Frances und Richard Lockridge

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Unterhaltsames Lesefutter für den Katzenfreund:
Mythen, Gewohnheiten, Verhalten des geliebten
Pelztiers. Ein unverhoffter Leckerbissen, ein Klassiker –
neu zu entdecken.
»Das Buch der Lockridges ist bei weitem das beste und
umfassendste Werk, das jemals über
Katzen geschrieben wurde«, hieß es in der Chicago
Tribune zur amerikanischen Neuauflage.
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Mit ihrem höchst amüsanten Sachbuch über alles, was
den Umgang mit Katzen so eigen macht, legten die
Krimiautoren Frances und Richard Lockridge bereits 1950
einen spannenden Beitrag zu Geschichte, Mythos und
Verhalten der schnurrenden Vierbeiner vor, den es nun
erstmals auf Deutsch zu entdecken gilt: Die Katze –
vergöttert und verteufelt; Kumpanin von Hexen und
Propheten; ihr Leben in der Natur und mit den Menschen,
ihr Liebesspiel – dies alles gewürzt mit amüsanten
Anekdoten und aufschlußreichen Beobachtungen an
Martini, Gin und Sherry, den Lieblingskatzen der
Lockridges. Zur amerikanischen Neuauflage meinten
zwei, die sich auf diesem Gebiet auskennen: »Das Kapitel
›Zur Gottheit beförderte‹ sollte Pflichtlektüre für jeden
Menschen sein« (Sneaky Pie Brown). Und Rita Mae
Brown fügte hinzu: »Sneaky denkt eben nur an sich!«
Frances und Richard Lockridge waren als Journalisten in
Kansas City tätig, bevor sie nach New York zogen, um
sich dort als Krimiautoren niederzulassen. Zusammen
haben sie um die Mitte des Jahrhunderts mehr als 25
Krimis geschrieben, von denen viele in den USA heute
noch lieferbar sind. In allen Thrillern mit von der Partie:
eine Katze. Und auch im Haushalt der Lockridges spielten
Heimtiger stets eine Hauptrolle.
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Frances und Richard Lockridge
Von Katzen und
anderen Menschen
Aus dem Amerikanischen
von Elisabeth Hartmann
Ullstein
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Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Lockridge, Frances:
Von Katzen und anderen Menschen / Frances und
Richard Lockridge.
Aus dem Amerikan. von Elisabeth Hartmann. – Berlin:
Ullstein, 1999
ISBN 3-550-06983-9
© 1950 by Frances und Richard Lockridge Nachwort ©
1996 by Otto Penzier Die amerikanische Originalausgabe
erschien 1950 unter dem Titel Cats and People
Amerikanische Neuauflage 1996: Kodansha America,
Inc., by arrangement with the Lockridge Estate
© der deutschsprachigen Ausgabe 1999 by Ullstein
Buchverlage GmbH & Co. KG, Berlin Alle Rechte
vorbehalten Aus dem Amerikanischen von Elisabeth
Hartmann Zeichnungen: Wolfgang Schedler Satz:
Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung:
Graphischer Großbetrieb Pößneck GmbH, Pößneck
Printed in Germany 1999
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei
gebleichtem Zellstoff ISBN 3-550-06983-9
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Inhalt
Erstes Kapitel
Jede Katze eine Persönlichkeit
8
Zweites Kapitel
Aus grauer Vorzeit
15
Drittes Kapitel
Zur Gottheit befördert
36
Viertes Kapitel
Übersinnliche Begabungen
52
Fünftes Kapitel
Im Reich der Dunkelheit
66
Sechstes Kapitel
Ruschelige Mausefallen
83
Siebtes Kapitel
Katzen, Vögel und das Gleichgewicht der Natur
102
Achtes Kapitel
Katzen – die besseren Menschen?
113
Neuntes Kapitel
Vom Leben in zwei Weiten
129
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Zehntes Kapitel
Bewußtsein und Verstand
164
Elftes Kapitel
Katzen sind keine Affen
183
Zwölftes Kapitel
Ein, zwei, viele Kätzchen
205
Dreizehntes Kapitel
Hohe Erwartungen und Anspruchsdenken
233
Vierzehntes Kapitel
Von Katzen und anderen Menschen
244
Nachwort von Otto Penzier
262
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Erstes Kapitel
Jede Katze eine Persönlichkeit
Da sitzt sie auf dem Boden, die Pfoten unvergleichlich
ordentlich nebeneinander, den Schwanz um den Körper
gelegt, und betrachtet aus runden Augen einen der beiden
Menschen, denen sie auf besondere Weise zugetan ist. Ihre
Augen sind jetzt vollkommen rund und bilden
konzentrische Kreise zur Pupille, die sie nach Belieben zu
einem Schlitz verengen kann, eine schwarze, unwägbare
Tiefe. Ansonsten sind ihre Augen blau. Sie wirkt
erwartungsvoll, doch zu erraten, was sie erwartet, ist
unmöglich.
