als Jäger. Mit Ihr, sagte sie, um ihr Anliegen ganz deutlich zu machen, meine ich alle Menschen; in bezug auf dieses Thema bin ich nicht Gin, sondern ein Gattungswesen. (Wir als Individuen, fügt sie schnurrend, uns um die Beine streichend, hinzu, sind anders verbunden; ich mag euch sehr, ich folge euch über große Entfernungen hinweg, um bei euch sein zu können, und weine bitterlich, wenn ihr einen umzäunten Garten betretet und mich zurücklaßt. Aber ich rede nicht von uns als Individuen. Ich rede von Katzen und Menschen.) Wir von der Gattung Felis domestica sind als Jäger engagiert, aber ihr schimpft mit mir, wenn ich am meisten Erfolg habe. Was ist denn ein Vogel schon anderes als eine Maus mit Flügeln – und einer Stimme, die an meinen Nerven zerrt? Während ich Mäuse unvoreingenommen und ohne jede Wut jage, spüre ich eine besondere Befriedigung, wenn ich die schrille Stimme eines Vogels zum Schweigen bringe, ähnlich wie ihr mit Begeisterung Mücken jagt und tötet. (Deswegen schnattere ich oft, wenn ich einen Vogel sehe; Vögel machen mich so wütend, wie ein Kaninchen es niemals zuwege bringen würde.) Was hat es also mit den Vögeln auf sich, außer daß sie für eine Katze ein großes Ärgernis darstellen? Die Antworten sind zu vage, als daß wir sie Gin zumuten könnten, also geben wir ihr stattdessen ihre Mahlzeit, und damit gibt sie sich als höchst aktive und daher stets hungrige Katze zufrieden. Hin und wieder dreht sie sich, bevor sie zu fressen beginnt, zu uns um und schüttelt traurig, nachsichtig den Kopf. Wir gehören ihr, und sie liebt uns. Trotzdem, übermäßig klug sind wir nicht. Natürlich könnten wir Gin erklären, daß Vögel häufig -103- sehr schön sind, daß sie Töne von sich geben, die dem menschlichen, wenn auch nicht dem Katzenohr wohlgefällig sind, daß der Mensch im Flug des Vogels eine Freiheit ahnt, die ihm verwehrt ist, eine Leichtigkeit, nach der er sich sehnt. Darauf könnte sie entgegnen, daß auch Schmetterlinge häufig schön sind; sie könnte hinzufügen, daß viele Vögel Töne ausstoßen, die dem Menschenohr genauso unangenehm sind wie dem der Katze, und als Beispiel könnte sie Krähen anführen; sie könnte andeuten, daß die Freiheit im Bewußtsein, nicht im Besitz von Flügeln zu suchen ist. Was das Töten von Vögeln betrifft, könnte sie weiterhin sagen, daß Menschen mehr Vögel umbringen als Katzen und daß auch andere Vögel ihresgleichen töten. Seid vernünftig, könnte Gin verlangen – würde sie nicht gerade philosophierend ihre Mahlzeit verzehren. Versucht doch um Himmels willen mal, rational zu denken. Worauf wir lediglich antworten könnten, daß wir unser Bestes tun. Wir würden ihr allerdings möglichst nicht allzuviel über den Vogelkult in seiner extremen Ausprägung erzählen, weil wir sie nicht endgültig enttäuschen wollen. Die Fragen liegen auf der Hand: Wie groß ist tatsächlich die Dezimierung der Vogel weit durch Katzen? Reduziert sie den Vogelbestand so weit, daß das Gleichgewicht der Natur in Gefahr gerät? Im allgemeinen ist es so, daß die Natur gute Chancen hat, im Gleichgewicht zu bleiben, solange der Mensch nicht dazwischenpfuscht. Die Hauskatze, die tatsächlich im Haus lebt, tötet zweifellos eine beträchtliche Menge Vögel. Es stimmt aber auch, daß in Gegenden mit zahlreichen Haus- und Scheunenkatzen – auf dem Land, in den Vorstädten heimische Räuber am seltensten sind, wodurch das -104- Gleichgewicht der Natur wiederhergestellt ist. Und außerdem – immer vorausgesetzt, der Mensch läßt seine Hände, seine Gewehre aus dem Spiel – gibt es genug Vögel. Es gibt Unmengen von ihnen; in manchen Gegenden sind es schon zu viele. In den Vorstädten und beinahe ländlichen Gegenden rund um New York zum Beispiel leben in unseren Tagen bereits mehr Rotkehlchen, als Raum für diese Vogelart vorhanden ist. Das liegt daran, daß Rotkehlchen, wie auch der schlichteste Amateurbeobachter weiß, während der Nistzeit auf der uneingeschränkten Herrschaft über ein festgelegtes Gebiet bestehen. Sie stecken Reviere ab wie ein Goldsucher; wenn nötig, kämpfen sie bis zum letzten Atemzug gegen einen Eindringling. Als leicht in die Irre zu führende Wesen bekämpfen sie sogar ihr eigenes Spiegelbild in einer Fensterscheibe oder anderen spiegelnden Flächen. Vor Jahren haben wir fast einen ganzen Tag mit dem Versuch zugebracht, ein Rotkehlchen zu retten, das augenscheinlich wild entschlossen war, sich an der glänzenden Radkappe eines Buick das offenbar nur in geringem Maße vorhandene Hirn aus dem zarten Schädel zu treiben. Verzweifelt flog der Vogel das Rotkehlchen in der Radkappe immer wieder an, stieß mit Kopf und Schnabel und den kleinen Krallen zu, bis er erschöpft zu Boden sank. Dann ruhte er ein wenig, wobei er böse Blicke in Richtung Radkappe warf. Sobald er sich einigermaßen erholt hatte, stand er auf und schaute noch einmal nach. Und wieder fand er das widerrechtlich eingedrungene Rotkehlchen vor, und wieder flog der unbezähmbare, wenn auch nahezu hirnlose Vogel Attacke gegen den Feind. Wir haben ihn verjagt, wir haben versucht, ihn abzulenken – die Katzen waren in der Zwischenzeit weggesperrt. Wir haben das Auto in den -105- Schatten gefahren. Nichts funktionierte, bis wir schließlich in den Wagen stiegen und ein, zwei Stunden spazierenfuhren. Dadurch konnten wir das Rotkehlchen letzten Endes doch beschwichtigen. Der Feind war geflohen; es konnte, wenn auch arg gebeutelt, zu seinem Weibchen zurückfliegen, das wahrscheinlich annahm, der Gatte hätte sich auf eine Schlägerei eingelassen. (Am Abend hörten wir vom Nest her eindrucksvolle Schimpftiraden.) Er hatte sein Recht verteidigt, in diesem Gebiet zu nisten, das durch erste Inanspruchnahme und kraft der Gewalt von Schnabel und Kralle das seine war. Genauso gnadenlos hätte der Vogel gegen einen echten Eindringling gekämpft und ihn, sofern es in seiner Macht stand, vertrieben. Auf diese Weise wird eine große Anzahl von Rotkehlchen vertrieben und brütet nicht – in Ermangelung einer Wirkungsstätte, eines Heims. Das gleiche gilt für zahlreiche andere gewöhnliche Vögel; in der Umgebung von New York sind inzwischen die Nistkapazitäten für alle gängigen Vogelarten ausgeschöpft. Es bleibt einfach kein Platz mehr für weitere Vögel; das Gebiet ist voll besetzt. Und es steht zu erwarten, daß es ungeachtet von Katzenfraß und anderer Einbußen, und wenn nicht eine unvorhergesehene Katastrophe eintritt, voll besetzt bleibt. Rotkehlchen zum Beispiel haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von drei bis vier Jahren, aber manche werden doppelt so alt. Sie brüten zweimal im Jahr und ziehen mit jedem Gelege gewöhnlich vier Junge auf. So kann ein Rotkehlchen-Pärchen unter normalen Bedingungen in seinem Leben zwischen vierundzwanzig und zweiunddreißig Nachkommen produzieren. Angesichts der Tatsache, daß die Populationskapazität der Rotkehlchen ausgeschöpft ist, -106- wird klar, daß alle bis auf zwei ihrer Jungen, die als Nachfolge erforderlich sind, als Beute zur Verfügung stehen und ohnehin dem Untergang geweiht sind. Die Natur ist verschwenderisch, wenn es um die Erhaltung ihres Gleichgewichts geht; sie produziert mehr Vögel, als sie oder die Welt benötigen. Wenn die Katze diesen Überschuß in Grenzen hält, wirkt sie ausgleichend und stört keineswegs das Gleichgewicht der Natur. Es gab schon immer genug Vögel, die man anschauen konnte, denen man lauschen konnte und die dem Menschen all die Dienste erwiesen, die von Vögeln zu erwarten sind. Klar, sie fressen Insekten, ohne Rücksicht darauf, ob sie schädlich oder nützlich sind. Daher sind sie zweifellos nützlich, wenngleich sie das Absuchen des Bohnenbeets nicht übeflüssig machen und auch fast ausnahmslos dem Kartoffelkäfer relativ gleichgültig gegenüberstehen. (Stare mögen ihn angeblich gern, aber nur wenige Menschen mögen Stare.) Mit Sicherheit fressen sie nicht halb so viele Insekten, wie es der Mensch wünschen würde, vielleicht, weil alle Raubtiere offenbar bestrebt sind, das Gleichgewicht der Natur in ihrem Sinne zu erhalten – als beständige Nahrungsquelle. Vögel fressen niemals so viele Insekten, daß sie ernsthaft in die Insektenpopulation eingreifen könnten. Sie achten darauf, daß wenigstens die nächste Brut gesichert ist – denn was sollten die Vögel sonst im folgenden Jahr tun? Schade, daß Vögel sich auch den To matenschädlingen gegenüber so verhalten, die ihnen wohl zufällig nicht schmecken; ein Glück, daß sie im Hinblick auf Regenwürmer ähnlich veranlagt sind, denn die Ausrottung von Regenwürmern würde sich für uns alle als Katastrophe erweisen. Vögel sind dem Menschen nützlich, aber auch schädlich. Sie fressen manche Insekten, die vielleicht Erbsenranken vertilgen. Aber sie fressen auch die Erbsen. Samen, aus -107- denen der Gärtner Blumen ziehen möchte, sind für die vielen am Boden fressenden Vögel nichts weiter als Vogelfutter, und manchmal ist es fraglich, ob man, wenn man mühevoll ein Blumenbeet herrichtet, das nur leicht mit Erde bedeckt werden darf, tatsächlich einen Garten anlegt oder eher den Tisch für die Vogelwelt deckt. Mit Vögeln verhält es sich nicht anders als mit Katzen: Man muß sie nehmen, wie sie kommen. Krähen zum Beispiel – Krähen erscheinen uns von vornherein als schlecht. Mit ihrem Krächzen verderben sie uns den Morgen, und wenn die Getreideschößlinge erst ein paar Zentimeter hoch sind, graben sie sie aus, um an den keimenden Samen zu gelangen. Kann dies verhindert werden, gelingt es dem Getreide also trotz der Krähen zu reifen, fangen sie spätestens an, die Körner aus den Ähren zu picken, sobald sie reif sind. Über Krähen weiß kein Mensch etwas Gutes zu berichten. Trotzdem werden wir wie alle anderen Katzenliebhaber auf dem Lande weiterhin unsere Katzen ausschimpfen, wenn sie Vögel fangen, und dem logischen Verstand der Katze damit die menschliche Inkonsequenz beweisen. Wir werden auch weiterhin versuchen, Katzen an dieser für sie völlig natürlichen Beschäftigung zu hindern. Dabei werden wir uns allerdings keinen allzu großen Hoffnungen hingeben. Einige Katzenbesitzer haben ihren Katzen die Jagd auf Vögel ausgeredet oder glauben es zumindest. Fraglos trifft es auch zu, daß Katzen und Vögel schon gelernt haben, miteinander zu leben, zumindest lange genug, um sich fotografieren zu lassen, und wahrscheinlich zum Preis großer mentaler Belastungen bis hin zur Neurose. Junge Kätzchen werden von mehr Menschen gemocht als ausgewachsene Katzen; der einzige Nachteil an so einem Kätzchen, sagen sie und meinen es nur halb spaßig, -108- ist, daß es sich unvermeidlich zu einer Katze auswachsen wird. Das ist natürlich nicht ganz richtig: Ein Kätzchen kann sehr leicht daran gehindert werden, zur Katze heranzuwachsen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann das Kätzchen rasch und so barmherzig wie möglich töten, wenn es etwa sechs Wochen alt ist, oder man kann das Kätzchen, will man es nicht auf so ehrliche Weise loswerden, aussetzen und sich selbst überlassen, was gewöhnlich denselben Effekt hat, aber dem Menschen das reine Gewissen beläßt. Ob in der Stadt oder auf dem Land, man gerät schnell in eine Situation, in der diese Entscheidung unabdingbar wird. Auf dem Land gibt es im Frühling viele junge Katzen; in der Stadt sind junge Katzen oft gern bereit, Menschen nach Hause zu folgen. Ein weiches Herz verführt so ziemlich jeden, sich mit einem Kätzchen einzulassen. Da das Verantwortungsbewußtsein im Menschen selbst in seiner Bezie hung zum Mitmenschen oft nur latent vorhanden ist, ist dies nicht weiter verwunderlich. Doch den betroffenen Katzen macht es das Leben schwer. Eine Familie, vielleicht mit ein, zwei Kindern, zieht den Sommer über aufs Land. Ein Kätzchen, alleingelassen, stellt fest, daß das Haus bewohnt ist, und schaut herein. Oder die Kinder betteln um eine Katze, und fast jeder Bauernhof hat Kätzchen übrig. Auf dem Land bereiten Katzen keine Schwierigkeiten; wenn sie nach draußen wollen, melden sie sich, und sie fressen fast alles. Sie lassen sich von den Kindern zausen, gewöhnlich viel zu grob, sind unendlich verspielt und liebenswert, jagen nach Schatten auf dem Rasen und sind hinreißend in ihrem Eifer, wenn sie nach baumelnden Fäden springen. Im Juni, Juli und August wird sich wahrscheinlich auf beiden Seiten die große Liebe einstellen. -109- Doch dann kommt das Ferienende, der Tag des Auszugs, der Tag des eiligen Packens, des Bedauerns, der Gedanken an Schule und an die Enge der Mietwohnung. Schon jetzt ist die Katze im Weg; jetzt ist es nicht mehr lustig, wenn sie in die Schachtel springt und mit Bändern oder Schnüren spielt. Jetzt ist die Katze lästig. Und wenn sie jetzt schon lästig ist, wie soll es dann erst in der engen Stadtwohnung werden, wo zum Kratzen nur Möbel zur Verfügung stehen, wo eine Toilette eingerichtet werden muß? Überhaupt ist sie längst nicht mehr das niedliche Kätzchen wie zu Anfang; inzwischen ist sie schon mehr als eine halbe richtige Katze. Vielleicht hat sie sogar schon angefangen, unmißverständlich klarzustellen, was für eine Art von Katze sie ist. Die Kinder mögen die kleine Katze freilich noch immer. Doch die Schule wird sie ablenken, sie werden neue Interessen finden. Und wer weiß? – Vielleicht gibt es im nächsten Sommer wieder eine Katze. Mittlerweile jedoch ist diese Katze da, und diese Katze, die eigentlich kein Kätzchen mehr ist, ist zum Problem geworden. Sie ist ein Problem, das sich, wenn sich keine andere Lösung findet, mit ein paar Schlaftabletten leicht lösen ließe, aber das ist grausam, oder? Wenn uns noch Zeit bliebe, könnten wir versuchen, ihr ein neues Heim zu besorgen, aber jetzt ist urplötzlich der Sommer vorüber, auf dem Land ist alles tot. Dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Viel einfacher ist es, die Katze zurückzulassen. Katzen haben neun Leben, wie jeder weiß. Sie können für sich selbst sorgen. Außerdem liegt einer Katze ja gar nicht viel am Menschen; ein neues Heim findet sie allemal; der Katze ist es gleich, bei wem sie zu Hause ist. Jenseits der Straße zu unserem Häuschen bei Brewster befand sich eine große Feriensiedlung, deren Bewohner wohl niemals den Herbst auf dem Lande er lebten – die -110- sanften Töne im Oktober, die schneidenden grauen Tage im frühen November. Am Abend des ersten Montags im September reisten sie ab nach Hause und ließen ihre Katzen zurück. (Ihre Hunde nahmen sie mit, obwohl sie in einer Mietwohnung bedeutend problematischer sind.) An den heilen, sonnigen Tagen bis in den späten September erlebten wir, daß diese Katzen, für die lange Zeit gut gesorgt worden war, ihr Vertrauen in den Menschen noch bewahrten. Ein schöner junger Kater kam einmal über den Rasen zu einem von uns, weinte ein bischen, war ein bischen verwundert und mehr als ein bischen hungrig, hatte jedoch noch Vertrauen und trug den Schwanz steil aufgeric htet. Wir konnten nichts tun, da wir mit Katzen eingedeckt waren. Wir durften nicht einmal zu freundlich sein, denn die eigenen Katzen sind eifersüchtige Wesen; wir konnten ihn nicht füttern, weil er dann geglaubt hätte, ein neues Heim gefunden zu haben, und nicht weiter gesucht hätte – nicht mehr gesucht hätte, solange die Tage noch warm und die Nächte nicht zu kalt waren und eine Katze noch eine Chance hatte. Wir hätten natürlich auch ehrlich sein können. In den letzten paar Jahren hatten wir immer von unserem Tierarzt verschriebene Schlaftabletten vorrätig. Doch letztendlich waren wir genauso feige wie die anderen; die Tabletten haben wir nie benutzt. Eine Katze hat immer gewisse Chancen, und Töten belastet das Gewissen. Was mag aus diesem schönen, jungen Kater geworden sein? fragen wir uns oft. Vielleicht hat er ein gutes Zuhause gefunden. Ja, natürlich, vielleicht. Es ist tröstlich, die Dinge von der Sonnenseite her zu betrachten. Vielleicht fängt er just in diesem Augenblick Mäuse für irgendwelche Leute. Höchstwahrscheinlich aber ist er langsam gestorben, als der Winter kam und Nahrung immer schwerer zu finden -111- war, als die Nächte grausam kalt wurden und die Tage nicht viel besser waren. Vermutlich ist er in dem unzulänglichen Unterschlupf, den er fand (er war ja keine erfahrene Katze; er hatte gelernt, daß Katzen in warmen Häusern leben und sich das Futter in Schüsselchen vorsetzen lassen), eines Nachts erfroren. Vielleicht hat er es aber auch geschafft, denn er war ja ein kräftiges Tier, selbst einen Winter im Staat New York zu überleben. Vielleicht ist er jetzt eine wildernde Katze, die angstvoll vor Menschen davonläuft und sie verbittert ansieht, wenn er in die Enge getrieben wird. Dann ist er jetzt dünn und zäh, und seine einstmals spitzen Ohren sind abgerundet, weil die Ohren zuerst erfrieren. Er tötet alles, was ihm vor die Nase kommt, und er jagt bei Nacht. Er »wildert«, er frißt »geschützte“ Vögel, wenn er sie erwischt. Die Menschen, die ihn diesem Schicksal ausgeliefert haben, werden nach wie vor sagen, daß Kätzchen entzückend sind, aber leider zu Katzen werden; sie werden sagen, Katzen seien grau sam und stellen eine große Bedrohung für die Vogelwelt dar. Die unerwünschte Katze ist freilich nicht ein für ländliche Gebiete typisches Problem. Kein Mensch weiß, wie viele heimatlose Katzen in einer Großstadt wie New York umherstreunen. Sie ernähren sich aus Mülltonnen, jagen in widerlichen Ecken nach Ratten und Mäusen, werden räudig und kriegen Flöhe. Sie heulen auf Zäunen, zusammen mit Hauskatzen, die nachts freigelassen werden. Die vorherrschende Meinung ist, daß sie am besten tot wären, da sie ein so elendes Leben führen, und daß es menschlich wäre, sie zu töten. Vermutlich ist das richtig, wenngleich die Katzen selbst anderer Meinung sind. Sie sind sehr schwer zu fangen. -112- Achtes Kapitel Katzen – die besseren Menschen? Wenn wir Gin sagen, sie sei »böse«, weil sie Vögel fängt, weist einiges darauf hin, daß sie weiß, was wir meinen. Vielleicht legt sie ein wenig die Ohren an; sie schaut uns mit etwas wie Zweifel in ihren blauen Schlitzaugen an. Sie geht nicht fort, denn sie weiß, daß von uns keine körperliche Züchtigung zu befürchten ist, doch kommt sie auch nicht näher, schmiegt sich nicht schnurrend an, wie es der Fall wäre, wenn wir sagen würden: »Brave Ginny. Gute Ginny«. Man könnte vermuten, daß das Wort »böse« eine besondere Bedeutung für sie hat, vielleicht sogar mehr oder weniger dieselbe Bedeutung wie für uns. Manche Leute stellen noch weit unwahrscheinlichere Vermutungen über Katzen an. Wenn wir uns nicht nur einbilden, daß Gin sich tatsächlich anders verhält, sobald sie das Wort »böse« hört, dann reagiert sie wahrscheinlich mehr auf den Tonfall als auf das Wort selbst. Katzen und Hunde reagieren auf das Timbre der menschlichen Stimme; würden wir Gin in zärtlichem Tonfall eine »böse Katze« nennen, käme sie zweifellos mit leisen Äußerungen des Behagens zu uns, um sich den Kopf streicheln zu lassen. Es ist keinesfalls so, daß Gin jedes unserer Worte versteht oder auch nur diesen Anschein erweckt. Selbst für Martini -113- sind zahlreiche menschliche Worte unverständlich, und dabei ist sie womöglich ein Genie, ganz gewiß aber anderen Katzen geistig haushoch überlegen. Verstünden Gin oder Martini tatsächlich das Wort »böse«, alle seine Nuancen oder sein Gegenteil, begriffe doch keine von beiden den Sinn, der schließlich Menschen und nicht Katzen betrifft und von Menschen von kindlicher Naivität, von einer Naivität, die jede Katze verblüffen müßte, auf Katzen angewendet wird. Beinahe keine einzige Katze ist naiv. Hätten wir nicht durch jahrelange Erfahrung gelernt, uns vor Verallgemeinerungen zu hüten, würden wir schlicht sagen, eine Katze könne nie naiv sein. Das allerdings würde nichts anderes bedeuten, als daß wir nie einer Katze begegnet wären, deren Verhalten uns an einen naiven Menschen erinnerte. Es ist durchaus möglich, daß Katzen sich nicht wie menschliche Wesen verhalten; möglich ist sogar, daß sie nicht einmal den Wunsch verspüren, obwohl die Menschen gewöhnlich versuchen, sie dazu zu zwingen, und sie fast immer wie etwas merkwürdige und insgesamt leicht zurückgebliebene Männer und Frauen einschätzen. Diese Neigung, die Katze zu anthropomorphisieren, ihr also menschliche Eigenschaften zuzuschreiben und deshalb zu erwarten, daß sie ihren Möglichkeiten entsprechend menschliche Verhaltensweisen imitiert, setzt schon sehr frühzeitig im menschlichen Bewußtsein ein und dauert an. So denken Kinder über Katzen, und so dachte, wie wir in Kürze sehen werden, der selige Dr. Edward Lee Thorndike über Katzen, wenngleich er sonst in keiner Weise erkennbar kindisch war. Diese Einstellung ist äußerst bequem für den Menschen, und daher macht er sie sich nahezu zwangsläufig zu eigen. Wahrscheinlich ist sie tatsächlich unumgänglich; wahrscheinlich kann das -114- menschliche Bewußtsein der Objektivität keinen anderen Tribut zollen als die Erkenntnis, daß sie unerreichbar ist. Selbst dieser Tribut wird in den seltensten Fällen geleistet. Zum Beispiel liegt nahe, daß Dr. Thorndike nicht nur wissenschaftliche Objektivität suchte, als er die Intelligenz von Katzen testete, sondern glaubte, sie bereits gefunden zu haben, obwohl kaum etwas weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte. In seiner Untersuchung des Katzenbewußtseins verhielt sich dieser großartige Psychologe im Grunde kaum anders als 2835 Kinder, die fast fünfzig Jahre zuvor von Stanley G. Hall und C.E. Browne über ihre Schmusetiere befragt wurden. Die Kinder sahen ihre Katzen als kleine Menschlein mit Fellchen und vier Beinen an, und im Kern machte es Dr. Thorndike auch nicht viel anders. Die meisten der von Hall und Browne befragten Kinder äußerten sich allerdings gar nicht über Katzen, da 71,6 Prozent von ihnen Hunde bevorzugten. Ob sich diese Vorliebe auch in den späteren Jahre des Menschen fortsetzt, ist nicht sicher; in beträchtlichem Maße wird es wohl so sein, wenngleich viele Menschen mit zunehmender Reife, wenn sie nicht mehr so angewiesen sind auf das Gefühl der Überlegenheit, das die Zuwendung eines Hundes ihnen gibt, Katzen kennen- und bewundern lernen. Aber ganz gleich, welchen Alters, zumindest in den USA sind mehr Menschen auf Hunde als auf Katzen fixiert, und diese Vorliebe äußert sich in einem gewissen Gruppenzwang. Das trifft in erster Linie auf männliche Wesen zu. Es ist »männlich«, als kleiner Junge einen Hund zu besitzen, und außerdem bringt es eine Menge Spaß, und Hunde sind in ihrer Beziehung zu kleinen Jungen belastbarer als die meisten Katzen. Von den 804 von Dr. Hall und seinem Mitarbeiter befragten kleinen Katzenfreunden waren 582 Mädchen und nur 222 Buben. -115- Diese 804 Befragten mochten Katzen aufgrund ihrer Verspieltheit, waren begeistert von ihrer Anmut und Ausdauer. (Die meisten Kinder bezogen sich vermutlich auf Kätzchen oder junge Katzen, und diese sind fast ständig in Bewegung, bis sie plötzlich ohne jede Vorwarnung fest einschlafen.) Die Bewegungen der Katze sind von unendlicher Vielfalt; keine bewegt sich genau wie eine andere, und nur wenige Katzen wiederholen ihre, eigenen Bewegungen, nicht einmal bei im Grunde genommen identischen Abläufen. (Sherry zum Beispiel hat beim Spielen eine ganz eigene Art, sich im Sprung zu drehen, in die Luft zu gehen, um den Angriff eines Papierschnitzels abzuwehren, und sich dabei wie ein Akrobat um die rechte Schulter zu drehen, wobei sie doch wieder mit allen Vieren, mit gekrümmtem Rücken und dem Spielzeug zugewandt auf dem Boden landet. Diese Bewegungen haben wir bei keiner anderen Katze gesehen, obwohl viele Katzen gern das gleiche Spielchen treiben. Und dabei führt Sherry diesen Sprung selten, vielleicht sogar nie, mit den gleichen Bewegungsabläufen aus. Ihr Sprung hat nichts Mechanisches wie zum Beispiel die Vorhand eines guten Tennisspielers.) Die Kinder, die Katzen dieser Gewohnheiten und Fähigkeiten wegen mochten, betrachteten die Tiere fast ausnahmslos als ihresgleichen, eben auch als Kinder, schrieben ihnen die gleichen Motive zu und verlangten von ihnen die Einhaltung moralischer Grundsätze, die sie selbst gelernt hatten. Sie fütterten sie mit allem, was Kinder mögen oder essen müssen. Die meisten Kinder waren überzeugt, daß ihre Katze mit ihnen rede, wenn sie schnurre oder Augen, Kopf und Schwanz auf bestimmte Weise bewege, und »verstanden«, was sie ihnen zu sagen hatte. Die Katze sagte »Ich liebe dich«, »ich möchte Milch«, »öffne mir bitte die Tür«, »sei nicht böse auf -116- mich«, »tut mir leid, ich will's nie wieder tun«. Die Katze sagte auch: »Ich möchte was zu fressen« und wurde daraufhin mit irgendeiner Leckerei belohnt. Die Katzen bekamen Eis zu fressen, was die meisten gern mögen, sie bekamen auch Erdnüsse, Süßigkeiten und Vanillepudding, lauter Dinge, die Kinder gewöhnlich lieber mögen als Katzen. In Haushalten, in denen die Eßgewohnheiten des Kindes streng reglementiert wurden, bekamen die Katzen auch Milch und Sahne, Eier, Getreideprodukte und Fleisch. Ein paar Katzen, so wußten die Kinder zu berichten, fragen Ratten und Mäuse und Fische, doch das kindliche Bewußtsein beharrte auf der Vorstellung, daß die Katzen im Grunde Erdnüsse und Süßigkeiten viel lieber mochten, denn welches Kind gibt diesen Dingen nicht den Vorzug? »Das Verhältnis des Kindes zur Katze ist weitgehend anthropomorph«, schrieb Dr. Hall in seiner Schlußfolgerung, 1905 im Pedagogical Seminary veröffentlicht. »Es schreibt der Katze die gleichen Gedanken und Gefühle zu, die es selbst erlebt, und offenbart in seiner Behandlung des Tieres unbewußt seine eigenen Vorstellungen von Gut und Böse, sein Ausloten von Zuneigung, seine Vorlieben und Abneigungen. In diesem Zusammenhang besteht eines der interessantesten Ergebnisse in der Tendenz des Kindes, das Ausloten von Gut und Böse konform mit dem Willen des Tierbesitzers auszurichten… Kinder unterliegen der alten Vorstellung von Tieren als moralischen Wesen mit voller Verantwortung für die moralische oder unmoralische Qualität ihres Tuns. Nur in wenigen Fällen wurden die natürlichen Instinkte der Katze in Betracht gezogen. Während Ratten- und Mäusefangen oft als Tugend angesehen wird, ist das Fangen eines Vogels böse. Möglicherweise ist diese moralische -117- Objektivität Ausdruck der Erziehung, der das Kind unterworfen ist, denn bedauerlicherweise finden sich allzu häufig Kinder, die ein Mißgeschick mit ihrer Kleidung oder ihrem Besitz auf eine Ebene mit einer Moralverletzung stellen, weil sie für beides die gleiche Strafe zu erwarten haben.« Dr. Hall kam aufgrund der ihm vorliegenden Erhebungen außerdem zu dem Schluß, daß Kinder aus ihren Katzen ein Gefühl der Autorität bezogen, weitgehend auf der Basis ihrer überlegenen Größe und Kraft. Weiterhin kam der Forscher zu der Überzeugung, daß Haustierhaltung Kindern hilft, Verantwortungsbewußtsein und Menschlichkeit Tieren gegenüber zu entwickeln. Vom kindlichen zum erwachsenen Bewußtsein ist es nur ein kleiner Schritt. Mit dem Erwachsenwerden erkennt der Mensch vielleicht, daß Katzen lieber Hack als Erdnüsse mögen, womöglich aber nicht, daß Katzen (ebenso wenig wie anderen Tieren) nicht die Moralbegriffe des Menschen zueigen sind, daß es naiv, wenn nicht unverschämt wäre, Begriffe wie »gut« und »böse« auf sie anzuwenden. Man verlangt und besteht auf der Konformität mit dem Willen des Besitzers in bezug auf objektive Moral, was bei einer Katze wohl kaum zu erreichen ist. Sie kann nicht als »gut« bezeichnet werden, sofern wir nicht bereit sind, unsere Moralvorstellungen zu vergessen. Solange der Mensch nicht willens ist, die Anwendung seiner eigenen Standards auf Katzen aufzugeben, bestehen nur geringe Chancen zur Herstellung gegenseitigen Verständnisses. Es ist unsinnig zu erwarten, daß eine Katze sich wie ein Mensch verhält, und in vielerlei Hinsicht ist es nur gut, daß das so ist. Es wäre zum Beispiel sinnlos zu erwarten, daß die Katze menschlich -118- wird und von Praktiken abläßt, die der Mensch, eine Autorität auf diesem Gebiet, als grausam bezeichnet. Es war grausam und zugleich menschlich, wie sich die Folterknechte der Inquisition angeblich – zweifellos ist es Verleumdung, oder nicht? – gegenüber den Gefangenen, die sie quälten, verhalten haben sollen. Ihren unglücklichen Opfern, lange Zeit in der Dunkelheit mit dem Wissen eingesperrt, daß sie anläßlich der Urteilsverkündung noch einmal das Licht sehen könnten, wurden hin und wieder kurze Hoffnungsschimmer gewährt. Es war bestimmt ein sehr lustiges, sehr menschliches und überaus grausames Katz- und-Maus-Spiel. Es ist freilich recht ähnlich dem Spielchen, das die Katze mit der Maus treibt, wenn auch ausgeklügelter in den zugefügten Qualen, denn der Mensch ist in seinem Sadismus einfallsreicher als die Katze. Der einzige Unterschied besteht darin, daß der Mensch es besser weiß, die Katze aber nicht, daß der Mensch durch solche Taten seine eigene Menschlichkeit kränkt und verhöhnt. Damit stellt der Mensch sich nicht auf eine Stufe mit der Katze, sondern auf eine ungleich niedrigere, denn grausam ist die Katze nur nach den Standards des Menschen, nicht nach ihren eigene n. Es gibt keine menschlichen Katzen; keine Katze, die sagen würde, daß gewisse Dinge einer Katze nicht würdig sind. Keine Katze hat je eine Vorstellung von »Grausamkeit« entwickelt, und deshalb kann im Grunde keine Katze grausam sein. Wenn Menschen tun, was Katzen tun, sind sie grausam. Das geschieht häufig; man muß gar nicht auf die Inquisition zurückgreifen, um Beweise dafür zu finden. »Selbst Fabrikbesitzer, die Kinder arbeiten lassen, und Theaterkritiker haben behauptet, Katzen seien grausam«, bemerkt Carl van Vechten in seinem berühmten Buch über Katzen. -119- Viele haben diese Behauptung aufgestellt. Wenn sie die Katze »hinterhältig« und »verschlagen« nennen, vermenschlichen sie sie und sentimentalisieren sie zugleich. Beides geht Hand in Hand; es sind parallel laufende Manifestationen der althergebrachten Schwierigkeit des Menschen, die Katze als Katze zu betrachten und sie Katze sein zu lassen. Möglicherweise hat sich der Mensch vom Hund irreführen lassen, da es bedeutend einfacher ist, die Standards, an die sich der Mensch hält, auf Hunde anzuwenden, und dabei die Mitwirkung des Hundes zu erreichen. Es fällt wahrhaftig nicht schwer zu glauben, daß der Hund gern ein Mensch sein würde. Der Ehrgeiz eines wohlerzogenen, also »guten“ Hundes besteht darin, mehr seinem Herrn als sich selbst zu gefallen, und die Mittel, die er dafür einsetzt, sind gewöhnlich eher menschlicher als subtiler Natur. In seinen Liebesbezeigungen ist er überschwenglich wie viele Menschen und wie es sich fast alle wünschen; der Hund läßt ihn nicht im Zweifel über seinen Stellenwert, und wenn er seine Unterwürfigkeit demonstriert, wozu er gern bereit ist, dann tut er es aus vollem Herzen, so daß selbst der unbedeutendste Mensch sich für eine kleine Weile in den leuchtenden Augen des Hundes als gottähnlich spiegeln kann. Der Hund ist unkritisch. Will der Mensch spazieren gehen, gibt es nichts, was sein guter Hund lieber täte; will der Mensch beim Feuer sitzen, hat sein Hund denselben Wunsch und hebt im Schlaf hin und wieder zärtlich den Blick, um sicherzugehen, daß sein Herr ihn nicht verlassen hat. Steht dem Menschen der Sinn nach Spielen, wird der Hund eifrig die Regeln pauken und unermüdlich mitspielen. Ein Hund kann lernen, auf den Hinterpfoten zu laufen, wodurch er sich lächerlich macht, er kann lernen, um seine Mahlzeit zu »betteln«. Hätte er -120- Worte, würde er sicherlich auch liebend gern vor Publikum rezitieren. Dieses Bestreben des Hundes, allen Wünschen des Menschen nachzukommen, sein ganzes Leben nach Menschen- statt nach Hundeart auszur ichten, ist dem Menschen freilich sehr angenehm. Es stützt ihn in seiner Überzeugung, daß er in jeder Hinsicht der Überlegene ist, stärkt seinen Glauben, daß alle Tiere am liebsten menschenähnlich wären, wenn sie könnten. Und es macht den Hund liebenswert für Personen, die fähig sind, Zuneigung zu empfinden. Es ist schwer zu begreifen, wie jemand einem Hund widerstehen kann, dessen ganzes Wesen darauf ausgerichtet ist, seine Liebenswürdigkeit unter Beweis zu stellen. Der Hund ist ein sonniges Tier; wäre er jemals ein Gott gewesen, dann ein Gott des Lichts. Und wenn er uns manchmal, wie Nelson Antrim Crawford so unfreundlich bemerkt, an einen Versicherungsvertreter erinnert – Versicherungsvertreter sind harmlos und zudem meisten ausgesprochen herzliche Geschöpfe. Außerdem ist ein Hund, zumindest oberflächlich betrachtet, einfach zu verstehen. Es ist mit einiger Sicherheit anzunehmen, daß er, wenn er der Situation entsprechende menschliche Verhaltensweisen zeigt, den menschlichen Gefühlen unter diesen Bedingungen so nahe kommt, wie es ihm möglich ist. Wenn ein Hund lächelt, dann lächelt er wie ein Mensch. Wenn er seinen Herrn mit Freudensprüngen begrüßt, dann empfindet er eindeutig Freude; er ist wie ein Mensch, der einen heimgekehrten geliebten Freund in die Arme schließt. Wenn uns ein Hund leckt, handelt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um einen Kuß. (Leckt uns die Katze, will sie vielleicht nur wissen, wie wir schmecken.) Ein Hund, der Schimpfe bekommt, versinkt in Scham und Erniedrigung, und zwar sichtbar; ein geschlagener Hund duckt sich wie ein -121- geschlagener Mensch. Auf ein freundliches Wort nach einer Bestrafung blüht der Hund wieder auf. Die Autorität, die man über ihn ausüben kann, bietet eine Befriedigung, die ihresgleichen sucht, seit die Sklaverei in einigen Teilen der Welt abgeschafft ist. Und dank seiner Überzeugung, daß der Mensch am besten wissen muß, daß der Mensch der beste ist, akzeptiert der Hund – oder gibt sich zumindest den Anschein – den menschlichen Verhaltenskodex. Oft sogar akzeptiert er ihn umfassender als der Mensch selbst. Ein Hund läßt sich überzeugen, daß es »nicht recht« ist, Canapes vom Kaffeetisch zu fressen, und Hundebesitzer wußten uns zu berichten, daß viele Hunde auch dann keine Canapes naschen, wenn kein Mensch anwesend ist. Wir kannten lange einen Foxterrier, der gelernt hatte, daß es »nicht recht« war, das Obergeschoß des Hauses, in dem er lebte, zu betreten, und der es konsequent niemals aufsuchte, selbst wenn die Familie abwesend war. (Das glaubte man zumindest, und da er unablässig Haare auf den Möbeln hinterließ, war es auch einigermaßen leicht zu überprüfen.) Eben dieser Hund, in unseren Augen nicht unbedingt ein Ausbund an Intelligenz, wußte, daß es »nicht recht« war, auf den Möbeln im Erdgeschoß zu schlafen, doch diese Verlockung war zu groß, um ihr widerstehen zu können. Er sprang jedoch jedesmal, wenn er die Familie kommen hörte, zu Boden, und zwar mit einem verräterischen dumpfen Aufprall. Für ein paar Minuten nach dieser Regelverletzung ließ er, wie man so schön sagt, die Ohren hängen. Keine Katze, die wir je gekannt haben, wäre aus Respekt vor menschlichen Wünschen vom Sessel gesprungen, und die Katze verfügt gar nicht über die Fähigkeit, die Ohren hängen zu lassen, um ihre Reue zum Ausdruck zu bringen. Wir haben auch keine einzige Katze kennengelernt, die es -122- als »nicht recht« empfunden hätte, alle nur erreichbaren Canapes aufzufressen, wenn sie ihr denn schmeckten, wenngleich wir einer oder zwei von ihnen beibringen konnten, daß es sich als unklug erweisen würde. Die Interessen einer Katze bleiben die einer Katze, nicht die des Menschen, und genauso verhält es sich mit ihren Gewohnheiten. Wenn sie jemanden mag – Katzen verlieben sich häufig -, dann, weil sie diese Person als Individuum schätzt; sie macht