Sie hat gefressen, nachdem sie wie immer abgewartet
hat, bis ihre Kinder die Mahlzeit beendet haben, denn sie
lehnt es ab, sich an einem unziemlichen Gerangel ums
Fressen zu beteiligen. Ihr Katzenklo braucht nicht
gereinigt zu werden; wenn es der Fall wäre, würde sie sich
melden. Sie fühlt sich wohl, denn ihre Augen sind klar und
ihr Fell ist glatt. Wenn sie den Wunsch hätte, auf dem
angebotenen Schoß zu sitzen, würde sie es kundtun –
vielleicht wäre es angemessener zu sagen: sie würde
vorwarnen. Also ist anzunehmen, daß sie im Augenblick
keinen äußerlichen Ausdruck der Zuneigung von diesem
Menschen verlangt und auch ihrerseits keine Zuneigung
zum Ausdruck bringen will. Sie möchte nur schauen.
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Obwohl ihresgleichen schon seit mehr als viertausend
Jahren mit dem Menschen lebt, vermögen genetische
Erinnerungen nicht ihre persönliche Neugier zu
befriedigen.
Unter dem intensiven Blick fühlen sich viele Menschen
unbehaglich, manche entwickeln sogar eine richtige
Abneigung dagegen. Manche bekommen auch Angst, und
diese Menschen sind womöglich – was allerdings
umstritten ist -Träger eines Gens, das sie an bedeutend
größere Tiere erinnert, die vor etwa einer Million Jahren
genauso dasaßen, wie sie jetzt sitzt, sich genauso duckten,
wie sie sich ducken kann, und etwas Menschenähnliches
in einem Baum, nicht im Sessel, betrachteten, das allen
Grund hatte, Angst zu haben.
Der Mensch jedoch, den sie gerade anschaut, teilt diese
Angst nicht und fühlt sich auch nicht sonderlich
unbehaglich. Dennoch läßt einen dieser stille, starre Blick
nicht völlig unberührt. Egal, was man hat, diesen Blick
kann man nicht ignorieren. Am Ende erwidert man ihn,
stellt fest, daß es an der Zeit ist, als erster das Wort zu
ergreifen. »Ja, Teeney? “
Langsam schließt sie dann halb die Augen. Die
Schwanzspitze zuckt. Ihre Augen werden schmal,
Schlitzaugen, orientalisch. Sie hat zugehört, sie war
höflich, hat die Beziehung zwischen sich und diesem
größeren Tier jüngerer Herkunft
bestätigt. Möchte sie, daß man ihr eine zerknüllte
Zigarettenschachtel zuwirft, damit sie sie zurückbringen
kann? Möchte sie hinter den spitzen Ohren gekrault, unter
dem zierlichen und doch so kraftvollen Kiefer ge streichelt
werden? Oder möchte sie nur dasitzen und nachdenken?
Über ihren tiefen und unergründlichen Eigennamen
grübeln, wie sie es nach T.S. Eliots Überzeugung in
solchen Momenten tut?
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Ob sie überhaupt denken, geschweige denn grübeln
kann, steht allerdings seit Jahren heftig zur manchmal gar
hitzigen Debatte. Diese Debatte wurde aufgrund einer
häufig außer acht gelassenen Überlegung kompliziert,
manchmal sogar unverständlich: Wir beziehen uns mit
einem Vokabular auf sie, das womöglich gar nicht
angemessen ist, mit Worten, die weniger über die Katze
als über unsere eigene hilflose Beschränktheit innerhalb
eines Systems von Werten aussagen, die nur auf eine
bestimmte Gattung von Primaten zutreffen. Mit anderen
Worten: Wir vermenschlichen sie. Wir sagen, sie ist
»grausam« oder »hinterlistig« oder »stolz«; sie ist
»intelligent« oder »verspielt« oder »anschmiegsam« oder
»geheimnisvoll«. Wenn sie jagt, dann »wildert« sie, und
wenn sie die Gelegenheit einer geöffneten Kühlschranktür
nutzt und sich ein halbes Brathähnchen holt, dann
»stiehlt« sie – ist eine »böse“ Katze.