Zugeständnisse an sein Menschsein, beneidet ihn jedoch nicht darum. Ihr Verhalten ist in jeder Situation Katzenverhalten, niemals menschlich. Ganz eindeutig hätte sie nie den Wunsch, ein Mensch zu sein, selbst wenn sie könnte. Diese Weigerung, sich in ein anthropomorphes Muster pressen zu lassen, ärgert viele Menschen, besonders solche, die das Leben gern einfach und auf leicht verständlicher Ebene halten wollen. Eine Katze zu verstehen, ist schwierig; daß sie darauf besteht, »anders« zu sein, ist ein Fehler, den viele Menschen nicht tolerieren können, nicht einmal bei ihresgleichen. Nun gibt es aber offensichtlich keinen Grund, warum ein Mensch sich die Mühe machen sollte, eine Katze zu verstehen. Katzen zu kennen ist nicht nötig; begegnet man einer, was in einer dicht von Katzen besiedelten Welt sehr wahrscheinlich ist, kann man sie einfach ignorieren. Jeder Mensch kann ohne Katze leben, wahrscheinlich selbst ein Katzenfanatiker, wenn er es versuchen würde, und sogar ohne allzu drastische Mangelerscheinungen. Es ist überflüssig, sich eine Meinung über Katzen zu bilden, und eine falsche Meinung über Katzen gefährdet weder den gesellschaftlichen Status noch die unsterbliche Seele. Freilich ist es ein bischen dumm, eine erkennbar falsche Meinung über irgendwas zu haben, und sei es über Katzen. Es ist idiotisch, allumfassende -123- Verallgemeinerungen über eine Gruppe aufzustellen, bloß weil man deren Mitglieder sogar als Individuen schwer verständlich findet. Doch ob es nun idiotisch ist oder nicht, Menschen stellen über Katzen fast genauso viele lächerliche Verallgemeinerungen auf wie zum Beispiel über Frauen. Die Katze paßt nicht wie der Hund sauber ins menschliche Muster, das einzige Muster, das der Mensch überhaupt begreift. Der menschliche Verstand ist oft hilflos, wenn er kein Muster findet. Besser als diese Leere ist allemal ein erfundenes Muster. Schon seit Generationen erfinden die Menschen derartige Muster für Katzen sie erzählen einander, daß »alle Katzen« dies oder jenes tun, so oder so empfinden. Katzenliebhaber ze igen dieses Verhalten genauso häufig wie Katzenhasser; eine sehr bekannte Katzenfreundin schrieb einmal, daß es keine schlechten Katzen gebe, wobei sie »schlecht« nicht im moralischen, sondern im behavioristischen Sinn verstanden wissen wollte. Sie hätte einmal den Boß von Morton Street kennenlernen sollen, der in Sünde schwelgte. Von Katzenliebhabern stammt die Weisheit, Katzen in ihrer zierlichen Anmut seien so sicher auf ihren Füßen, daß sie niemals etwas umwerfen. Unsere derzeitigen Katzen, sämtlich gesund und lebhaft, zwei von ihnen auch anmutig, werfen unablässig Gegenstände um und fallen sogar selbst manchmal irgendwo runter. Außerdem sind sie, wenn sie einander auf dem Teppichboden jagen, in etwa so leise wie Pferde, die unter einer Brücke hindurch traben – für Martini und Gin und Sherry wie für jede beliebige Katze, die es sehr eilig hat, gilt der Spruch von geräuschloser Bewegung auf Sammetpfötchen leider nicht. Und nicht alle Katzen sind schön, wenn auch die meisten auf ihre Art als schön zu bezeichnen sind; sie sind nicht einmal alle geschmeidig. -124- Sherry hat einen wackligen Gang; wir haben manchmal den Verdacht, daß sie das leidige Problem, vier Beine zu haben, bis heute nicht gelöst hat. Katzenfanatiker sentimentalisieren ihre kleinen Freunde; genauso verfahren mit umgekehrten Vorzeichen auch die Katzengegner. Alan Devoe informierte vor einigen Jahren die Leser des American Mercury in einem Artikel mit dem Titel Our Enemy, the Cat, daß alle Katzen völlig wilde Tiere seien, daß sie sich stets verstecken, wenn sie Junge haben, daß sie sich vorzugsweise im tiefen Walde paaren und daß sie sterben wie sie leben. Eines Tages, so meint er, sei die Katze oft ohne Vorwarnung plötzlich aus dem Haus verschwunden, um nie zurückzukehren. Sie habe den Schatten des Todes geahnt und wolle ihm auf die unveränderte alte Art der Wildnis entgegentreten: allein. Das ist ein malerisches Katzenbild; es macht sie fremd und faszinierend. Und es enthält, wie jede Verallgemeinerung, kaum ein Körnchen Wahrheit. Viele Katzen weigern sich, ihre Jungen zur Welt zu bringen, solange ihre Menschen sich nicht um sie versammeln und Beifall spenden; Martini gebar ihr letztes Junges nach einer entsetzlichen Geburtserfahrung auf einem Sofa in einem hellerleuchteten Zimmer, obwohl sie fast schon zu schwach war, um hinaufzuklettern. Wahrscheinlich roch es nach einem Menschen, den sie mochte. Katzen paaren sich, wo immer sie sich begegnen, wie jeder Stadtbewohner weiß, und dabei verfahren sie keineswegs diskret, und züchtig noch viel weniger. Zugegeben, einige suchen dunkle Winkel zum Sterben auf; unsere Pammy aber, die plötzlich krank wurde und innerhalb von ein, zwei Stunden starb, rief einen von uns in ihrer Not, schnurrte leise, als sie hochgenommen wurde, und versuchte, unmittelbar bevor sie zusammenbrach, auf Beinen, die sie nicht mehr tragen wollten, dem Menschen -125- näherzukommen, den sie liebte, wenn denn je eine Katze einen Menschen geliebt hat. Doch die Katze liebt den Menschen nicht, wie wir von einer großen Anzahl von Autoren erfahren können. In ihrem Katzenherzen, so behauptet Mr. Devoe im Brustton der Überzeugung eines Menschen, der mit eigenen Augen hineingesehen hat, wohnt weder Liebe noch Dankbarkeit. Und ebenfalls mit der Überzeugung eines Menschen, der jahrelang gesucht hat, schreibt Dr. N.S. Shaler, es wäre ihm nicht gelungen, beweiskräftige Hinweise auf das Vorhandensein von wahrer Liebe für ihren Herrn in der Katze zu finden. Tatsächlich ist keine Katze bekannt, die die menschliche Sprache erlernt hätte. Also hat keine Katze jemals gesagt: »Ich liebe dich«. Dr. Shaler hätte wahrscheinlich einzig und allein eine derartige direkte Äußerung als »beweiskräftigen Hinweis« gelten lassen. Und in gewissem Sinne hat er freilich sogar recht: Solange Katzen nicht mit Menschen sprechen oder über sie schreiben, wird kein Mensch je erfahren, was eine Katze empfindet, und selbst dann könnte es noch sein, daß alle Katzen, die das Sprechen lernen, Lügner sind. Andererseits ist Dr. Shaler aber überzeugt davon, daß Hunde Menschen lieben, obwohl Hunde, ähnlich wie Katzen, selten menschliche Sprachen beherrschen. Seine Überzeugung rührt daher, daß Hunde sich verhalten, als würden sie Menschen lieben. Auf der Grundlage dieser Beweisführung stimmen wir mit ihm überein. Wir sind auch der festen Annahme, daß die meisten Hunde ihr Herz an Menschen ihrer Wahl hängen, da es keine andere vernünftige Erklärung für ihr oft so überschwenglich liebevolles Verhalten gibt. Aufgrund ähnlicher Beobachtungen glauben wir, daß unsere Katzen, jede auf ihre Art und in verschiedenen Abstufungen, uns mögen -126- oder gemocht haben. Die Liebesbeweise unserer Katzen ähneln in mancher Hinsicht denen von Hunden – schließlich haben Katzen als auch Hunde Pfoten und zwar jeweils vier davon; beide haben Schnauzen, die sie öffnen können, und Zungen zum Lecken. Beide können Laute von sich geben, die anscheinend einer Sprache nahekommen. Doch da die meisten Katzen nicht übertrieben extrovertiert sind, da keine Katze sonderlich bestrebt ist, dem Menschen zu gefallen, indem sie sich verhält wie ein Mensch, zeigen Katzen ihre Zuneigung zumeist nicht allzu offen. Es bestehen jedoch andere Ebenen der Hingabe als die in Schlagern so ansprechend zum Ausdruck gebrachten; es gibt andere Wege, Herzlichkeit zu zeigen, als durch den herzhaften Schlag auf den Rücken. Eine Katze kann dem Menschen vieles sagen, wenn der Mensch nur lernt zuzuhören. Später wollen wir einige ihrer Ausdrucksmöglichkeiten noch zur Sprache bringen. Doch Katzen sprechen nicht wie Menschen und verhalten sich nicht wie Menschen. Wer sich ihnen nähert wie die Hall-Browne-Kinder, wird nicht viel über Katzen erfahren – abgesehen davon, daß sie nett zu betrachten sind, sich weich anfühlen und tief in ihrem Inneren ein leises Geräusch machen, da wir, ohne es beweisen zu können, als freundlich identifizieren. Wer Katzen sentimentalisiert, wer die Einhaltung des menschlichen Moralkodex von ihnen erwartet, wer unkritische Ergebenheit oder das Eingeständnis ihrer Unterlegenheit von ihnen verlangt, was für die Menschenaffen jüngsten Modells so befriedigend ist, wer von seinem Haustier erwartet, da es um seine Abendmahlzeit winselt, wird nicht viel über Katzen erfahren. Dafür sind Katzen zu wenig menschenähnlich. Unter allen Geschöpfen Gottes gibt es nur eines, das sich -127- nicht zum Sklaven der Peitsche machen lät, sagt Mark Twain sinngemäß, und das ist die Katze. Und auf seine reichlich mißmutige Art und Weise fährt er fort: Ließe der Mensch sich mit der Katze kreuzen, entstünde ein besserer Mensch, doch die Katze hätte das Nachsehen.,. Diese Mischung is t trotz größter Bemühungen der Anthropomorphisierer wohl kaum zu erreichen. Menschen und Katzen sind beide zu alt, um sich noch zu verändern, sind im Verlauf der Jahrhunderte starrköpfig geworden. Wenn wir die Katze überhaupt haben wollen, müssen wir sie nehmen, wie sie ist, und nicht verlangen, daß sie ist, wie wir sind. Sie wird uns entgegenkommen, wenn auch vielleicht nicht auf halbem Weg. -128- Neuntes Kapitel Vom Leben in zwei Weiten Mag sein, daß die Katze gefühlsmäßig in zwei Welten lebt, in der menschlichen und in ihrer eigenen, und dies mag stärker auf sie zutreffen als auf andere Tiere, die in der Gesellschaft des Menschen leben. Selbst Hühner, Geschöpfe von außergewöhnlicher Dummheit und geringer emotionaler Wärme, passen sich anscheinend vage den Gewohnheiten des Menschen an. Hunde haben, obwohl sie immer wieder hoffnungsvoll an die Tür zur Menschenwelt klopfen, auch ihre eigene Welt, und es ist vorstellbar, daß Kühe, wenn sie sich zur Abendstunde am Weidenzaun versammeln, in Erwartung ihres Bauern verschwommene Rindergedanken hegen. Es mag aber auch sein, daß kein anderes Tier die Trennlinie zwischen beiden Welten so scharf zieht wie die Katze mit ihrem logischen Verstand. Als Wanderer zwischen zwei Welten spricht die Katze Sprachen, die dem Verständnis der anderen Bewohner angemessen sind. Sie spricht in einer bestimmten Weise mit Männern und Frauen und in anderer Weise mit ihren Mitkatzen und Mäusen und Vögeln und bedauerlicherweise mit Hunden, die ihre Katzenwelt teilen -129- oder in sie eindringen. Als Liebesbeweis für eine andere Katze leckt sie diese; die größte Zuneigung kommt durch Lecken des Gesichts zum Ausdruck. Will eine Katze sich einer anderen anschließen, vielleicht an einem bereits besetzten Ort – in einem Karton, auf einer warmen Fensterbank, auf einem Polster -, so muß der Neuankömmling zunächst die Katze, die vor ihr dort war, lecken, zumindest symbolisch. Dies zu versäumen, gilt als schlechter Stil und kann zur Vertreibung durch den Inhaber des Plätzchens führen. Hin und wieder mag die befragte Katze sich hörbar äußern, Erlaubnis oder Mißbilligung zum Ausdruck bringen, doch dies ist selbst unter relativ gesprächigen Katzen ungewöhnlich. Außer im Zorn oder in anderer Leidenschaft und in der Unterhaltung von Mutter und Jungem ist hörbare Konversation zwischen Katzen die Ausnahme. Abgesehen vom Fauchen, das durch seitliches Aufrollen der Zunge zu einer Art Rinne bewerkstelligt wird, haben Katzen Hunden kaum etwas zu sagen, und ein kleines Knurren reicht für Ratten und Mäuse. Doch mit Menschen, die sich, wie die Katze festgestellt hat, mit Hilfe von Lauten verständigen, reden fast alle Katzen hörbar, und manche sogar ziemlich viel. (Traditionell und unserer Erfahrung nach auch tatsächlich sind Siamkatzen die gesprächigsten.) Sie reden spontan, wenn sie nach draußen oder ihre Abendmahlzeit wollen; einige reden ununterbrochen, während ihre Mahlzeit be reitet wird; sie schnurren, wenn sie gestreichelt werden, viele antworten, gewöhnlich mit ein oder zwei Silben, auf eine Begrüßung. Martini behält sich einen ganz eigenen, kurz ausgestochenen Ton dafür vor, um auszudrücken, daß sie einem ihrer Menschen auf die Schulter springen will – das ist zugleich Forderung und Warnung, aber wohl eher letzteres. Wenn ein Mensch sie beleidigt, wird eine Katze -130- kurz und mahnend knurren – ebenso verfährt sie mit einer anderen Katze, die ihr zu nahe tritt. Wird sie von einem Menschen, einem Hund oder einer anderen Katze ordentlich erschreckt, dann faucht sie. Allerdings hat die Katze erkannt, daß die Menschen schwer von Begriff sind, und deshalb beschränkt sie sich nicht auf Worte, sondern greift auch auf Pantomime zurück, wie Menschen, wenn sie anderen, die sie nicht recht verstehen, zum Beispiel Ausländern, etwas erklären wollen. Eine Katze, die ihre Mahlzeit verlangt, mag also ihrer Verlautbarung noch die pantomimische Erklärung hinzufügen, indem sie den Ort aufsucht, an dem ihr Fressen bereitet wird. Wenn das Aufwärmen des Futters für Gin unerträglich lange dauert, wenn ihre lautesten Aufforderungen zur Eile – siehst du nicht, daß ich verhungere? – nichts fruchten, dann geht sie zu dem Stapel Pappteller und tupft mit der Pfote auf den obersten, auf dem, wie sie weiß, ihr Fressen irgendwann aber wann, zum Kuckuck? – serviert wird. Alle Katzen gehen zur Tür und geben dort Laut, wenn sie nach draußen wollen, viele recken sich sogar nach der Klinke oder dem Knauf, nicht wenige lernen, die Tür zu öffnen und sich selbst rauszulassen, sofern die Tür sich nach außen öffnet. Gin hatte sich angewöhnt, auf einen Sessel neben einer nach draußen führenden Tür zu springen und von dort aus Laut zu geben, denn dort war sie außerhalb der Reichweite der Tür und konnte, wenn sich diese Tür nach innen öffnete, schneller hinaus. Alle Katzen wissen, daß Menschen die Katzensprache äußerst notdürftig beherrschen und daß die einfachsten Dinge wie in einer Scharade vorgeführt werden müssen. Viele dieser Vorstellungen werden mit der Zeit so vertraut, daß die Katzen sie womöglich gar nicht mehr als solche realisieren und die Mensche n sie als alltäglich hinnehmen. So -131- erkannte zweifellos sogar Dr. Shaler, daß eine Katze, wenn sie sagte, sie habe Hunger, und sich dann verhielt, als hätte sie Hunger, wirklich Hunger hatte. Nahezu ohne zu wissen, was er tat, nahm er die Katze beim Wort – beim Wort und beim Verhalten. Doch häufig ergeben sich im Leben einer Katze in der Menschenwelt Situationen, die auf beiden Seiten mehr Überlegung erfordern, wenn Kommunikation zustande kommen soll. Falls das, was zum Ausdruck gebracht werden soll, kein abstraktes Thema ist, muß ein intelligenter oder auch nur halbwegs aufmerksamer Mensch nicht unnötig lange verblüfft sein. So teilte Martini uns einmal einen Notfall in bezug auf ihr Katzenklo mit, und zwar so eindringlich, daß ein Mißverständnis völlig ausgeschlossen war. Während unserer Zeit in der Stadt war Martini an in Fetzen gerissenes Zeitungspapier in ihrer Toilette gewöhnt. Wir stellten ihr eine Kiste und Papierfetzen zur Verfügung, und das war besser als alles andere, was sich anbot, obwohl es in keiner Weise der Vorstellung einer Katze von einer angemessenen Toilette genügte. Als vernünftiges Wesen, das nicht auf ohnehin unerreichbarer Perfektion besteht, benutzte Martini prompt Kiste und Papier und zeigte beides, sobald es notwendig wurde, auch ihren Jungen. Daraufhin benutzten alle drei dieselbe Toilette. Der Nachteil dieser Regelung bestand darin, daß wir immer darauf achten mußten, daß die Kiste sauber und trocken war, und daß wir diese für die Katzen so überaus wichtige Angelegenheit allzuoft vergaßen. An dem Tag, an dem Martini uns ihre Sorge erklärte, hatten wir uns anscheinend stundenlang mit weniger wichtigen Dingen beschäftigt. Wahrscheinlich hatte Martini uns schon mehrere Male angesprochen, ohne eine Antwort zu -132- erhalten, was bei ihr zu einer Geringschätzung unserer Intelligenz und zu erheblicher Verärgerung führte, denn sie ist ungewöhnlich pingelig und besteht auf einem trockenen Katzenklo. Also kam sie in das Zimmer, in dem einer von uns arbeitete, und gab diesem eine letzte Chance. Sie sprang aufs Sofa und meldete sich so laut und so beharrlich zu Wort, daß Konzentration nicht mehr möglich war. Der Mensch drehte sich um und fragte: »Was gibt's, Teeny?« Martini ergriff erneut das Wort, diesmal kürzerangebunden. Dann nahm sie eine charakteristische und unmißverständliche Stellung auf dem Sofa ein. »Teeny!« sagte der Mensch vor Verwunderung und Schreck sehr laut. »Teeny!“ Und der Mensch stand auf. »Du böse…« begann der Mensch. Doch da sprang Teeny vom Sofa. Sie eilte davon und gab dabei verbale Instruktionen. Sie schlug den Weg zur Küche ein, wo ihre Katzentoilette stand. Sie hatte es eilig. Der von ihr zur Hilfe geholte Mensch folgte ihr und fand sie vor der Toilette stehend, sie betrachtend, die Oberlippe leicht zurückgezogen, wie es Katzen zu tun pflegen, wenn ihnen etwas Unangenehmes widerfährt. Dann blickte sie auf. Sie sagte: »Bah!« Der Mensch säuberte das Katzenklo. Martini benutzte es. Wenngleich dieser Akt einigen Einfallsreichtum von Seiten Martinis erforderte, war er doch für eine kluge Katze nicht zu schwierig und ließ auch nicht mehr als eine Erklärung zu. Martini wollte etwas und sorgte dafür, daß es erledigt wurde. Vermutlich würde ein Mensch, der nicht viel von Katzen versteht, behaupten, sie hätte wirklich aufs Sofa machen wollen und ihre Handlungen wären nicht Pantomime, sondern echt gewesen. Einiges spricht -133- dagegen. Gesunde Katzen, abgesehen von rolligen Weibchen, brechen fast nie mit ihren Gewohnheiten. Wenn Martini in unserem Häuschen in Brewster stundenlang eingesperrt ist – auf dem Lande weigern sich die Katzen aus verständlichen Gründen, das Katzenklo zu benutzen, und Martini lehnte aus allein ihr bekannten Motiven für eine Weile den Kamin ab -, wartet sie, bis sie rausgelassen wird, ganz gleich, wie lange sie warten muß. (In dieser Hinsicht haben sich Katzen unmenschlich unter Kontrolle.) Und hätte sie mit einer Gewohnheit brechen und aufs Sofa machen wollen, hätte sie es ganz gewiß nicht einem von uns angekündigt und sich schon gar nicht für ein Polstermöbel in einem besetzten Raum entschieden. Oft genug aber müssen Katzen mit Menschen über bedeutend abstraktere Themen reden – müssen Gefühle wie Eifersucht, Kränkung und am häufigsten Zuneigung zum Ausdruck bringen. Manche Katzen empfinden solche Gefühle stärker als andere, manche sind einfach besser befähigt, sie mitzuteilen. Doch keiner von uns kannte je eine Katze, die sich nicht auf irgendeine Weise verständlich machen konnte und es nicht tat, wenn die Not es verlangte. Wir haben, wie die meisten Menschen, die einige Zeit mit Katzen verbrachten, den Eindruck, daß die Katze zum Beispiel ihre Liebe zu einem Menschen genauso deutlich vermitteln kann wie den Wunsch, nach draußen gelassen zu werden. Da gab es beispielsweise die Katze namens Pammy, die, wie später auch Martini, eine ganz besondere Katze war – eine Katze, über die man gern ein Buch schreiben würde. Pammy, wie bereits erwähnt inzwischen verstorben, war eine langgestreckte graue Katze mit weißem Lätzchen. Ihre Mutter war Siamesin, ihr Vater irgendwer, und sie kam mit ihrem Bruder Jerry vor Jahren zu uns. Von diesen -134- beiden wie auch von unseren anderen Katzen werden wir später noch berichten. Im Augenblick geht es nur um die Tatsache, daß Pammy schon von kleinauf eine besondere Bindung zu einem von uns aufbaute – zufällig zu demjenigen, den der aggressivere Jerry nicht bevorzugte. Jerry schlug nach Pammy, wenn er sich Frances näherte. Die geballte Zuneigung einer sehr sanften Katze richtete sich somit auf einen einzigen Menschen und äußerte sich in leisen Tönen, im Schnurren, in ihrem Verlangen, diesem Menschen nahe zu sein – eben in all den kleinen Nettigkeiten, die weniger feindselig gesinnte Menschen als Dr. Shaler überzeugen müssen. Doch dann kam der Krieg, und der Mensch, dem Pammy ihr Herz geschenkt hatte, mußte notgedrungen für ein paar Monate fort. Das Arbeitszimmer dieses Menschen, in dem Pammy mit weichen Pfoten und Liebenswürdigkeiten versuchte, ihn von der Arbeit abzuhalten, wurde zeitweise anderweitig genutzt. Und Pammy brach es das Herz – solch extreme Phrasen verwendet man nicht gern, doch jede andere wäre unzulänglich. Pammy verlor den Boden unter den Pfoten. Sie kam zur Tür des Zimmerchens, in dem der Mann sich hätte aufhalten müssen, in dem er sonst immer anzutreffen gewesen war. Sie brauchte nicht einzutreten, um zu wissen, daß er nicht da war; dort herrschte ein anderer Geruch, auch wenn niemand sich darin aufhielt. Sie blickte ins Zimmer, hob den Kopf und stieß einen kleinen, hoffnungslosen Schrei aus. Dann drehte sie sich um und wanderte rastlos durch die Wohnung, nur um dann zu besagtem Zimmer zurückzukehren und es wieder leer vorzufinden – oder noch schlimmer als leer, wenn jemand anderer sich dort niedergelassen hatte. Sie wandte sich um und hörte dann vielleicht, wie sich ein Stockwerk tiefer die Haustür öffnete. Im selben Augenblick war sie ganz Ohr, -135- aber eben nur für einen Augenblick. Das Geräusch der Schritte war genauso falsch wie der Geruch, und wieder weinte Pammy und nahm ihre rastlose Wanderung erneut auf. In der ersten Woche wollte sie mit dem zurückgebliebenen Menschen nichts zu tun haben. Sie zeigte nicht mehr als die gewohnte distanzierte Höflichkeit; eine unhöfliche Katze war sie nie. Doch die freizügig gewährte Zuneigung eines ebenso, auf menschliche Weise, Einsamen wurde nur geistesabwesend hingenommen, rührte nicht ans Herz der Katze. Pammy fraß zwar weiterhin, das veränderte sich nicht, nur daß sie offenbar ohne großes Vergnügen ihre Mahlzeiten zu sich nahm. (Der Mensch, der gegangen war, hatte sie fast nie gefüttert.) Doch sie spielte nicht mit ihrem Bruder; sie schlich nur durch die Wohnung, suchte, horchte auf das Schlagen der Tür, hoffte. Schließlich schien sie mehr und mehr aufzugeben, doch da waren schon Wochen vergangen. Sie fing an, dem zurückgebliebenen Menschen ins Gesicht zu schauen, und obwohl sie immer noch mit kleinen Schreien ihrer Einsamkeit Ausdruck gab, war doch auch klar, daß sie Freundschaft und das Gefühl der Sicherheit suchte. Nach etwa sechs Wochen hatte sie sich anscheinend endlich mit dem Verlust abgefunden und schien bereit zu sein, sich neu zu orientieren. Als der Fortgegangene heimkehrte, freute sie sich ganz eindeutig und saß so oft wie möglich auf seinem Schoß. Doch seither war sie nie wieder eine auf einen einzigen Menschen fixierte Katze; sie hatte gelernt, wie Menschen es auch oft lernen müssen, daß es gefährlich ist, seine Liebe zu ausschließlich zu verschenken. Sie hatte ihr Gefühlsleben erweitert. Doch wenn sie während jener Wochen nicht tief innerlich den Verlust von jemanden, den sie liebte, -136- schmerzlich gespürt haben sollte, dann ergeben die Verhaltensweisen von Katzen und Menschen gleichermaßen keinen Sinn mehr, dann haben die Worte, derer wir uns bedienen, keine Bedeutung. Wir können vermuten, daß unausgeformte Gefühle sie beherrschten, daß sie keine Vorstellung von ihrem Verlust geformt hatte, wir können uns aber auch in all diesen Vermutungen täuschen. Dennoch tat sie, was in ihrer Macht als fühlendes Wesen stand, um ihrer latenten Enttäuschung, ihrem Gefühl der Betrübtheit Ausdruck zu geben, was eine Zeitlang nach einem gefühlsmäßigen Trauma auch dem menschlichen Bewußtsein eigen ist, auch dann, wenn es sich oberflächlich gesehen mit anderen Dingen beschäftigt. Martini, die in jeder Hinsicht heftiger ist und kaum etwas gelassen hinnehmen kann, zeigte ähnliche Reaktionen, als wir beide sie zu einem kritischen Zeitpunkt in ihrem Leben allein lassen mußten. Als ihre Jungen noch sehr klein waren und Martini ihre einzige Nahrungsquelle war, mußten wir für zehn Tage oder so verreisen. Martini hörte einfach auf zu fressen Und nahm erschreckend ab, zumal sie ihre Jungen weiterhin säugte. Die Person, die sich großzügigerweise als Katzensitter zur Verfügung gestellt hatte, bekam es mit der Angst zu tun und rief den Tierarzt. Martini zog sich in einen prophylaktisch vorbereiteten unzugänglichen Winkel zurück und knurrte und fauchte. Sie ließ sich nicht anfassen; jedes Locken beantwortete sie mit wütender Warnung. Und da sie nie eine Katze war, die sich hätte beeinflussen lassen, ließ man ihr ihren Willen, und sie verweigerte weiterhin die Nahrung. Als wir zurückkamen, fluchte sie uns ein paar Tage lang an und gestattete uns nicht, ihre Jungen zu berühren, aber sie fraß wieder. Nichts dergleichen wäre wahrscheinlich geschehen, -137- wenn auch nur ein bischen von dem, was so viele Menschen über Katzen »wissen«, der Wahrheit entspräche. Sie befand sich auf vertrautem Boden, und viele Menschen behaupten schließlich, Katzen hingen einzig und allein an Orten. Sie war nicht einmal mit fremden Personen zusammen; ihre Hüterin kannte sie schon lange und hatte sie schon als kleines Kätzchen gemocht. Aber sie war von den Menschen, die sie liebte, verlassen worden, und das machte sie, wie es nun mal ihre Art war, wütend. Martini hat nämlich ein Temperament, das sie befähigt zu töten, was sie liebt. Sie ist sehr stolz, und wer sie ablehnt, begibt sich in Gefahr. Ihre Liebe ist gewalttätig. Ihre Liebe ist, selbst wenn nichts Besonderes vorgefallen ist, um sie zu verärgern, selbst in ihrem alltäglichsten Ausdruck gewalttätiger als die der meisten uns bekannten Katzen. Wenn sie beschließt, Zuneigung zu zeigen zumeist gegenüber Frances, die ihr gehört -, dann tut sie es mit Leib und Seele. Es reicht nicht, auf dem Schoß zu sitzen und zu schnurren. Sie schmiegt sich an die Brust, kitzelt mit ihren Schnurrbarthaaren die Wange, sie legt das Pfötchen ans Gesicht, sie legt die Vorderbeine um den Hals. In dieser Haltung möchte sie angesprochen, sanft berührt werden, möchte ihren Namen möglichst oft sehr leise ausgesprochen hören. Die ganze Zeit über muß die erwählte Person still sitzen, darf nicht lesen und auch nicht versuchen, zum Telefon zu gehen, falls es klingelt. Nur eine Bewegung, nur ein kleines Abweichen der Konzentration, und Martini springt mit einer Verwünschung zu Boden, kehrt dem Kränker den Rücken zu und antwortet nicht, wenn sie angesprochen wird. Sie ist nicht einfach zu umwerben, unsere Oberkatze; sie gibt sich nicht mit oberflächlichen Liebesbezeigungen ab. Sie und ihre Töchter begrüßen uns stets, wenn wir nach -138- einer Zeit der Abwesenheit zurückkehren; immer sitzen sie schon an der Tür, bevor wir dort angekommen sind. Gewöhnlich rückt Martini ein wenig von den anderen ab und legt sich auf den Rücken. Sie erwartet, als erste begrüßt zu werden; es empfiehlt sich, die anderen nicht zu beachten, bis ihre Bedürfnisse befriedigt sind. Erst dann können wir mit Gin und Sherry sprechen, die um unsere Beine streichen und aufgeregt schnurren. (Martini schnurrt sehr leise, oft sogar kaum hörbar. Sie ist vielmehr ganz vibrierende Katze.) Wenn wir stundenlang fort gewesen sind, laufen die Katzen nach der Begrüßung gewöhnlich aufgeregt durchs Haus, ringen miteinander, springen auf Möbelstücke und wieder herunter und stoßen scharfe Begeisterungsschreie aus. Zu solchen Gelegenheiten, oft auch zu anderen, vergibt Martini ihre Würde als Matrone und tobt wild umher, springt mit buschigem Schwanz quer durchs halbe Zimmer, um fast auf einer der anderen Katzen zu landen, diese zu umklammern und sich mit ihr auf dem Boden zu wälzen, wobei sie so tut, als würde sie die andere mit Zähnen und Krallen zerreißen. Die beiden anderen Katzen sind größer und stärker als Martini, doch von Geburt an waren sie unter ihrer Fuchtel. Nicht alle Katzen zeigten sich in der mit Menschen geteilten Welt so überschwenglich. Pammy auf ihre Weise schon. Auch sie begrüßte uns an der Tür. Jerry tat es manchmal, wenn es ihm gerade in den Sinn kam, vielleicht aber auch nur, weil Pammy es tat und er sich in seiner etwas verschwommenen Art fragte, was sie wohl vorhaben mochte. Jerry genoß Aufmerksamkeiten, schien jedoch keine sonderlich liebevolle Katze zu sein. Pete pflegte lediglich den Blick zu heben, wenn wir ins Haus traten, milde zu lächeln und dann wieder einzuschlafen. Manchmal, keineswegs immer, drehte er -139- sich auf den Rücken, um sich kraulen zu lassen. Aber er folgte uns mit Vorliebe auf Schritt und Tritt, wie es auch Martini liebt. Pete behielt uns im Auge und ließ nicht zu, daß wir uns zu weit entfernten. Eines Abends, als wir zu lange bei Freunden in einem benachbarten Häuschen blieben, kam Pete uns quer übers Feld nach, schaute durchs Fenster, öffnete die Fliegentür und trat ein, um uns an den Kleidern zu zupfen und zu erklären, daß es höchste Zeit wäre, mit ihm nach Hause zu kommen. Pete führte länger als die anderen eine Art PendlerDasein zwischen Stadt und Land, da wir in den ersten der etwa zehn Jahre seines Lebens mit uns den Großteil unserer Zeit in New York verbrachten und nur am Wochenende und im Urlaub aufs Land zogen. Pete verbrachte die Auto- oder Bahnfahrt stets in einem Reisekäfig, den er gründlich verabscheute. Doch er zeigte nicht die Spur einer Fixierung auf einen Ort; befand er sich in der Wohnung, war es ihm recht, lebte er auf dem Lande, hatte er keine Einwände dagegen. Nach seinem ersten Besuch auf dem Lande schien ihn die veränderte Umgebung nicht mehr zu überraschen, wenngleich für eine Weile noch ihre Erforschung notwendig war. Uns oder ihm ist es nie in den Sinn gekommen, daß er nach New York zurückwandern könnte. Sein Zuhause war dort, wo wir uns aufhielten; er hätte sich auch mit dem Reisekäfig abgefunden, wenn einer von uns ihm darin hätte Gesellschaft leisten können. Unsere Katzen aus jüngerer Zeit hatten sämtlich diese Gleichgültigkeit Orten und die Anhänglichkeit Menschen gegenüber. Im Grunde haben wir nicht eine Katze kennengelernt oder aus erster Hand von einer gehört, die anders empfand. (Wenn Katzengeschichten einen Wahrheitsgehalt haben sollen – was viele abstreiten -, dann nur solche aus erster Hand. Was jemand über -140- jemandes Katze gehört hat, ist selten aufschlußreich und nie ein Beweis.) Aber die Katzen unserer Bekanntschaft, die, von denen wir am meisten wußten, wurden in ihrem Zuhause auch wie Personen, nicht wie Möbelstücke behandelt. Vermutlich fängt eine Katze, die wie ein Möbelstück behandelt wird, an irgendeinem Punkt schließlich an, sich wie eines zu verhalten, zumindest in den Augen der Menschen. Sie würde sich nicht als Möbel fühlen, wohl aber vielleicht als Teil des Hauses. Katzen erkennen ihre Menschen anscheinend eher am Anblick und an den Geräuschen als am Geruch, wenn sie auch gern und ausgiebig an ihren Freunden und noch lieber – manchmal so sehr, daß es peinlich wird – an Fremden schnuppern. Offenbar entnehmen sie dem Geruch der Finger eine ganze Menge über den Betreffenden, und der Geruch seiner Schuhe gibt Aufschluß darüber, wo er sich aufgehalten hat. Ihr Geruchssinn ist anscheinend eher ausgeprägt selektiv statt scharf, aber trotzdem in jeder Hinsicht unendlich empfindlicher als der des Menschen. Wir haben eine Katze erlebt, die während ihrer Abwesenheit Besuch von einem Hund erhalten hatte und noch eine halbe Stunde, nachdem der Hund wieder fort war, jede seiner Bewegungen im Zimmer nachvollziehen konnte. Die Katze hatte während der ganzen Zeit die Lippe gekräuselt, wohl aus Verachtung für ein derartig stinkiges Tier. Gewöhnlich erkennt eine Katze einen Freund, sobald er in ihr Sichtfeld rückt, also auf beträchtliche Entfernung. Hin und wieder fühlt sie sich aus welchen Gründen auch immer etwas unsicher, bis sie schließlich angesprochen wird. Dann ist sie gewöhnlich äußerst bekümmert – ein anthropomorphes Wort; Anthropoiden können es einfach nicht umgehen – darüber, daß sie ertappt wurde. Bekümmert sind Katzen auch, wenn sie, was manchmal -141- vorkommt, sich behutsam an einen bekannten Gegenstand an einem ungewohnten Ort anschleichen. Martini pirschte sich einmal mit äußerster Vorsicht über den halben Rasen hinweg an ein Polster an, das in der Sonne trocknen sollte, und sie erkannte es erst auf knapp zwei Meter Entfernung. Sie blieb wie angewurzelt stehen und blickte zur Seite, als wäre die ganze Prozedur ein ausgeklügeltes Täuschungsmanöver gewesen, während das eigentliche Objekt ihres Interesses die ganze Zeit über woanders zu suchen war. Leider verdarb sie diese Pantomime dann doch, indem sie uns einen Blick über die Schulter zuwarf, um zu sehen, wie wir es auffaßten. Wir amüsierten uns; das erkannte sie auf den ersten Blick und schritt mit langsamer, reichlich verachtungsvoller Würde davon. Katzen orientieren sich an Formen und räumliche r Anordnung und zeigen wenig Interesse an Farben, vermutlich weil sie weitgehend farbenblind sind. Daß sie völlig farbenblind sind, »weiß« jeder über die Katze. Die Sicht der Katze in bezug auf Farben – Nuancen in der Intensität in einer vorwiegend monotonen Welt wird häufig in Büchern über Farbenblindheit dargestellt, doch keines dieser Bilder ist unseres Wissens von einer Katze gemalt worden. Forscher erinnern einander und ihre Leser ständig daran, daß keiner einer Katze ins Gehirn schauen oder mit ihren Augen sehen kann und genau dies tun viele von ihnen doch unablässig. Das Ausmaß der Farbenblindheit der Katze können Nicht-Katzen höchstens auf gut Glück zu erraten versuchen. Von den zwei am besten angelegten Erforschungen der Farbsicht von Katzen gelangt eine zu dem Schluß, sie wäre nicht vorhanden, während die andere behauptet, sie sei äußerst scharf. Anekdotische Beweisführungen von laienhaften Katzenbesitzern tragen nichts zur Behebung dieses wissenschaftlichen Wirrwarrs bei. Manche Menschen sind -142- überzeugt, daß Katzen farbsensibel sind, andere behaupten das Gegenteil. Unserer eigenen Erfahrung nach haben Farben bestenfalls sehr geringe Bedeutung für Katzen; von Blumen lassen sie sich durch den Duft, nicht durch die Farbe verlocken. Die meisten Katzen schnuppern augenscheinlich gern an Blumen, manche fressen sie sogar. Zufällig trinken alle gern das Wasser, in dem Blumen gestanden haben, sogar, wenn ihnen bedeutend frischeres Wasser frei zur Verfügung steht. Dr. Georgina Ida Stickland Gates, eine Psychologin, die sich mit dem Thema befaßte – wenn auch offensichtlich mit einem Band Thorndike zwischen sich und der Katze -, ist überzeugt, daß die Katze nicht nur keine Farben sieht, sondern auch sonst kaum etwas und zudem noch sehr schlecht hört. Ihre Katze, so behauptet sie, sähe sie vermutlich als vagen Umriß. Genauso wenig wie sie die Farbe ihres Kleides erkenne, würde sie Veränderungen im Gesichtsausdruck oder den Wechsel des Kostüms bemerken. Vermutlich würde die Katze sie als Gesamtheit, als eine große To talität betrachten, deren Einzelheiten sie nur verschwommen wahrnimmt. Was für den einen wahrscheinlich ist, ist für den anderen unvorstellbar. Uns erscheint es ausgeschlossen, daß eine Katze den Wechsel des Kostüms nicht bemerkt, in erster Linie deshalb, weil unsere Katzen es offensichtlich tun. Während unserer Zeit in der Stadt erkannte Pete am Wechsel unserer Kleidung, daß die Fahrt aufs Land bevorstand, und versteckte sich unverzüglich, um dem Reisekäfig zu entgehen, den wir immer erst im allerletzten Moment auch nur anfaßten. Doch wenn wir die Koffer packten, um in Stadtkleidung irgendwo hinzugehen, kümmerte es ihn nicht. Den Unterschied erkannte er also sehr wohl. Und alle Katzen überprüfen die Kleidung eines Menschen, den sie besetzen wollen; trägt einer von uns -143- Shorts oder sonstige Tennisbekleidung, beschließen die Katzen nach flüchtiger Prüfung, daß wir fürs Sitzen auf dem Schoß nicht angemessen angezogen sind. Dr. Gates war, weiß der Kuckuck aufgrund welcher Beweise, auch überzeugt davon, daß Katzen über nur geringe oder gar keine tonale Wahrnehmung verfügen, während alle Katzen unserer Bekanntschaft eine solche in ausgeprägter Form zeigten. Sie reagierten ganz offensichtlich erfreut auf sanfte Töne in der menschlichen Stimme und ablehnend auf rauhe oder schrille Stimmen. Es gibt, allerdings Vorwiegend anekdotisch, eine ganze Menge Beweismaterial für die Musikalität von Katzen, wenn auch unsere nie großes Interesse für Musik gezeigt haben. Bei einer Gelegenheit reagierte Martini wütend auf die Töne einer ägyptischen Flöte, die auch für uns reichlich unerwartet im Radio erklang, doch ansonsten ist Musik ihr gleichgültig, selbst wenn sie zufällig auf dem Radio sitzt. Sie haßt allerdings das Pfeifen, genauso wie alle Katzen, mit denen wir je zu tun hatten. Dr. Gates stellte zudem in Frage, daß Katzen ihren eigenen Namen kennen, was nichts als barer Unsinn ist. Katzen, die ständig nur »Kätzchen« gerufen werden, nehmen wahrscheinlich an, das sei ihr Name. Andere Katzen kennen ihren Namen genauso gut, wie Menschen ihre Namen wissen; viele antworten, wenn sie mit Namen gerufen werden, und kommen sogar, sofern es der Katze in dem betreffenden Augenblick genehm ist. Dem Menschen fällt es schwer, sich von der Annahme zu lösen, daß Gehorsam synonym mit Begreifen ist oder im Fall von kleinen, zugegebenermaßen abhängigen Tieren sein sollte. Mag sein, daß Dr. Gates und andere, die in Frage stellen, daß die Katze jemals ihren Namen lernt, unbewußt vermuten, daß eine Katze angerannt kommen müßte, sobald sie gerufen wird und ihren Namen erkennt. -144- So verhält sich der Hund; warum sollte die Katze anders sein? Und oft genug kommen Katzen tatsächlich angerannt, nicht selten in halsbrecherischem Tempo. Am häufigsten wird dies freilich der Fall sein, wenn eine Mahlzeit ansteht, denn dann ist es fast immer die Mühe wert. Doch auch zu anderer Gelegenheit kommt es vor, wenn es der Katze in den Kram paßt. Wieso es ihr in den Kram paßt, weiß kein Mensch und wird es nie erfahren. Wir haben keine Ahnung, warum Sherry an manchen Tagen, wenn wir sie rufen, wie ein geölter Blitz über den Rasen fegt, wobei ihre Hinterbeine zu ihrer großen Bestürzung schneller sind als die vorderen, und warum sie an anderen Tagen, unter nahezu identischen Bedingungen, nur gelangweilt um sich schaut, um dann weiter Gras zu fressen. Es trifft ja nicht zu, daß sie an einem Tag ihren Namen kennt und am nächsten nicht, doch darüber hinaus kann der Mensch nur vage spekulieren. Diese eigene Entscheidung, dieses augenscheinliche Inbetrachtziehen besonderer Umstände zu einer bestimmten Zeit und die Reaktion hierauf sind es vermutlich, die der Katze ihren reichlich übertriebenen Ruf als unabhängiges Tier einbringen – dies und natürlich die Tatsache, daß eine Katze sich von niemandem, sei es von Zwei- oder Vierbeinern, von Tausendfüßlern oder Wesen ohne Beine, herumstoßen läßt. Die Katze kommt oder kommt nicht, wie es ihr gerade paßt, die Katze zieht sich zurück, wenn es ihr langweilig wird; keine Katze würde jemals aus Höflichkeit eine Cocktailparty über sich ergehen lassen. Aufgrund dieses Verhaltens nennt man die Katze »unabhängig«; sie mag auch als »unsozial« bezeichnet werden, von einigen vielleicht sogar als »dumm«. Es wäre womöglich zutreffender, der Katze nicht in erster Linie diese Attribute zuzuschreiben, -145- sondern sie als selektiv zu bezeichnen, wobei die Basis ihrer Selektion dem menschlichen Verstand nicht immer klar ist. Alle oder fast alle Katzen, die sich auf Menschen zu verlassen gewohnt sind, werden abhängig von diesen Menschen – abhängig von ihrer Zuneigung, als emotionalem Mittelpunkt wie auch für ihre grundsätzlicheren Bedürfnisse wie Futter, Wärme und Obdach. Sie sind in ganz beträchtlichem, wenn auch nicht, wie wir gesehen haben, in vollem Maße in der Lage, sich selbst zu versorgen, doch darauf verzichten sie ganz gern. Menschen gegenüber sind die meisten alles andere als ungesellig, obwohl viele von ihnen, wieder einmal meistens ohne Angabe von Gründen, streng unter den Menschen selektieren. Wenn Menschen sich in einem Haus von einem Raum in den anderen begeben, sich mal in diesem, mal in jenem Zimmer aufhalten, folgen die Katzen ihnen meistens. Während unserer Zeit in der Stadt blieben die Katzen gewöhnlich im Wohnzimmer, solange wir uns dort aufhielten, und folgten uns ins Schlafzimmer, wenn wir uns, was häufig vorkam, dorthin zurückzogen, um noch im Bett zu lesen. Einen erkennbaren Grund dafür hatten sie wohl nicht, abgesehen davon, daß sie die Nähe zu uns unserer Abwesenheit vorzogen. So verhielten sie sich auch keineswegs immer, sondern nur, wenn ihnen danach war, schätzungsweise in zwei Fällen von drei. Alle merkten auf, wenn sie mit ihrem Namen angesprochen wurden; manchmal kamen sie und manchmal nicht, und dieses Verhalten unterschied sich in seiner Ausprägung von Katze zu Katze. Martini antwortet eigentlich immer, ob sie nun kommt oder nicht, aber sie antwortet nicht mehr, wenn sie wiederholt angesprochen wird – das ist wohl zuviel Aufwand. Ihre Auswahl von Menschen ist oft völlig unerklärlich. In New York hatten wir über Jahre -146- hinweg ein Hausmädchen, das wir alle, einschließlich der Katzen bis auf eine, sehr mochten – sie war zärtlich zu den Katzen, und uns gegenüber war sie kompetent und vertrauenswürdig; oft genug fütterte sie die Katzen, wie sie jahrelang auch uns verpflegt hat. Pete betete sie unverhohlen an und spielte ihr Streiche, Pam und Jerry mochten sie offensichtlich, Sherry mochte sie von Anfang an, und Gin, die nur sehr zögernd Freundschaft schließt, fand sie schließlich ganz nett und ließ sie stundenlang nicht aus den Augen. Gin fand es besonders unterhaltsam, wenn sie den Küchenboden aufwischte. Dann lag sie auf der Türschwelle, eine Pfote in der Küche, und hob die Pfote, um darunter aufwischen zu lassen. Doch Martini, die Elizabeth fast genauso früh in ihrem Katzenleben kennenlernte wie uns, konnte sie nicht ausstehen. Manchmal lief sie vor ihr davon, dann wieder stand sie auf der Türschwelle und verwehrte ihr fauchend den Eintritt. In den Jahren ihrer Bekanntschaft änderte Martini ihre Einstellung zu Elizabeth nicht, obwohl sie sich in vieler Hinsicht aufgrund einer Veränderung in ihrem Leben umstellen mußte. Weder wir noch Elizabeth haben den Grund für dieses Verhalten je begriffen, und wir bedauerten es alle. Seit ihrem ersten Wurf und der darauf folgenden Sterilisation war Martini Menschen gegenüber nie auffällig übellaunig, obwohl sie keineswegs als besonders liebenswürdige Katze bezeichnet werden kann. Elizabeth jedoch mochte sie nie. Sherry mag jeden und erschrak bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Kindern nur geringfügig, obwohl sie Angst vor Mäusen hat. Schon bald mochte sie Kinder, während viele andere Katzen, die mit Erwachsenen groß werden, vor kleinen Menschen zurückschrecken, die in den Augen einer Katze wahrscheinlich eine unnatürliche Kompromißform darstellen. Gin mag auf den ersten Blick -147- so ziemlich niemanden, wird mit der Zeit jedoch ein wenig zugänglicher, ohne jedoch jemals Sherrys Herzlichkeit zu erreichen. Doch selbst Sherry mag einige Menschen lieber als andere, und nicht immer nur deshalb, weil sie sie besser kennt. Auch begegnet sie nicht immer denen, die ihr am bereitwilligsten ihre Freundschaft anbieten, am freundlichsten. Sie ist, wie die meisten Katzen, sehr wählerisch. Katzen halten so fest an ihrem Vorrecht der Selektion, daß im Umgang mit ihnen erfahrene Menschen beim Zusammentreffen mit unbekannten Katzen warten, bis sie ausgewählt Werden, gewöhnlich mit möglichst dicht vor der Nase der Katze zufällig baumelnder Hand. Bei solchen Anlässen schwebt die Hand eines klugen Menschen dicht über dem Boden oder der Oberfläche, auf der die Katze gerade hockt, aber nicht über dem Kopf der Katze. Katzen mögen es nicht, wenn etwas von oben auf sie herunterkommt. In einer noch nicht auf Sicherheit überprüften Umgebung kriechen Katzen ausnahmslos irgendwo unter und schauen sic h von dort aus um. Etwas von oben kommendes Unbekanntes kann – soviel weiß die Katze – schließlich eine große Ohreule sein, und dementsprechend könnte sich eine nervöse Katze dann verhalten. Eine Katze will die angebotenen Finger sowohl sehen als auch riechen; erst danach entscheidet sie selbständig, ob der dazugehörige Mensch akzeptabel ist. Sie wird einen Menschen nicht notgedrungen schon deshalb mögen, weil andere Katzen ihn mögen, was Leute, die überzeugt sind, »gut mit Katzen umgehen zu können«, nicht selten in Verwunderung stürzt. In den Tagen vor ihrer Operation, als es Martini nicht gut ging und sie sehr nervös und reizbar war, kratzte Martini einmal einen Besucher ziemlich gründlich, der trotz Warnung unter Beweis stellen wollte, daß es auf der ganzen Welt keine -148- Katze gebe, mit der er nicht klarkommen würde. Vielleicht wehrte sich Martini dagegen, in ein Schema gepreßt zu werden, denn sie weiß nur zu gut, daß sie eine Persönlichkeit ist. Nicht kastrierte oder sterilisierte Katzen bestehen gewöhnlich noch heftiger auf ihrer eigenen Wahl, wie sie, wiederum gewöhnlich, in fast allen Bereichen einfach eigensinniger sind. Martinis Einstellung zum Leben hat sich allerdings nicht merklich geändert, doch ist sie seit der Operation nicht mehr so heftig in ihrer Ausdrucksweise. Und einmal kannten wir einen großen, wunderschönen Kater, der, obwohl er mit einem außergewöhnlich nervösen jungen Collie und einem weiteren sehr gesprächigen Hund zusammenlebte, ruhig und friedlich war und entspannt auf beinahe jedem angebotenen Schoß lag, wobei er den Besitzer des betreffenden Schoßes anstrahlte und laut schnurrte. Doch ein Mensch kann gewöhnlich über eine ihm unbekannte Katze keinerlei Aussage machen, und falls das Tier noch im Vollbesitz seines Sexualtriebes ist, noch viel weniger. Das Verhalten von Katzen, die man kennt, von Katzen, mit denen man lebt, ist im allgemeinen genauso vorhersagbar wie das der individualistischsten Wesen und bestimmt vorhersagbarer als das von Menschen. Natürlich mögen Katzen sozusagen manchmal auch mit dem falschen Fuß aufgestanden sein; manche Katzen erwecken den Eindruck, wie manche Menschen auch, leicht manischdepressiv zu sein. Wenn sie ein bischen übellaunig sind, weisen Katzen Zuneigungsbezeugungen ab, die sie sonst genießen, und warnen einen Menschen vielleicht sogar vor einer Annäherung, sei es pantomimisch oder sozusagen verbal. Mehr als das hat sich keine Katze uns gegenüber jemals herausgenommen – ausgenommen natürlich anläßlich von -149- Untersuchungen beim Tierarzt, bei denen sie festge halten werden mußte, oder wenn sie, was hin und wieder unvermeidlich ist, eine Spritze bekam. Katzen können nicht gut Schmerzen ertragen, und fügt man ihnen Schmerzen zu, beißen sie den Folterer, falls er erreichbar ist, mehr oder weniger ungeachtet seiner Identität. Hin und wieder mag ein Männchen mit zunehmendem Alter vom Leben und den Menschen völlig desillusioniert werden. Wir kennen einen Kater, Deuces Wild, in der Blüte seines Lebens ein prächtiger Bursche, der im Alter so schwierig wurde, daß niemand mehr mit ihm zurechtkam, bis er schließlich getötet werden mußte. Auch Menschen haben manchmal Identitätsprobleme, wenn sie sich dem Greisenalter nähern, doch die menschliche Ethik läßt die Tötung nicht zu. Außerdem haben alte Menschen nicht so gefährliche Krallen und Zähne, Gesunde Katzen allerdings sind, sofern sie rücksichtsvoll und einigermaßen höflich behandelt werden, so gut wie niemals völlig unberechenbar in ihrem Umgang mit Menschen, und nur in Ausnahmefällen wird sich eine solche Katze als schwierig erweisen. Hin und wieder trifft man freilich auf eine neurotische Katze. Wir haben von einer gehört, sie allerdings nie kennengelernt, die offensichtlich mörderisch veranlagt ist und alles, was lebt, zu töten trachtet – mit der einzigen Ausnahme des Menschen, den sie sich als Betreuer hält. Selbst unser Jerry, obwohl völlig harmlos, war ganz klar neurotisch und litt wahrscheinlich an einer manischdepressiven Psychose. Doch vermutlich sind die meisten Katzen geistig gesünder als Menschen, wozu wohl gar nicht allzuviel gehört. Obwohl sie in zwei Welten leben, sind sie selten schizophren. Natürlich ist es schwierig für einen Menschen, mit auch nur annähernder Genauigkeit das Leben der Katze in ihrer eigenen Katzenwelt und der Welt anderer nichtmoralischer -150- Tiere zu erforschen. Ist der Mensch als Beobachter anwesend, wird er zu einer Voraussetzung des Problems und modifiziert es dadurch. Hin und wieder mag es gelingen, ungesehen zu spionieren; klüger wird dadurch niemand. Sitzt eine Katze auf der Mauer und eine andere auf dem Boden ganz in der Nähe und unterhalten sie sich über längere Zeit hinweg in klagendem Ton, aber doch offenbar ohne kämpfen oder sich lieben zu wollen, dann stutzt der Mensch wahrscheinlich. Es liegt eigentlich auf der Hand, daß die beiden Katzen sich verständigen, daß sie sich an gewisse Konventionen der Katzenunterhaltung halten. Ist die eine Katze an diesem Ort zu Hause und die andere ein Eindringling, könnte es sein, daß die heimische Katze die andere warnt, daß sie sich besser entfernen sollte. (Derartige Treffen verfolgen wohl häufig tatsächlich diese Absicht, denn oft genug wendet sich die fremde Katze letztendlich ab, wenn auch nicht deutlich sichtbar aus Angst, und gestattet der heimischen Katze die Genugtuung eines gespielten Fortjagens.) Solche Diskussionen finden übrigens unter kastrierten und sterilisierten und nicht operierten Katzen beider Geschlechter statt, wobei ziemlich sicher ist, daß bei dieser Beobachtung kein Irrtum in der Feststellung des Geschlechts vorlag. In dieser Frage unterläuft einer Katze kein Irrtum. Katzen sind von Natur aus ihresgleichen gegenüber nicht gesellig; streunende Katzen würden bei einer Begegnung nie miteinander spielen und toben. Jemand, der bereits Katzen hält, kann seinen Bestand vergrößern, und das kommt nicht selten vor. Dabei sind jedoch behutsame Vorstellungszeremonien zu beachten. Dennoch gibt es auch für diese Regel, wie für alle Regeln, die Katzen betreffen, zahlreiche Ausnahmen. Es kommt vor, daß -151- Katzen einander begegnen und sich mit anderen Katzen anfreunden. Es kursieren genug Geschichten über wohlbehütete Katzen, die streunende Artgenossen mit nach Hause bringen, um sie an ihrem Glück teilhaben zu lassen. Hin und wieder können auch Katzen und Hunde ohne menschliche Vermittlung Freunde werden. Wir kannten einst eine hübsche Deutsche Schäferhündin, die vermutlich auf einem Gehsteig irgendwo in Baltimore einen großen schwarzen Kater adoptierte und ihn mit zu sich nach Hause nahm. Der Kater, der sein neues Obdach offenbar nicht vorbehaltlos akzeptierte – er war jahrelang ein Vagabund gewesen -, nutzte das Heim des Hundes dennoch für eine Weile als Hauptquartier und zeigte sich dem Schäferhund gegenüber stets sehr ergeben. Wenn der Hund langsam ein Zimmer durchschritt, wieselte der Kater flink zwischen seinen Beinen hin und her und begleitete ihn so. Diesen Zeitvertreib schienen beide zu genießen, wenn auch der menschliche Beobachter ihn als ganz nett, aber bedeutungslos einstufte. Aufgrund menschlichen Eingreifens leben Hund und Katze oft genug glücklich zusammen, wenn nicht gar liebevoll. Wenn jemand es der Mühe wert erachtet, kann er so gut wie jede »Tierfamilie« gründen. Der hauptsächliche Lohn besteht vermutlich darin, daß solche ungewöhnlichen Konstellationen in der Zeitung abgebildet werden. Doch keine Katze würde freiwillig einem Vogel die Freundschaft halten, und die meisten haben auch am liebsten nichts mit Hunden zu tun. Hin und wieder gefällt es der Katze, einen Hund zu ärgern; einer von uns beobachtete vor wenigen Jahren einmal vom Fenster einer New Yorker Wohnung im ersten Stock aus eine solche absichtliche Neckerei. Auf der anderen Straßenseite stand eine Reihe von Häusern mit altmodischen Treppenstufen vor den auf -152- höherer Ebene als die Straße gelegenen Eingängen. Vor einer dieser Treppen saß eine große schwarze Katze und putzte sich. Sie blickte die Straße entlang und sah einen Hund kommen, verbotenerweise nicht angeleint, und sein Herrchen folgte ihm in ein paar Meter Entfernung. Der Hund war neugierig; auf seinem Weg lief er um jede Treppe herum, um nachzusehen, ob es vielleicht etwas zu entdecken gab. Die Katze sah ihm eine Zeitlang voller Interesse zu. Dann zog sie sich nachdenklich hinter ihre eigene Treppe zurück. Eine dramatische Komödie spitzte sich mit nahezu klassischer Zwangsläufigkeit bis zur Peripetie zu. Der Hund erreichte die vierte Treppe dieser Straße, blickte dahinter, fand nichts und lief wieder zurück; der Hund schaute hinter die dritte Treppe und die zweite. Er untersuchte die Treppe vor der Katze, fand nichts und sprang zurück. Jetzt hörte die Katze bereits das Kratzen seiner Krallen auf dem Zement. Die Katze leckte sich noch einmal beiläufig über die Schulter, als würde sie im Ankleidezimmer ihr Make-up auffrischen, und duckte sich. Der Hund erreichte diese Treppe, die Katze wartete, der Hund bog um die Ecke der Treppe. Die Katze versuchte nicht, dem Hund ernsthaft ein Leid zuzufügen; sie sprang ihn nicht einmal an, sondern blickte nur schwarz und drohend zu ihm auf und schlug einmal nach seiner Nase. Sie tat eigentlich nur so, als ob, doch das konnte der Hund nicht wissen – er wußte nur, daß er dem Tod ins Angesicht blickte, konnte nur noch in panischer Angst auf allen Vieren rückwärts ausweichen, konnte vor Angst und Schrecken nur noch aufjaulen. Und machen, daß er wegkam. Das tat er. Die Katze blickte dem Hund nach, der jaulend zu seinem Herrchen stürmte, dann kam sie vor und setzte sich wieder -153- auf den Gehsteig. Der menschliche Zuschauer hatte den Eindruck, als blickte sie jetzt zum Fenster auf- wie zu einer Loge – und verbeugte sich. Wenn letzteres auch nicht ganz der Wahrheit entspricht, steht doch fest, daß die Katze ein Spielchen trieb, mit Sorgfalt und einem feinen Gespür für den richtigen Zeitpunkt einen Streich ausgeheckt hatte. Sie hatte keine Angst vor dem Hund gehabt, es war nicht einmal so, daß sie ihn nicht leiden konnte. Es hatte ihr einfach nur Spaß gemacht, den Hund zu erschrecken und lächerlich zu machen, ihm eben einen Streich zu spielen. Beifall hätte sie sehr genossen, wie alle Katzen. Falls sie sich aber des Zuschauers nicht bewußt war, was anzunehmen ist, reichte ihr das Wissen, daß sie Applaus verdient hatte. Aufgrund des Wissens der Katze um menschliche Zuschauer können wir nie ganz sicher sein, inwieweit sich die zwei Welten im Spiel freundlicher Katzen miteinander überlappen. Vielleicht spielen Katzen gar nicht miteinander, wenn keine Menschen anwesend sind; das kann der Mensch schwerlich beurteilen. Ihr Spiel miteinander könnte auch immer zum Teil ein Spiel für Publikum sein. Dieses Spiel von Katzen – ihr großes Spiel – ist ein Spektakel, das dem Besitzer einer einzigen Katze freilich entgehen muß. Grundsätzlich besteht es aus gemimter Kriegsführung; es könnte auch als Versuch im Boxring angesehen werden, nur mit dem Unterschied, daß die Katzen einander nicht verletzen und auch nicht diese Absicht hegen. Außerdem ist es ein Ringkampf und schließt häufig an einem oder mehreren Punkten einen Hindernislauf ein. Augenscheinlich wird es nach bestimmten festen Regeln gespielt. Ein Katzenbeobachter, ein geheilter Sportjournalist, glaubte, ein Punktsystem erkannt zu haben, durch das der Gewinner bestimmt -154- werden konnte, doch der war entweder ein besserer Beobachter oder phantasiebegabter als wir. Ganz gewiß wird das Spiel bis zu einem mehr oder weniger feststehenden Schlußpunkt gespielt; die Katze in der Defensive kann es jederzeit abbrechen. Kürzlich verletzte Sherry beim Spielen mit Gin auf eine für uns nicht erkennbare Weise eine der Regeln offenbar noch dazu eine wichtige -, und danach wollte Gin überhaupt nicht mehr mit ihr spielen, während sie mit Martini weiterhin spielte;. Wenn Sherry das Spiel vorschlug, hieb Gin mit der Pfote nach ihr, nur als Warnung, ohne zu treffen, und fauchte. Sherry schien nicht zu wissen, was sie sich hatte zuschulden kommen lassen, und es könnte auch sein, daß Gin, da Sherry schwerer ist als ihre Schwester, nichts gegen ihre Methoden, sondern gegen ihr Gewicht einzuwenden hat. Gin war sowieso nie übermäßig für das Spiel zu begeistern; sie jagte lieber draußen. Oft beobachtet sie die anderen beiden nach einem Tag auf den Feldern mit müder Nachsicht beim Toben, wie eine Sekretärin am Feierabend nach einem langen Tag im Büro, zu müde für die Vergnügungen jener, die nicht wissen, was es heißt, für seinen Unterhalt zu arbeiten. Wenn sie doch einmal mitspielt, übernimmt Gin gewöhnlich den defensiven Part. Die Katze in der Offensive gibt das Startsignal, soviel ist klar. Wenn Martini spielen will, duckt sie sich sprungbereit, macht Schleichbewegungen und plustert vor Erregung ihren Schwanz auf. Der buschige Schwanz, die gesträubten Rückenhaare sind ihre Erkennungsmerkmale; die anderen zeigen nur im Umgang mit Hunden einen buschigen Schwanz. Sherry beobachtet diese vorbereitenden Bewegungen und duckt sich ihrerseits. Dann folgt oft eine ausgedehnte Phase des Lauerns, die gewöhnlich mit einer Hetzjagd endet. Dabei springen -155- beide Katzen über Sessel und Sofa und oft genug auch über die dort sitzenden Menschen. Martini als Initiatorin des Spiels ist meistens die Verfolgerin, doch an einem gewissen Punkt fügt sie sich dann auch in die Rolle der Verfolgten. Im frühen Stadium kann diese Aktivität, offenbar auf Wunsch aller Beteiligten, für eine winzige Ruhepause unterbrochen werden, während derer die Katzen, ohne einander zu beachten, sich setzen und sich putzen. Man könnte meinen, das Spiel sei beendet, und hin und wieder trifft das aus uns nicht verständlichen Gründen auch zu. Gewöhnlich jedoch gönnen sie sich nur eine kurze Pause zwischen zwei Runden, zum Seitenwechsel vielleicht. Meistens fängt eine von beiden, am häufigsten Martini, das Spiel wieder an. Irgendwann dann ist das Kontaktstadium erreicht. In diesem Stadium legt sich die Katze in der Defensive mit ausgestreckten Pfoten, entblößten Krallen, offenem Mäulchen und bißbereiten Zähnen auf die Seite, und die Katze in der Offensive umkreist sie und sucht nach einer Schwachstelle. Auch die Angreiferin hat die Krallen ausgestreckt, die Ohren angelegt und das Mäulchen geöffnet, die unglaublich spitzen Reißzähne entblößt. In dieser Phase geht es weitgehend darum, sich in eine günstige Position zu bringen, und wenn Sherry in der Defensive ist, gehört eine gute Portion Katzengeschwätz zum Ausdruck von Angst und Schmerz dazu. (Das ist genauso wenig ernst zu nehmen wie das Stöhnen und die Schmerzensschreie eines Profiringers.) An einem bestimmten Punkt springt die angreifende Katze zu. Wenn die Angegriffene sie mit steif ausgestreckten Beinen abwehren und anderweitige Berührungen vermeiden kann, erhält sie vermutlich einen Punkt. Kann die Angreiferin die Abwehr durchbrechen, -156- gibt sie womöglich vor, die Krallen in den ungeschützten Bauch zu schlagen, wie sie in einem echten Kampf versuchen würde, ihn mit den Krallen der Hinterpfoten aufzuschlitzen. Vielleicht beißt sie der Gegnerin ins Ohr, oder sie schlingt lediglich beide Vorderbeine um ihren Hals und versucht scheinbar, sie zu erwürgen. An diesem Punkt ist die Unterscheidung von Angreifer und Verteidiger schwierig, denn die Katzen wälzen sich in wildem Kampf. Jede der Beteiligten kann das Spiel nun abbrechen, doch gewöhnlich bestimmt die ursprüngliche Verteidigerin das Ende. Darauf kann, offenbar auf Anregung der Katze in der Defensive, eine weitere Hetzjagd oder ein neuer Ringkampf folgen oder aber der endgültige Schluß. Das Spiel ist beendet, wenn eine der beiden Katzen einfach weggeht oder sich setzt und irgendetwas anstarrt oder einen Schluck Wasser trinken geht. Wird das Spiel wieder aufgenommen, so bleibt die Rollenverteilung fast immer gleich; nur selten werden sie in einer Folge von Spielen getauscht. Soviel läßt sich beobachten, und gewisse Regeln lassen sich erraten. Zum Beispiel wird es als schlechter Stil erachtet, eine Katze anzuspringen, wenn sie sich ernsthaft putzt; dann ist es offenbar unfair, jemanden anzugreifen, der keine Bewegungsfreiheit hat; wenn eine Katze irgendwo unterkriecht, unter ein Sofa zum Beispiel, folgt die andere ihr nur selten; wenn eine anzeigt, daß sie tatsächlich verletzt ist, ist das Spiel abrupt zu Ende. Allerdings kommt nie eine Katze zu Schaden, sie kann höchstens mal böse außer Atem geraten. So wird es gespielt. Man muß es beobachten, um zu erkennen, wie aufregend, wie fröhlich, wie rasant es ist. Katzen in Bewegung sind immer hinreißend, und während des Spiels sind sie ununterbrochen in Bewegung -157- – es ist ein verblüffendes Schauspiel geschmeidiger Anmut, bezaubernder Akrobatik. Der Mensch mit seinem steifen Rückgrat, den unausgewogenen Muskeln zur Gewährleistung der aufrechten Haltung kann auch in seiner biegsamsten Ausführung nicht einen Bruchteil der Beweglichkeit noch der plumpsten Katze erreichen. Martini ist für ihre Rasse ein bischen pummelig und leicht übergewichtig. Doch ein seitlich gedrehter Luftsprung während des Spiels ist für sie ein Kinderspiel, ebenso wie die Landung auf Zehenspitzen, zugleich mit Katzbuckel, auf dem Sofa, um dann ein paar Schritte so zu tanzen, während sie über die Schulter hinweg die Gegnerin ansieht und gleich wieder durch die Luft fliegt, sich im Flug dreht und nicht auf, sondern haarscharf vor der Gegnerin landet, sich noch während der Landung dreht und auf die Füße kommt. Schon im nächsten Moment mag sie wieder sitzen und versonnen ihr rechtes Schulterblatt putzen. Wenn Sherry und manchmal auch noch Gin hinzukommen, wenn alle drei Katzen gleichzeitig springen und sich in der Luft drehen, jede auf ihre eigene, aber doch unverwechselbare Katzenart, dann gibt es kein anderes tierisches Bewegungsmuster, das diesem Spiel in Anmut und Aufregung auch nur annähernd gleichkommt. Das Ballett der Menschen, der großartigste Eislauf, das perfekteste menschliche Ballspiel, ob Tennis oder Fußball – all diese Aktivitäten, in denen der Mensch beinahe Anmut zeigt, sind im Vergleich schwerfällig und verzerrt. Solche Dinge erlernt der Mensch langsam und mühselig und erringt damit einen teilweisen Triumph der Vorstellung über die Steifheit. Doch er erlernt sie willkürlich, nicht aus einer inneren Notwendigkeit heraus; es ist für den Menschen nicht lebenswichtig, sich körperlich zu verdrehen. Das Spiel ist Teil des Lebens einer Katze; in gewissem -158- Sinne ist es Training fürs Leben, wie ein Kätzchen, das einen Bindfaden zu haschen versucht, für die Jagd trainiert. Martinis Leben kann jeden Augenblick von ihrer Fähigkeit abhängen, seitlich auf eine Mauer zu springen, dort zu landen, ohne auch nur annähernd aus dem Gleichgewicht zu kommen, um unverzüglich in anderer Richtung zu flüchten. Zweifellos hing ihr Leben schon häufig davon ab. Katzen spielen das große Katzenspiel zum Spaß; es steht außer Zweifel, daß sie es genießen. Doch sie spielen es auch, um ihre Muskeln geschmeidig und ihre Reflexe intakt zu halten. Der Instinkt – ein menschliches Wort für einen Komplex von Stimuli, über die der Mensch praktisch gar nichts weiß – lehrt die Katze, im Rennen zu bleiben, niemals ihre Tricks zu vergessen. Falls sie ihre Stadtwohnung jemals verlassen muß, wird sie sie alle brauchen. Sobald sie das Haus verläßt, tritt die Katze am deutlichsten in die nichtmenschliche ihrer zwei Welten ein, und jede ihrer Bewegungen zeugt von ihrem Wissen um die damit verbundenen Gefahren. Sie zeigt es schon auf der Türschwelle; nicht nur Mr. Warners unvergleichlicher Calvin, sondern alle Katzen stehen auf dem Sims, wie Calvin es zu tun pflegte, und blicken zum Himmel auf, als überlegten sie, ob es angebracht ist, einen Schirm mitzunehmen. Zwar verabscheuen Katzen es, vom Regen überrascht zu werden, doch es ist unwahrscheinlich, daß sie zögern, um sich Gedanken übers Wetter zu machen. Vom Himmel kann geflügelte Gefahr kommen, deshalb ist es empfohlen, sich zu vergewissern, bevor man sich weiter herauswagt. (Katzen fürchten Gefahren von oben am allermeisten, da sie von oben am angreifbarsten sind.) Ist der Himmel frei von Bedrohung, hält die Katze Ausschau nach Hunden und anderen Gefahren. Diese Vorsichtsmaßnahmen können -159- Sekunden oder mehrere Minuten dauern; erst wenn sie abgeschlossen sind, geht die Katze ihrer jeweils geplanten Beschäftigung nach. Der freilaufende Hund stellt fraglos die häufigste Gefahr für eine Katze dar, und das gilt insbesondere für die Vorstadtkatze. Ein guter Hofhund rechnet mit Katzen in seiner Umgebung und läßt sie gewöhnlich in Ruhe; selbst wenn er allein auf Jagd geht, gesteht er Katzen Schonzeit zu. Wir haben erlebt, daß gute Hofhunde sich selbst angesichts extremer Provokation an diese Regel halten. Einer, durch dessen Ahnenreihe wohl ein Collie gestreunt war, ließ sich eines Tages von Martini, die lediglich im Sinn hatte, ihn zu töten, aus unserem Garten scheuchen. Er machte keine Anstalten, sich zu verteidigen, obwohl er sie – wenn das Glück auf seiner Seite gewesen wäre – mit einem Biß hätte umbringen können. Er schaute lediglich flehend zu uns herüber, als wollte er uns bitten, dieses lästige Wesen zu entfernen, das ihm derartig auf die Nerven ging, aber dennoch unberührbar war. So sind jedoch keineswegs alle Hunde erzogen; viele Hunde sind Katzenmörder. Und kaum eine halbwegs energische Katze erkennt von Anfang an, daß sie die Unterlegene ist. Im Hinblick auf einen mittelgroßen, nicht abgerichteten Hund hat die Katze natürlich recht. Sowohl Martini als auch Gin kämen wahrscheinlich problemlos gegen jeden an, außer einen großen, starken Hund; der Hund liefe Gefahr, geblendet zu werden. Doch keine von beiden ist anscheinend in der Lage, einen großen, starken Hund von anderen zu unterscheiden, und Gin hat scho n einige schlechte Erfahrungen mit Hunden gemacht, die sie vom Grundstück verjagen wollte. Zu viele Katzen – Gin gehört dazu und auch Pete war einer von ihnen – greifen bereitwillig alles an, was halbwegs als Hund zu erkennen ist. Pete nahm es einmal mit dreien auf, und alle waren -160- groß. Er sprang den größten an, um ihm die Augen auszukratzen. In diesem Fall war er jedoch in die Enge getrieben, und er mußte eine Ablenkung herbeiführen, um schnell auf einen Baum flüchten zu können. Nicht einmal er mit seiner ungeheuren Abneigung gegen Hunde hätte freiwillig so viele auf einmal angegriffen. (Er war verdorben durch die lange gemeinsame Zeit mit einem unfähigen Foxterrier, dem er das Leben schwer machte. Pete genoß diese Gesellschaft hemmungslos, doch sie machte ihn nicht mit den harten Tatsachen des Lebens vertraut.) Die harten Tatsachen bestehen darin, daß Hunde für Katzen äußerst gefährlich sind, und je mutiger die Katze, desto größer ist die Gefahr. Jede Katze, die frei herumlaufen kann, gerät häufig in Situationen, in denen sie ihr ganzes Repertoire an Katzenakrobatik und Reflexen aufbieten muß, um mit dem Leben davonzukommen. Die Katze kann es sich in einer Welt voller Hunde und Eulen, Autos und, natürlich, anderer Katzen nicht leisten einzurosten. Sie muß unablässig trainieren, und ein Großteil ihres Spiels ist Training. Trotzdem ist auch ein Großteil Spaß und sogar reine Kobolderie dabei. Wenn eine Katze geduckt daliegt, den Schwanz von Seite zu Seite bewegt und einem geliebten Menschen auf einem Feldweg auflauert, diesem Menschen vor die Füße springt und leicht seinen Schuh anstupst – haargenau als würde sie Fangen spielen -, fällt es schwer zu glauben, daß der vorrangige Sinn darin bestehen sollte, nicht aus der Übung zu kommen. Wenn eine Katze kommt, wenn sie gerufen wird, weil sie ins Haus kommen soll, wenn sie dann Lauerstellung einnimmt, bis die streichelnden Finger kommen, bevor sie wegspringt, und wenn dies Spielchen immer wieder von vorn anfängt, Wenn sie nie richtig wegläuft, nicht ernsthaft das -161- mögliche Eingefangenwerden vermeidet, dann spielt die Katze wahrscheinlich nur, denn dieses Verhalten hat in der nichtmenschlichen Welt keinen erkennbaren Sinn. In den Momenten, in denen eine Katze derartige Spiele erfindet – und jeder Katzenbeobachter erlebt zahlreiche solcher Erfindungen -, erscheint uns die Trennwand zwischen Katzen- und Menschenbewußtsein am dünnsten. In solchen Spielen besteht anscheinend auf Seiten der Katze eine Art von Humor, die zwar körperlich zum Ausdruck gebracht wird, aber keinesfalls rein körperlich ist und auch kein Streich sein soll. (Eine Katze ist durchaus in der Lage, Streiche zu spielen, wie schon aus der Geschichte von der Katze und der Treppe zu ersehen ist.) Beinahe könnte man die Katze einer Vorstellung des Lächerlichen für fähig halten, wie es gewiß zum Ausdruck kommt, wenn menschliche Finger versuchen, eine nicht mehr vorhandene Katze zu greifen, die sich dem Zugriff vielleicht nur um einen halben Meter oder so entzogen hat. Vieles im Verhalten der Katze könnte eine Art abstrakter Intelligenz vermuten lassen – die Fähigkeit, zwei und zwei zusammenzuzählen, Kausalzusammenhänge zu erkennen, wenn auch nur vage, und sogar »Ideen« zu formen. Beobachten wir Martini in ihrer komischen Art, sich zu entziehen, sind wir fast versuc ht zu schwören, daß es nicht nur ein Spiel, sondern auch die Idee von einem Spiel ist. Sie ist zu diesem Spiel jedenfalls in keiner erkennbaren Weise so befähigt, wie Katzen natürlich zu gewissen Aktionen konditioniert sind, die ihnen Nahrung einbringen, wie sie durch Versuch und Irrtum und einer Häufung von Erfolgserlebnissen dazu konditioniert sind, Türen zu öffnen, um ins Freie zu gelangen. Beobachtet man Katzen – und in diesem Kapitel wurde, wie jeder Katzenkenner bestätigen wird, die Vielfalt des Verhaltens von Katzen kaum mehr als angedeutet -, -162- gewinnt man den Eindruck, daß vieles, was sie tun, Ergebnis intelligenter Überlegung ist. Da unseres Wissens kein Mensch jemals eine Katze gewesen ist, kann das kein Mensch genau wissen. Doch in ihrer neugierigen Affenart haben Menschen sich große Mühe gegeben, es herauszufinden. Diese menschliche Erforschung der Intelligenz von Katzen gehört zu den faszinierendsten und manchmal auch merkwürdigsten Episoden in der uralten Beziehung von Katzen und Menschen. -163- Zehntes Kapitel Bewußtsein und Verstand Katzen sind ein geheimnisvolles Völkchen, schrieb Sir Walter Scott. In ihrem Bewußtsein geht bedeutend mehr vor sich, als wir denken. Er beschäftigte sich auch mit einem Problem, das eine ganze Re ihe von Männern und Frauen – Schriftsteller, Naturforscher, Psychologen sowie Menschen, die Katzen lediglich mit liebevollem Interesse beobachten – zu lösen versucht haben. Der Menschenaffe verabscheut Geheimnisse, die er nicht selbst geschaffen hat; es ge hört sich nicht, daß ein Vierfüßler Geheimnisse vor einem Zweibeiner hat. Das Gewissen des Menschen ist beunruhigt; wenn Katzen und Hunde denken, dann denken sie vielleicht über den Menschen nach, und diese Möglichkeit ist irritierend, da sie so viel Gelegenheit haben, den Menschen zu beobachten. Ohne Katzen zu werden, können wir das Bewußtsein der Katze nicht endgültig begreifen, warnt St. George Mivart, ohne jedoch Beachtung zu finden. Der Mensch ist ein Mensch und deshalb a priori in der Lage, alles zu verstehen. Zumindest ist er in der -164- Lage, sich über alles, was er nicht versteht, Gedanken zu machen und es neugierig zu erforschen. Da es Tiere im Überfluß gibt und sie der Kontrolle des Menschen unterliegen, hat der Mensch sie gewissenhaft untersucht und bewiesen, daß man Ratten in den Wahnsinn treiben kann, daß dem Hund durch den bedingten Reflex das Wasser im Mund zusammenläuft, und daß Katzen sehr intelligent sind, überhaupt nicht intelligent sind, fähig sind, Ideen zu formen und unfähig, ihren eigenen Namen zu lernen, über einen Wortschatz von sechshundert Begriffen verfügen und unfähig sind, irgend etwas länger als fünfzehn Minuten zu erinnern. In sorgfältig überwachten Experimenten, die sich über Jahre hinzogen, hat der Mensch auch bewiesen, daß manche Katzen klüger sind als andere. Diese Erforschung des Katzenbewußtseins erfolgte im großen und ganzen auf zweierlei Art. Die einfachste bestand in der Beobachtung von Katzen und ihren Verhaltensweisen und den Schlußfolgerungen daraus. Das ist die älteste und natürlich auch die üblichste Methode, denn das einzige, was dazu benötigt wird, ist eine Katze. Die zweite, die wissenschaftliche Methode, benötigt jede Menge Ausrüstung, von einem halben Dutzend Kisten bis zu einem derart komplizierten elektronischen Gerät, daß nur ein einigermaßen kluger Mensch damit umgehen und nur ein Mathematiker die Ergebnisse verstehen kann. Diese letztere Methode, die in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts häufig angewendet wurde, hat zu zahlreichen interessanten, meistens einander widersprechenden, Ergebnissen geführt. Wie nicht anders zu erwarten, fällt die anekdotische Beweisführung mit überwältigender Mehrheit zugunsten der Katze aus und bringt Eigenschaften von Tieren ans Tageslicht, gegen die Tobermory, die sprechende Katze, -165- ein armseliger Langweiler ist. Menschen, die keine Katzen mögen, kennen selten Geschichten über sie; Menschen, die Katzen mögen, erzählen natürlich nur selten Geschichten über dumme Katzen. Mivart zum Beispiel erzählt die faszinierende Geschichte einer findigen Katze, die, nachdem sie festgestellt hatte, daß Stare davonflogen, wenn sie sie auf einer Wiese fangen wollte, dem in der Nähe grasenden Vieh gegenüber jedoch gleichgültig blieben, auf einer Kuh mitten in den Starenschwarm ritt und dann zwischen die überlisteten Vögel sprang. Die einfallsreiche Katze war offenbar superintelligent, doch ihr Einfallsreichtum ist von der Art, die den Katzen einen schlechten Ruf einbringt, beweist, daß sie »hinterlistige“ Wesen sind – kaum besser als die Menschen, die das Trojanische Pferd erfanden und Attrappen benutzen, um Enten vom sicheren Himmel herabzulocken. Solche Geschichten werden zweifellos von stolzen Menschen erzählt, denn Menschen waren die ersten, die sich Katzen hielten. Haben wir schon berichtet, wie klug Martini sich anstellte, als sie sich über den Zustand ihres Katzenklos beschwerte? Das ist doch ein eindeutiger Beweis dafür, daß Katzen denken können. Der selige W.H. Hudson beobachtete einmal eine Katze, die sich bis auf knapp zwei Meter an einen Vogel heranschlich und dann urplötzlich ohne erkennbaren Grund das Unternehmen aufgab und nach Hause ging. An den Bedingungen hatte sich nichts geändert; Mr. Hudson war überzeugt, daß die Katze es sich schlicht und einfach anders überlegt hatte und dachte: »Zum Kuckuck, was tu ich hier überhaupt? Sie fliegen ja doch immer weg.