Keines dieser Worte, so läßt sich vermuten, würde eine
Katze benutzen, denn es ist anzunehmen, daß sie sich
nicht sonderlich für Abstraktionen interessiert. Sie hat ihr
eigenes Vokabular. Einmal wurde ihr, wenn auch nicht
allzu ernst gemeint, ein Wortschatz von etwa sechshundert
Begriffen zugeschrieben. Ganz bestimmt ist sie fähig, sich
einer anderen Katze, ihren Jungen, einem Hund oder
Eichhörnchen verständlich mitzuteilen und am ehesten
wohl einem Menschen, der bereit ist, ihr zuzuhören. Doch
ob sie denken kann, hat sie bisher niemanden wissen
lassen.
Gewiß, sie ist schön, und sie scheint es zu wissen. Sie ist
wunderbar für ihren Lebenszweck konstruiert, der darin
besteht, Tiere, die ihrer Meinung nach zum Verzehr
geeignet sind, anzuspringen und zu töten. Ihre Anmut ist
ein Phänomen. Und wenn sie versehentlich mal
tolpatschig oder ungeschickt ist, zeigt sie sich verlegen.
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Sie führt sich auf, als würde sie leicht eifersüchtig –
natürlich auch wieder ein Menschenwort. Sie entwickelt
anscheinend ausgeprägte Vorlieben für gewisse
Menschen. Die Katze, die hier auf dem Boden sitzt und
immer noch aufschaut, faucht zum Beispiel eine
bestimmte Person, mit der sie täglich zu tun hat und die
stets freundlich zu ihr war, manchmal an. Und als wir
beide sie einmal allein lassen mußten, hat sie zehn Tage
nicht gefressen, obwohl sie zu der Zeit ihre Jungen säugte.
Als wir zurückkamen, hat sie stundenlang nicht mit uns
geredet, wohl aber gefressen, als wäre sie dem Hungertod
nahe.
Es ist schwierig, sie objektiv zu beurteilen; dazu war der
Mensch selten in der Lage. Sie wurde als Göttin verehrt,
als Satan gehaßt und bekämpft, sie war die Be gleiterin von
Hexen und Propheten. In romantischer Überspitzung, wie
sie in fast jede Diskussion über ihre Gattung einfließt,
wird behauptet, man würde sie entweder lieben oder
hassen, und weit verbreitet ist die Meinung, man müsse
sich zwischen ihr und ihrem Vetter, dem Hund,
entscheiden; beide zu mögen wäre ausgeschlossen. (Sie
selbst allerdings kann sowohl mit Hunden als auch mit
Menschen glücklich und in Frieden leben, was auch häufig
der Fall ist.) Sie ist ein beliebtes Opfer menschlicher
Verallgemeinerung: »Katzen sind so und so, tun dies und
das.“
Doch in keiner Tierart ist die Individualität so
ausgeprägt, sind individuelle Unterschiede so zahlreich.
Und sie gehört zu den am stärksten mit Gefühlen belegten
Tieren, sowohl von Seiten ihrer Bewunderer als auch ihrer
Feinde.
Die Katze auf dem Boden rührt sich nicht. Ihr Blick
bleibt starr. »Teeney?« hört sie erneut, und erneut
schliefen sich ihre Augen halb, zuckt ihre Schwanzspitze.
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»Was gibt's, Teeney? Was willst du? “
Sie öffnet das Mäulchen und gähnt, zeigt dabei vier der
spitzesten in der Tierwelt bekannten Reißzähne. Ein Ohr
muß gekratzt werden. Doch dann sitzt sie wieder reglos da
mit unbewegtem Blick.
Sie wiegt etwa sechs Pfund, wenig selbst für die
zierlichsten ihres Stammes. Ihr Gesicht ist rußigschwarz
gezeichnet, ihre Ohren sind tiefbraun, fast schwarz,
Schwanz und Beine sind von ähnlicher Färbung. Sie ist
nur eine unserer Katzen; die »Hauptkatze«, die »Ober
katze«. Das weiß sie, ganz gleich, was sie sonst so weiß
und sie läßt nicht zu, daß wir es vergessen.