“ Voraussetzung dafür, daß sie es sich anders überlegen konnte, ist das Vorhandensein von Verstand. Und es war ebenfalls Mr. Hudson, der eine der niedlichsten KatzenAnekdoten erzählte. Diese kleine Geschichte ist so -166- köstlich, daß sie die Wiederholung wert ist, ganz gleich, ob sie nun etwas beweist und ob sie nun wahr ist oder nicht. (Mr. Hudson erfuhr diese Geschichte aus zweiter Hand, und aus zweiter Hand stammen leider immer die hübsche sten Katzengeschichten.) Die Katze, von der die Geschichte handelt, war klein und hatte fast ihr ganzes Leben in der Gesellschaft eines Hundes verbracht. Die beiden kannten sich von Kindesbeinen an. Als sie heranwuchsen, vertiefte sich ihre Freundschaft. Die kleine Katze kommandierte den Hund liebevoll herum, wie es in solchen Beziehungen üblich ist -, schimpfte ihn dann und wann wegen seiner Dummheit aus, verließ sich aber doch auf seine schützende Größe und seine in den Augen einer Katze geradezu unheimliche Kraft. Dann bekam die Katze Junge und stellte sie dem Hund vor, wobei sie ihm zweifellos erklärte, daß er im Falle ihrer Abwesenheit auf die Kleinen aufpassen müsse. Doch zu einem Zeitpunkt, als die Jungen noch ziemlich klein waren, wurde der Katze bewußt, daß ihr Aufenthaltsort nicht gerade der sicherste war. Das stellen Katzen immer wieder fest; für viele Katzen besteht die frühe Zeit ihrer Mutterschaft aus einem einzigen langen Umzug. Sie schaute sich in dem Haus um, das sie und ihre Jungen und der Hund mit ein paar Menschen teilten, und fand im Obergeschoß ein hübsches, verborgenes Plätzchen. Sie fing an, ihre Kätzchen dorthin zu bringen, und schon stand sie vor einem Problem: Sie war nun mal sehr klein, und die Kätzchen waren zu unhandlich für den Transport. Sogleich wandte sie sich an den Hund, der ohne Zweifel groß genug war, um Kätzchen tragen zu können, gebaut wie ein Möbelpacker unter den Hunden. Sie führte den Hund zu ihrer Kiste in der Küche, zeigte ihm die Kätzchen und lotste ihn dann zu dem neuen Ort, den sie sich ausgesucht hatte. Daraufhin kehrte sie zurück -167- zu ihrer Kiste, hob eines der Jungen heraus, so gut sie konnte, trug es zwei, drei Schritte weit, setzte es dann ab und blickte vielsagend auf die Treppe, die sie würde hinaufsteigen müssen. Der Meinung, ihr Anliegen klar genug zum Ausdruck gebracht zu haben, begab sie sich hinauf zu ihrem neuen Domizil und bereitete sich auf den Empfang vor. Der Hund begriff nicht sofort, was von ihm verlangt wurde; die Katze wartete, doch er kam nicht mit den Kätzchen. Sie suchte ihn, führte ihn zurück, erklärte ihm alles noch einmal so geduldig, wie es einer Katze unter solchen Umständen möglich ist. Und schließlich begriff der Hund. Eines nach dem anderen nahm er die Kätzchen behutsam hoch und brachte sie ins neue Nest. Wenn die Katze nach dieser Begebenheit noch einmal umziehen wollte, brauchte sie es ihrem Hund nur zu sagen, und schon stand dem Transport nichts mehr im Wege. Es ist eine liebenswerte Geschichte, wenn sie vielleicht auch nicht ganz der Wahrheit entspricht. Sie enthält jedoch nichts grundsätzlich Unwahrscheinliches, Intelligenz bei beiden Tieren vorausgesetzt. Auch Martini ist eine sehr kleine Katze, auch für sie waren die Jungen zu schwer zum Tragen; sie konnte sie nicht einmal aufheben, wie es Katzen gern tun. Das Kätzchen, das sie tragen wollte, schleifte immer teilweise über den Boden. Wenn die Kleinen ausbüxten, versuchte sie immer wieder, sie ins Nest zurückzutragen, aber nach den ersten paar Malen hatten wir den Eindruck, daß sie es mehr oder weniger nur noch symbolisch versuchte. Sie hob das streunende Kätzchen auf, trat den Rückweg an und legte dann eine Pause ein, um zu sehen, welcher Mensch sich gerade in der Nähe aufhielt. Stets bekam sie die verlangte Hilfe, und wir glaubten, daß sie sich mit der Zeit darauf verließ. Es ist durchaus vorstellbar, daß sie sich einen -168- Hund ähnlich erzogen und sich auf ihn verlassen hätte, wäre einer verfügbar gewesen. Solche Geschichten überzeugten Mr. Hudson davon, daß Katzen wirklich denken, und ähnliche Geschichten, anhand von ein paar einfachen Experimenten zusammengetragen, waren ähnlich überzeugend für George J. Romanes, der 1883 eine der ersten halbwissenschaftlichen Abhandlungen über Intelligenz von Tieren veröffentlichte. Bei der Materialsammlung für sein Buch fischte Romanes, wie er sich sinngemäß ausdrückte, da er es für wünschenswert hielt, sein Netz möglichst weit auszuwerfen, im Meer der Unterhaltungsliteratur wie auch in den Flüssen wissenschaftlicher Schriften. Er zog dabei, wie Thornd ike später meinte, manch seltsamen Fisch an Land. Romanes' Studie ist, wenn auch in mancher Hinsicht wegweisend, doch nicht ausschließlich wissenschaftlich angelegt. Er forderte die Leute auf, ihm Geschichten über ihre Haustiere zu schreiben oder zu erzählen, und es steht außer Zweifel, daß er, insbesondere im Fall von Katzen und Hunden, auf einer unwissenschaftlichen Grundlage aufbaute, die seine Mitarbeiter – die alle erstaunlich kluge Tiere kannten – keineswegs erschütterten. Erfährt man zum Beispiel, daß es einmal eine Katze gab, die auf die Feststellung hin, daß Vögel Brösel mögen, sich Brösel besorgte und sie ausstreute, um damit Vögel für ihre eigenen ruchlosen Zwecke anzulocken, kann man nicht umhin, sich vom Scharfsinn dieser Katze beeindrucken zu lassen. Romanes hatte von einer solchen Katze gehört, doch sein Informant schilderte ihm leider nicht genau, wie eine Katze es anstellt, Brösel auszustreuen. Er hörte auch von einer anderen, die herausgefunden hatte, daß von Menschen ausgestreute Brösel unter dem Schnee begraben lagen. Sie scharrte sie frei, so daß sie sichtbar dalagen, wie -169- ein Mensch, der in einem strengen Winter Rehe füttert, um den Wildbestand zu sichern. Nur hin und wieder verfiel der Autor in wissenschaftliche Nüchternheit. Es ist eindeutig schwierig, so meint er pflichtschuldigst, doch ohne mit dem Herzen beteiligt zu sein, im Falle der niederen Tiere zu entscheiden, ob eine Handlung, die auf intelligente Wahl hindeutet, nicht in Wirklichkeit doch reflexbedingt ist. Spürbar glücklicher ist er, wenn er Geschichten von Katzen und Bröseln nacherzählen darf, wenngleich zu seiner Ehrenrettung gesagt werden muß, daß er im Fall der bröselausstreuenden Katze leise Skepsis anklingen ließ. Allerdings scheint er die Geschichte einer Katze hinzunehmen, die gern Kaninchen jagte, einmal ein schwarzes erwischte und es seinem Frauchen brachte, weil sie offenbar klar erkannte, daß es sich um ein außergewöhnliches Exemplar handelte, und vermutlich hoffte, Frauchen hielte eine interessante Erklärung für dieses Phänomen bereit. Seine eigenen Experimente, nicht so aufwendig wie manche später durchgeführte und sogar noch weniger sorgfältig kontrolliert, waren ziemlich einfacher Art, ausgeführt unter Verwendung von Bindfäden und Hebeln und dergleichen, wobei Futter als Anreiz diente. Sie brachten ihm die Überzeugung, daß Katzen hinsichtlich des Begreifens mechanischer Geräte ein höheres Level erzielen als irgendein anderes Tier, abgesehen vom Affen und vielleicht vom Elefanten. Er war jedoch schlau genug anzumerken, daß dies wohl zu erwarten wäre, da der Affe mit den Händen, der Elefant mit seinem Rüssel und die Katze mit ihren geschmeidigen Gliedmaßen und beweglichen Krallen Instrumente besitzt, mit denen sich kein anderes Organ in der Tierwelt recht vergleichen läßt. Weniger schlau von ihm war es vielleicht, die Pfoten der -170- Katze als Instrumente zur Manipulation mit den Händen des Affen zu vergleichen, doch dieser Fehler unterläuft Tieren, die so an ihre Hände gewöhnt sind, daß sie sie nicht mehr richtig einzuschä tzen wissen, ziemlich oft. Ganz sicher ist es ein Fehler, den fast ausnahmslos auch die Forscher in Romanes' Nachfolge begingen. Romanes nahm allerdings zur Kenntnis, daß »die größere Befähigung, die diese Tiere in ihrem Verstehen mechanischer Vorrichtunge n an den Tag legen«, mit größter Wahrscheinlichkeit auf die »Reaktion durch diese Manipulationsorgane auf ihr Verstehen zurückzuführen ist« eine Behauptung, die, keineswegs unlogisch auf den Punkt gebracht, womöglich erklärt, warum es SuperAffen, aber keine Super-Katzen gibt. Und seine letztliche Schlußfolgerung lautet immerhin, daß die Katze hochintelligent ist, doch im Vergleich zu ihrem großen Rivalen im Hausbereich, dem Hund, wird ihre Intelligenz, da sie völlig anders ausgerichtet ist, häufig unterschätzt. Zudem war er der Meinung, daß die Katze niemals in erwähnenswertem Maße jenen psychologisch verändernden Einflüssen unterworfen war, durch die die langwährende und enge Beziehung zum Menschen die Psyche des Hundes so gravierend geprägt hat. Diese Behauptung, die nicht nur hinsichtlich der Grammatik Staunen hervorruft, ist auch psychologisch verwirrend. Die Katze befindet sich ganz gewiß in langwährender und enger Beziehung zum Menschen, sofern man einen Zeitraum von vier Millionen Jahren als langwährend zu bezeichnen gewillt ist. Warum sie nicht jenen psychologisch verändernden Einflüssen dieser Verbindung unterworfen war, wird nicht klar, es sei denn, es liegt daran, daß sie Katze ist und nicht Hund. Diese einfache Lösung ist für Psychologen nicht sehr attraktiv, ganz gleich, ob sie sich mit Menschen oder Tieren -171- befassen, da sie impliziert, daß individuelle Unterschiede durch die Umgebung bedingte Ähnlichkeiten überbieten könnten – eine wissenschaftlich unbefriedigende Behauptung. Keine Katze würde sic h dermaßen in Worte verstricken. Doch Romanes war ein Katzenfreund und dachte nur Gutes über sie. Nathaniel Southgate Shaler war ganz sicher kein Katzenliebhaber, und seine Beobachtung, daß im Hinblick auf ihre Intelligenz die Katze offenbar fast genauso hoch rangiert wie der Hund, enthält eine Spur von Widerwillen. Ein wenig überraschend fährt er fort: »Katzen sind sogar noch schneller als ihre Verwandten, die Hunde, wenn es darum geht, die kunstvollen Errungenschaften des Menschen zu verstehen; sie eignen sich rasch die Gewohnheit an, Türen zu öffnen, die mit Hilfe eines Riegels geschlossen werden, selbst wenn die Kombination von starkem Druck auf den Griff und dem Stoß, der den Vorgang zum Erfolg führt, erforderlich ist. Solche Aktivitäten werden selten, wenn überhaupt, von Hunden ausgeführt… Bei der Betrachtung der unflexiblen Natur von Katzen im Vergleich zu Hunden stellt der Naturforscher mit Interesse fest, daß erstere zu einer Familie gehört, die nie an ein geselliges Leben über die Grenzen ihrer Familie hinaus gewöhnt war. Darüber hinaus pflegen alle Katzen allein auf Jagd zu gehen, jede für sich, sowohl inbezug auf die Bewerkstelligung als auch auf das Ergebnis. Mit Hunden verhält es sich anders. Sie gehören zu einer Gruppe, die in Rudeln jagt. Seit Urzeiten sind sie an gemeinschaftliches Leben gewöhnt. Ihr Bewußtsein ist auf sozialen Verkehr eingestellt; sie sind es gewöhnt, die Aufregungen der Jagd in Kameradschaft zu erleben, und sind ganz allgemein vertraut mit der rauhbeinigen Bruderschaft, wie sie in einem Wolfsrudel herrscht.« -172- Der Naturwissenschaftler mag auch interessiert den merkwürdigen Fall des Fuchses zur Kenntnis nehmen, dessen Jagdgewohnheiten und Sozialverhalten eher katzen- als hundetypisch sind und der dennoch unverwechselbar zur selben Familie wie der Hund zählt. Und seine Schlauheit ist sprichwörtlich. Interessant ist auch, daß der Mensch, dem Geselligkeit oft als Zeichen von Intelligenz erscheint, den zurückhaltenden Fuchs als »hinterlistig« wie die Katze und als »schlau« bezeichnet. Indirekt liegt eine Weigerung vor, der Loge beizutreten, ganz gleich, ob die Divergenz nun von menschlicher oder tierischer Seite stammt. Dieser Vergleich von Katze und Hund, jeweils zum Nachteil dessen, den der Forscher weniger mag, bildete lange Zeit die Grundlage von Studien zur Intelligenz von Tieren. Solche Studien erfolgen natürlich nur selten ohne Voreingenommenheit, denn obwohl die menschliche Welt keineswegs in Katzen- und Hundeliebhaber eingeteilt ist, haben die meisten Menschen in dieser Hinsicht doch ihre Vorliebe, welche bei manchen nahezu an Hysterie grenzt. Selbst Dr. Wesley Mills, Physiologieprofessor an der McGill Universität, hatte mit seiner Voreingenommenheit zu kämpfen, als er um die Jahrhundertwende über einige Monate hinweg Tag für Tag seine Beobachtungen einer jungen Katze und eines Welpen aufzeichnete. Der Verdacht liegt nahe, daß er im Grunde seines Herzens Hunde bevorzugte, wenngleich wenige Forscher einschließlich einiger berühmterer als er letztendlich die Natur der Katze deutlicher erkannten. Dr. Mills hatte zur Zeit seiner Versuche offenbar sehr viel Zeit zur Verfügung, die er damit verbrachte, die kleinen Tierchen zu beobachten. Zu einem bestimmten Zeitpunkt öffnete die junge Katze die Augen; zu einem bestimmten Zeitpunkt öffne te auch der Welpe die Augen. -173- Kätzchen und Welpe lernten beide, den Kopf in die Richtung von Geräuschen zu wenden; sie lernten, ihre Bewegungsabläufe zu koordinieren, sie erlernten die Benutzung der Toilette, wie der Mensch sie bei Tieren bevorzugt – oder auch nicht. Während dieses gesamten Prozesses des Heranwachsens bewegten sie sich unter den aufmerksamen Augen eines Physiologen, der nicht nur ein qualifizierter Tierarzt, sondern auch noch Humanmediziner war. Über kurz oder lang fand er heraus, daß die Katze dem Hund entsprechenden Alters in bezug auf die Koordination angestrebter Bewegungsabläufe wie auch in dem Tempo der Adaption an ihre Umgebung weit voraus war – das heißt, in der Adaption an Dr. Mills und hauptsächlich an Dr. Mills' Arbeitsraum, ganz zu schweigen vom Katzenklo und einem Plätzchen unten auf dem Bücherregal, das die Katze sehr liebte. Zu letzterem Punkt bemerkt Dr. Mills mit nahezu übermenschlicher Nachsicht, daß die Katze ausgeprägte Willenskraft, intelligent zum Ausdruck gebracht, an den Tag legte. Als seine Forschungsarbeit sich dem Ende zuneigte, war er zu dem Schluß gekommen, daß die Katze schwer mißverstanden und ihre Intelligenz weit unter schätzt wird. Wenn Intelligenz darin besteht, die Mittel in mehr oder weniger bewußter Weise einem Zweck anzupassen, einschließlich der eigenen Adaption an die Umgebung, so meint er, dann wird der Entwicklungsbericht über die Katze zu diesem Thema auf großes Interesse stoßen. Unter diesem Aspekt betrachtet sei die Katze in ihren ersten drei Lebensmonaten tatsächlich dem Hund weit überlegen. Fraglos waren Dr. Mills' Beobachtungen zu eng gefaßt, um Verallgemeinerungen zulassen zu können. Womöglich gerieten ihm rein zufällig nur eine besonders kluge Katze und ein weniger kluger Hund in die Hände; schließlich -174- variiert bei beiden Arten der Intelligenzquotient ganz erheblich zwischen den Individuen. Öder aber die Katze war lediglich frühreif, ohne besonders überlegen zu sein, oder dem Hund war das Beobachtetwerden peinlich, wodurch er sich befangen fühlte. Doch was immer auch Dr. Mills durch den Vergleich erfuhr: Er lernte eine Menge über die Katze und wurde gewissermaßen zu ihrem Verteidiger. »Im Gegensatz zum Hund«, so schrieb er in seiner Schlußfolgerung, »hat die Katze sehr wenig Beachtung vom Menschen erfahren. Für diese Vernachlässigung gibt es zahlreiche Gründe, zum Beispiel den in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzenden, daß Miez nicht schmeichelt. Der Hund stellt sich auf jede Eigenart und Laune seines Herrn ein, doch die Katze bleibt immer sie selbst. Um sie einigermaßen verstehen zu können, muß sie wie ein empfindlicher Mechanismus und überaus freundlich behandelt werden. So verstanden, zeigt sich die Katze keineswegs nur als vergleichsweise ungezähmte Verkörperung gewisser mächtiger Instinkte.« Doch Dr. Mills kam außerdem auch zu dem Schluß, daß der Charakter des Hundes dem des Menschen bedeutend näher ist als der der Katze, und diese Aussage sollte gewiß nicht so misanthropisch klingen, wie sie verstanden werden kann. Etwa zur gleichen Zeit, als Dr. Mills sein Kätzchen und seinen Welpen beobachtete und erfuhr, daß jeder, der etwas von einer Katze erwartet, sie freundlich und zärtlich behandeln muß, führte ein Psychologe, der in der Folgezeit zu viel größerem Ruhm kommen sollte, eine Reihe von Experimenten mit Katzen und anderen Tieren durch. Seine Versuche basierten auf der schlichten Voraussetzung, daß unter keinen Umständen ein besseres Forschungsobjekt aufzutreiben wäre als eine hungrige -175- Katze. Der Wissenschaftler, der mit dieser nahezu kindlichen Unbefangenheit in bezug auf seine Grundlagen an das vorliegende Thema heranging, war Edward Lee Thorndike von der Columbia Universität, dessen Beiträge zur menschlichen Psychologie zahlreich und bedeutend sind und dessen wissenschaftliche Methoden von einem Laien vielleicht nicht hinterfragt werden sollten. Dr. Thorndike führte seine Experimente im Jahr 1898 durch. Unseres Wissens waren sie die ersten, die sich auf moderne wissenschaftliche Methoden stützten. Zum Teil stellten sie eine Reaktion auf Romanes dar, dessen anekdotische Herangehensweise er – zu Recht als unwissenschaftlich empfand. Seiner Meinung nach würden Menschen, wenn aufgefordert, Geschichten zum Beweis von Intelligenz bei Tieren zu liefern, fraglos auch mit solchen aufwarten. So würde man lediglich Berichte von Tieren in Höchstform erhalten. Menschen sind nun mal versessen darauf, bei Tieren Intelligenz festzustellen. Das gefällt ihnen, bemerkt Dr. Thorndike mit Genauigkeit und Bauernschläue. Seine Schläue setzte sich bis zu einem gewissen Grad im Konzept seiner Experimente fort. Er hatte Käfige vorbereitet, aus denen ein Tier durch bestimmte Manipulationen entkommen konnte – im einfachsten Falle, indem es an einer Bindfadenschlaufe zog. Zog das Tier an diesem Bindfaden und befreite sich, so wurde es mit einem Leckerbissen belohnt. Dieser einfachen Vorrichtung folgten Varianten, die durch größere Schwierigkeitsgrade die Fähigkeit des Tieres zur Anpassung an eine komplexere Umgebung testen wollten. Dank solcher Kisten und zehn Katzen führte Dr. Thorndike eine Reihe von Experimenten durch, die ihn zu dem Schluß brachte, daß Katzen nicht denken, nicht nachahmen, nicht überlegen; daß sie, wie andere Tiere -176- auch, überhaupt keine Vorstellungen oder Erinnerungen, keine übergreifenden Ideen haben. Er fügte hinzu, daß vielleicht die einzige Art von Assoziation bei Tieren in den Sinneseindrücken besteht, die dank der erfolgenden Befriedigung mit bestimmten Reizen verbunden waren. Das, und nur das bewirkte ein bestimmtes Verhalten. Er fand zum Beispiel heraus, daß eine Katze einen gewissen Sinneseindruck von sich selbst hat, wie sie an einer Schlaufe zieht, wie sie ihre Pfote an einem bestimmten Ort sieht und ihren Körper auf eine bestimmte Art einsetzt. Das Ergebnis: Futter. Zu diesem und anderen Schlüssen kam er, indem er, was die Katzen betrifft, eine bestimmte Befindlichkeit sicherstellte: rasenden Hunger. (In einer späteren Ausgabe seines Buchs zu diesem Thema bestritt Dr. Thorndike einigermaßen empört, in dieser Beziehung gemeint zu haben, was er doch ganz offensichtlich sagte. Katzen bei »rasendem“ Hunger zu halten, wäre nicht, so versicherte er einem entrüsteten Beschwerdebriefschreiber, dasselbe, als sie verhungern zu lassen.) Wenn die betreffende Katze hungrig genug war, wurde sie in eine Kiste gesteckt, aus der sie herausfinden mußte. Die Zeit wurde gestoppt; war das Problem gelöst, bekam sie zu fressen. Später dann wurde die Prozedur wiederholt, die Zeit wurde genommen, die Katze bekam zu fressen. Jede einzelne Katze wurde zahlreichen Tests unterzogen, zunächst in der einfachsten Kiste, und sobald sie ohne Schwierigkeiten herausfand, wurde sie in eine kompliziertere Kiste transferiert. Grundlage für Schlußfolgerungen war die Zeit, die die Katze zum Entkommen benötigte. Falls zum Beispiel nach einer gewissen Anzahl von Versuchen eine Beschleunigung festzustellen gewesen wäre, hätte Thorndike vermutet, daß das Tier zu diesem Zeitpunkt das Problem begriffen hätte. Solche deutlichen Fortschritte -177- stellte er nicht fest. An der Zeitkurve, so meint Thorndike, läßt sich wohl recht gut das Fortschreiten der Assoziationsbildung ablesen, denn die zwei Hauptfaktoren dabei sind das Verschwinden jeglicher Aktivität außer solcher, die Erfolg zeitigt, und die Perfektionierung dieser bestimmten Handlung, bis sie exakt und willentlich erfolgt. Die Kombination der beiden Faktoren verhält sich umgekehrt proportional zur benötigten Zeit, vorausgesetzt, das Tier will wirklich sofort hinaus. Das war durch das Ausmaß des Hungers weitgehend sichergestellt. Das allmähliche Absinken der Zeitkurven zeigt also das Fehlen von Überlegung. Sie stellen praktisch das Austreten eines Pfads im Gehirn dar, nicht die Entscheidung eines rationalen Bewußtseins. Was tatsächlich zu diesen Überzeugungen Dr. Thorndikes führte, war schon ziemlich merkwürdig. Zum ersten waren wohl die Katzen ziemlich merkwürdig oder stark verängstigt -, denn während der Dauer der Experimente zeigten nur zwei von zehn ein Verhalten, das der Forscher folgendermaßen beschreibt: »Wurde sie in den Käfig gesetzt, zeigte die Katze deutliche Anzeichen von Unbehagen und den Impuls, aus dem Gefängnis zu entkommen. Sie versuchte, sich durch jede vorhandene Öffnung zu zwängen, sie kratzte und biß in die Gitterstäbe oder den Maschen draht, sie steckte die Pfoten durch jede beliebige Öffnung und schlug nach allem Erreichbaren, sie setzte ihre Bemühungen fort, wenn sie etwas Loses, Bewegliches berührte, sie kratzte an eventuell im Käfig vorhandenen Gegenständen. Sie schenkte dem draußen bereitgestellten Futter kaum Beachtung und schien nur instinktiv auf ihr Entkommen bedacht zu sein. Dabei kämpfte sie mit erstaunlicher Energie. Acht bis zehn Minuten lang kratzte und biß sie -178- unaufhörlich und versuchte, sich irgendwo hindurchzuzwängen.« An genau diesem Punkt werden sich Menschen, die Katzen überhaupt nur kennen, von Dr. Thorndike verabschieden. Und auf weniger subjektiver Grundlage haben sich auch diejenigen von Dr. Thorndike distanziert, die seine Experimente wiederholten. Nach ihm ist es niemandem jemals wieder gelungen, Katzen zu einem solchen Verhalten gegenüber Kisten zu überreden, wie Thorndikes Katzen es an den Tag legten – alle, bis auf zwei. Eine von diesen beiden war »eine alte Katze« tatsächlich aber erst anderthalb Jahre alt, a|so gerade der Pubertät entwachsen -, und die andere war »außergewöhnlich träge«. Beide Katzen schieden in einem frühen Stadium der Versuchsreihe aus. Und natürlich verhielten sich eben diese beiden Katzen wie ganz normale Katzen, sofern sie nicht falsch behandelt werden, denn es gibt kaum etwas, was einer Katze mehr Spaß macht als eine Kiste und der Aufenthalt in einer Kiste. Ihr Instinkt rät der Katze, nach Möglichkeit eine Kiste zu finden, hineinzuklettern und den Deckel über ihrem Kopf zu schließen, sich gemütlich niederzulassen und sich zu putzen. So ziemlich das letzte, was eine Katze anstrebt, ist, diese köstliche Kiste zu verlassen, in der sie sich sicher und geschützt fühlt. So ziemlich das letzte, was ein Wissenschaftler unternehmen sollte, ist, die Intelligenz einer Katze an der Geschwindigkeit zu messen, mit der das Tier etwas ausführt, was es gar nicht möchte. Genau das hat Dr. Thorndike jedoch getan, und darauf hat er seine Schlußfolgerungen aufgebaut. Carl van Vechten, der natürlich im Hinblick auf katzenbezogene Themen nicht unbedingt als gleichgültig bezeichnet werden kann, nennt diese Schlußfolgerungen aufgrund dieser und anderer Aspekte »völlig wertlos« und fügt -179- hinzu: »Das Experiment entspricht meiner Meinung nach exakt dem Versuch, einen hungrigen, verängstigten Cherokee-Indiander in einen Rolls-Royce zu setzen und ihn in einer ihm unverständlichen Sprache aufzufordern, den Wagen zu steuern, wenn er etwas zu essen haben will.“ Zurückhaltender, aber in dieselbe Richtung deutend, bringt ein späterer Wissenschaftler seine Ansicht zum Ausdruck, daß Thorndikes Tierpsychologie, dem Verhalten der Katzen nach zu urteilen, wie eine einzig aus der Beobachtung von Diabetikern entstandene Physiologie anmutet. Was mit den Thorndike-Katzen nicht stimmte, wurde nie genau eruiert; möglich, wenn auch unwahrscheinlich ist, daß von seinen zehn Katzen acht einfach zufällig hysterisch waren. Daß seine Katzen auffällig sonderbar waren, legt schon die Tatsache nahe, daß nach seinen Angaben Futter für sie alle das nötige Lockmittel war, um sie zum Entkommen anzuregen. Zwar gibt er zu, daß die meisten seiner Katzen, wenn sie sich in der Kiste befanden, offenbar kaum Interesse für das Futter außerhalb der Kiste zeigten, doch die Bedeutung dieser Gleichgültigkeit entging ihm leider. Die Bedeutung liegt nun aber darin, daß Nahrung, selbst wenn die Katze überaus hungrig ist, gegenüber der Sicherheit immer, oft auch gegenüber dem Wunsch nach Zärtlichkeit und hin und wieder auch gegenüber dem Sauberkeitsdrang, eine untergeordnete Rolle spielt. Daher ist Futter in Experimenten ein reichlich fragwürdiges Lockmittel; man ist versucht zu glauben, die Katzen wären bedeutend schneller aus ihren Kisten geflüchtet, wenn Dr. Thorndike lediglich versprochen hätte, sich davonzuheben. Katzen in gesundem Zustand sind eifrige Fresser. Sind sie sehr gesprächig, jammern sie sogar nach ihren -180- Mahlzeiten. Und doch läßt die Katze, die ihr Fressen am dringendsten einfordert, es häufig stehen, wenn es ihr vorgesetzt wird, um zunächst einmal nach möglichen Gefahren Ausschau zu halten oder sogar nur eine Streicheleinheit einzuheimsen. Wir kennen nicht eine einzige Katze auch nur vom Hörensagen, die gefressen hätte, wenn sie verängstigt war, was auf Thorndikes Katzen wohl ausnahmslos zutraf. Viele Katzen erbrechen Nahrung, die sie in wenn auch nur leicht nervöser Verfassung zu sich genommen haben; kaum eine Katze frißt an einem fremden Ort, bevor sie ihn nicht gründlich überprüft hat. Daß Thorndikes Katzen das Experiment nicht zum Abschluß brachten, indem sie durch Hungerstreik verendeten, ist schon bemerkenswert; in der Rangfolge ihrer Sehnsüchte kam Fressen wohl an letzter Stelle. Unfair wäre zu behaupten, die Katzen wären auf irgendeine Weise mißhandelt worden, und in seiner Fußnote bezüglich des »rasenden“ Hungers legte Dr. Thorndike Wert darauf, Mißhandlung auszuschließen. Nicht einer der zahlreichen Besucher in seinem Labor, so sagt er, habe irgendeine Außergewöhnlichkeit oder etwas Beklagenswertes im Verhalten der Tiere zur Sprache gebracht. Hinweise auf Angst oder Schmerz wären nicht zu erkennen gewesen. Dennoch waren die Katzen eindeutig nach seiner eigenen Schilderung während der Dauer der Experimente in panischer Verfassung, und schon allein diese Tatsache, ganz gleich, was ihr zugrunde gelegen haben mag, reicht aus, die Ergebnisse seines Experiments zu widerlegen und entsprechend seine Schlußfolgerungen in Zweifel zu ziehen. Vermutlich war er einfach der falsche Mann für den Umgang mit Katzen und wußte wahrscheinlich nicht, was Dr. Mills meinte, als er mahnte, daß Katzen wie -181- äußerst empfindliche Mechanismen gehandhabt werden müßten. Immerhin schlug Dr. Thorndike selbst eine weitergehende Erforschung des Katzenbewußtseins vor, und zwar durch Menschen, die Katzen zu kennen meinen, womit er womöglich gewisse Zweifel an seiner eigenen Kompetenz andeutete. Und er hielt seine Ergebnisse auch nicht für so aussagekräftig, wie sie seither eingeschätzt werden. Die Forschungen wurden weitergeführt und werfen großenteils ein schräges Licht auf die Solidität der Thorndikeschen Anfangsergebnisse. Dennoch war er ein bedeutender Psychologe und warf einen langen Schatten, besonders über das Laienverständnis von Intelligenz bei Tieren. Sein Einfluß ist immer noch in zahlreichen Werken über Katzen zu spüren; nahezu jeder vermutet vage, daß Katzen Probleme haben, aus einer Kiste zu flüchten, und daß sie es schließlich allein durch Wiederholung einer erfolgsgekrönten Handlung lernen, ohne eine »Vorstellung« von ihrer Handlungsweise zu haben. Nicht zu vergessen ist der Umstand, daß Dr. Thorndike als Psychologe sich nicht in erster Linie für das Bewußtsein nicht-sprachbegabter Tiere interessierte. Anhand seiner Katzen – und seiner Hunde und Affen suchte er nach Hinweisen auf das Funktionieren des Bewußtseins als solches. Bleibt nur zu hoffen, daß seine Methoden zum Beispiel bei Affen etwas geschickter waren. Es sieht ganz so aus; Affen schneiden immer am besten ab. -182- Elftes Kapitel Katzen sind keine Affen Betrachtet man nicht nur Dr. Thorndikes Test zur Feststellung von Intelligenz bei Katzen, sondern auch die nachfolgenden, überzeugenderen Versuche, darf man einen wichtigen Umstand nicht außer acht lassen: Die Tests sind im menschlichen Bewußtsein entstanden. Auch mit dem besten Willen, und in diesem Bereich werden Männer erster Güte gearbeitet haben, ist diese Einschränkung nicht zu überwinden. Da wir Hände haben, ist unser Denken auf Hände ausgerichtet, wie unser Bewußtsein auch auf bestimmte Wünsche und bestimmte Ängste ausgerichtet ist, die aufrechtgehenden, Werkzeuge benutzenden Wesen angeboren sind. Versuchen wir, uns vorzustellen, wie es bei vertauschten Rollen wäre, wenn Katzen – natürlich Super-Katzen – die Intelligenz des Menschen testen würden. Das ist schwierig, denn, wie Mivart schon sagte, für einen Menschen ist es schwierig, eine Katze zu werden. Wir müssen von einer Annahme ausgehen, die vielleicht nicht zutrifft: daß einer Super-Katze der Mensch erscheinen müßte wie ein Tier, das gern eine Katze wäre, aber natürlich nicht kann. Wenn eine Katze so dächte, würde sie dem Menschen die Eigenschaften einer Katze zuschreiben, den Menschen felinomorphieren. Wie der -183- Mensch voraussetzt, daß eine Katze aus einer Kiste entkommen wollen muß, so mag eine Katze vermuten, daß der größte Wunsch des Menschen – besonders, wenn grolle Katzen in der Nähe sind – darin bestehen muß in einer Kiste zu hocken. Dann können wir uns vorstellen, daß die Experimente der Katze in einem großen Raum oder Käfig, in dem sich ein kleinerer Raum befindet, durchgeführt werden. Als weiteres Lockmittel würde in dem kleineren Raum ein dicke, leckere Maus oder Ratte hocken. (Hier könnte eingewendet werden, daß wir zu weit gehen, daß jede halbwegs intelligente Katze wissen würde, daß die wenigsten Menschen Mäuse mögen. Und doch wird den Katzen bei Experimenten als Anreiz meistens Leber angeboten, obwohl bei weitem nicht alle Katzen Leber mögen. Zwei von unseren gegenwärtig drei Katzen verabscheuen Leber; Martini hält Leber für Abfall.) Der zu testende Mensch würde in den größeren Raum gebracht; der Erwartung der Katze gemäß mußte er dann sogleic h versuchen, in den kleineren und zu der Maus zu gelangen. Das würde er vielleicht nicht auf Anhieb verstehen; womöglich kratzt er auf der Suche nach einem Ausgang ergebnislos an den Wänden des äußeren Raums. Der Katzen-Thorndike mit der Stoppuhr in der Hand würde den Menschen für dieses Verhalten runterstufen, doch wenn der Mensch sich einfach hinsetzte, um zu überlegen, würde er wohl als »sehr alter Mensch« von etwa achtzehn Jahren abgetan oder als außergewöhnlich träge. Wir dürfen jedoch annehmen, daß einigermaßen kluge Menschen verstehen würden, was von ihnen verlangt wird – verständnisvolle Katzen-Forscher würden ermutigend schnurren und Ratschläge in der Katzensprache erteilen. Nun also würde der Mensch als Zugang zum inneren -184- Raum keine Tür mit der üblichen, für menschliche Hände leicht zu betätigenden Klinke finden. Stattdessen entdeckt er vielleicht, nach ausgedehnter und anfangs erfolgloser Suche, daß in die Wand zum inneren Raum Paneele eingesetzt sind, die sich mit Krallen entfernen lassen würden. Natürlich schließt dieses Paneel lückenlos mit der Wand ab; da Katzen nicht greifen können, würden sie keinen richtigen Halt finden. Vom Menschen würde erwartet, daß er seine Fingernägel und vielleicht auch Zähne