Sie ist eine unserer Katzen, weil sie uns gehört und weil
wir für sie lebenswichtige Dinge tun können, ob sie es uns
gestattet oder nicht. Der Grund besteht darin, daß wir
größer sind als sie und mit Instrumentarien ausgestattet
sind, die ihr fehlen. Wir können zum Beispiel das Telefon
benutzen – das mag sie nicht und gibt dann ein ärgerliches
Schnattern von sich – und den Tierarzt rufen. Wir können
sie festhalten, wenn der Arzt ihr eine Spritze gibt, die ihr
letztendlich gut tut. Und weil es offenbar in ihrem und
ganz gewiß in unserem Interesse war, haben wir dafür
gesorgt, daß sie nie wieder ihre düstere, disharmonische
Leidenschaft in die Welt hinausschreit und ruft: »Hier bin
ich! Komm zu mir!«, wenngleich das bedeutet, daß sie uns
auch niemals mehr nächtens in gewissen Abständen weckt
und uns zu einer Kiste führt, damit wir wissen, daß sie
jetzt, wie durch ein Wunder, geboren hat. Sie und ihre
zwei Töchter fressen, was wir ihnen geben, allerdings
nicht, ohne ihre Vorlieben kundzutun; sie leben dort,
wohin wir sie bringen, in der Stadt oder auf dem Land. Bei
Nacht sind sie eingeschlossen, obwohl keine Katze
freiwillig nachts im Hause bleiben würde. Hin und wieder
geben wir ihnen Tabletten, was keine Katze mag.
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Es ist also absurd zu behaupten, wie es immer wieder
getan wird, daß wir sie nicht besäßen, daß »kein Mensch
eine Katze besitzen kann«. Wir besitzen sie, wir
können mit ihnen tun und lassen, was wir wollen; wenn
wir willentlich nichts tun, was ihnen schaden kann, wie es
bei uns der Fall ist, können sie sich glücklich schätzen. Sie
leben mit Menschen, die Katzen mögen, und als
Gegenleistung dafür haben wir Katzen, die auf selektiver
Basis anscheinend Menschen mögen. Andererseits mögen
wir nicht alle Katzen. Freilich besitzen wir nicht ihre
Seele, versuchen nicht, sie zu versklaven. Das würde uns
nie gelingen, selbst wenn wir sie und uns so wenig achten
würden, es zu versuchen. Sie werden niemals…
Doch jetzt meldet sich die Katze auf dem Boden. Die
Bemerkung ist kurz, als Frage angelegt, wie der Mensch
durch Erfahrung gelernt hat. »Aber ja«, sagt der Mensch.
»Komm.«
Die Katze springt auf den Schoß, landet sanft, mit
eingezogenen Krallen. Sie steht einen Augenblick,
betrachtet dieses vertraute menschliche Gesicht aus
größerer Nähe. Dann macht sie es sich gemütlich, nicht
auf dem Schoß, sondern an der Brust, so daß ihr Kopf
gerade eben das Kinn berührt. Sie streckt eine Pfote aus,
legt sie zärtlich um den menschlichen Hals. Sie beginnt zu
schnurren. Sie schnurrt nicht so laut wie ihre Kinder, doch
das Geräusch drückt Zufriedenheit aus. Das war es also,
was sie wollte. Felis domestica, aus der Unterfamilie
Felinae und der Familie Felidae, aus der Überfamilie
Feloidea, der Unterordnung Fissipedia und der Ordnung
Carnivora von der Überordnung Ferungulata und der
Klasse Mammalia, befindet sich an einem der Orte, an
denen Felis domestica sich gern aufhält, wenn sie nicht
Mäuse fängt.
Felis und alles übrige ist ihr Name auf dem äonenalten
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Tiermarkt, auf dem ihre Art das Blaue Band fürs
Überleben gewonnen hat. Wir aber nennen sie Martini und
meistens Teeney, denn sie ist unsere Hauptkatze, und so
haben wir sie getauft, als sie noch klein war, nur tapsen
konnte und das Laufen noch lernen musste und ihren
Schwanz steil aufgerichtet trug.
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Zweites Kapitel
Aus grauer Vorzeit
Für Martini und ihre Artgenossen sind die Menschen
Emporkömmlinge, erst seit kurzem auf der Erde, immer
noch eine unausgegorene Rasse. Vielleicht fragt sie sich,
wenn sie uns aus runden Augen anschaut, lediglich, wie
lange wir wohl noch bestehen können; in den vielen
Millionen Jahren ihres Lebens haben die Katzen
zahlreiche
scheinbar
vielversprechende
Tierarten
entstehen, zur Blüte kommen und wieder verschwinden
gesehen. Womöglich nährt ihr genetisches Gedächtnis
eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Dauerhaftigkeit von
allem, was nicht Katze ist. Ein paar Zibetkatzen hatten
zweifellos ein längeres Leben, aber Zibetkatzen sind nur
die armen Verwandten der Katze.