in die Paneele gräbt und sie niederreißt, wie ein höheres Tier, zum Beispiel eine Katze, in diesem Fall vorgehen würde. Eine kluge Katze wäre darauf gefaßt, daß er sich dabei nicht übermäßig geschickt anstellt. Trotzdem aber würde die Katze denken wie ein Tier mit Krallen, sofern wir von der Katze nicht eine unendlich höhere Intelligenz erwarten als Menschen unter den gleichen Umständen zu zeigen pflegen. Anders zu denken würde ihr ungeheuer schwerfallen. Für die Super-Katze wäre der Mensch weiter nichts als ein Wesen mit verkümmerten Krallen, wie die Katze für uns ein Wesen mit in ihrer Funktion beeinträchtigten Händen ist. Irgendwann gelingt es dem zu testenden Menschen dann vielleicht, die Paneele niederzureißen; vielleicht gelingt es ihm sogar schneller als zum Beispiel einem Bären, die kunstvolle Apparatur der Katze zu begreifen. Nun würde von ihm erwartet, daß er durch die Öffnung springt, die sich womöglich drei Meter über dem Boden befindet – welche Katze kann nicht problemlos doppelt so hoch springen? -, und sich auf die Maus stürzt. Aber wie würden Katzen die Köpfe schütteln über die menschliche Art des Mäusefangens! Wie würden sie ernst zusammenfassend über die »unnützen Bewegungen« des Menschen schreiben, über die Langsamkeit, mit der der Mensch selbst nach wiederholten Versuchen lernt, über -185- die Gleichgültigkeit vieler Testpersonen gegenüber dem Lockmittel, trotz ihres Zustands von äußerstem Hunger! »Möglich ist«, würde der Katzen-Thorndike schließen, »daß Menschen überhaupt keine Vorstellungen oder Erinnerungen haben, keine Ideen zur Herstellung von Zusammenhängen… lediglich gewisse Sinneseindrücke… gewisse Impulse…« Großen Katzen würden solche Fehler beim Testen von kleinen Katzen natürlich nicht unterlaufen; SuperKatzen würden ihre Erforschung nicht so weit entwickelter Katzen scharfsinnig genug angehen. Und der Mensch ist gewöhnlich klug genug, wenn es darum geht, Affen, ebenfalls Wesen mit Händen, zu testen. Das ist vielleicht der Grund dafür, daß die Menschen die Intelligenz der nicht so weit entwickelten Menschenaffen gewöhnlich so hoch einschätzen. L.T. Hobhouse, ein weiterer renommierter Psychologe, war auch dieser Meinung, als er 1901 bemerkte, daß Affenintelligenz der Art von Experimenten, die menschliche Intelligenz vorzugsweise entwirft, eher gewachsen ist. Er deutet an, daß dies nicht unbedingt ein Hinweis auf qualitativ überlegene Intelligenz sein muß. Hobhouse war einer der ersten Forscher, die sowohl Thorndikes Methoden als auch seine Schlußfolgerungen heftig kritisierten, teils auf der Grundlage der Logik, teils auf der seiner eigenen Experimente. Hobhouse zweifelte in erster Linie an der Gültigkeit der Hauptvoraussetzung, auf die sich sein Vorgänger stützte: vereinfacht gesagt, daß Intelligenz in umgekehrtem Verhältnis zu der Zeit steht, die für das Erringen des Erfolges benötigt wird. Mr. Thorndike scheint den zusammengepfuschten Charakter seiner statistischen Methoden überhaupt nicht zu erkennen, beobachtet Hobhouse anscheinend nur mühsam beherrscht. Auch die Zeitkurven selbst versetzten -186- Hobhouse in Erstaunen; für ihn zeigten sie keineswegs immer den allmählichen Fortschritt, den Thorndike zu erkennen glaubte. Aber die Kurven waren, wie Hobhouse erschöpft bemerkt, sehr schwer zu begreifen, und das entspricht der Wahrheit. Hobhouse, der selbst Katzen und auch Hunde hielt, war sich der Individualität der Tiere bewußt und behandelte sie gut, daher geriet auch keine seiner Katzen in Panik. Unter den von ihm getesteten Tieren fand er keinen maßgeblichen Unterschied in der Lernfähigkeit von Hunden, Elefanten, Katzen und Ottern. Er kam zu folgendem Schluß: Was die Tiere lernten, war nicht nur eine bestimmte Reaktion auf einen bestimmten Gegenstand, sondern das Bewirken einer bestimmten Veränderung an dem Gegenstand als Mittel zur Nahrungssicherung. Bei seinen Tieren ging es offenbar nicht um die Abfolge »Pfote so, Körper so, Erfolgserlebnis«, sondern um die Erkenntnis: »an der Schnur ziehen, Erfolgserlebnis«, also um etwas wesentlich anderes. Wenn der Blickwinkel stimmt, so sagte Hobhouse, haben wir hier in grundsätzlicher Ausformung das in die Tat umgesetzte Äquivalent der praktischen Beurteilungsidee. Er glaubte, daß Tiere Erfahrungen intelligent einsetzen, was so ziemlich die höchste Anforderung an ein Wesen ist und mehr, als die meisten vorweisen können. In seinem Kommentar zu Thorndikes Feststellung, daß, wenn drei von acht Katzen lernen, aus einem Käfig zu entkommen, drei von tausend Katzen in einem Raum nach denselben Methoden vielleicht lernen, eine Türklinke zu benutzen, zeigt er sich gleichzeitig wachsam und trocken rational. Das geschieht wahrscheinlich durch Herumspringen und kratzen im ganzen Raum, schreibt Hobhouse und geht dann der Sache auf den Grund: Die Antwort allerdings -187- lautet, daß tausend Katzen ihre Zeit nicht damit verbringen, in einem Zimmer herumzuspringen und zu kratzen. In den Jahren nach Thorndike und Hobhouse fanden die Katzen keine Ruhe; sowohl in den USA als auch anderswo wurde weiter experimentiert. In Polen führte V. Teyrovski Experimente durch und »bewies« selektive Imitation bei Katzen, wie auch »praktisches Urteilsvermögen« und »artikulierte Vorstellung«, alles, was Thorndike seiner Überzeugung nach widerlegt hatte. C.S. Berry forschte im Jahr 1908 und »bewies« ebenfalls, daß Katzen nicht nur einander, sondern auch Menschen imitieren, und daß Katzen nicht instinktiv Mäuse töten und fressen, sondern es durch Imitation lernen. 1909 wiesen zwei Experimente die Fähigkeit feiner Farbunterscheidung bei Katzen nach, und 1915 fanden zwei weitere Beobachter heraus, daß Katzen völlig farbenblind sind. 1928 schrieb Dr. Gates, daß andere Forschungen schon morgen diese Theorien kippen können, eine bemerkenswert gemäßigte Behauptung, da es sich bei den genannten Theorien vorwiegend um Thorndikes handelte und eine ganze Anzahl von Leuten überzeugt davon waren, daß sie längst nicht mehr galten. 1929 veröffentlichte Donald Keith Adams, beinahe als hätte er Dr. Gates' Bemerkung gehört, die Ergebnisse von in Yale durchgeführten Experimenten. Wenn auch manches, was über die Unzulänglichkeit der KistenMethode gesagt wurde, auch auf diese Experimente zutrifft, bringen sie unseres Erachtens doch mehr Licht in die Frage nach dem Bewußtsein der Katze als andere. Mr. Adams lagen die Erfahrungen seiner Vorgänger als Basis vor, er brachte beträchtliche Hellsichtigkeit in seine Arbeit ein, und seine Katzen mochten ihn. Sie mochten ihn trotz ziemlich anstrengender Zeiten, die Katzen und -188- Wissenschaftler miteinander verbrachten, und trotz des reichlich abscheulichen Futters, das ihnen verabreicht wurde. Adams' Absicht war, Thorndikes Experimente zu überprüfen und auf ihrer Grundlage weiterzuforschen; Adams benutzte achtzehn Katzen über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg und hielt sie in einem umgebauten Stall, wo sie auf dem nackten Boden schliefen, nichts, nicht einmal ein Seil, zum Spielen hatten und als Futter anfangs ein Gemisch aus Mehl, Wasser, Rindfleisch und Knochenmehl, Salz, gesiebtem Alfalfa-Schrot, Brauereihefe und einem Trockenmilchprodukt bekamen. Diese Zutaten wurden in Wasser gekocht und zu einer Art fester Paste oder Teig mit relativ geringem Nährwert verarbeitet. Später wurde aus Gründen, die nur Mr. Adams bekannt sein dürften, noch Talg zu dieser wenig schmackhaften Substanz hinzugefügt, die die Katzen trotzdem fraßen. Hin und wieder kam noch Leber hinzu, wenn etwas von den Experimenten übrig geblieben war, und sie schien eine geheimnisvolle Eigenschaft über die Anreicherung des Futters mit Erythrozyten und Vitaminen hinaus zu besitzen. Die Zugabe von Leber machte dieses Futter entschieden attraktiver für die Katzen. Nichtsdestoweniger wollten die Katzen mit dieser Diät nicht gedeihen, und gegen Ende des für die Experimente angesetzten Zeitraums sah Adams sich gezwungen zu berichten, daß die beschriebene Nahrung nicht länger empfohlen werden könne, weil die Katzen die Räude bekamen, Gewicht verloren und hier und da einfach eingingen. Die Katzen waren schlecht genährt und fühlten sich nicht wohl, standen körperlich und emotional unter Streß – und eine von ihnen zeigte, was sie von der ganzen Angelegenheit hielt, als Adams ein Experiment zum -189- Nachweis der Ortsgebundenheit von Katzen durchführte. Diese Katze wurde in einer Kiste an einen Ort zweieinhalb Meilen vom Labor entfernt verbracht und mit Hilfe einer durch eine Schnur zu betätigenden Vorrichtung freigelassen, wobei Adams im Verborgenen zusah. Die Katze verließ die Kiste, schaute sich etwa zehn Minuten um – wahrscheinlich, um sicherzugehen, daß Adams sich nicht unter irgendeinem Blatt versteckt hatte -, und machte sich dann eilends im rechten Winkel zu der Richtung, in der das Labor sich befand, aus dem Staub. Sie kam auch niemals zurück und bewies damit eine ganze Menge hinsichtlich der Intelligenz dieser einen Katze, wenn auch nicht bezüglich ihrer Ortsgebundenheit. Doch der Großteil der Unbilden, denen die Katzen ausgesetzt waren, wurde von dem Zwang zur Sparsamkeit diktiert, und es war kein Thorndike in der Nähe, der die Unbequemlichkeit noch erhöhte. Adams war freundlich zu seinen Katzen, er behandelte sie fair; es mag eingeschoben werden, wenngleich der Forscher so etwas klugerweise nicht erwähnt, daß er sie lieben lernte, und mindestens eine von ihnen verliebte sich in ihn. Und nur eine von achtzehn Katzen verhielt sich, als sie in eine Kiste gesteckt wurde, in etwa so wie alle bis auf zwei von Thorndikes Katzen. Die restlichen siebzehn Adams-Katzen benahmen sich genau wie Katzen, mit Ausnahme von mindestens einer, die sich aufführte wie ein kleines Genie. Adams suchte und fand meistens auch Katzen, die wenig Erfahrung mit einem geregelten Leben zu Hause hatten und daher mit menschlichen Gerätschaften weniger vertraut waren als die gut versorgte Hauskatze. Unsere Gin zum Beispiel bewies, als wir in der Feriensiedlung bei Brewster wohnten, daß sie wußte, die Bewegung der Klinke an der Haustür ging unweigerlich dem Öffnen der Tür voraus. Sie konnte die Klinke nicht wirkungsvoll aus -190- eigener Kraft erreichen, doch sie kam ihr stets so nahe, wie sie es eben konnte, und schaute sie an und streckte die Pfote nach ihr aus. In so ziemlich jedem von Menschen erdachten Flucht-Experiment würde sie mit großem Vorsprung an den Start gehen. Adams war bemüht, derartig vorgebildete Katzen zu vermeiden. Er nahm auch junge Katzen, die noch kaum Erfahrungen in einem wie auch immer gearteten Leben gesammelt hatten. Er studierte Zeichnungen der von Thorndike benutzten Kisten und baute sie für seine eigenen Experimente nach, sofern die Zeichnungen Aufschluß über die Bauweise gaben – was nicht immer der Fall war. In eine der einfachen Thorndike-Kisten wurde eine sechs Monate alte Katze namens Ace gesteckt. Ihr Verhalten dort war im allgemeinen typisch für die Adams-Katzen in ThorndikeKisten. Sie strampelte nicht und schrie auch nicht in einem Verzweiflungsanfall oder dergleichen. Zum ersten Mal in dieser Kiste, blieb sie dort achtundzwanzig Minuten la ng, von denen sie sechsundzwanzig damit verbrachte, zu sitzen und sich umzuschauen, sich zu putzen und ganz eindeutig den Umstand, in einer Kiste zu sein, gründlich auszukosten. Zwei Minuten verlebte sie in nicht sehr aufgeregter Beschäftigung, die zu absolut keinem Ergebnis führte. Sie wurde aus der Kiste genommen. Nach einiger Zeit wurde sie wieder hineingesetzt, setzte sich mitten in die Kiste und schaute sich um. Dann wurden Adams und die Katze gleichermaßen von einem lauten Tumult unter den Affen im Obergeschoß erschreckt. Die Katze rührte sich und griff durch die Gitterstäbe auf der Vorderseite der Kiste nach dem Schüsselchen (mit dem Anreiz-Futter), das versehentlich in ihrer Reichweite stand. Sie warf das Schüsselchen um, zog es aber näher zu sich heran, kratzte nach dem Futter und zog es, ohne das -191- Schälchen, durch die Gitterstäbe in die Kiste hinein. Dann fraß sie das Futter. Adams kam zurück, rückte das Schüsselchen mit Futter außerhalb der Reichweite der Katze, und Ace versuchte unverzüglich wieder, es zu greifen zu bekommen, gab jedoch bald auf und saß fünf Minuten lang still in der Mitte der Kiste. Dann stupste sie beiläufig nach der Zugvorrichtung, verfing sich mit der Kralle in der Schlaufe, öffnete die Tür und verließ die Kiste. Nach zehn Versuchen – einmal griff sie über das Türchen und löste den Riegel ohne Hilfe der Schlaufe, verließ die Kiste und verbrachte dreißig Sekunden in offenbar nachdenklicher Betrachtung der ganzen Apparatur – also, nach zehn Versuchen verließ sie die Kiste immer dann, wenn sie Lust dazu hatte. Das heißt, sie befreite sich gleich beim ersten Versuch ohne unnütze Bewegungen, ohne Fummelei. Hin und wieder verstrich ziemlich viel Zeit, bis sie einen Versuch unternahm, manchmal kam sie aber auch sofort heraus. Ace wurde einunddreißigmal getestet. Sie hatte vier »Fehlschläge« zu verzeichnen, das heißt, viermal machte sie überhaupt keine Anstalten, die Kiste zu verlassen. Und – sie hatte elf verschiedene Methoden. Soweit Adams es beurteilen konnte, stellte sich kein Sinneseindruck von Pfote in bestimmter Position, von diesen und jenen Körperbewegungen ein. Sie bildete sich offenbar vielmehr die Vorstellung vom Ziehen an einer Schlaufe. Zuerst zog sie meistens mit dem Mäulchen an der Schlaufe, im späteren Verlauf der Experimente benutzte sie eine Pfote. Beim letzten Versuch in der Kiste zog sie die Schlaufe mit der Pfote zum Mäulchen und vollführte dann noch einen kurzen Ruck mit den Zähnen. Gewöhnlich variierte Thorndike die Aufgabe, sobald eine Katze endlich ein Problem gelöst hatte. Im -192- einfachsten Fall wurde die Kiste dahingehend verändert, daß die Schlaufe an anderer Stelle hing, während die Tür sich auf das Ziehen der Schlaufe hin nach wie vor von innen öffnen ließ. Thorndikes Katzen taten sich ziemlich schwer damit. Ace, im allgemeinen typische Repräsentantin von Adams' Katzen, wurde eine Woche nach erfolgreichem Abschluß der ersten Tests in eine andere Kiste gesetzt. Beinahe sofort fand sie die Schlaufe, zog daran, verlief die Kiste und fraß. In dieser Kiste wurde sie dreiundzwanzigmal getestet und öffnete die Tür jedesmal auf Anhieb – das heißt, sobald sie Lust hatte, etwas anderes zu tun, als das Gefühl zu genießen, in einer Kiste zu sein. Eine Katze bekam einen Anfall, als sie in die Kiste gesetzt wurde, zeigte sich auch danach weiterhin als unzugänglich und wurde als unheilbar ausgesondert. Eine weitere zeigte sich ähnlich psychotisch, strampelte panisch in der Kiste herum und versuchte nach ihrer Freilassung verzweifelt, aus dem Raum zu flüchten. Adam ging hinein, sprach mit der Katze und streichelte sie. Daraufhin fraß die Katze, die bis dahin das Lockfutter völlig ignoriert hatte. Später lernte sie die Öffnung des Fluchtwegs aus der Kiste schnell und gut und fraß das Lockfutter niemals, bevor Adams nicht den Raum betreten hatte. Sobald Adams hereinkam, unabhängig davon, ob er die Katze streichelte oder nicht, fing die Katze an zu schnurren und fraß und gab dabei unbewußt einen Kommentar über die Motivation von Katzen ab. Doch ein Kater namens Pete war Adams' Star. Pete wurde in eine der vorbereiteten Kisten gesetzt, und wie Ace saß er zunächst da und verbrachte mindestens zehn Minuten mit einer, wie es dem Beobachter erscheinen mußte, gemächlichen Inspektion der Lage. Dann faßte er nach der Schlaufe, zog daran, sah zu, wie die Tür sich -193- öffnete, und ging hinaus. Mit noch sparsamerem Aufwand hätte die Handlung nicht durchgeführt werden können, bemerkte Adams dazu. Drei Minuten später befand sich Pete erneut in der Kiste. Er putzte sich. Dann griff er ohne jegliche Umschweife nach der Schlaufe und verließ die Kiste. In vielen noch folgenden Tests zog Pete stets an der Schlaufe und ging hinaus. Manchmal war er fixer, manchmal nicht so schnell, doch Thorndike hätte vergebens nach einer Kurve gesucht, die anzeigte, daß sich langsam irrational ein Muster in Petes Bewußtsein eingrub. Manchmal wollte Pete sofort hinaus, dann wieder mußte er sich zunächst einmal putzen – oder denken oder seinen Tagträumen nachhängen. Wie Adams scharfsinnig beobachtete, mag vielerlei auf die Unterschiede im Zeitaufwand Einfluß genommen haben, die vielleicht mit Variationen des Apparates, mit der Menge innewohnender Befindlichkeiten, die wir gewöhnlich unter dem Begriff Motivation zusammenfassen, mit irgendeinem unzugänglichen und nicht zu ergründenden Bewußtseinsprozeß, der nicht in diese Kategorie fällt, oder mit allem gleichzeitig zusammenhängen. Aber wenn Pete raus wollte, wußte er stets, wie er es anzustellen hatte. Die Katze, so behauptete Thorndike, überblickt eine Situation nicht, und noch viel weniger denkt sie nach, um dann zu beschließen, was zu tun ist. Adams schüttelt darob den Kopf. Der Beschreibung des Verhaltens meiner Katzen, sagt er, ist zu entnehmen, daß sie die Situation überblickten und sehr wahrscheinlich auch überdachten und dann beschlossen, was zu tun war. Das war viel eher die typische Vorgehensweise als die Ausnahme. Eine von seinen Katzen, Pete, tat außerdem genau das Erforderliche, nachdem er die Situation zehn Minuten lang abgeschätzt hatte. Vermutlich hätte Thorndike eine Katze, die zehn -194- Minuten lang untätig, lediglich um sich schauend, in der Kiste gesessen hatte, herausgenommen und als »ungewöhnlich träge« abgestempelt. Durch die Wiederholung der Thorndike-Experimente wurde Adams klar – und jeder, der von Adams' Experimenten liest, schließt sich ihm an -, daß die Schlaufe für die Katzen das Ding war, an dem sie ziehen mußten, wobei es zweitrangig war, wie das Ziehen bewerkstelligt wurde. Und das natürlich trifft Thorndikes Theorie mitten ins Herz. Wenn die Katze über eine, ga nz gleich wie, verschwommene Vorstellung darüber verfügt – und Pete erschien nun keineswegs verwirrt -, wie sie durch gewisse Handlungen eine gewünschte Veränderung erzielt, dann darf ruhigen Gewissens behauptet werden, daß sie »denkt«. Adams ging zu anderen Experimenten über. Er befestigte Leber in einer Kiste an einer Schnur, und die Katzen mußten daran ziehen, um die Beute zu bekommen. Den meisten gelang es; ein Kater namens Tom zog mit den Pfoten an der Schnur und formte sie zu einer Schlaufe. Diese Schlaufe nahm er ins Maul und zog dann wieder mit den Pfoten nach, bis er das Futter gesichert hatte. Ein solches Verhalten wäre beim Menschen gewiß als absichtsvoll bezeichnet worden, und es führt kein Weg um die Schlußfolgerung herum, daß auch der Kater absichtsvoll handelte, meint Adams. Der Forscher stellte einen Futternapf in eine Kiste und befestigte eine Schnur daran, die außerhalb der Kiste baumelte, so daß das Futter, wenn an der Schnur gezogen wurde, in Reichweite kam. Diesem Test unterzog er Taps, die mit der Schnur spielte und den Napf versehentlich heranzog. Sie hielt inne, als sie die Bewegung des Napfes vernahm, und betrachtete die Vorrichtung nachdenklich. Nichts weiter passierte, und sie stapfte prüfend im Raum -195- umher. Im Vorbeigehen schlug sie nach der Schnur, und wieder bewegte sich der Napf. Diesmal ging sie nach einem Blick von nur zwei Sekunden auf die Leber zur vergitterten Seite der Kiste und holte die Leber mit den Pfoten heraus. Fünf Minuten später holte sie sich das Futter unverzüglich, und in den folgenden Versuchen benötigte sie nie mehr als zwanzig bis fünfundzwanzig Sekunden dazu. Auch eine Katze namens Chip lernte diesen Trick bereitwillig. Dann komplizierte Adams ihn ein wenig; er ließ drei Schnüre aus der Kiste hängen, und nur eine war mit dem Futter verbunden, und zwar die einzige Schnur von den dreien, die bisher nicht benutzt worden war und daher auch keinen vertrauten Geruch ausströmte. Chip war im Begriff, nach der ersten vertrauten Schnur zu greifen, nahm sie aber nicht. Stattdessen richtete sie den Blick auf das andere Ende der Schnur und nahm dann zielstrebig die richtige, zog sie heraus und fraß die Leber. Dazu brauchte sie fünfundzwanzig Sekunden. Chip arbeitete sich weiter nach oben. Adams unterzog einige seiner Katzen dem Erinnerungstest, der schon auf verschiedene Tiere angewendet wurde. Das zu testende Tier wird in einem Käfig in die Mitte des Versuchsraums gestellt. In jeder Ecke des Versuchsraums steht eine Kiste, und vor den Augen des Tieres stellt der Versuchsleiter einen gefüllten Freßnapf in eine der Kisten. Dem Tier sind ein paar Minuten zum Überdenken der Situation gestattet, dann wird es über eine Zeitspanne zwischen wenigen Minuten und mehreren Stunden aus dem Raum genommen. Es wird wieder in den Raum gebracht und freigelassen; sucht es das Futter nun in der richtigen Kiste? Bei den Versuchen mit Katzen fielen die Ergebnisse unterschiedlich aus, doch viele von ihnen erreichten die -196- höchste Punktzahl, und viele von den Fehlschlägen, so bekannte Adams hinterher, waren wohl eher seiner Dummheit als der der Katzen zuzuschreiben. Adams war ein außergewöhnlicher Forscher, bereit, Schuld auf sich zu nehmen, bereit, Zugeständnisse zu machen. Über lange Zeit hinweg versuchte er, ein Experiment auszuarbeiten, das mit dem auf Affen angewandten vergleichbar wäre, die – manchmal – lernten, Kisten zu verschieben und zu stapeln, um an einen außer Reichweite aufgehängten Köder zu gelangen. Eine ganze Reihe von Forschern, so müssen wir leider vermuten, würde annehmen, daß Katzen, wären sie genauso klug wie Affen, ebenfalls Kisten stapeln könnten. Als die Katzen versagten, schrieben sie den Fehlschlag ihrer Dummheit zu. Adams allerdings war bewußt, daß ein Fuß ungenügender Ersatz für eine Hand ist. Adams arbeitete lange und sorgfältig an der Herstellung von Bedingungen, die der Katze gegenüber dem Affen gleiche Chancen im Hinblick auf das Stapeln von Kisten einräumten, konnte letztendlich aber nicht den gewünschten Erfolg verzeichnen. Das Ergebnis bleibt offen; jedem Katzenbesitzer steht es frei, seine Katze diesem Experiment zu unterziehen. Doch es ist schwer, so zu denken wie ein Wesen ohne Hände: Affen schneiden immer am besten ab. Wie viele andere Forscher auch in den Jahren, als Katzen extensiv in psychologischen Experimenten eingesetzt wurden, bezweifelte Adams, daß die angeborene mentale Unterschiedlichkeit von Katze und Affe so groß ist wie allgemein angenommen. Er glaubte, daß die Grenzen der Adaption von Katzen womöglich den von Primaten, ja sogar von Anthroiden erbrachten Leistungen viel näher sind als bislang vermutet. Hin und wieder stellte er sogar fest, daß seine Katzen in -197- Vorgehensweise und Zeitaufwand mit Kindern vergleichbar sind, die häufig ähnlichen Tests unterzogen werden dabei aber gewöhnlich nicht auf dem nackten Boden einer Scheune schlafen oder bei einer Diät aus Mehl, Alfalfa-Schrot und Talg ihr Bestes geben müssen. Nach einigen mit Katzen verbrachten Jahren hatte Adams sich eine gute Meinung von ihnen gebildet. Er schrieb ihnen, wie nur wenige vor ihm, fortgesetzte Umsetzung erprobter Vorstellungen, gewöhnlich Nutzung deutlicher Vorstellungen und gelegentlich, aber selten, Nutzung freier Vorstellungen zu; er neigte zu der Annahme, daß Katzen, da die Häufigkeit freier Vorstellungen Ergebnis einer Reihe von Assozia tionen ist, solche Vorstellungen in ihrer gewohnten Umgebung, von der sie zahlreiche Assoziationen haben, wahrscheinlich viel selbstverständ licher anwenden, als aus ihrem Verhalten unter experimentellen Bedingungen geschlossen wer den kann. Er glaubte, bei einigen seiner Katzen die Wahrnehmung von Ähnlichkeit in der Verschiedenheit zu erkennen, womit sie auf der Schwelle zur Schlußfolgerung und damit zum rationalen Denken stehen würden. Katzen wurden zudem getestet, um die Frage nach ihrem Heimfindungsinstinkt zu klären – mag sein, daß sie einen hoch entwickelten kinesthetischen Instinkt besitzen, den primitiven Muskelsinn, der Experimenten zufolge bei vielen Tieren von entschieden größerer Empfindlichkeit ist als beim Menschen, oder aber der Heimfindungsinstinkt hat auf irgendeine geheimnisvolle Art eine elektronische Grundlage. Katzen wurden kopfüber fallengelassen, damit sie unter Beweis stellten, daß sie sich umdrehten – dank der Nutzung ihres Schwanzes? dank der Gleichgewichtsorgane in ihrem Innenohr? Die Wissenschaft interessiert sich oft für äußerst geheimnisvolle Dinge und nimmt gelegentlich einiges auf -198- sich, um etwas zu beweisen, was nie in Frage gestellt wurde. Keine ausgefeiltere Reihe von Experimenten an Katzen wurde je durchgeführt als die im Jahr 1929 und den ersten vier Monaten von 1930 unter der Leitung von Audrey M. Shuey mit zweiundachtzig jungen Katzen im Tierlabor der psychologischen Abteilung der Columbia Universität. Nach Miss Shueys Meinung lag die Schwäche früherer Experimente darin, daß zu wenig Katzen verwendet wurden, und sie benutzte eine Menge; sie fand die früheren Tests ziemlich vom Zufall beeinflußt, wogegen in ihren nichts dem Zufall überlassen blieb. Ihre Tests wurden nämlich elektronisch gesteuert, was den Menschen, sofern sie nicht gerade auf dem Land leben, unfehlbar erscheint. Ihre Vorrichtung bestand aus zwei ineinander gestellten runden Käfigen. Das Lockmittel befand sich im inneren Käfig. Im Boden des Rundgangs zwischen den Käfigen waren in regelmäßigen Abständen drei leicht erhabene, aber ansonsten nicht unterscheidbare Platten eingelassen. Je nach Laune des Versuchsleiters öffnete Druck auf eine oder mehrere dieser Platten – wenn mehr als eine betroffen war, dann in erkennbarer Reihenfolge – ein Türchen im inneren Käfig und somit den Zugang zum Futter. Zu verschiedenen Zeitpunkten wurden fünfundvierzig Jungkater und siebenunddreißig Jungkatzen, alle zu Beginn des Experiments zwischen acht und neun Wochen alt, in diese Vorrichtung gesetzt, während Miss Shuey, wahrscheinlich mit den Gedanken bei ihrer Promotion, zuschaute. Nachdem mit ein paar Tieren vorweg experimentiert worden war, wurde beschlossen, daß die Testreihe folgendermaßen ablaufen sollte: Zuerst würde der Zugang zum Futter sich bei Druck auf eine beliebige Platte öffnen, -199- dann bei Druck auf zwei beliebige und schließlich bei Druck auf alle drei. Die Kätzchen hatten für jeden Test fünf Minuten Zeit; Versagen wurde durch halbstündiges Einsperren ohne Zugang zum Futter geahndet. Eine ganze Reihe von Kätzchen unternahm in den ersten fünf Minuten zunächst einmal gar nichts; eine gewisse Anzahl versagte, indem sie nur dasaß oder sich putzte, mit dem Schwanz spielte, nach Schatten jagte, herumsprang, sich wälzte, an den Wänden entlangstrich. Sie zeigten auch die Neigung, von Zeit zu Zeit einzuschlafen, ein Verhalten, das die Versuchsleiterin verärgerte. Doch sie alle erlernten die ersten drei Schritte. Die Anzahl der benötigten Versuche zum Erlernen der ersten Stufe – auf eine beliebige Platte zu drücken reichte von neun bis 136, die zweite Stufe beanspruchte zwischen einem und siebzig Versuchen, die dritte von einem bis 121 Versuchen. Die große Unterschiedlichkeit der verschiedenen Lernkriterien wurde von einigen wenigen individuellen Tieren stark erhöht, bemerkt Miss Shuey ein bischen mürrisch. Und sie schreibt auch noch: »Unter den Jungkatzen fand sich keine, die einen Schritt ›plötzlich‹ erlernte, in dem Sinne, daß auf einen ersten Zufallstreffer eine Reihe von perfekten Vorstellungen folgte. In wenigen Fällen gab es jedoch die geringe Anzahl von sechs bis zehn zufälligen Erfolgen, denen dann eine Reihe von fünf bis neun gelungenen Versuchen folgte. Bei diesen Gelegenheiten war der Blick der Katze stets auf die innere Tür gerichtet, wenn sie zufällig auf die Platte traten und dabei sahen, daß die Tür sich öffnete.« Der letzte Satz sollte eigentlich kursiv gedruckt werden, wenngleich Miss Shuey seine Bedeutung, zumindest typographisch, wohl nicht anerkannte. Offenbar hat die Katze doch, wenn sie etwas mit dem Fuß tut und gleichzeitig in einiger Entfernung etwas passieren sieht -200- und beides in Verbindung bringt, eine Schlußfolgerung gezogen. (Man darf nicht vergessen, daß Katzen keine Erfahrungen mit Fernbedienungen haben. Die Vorstellung von in Raum oder Zeit entfernten Beziehungen ist das Ergebnis der Fähigkeit des Menschen, solche Beziehungen mechanisch herzustellen.) Anscheinend versehentlich stieß Miss Shuey, vielleicht sogar ohne es zu bemerken, auf ein ziemlich bemerkenswertes Beispiel von Deduktion im Bewußtsein der Katze. Ihr erschien es verständlich, daß Katzen schneller lernen, wenn sie sehen, was geschieht, und genauso war es. Es war verständiges Verhalten seitens der Katzen. Miss Shuey war allerdings, sofern ihre Veröffentlichung ihre Schlußfolgerungen richtig wiedergibt, gleichermaßen interessiert an dem Umstand, daß achtzig Prozent ihrer Katzen mit den Vorderpfoten auf die Platten traten oder lediglich hinübergingen, wenngleich schwer zu erkennen ist, was diese Tatsache über Katzen aussagt, abgesehen davon, daß sie ihre Vorderpfoten am vorderen Teil ihres Körpers trägt. Einige Katzen setzten sich natürlich auch auf die Platten. Um alle drei Schritte der ersten Testreihe zu erlernen, benötigten drei Katzen von einundzwanzig bis zu drei ßig Tests, vierzehn von einundfünfzig bis achtzig, siebzehn von einundachtzig bis 120, vierzehn von 121 bis 170, drei von 181 bis 230 und ein armer Trottel 271. Nachdem sie so weit fortgeschritten waren – auf die Zurückgebliebenen wartete Miss Shuey nicht – wurden die Kätzchen etwas komplizierteren Tests ausgesetzt: Um an das Futter zu gelangen, mußten sie zuerst auf alle drei Platten treten und dann auf eine von den beiden nicht zuletzt berührten; dann auf alle drei und noch einmal auf zwei; schließlich auf sechs, wieder ohne unmittelbare Wiederholung. Für die Übriggebliebenen wurde dann mit jedem Test noch eine Platte hinzugefügt, bis es, um auf Stufe zwölf an das -201- Futter heranzukommen, notwendig gewesen wäre, jede Platte viermal zu berühren. Diese Aufgabe meisterte keines der Kätzchen, zwei jedoch, beiderlei Geschlechts, brachten es bis auf elf Platten. Eines gab mitten im Geschehen die ganze Sache auf und jagte lieber seinen eigenen Schwanz, eine irgendwie doch vernünftigere Beschäftigung. Danach wurde von den Kätzchen – inzwischen waren sie Katzen, und zwar Katzen mit einer merkwürdigen Weltsicht – verlangt, in bestimmter Reihenfolge auf die Platten zu treten, und auch in diesem Test erwiesen sich die individuellen Unterschiede als sehr groß. Auch bei diesen Versuchen brachte es ein Pärchen weiter als die anderen. Drei von den vier klügsten Katzen waren Kater; die Weibchen erzielten bei den grundlegenden Tests einen besseren Durchschnitt; die Versuchsleiterin fand keine Rangübereinstimmung zwischen den grundlegenden und den späteren, komplizierteren Tests. Nie im Leben, so könnte man meinen, ist auf ausgefeiltere Art und Weise der Beweis erbracht worden, daß manche Katzen klüger sind als andere. Was sonst noch bewiesen wurde – außer versehentlich der Tatsache, daß Katzen offenbar Ursache und Wirkung in Beziehung setzen können -, ist nicht ganz klar. Es ist gewissermaßen interessant zu erfahren, daß Intelligenz bei Katzen genauso variiert wie bei Menschen: ganz oben ein paar Genies, ganz unten ein, zwei Idioten, in der Mitte die statistische Schwemme, zu der auch die meisten von uns gehören. Es ist lehrreich zu erfahren, daß die Wissenschaft, ähnlich einem kleinen Kätzchen, hin und wieder ihren eigenen Schwanz jagt… Von allen Versuchsreihen erscheinen uns die von Adams als die produktivsten. Fraglos lassen wir uns mehr von wissenschaftlichen Beweisen von Intelligenz bei Katzen -202- beeindrucken als von Beweisen in umgekehrter Richtung. Das liegt zum Teil daran, daß wir Katzen mögen, zum Teil aber auch daran, daß wir eine ganze Menge Katzen kennen, die uns so ziemlich alle intelligent vorkamen. Die Katzen unserer Bekanntschaft ähnelten in fast jeder Hinsicht Adams´ Katzen und nicht Thorndikes; in diesem Punkt findet unsere Beobachtung überwältigende Unterstützung in allem, was von Menschen, die Katzen am besten kannten, über Katzen geschrieben wurde. Der Mensch weiß am besten Bescheid über das, womit er am meisten zu tun hat, und gewöhnlich hat man nicht viel zu tun mit einem Tier, das man nicht mag. Wir können viel über die Intelligenz kleinerer Affen erfahren, und diese scheint im großen ganzen der unseren zu gleichen. Das Bewußtsein der Katze ist vor uns abgeschirmt, und die Barriere zwischen dem ihren und dem unseren mag, wie Mr. Adams bereitwillig zugab, gleichermaßen von unserer Dummheit wie auch von der der Katze errichtet werden. Wir können nur vermuten, daß die Katze anders denkt als wir, und nicht nur deshalb, weil die Katze weniger denkt. Sie kann sich auf uns einstellen, und in diesem Einstellen erhaschen wir vielleicht einen vagen Blick auf das, was in ihrem Bewußtsein vor sich geht. Es kann jedoch auch durchaus so sein, daß von den zwei Welten, in denen die Katze lebt, die unsere die geringere ist und die Katze in ihr nur einen kleinen Teil ihres Bewußtseins nutzt, um sich in ihrer eigenen Welt voll auszuleben. Dort zeigt sie sich vielleicht in ihrem vollen Glanz, nicht aber vor Zweibeinern, die sie zwar mag, denen zu gefallen sie sich jedoch keine übermäßig große Mühe gibt. Nicht einmal dieses letztere, eines der Dinge, die alle Menschen über Katzen »wissen«, ist endgültig sicher. Hin und wieder, wenn Martini dasitzt und uns aus runden, für -203- ihren Kopf viel zu großen Augen anschaut, wenn sie ein wenig blinzelt, während wir ihren Namen aussprechen, wäre es ein Leichtes, etwas wie Anbetung in ihrem Bewußtsein zu unterstellen. Würde ein Hund uns so ansehen, bestünde gar kein Zweifel. Falls Martini überhaupt einmal »anbetet«, dann mit dem Gefühl einer Art Losgelöstheit, beinahe der Erhabenheit. Das hat mit praktischen Dingen nichts zu tun; als Tier unter Tieren wird sie sich weiterhin verhalten, wie es ihr paßt, nicht, wie wir es wünschen. Ihre Haltung ist vielleicht die eines Philosophen. Es wäre überaus erfreulich, glauben zu können, daß Martini uns so betrachtet; wenn eine Katze einen Menschen bewundert, dann muß mehr hinter diesem Menschen stecken, als auf den ersten Blick sichtbar wird. Aber auch wir können nicht in ihr Bewußtsein vordringen. Wir sind nicht so dumm, sie nach menschlichen Standards zu testen. Leider kennen wir aber auch keine anderen. Martini lebt in unserer Welt, doch in die ihre können wir nicht eindringen. -204- Zwölftes Kapitel Ein, zwei, viele Kätzchen Ein Hauptanliegen allen Tierlebens ist die Reproduktion, um die Welt mit Hunden, Kaninchen, Kühen und Kartoffelkäfe rn zu füllen, und manche dieser Tiere bringen dabei auf geradezu lächerliche Weise Rekordleistungen zustande. So ziemlich jedes Lebewesen würde, in Ruhe gelassen, zur einzigen Spezies werden und allen verfügbaren Raum besetzen, alles an Nahrung verzehren, bis keine Lösung außer Kannibalismus mehr übrigbliebe. Katzen sind ganz besonders interessiert an der Vermehrung von Katzen, und sie machen auch keinen Hehl daraus. Ihre Liebesbeziehungen sind von heißblütiger Gewalttätigkeit und viel Geschrei geprägt; wenn Super-Katzen Liebeslieder schreiben würden, berichteten sie alle von den dunklen Verzweiflungen der Liebe, aber nie von ihren schönen Seiten. Einmal unternahmen wir eine Wanderung über Land, und einige Meilen begleitete uns ein Rudel Hunde, das zufällig denselben Weg hatte. Unter der Vorhut