Es gab einmal eine Zeit ohne Katzen. Vor vierzig
Millionen Jahren, vielleicht ein paar Milliönchen mehr
oder weniger, war die Katze lediglich in einem kleinen,
primitiven Säugetier angelegt, das die Paläozoologen
Miacis nennen. Miacis hatte einen langen Körper und
einen langen Schwanz, die Beine waren kurz; er sah mehr
oder weniger aus wie ein Wiesel. Unter den Tieren, die
damals die Erde von den riesigen Reptilien übernahmen,
war Miacis wahrscheinlich unscheinbar und nicht sehr
vielversprechend; bestimmt nicht vielversprechender als
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die kleinen Affen, die in den Wäldern schnatterten. Doch
von Miacis stammen alle auf dem Land lebenden
Fleischfresser ab – die Hunde und Bären, die Waschbären
und die Hyänen und die Katzen. Einige von ihnen traten
frühzeitig in Erscheinung, andere später; die Katzen
gehörten zu den frühesten. Die Evolution setzte sich über
Jahrmillionen hinweg fort, bevor die Katze mit der Plage
eines echten Hundes konfrontiert wurde.
Miacis lebte im späten Eozän. Er lebte inmitten von
schafgroßen Pferden, pferdeartigen Rhinozerossen und
Kamelen, die an Gazellen erinnerten. Er brachte die
Zibetkatze hervor, die ihm zuerst nicht unähnlich war.
Und dann wurden aus den Zibetkatzen plötzlich Katzen.
Das Tempo dieser Umwandlung versetzt die
Paläontologen noch immer in mildes Erstaunen.
»Betrachtet man den Wechsel rückblickend unter dem
Aspekt von vierzig Millionen Jahren Zeitunterschied, sieht
es so aus, als wären die Katzen ganz zu Anfang des
Oligozäns plötzlich mit ausgesprochen geringem
Entwicklungsaufwand erschienen, um auf der Bühne des
grimmigen Wettbewerbs in einer Welt voller Feinde ihren
Auftritt zu haben«, schreibt Edwin H. Colbert vom
American Museum of Natural History. »Man könnte
behaupten, daß bestimmte Zibetkatzen mit der
evolutionären Geschwindigkeit eines wendigen Schauspie
lers unter dem Druck einer komplizierten Doppelrolle in
die Rolle der Katzen geschlüpft sind.«
Nachdem sie nun zu Katzen geworden waren, gaben sich
diese neuen Tiere zufrieden und unterzogen sich, mit der
Ausnahme einer einzigen berühmten Variante, in den
folgenden Äonen nur noch wenigen Veränderungen.
Einige wurden groß und andere klein, einige bekamen
Flecken und andere Streifen, das Fell einiger weniger
wurde dicht, und eine andere Spezies verlor ihr Fell
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nahezu vollständig, bevor die Natur, aufgestört durch ein
derart unkatzenhaftes Verhalten, die Abart auslöschte.
Katzen haben gelbe Augen oder grüne oder blaue; in
hellem Licht verengen sich bei einigen die Pupillen zu
Schlitzen und bei anderen zu stecknadelgroßen Punkten.
Der Gepard verlor irgendwo auf dem Wege fast oder ganz
die Fähigkeit, seine Krallen einzuziehen, und veränderte
seinen Körperbau gemäß den Anforderungen an die
Schnelligkeit.