befand sich eine schöne, recht selbstzufrieden wirkende Hündin, und neben ihr trabte ein ansehnlicher, großer Rüde, der ebenfalls nicht gerade unzufrieden mit sich selbst aussah. Hinter diesen beiden, offensichtlich einem Liebespaar, -205- folgte eine Ansammlung von großen und kleinen Hunden jeder Rasse und Mischung, und ganz am Ende, etwa eine Viertelmeile hinter den anderen, rannte, keuchend trotz des kühlen Tages, der kleinste von allen, ein zerzaustes Restchen der Gattung Hund, dem alle anderen um Längen voraus waren. All diese Hunde trabten in Freundschaft miteinander einher, obwohl sie, getrieben von demselben Wunsch, im Grunde Rivalen waren. Der erwählte Rüde störte sich nicht an den Verfolgern, die Verfolger störten sich nicht aneinander und versuchten auch nicht, das Objekt ihrer Sehnsucht auf irgendeine Weise zu belästigen. Es war die freundschaftlichste Massenwerbung, die man sich vorstellen kann, und außerdem natürlich ein bischen absurd. Zwar war es nett, diese Fröhlichkeit und Kameradschaft zu beobachten, und dennoch fehlte in dem Schauspiel die dramatische Besessenheit, die Menschen gern in Herzensdingen vorgeführt bekommen. Außerdem fehlte jegliche Spur von Anstand und Würde. Müßte eine Katze Zeugin einer solchen Liebesparade werden, wäre sie bis in die innersten Fasern ihres gewalttätigen Herzens schockiert. Für eine Katze hat Liebe nicht das geringste mit Friedfertigkeit zu tun; Gruppenwerbung ist undenkbar. Wie es das Ziel der Katze ist, die Welt mit Katzen zu füllen, so richtet sich das Bestreben des Katers darauf, so zu leben, daß er der einzige Kater auf der Welt sein wird, und diesen Ehrgeiz zu stillen, ist er jederzeit bereit. In Anwesenheit einer paarungsbereiten Katze würde jeder Kater bereitwillig zum Mörder aus Liebe; er duldet keinen einzigen Rivalen. Auch kann nicht der geringste Zweifel aufkommen, wenn ein Weibchen paarungsbereit ist. Wie bei den meisten vierfüßigen Tieren und im Gegensatz zum Menschen ist diese Bereitschaft in der Katze nicht ständig -206- gegeben, sondern überkommt sie von Zeit zu Zeit. Ein paar ruhige Katzen befällt diese Empfängnisbereitschaft, wenn so ein mildes Wort für eine derartige Leidenschaft überhaupt benutzt werden darf, nur ein paarmal pro Jahr. Andere Katzen erleben sie häufiger, so daß sie, wenn nicht unter Kontrolle gehalten, ununterbrochen Junge bekommen – oder zumindest so ununterbrochen, wie eine Schwangerschaft von dreiundsechzig Tagen es gestattet. Und einige wenige, die allerdings den Tierarzt aufsuchen sollten, sind fast ständig rollig oder, um es etwas höflicher auszudrücken, empfängnisbereit. Katzen kennt man erst richtig, wenn man einmal eine Woche oder zehn Tage mit einem Weibchen auf Partnersuche zugebracht hat. Dann zeigt sie ihr wahres Gesicht, was empfindlichen Menschen geradezu peinlich werden kann. Daß alte Jungfern gern Katzen um sich haben, was tatsächlich auf viele zutrifft, zeigt, daß sie im Grunde viel härter im Nehmen sind als Nicht-Enthaltsame gewöhnlich vermuten. Jemand, der mit einer nicht sterilisierten Katze oder einem nicht kastrierten Kater lebt, lernt die harten Fakten des Lebens zwangsläufig kennen. Kein Tier, abgesehen vielleicht vom Menschen, wenn er völlig enthemmt ist, kennt so wenig Zurückhaltung wie ein Katzenweibchen, wenn es ihr in den Sinn und in jede Faser ihres Körpers kommt, daß es Zeit ist, Mutter zu werden. Gestern noch war sie so ein munteres Ding, dachte an nichts als an Jagerei, Fressen, ein bischen Spielen und eine Menge Schlaf sowie etwas Zärtlichkeit von Seiten des Menschen. Heute ist sie keineswegs mehr fröhlich; heute ist die geballte Düsternis ihrer Rasse in ihre Seele eingedrungen, mitsamt all der Entschlossenheit, die ihre Rasse so zäh macht. Heute ist sie von Verlangen getrieben, sie wälzt sich wie wahnsinnig auf dem Boden und vollführt andere Bewegungen, die vielleicht nur -207- beobachtet, nicht aber beschrieben werden sollten. Und dann ruft sie, wie man so sagt – wie man sagt mit der angelernten Untertreibung höflicher Umgangsformen, derer der Mensch sich bedient, um die Natur umzugestalten und in den Bereich guten Benehmens zu pressen. Sie ruft nicht unablässig, wenn sie rollig ist. Selbst dann geht die Katze auch noch anderen Beschäftigungen nach – sie schläft, aber äußerst wenig, gewöhnlich, wenn auch nicht immer, frißt sie, fast immer trinkt sie Wasser. Zu solchen Zeiten uriniert sie auch sehr häufig und zwar trotz ihres Trainings beinahe überall, wo es ihr paßt. Und sie streift im Kreise in einem Zimmer herum, als wäre sie eine Tigerin im Käfig, und soweit sie es versteht, ist sie tatsächlich eine Tigerin. Immerzu im Kreis herum läuft sie, und dann, an einem bestimmten Punkt des Kreises, bleibt sie stehen und schreit. Ihr Schrei ist wild und nahezu angsteinflößend. Obwohl man sie kennt, weiß, daß sie selbst jetzt eine sanfte Katze ist, die ihre Krallen dem Menschen zuliebe einzieht, schaudert man unwillkürlich, besonders, wenn sie bei Nacht schreit, in die Dunkelheit hinaus. Dieser wilde, aufund abschwellende Schrei, dieser verzweifelte Schrei stammt aus der Finsternis des Urwaldes und hallt wider aus der Finsternis menschlicher Ängste. Als wir noch auf Bäumen hockten und unsere Greifschwänze um den nächsten Ast schlangen, müssen solche Schreie, mannigfach verstärkt, oft genug den Urwald erfüllt haben. Dann machten sich die kleinen Affen wahrscheinlich noch kleiner, duckten sich vor einem allzu gut bekannten Monster und vor einer Wildheit jenseits ihres Verständnisses. Noch immer peinigt dieser Schrei auf geheimnisvolle Art, auch wenn er nur von den Wohnzimmerwänden einer Stadtwohnung widerhallt, die Ohren des Menschen, und nicht nur aufgrund seiner -208- Disharmonie. Dieser Schrei ist unbeschreiblich wild; er erinnert uns an unsere Zahmheit, an unsere bereitwillige Hinnahme, vielleicht auch an unsere oberflächliche Reaktion auf Dinge von äußerster Wichtigkeit. Eine Katze, die ruft, lebt bis zum Exzeß und macht fraglos Lärm bis zum Exzeß, aber sie lebt ihr Leben weiß Gott voll aus oder versucht es zumindest. Und jedes Männchen innerhalb der Reichweite ihres Rufs weiß, wo sie ist und was sie will, und die Kater sammeln sich – fauchend, bereit zum Kampf, der der Verzückung vorausgeht -, um ihr Begehren zu stillen. Handelt es sich um eine Mietwohnungskatze, ist ihr Ruf vielleicht zwischen Wänden gefangen, und nur die Nachbarn reagieren auf ihr Begehren, allerdings indem sie an die Decke klopfen oder mehr oder weniger höflich telefonisch anfragen, ob man nicht irgendwas – ganz gleich, was – gegen diese Katze unternehmen könnte. Die Katze aber gibt nicht auf, solange sie rollig ist, und das scheint manchmal eine Ewigkeit zu dauern. Sie weiß, daß es Kater auf der Welt gibt, allein schon die Dringlichkeit ihres Verlangens versichert sie dieser Tatsache, auch wenn sie im Leben noch kein Männchen zu Gesicht bekommen hat. Die Zweifel des Menschen kennt sie nicht. Höchste Erwartungen stellen die Existenz des verlangten Objekts außer Frage. Irgendwo auf der Welt, soviel weiß die Mietwohnungskatze, gibt es noch eine Katze, ihr ähnlich und doch wieder nicht, der es gegeben ist, ihre Sehnsucht zu stillen. Martini pflegte in der New Yorker Wohnung umherzustreifen, schrie mal am Fenster, mal an der Tür. Als sie noch sehr unerfahren war, schrie sie manchmal auch einen ihrer Menschen an, als wollte sie sagen: Ihr habt mir schon so viel Erfreuliches gegeben, da könnt ihr mir doch sicher auch dies geben, ohne das ich sterben -209- muß. Hier vor euren Augen, fügte sie dann noch hinzu, legte sich hin und wand sich auf dem Teppich. Wir, die wir zu der Zeit keine Jungen wollten und außerdem wußten, daß sie zu jung für die Mutterschaft war, konnten nur mit ihr reden – was ihren Zustand noch verschlimmerte – und mußten jede Berührung vermeiden, weil es sie in ekstatische Krämpfe versetzte, was bei Weibchen in diesem Zustand üblich ist. Gegen Ende ihres erwartungsvollen Lebensabschnittes, bevor sie endlich ihre Jungen bekam und dann auf chirurgischem Wege von ihrem Verlangen erlöst wurde, fand sie ein Mittel, das von ihrer Seite zwar klug eingesetzt war, uns und den Leuten, die über uns wohnten, jedoch das Leben noch schwerer machte. Martini verlegte ihr Schreien ins Badezimmer, aus dem wir sie nicht fernhalten konnten, da der Riegel nicht funktionierte. Von den gekachelten Wänden und den Armaturen hallten ihre Schreie unglaublich laut wider, und durch die Lüftung drangen sie in die Stockwerke über uns und sicherlich auch in einen beträchtlichen Teil der Stadt. Oft dachten wir, auf dem Dach müßten dicht an dicht die fauchenden Kater sitzen, zumal Martini mit ihrer siamesischen Stimme noch lauter und verzweifelter schrie als eine Durchschnittskatze. Was das Schreien einer Katze in der Nacht bedeuten kann, weiß man erst richtig, wenn man eine rollige Siamkatze gehört hat. Auf dem Lande stellte Martini im Grunde ein noch größeres Problem dar. Wenn wir schon junge Kätzchen bekommen sollten – und Martini erweichte uns ziemlich schnell -, dann wollten wir Kätzchen von Martinis Art, wenngleich wir Jerry und Pammy gekannt und geliebt hatten, die hybride Siamkatzen waren. Das bedeutete, daß wir einen Partner für Martini aussuchen mußten, was -210- wiederum bedeutete, daß sie während ihrer rolligen Phasen im Haus gehalten werden mußte selbst auf die Gefahr hin, daß es uns alle drei umbrachte. Diese Zeiten waren voller Verzweiflung, und hin und wieder entwischte Martini doch. Allerdings fingen wir sie jedesmal wieder ein, bevor ein Kater sich ihr nähern konnte. Jedenfalls waren wir wie auch sie entnervt, wenn sie rollig war, und als sie irgendwann anfing, fast ständig rollig zu sein, waren wir fast ständig entnervt. Auf dem Lande lockte sie natürlich Kater an, die dann vor der Tür saßen und zurückschrien. Einmal hätte sie sich um ein Haar einen ihrer Wahl gesichert. Ein großer falber Kater sprang auf den Holzstapel vor dem geschlossenen Fenster, durch das Martini in die Welt hinaus schrie. Er betrachtete sie, erschrocken entweder über ihre Erscheinung oder aber ihre Stimme, und kletterte aufs Dach. Martini war völlig aus dem Häuschen. Wild, mit neuer Verzweiflung schreiend, sprang sie auf den Kaminsims und versuchte von dort aus verbissen, durch die Decke zu ihrem Kater zu gelangen. Kurz nach diesem Vorfall, der ein gewisses Gefühl der Beschämung in uns hinterließ, arrangierten wir ein Treffen für sie mit einem ausgewählten Kater, sozusagen unter rechtlich abgesicherten Bedingungen. Wer unkastrierte oder nicht sterilisierte Katzen hält, muß, ganz gleich, ob auf dem Land oder in der Stadt, auf ein Leben gefaßt sein, in dem das Geschlechtsleben der Katze eine beträchtliche, wenn nicht eine Hauptrolle spielt. Zugegeben, Martini war gewalttätiger als andere rollige Katzen – sie war und ist eine Katze, die alles sehr ernst nimmt, und hatte außerdem Zysten an den Eierstöcken, die der Grund dafür waren, daß sie so selten Pause hatte. Doch auch die normalste und sanfteste Katze ist nahezu genauso entschlossen – sie will Junge haben, -211- und damit basta. Ein unkastrierter Kater stellt ein Problem oder eine Reihe von Problemen dar, die nicht unbedingt einen solchen Einschnitt im Leben mit sich bringen, dafür aber anhaltender sind. Das Hauptproblem und auch das schwierigste besteht darin, daß ein Kater, ob eingesperrt oder nicht, Duftmarken setzt, im Haus an Wänden und Türen, draußen an allem, was sich ihm bietet. Das geschieht, indem er sich der Stelle rückwärts nähert und Urin von strengem unverkennbaren Geruch verspritzt, womit er vermutlich andere Katzen beiderlei Geschlechts davon in Kenntnis setzen will, daß er in der Nähe ist, bereit zur Liebe oder zum Kampf. Diese Angewohnheit wie auch der Umstand, daß die Toilette eines Katers genauso stinkt, macht die Haltung eines Katers in der Stadtwohnung äußerst schwierig; alles riecht nach Katze, wie Leute feststellen, denen nie aufgefallen ist, daß die meisten von Katzen und Menschen bewohnten Wohnungen überhaupt nicht nach Katze riechen. Weibchen, ob sterilisiert oder nicht, und kastrierte Kater hinterlassen keinerlei Gerüche. Ihre Exkremente stinken natürlich, doch darin bilden sie keine Ausnahme. Der Kater in einer Wohnung ist zudem so wild entschlossen herauszukommen, daß er gewöhnlich jeden bis auf den unbeugsamsten Menschen herumkriegt – und unbeugsame Menschen sind gewöhnlich nicht von der Art, die Katzen mag. Napoleon zum Beispiel hallte Katzen fast bis zum Wahnsinn. Ist der Kater erst einmal draußen in der Stadt, kommt er zurück, wann es ihm paßt, meistens spät in der Nacht, und die Gefahr, ihn durch einen Unfall zu verlieren, ist entsprechend groß. Freilich kommt er nicht nach Hause, um Junge zu bekommen; es kann aber auch sein, daß er gar nicht zurückkommt. Unser Pete war etwa anderthalb Jahre unkastriert und -212- äußerst unternehmungslustig. Wir liefen ihn meistens nach draußen, wenn seine Forderung unerträglich wurde, was fast immer der Fall war – und monatelang saß er dann| auf der Treppe, wenn wir spät am Abend aus dem Theater kamen, dem wir damals unser Berufsleben ge widmet hatten. Dann saß er eines Abends nicht auf der Treppe, und unser Rufen brachte ihn nicht zurück, auch der nächste Tag nicht. Vierzehn Tage lang blieb er aus, und wir hatten schon die Hoffnung aufgegeben. Doch dann, eines Nachmittags, kam er zurück – ein schwarzer Schatten, der die Treppe hinaufhuschte und an der Küchentür kratzte, um kurz mit Elizabeth zu schimpfen, die sich nicht genügend beeilt hatte, ihn hereinzulassen, um Unmengen zu fressen und dann unverzüglich in einen tiefen Schlaf zu sinken. Sein Aussehen ließ vermuten, daß er die ganzen zwei Wochen lang nichts gefressen hatte, doch wir zweifelten nicht daran, daß er gehörig auf den Putz gehauen hatte. Nach diesem Erlebnis waren wir erstmalig, wenn auch sehr widerwillig, dazu bereit, eine Katze ihrer Geschlechtskraft zu berauben. Wir taten es keineswegs bereitwillig und überhaupt erst nach langen, betrübten Überlegungen. Einer von uns hatte oft genug gesagt, daß er niemals die Verantwortung für das Kastrieren oder Sterilisieren einer Katze auf sich nehmen würde, der andere, gemäßigtere, war seiner Meinung. Die Theorie traf auf die Umstände, und die Theorie zog den kürzeren – und natürlich der Kater namens Pete. Doch Pete hatte noch viele, meist glücklich verbrachte Lebensjahre vor sich; er war ein hinreißendes Haustier und zum Schluß eine gehörige Portion von Kater. Unsere inzwischen besiegten Skrupel teilten wir mit vielen Katzenbesitzern, für die das Problem entschieden dringender ist als für Hundehalter. Eine Hündin kann eingesperrt werden, wenn sie heiß ist, und wenn es ihr -213- auch nicht gefällt, wird sie doch wenigstens nicht schreien. Ein Rüde geht seinen Geschäften einigermaßen leise nach und riecht nicht anders als sonst, was für eher an Katzen gewöhnte Menschen durchaus reicht. Ein Hundebesitzer stellt sich also nur hin und wieder dieser zugegebenermaßen beträchtlichen Verantwortung oder auch nicht. Das Geschlechtsvermögen anzutasten, bedeutet im Grunde nichts anderes, als das Leben selbst anzutasten und das Gemeinschaftsleben, das wir – größtenteils unbewußt, aber tief empfunden – als unendlich viel höher einschätzen als das individuelle, da es von Dauer ist im Gegensatz zum vergänglichen des Individuums. Die Angst vor Impotenz und in geringerem Maße sogar die Angst vor Sterilität ist dem menschlichen Bewußtsein tief eingegraben; vielleicht gibt es nichts, was noch tiefer geht. Insbesondere beim Mann ist der Verlust der Potenz extrem gefürchtet; genauso wie die Angst ums Leben nimmt der Soldat diese verwandte Angst mit in die Schlacht. Viele Männer würden lieber sterben als vorzeitig zu Eunuchen werden, oder glauben es zumindest, und das in hohem Maße ohne Rücksicht darauf, ob sie tatsächlich Kinder zeugen wollen oder von heftigem Verlangen getrieben werden. Es geht lediglich um das grundsätzliche Imstandesein. Vielleicht, weil das körperliche Risiko einer solchen Beeinträchtigung geringer ist und auch aus anderen naheliegenden Gründen sind Frauen dieser schleichenden Angst weniger stark ausgesetzt. Doch im Mitleid, das zum Teil aus Verachtung für zu Neutren gewordene Personen beiderlei Geschlechts besteht, halten sie es wie die Männer; der Eunuch ist gleichzeitig eine tragische und eine komische Gestalt und weckt zudem eine unbehagliche Verlegenheit. -214- Aufgrund seiner starken, tief im Unterbewußtsein verwurzelten emotionalen Beteiligung in diesem Punkt zögert der Mensch, anderen Tieren das Schicksal aufzuerlegen, das er selbst so fürchtet. Dieses Zögern ist bewundernswert in seinem Ausdruck von Menschlichkeit, wenn es auch natürlich nicht so weit gehen darf, daß es wichtigeren Dingen in die Quere kommt, wie zum Beispiel menschlichen Nahrungsquellen, wovon jeder Stier, bevor er reif für die Schlachtbank ist, ein Liedchen singen kann. Dieser Haltung zu entrinnen kann sehr schwer fallen; noch heute sind wir manchmal traurig, weil Martini keine Jungen mehr bekommen kann, und weil Gin und Sherry niemals Mutter waren und es auch nie sein werden. Allerdings wissen wir, daß diese nachträglichen Skrupel sentimental und anthropomorph sind. Als bedauerlich sentimental und anthropomorph sind sie zu bezeichnen, weil sie unseres Wissens auf einer völlig irrtümlichen Annahme beruhen. Wir vermuten, daß die Katzen einen schweren Verlustschmerz, unwiderrufliche Frustration empfinden, wie es Menschen unter ähnliche n Bedingungen ergehen würde. Unbewußt stellen wir uns vor, Martini würde kummervoll nostalgisch an frühere Tage denken und verzweifelt über ihre jetzige Einschränkung nachdenken; Gin und Sherry wären sich unglücklich bewußt, etwas verpaßt zu haben, wenn sie auch nicht recht wüßten, was. Und das stellen wir uns vor, nicht etwa weil die Katzen uns Anlaß zu der Vermutung geben, sie würden grübeln und bekümmert sein, sondern weil wir es einfach nicht restlos aus unserem menschlichen Bewußtsein verbannen können, daß Katzen dem Menschen so ähnlich sein müßten, wie sie es eben hinkriegen. Die Auswirkungen einer Kastration oder Hysterektomie auf Katzen sind dagegen im Grunde genommen meistens -215- nebensächlich. Beim Kater treten sie deutlicher zutage als bei der Katze. Der Kater wird, besonders wenn er in jungen Jahren kastriert wurde, wahrscheinlich fett und dadurch ein bischen träge. Er mag auch eine etwas eunuchenhafte Erscheinung annehmen. Das kann zu einem großen Teil umgangen werden, wenn man sich die oft gewaltige Mühe macht, einen kastrierten Kater nicht zu überfüttern, doch zweifellos erscheint der kastrierte Kater in seiner gesamten Struktur weicher. Manchen Katern steht es gut zu Gesicht, und solange das Tier nicht restlos überfüttert ist, schadet es seinem Äußeren auch kaum. Weitere Veränderungen sind geringfügig; man könnte den Eindruck gewinnen, daß die Stimme sich ein bischen dem Sopran annähert, doch abgesehen von Siamkatzen sind die meisten Katzenstimmen sowieso eher im Sopran angesiedelt. Die Katze jagt weiterhin mit dem gleichen Eifer wie zuvor, in Petes Fall nahezu ununterbrochen. Sie kämpft weiterhin gegen andere Katzen, die ihr über den Weg laufen, und auch Kater kämpfen unverständlicherweise weiter, wenn ihr Einsatz auch eher auf eine Rauferei als auf ein tödliches Duell schließen läßt. Frei von der Beschäftigung mit dem Geschlechtsleben bleiben sie verspielt, weit über die Zeit hinaus, da der unkastrierte Kater solch kindisches Verhalten längst abgelegt hat, und wahrscheinlich sind sie insgesamt einfach sanfter. Pete war schon vor seiner Operation ein sanfter Kater und blieb es auch hinterher, obwohl er zu den wenigen Katzen unserer Bekanntschaft zählte, die im Spiel mit Menschen nicht so recht auf ihre Krallen achten. Einige von Petes besten Freunden mußten sich das Blut von der Hand wischen, mit der sie ihn am Bauch gekrault hatten, was er sich überaus gern von Menschen gefallen ließ. Sie hielten ihn trotz allem für einen prachtvollen Burschen, der er ja auch war; sie spielten in dem Wissen, -216- was passieren würde, gern weiterhin mit ihm. Sie nahmen, wie wir auch, an, daß er lediglich ein bischen vergeblich war. Nach unserer nicht unbeträchtlichen Erfahrung mit sterilisierten Katzen stellten sich keine Veränderungen ein, die nicht sowohl für die Katze als auch für uns von Vorteil waren. Martini, die während der letzten Monate ihres Lebens als rollige Katze einem Nervenzusammenbruch so nahe war, daß sie unberechenbar wurde und sich ständig elend fühlte, ist jetzt so fröhlich wie ein junges Kätzchen, und sie spielt auch wie ein Kätzchen. Sie geht auf die Jagd, kämpft, wenn nötig, und hat weniger Sitzfleisch als die meisten Katzen, obwohl sie zur Entstehungszeit dieses Buchs schon fast fünf Jahre alt ist. Sie ist schwerer als vor der Sterilisation, teilweise weil sie gedrungen gebaut ist, und teilweise weil wir drei Katzen zusammen füttern und sie, wenngleich die kleinste, genauso viel frißt wie die anderen. Die anderen beiden, die in jungen Jahren sterilisiert wurden, zeigten überhaupt keine Beeinträchtigung, abgesehen von der gewünschten. Sie sind außergewöhnlich gesunde Katzen, haben kaum Fett am Leibe und sind, insbesondere Gin, schlank und muskulös, wie es eine Siamkatze nur sein kann. Durch Toben bauen sie die Energie ab, die sie sonst auf Schwangerschaften verwandt hätten. Sie wirken überschwenglich und auf unschuldige Weise glücklich, außer wenn sie nicht zur gewünschten Zeit nach draußen dürfen oder sich zerstritten haben. Unserer Meinung nach ist die sterilisierte Katze die ideale Gefährtin. Weibchen sind ganz allgemein irgendwie übersprudelnder als Männchen, auch anmutiger in ihren Bewegungen; uns kommen sie anhänglicher vor und, wenn uns dafür auch keine Beweise vorliegen, ein -217- bißchen intelligenter. Das sterilisierte Weibchen wirkt befreit, freier zweifellos, weil es der zwingenden Verpflichtung entbunden ist, die Welt mit Katzen zu füllen. Denn diese Zwänge, die die Katze treiben, verhindern, wie auch immer die düsteren Ekstasen geartet sein mögen, die sie kennt, auch die volle Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Nahezu unweigerlich verbringt sie ihre Zeit, sofern sie nicht unter Kontrolle gehalten wird, in einem Strudel von Verlangen, dann in einer ausgedehnteren Phase der Schwerfälligkeit und Plumpheit, gefolgt von einer kurzen Phase oft größter Schmerzen, und schließlich hängen ihr dann die Jungen am Schwanz, wenn sie schon längst wieder bereit ist, von vorn zu beginnen, und junge Kätzchen können einer Romanze sehr hinderlich sein. Die Mutterkatze hat wenig Zeit für sich selbst – um eine freie Katze mit zuckendem Schwanz zu sein, um holterdipolter über den Rasen zu springen, um wie ein Kaninchen durchs hohe Gras oder eine Schicht von Herbstlaub zu hüpfen, um mit der Pfote sanft nach einer Zinnie zu stupsen, damit sie schaukelt. Eine Mutterkatze hat ihr festes Arbeitspensum, und vielen sieht man es auch an, wenn sie reichlich mürrisch und hager wirken wie Menschenfrauen, die sich zu eifrig der Aufgabe gewidmet haben, die Welt zu bevölkern. Abgesehen von der Kastration gibt es unseres Wissens keine Lösung für einen Kater, der entweder ganz oder gar nicht Kater ist. Ein Weibchen kann auf chirurgischem Wege sterilisiert werden, ohne sein Geschlecht einzubüßen, doch dadurch entgehen sie und ihre menschlichen Gefährten lediglich der Geburt von Jungen, die doch – zumindest in den Augen der Menschen – das einzig Positive sind, was bei der ganzen Prozedur herauskommt. Dann wäre es schon vernünftiger, der Natur -218- ihren Lauf zu lassen. Vielen Menschen, die gern Katzen um sich haben, erscheint dies jedenfalls als die klügere Einstellung. Menschen, die es nicht über sich bringen, eine Katze ihres wenn auch noch so lästigen erfüllten Lebens zu berauben, oder die unbegrenzt Platz für Junge haben oder aber keine tiefverwurzelten Skrupel, die nicht unterzubringenden zu töten, oder die Katzen als Nutztiere halten und denken, je mehr Katzen, desto besser, all diese bevorzugen es vielleicht, der Katze ihr Geschlechtsleben zu lassen. Wer sich lediglich mit Freunden in Katzengestalt umgeben möchte, wird es natürlich anders sehen; wer nicht wünscht, daß seine Katze oder Katzen einen unverhältnismäßig großen Teil seiner Zeit in Anspruch nehmen, wird es anders sehen. Da ist es besser, seine Skrupel zu überwinden, mit dem Vermenschlichen aufzuhören und den Tierarzt zu rufen. Sowohl Männchen als auch Weibchen können zu beinahe jedem Zeitpunkt operiert werden, selbst, falls es unvermeidlich sein sollte, wenn das Weibchen rollig ist. Wenn sonst nichts dagegen spricht und der Besitzer sich dazu entschließen kann, operieren die meisten Tierärzte die Katzen lieber, solange sie noch jung sind, wenngleich die Veränderungen eines jung kastrierten Katers manchmal deutlicher zutage treten als bei einem im ausgewachsenen Alter operierten. Martini wurde im Alter von etwa zwei Jahren, ihre Töchter mit ungefähr sechs Monaten sterilisiert – nachdem sie übrigens beide schon einmal rollig gewesen waren. In Martinis Fall war die Operation unumgänglich, wurde ausgeführt, als sie gerade rollig war, und rettete ihr letztendlich das Leben. Ihre Töchter wurden aus Gründen unserer Bequemlichkeit sterilisiert, wenngleich sie schon frühzeitig Symptome der Zystenerkrankung gezeigt hatten, die ihrer Mutter für fast -219- ein Jahr das Leben zur Hölle gemacht hatte. Wie sich herausstellte, wäre auch für Gin und Sherry die Operation unumgänglich gewesen; weibliche Siamkatzen, vielleicht auch nur die aus der Umgebung von New York, scheinen ungewöhnlich anfällig für Eierstock-Zysten zu sein. Die Operation des Katers, ganz gleich in welchem Alter, ist nicht besonders schwer, sofern sie von kompetenten Händen ausgeführt wird. Katzen neigen gewissermaßen zu Blutungen, doch nahezu jeder Tierarzt – selbst der Viehdoktor auf dem Lande, dessen hauptsächliche Erfahrungen sich auf große Tiere beschränken – kann einen Kater kastrieren. Die Sterilisation einer Katze ist zugegebenermaßen etwas anderes; es ist eine schwere Operation, die, wie alle schweren Operationen, ein gewisses Risiko birgt. Das Risiko erhöht sich natürlich, wenn die Katze nicht in einwandfreiem gesundheitlichen Zustand ist, sei es nach langwährendem Rolligsein oder was auch immer, oder wenn die Katze zum Zeitpunkt der Operation gerade rollig ist. Gibt man sie in die Hände eines erfahrenen Chirurgen, ist das Risiko, die Katze zu verlieren, nicht groß, bleibt aber zugegebenermaßen auch dann noch bestehen. Doch die Geburt ihrer Jungen ist, ganz gleich, was Leute, die nie einer Katze bei der Geburt beigestanden haben, leichten Herzens behaupten, ebenfalls eine riskante Angelegenheit. Die Natur ist, läßt man ihr ihren Lauf, eine notorische Verschwenderin. Unvoreingenommen gegen Individuen, lehnt die Natur es doch keineswegs ab, einen um mehrerer anderer willen zu opfern; der Tod einer Katze zählt nichts angesichts der Wahrscheinlichkeit des Überlebens von einem halben Dutzend. Im allgemeinen ist diese Ordnung hinsichtlich der eigenen Art und auch anderer Tierfamilien natürlich akzeptabel. Aber im Einzelfall, im Hinblick auf einen geliebten Menschen oder -220- ein liebgewordenes Tier, wird man bemüht sein, diese Ordnung zu umgehen. Einem Sprichwort zufolge hat eine Katze wenig Probleme mit der Geburt ihrer Jungen. Manche haben es tatsächlich leicht, andere gebären unter großen Schwierigkeiten, wieder andere sterben bei der Geburt. Allgemein gesprochen haben kurzhaarige Katzen weniger Proble me als langhaarige, doch auf diese Faustregel kann sich ein Mensch, für den seine Katze eine Persönlichkeit ist, nicht bedingungslos verlassen. Niemand weiß, wie viele kurzhaarige Hauskatzen, unbeachtete Scheunenkatzen, nebensächliche Küchenkatzen, ersetzbare Ladenkatzen unter der Geburt sterben; die menschliche Gesellschaft hat wichtigere Sorgen. Doch wahrscheinlich stirbt eine ganze Reihe. Professionelle Züchter, deren Brieftaschen betroffen sind, überlassen bei der Produktion von Katzen nichts dem Zufall, vertrauen nicht aufs Glück und alte Sprichwörter. Sie benutzen keine Katze zu häufig zur Zucht, sie benutzen keine Katze, die zu jung oder körperlich, aus welchem Grunde auch immer, nicht auf der Höhe ist, sie benutzen keine Katze – sie werden sie nicht einmal weiter halten -, die körperlich so angelegt ist, daß eine Geburt unmöglich oder extrem problematisch wäre. Bloße Zuneigung ist oft keine so zwingende Macht wie Geld, doch sie könnte Katzenbesitzer dazu bewegen, sich ähnliche Gedanken um ihre Katzen zu machen. Daß Zuneigung nicht immer zu solchen Erwägungen führt, ist wahrscheinlich häufiger mit Unwissenheit als mit anderen Faktoren zu erklären - mit Unwissenheit und dieser verzückten Freude an kleinen Kätzchen, die selbst bei mit Katzen durchaus vertrauten Menschen zu einer derartig unbekümmerten Gleichgültigkeit gegenüber dem vierfüßigen Leben führt. Weibliche Katzen bereiten nicht -221- die geringsten Schwierigkeiten, sofern ihr Besitzer ihnen gestattet, Junge zu bekommen, wann immer ihnen der Sinn danach steht, behauptet der Autor eines der jüngeren Katzenbücher lässig und mit charakteristischem Schwung. Er meint: Kleine Kätzchen sind possierlich. Sie sind wahnsinnig komisch, sie sind entzückend, sie sind einfach wundervoll. Natürlich sind kleine Kätzchen hinreißend. Katzen auch. Und man kann behaupten, nicht nur in diesem Zusammenhang, daß wir zu sehr dazu neigen, die nächste Generation zu bedenken. Im Hinblick sowohl auf Katzen als auch auf Menschen gibt es keine Sicherheit, daß die nächste Generation ge genüber der jetzigen eine Verbesserung darstellt. Martini ist in unseren Augen viel mehr Katze als ihre beiden Töchter, und um diese Töchter zu bekommen, hätten wir Martini um ein Haar hergeben müssen. Das ist uns aus Unwissenheit passiert, weil wir hingenommen haben, was wir gehört und gelesen hatten, statt uns die kleine Mühe zu machen herauszufinden, wo wir und Martini standen. Wie schon angedeutet, haben wir die Befruchtung unserer Katze nicht dem Zufall überlassen. Jedenfalls gestatteten wir ihr nicht, Junge zu bekommen, wo immer – und von wem auch immer – sie gerade wollte. Hätten wir es zugelassen, dann wäre sie mit etwa sechs Monaten zum erstenmal schwanger geworden, wahrscheinlich vom ersten Kater, der ihr über den Weg lief, womöglich von einem kranken Kater, einem Kater mit einem Geburtsfehler oder schlechten Erbanlagen. Ihre Mutterschaft war geplant. Wir hatten die Planung für sie übernommen. Das war nahezu strohdumm und hätte sie beinahe umgebracht. Wir haben uns gewaltige Mühe gegeben, was vielleicht zu unserer Ehrenrettung zu sagen wäre, um einen -222- angemessenen Vater für ihre Jungen zu finden. Wir fanden ihn bei einem bewährten Züchter, arrangierten uns mit ihm und zahlten nach der Paarung die festgesetzte Gebühr. Martinis Gatte, den wir nie kennenlernten, war ein schöner Kater, weiß Gott angemessen. Zu ihrem Stelldichein reiste Martini in einer Kiste vom Grand Central Terminal, wurde bei ihrer Rückkehr dort abgeholt und in gutem Zustand nach Hause gebracht. Sie wirkte unserer Meinung nach ein bischen konsterniert; wir erfuhren, daß sie sehr verwundert und sehr schüchtern gewesen wäre und daß der Kater ziemliche Probleme mit ihr hatte, bevor sie ihm zu Willen war. Außerdem war sie bei ihrer Rückkehr noch immer rollig; sie schrie noch mehrere Tage lang. So verhalten sich rollige Katzen ihrer Art, und wir wunderten uns nicht. Wir lehnten uns mit dem Gefühl, alles Notwendige erledigt zu haben, zufrieden im Sessel zurück und warteten auf die Jungen. In den letzten Stadien ihrer Schwangerschaft gaben wir, weil man uns dazu geraten hatte, Calcium in Pulverform in Martinis Futter. Natürlich entwickelte sie einen mächtigen Hunger, und wir fütterten sie üppig mit dem feinsten Rindfleisch; sie wurde schwerfällig und verträumt, und wir zählten die Tage. Wir versprachen so manchem ein überschüssiges Kätzchen. Allerdings versäumten wir es, Martini von einem Tierarzt untersuchen zu lassen. Wir hatten sie nicht untersuchen lassen, bevor wir sie zum Decken schickten, wir führten sie auch während der Schwangerschaft keinem Tierarzt vor. Junge zu bekommen ist völlig normal; kurzhaarige Katzen haben nicht die geringsten Probleme; alles geht ganz einfach – nun ja, eine Geburt ist ein Kinderspiel für eine Katze, das weiß doch jeder. Das hatten wir in den besten Katzenbüchern gelesen. Wir bereiteten eine unserer Meinung nach vorzügliche -223- Entbindungs- und Säuglingsstation vor und versuchten, Martinis Interesse zu wecken. Vergebens. Sie suchte sich auch keinen Platz ihrer Wahl aus, wie es Katzen »immer« zu tun pflegen. Sie tat nichts als fressen und zunehmen, und sie wirkte völlig mit sich und der Welt zufrieden. Dann versuchte sie eines Tages gegen Ende ihrer Trächtigkeit – für uns völlig unverhofft und bevor wir sie daran hindern konnten – eine ihrer liebsten und immer ziemlich ärgerlichen gymnastischen Übungen: in einem hohen Raum am Vorhang hinauf bis auf die Schabracke zu klettern und voller Stolz dort sitzenzubleiben. (Bei dieser Gelegenheit können wir gleich klarstellen, daß es praktisch unmöglich ist zu verhindern, daß Siamkatzen irgendwo hinaufklettern.) Diesmal schaffte sie nur ein kleines Stück des Vorhangs, krallte sich dann fest und schrie, bis sie gerettet wurde. Für den Rest des Tages blieb sie sehr nachdenklich, und am nächsten Morgen versuchte sie, ihre Jungen zur Welt zu bringen. Bis zum Stichtag fehlten noch zwei oder drei Tage. Sie nahm die von uns vorbereitete Kiste nicht in Anspruch; vielmehr suchte sie erstaunlicherweise eine Stelle auf dem Küchenboden in der Nähe ihres Katzenklos auf. Als sie schließlich gefunden wurde, war schon ein Kätzchen tot geboren worden. Sie lag mit dem zweiten in den Wehen. Derjenige von uns, der sich gerade in der Wohnung aufhielt, war nicht derjenige, der aufgrund von Geschlecht oder Veranlagung besser als Hebamme geeignet gewesen wäre, und er hatte, obwohl er über Jahre hinweg zahlreiche Katzen kennengelernt hatte, noch nie einer Katzengeburt beigewohnt. Vielleicht, so meinte er ein paar Minuten lang, allerdings schwer verstört durch das tote Kätzchen, vielleicht sind diese entsetzlichen Krämpfe dieser hübschen kleinen Katze, dieses unglaubliche -224- Krümmen und die offensichtlichen Schmerzen ja ganz normal. Vielleicht war das gemeint, wenn man von »leichter Geburt« sprach. Und schließlich wurde tatsächlich ein zweites Kätzchen geboren. Es war groß, merkwürdig groß. Es schnappte krampfhaft nach Luft, wollte leben. Aber Martini, die ihm hätte zur Hilfe kommen müssen – die Membrane hätte fortlecken müssen, an der es erstickte, es mit der Zunge hätte trocknen müssen, damit die aufflackernde Lebenswärme nicht verlöschte -Martini konnte sich kaum rühren, lag reglos, völlig er schöpft da. Da, endlich, versuchte der Anwesende, den Tierarzt zu erreichen. Er kam etwa zwei Stunden später. Es war keiner von den uns bekannten Tierärzten; wir hatten zufä llig erst ein paar Tage zuvor von ihm gehört – hatten zufällig von einem anderen Katzenbesitzer erfahren, daß er in ganz New York der beste Katzendoktor wäre. Inzwischen war das zweite Kätzchen längst tot, obwohl wir versucht hatten, es warm und am Leben zu halten. (Wir wußten damals nicht genug, um es künstlich beatmen zu können, wodurch es selbst