Doch
die
Veränderungen
waren
nebensächlich; die eigentliche Katze war seit Urzeiten so
elementar, daß Mivart sich sowohl auf die sechs Pfund
schwere Martini als auch auf den größten Löwen bezieht,
wenn er die Katzen zu den am perfektesten spezialisierten
unter den Säugetieren zählt und weiterhin schreibt:
»Um sich von Tieren, die sie lautlos verfolgen und unter
Ausübung ausgefeiltester Bewegungsabläufe erlegen muß,
ernähren zu können, verfügt die Katze über weich
gepolsterte Pfoten, auf denen sie sich geräuschlos
fortbewegt, über im Vergleich zu ihrer Größe enorm
massige und kräftige Muskeln in Verbindung mit
Knochen, die so aufeinander ausgerichtet sind, daß sie das
vollendetste System von Federung und Hebelwirkung zum
Vorschnellen dieses Körpers in der gesamten Gruppe
bilden. Die Krallen sind spitzer und stärker gekrümmt als
die eines jeden anderen Säugetiers und können mit Hilfe
besonderer Muskeln unter Polster zurückgezogen werden,
um sie vor Abnutzung und Verletzung zu schützen, wenn
sie nicht in Gebrauch sind. Kein Gebiß ist seiner Aufgabe
besser angepaßt: die großen Eckzähne zum Reihen, die
scherenartigen vorderen Backenzähne zum Zerteilen von
Fleisch in Brocken, die klein genug zum Verschlingen
sind. Die Fibern der Iris ihres Auges dehnen die Pupille
bei der weitmöglichsten Öffnung zu einem Kreis, der die
Dunkelheit der Nacht einläßt und durch rasches, spontanes
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Zusammenziehen exzessives, blendendes Tageslicht
ausschlieft, wodurch absolut genaue Sicht unter beiden
Extrembedingungen gewährleistet ist.«
Mit derartigen Augen betrachten Katzen seit
Jahrmillionen die Veränderungen anderer, die sie selbst
nicht berührten. Sie haben gesehen, wie die Affen von den
Bäumen kamen, vorsichtig, wachsam Ausschau haltend
nach Raubtieren. Sie haben gesehen, wie ihre Vettern, die
Hunde, langsam das Hundsein erreichten, ein Vorgang,
der vor etwa zwei Millionen Jahren abgeschlossen war; sie
sahen auch, daß einige von den hundeartigen
Abkömmlingen des Miacis einen anderen Kurs
einschlugen, »Bärenhunde« (Daphaenus) wurden und
schließlich dann Bären. Sie waren zur Stelle, hungrig,
sprungbereit, als manche Tiere gegabelte Hörner auf den
Nasen trugen, andere nutzlose große Stoßzähne mit sich
herumschleppten und sich das Gesicht einer bestimmten
Art zu einer Schaufel umformte. Die meisten von diesen
Tieren fanden die großen Katzen jener Zeit äußerst
schmackhaft.
Die großen prähistorischen Katzen traten in zwei Arten
auf, deren eine vielleicht gekommen wäre, hätte man
gerufen: »Hierher, Hoplophoneus« – sie wäre womöglich
rasend schnell und äußerst blutrünstig gekommen. Die
andere Art, im frühen Oligozän nicht sehr anders gestaltet,
hätte auf den Namen Dinictis gehört oder, wie es
Katzenart ist, gar nicht reagiert, wenn es ihr nicht gene hm
war. Beide Arten hatten Katzengestalt, Muskeln, Augen
und Krallen wie Katzen und ziemlich lange Reißzähne.
Doch Hoplophoneus unterlief eindeutig ein Fehler, wie
sich letztendlich herausstellte, obwohl er ihm einen
klingenden Namen unter den Tieren aller Zeiten
einbrachte und ihn für Millionen von Jahren zum
schrecklichsten unter den lebenden Tieren stempelte. In
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den prähistorischen Zeiten des Menschen waren die
Abkommen des Hoplophoneus stark vertreten und
grauslich anzusehen. Mag sein, daß diejenigen, die
heutzutage vor den kleinen Hauskatzen, ja sogar vor
einem so winzigen Geschöpf wie Martini
unwillkürlich zurückschrecken, sich unbewußt an das
große, reißzahnbewehrte Tier zurückerinnern, das so lange
Zeit mit schrecklichen Säbeln im Maul die Welt
durchstreift hat.
Hoplophoneus hatte etwas längere Reißzähne als
Dinictis, die »wahre Katze«. Und wenngleich sie immer
Katzen blieben, entwickelten sich die Stränge, beides
Prototypen, auseinander. Die Reißzähne der einen Art
wurden länger und länger, ragten weiter und weiter über
den Unterkiefer hinaus, wurden zu Stichwaffen. Diese
Spezialisierung zog als logische Folge weitere nach sich.
Der Schädel streckte sich, um Halt für die kräftigen
Nackenmuskeln zu bieten, die Katze insgesamt wurde mit
zunehmender Schlagkraft massiger, richtete sich somit auf
die schwerfälligsten der inzwischen ausgestorbenen Tiere
als Beute aus, die damals große Teile der Erde
bevölkerten. Im späten Pleistozän gipfelte diese Katze im
Smilodon, dem Säbelzahntiger. Vor gar nicht langer Zeit
gehörte er noch zu den Lebenden: vor nur zwanzigtausend
Jahren.
Es wurde erwogen, daß die Reißzähne, Smilodons
ausgeprägtestes Kennzeichen und bedeutendste Waffe,
letztlich Ursache seines Niedergangs waren – seine Säbel
wären zum Schluß so lang geworden, daß er den
Unterkiefer nicht mehr schliefen konnte und dadurch
mitten im Überfluß an einer Art Maulsperre zugrunde
ging, so perfekt zum Beutemachen ausgerüstet, daß er
nicht mehr fressen konnte. Das ist eine hübsche Theo rie
und, zumindest als Analogie, durchaus nicht die erste
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dieser Art. Die riesigen Reptilien starben womöglich aus,
weil sie schließlich und endlich durch ihre schützende
Panzerung zu unbeweglich wurden, wie in späterer Zeit
der stahlbewehrte Ritter flinkeren Waffen wich. Der
Mensch der Moderne war hinsichtlich der Perfektion
seiner Bewaffnung häufig zu Kompromissen gezwungen –
Stahlplatten auf Kosten der Geschwindigkeit von
Kampfschiffen zum Beispiel Doch wahrscheinlich lag es
nicht an diesem Umstand, daß der Säbelzahntiger zur
Erleichterung der Pflanzenfresser von der Erdoberfläche
verschwand. Die moderne Forschung überzeugte die
Paläontologen, daß der Smilodon trotz seiner Reißzähne
sehr wohl den Unterkiefer öffnen und schließen konnte.
Offenbar war er zu diesem Zweck mit einem
Spezialscharnier
ausgerüstet.
Inzwischen
wird
angenommen, daß er aus dem einfachsten aller Gründe
unterging: Zuerst starb seine Nahrung aus. Er lebte von
Riesenfaultieren und ähnlichen Wesen; er war dazu
ausgerüstet, die mächtigen, aber langsamen Tiere zu
überwältigen. Faultiere und ihresgleichen starben aus;
vielleicht hat der Smilodon seinen Teil dazu beigetragen,
wenn auch wahrscheinlich nicht den ausschlaggebenden.
So verhungerte der Smilodon schließlich inmitten von
Wild, das er nicht fangen konnte, und desha lb dürfen wir
ihn nie im Zoo bewundern, während die Nachkommen
von Dinictis – die flinken Springer, mit wenigen
Ausnahmen die Kletterer, die katzenartigen Katzen – mit
Sicherheit zu sehen sind. Und wir laden keine
Säbelzahntiger in Kleinformat ein, auf unserem Schoß zu
sitzen.
Die Nachkommen des Dinictis, von denen manche um
ein Drittel größer waren als die größten unter den heutigen
Katzen, waren für andere Tiere eine genauso tödliche
Gefahr wie der Smilodon, und wahrscheinlich noch mehr
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für den Menschen, denn sie waren flinker und vermutlich
auch intelligenter. Sie erbeuteten wohl, ähnlich wie ihre
wildlebenden Nachkommen heutzutage, vornehmlich
grasende, schnell laufende Tiere. Während der
Säbelzahntiger ein dickhäutiges Faultier zerriß, fragen
seine Zeitgenossen unter den wahren Katzen die kleinen
Kamele und Pferde, die auf drei Zehen liefen. Während
der Smilodon zuschlug, sprangen sie an, schärften ihren
Verstand, wenn sie Tieren auflauerten, die wohl häufig
beim ersten Versuch erlegt werden mußten oder entkamen.
Und alle bis auf die größten unter den wahren Katzen
konnten klettern, zweifellos stiegen sie den Affen nach.
Wie die Affen konnten sie beim Klettern weit übers Land
blicken.
Der Säbelzahntiger und die wahren Katzen waren in
diesen Zeiten überall vertreten, wie uns die Knochen der
alten Ausgestorbenen heute verraten. Katzen lieben es
warm und bevorzugen auch heute in der wildlebenden
Form hauptsächlich Landstriche, in denen die Sonne
brennt. Doch irgendwann einmal war es fast überall auf
der Erde warm genug für Katzen, und sie hinterließen
überall ihre Knochen, abgesehen von den Polarzonen
und Australien und einigen Inseln. Nordamerika war ein
Lieblingsort der Katzen wie auch der Mammuts, der
frühen Kamele und der Boden-Faultiere. Wo sich heute
Los Angeles befindet, fauchten die großen Katzen über
ihrer Beute, und ein paar von ihnen stürzten in Teergruben
und wurden so konserviert. Als das Eis aus dem Norden
herab kam, wanderten die großen Katzen mitsamt ihrer
Nahrung zur Halbinsel Florida, wo Jäger und Beute
gleichermaßen Wärme suchten.