unter unseren ungeschickten Fingern vielleicht doch hätte gerettet werden können.) Und inzwischen war ein drittes Kätzchen schon halb auf der Welt, und zwar seit über einer Stunde. Die Beschreibung der Geburt ist, dessen sind wir uns sehr wohl bewußt, alles andere als erfreulich. Mit der netten Vorstellung von tobenden Katzen, von entzückenden Kätzchen, die uns jung erhalten, die verlorene Jugend zurückbringen und über die Schreibmaschine hüpfen, während man versucht zu arbeiten – was keine unserer Katzen je tun wird, solange wir bei Verstand und bei Kräften sind -, hatte diese Sache nichts mehr zu tun. Doch die Geburt ist Teil des Umgangs mit Katzen, die wie wir Krankheit und Tod und allen -225- möglichen Widrigkeiten ausgeliefert sind. Wer sich nicht einmal um eine Katze halb zu Tode geängstigt und sie sowohl in krankem als auch in gesundem Zustand gehegt und gepflegt hat, ist im Grunde nicht wirklich zu ihr in Beziehung getreten. Das dritte Kätzchen war also halb auf der Welt, und das ist wörtlich zu verstehen. Es befand sich halb drinnen, halb draußen. Martini hatte keine Wehen mehr. Mit offenen Augen, aber anscheinend ohne etwas wahrzunehmen, lag sie da an einem dunklen Ort. Sie weinte nicht, wie sonst schon bei geringfügigen Anlässen. Sie wartete ruhig auf den Tod. Mag sein, daß sie uns in diesen letzten, langen Minuten vor dem Eintreffen des Tierarzts schon nicht mehr sah. Der holte das halb geborene Kätzchen, und es war tot. Während wir Martini festhielten, holte er das vierte. Einer von uns machte sich auf den Weg, ein wehenförderndes Mittel zu besorgen, wie es auch in ähnlichen Notfällen bei gebärenden Menschenmüttern eingesetzt wird. Es half ein wenig; der Tierarzt half, während wir Martini hielten – und jetzt schrie sie vor Schmerzen. Mit den geschicktesten Fingern, die wir je gesehen haben, manipulierte er die Katze, zwängte das Junge abwärts, brachte schließlich den Kopf heraus; während Martini half, so gut eine sterbende Katze helfen kann, holte er das vierte Junge auf die Welt. Es schnappte ebenfalls krampfhaft nach Luft. Und es bekam Luft, denn der Arzt blies ihm in die Nasenlöcher, streifte mit flinken Fingern die Membrane ab und drückte auf die winzige Brust. Es schien tot, und dann plötzlich begann es sehr rasch zu atmen. Martini, die auf einem Laken auf dem Tisch gelegen hatte, wurde jetzt auf den Boden gebettet. Sie unternahm nichts, lag nur da. Ein Junges war noch zu erwarten, meinte der Tierarzt. Er versuchte, Martinis Interesse an -226- dem lebenden Kätzchen zu wecken, denn es war noch viel zu tun, was nur ihr zu leisten gegeben war. Doch sie schien uns nicht zu sehen. Sie wich vor dem Tierarzt zurück, hatte gerade noch Kraft genug zu fauchen. Der Kampf auf dem Tisch – in dessen Verlauf sie übrigens einen von uns in den Finger biß, bis die Zähne auf Knochen stießen – hatte ihren Kampfgeist bewahrt, aber nicht viel mehr. Das lebende Kätzchen wurde, in warme Handtücher gehüllt, an einem dunklen Ort in einer Kiste untergebracht. Der Meinung des Tierarztes nach standen seine Chancen nicht einmal eins zu hundert, und er war ziemlich verärgert über Martini. Inzwischen war es später Nachmittag, und er war schon seit zwei, drei Stunden bei uns. Wir hatten ein offenbar sterbendes Katzenjunges und eine Katze, die mit viel Glück noch lange genug lebte, um ein weiteres Junges zu gebären. Im Augenblick war nichts zu tun, und der Tierarzt mußte sich auch noch um andere Katzen kümmern. Er verließ uns und versprach, so bald wie möglich zurückzukommen. Was das Junge betraf, könnten wir nur hoffen. Martini hatte seiner Meinung nach gute Überlebenschancen. Ganz langsam ging Martini in eines der Schlafzimmer, und wir hockten wohl über eine Stunde herum und bangten, aber wir liefen sie in Ruhe. Dann kam sie wieder heraus, noch langsamer als zuvor, durchquerte den Flur – und schon wieder war ein Kätzchen zu unserem Schrecken halb auf der Welt. Sie kroch in das kleine Zimmer, das einem ihrer Menschen gleichzeitig als Büro und Ankleidezimmer diente, und für Minuten unternahmen wir noch immer nichts – im Wissen unserer Unkenntnis und vielleicht auch angesichts einer Aufgabe, der wir uns nicht gewachsen fühlten. Dann gingen wir zu ihr ins Zimmer. Irgendwie hatte Martini es geschafft, auf das Sofa zu -227- klettern, auf dem einer ihrer Menschen gewöhnlich mehr Zeit zubrachte, als er so ohne weiteres hätte vertreten können, und auf dem sie so viele Stunden wie eben möglich mit ihm zusammen war. Dort hatte sie, diesmal aus eigener Kraft, ihr fünftes Junges zur Welt gebracht. Sie hielt es zwischen ihren Vorderpfoten, leckte es und schnurrte. Nach einem kurzen Blick in unsere Richtung nahm sie diese Tätigkeit unverzüglich wieder auf. Wir holten das andere Kätzchen, das noch lebte, und legten es zu ihr. Sie hielt inne, um es wegzuschieben, und was dabei in ihr vorging, können wir nicht einmal raten. Natürlich hing es mit Schmerzen zusammen, mit unwürdigem Manipuliertwerden, was Martini mehr als jede andere Katze unserer Bekanntschaft verabscheut. Das trug zu ihrer Ablehnung bei. Und vielleicht waren in ihren Augen alle Kätzchen, die sie geboren hatte, bis auf ihr letztes, das sie hervorgebracht hatte, wie es sich für eine Katze gehörte, Totgeburten wie das erste. Das abgelehnte Kätzchen bewegte sich ein bischen, als wir es Martini wieder dichter zuschoben; es versuchte schwach, eine Zitze zu erreichen. Wieder schob Martini es von sich, und wieder legten wir es ihr an. Dann – uns kam es vor wie ein verdutztes Zusammenzucken – hatte Martini begriffen: noch ein lebendes Junges. Jetzt leckte sie es, zog es an sich, legte das andere neben das Geschwisterchen, um beide zu säugen, und dann begannen zwei winzige Kätzchen, die aussahen wie weiße Ratten, zuerst unsicher und dann mit wachsendem Zutrauen zu trinken. Jetzt hatten wir drei Katzen, von denen keine bei sonderlich guter Gesundheit war, die alle drei noch tagelang der Fürsorge des Tierarztes bedurften, aber immerhin drei Katzen. Martini akzeptierte die Kiste, die wir vorbereitet hatten, und auch den von uns gewählten Platz tief im -228- Schlafzimmerschrank. Und während der gesamten ersten Nacht, in der sie entschieden mehr Widerstandsfähigkeit an den Tag legte als wir, weckte sie uns, damit wir das Wunder, das sie – unter Beihilfe eines kompetenten Tierarztes, ihrer beiden Besitzer und des Hausmädchens – bewirkt hatte. Sie sprang auf ein Bett und weckte den Darinliegenden, und zwar gründlich. Dann ging sie zurück zu ihrer Kiste, sich immer wieder vergewissernd, daß der Mensch ihr folgte, sprang in die Kiste und bettete ihre Kinder so, daß wir sie betrachten konnten, und schnurrte. »Süße Kätzchen«, sagte dann der aus dem Schlaf Gerissene. »Wunderschöne Kätzchen.« Martini gab sich zufrieden und säugte wieder ihre Jungen. Der Mensch schlief wieder ein. Eine halbe Stunde später weckte Martini den anderen Menschen und wiederholte die gesamte Prozedur. »Babys, dadada«, sagte der andere Mensch halb im Schlaf, in der seiner Meinung nach solch winzigen Lebewesen angemessenen Sprache. »Babys, dadada«, schnurrte Martini. Dann durfte der Mensch wieder schlafen gehen, doch eine halbe Stunde später war der erste Mensch wieder an der Reihe. So ging es die ganze Nacht hindurch, und es war ein glückliches, wenn auch nicht erholsames Ende einer aufwühlenden Episode. Natürlich kann eingewendet werden, daß ja alles gut gegangen ist, denn jetzt haben wir drei Katzen, und drei Katzen zu haben, ist immer gut. Wären wir jedoch mit den üblichen Vorstellungen an die Sache herangegangen, hätten wir nur eine Katze, denn dann wäre Martini nicht gedeckt worden. Ihr Becken ist zu schmal für eine normale Geburt. Hätten wir mit ihrem Tierarzt nicht zufällig einen Glücksgriff getan, obwohl er, wie es bei Ärzten so oft der Fall ist, erst geholt wurde, als es selbst für größte Kompetenz schon fast zu spät war, wäre sie gestorben. Die -229- Erde hätte natürlich nicht aufgehört, sich zu drehen, und auch wir hätten weitergelebt; wir haben schon vorher Katzen verloren und werden es wohl auch wieder erleben müssen, selbst Martini ist nicht unsterblich. Doch es ist bedrückend, schuld am Tod eines geliebten Tieres zu sein. Unbeholfenheit und Unwissenheit mögen läßliche Sünden sein, wenngleich wir es bezweifeln; auch diese Sünden bedürfen der Absolution. Durch Unfähigkeit haben wir einem entzückenden kleinen Tier, das uns nicht gebeten hatte, die Verantwortung für es zu übernehmen, sondern unser gern gesehener Gast war, etwas Böses, beinahe das Böseste von allem, angetan. Da Katzen so starrsinnig unabhängig im Hinblick auf ihr Geschlechtsleben sind und dieses so augenscheinlich als etwas betrachten, in das der Mensch sich gefälligst nicht einzumischen hat, fällt es dem Menschen leicht, die Natur nach ihren Gesetzen walten zu lassen. Außer der einfachen Entscheidung, die Tür zu öffnen oder nicht, wird ihm nichts abverlangt. Den Rest besorgt die Katze. Was danach geschieht, liegt in der Verantwortung der Katze, und wenn die Katze Pech hat – nun, früher oder später wird jeder mal vom Glück verlassen. Hat die Katze jedoch Glück, bringen die kleinen Kätzchen viel Freude und stocken zudem den Bestand an Katzen auf. Die Katze hätte im Haus bleiben können, wenn sie gewollt hätte; sie hätte das Stelldichein platzen lassen können. Natürliche Instinkte sollten nicht unterdrückt werden. Das ist eine völlig vernünftige Einstellung. Doch die Haltung von Hauskatzen ist offenbar leider nicht völlig durch die Vernunft zu regeln. Katzen sind hochgeschätzte Mausefallen; im allgemeinen ist das der Grund für ihr Zusammenleben mit dem Menschen. Doch es ist nicht der eigentliche Grund für unser Zusammenleben mit Martini; in der Vergangenheit wie auch in absehbarer Zukunft war -230- es und wird es weiterhin so sein, daß sie mehr Mäuse von den Feldern – tot oder zumindest dem Tod sehr nahe – nach Hause bringt, als sie aus dem Haus herausschafft. Sie lebt als Freundin bei uns oder, einfacher gesagt, als Schmusetier. Um sie zu einem adäquaten Haustier zu machen, unterdrücken wir viele ihrer natürlichen Instinkte. Es entspricht keineswegs ihrem Wunsch, nachts im Haus zu bleiben. Rinderhack, wie Martini und ihre Familie es vorgesetzt bekommen, ist ein feines Freßchen für Katzen, aber es liegt nicht in der Natur einer Katze, Kühe durch den Fleischwolf zu drehen. Weil Martini als Schmuse- und Hauskatze bei uns lebt, führt sie in hohem Maße ein Leben unter künstlich geschaffenen Bedingungen, und dieses Leben ist weitgehend durch unsere Anforderungen an sie geprägt. Wir, nicht etwa Martini, haben beschlossen, daß sie so und nicht anders leben soll. Folglich kann sie sich nicht in dem Maße selbst versorgen wie der schwarze Kater, der bei Brewster die Mülltonnen heimsuchte, und ist auch nicht SQ hart im Nehmen und so zäh. Sie ist gewissermaßen eine zivilisierte Katze und hat, da ihr die Zivilisation aufgezwungen wurde, Anspruch auf alle Bequemlichkeiten und Sicherheiten dieser Zivilisation auf regelmäßiges, anständiges Futter, bei Bedarf auf Medikamente, auf ein Feuer oder eine Heizung, um sich zu wärmen. Sie hat außerdem Anspruch darauf, vor ihren eigenen natürlichen Instinkten geschützt zu werden, insofern als das volle Ausleben dieser Instinkte sich mit ihrer derzeitigen Lebensform nicht vereinbaren ließe. Wenn wir überhaupt Katzen halten wollen, was uns weder von der menschlichen noch von der Katzengesellschaft aufgezwungen wird, übernehmen wir die Verpflichtung, sie bestmöglich an die von uns gebotene künstliche Umgebung angepaßt zu halten, und -231- diese Verpflichtung geht unseres Erachtens auf alle Katzenbesitzer über. Einer Katze mit dem Wunsch, sich zu vermehren, die Tür zu öffnen und dann die Geduld zu verlieren, vielleicht sogar soweit, daß die Katze abgeschafft wird, eben weil sie sich vermehrt, ist irrational, wenn nicht schwachsinnig. Und es ist gewissermaßen unmoralisch, aber durchaus üblich. Eine Katze kastrieren oder sterilisieren zu lassen, setzt eine Entscheidung voraus, und es ist immer so einfach, keine Entscheidungen treffen zu müssen; es gibt immer einen hieb- und stichfesten Grund, Entscheidungen nicht zu treffen. Aber die meisten Haus- oder Schmusekatzen – im Unterschied zu Arbeits- oder Zuchtschaukatzen – werden ihrem Leben sterilisiert oder kastriert besser gerecht. Außerdem sind sie, und das betrifft besonders die Weibchen, im Umgang viel munterer. Ganz gewiß bereiten sie viel weniger Schwierigkeiten, und im Grunde genommen steht eine Katze in ihrer Beziehung zum Menschen immer am besten da, wenn sie keine Schwierigkeiten macht. -232- Dreizehntes Kapitel Hohe Erwartungen und Anspruchsdenken Zweifelsohne ist die Katze der Meinung, daß sie vieles um des Menschen willen aufgegeben hat – die Freiheit in der Nacht und in den Bäumen, einen Teil der Wildheit, die sie tief in ihrem Herzen schätzt. Daß sie diese Dinge für gewisse prosaische Vorteile fahren ließ, für ein warmes Plätzchen und Futter und Schutz vor dem Regen, mag die Katze in ihrer Eigenschaft als Realistin wohl erkennen, doch sie legt keinen Wert darauf, es herauszustreichen. Es ist Tierart, von mehreren vorhandenen, vielleicht auch vermischten Motiven das beste in den Vordergrund zu rücken. Es steht zu vermuten, daß die Katze meint, für die Freundschaft mit dem Menschen viel geopfert zu haben. Als Gegenleistung erwartet die Katze zusätzlich zur peinlichen Erfüllung ihrer körperlichen Bedürfnisse viel vom Menschen. Sie setzt einen bequemen Schoß voraus, auf dem sie sitzen kann, und zwar einen, der zur Verfügung steht, wann immer sie es wünscht. Sie erwartet, daß der Schoß möglichst an Ort und Stelle bleibt, und wird böse, wenn er sich erhebt, um das Radio auszuschalten oder ans Telefon zu gehen. Sitzt sie auf dem Schoß, und auch bei bestimmten anderen Gelegenheiten, verlangt sie von Zeit zu Zeit an einer gewissen Stelle hinter den Ohren -233- zärtlich gekrault und von sanften Fingern längs der zarten Knochen des Kiefers massiert zu werden. Schön findet sie es, wenn zu diesen Liebkosungen noch etwas Rückenstreicheln hinzukommt, das sich gelegentlich auch sanft auf den Bauch ausdehnt. Das alles sollte ohne viel Gefummel vonstatten gehen, vorzugsweise ohne Belästigung der Schnurrbarthaare und, bei manchen Katzen, ohne Berührung des Schwanzes. Doch die hohen Erwartungen der Katze an die Menschen, mit denen sie sich einläßt, gehen beträchtlich darüber hinaus und schließen einige davon gelegentlich, in seltenen Fällen alle, sogar aus. Nicht jede Katze sitzt gern auf dem Schoß; ein paar, distanzierter, als es durchschnittlich für ihre Rasse typisch ist, ziehen ein Minimum an Körperkontakten mit menschlichen Tieren vor, zweifellos aufgrund der Überlegung, daß Handanlegen zwar für Hunde in Ordnung, mit der Würde einer Katze jedoch nicht zu vereinbaren ist. Eine Katze läßt den Menschen wissen, wie sie über derartige Angelegenheiten denkt, und erwartet, daß ihre Wünsche respektiert werden. Will sie angefaßt werden, gibt sie Bescheid, wenn nicht, ebenfalls, nur lauter. Was die eine Katze als Liebkosung empfindet, ist für die andere eine Entwürdigung. Doch wie stark sie sich auch immer in ihren persönlichen Vorlieben unterscheiden, erwarten doch alle Katzen vom Menschen ein Benehmen, das in ihren Augen manierlich ist; sanft und voller Rücksicht nicht nur auf die persönliche Würde der Katze, sondern auch auf ihre einzigartige Körperlichkeit. Katzen verlangen, daß die Stimmen des Menschen leise und seine Bewegungen geschickt sind. Sie rechnen nicht mit hastigen Bewegungen, die sie erschrecken, oder damit, ausgelacht zu werden oder ihre Schwänze als leicht verfügbaren Griff -234- benutzt zu sehen, oder mit überstürzter Annäherung ohne vorherige Aufforderung. Ganz allgemein gefaßt lehnen sie jedes Verhalten ab, das sich als »burschikos« zusammenfassen ließe. Katzen, die Menschen mögen, sind manchmal in der Lage, gewisse Mängel im menschlichen Benehmen zu übersehen, doch keine Katze betrachtet solche Mängel als etwas anderes als einen Defekt. Eine Katze, die zu oft getreten wurde – alle Katzen werden irgendwann mal getreten, und ohne Kooperation der Katze können Menschen es gar nicht verhindern -, mag ihren tolpatschigen Freund vielleicht nach wie vor, geht jedoch nie so weit, daß sie seine Tolpatschigkeit lieben könnte. Tolpatschigkeit ist in den Augen der Katze eine Todsünde; sie ist geradezu prädestiniert dazu, gerade die Fehler zu verabscheuen, derer sie sich selbst frei weiß. In einer vernünftig eingerichteten Welt wären alle Menschen, mit denen sich abzugeben Katzen gezwungen sind, sanft, ruhig von Stimme und Bewegung, behutsam mit den Händen und hätten vermutlich Augen an den Fußsohlen. Menschen, die Umgang mit Katzen pflegen, erwerben wohl einige dieser Eigenschaften oder versuchen es zumindest, da sie die Beziehung mit der Katze erheblich vereinfachen. Die von Katzen gepflegte hohe Schule der Manierlichkeit bringt den Menschen in seiner Welt freilich keineswegs weiter, denn dort werden ein ruhiges Wesen und Sanftheit kaum geschätzt und herzhaftes Durchsetzungsvermögen bevorzugt. Menschen, die Katzen mögen und von ihnen lernen, werden die Welt vermutlich niemals beherrschen. Es steht zu befürchten, die zukünftige Welt könnte wohl eine Welt der Hunde sein, oder zumindest eine Vorstufe dazu. Kriegshelden mögen selten Katzen. Sie nehmen das Zepter in die Hand, setzen dabei ihre Maßstäbe und lehren uns alle übertriebenen -235- Respekt vor Direktheit und strengster Sachlichkeit. Es steht außer Frage, daß längerfristige Beziehungen zu Katzen den Menschen verändern. Ein Katzenmensch wird sich kaum jemals dazu durchringen, einen anderen Menschen kräftig auf die Schulter zu klopfen oder ihm über die Straße hinweg etwas zuzurufen. Er wird im Verlauf der Zeit und seiner Katzenfreundschaft feststellen, daß er lieber lächelt als grölt und seine Zustimmung anders zeigen möchte als durch Luftsprünge. Solche Gewohnheiten führen, wie nicht anders zu erwarten ist, zu einem in gewisser Hinsicht veralteten Lebensstil: schließlich ist die Katze ein uraltes Tier und in ihren Verhaltensweisen festgelegt. Auch Katzenmenschen neigen häufig dazu, ein von ihren Urgroßeltern hochgeschätztes Benehmen zu favorisieren. Letztendlich werden solche Menschen nur ihresgleichen mögen, und ansonsten lediglich die Zustimmung der Katzen finden. Die Katzen allerdings werden versonnen nicken und sich an dem Gefühl freuen, die Menschen zivilisiert zu haben. Sie werden den Menschen so konditionieren, daß ihm heftiger Lärm auf die Nerven geht. Sie werden dafür sorgen, daß hastige Bewegungen in ihrer Gegenwart tabu sind und daß niemand eine Katze bei den Schultern gepackt, langgestreckt, entwürdigt und ausgeliefert vor sich baumeln läßt – und daß es sich nicht gehört, eine Katze beim Nackenfell zu nehmen, auch wenn Mutterkatzen so mit ihren Jungen verfahren. Eine Katze zieht es vor, überhaupt nicht hochgehoben zu werden, doch wenn es nicht anders geht, könnte sie sich zur Not damit abfinden, vorn und hinten auf die Hände oder den Arm genommen zu werden, und zwar, bitteschön, richtig herum. Nichts findet eine Katze am Menschen unhöflicher als die Angewohnheit, sie auf dem Rücken liegend im Arm zu tragen, als wäre sie ein Baby, und als wüßte sie -236- nicht schon seit über Millionen von Jahren, daß sie mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben hat, wenn sie nicht gerade springt. Da sie selbst gern schnurrt, manchmal so leise, daß es kaum zu hören ist, möchte sie ihrerseits auch gern leise angesprochen werden, und eine mißtönend erhobene menschliche Stimme stempelt ihren Verursacher zum Trampel. Ein Mensch, der unvermittelt eine Katze packt oder sie rüde aus dem Schlaf reißt, ist es nicht wert, daß man mit ihm am selben Tisch sitzt; die Canapés, die er in Reichweite stehen läßt, sind vermutlich ohnehin ungenießbar, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat er auch kein behagliches Plätzchen zu bieten. Und wozu sollte ein derartig grober Klo tz von Mensch taugen, wenn er sich weigert, eine Katze zu verwöhnen? Toleriert kann er werden, vorausgesetzt, er serviert das allerbeste Rindfleisch, doch geliebt wird er nicht. Unter diesen Umständen, und nur unter diesen, mag eine Katze auf den Gedanken kommen, Komfort hinge von der Behausung ab und nicht vom Zusammenleben mit dem Menschen. Eine Katze kommuniziert besser als jeder Mensch, wie sie behandelt werden möchte, und ein von Katzenerfahrungen Unbeleckter kann aus ihren Anweisungen nur lernen. Eines ist sicher: Übereilte Freundschaften schließt sie nicht. Zuerst möchte sie schnuppern, Örtlichkeiten und den Menschen mit dem Geruchsinn abchecken. Jede Katze wünscht sich Zärtlichkeit, sanfte Liebkosungen und selbst im Spiel möglichst wenig Ruppigkeit. Weder ihr Körper, der sehr feingliedrig ist – die Katze ist wunderbar bewaffnet,, aber nur leicht gewappnet, und sie ist niemals so kräftig wie ein Hund – -237- noch ihre Nerven ertragen die spielerische Grobheit, die jeden Hund entzückt. Ein Schlag auf den Rücken oder in die Seite, den ein Hund sehr zu schätzen wüßte, kann eine Katze verletzen. Ganz sicher würde es sie kränken. Eine Katze darf auch nicht gedrückt werden, und dadurch stellt sie eine etwas prekäre Spielgefährtin für sehr kleine Kinder dar, die es gewohnt sind, Dinge zu drücken, die sie sehr lieben. Auf jeden Fall wird eine gesunde, sterilisierte Katze ihr Leben lang verlangen, daß jemand mit ihr spielt. Das Spiel mit dem Menschen kann vielerlei Form annehmen, allerdings stets zu den Bedingungen, die die Katze vorgibt. Zum Beispiel findet sie bestimmt viele Plätze, wo sie sich verstecken kann, zumindest ihrer Meinung nach, und von wo aus sie dann dem vorbeigehenden Menschen vor die Füße springt. So ziemlich kein Winkel, den eine Katze und ein Mensch teilen können, wird sich für eine solche improvisierte Nachbildung des Dschungels als zu klein oder als zu spärlich möbliert erweisen. Viele Katzen genießen es, verfolgt zu werden, und Versteckspielen ist bei nahezu allen, die ihre Menschen wirklich mögen, sehr beliebt. Jagen und Gejagtwerden macht Katzen genauso viel Spaß wie Apportieren. Die meisten Katzen lieben Spielzeug – kleine Gegenstände, die sich herumstoßen lassen. Es ist ihnen einerlei, welche Gestalt oder Farbe diese Dinge haben – keine Katze hat je einen Fisch aus Zelluloid mit einem Fisch aus Fisch verwechselt. Sie mögen Tischtennisbälle, obwohl sie sie schnell unter den Möbeln verlieren. Mehr als alles mögen sie ein Stück Schnur. Natürlich sollte sie von einem Menschen in Bewegung gehalten werden, und nett ist es auch, wenn ein Papierknäuel daran festgebunden ist. Mit einer Schnur -238- kann ein Mensch sogar mit seiner Katze spielen, ohne sich aus seinem Sessel erheben zu müssen, obwohl die Katze es gewiß lieber anders sähe. Am liebsten wäre es der Katze nämlich, wenn der Mensch mit der Schnur ein Päckchen verschnürt, oder vielmehr versucht, es zu verschnüren. Das ist ein nicht zu überbietender Spaß. Eine Katze erwartet, daß ihr Mensch möglichst oft versucht, in ihrer Gegenwart ein Päckchen zu verschnüren. Eine Mietwohnungskatze benötigt besonders viel Zuwendung dieser Art, da sie gewöhnlich weder den Anreiz noch genügend Raum für die raschen Bewegungen vorfindet, für die sie gebaut ist und die sie für die Erhaltung ihrer Gesundheit benötigt. Menschen, die keine Zeit oder Lust zum Spielen haben, sollten mehr als eine Katze halten. Zwei oder drei sind natürlich teurer im Unterhalt und auch nicht so leise, doch sind sie weniger auf menschliche Spielkameraden angewiesen. Außerdem machen sie unserer Meinung nach mehr Spaß. Zwei oder drei Katzen können mehr oder weniger unter Kontrolle gehalten werden; bei dreien wird viel Abwechslung geboten, drei können sich einen Napf und ein Katzenklo teilen. Sie können sich auch, wenn wir mal nicht zur Verfügung stehen, miteinander vergnügen, entweder mit dem »großen Spiel«, wie wir es nennen, oder auch auf ruhigere Art und Weise. Indem sie einander jagen, bleiben sie im Training, indem sie zusammengekuschelt schlafen, wärmen sie sich notfalls gegenseitig. So nehmen sie uns einiges von der Bürde der Verantwortung von den Schultern, die die Katzenhaltung mit sich bringt, und laden sie sich selbst auf. Ob aber ein solches Katzengemeinschaftsleben das ist, was eine Katze erwartet, wenn sie sich zum Zusammenleben mit Menschen bereitfindet, ist eine Frage, die wir nicht mit letzter Sicherheit beantworten können. Es -239- ist gut möglich, daß sich jede Katze Menschen ganz für sich allein wünscht, die einzig ihr gehören. Martini wünscht ihre Töchter ganz sicher oft genug zum Teufel. Lange Zeit war sie die Katze, und daß sie jetzt nur noch die Hauptkatze ist, empfindet sie als Degradierung. Wenn wir ihr jetzt ein Spielzeug zum Zurückbringen zuwerfen, sind die anderen beiden als erste zur Stelle und bringen soviel Durcheinander in das Spie l, daß Martini das Interesse verliert; findet sie ein angemessenes Plätzchen auf einem Schoß, kommt mit größter Wahrscheinlichkeit Sherry und legt sich auf sie. Auch Gin würde wahrscheinlich ein Dasein als Einzelkatze befürworten, obwohl sie ihre Mutter sehr bewundert und unter ihrer Fuchtel steht, während sie für Sherry eine mildere, oft leicht gereizte Zuneigung hegt. Sherry dagegen hätte wohl nicht nur lieber noch mehr Katzen um sich, sondern auch mehr Menschen; sie ist merkwürdig gesellig. Die Beziehungen zwischen unseren dreien gestalten sich vielleicht dadurch komplizierter als normal, weil sie Mutter und Töchter sind; das Band, das sie vereint, ist vielleicht stärker als es zwischen zufällig zusammengewürfelten Katzen sein würde. Martini würde zwei fremde Katzen, die nicht ihre Töchter sind, wohl nicht so dominieren. Wir haben nie in Erwägung gezogen, der ausgesprochen engen Verbindung, die der Martini-Stamm darstellt, noch andere Katzen hinzuzufügen. Da wir jetzt auf dem Land leben, haben wir wohl schon an die Anschaffung eines Hundes gedacht, scheuten jedoch vor den gewiß damit verbundenen Problemen zurück. Martini hat ohnehin schon genug Zugeständnisse machen müssen. Nicht einmal ihr Kratzbaum gehört noch ihr allein. Ob das Kratzen an Stoff, Teppich, Baumrinde oder -240- Tapete wirklich die Krallen schärft, war uns schon immer etwas zweifelhaft. Die Erklärung ist menschlich, die Tätigkeit erbarmungslos katzenhaft. Katzen unterscheiden sich in vielen Einzelheiten, doch alle bestehen darauf, gelegentlich etwas in die Krallen zu bekommen und wild daran zu zerren. Jeder Katzenhalter muß damit rechnen und sich damit abfinden. Wenn er sein Haus nicht von oben bis unten mit Metall ausstatten will, in welchem Fall ihn seine Katze wahrscheinlich verlassen würde, kann der Mensch nichts dagegen unternehmen. Wer Handbücher über Katzenhaltung schreibt, setzt sich gewöhnlich unbekümmert über diese Katzengewohnheit hinweg und behauptet, es wäre nur eine Frage der Erziehung. Besorgen Sie sich einen guten Kratzbaum, heißt es da, ermahnen Sie die Katze strengstens, wenn sie etwas anderes benutzt, und schon ist das Problem gelöst. Die Kissenbezüge bleiben so, wie sie vom Webstuhl kamen, und werden nicht schütter; neue Teppiche werden nicht aufgerauht; Dekorationen bleiben dekorativ. Nach langjähriger Erfahrung können wir diesen Optimismus nicht unterstützen. Rüsten Sie Ihr Wohnzimmer mit Kratzbäumen aus, die nur nützlich und kaum dekorativ sind, bestäuben Sie Ihre Sessel- und Sofaarmlehnen mit Pulvern, die angeblich Katzen abweisen, und hoffen Sie auf das Beste, aber rechnen Sie bitte nicht damit. Die Katzen werden sich über die Stoffe hermachen und sie im Laufe der Zeit zerfetzen. Die Krallen zu beschneiden ist sinnlos und erniedrigend für das Tier. Die Katze ist ein mit Krallen ausgestattetes Wesen; Krallen sind nicht nur für ihre körperlichen Unternehmungen, sondern auch für ihre innere Selbstsicherheit genauso wichtig wie die Finger für den Menschen. Eine ihrer Krallen beraubte Katze ist ein tief unglückliches Geschöpf, das auf Oberflächen ausrutscht, -241- auf denen es sich sonst absolut sicher bewegt, dessen Sprünge unsicher sind, bis die Krallen nachwachsen. Diese wachsen sehr schnell nach, was bedeutet, daß sie sehr häufig geschnitten werden müßten, wenn das Ganze überhaupt einen Sinn haben soll. Und es hat so gut wie in keiner Hinsicht Sinn; die Katze wird trotzdem weiterhin an Möbeln kratzen, und dafür reicht auch der kümmerliche Rest der Krallen. Das Beschneiden der Krallen selbst ist der Katze zuwider und gar nicht so einfach auszuführen; statt einer Schere sollten wenigstens Krallenknipser benutzt werden, und darüber hinaus ist große Sorgfalt erforderlich, um keine Blutung hervorzurufen, die schwer zu stillen sein könnte. Eine Katze, die viel draußen ist, darf natürlich niemals ihrer Krallen beraubt werden, da ihr Leben womöglich vom Klettern und ihre Würde von der Fähigkeit zu kämpfen abhängt. Unsere Katzen, die rausmarschieren, sobald ihnen jemand eine Tür öffnet, haben lange Krallen. Auch als sie noch in der New Yorker Wohnung lebten, hatten sie lange Krallen, und wenn es nach uns geht, werden sie immer lange Krallen haben. Freilich benutzen sie hin und wieder den Kratzbaum, wenn sie ihm zufällig auf dem Weg zu einer Sessellehne begegnen. Martini benutzt ihn nach alter Gewohnheit immer noch viel häufiger als die anderen zwei, doch er gehört ihr nicht mehr allein und hat daher kaum noch Bedeutung für sie. Zuerst versuchte sie, ihre Jungen vom Kratzbaum fernzuhalten, kam jedoch schließlich zu der Überzeugung, daß es die Mühe nic ht lohnte. Ein weiteres Zugeständnis, das ihr abverlangt wurde und ihr gelegentlich noch immer schwer im Magen zu liegen scheint, besteht in der Aufgabe des exklusiven Zugangs zum Futternapf, der zweimal am Tag für alle drei Katzen gefüllt wird. Manche Katzenkenner sind der Meinung, daß -242- Katzen, falls mehrere vorhanden sind, getrennt gefüttert werden sollten, wobei einige sogar getrennte Räume vorschlagen, weil Katzen ihrer Auffassung nach bei Massenabfütterung Futterneid entwickeln und Verdauungsstörungen bekommen. Doch den Konzessionen des Menschen an seine Katzen sind Grenzen gesetzt, und drei Katzen aus drei Schälchen in drei getrennten Räumen zu futtern, überschreitet diese in unseren Augen maßgeblich. Außerdem sind unsere Katzen nicht sonderlich futterneidisch. -243- Vierzehntes Kapitel Von Katzen und anderen Menschen Es gibt fröhliche Katzen und weinerliche. Es gibt vor Begeisterung sprühende und absolut träge Katzen, kluge Katzen und Katzen, die es kaum mit einer Maus aufnehmen könne n. Keine andere Tierart bringt so verschiedenartige Typen hervor – in bezug auf Geschmack und Appetit, Vorlieben und Haltungen und alles, wodurch wir letztendlich ein Individuum vom anderen unterscheiden. Doch keine Rasse (einschließlich der menschlichen) weist geringere körperliche Unterscheidungsmerkmale auf. Alle Katzen sehen aus wie Katzen und betrachten einander als Katzen, ohne eine bestimmte Abart zu diskriminieren. Hauskatzen variieren in Gewicht und Größe ungefähr genauso wie Menschen. Menschen treten in verschiedenen Farbnuancen auf, sind unterschiedlich gebaut, manchmal stämmig und manchmal lang und schmal; einige haben runde Köpfe, andere längliche, ihre Nasen sind aufwärts oder abwärts ausgerichtet. Ohne gesellschaftlichen Druck würden die meisten Menschen solche körperlichen Unterschiede wahrscheinlich genauso nüchtern betrachten, wie Katzen ihre verschiedenen Variationen akzeptieren. Doch Katzen wie auch Menschen können unter so oberflächlichen Dingen wie Färbung und Gestalt leiden. -244- Davon kann abhängen, ob das Leben dieses Individuums in Luxus oder in Mülltonnen oder überhaupt nicht verbracht wird. Hunderttausende von Katzen müssen Jahr für Jahr sterben. Die meisten, die durch menschliche Hand früh zu Tode kommen, ein unsicheres Leben führen oder schwer arbeiten, sind gewöhnlich von Farbe, Gestalt und Fellbeschaffenheit, die sie als »kurzhaarige Hauskatze« oder »Straßenkatze« qualifizieren. Manche sind sehr schön; eine der schönsten, die wir je gesehen haben, ist eine kurzhaarige Hauskatze namens Chinnie, eine silbrig gestreifte, die in einer Art Katzenheim lebte. Sind sie gesund und erblich nicht geschädigt, sind diese Hauskatzen breitbrüstig, wobei die Männchen sich durch besonders kräftige Brustund Schulterpartien auszeichnen; sie sind kompakt, auf Stabilität angelegt, haben eher kurze als lange Schwänze, die zum Ende hin spitz zulaufen; sie haben kleine Ohren, gewöhnlich an den Spitzen etwas abgerundet, und eine breite Stirn; ihre Gesichter sind ziemlich rundlich, das Fell ist kurz und glatt und fühlt sich weich an. Keineswegs alle haben diese Charakteristika gemeinsam, oft genug, weil sie nicht genug zu fressen bekommen, manchmal aber auch, weil sie überfüttert werden. Da sie ständig auf Achse sind und allen möglichen Artgenossen begegnen, treten sie nur selten in den verlangten Farben auf; viele sind schwarz mit weißen Flecken an den unmöglichsten Stellen, und nicht wenige, deren Ahnen Langhaarkatzen begegneten und mit ihnen das wilde Liebeslied der Katzen sangen, haben ein für ihren Stand zu langes Fell, das aber für den Aufstieg in eine höhere Schicht wiederum zu kurz ist. Gewöhnlich werden sie verschenkt oder finden, wenn überhaupt, dank ihres eigenen Geschicks und Charmes ein Heim, wie zum -245- Beispiel unser Pete. Sie zählen zu den Katzen, die am leichtesten liebzugewinnen sind, denn sie haben alles, was eine Katze haben kann, an Intelligenz und Charakter, an Verspieltheit und Liebesbereitschaft und Verschiedenheit. Diese Eigenschaften variieren unseres Wissens nicht von Wurf zu Wurf, und wenn doch, dann sind sie bei der kurzhaarigen Hauskatze besser ausgewogen als bei den meisten Rassekatzen, da die Kurzhaarige eine Kosmopolitin ist, die alles gesehen und jeden getroffen und sich auf ihren Wanderungen sowohl Wissen als auch eine Vielzahl von Genen angeeignet hat, die ihre Selbstgenügsamkeit und Anpassungsfähigkeit gewährleisten. Sie ist ruhig und spricht leise, im allgemeinen unabhängig vom Geschlecht, im Sopran. Sie spricht im Grunde sehr selten mit Menschen, es sei denn, sie verlangt eine Mahlzeit. Die durchschnittliche gesunde kurzhaarige Hauskatze kann bei jedem Wetter nach draußen gehen und tut es notfalls auch, ohne daß es ihr schadet; sie kann sich in wildestem Gestrüpp herumtreiben und nur mäßig von Kletten befallen heimkommen, die sich im Fell einer Langhaarkatze nahezu unentwirrbar verkleben würden, und oft genug kommt sie offenbar mit einer Ernährung zurecht, die einer Siamkatze den Magen umdrehen würde. Von diesen Grundkatzen, vermutlich den Nachkommen der ägyptischen und der europäischen Wildkatze mit Beimischungen von nahezu allen kleinen Katzen, die es je gegeben hat, existieren mehr als von jeder anderen Sorte. In der Kreuzung mit Rassekatzen, die ihr sehr angenehm ist, dominiert die kurzhaarige Hauskatze. Das Erbe des reinrassigen Partners kommt nur in Launen der Natur zum Ausdruck – vielleicht durch einen auffällig langen Körper und Schwanz, falls die Hauskatze sich mit einer Siamkatze eingelassen hatte, vielleicht durch ein besonders langes -246- Fell, wenn sie es mit einem streunenden Perser zu tun hatte. Pam und Jerry waren die Sprößlinge einer grenzüberschreitenden Begegnung. Ihre Mutter war eine streunende Siamkatze, ihr Vater ein Landstreicher. Jerry war insgesamt von tiefgrauer Färbung und sehr schön; sein Schwanz war vielleicht ein bischen länger, als der seines Vaters gewesen sein mochte, sein Gesicht ein bißchen spitzer. Pam war grauweiß und ziemlich langgestreckt. Beide waren allem Anschein nach Grundkatzen. Zumindest Pammy war außerdem auch ein wunderbares Tierchen. Wie bei anderen Katzen auch und sogar bei Menschen erreichen nicht alle Individuen den für ihre Rasse festgeschriebenen Standard. Martini etwa ist für eine Siamkatze viel zu stämmig, und ihr Schwanz ist nicht lang genug. Sie hat einen dunkleren Bereich am Bauch, der nicht ganz der Norm entspricht, und Sherry hat eine schwache, allerdings sichtbare, Streifenzeichnung an den Beinen – ein keineswegs ungewöhnlicher Farbdefekt, der angeblich verschwindet, wenn eine blaue Siamkatze ungefähr das zweite Lebensjahr erreicht. Auch Sherry ist eine merkwürdige Zusammenstellung; in ihrer Artikulation liegt eine Unsicherheit, die, solange man sie nicht laufen und springen gesehen hat, schon ein wenig beunruhigt. Wir sind, wie inzwischen sicherlich schon festgestellt wurde, in gewissem Maße Siamkatzen-Fans; lesen wir, daß jemand schreibt, sie wären vielleicht die zärtlichsten und intelligentesten von allen Katzen, nicken wir bestätigend und lesen Martini und Gin und auch Sherry, wenn sie nicht gerade draußen ist, das Lob laut vor. Und wir erinnern uns an Geschichten, die in unseren Augen beweiskräftig sind. Erst neulich zum Beispiel besuchte uns eine hübsche kleine kurzhaarige Hauskatze, kaum der -247- Kindheit entwachsen. Es war eine kalte Schneenacht, und sie begehrte eindringlich Einlaß. Wir waren mit Katzen reich versorgt; außerdem empfiehlt es sich nicht, daß Hauskatzen mit Streunern Umgang pflegen; solche Begegnungen können zu heftigen Kämpfen führen. Trotz alledem, man darf eine Katze in einer nassen, kalten Nacht nicht draußen schreien lassen. Während unsere drei also auf der Treppe saßen, von wo aus sie den besten Blick auf die Haustür hatten, lockten wir die Kleine ins Haus, versorgten sie mit Sahne und tröstlichen Worten. Sie schleckte die Sahne, schien unsere Trostworte jedoch kaum zu hören; wir sahen, daß sie gut gepflegt war, und kamen zu dem Schluß, daß sie ein Heim hatte, in dem sie aber offenbar einfach nicht hatte bleiben wollen. Nach der Sahne war sie für eine Katze ziemlich phlegmatisch – jedenfalls im Vergleich. Sie saß auf dem Boden, den Schwanz um sich gelegt, und gab hin und wieder diesen kleinen, hohen Ton von sich, den Katzen hervorzubringen pflegen, was wir, weil unsere sich so anders äußern, fast vergessen hatten. Sie betrachtete die anderen Katzen mit Interesse, aber fast ohne jede Spur von Begeisterung. Unsere eigenen reizbaren Tierchen, deren kleinste emotionale Äußerung einem Tornado gleichkommt, staunten im ersten Moment über diese Ruhe. Dann sprang Gin die Neue voller Wut an, gab mitten im Angriff auf, schrie und stob buchstäblich in alle Himmelsrichtungen gleichzeitig davon. Die Besucherkatze kroch währenddessen unters Sofa und tauchte erst wieder auf, als der Sturm sich gelegt hatte. Plötzlich meldete Sherry sich voller Panik, schoß durch das Zimmer und sprang in die Schornsteinöffnung des Holzkohlengrills, der glücklicherweise gerade nicht in Betrieb war. Sie schrie in den Schacht hinauf. -248- Martini freilich nahm die Sache dann selbst in die Pfoten. Nicht gewohnt, von vornherein zum Scheitern verurteilte Aufgaben hastig anzugehen, begann sie einen langsamen Vormarsch mit knisternd gesträubtem Fell, angelegten Ohren und ununterbrochenem drohenden Grollen. Da wir von ihrem Tierarzt, der viele Katzen kennt, wußten, daß Martini eine instinktive Mörderin ist, beschlossen wir, daß es für die kleine Besucherin Zeit war, nach Hause zu gehen, und schickten sie wieder nach draußen. Unsere Siamkatzen rannten aufgeregt von Tür zu Tür, schnitten ihr durchs Glas hindurch Grimassen, schlugen mit den Schwänzen und stiegen die schlimmsten Drohungen aus für den Fall, daß sie es noch einmal wagen sollte, das Haus zu betreten. Wir sind durchaus nicht der Meinung, daß dieses Verhalten vorbildlich war oder daß sie auch nur die Besucherin als eine Artgenossin in Not erkennen und Mitgefühl hätten aufbringen müssen, vielleicht sogar die Bereitschaft, das Futter zu teilen. Es gehört sich nicht, Gäste anzufauchen, und das sagten wir ihnen hinterher auch deutlich. Doch gegenseitig versicherten wir uns hinterher, als sie uns nicht hören konnten, auch, daß wir keine Katzen ohne Feuer im Leib haben wollten, ohne diese unglaubliche Aufmerksamkeit gegenüber allem, was um sie herum vorgeht, die sofortige Reaktion, kurz, ohne all die Eigenschaften, die wir dieser flinken, klugen, blauäugigen Rasse zuschreiben. Es ist hübsch, wenn eine Katze liebenswürdig ist und alles hinnimmt; mit solchen Katzen ist leicht zu leben. Womöglich klettern sie nicht einmal an Vorhängen hinauf und brechen nicht genauso unvermittelt in Wut wie auch in laut schnurrende Liebesbezeugungen aus. Pete, wenn auch weniger phlegmatisch als unsere -249- Besucherin, hatte kein solches Feuer im Leib wie unsere jetzigen Katzen; wir kennen keine anderen Katzen mit dieser Veranlagung, abgesehen von denen mit falbem Körper und braunen Ohren (wie Sherry) und mit blauen, zur Nase hin schräg gestellten Augen. Doch alle Katzen dieser Art in unserer Bekanntschaft waren von dieser sprühenden Intensität, wenn auch zwei oder drei als ältere Katzen nicht mehr so überschwenglich lebhaft waren. Diese Eigenart mögen wir an Katzen, und zum Zeitpunkt, da dieses Buch entsteht, sind wir weiß Gott gut bedient. Ob Siamkatzen intelligenter als andere sind, kann niemand vorbehaltlos sagen, denn bisher wurde nicht versucht, es zu belegen. Ob Siamesen ihre Menschen in höherem Maße liebgewinnen als andere Katzen, läßt sich ebenfalls nur erraten. Martini ist, wie gesagt, ungestüm in ihrer Liebe, sehr selektiv in bezug auf die Personen, denen sie ihre Zuneigung gewährt, und außer sich vor Wut bei allem, was sie als mangelnde Reaktion auf Seiten des Menschen interpretiert. Im Vergleich dazu war Pammys Liebe ein ständiges Glimmen. Gin, die zwar nicht gern auf dem Schoß sitzt, ähnelt in ihrer gelegentlichen Überschwenglichkeit ziemlich ihrer Mutter, wenngleich sie im Grunde ein sanfteres Wesen hat – was unserer Vermutung nach auf die meisten Katzen und sogar auf viele Menschen zutrifft. Sherry mag gern gestreichelt werden, aber am liebsten kurz; sitzt sie auf dem Schoß, dann nicht etwa, um dort zu schlafen. Mag sein, daß sie überhaupt niemanden übermäßig liebt. Abgesehen von Pammy, die immerhin zur Hälfte Siamkatze war, kennen wir keine Katzen anderer Rassen, die so befähigt sind, ihre Liebe zu zeigen, wie Martini und Gin zu Zeiten. Pete mochte uns auf tolerante Art; die langhaarige Pat zeigte, sofern die Erinnerung nicht trügt, kaum Zuneigung zu irgendwem. Aber ist es Freude über -250- unsere Rückkehr, die unsere drei zur Tür treibt, die sie die Nasen ans Glas pressen läßt, sobald sie das richtige Auto hören, das zumindest Martini auf Anhieb erkennt? Oder wenn sie in früheren Zeiten Schritte auf der Treppe hörten? Oder liegt es in erster Linie an dieser Wachsamkeit, dieser ruhelosen Neugier, die ihnen allen eigen ist? Pete kam uns nie entgegen. Trotzdem mochte er uns und hatte viele menschliche Freunde und wurde weitgehend als überaus liebenswert und zärtlich betrachtet. Menschen unterscheiden sich freilich auf ähnliche Art in ihrer Fähigkeit, Liebe zu zeigen, und die nach außen hin phlegmatischen haben ihren Mitmenschen eingeredet, daß stille Wasser tief seien, eine Behauptung, die überzeugender Beweise entbehrt. Die meisten von uns wünschen jedoch ein vernünftiges Maß an Reaktion von denen, die wir lieben und von denen wir uns Liebe erhoffen, vorausgesetzt, es artet nicht in Übertreibung aus und damit in den Verlust der gemessenen Würde. Die Überschwenglichkeit eines Hundes würde niemand von einer Katze erwarten und auch nie erleben. Doch es ist hübsch, hin und wieder zu spüren, daß man geschätzt wird, und ebendies sagen Siamkatzen ihren Menschen, wenn sie in der richtigen Stimmung sind. Vielleicht sagen sie es häufiger als die meisten anderen Katzen. Kein »Ein-Mensch-Hund« hat jemals schärfer zwischen Menschen unterschieden als Martini; sie ist eine »ZweiMenschen-Katze«, und zwar eine erbitterte. Gin ist nahezu genauso festgelegt, obwohl sie fremden Menschen, wenn sie sie schon seit ein paar Monaten kennt, gestattet, sie zu berühren, und unter der Berührung vielleicht sogar einen Augenblick innehält. Sherry zeigt an fast allen Menschen Interesse und ist nicht so überzeugt davon, daß sie ihr Übles wollen, und trotzdem bevorzugt sie von den zwei im -251- engen Familienkreis zur Verfügung stehenden Schößen ziemlich ausschließlich den einen. Siamkatzen sind einigermaßen bekannt für diese Angewohnheit, sich an einen oder an zwei Menschen zu hängen und anderen desinteressiert, wenn nicht feindselig, gegenüberzutreten. Wir haben von einer eindeutig psychopathischen Katze gehört, die ihr Frauchen nicht nur allen anderen Menschen vorzog, sondern sogar versuchte, andere Menschen, die ihr über den Weg liefen, zu töten, und das im buchstäblichen Sinne. Sie saß gewöhnlich vorm Fenster ihres Hauses und versuchte auszubrechen, um die fremden Passanten umzubringen. Wenn diese Katze medizinische Hilfe benötigte, mußte ihr Frauchen ihr vor dem Eintreffen des Tierarztes Schlaftabletten einflößen, denn sonst wäre er gar nicht gekommen. Eine Katze, die es so weit treibt, braucht ganz offensichtlich einen Psychiater, doch eine gewisse Neigung dazu ist in dieser Rasse ange legt. Menschen mögen gerade diese Veranlagung schätzen und hinreißend finden. Wir lassen uns gern schmeicheln, wir Menschen; wir können eine ganze Menge Sonderbehandlung verkraften; einige allerdings ziehen es vor, daß die Grenze zur Unterwürfigkeit nicht überschritten wird. Vielleicht liegt es daran, daß Siamkatzen in unseren Augen so ideale Haustiere sind, weil sie immer ein wenig kompromißbereit sind, unter gewissen Bedingungen nicht so sehr auf der sprichwörtlichen Distanziertheit der Katze bestehen. Schließlich ist es erfreulich, von drei erwartungsfrohen Katzen mit großen, gespitzten Ohren an der Tür empfangen zu werden. Doch in erster Linie sind Siamkatzen unserer Meinung nach besonders munter und besonders schön. Sie haben so klare Linien, sowohl in ihrem Körperbau als auch in der -252- Zeichnung ihres Fells, die eine Wohltat sind in dieser verschwimmenden Welt, wo nur weniges noch so klar ist, wie es eigentlich sein sollte. Sieht man eine Siamkatze, sieht man sie als Ganzes, mitsamt dem zierlichen Knochenbau und den langen Muskeln; man sieht sie deutlich, ohne Flausch zwischen dem wahrnehmenden Auge und der Katze. Und wenn sie munterer Stimmung ist, ist sie das fröhlichste Wesen der Welt. Unsere Martini wurde von einem Kater berühmten siamesischen Geblüts gedeckt, und seine Mutter und sein Vater, seine vier Großeltern, seine acht Urgroßeltern und seine sechzehn Ur-Urgroßeltern waren eingetragene Rassekatzen. Das war Martinis einzige Begegnung mit der wahren Aristokratie der Katzenwelt, und sie kostete uns fünfundzwanzig Dollar. Der Kauf eines jungen Kätzchens von einem guten Zuchtbetrieb ist die klügste Art der Anschaffung eines reinrassigen Tieres. Aus einem guten Zuchtbetrieb erhält man mit ziemlicher Sicherheit eine gesunde Katze von gesunden Eltern. Zuchtbetriebe behalten keine Katzen, die nicht besonders gut beisammen sind, und verkaufen sie gewöhnlich auch nicht an Privatpersonen. Wichtig ist dabei, daß ein solches Kätzchen ausreichend lange Zeit bei seiner Mutter bleiben konnte, zum Zeitpunkt des Kaufs frei von Krankheiten und mit einiger Sicherheit geimpft ist. Handelt es sich um eine Perserkatze, wird ihr Fell von der bevorzugten Färbung sein, und Katzen mit solchem Fell sind im allgemeinen die schönsten Katzen. Geht es um eine Siamkatze, wird sie den Körperbau und die Fellzeichnung aufweisen, die diese Rasse so hervorhebt und auszeichnet, selbst wenn es nicht fürs Championat reichen sollte. Wir würden Martini gegen keinen Champion eintauschen, doch sie wäre noch schöner, wenn sie einen längeren, schlankeren Rumpf -253- hätte, und es besteht kein Grund zu der Annahme, daß sie dann nicht mehr dieselbe Katze wäre. Was die Persönlichkeit einer Katze betrifft, nimmt man natürlich ein Risiko auf sich, ganz gleich, wo man sie ersteht. Aus dem Verhalten eines jungen Kätzchens im Wurf läßt sich weitgehend auf seine späteren Neigungen schließen; eines ist gewöhnlich der Anführer, ein weiteres kommt in der Rangfolge gleich danach, irgendeines nimmt den letzten Platz ein. Der Anführer mag sich unter Umständen zu einem wahren Tyrannen entwickeln; wir sind überzeugt, daß Martini nicht nur ihre Brüder und Schwestern im Wurf terrorisierte, sondern wahrscheinlich auch ihre Mutter. Die langsamste Katze ist vielleicht weniger klug als die anderen oder nicht so gesund. Manche Katzenliebhaber empfehlen das Kätzchen, das gleich hinter dem Anführer kommt, und das ist wohl die sicherste Wahl. Wir allerdings würden uns jederzeit für den Boß entscheiden, voller Vorfreude auf eine wenn auch manchmal anstrengende, so aber doch niemals langweilige Beziehung. Wir allerdings sind auf die gewöhnlichste Art und Weise in den Besitz von Katzen gekommen – durch Auflesen auf der Straße, durch ein Geschenk, durch Kauf, durch Züchtung. Da wir alle unsere Katzen liebten, waren wir wohl mit all diesen Methoden zufrieden, wobei die Aufzucht eigener Kätzchen mit Sicherheit die anstrengendste ist. Unsere nächste Katze werden wir uns allerdings kaufen, weil – aber was ist das für ein Geräusch? Der Wicht ist doch nicht etwa zurückgekommen? Als sie heute morge n ging, nachdem Gin sie so wütend angefaucht hatte, sah es aus, als wäre es ein Abschied für immer. Bei Katzen weiß man jedoch nie; ihr Verhalten voraussagen zu wollen, wäre absurd. Erst vor ein paar Tagen, vor ein paar tausend Wörtern, -254- war der Wicht noch anonym; es hieß nur »Komm, Kätzchen, komm«. Sie miaute in einer schlimmen Nacht vor der Terrassentür, wurde eingelassen und getröstet. Man erkundigte sich nach ihr, und sie lebte – so redeten wir es uns ein -, auf der anderen Straßenseite. Ein hübsches kle ines Ding auf seine etwas plumpere, unsiamesische Art, mit weißer Brust, kurzem Rumpf, Streifen und grünen Augen; eine Katze, die so ziemlich sämtliche Farbkombinationen auf sich vereinte, einschließlich gedrellt-getigert; eine Katze, die sich für Anekdoten anbot. Wie sich herausstellte, lebte sie jedoch nicht auf der anderen Straßenseite, wo an Katzen nur ein weitgereister Kater wohnte. Auf der anderen Straßenseite war man gerade die letzte von den acht Katzen des Sommers durch Verschenken losgeworden, bis auf besagten Kater. Natürlich würde man unseren kleinen, miauen den Besucher aufnehmen] falls wir entschlossen sein sollten, ihn in den Winter hinauszujagen. Das würde jeder tun. Aber… Die Katze hatte sich fraglos selbstverständlich gerade unsere Tür ausgesucht, und selbstverständlich hatten wir sie eingelassen. Möglicherweise lernten sie und die Siamkatzen ja, sich zu vertragen. Wir könnten sie zunächst getrennt füttern, sie über Nacht in ein Gästezimmer sperren und hoffen, daß sie an Papierschnipsel im Katzenklo gewöhnt war. Wir könnten sie füttern und ihr heißhungriges Schlingen beobachten, sie hochnehmen – während Martini flucht und Gin faucht und Sherry tadelnd schreit – feststellen, wie zart sie doch unter ihrem ziemlich schütteren Fell ist. (Und entdecken, so gut es Laienfingern möglich ist, daß sie nicht sonderlich schwanger zu sein scheint.) Sie würde auf dem Schoß des sanften alten Mannes sitzen, der jetzt bei uns lebt und so gekränkt war -255- und nicht begreifen konnte, daß keine der schüchternen Blauäugigen ihm mehr als eine Berührung gestattete. Von seinem Schoß würde der Wicht sich auch mit Gewalt nicht leicht vertreiben lassen. Zwei Nächte hat sie inzwischen im Gästezimmer verbracht, und sie ist stubenrein. Sie hat ihr ganzes junges Leben bis auf vielleicht zwei Wochen mit Menschen verbracht. In diesen zwei Wochen ist sie scheu geworden, doch das wird nicht so bleiben. Sie kennt das Geräusch einer sich öffnenden Kühlschranktür so gut wie jede andere Katze, und gestern abend versuchte sie, sich zum Abendessen den anderen anzuschließen. Es kam nicht gerade zum Augenauskratzen, doch sie mußte entfernt werden, und dann wollten die Siamkatzen lange Zeit nicht fressen, sondern nur vor der Tür zum Gästezimmer in Lauerstellung hocken. Falls wir sie behalten und falls es noch nicht zu spät ist, müssen wir sie sterilisieren und impfen lassen. Martini ist sehr nervös, weil sie schon einmal hier war und jetzt schreit, um wieder eingelassen zu werden; gestern abend hat Martini einen von uns kurz angefaucht, und als Gin sich ganz unschuldig von hinten an sie heranmachte, wurde sie angezischt und geohrfeigt, bevor Martini sich wieder unter Kontrolle bekommen konnte…. Falls die teils Tigerkatze, teils Alles-andereKatze zu bleiben beschließt, müssen wir uns anstelle vo n Der Wicht einen besseren Namen für sie überlegen…. Wir wünschen den Dingsdas, die sie auf unserer Straße ausgesetzt haben, die Pest an den Hals, wie allen anderen auch, die Katzen auf Straßen aussetzen. Doch die nächste Katze nach dieser, wenn wir denn an dieser hängenbleiben – und wollen wir es nicht im Grunde sogar? -, wird mit Sicherheit eine gekaufte Katze sein. Es gibt in unserer Nähe Zuchtbetriebe für Siamkatzen, also brauchen wir uns nicht auf unser Glück zu verlassen. Wir -256- können unter den zwei oder drei Monate alten Kätzchen wählen; vielleicht ist es jetzt, da wir auf dem Lande leben und unsere Katzen sterilisiert sind, mal ganz interessant, es mit einem Kater zu versuchen. Doch wir werden niemals, nicht einmal als Amateure, Katzen züchten, und wir werden sie niemals ausstellen. Dessen sind wir uns ziemlich sicher. Wir, die nur wenigen Clubs angehören und diese nur selten aufsuchen, haben nicht vor, uns einem Katzen-Club anzuschließen. Es mag ja ganz lustig sein, doch irge ndwie erscheinen sie uns ein bischen unnormal. Katzen schließen sich nicht zu Clubs zusammen, und Katzenfreunde sind nicht unbedingt geselliger Natur. Aber vielleicht ist selbst diese Behauptung zu weit gefaßt. Verallgemeinerungen über Katzenfreunde sind fast so riskant wie Verallgemeinerungen über Katzen selbst; unter ihnen gibt es fast genauso viel Verschiedenartigkeit wie unter den schnurrenden (oder fauchenden) Objekten ihrer Liebe, wenngleich Menschen nicht in so vielen hübschen Farben auftreten. Kriegshelden halten meistens nicht viel von Katzen, wird behauptet – und man denkt an Mohammed vielleicht, der sowohl ein Krieger als auch ein Prophet war und als großer Katzenliebhaber galt. Schriftsteller mögen Katzen häufig sehr, wenn es auch ein paar Katzenhasser unter ihnen gibt; es trifft nicht notgedrungen zu, daß gute Schriftsteller aelurophil sind und schlechte nicht, denn auf beiden Seiten bestehen einfach zu viele Ausnahmen von dieser Regel. (Shakespeare hatte offenbar nicht viel für Katzen übrig.) Viele Schauspieler mögen Katzen und können, da sie meistens körperlich recht attraktiv sind, im Gegensatz zu den meisten Menschen das Risiko eingehen, sich mit Katzen fotografieren zu lassen. Viel mehr Frauen als Männer sind katzensüchtig, doch die bekanntesten und -257- redegewandtesten sind Männer, von Mohammed bis Carl Van Vechten. Katzen passen in viele verschiedenartige Lebensstile, da sie selbst in ihrer Eigenschaft als Tiere so verschiedenartig und anpassungsfähig sind. In einer Stadtwohnung sind sie recht zufrieden und können dort schadlos während des Arbeitstags sich selbst überlassen bleiben oder unter Umständen auch die Wohnung verlassen. Ein möbliertes Zimmer bietet Platz genug für einen Menschen und eine Katze, wenn sich nichts Besseres bietet und die Vermieterin großzügig ist; ein einsam lebender Mensch, gleich welchen Geschlechts, ist nicht mehr so allein mit einer Katze auf dem Schoß. Hunde verlangen, abgesehen von sehr alten Tieren, beträchtliche Vitalität von ihren Menschen; man muß nach Herzenslust mit ihnen toben, muß sie Gassi führen. Eine Katze zufriedenzustellen, ist dagegen nicht schwer, sofern sie ihren Menschen mag und über ein großes Herz verfügt. Sie kann mit ihrem Menschen am Feuer dösen und nur von Mäusen träumen – ihre Träume erkennt der Mensch am Zucken der Muskeln; manchmal rennt sie beinahe, wenn sie im Schlaf auf Jagd geht. Am Feuer fühlt sie sich so behaglich wie kaum ein anderes Tier. Ihr wohnt eine Unrast inne, die nach mehr verlangt, doch wenn die Rastlosigkeit ihres Menschen mit den Jahren abgeebbt ist, gibt sie sich zufrieden mit dem, was sie hat. Eine Katze würde, wenn nötig, auch im Kloster leben. Doch sie ist auch für das Leben da draußen groß genug; das gewaltigste Haus und die ausgedehnteste Wiese sind für eine Katze nicht zu groß, wenn sie sich einmal eingewöhnt hat. Sie wird das Leben draußen auf eigene Faust erforschen und alle möglichen faszinierenden Entdeckungen machen wie auch große Gefahren erkennen; draußen lebt sie vielleicht nicht so lange wie in einem -258- Zimmer, doch ihr Leben wird aufregender sein; sie wird mit glänzenderen Augen und glatterem Fell – wenn auch vielleicht voller Kletten – nach Hause kommen und von ihren Eroberungen berichten. Vielleicht geht sie mit ihrem Menschen spazieren, was viele Katzen mögen. Manchmal trottet sie still hinter ihm her, meistens aber tobt sie begeistert voraus, um ein Dickicht zu erforschen, und bleibt dann, dem Duft einer Maus nachspürend, zurück, bis der Mensch sicher ist, daß sie sich verirrt hat, und stehenbleibt, um sie zu rufen. Sie mag auch, wenn es denn sein muß mit einer Scheune einverstanden sein, solange sie Futter und nach Laune ein menschliches Bein zum Schmusen hat. Zwei oder drei Katzen unserer Bekanntschaft arbeiten in einer Scheune bei Ridgefield und kümmern sich um alles, während der Bauer, dem die Scheune gehört, in seinem Gewächshaus beschäftigt ist und seine Frau bei uns aushilft. Die Katzen sind recht zufrieden, wenn auch schwer beschäftigt, und sie scheinen den fetten Hund, der ebenfalls dort lebt und öfter ins Haus darf als sie, gar nicht zu bemerken. Wie wir hören, sind es gute Katzen; seit sie in der Scheune leben, gibt es keine Ratten und Mäuse mehr, weder in der Scheune noch im Haus. (Trotzdem: genug ist genug; die Frau des Gärtners weigerte sich, den Wicht aufzunehmen.) Eine Katze kann man aus jedem erdenklichen Grund mögen; die Bestätigung dafür findet sich im Verhalten der Katze. Falls jemand eine Mausefalle benötigt: Nichts macht einer Katze soviel Spaß wie die Jagd auf Mäuse; sucht man ein Schmuckstückchen, bietet sich nahezu jedes Exemplar dafür an, und wenn Katzen und Polstermöbel sich schwer vereinbaren lassen, machen sie das doch als Dekoration wieder wett; wenn jemand allein ist und sich etwas Lebendiges, Warmes in seiner Nähe wünscht, das sich seiner Hand anvertraut: eine Katze tut nichts lieber, -259- als für einen solchen Menschen zu schnurren. Wer Unterhaltung wünscht, findet sie ohne großartige Aufforderung in den entzückenden Beschäftigungen von Katzen; er muß nur mit ihr spielen oder ihr ein Spielzeug geben, um die entspannte Schläferin vorm Feuer in eine radschlagende Akrobatin zu verwandeln. Zu all diesen Zwecken – Mäusefreiheit, Dekoration, Gesellschaft und Unterhaltung – halten Menschen sich Katzen. Wer eine Katze um sich hat, kann auf perfekte Erledigung zählen. Und auf sehr viel mehr natürlich. Trotz unserer großartigen Fähigkeit, einander zu vernichten, unserer Geschicktheit im Niedermetzeln, sind wir doch Herdentiere, lassen uns zahm in die Vernichtung führen und führen uns selbst dorthin. Schauen wir eine Katze an, nehmen wir vielleicht verschwommen diesen anderen, nicht in Herden geführten Lebensstil wahr, den Katzen verkörpern und dem sie mehr als jedes andere Tier anhängen. Martini sitzt da und schaut einen von uns an, und obwohl sie bei uns ist, obwohl sie uns mit Sicherheit liebt, sitzt sie allein da; obwohl Martini und ihre Töchter in kühlen Nächten zusammengekuschelt schlafen, schlafen sie allein, wie sie allein ausgehen und allein jagen und allein die schreckliche Angst vorm Tod erleben, die sie hochspringen und zitternd an einen Ast gekauert daliegen läßt, wenn der Hund bösartig ist. Dieses wilde Alleinsein ist nicht so einfach, wie die Romantiker es darstellen, und auch nicht so offensichtlich. Eine Katze ist genauso »zahm« wie ein Hund und macht entschieden weniger Lärm darum; sie ist vom Dschungel genauso weit entfernt wie der Mensch und kehrt wie der Mensch dorthin zurück, um seine Bewohner zu töten. Und dennoch erkennen wir in ihr ein grundsätzlich und vielleicht bedeutungsvoll von uns verschiedenes Wesen; -260- ihr wohnt eine Fremdheit inne, die vielleicht der Grund dafür ist, daß viele Menschen einer Katze nicht so sachlich begegnen können, wie sie alle, abgesehen von den Züchtern, Hunden gegenüberstehen, ganz gleich, wie sehr sie sie lieben. Die Katze ist eine Individualistin, ist die Abweichung von der Norm; sie ist das Wesen, das nie in Rudeln gejagt und nie in Herden gekämpft und nie in Versammlungen entschieden hat. Sie besitzt die Würde der Selbstgenügsamen und das Selbstvertrauen der Selbständigen. Wenn man beim Anblick einer Katze für den Augenblick neidvolle Bewunderung für das nichtmenschlich Freie verspürt, handelt es sich um nichts weiter als momentane Sentimentalität und Sehnsucht nach einem Traum. Der Katze sollte man das nicht zum Vorwurf machen. -261- Nachwort von Otto Penzler Seien wir ehrlich: Katzen sind gar nicht so intelligent. Sicher, sie sehen schlau aus, verhalten sich klug in ihrer Geduld und oberflächlichen Ruhe, doch sie sind es nicht. Keine Katze hat je eine Symphonie geschrieben, Schach gespielt oder gewußt, wo Bulgarien liegt. Auf kulinarischem Gebiet bevorzugt die Katze Mäuse, um Himmels willen! Ist das etwa intelligent? Allerdings sind es hinreißende Geschöpfe. Sie drücken in ihrer Haltung eine stille Würde aus, die uns Respekt abverlangt. Und häufig tun sie Dinge, die wir Menschen so liebenswert finden, daß es unmöglich ist, sie nicht ins Herz zu schließen. Hier ist ein Buch über Katzen und Menschen, die Katzen lieben. Frances und Richard Lockridge, ihres Zeichens Autoren vo n Detektivgeschichten und Katzenfreunde aus Berufung, wußten, daß das Leben mit dem kleinen Wesen unaufhörliche Spekulation über sein tiefinneres Wesen bedeutet. In ihrer Eigenschaft als Schriftsteller (am besten bekannt als die Schöpfer von der Mr.-und-Mrs.-NorthSerie), nicht als Verhaltens forscher, gingen sie dieses recht hübsche Problem unwissenschaftlich an, die Lupe auf ihre Umgebung und auf die kleinen pelzigen Wesen gerichtet, die ihnen um die Knöchel strichen. Induktiv – wie der überwiegende Teil der Krimiliteratur eben nicht vorgeht, in der die Beschreibung eines einzelnen Schuldigen das Ziel ist – stützen die Autoren ihre spritzigen Abhandlungen über das Wahre Wesen der Katze mit Leckerbissen aus der weitgefächerten Forschung, die zu recherchieren gewiß viel Spaß gemacht -262- hat. Beim Kramen in Beobachtungen und Schlußfolgerungen früherer Katzengelehrter und Katzenfreunde greifen die Lockridges voller Freude auf langvergessene, verstaubte Annalen zurück und tragen genau zur Jahrhundertmitte Material zusammen. Das Ausmaß von Ailurophobie und grundlegender Fehlinformation über Katzen, das sich ihnen auftat, versetzte sie in ein herrliches Fieber der Empörung. Wenn dieses Buch eine Botschaft enthält, dann die, die das Wörtchen »und« im Titel impliziert: daß Katzen und Menschen nicht nur eine natürliche Verbindung in gegenseitiger Achtung und Zuneigung eingegangen sind, sondern auch, daß die Ursprünge der Beziehungen zwischen Katzen und Menschen bis in graue Vorzeit zurückreichen. Viele verwöhnte Miezen werden heutzutage als die höchstgestellten Wesen im Haushalt betrachtet, und die Lockridges erinnern den Leser, daß die geschmeidigen Vorfahren eben dieses Tieres mehrere tausend Jahre vor Christi Geburt in Ägypten zur Gottheit erhoben wurden. Noch früher, in der frühen Dämmerung der Geschichte und womöglich sogar Urgeschichte, mag die Katze von primitiven Stämmen als Totem betrachtet worden sein. Wie erklären die Autoren diese Verschiebung auf eine höhere Ebene der Verehrung? Die Katze, so schreiben sie, war ein hilfreicher kleiner Gott; indem sie das Getreide jener (Bauern) verteidigte, die sie schützten, hat sie vielleicht dazu beigetragen, daß sie besser ernährt waren als die Männer anderer Stämme, und damit stärker. In einer Welt, wo der Kampf ums Überleben alles war, mußten werdende Götter irgendeinen eindeutig nützlichen Wert unter Beweis stellen. Irgendwann erreichte die Katzenanbetung den Punkt, wo ganze ägyptische Adelsfamilien den Tod ihrer Katze betrauerten. Trotzdem -263- näherte sich geschwind der Zeitpunkt, an dem das kleine schnurrbärtige Tier vom Sockel gestoßen wurde und einfach in die Zukunft wanderte, schon auf dem Weg zum Schmusetier der modernen Zivilisation. Trotz aller geschmeidig aufgebrachten Gelehrsamkeit kehren die Lockridges doch immer wieder gern zu dieser vertrauten Bedeutung der Katzen im Leben des Homo sapiens zurück. Es ist gewiß eine weitverbreitete Überzeugung, daß die Welt sich säuberlich in »Hundemenschen« und »Katzenmenschen« aufteilen läßt. Ebenso trifft es zu, daß im letzteren Feld ein besonderer Stolz darauf herrscht, daß Katzen im Gegensatz zu ihren häufig eifrig um Gefallen bemühten Rivalen nicht besessen werden können. Doch die Lockridges tun diese Meinung als gut gemeinte, aber trotzdem irregeleitete »Katzensentimentalität« ab und widmen einige der bemerkenswertesten Passagen ihres Buches den anekdotischen Beobachtungen an sechs Katzen – Pam, Jerry, Martini (auch als Teeney bekannt), Gin, Sherry und Pete -, die ihnen ihrer Meinung nach ganz eindeutig gehörten. Wenn sie die Sprünge und Spiele ihrer Katzen beobachten und dem Leser die Feinheiten jeder einzelnen Katzenpersönlichkeit nahebringen, erweisen sich die Lockridges als Amateur-Naturforscher erster Sorte. Unter Beibehaltung einer beständigen, wohlwollenden Betrachtungsweise streben sie sowohl die Darstellung von Ritualen (Katzen bei der Werbung, Katzen auf der Jagd usw.) an als auch Ungewöhnliches (zum Beispiel die kurzzeitig verlegene Katze). Ihnen ist außerdem bewußt, daß die Sprache der Katze über ein eigenes Vokabular verfugt; wenngleich ihr ein Wörterbuch fehlt, kann die Katzenkommunikation doch von jedem, der sich bemüht, intuitiv begriffen werden. Als wahrhaft lebendige Sprache -264- enthält sie das vielleicht ausdrucksvollste wie auch geheimnisvollste Geräusch, dessen Tiere, einschließlich des Menschen, fähig sind – das Schnurren. Was hat es zu bedeuten? Das weiß niemand ganz genau; fest steht jedoch, daß diese hörbaren Vibrationen eine Menge vermitteln und doch nichts spezifizieren. Die verbale Ausdrucksweise der Lockridges selbst ist einfach, aber beredt. Gern bereit, den vierbeinigen Objekten ihres Interesses jegliche Selbstdarstellung zu überlassen, nähern sie sich gelegentlich dem poetischen Bereich, wie zum Beispiel bei der Beschreibung der Siamkatze, der Rasse, zu der sie sich am stärksten hingezogen fühlen. Die Lockridges glauben nicht nur an die Vormachtstellung der Katze, sondern auch an die Überlegenheit derer, die Katzen lieben. (Mark Twain hat bekanntlich sinngemäß gesagt: Wenn sich der Mensch mit der Katze kreuzen ließe, ergäbe dies einen besseren Menschen, doch die Katze hätte das Nachsehen.) Katzen kommen Menschen entgegen und sind ihnen Gefährten, wenn sie ihrerseits Dienstleistungen erbringen: Auf diese Weise erfüllt die Katze eine Aufgabe, die sie nie beabsichtigt hat und die nie von ihr erwartet wurde, und die inzwischen uralte und weiterhin bestehende Partnerschaft ist auch über Generationen hinweg immer wieder erfrischend. Viele Krimifans bleiben der Erinnerung an die lauten selbstbewußten Katzen treu, die 1940 als erste in Frances und Richard Lockridges The Norths Meet Murder über die Seiten stelzten. Martini und ihre Töchter Gin und Sherry lebten bei dem Amateurdetektiv Jerry North, einem Verlagsangestellten in Manhatten, und seiner Frau Pam, der klassischen spinnerten Heldin. Während ihrer Blütezeit in den Vierzigern und Fünfzigern stellte diese halb Menschen-, -265- halb Katzenfamilie im Herzen von Greenwich Village ein ungeheuer beliebtes Team dar, vielleicht weil ihre humorvollen Verwicklungen mit Gaunern und Mördern in willkommenem Kontrast zu den bedeutend bittereren Schlagzeilen des wirklichen Lebens jener Ära standen. 1936 als Serie fröhlicher Sketche im New Yorker eingeführt, tauchten die Norths daraufhin in sechsundzwanzig Romanen wieder auf und erfuhren die Ehre, sich selbst auf der Bühne, im Radio, im Fernsehen und im Kino erleben zu können. Laut Richard Lockridge waren die Norths zunächst ziemlich autobiographische Figuren. (Cleveres junges Ehepaar schlägt sich geschickt in der Großstadt durch.) Sie entwickelten sich jedoch zu unverbesserlichen Teilzeitspürhunden, nachdem Lockridges Job als Reporter bei der New York Sun ihm persönliche Erfahrungen mit einer Serie von sensationellen Mordprozessen einbrachte. Die Tatsache, daß Frances Lockridge meinte, die Haushaltskasse durch das Verfassen eines Krimis aufbessern zu können, spielte eine nicht unbedeutende Rolle in ihrem ersten Entschluß, den Versuch zu wagen. Sie begann den Roman ohne die bekannten Norths, die erst hinzukamen, als Richard sich zur Mitarbeit entschloß. (Pam und Jerry, das sollte hier angemerkt werden, nannten die Lockridges auch ein Katzenpärchen, das in den vierziger Jahren bei ihnen lebte; dieses halbsiamesische Schwester-Bruder-Gespann tritt auch häufig in von Katzen und Menschen in Erscheinung. Die Partnerschaft der Lockridges als Ehepaar und Autorenteam dauerte einundvierzig Jahre. Außer den North-Geschichten schrieben sie zusammen eine Serie mit Inspektor Merton Heimrich von der New York State Polizei als Helden wie auch eine Reihe mit weniger bekannten Seriencharakteren: Nathan Shapiro vom New -266- York Police Department und Staatsanwalt Bernie Simmons aus New York. Darüber hinaus veröffentlichten die Lockridges vier Kinderbücher: The Proud Cat (1951), The Lucky Cat (1953), The Nameless Cat (1954) und The Cat Who Rode Cows (1955). Richard allein schrieb 1957, ebenfalls für Kinder, One Lady, Two Cats. 1960 waren beide Lockridges Co-Präsidenten der Mystery Writers of America. Frances Lockridge starb 1963. 1965 heiratete Richard ein zweites Mal; er starb 1982 und überlebte seine zweite Frau Hildegarde Dolson nur um ein Jahr. Als Schriftsteller, die Sprache begriffen und wertschätzten, haben Frances und Richard Lockridge ihren Katzen – im Grunde genommen allen Katzen – auf die Weise, die ihnen am besten lag, Tribut gezollt. Dieses hinreißende Buch ist Ausdruck und Höhepunkt ihrer persönlichen und professionellen Wertschätzung jener reizenden Tierchen, die ihr Leben so bereichert hatten. Ich habe mit der Behauptung begonnen, daß Katzen gar nicht so intelligent sind. Keine Katze hat jemals eine Symphonie geschrieben, Schach gespielt oder gewußt, wo Bulgarien liegt. Fairerweise muß ich jetzt allerdings die Frage stellen: Wie viele Menschen können das von sich behaupten? -267-
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