Die zwei Katzenarten kamen, soweit man es heute
beurteilen kann, einigermaßen gut miteinander aus.
Jedenfalls schienen Rivalitäten eher persönlicher als
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rassischer Natur zu sein. Die wahren Katzen töteten, was
der Säbelzahntiger nicht erjagen konnte, der
Säbelzahntiger lebte von Tieren, die den wahren Katzen
zu zäh waren. Hin und wieder müssen einzelne Individuen
aneinander geraten sein und sich Kämpfe geliefert haben,
deren Ausmaß schwer vorstellbar ist. Dann zitterte die
Luft unter ihren Schreien, zerrissen sie die Erde in ihrem
rasenden Ringen. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf,
daß der Säbelzahntiger die wahren Katzen als solche
bekämpft hätte; meistens war die Schlacht wohl privat,
denn es liegt in der Natur der Katze, sich auf Kampf
einzustellen, wenn sie einer anderen Katze begegnet.
Ebenso liegt es in der Natur der Katze, Fleisch zu fressen
und, wildlebend, Beute zu reißen. Die Katze legt größten
Wert auffrische Nahrung; vieles, was einen Hund
entzücken würde, verursacht der Katze ganz offensichtlich
Übelkeit. Kein Tier, sofern man es halbwegs läßt, ist in
bezug aufs Fressen so eigen wie die Katze. Für den
menschlichen Verzehr genau richtig abgehangenes Fleisch
mag von der Hauskatze durchaus mit einem empörten
Schniefen abgelehnt werden, und wenn der Mensch sich
nicht auf ihre Bedürfnisse einstellt, sucht die Katze –
sofern die Umstände es gestatten – sich ihre Nahrung im
Freien. (Allerdings geben die meisten Katzen frischem
Rinderhack den Vorzug vor jeder noch so frischen Maus,
und nur wenige unterziehen sich der Mühe, Vögel zu
fangen, wenn sich Ersatz finden läßt.) Zur Not frißt die
Hauskatze auch Gemüse und nimmt damit ihre
Zugehörigkeit zur Ordnung der Carnivora nicht so
wörtlich wie die Großkatzen. Dies trifft freilich auch auf
zahlreiche andere Tiere dieser Ordnung zu, wie jeder
bestätigen kann, der einmal einen Bären kennengelernt
hat.
Auch andere Aspekte – des Körperbaus, des Gebisses,
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der Abstammung - stehen im Zusammenhang mit
Freßgewohnheiten und ordnen Martini, zusammen mit
einem kleinen schwarzen Hund namens Smokey, der sie
besucht und Freundschaft schließen möchte, auf seine
Annäherungsversuche jedoch keine freundliche Antwort
erhält, den Fleischfressern zu. Neben ihr und dem Löwen
im Zoo gibt es vielerlei breitgefächerte Wesen in dieser
Ordnung der Klasse der Mammalia, zu der auch der
Mensch gehört. (Der Mensch ist kein Fleischfresser,
wenngleich er Fleisch verzehrt. Der Mensch ist ein
Primat.) So lautet die Sprache der Taxonomen, deren
Aufgabe die Klassifizierung von lebenden wie
ausgestorbenen Tieren ist – das Sortieren der Natur, der
Aufbau des Lebens. Die Taxonomie ist eine Welt, in die
der Laie sehr behutsam eindringen sollte, wie in ein
Labyrinth, in dem er auf dem Weg vorsichtshalber eine
Spule Garn abrollen sollte, damit er wieder herausfindet.
Dennoch ist es, wenn auch nur verschwommen gesehen,
eine faszinierende Welt voller unverhoffter Entdeckungen.
Die Katze zum Beispiel hat zahlreiche erstaunliche
Verwandte, sogar ohne so weit zu gehen, daß man den
Seehund und den Seelöwen hinzurechnet, die ebenfalls
Fleischfresser sind, allerdings von der Unterordnung
Pinnipedia, Wassertiere. Die Katze wie auch der Hund und
das Stinktier, der Bär und die Hyäne – sind Zugehörige
der Unterordnung Fissipedia.
Nach den Unterordnungen folgen Oberfamilien, und von
diesen gibt es zwei: die Canoidea, manchmal auch
Arctoidea genannt, und die Feloidea, die lange Zeit und
auch heute noch häufig als Aeluroidea bezeichnet werden.
Hier handelt es sich um die Oberfamilien des Hundes und
der Katze; der Canidae, zu denen die Hunde und auch
Schakale, die Wölfe und die kleinen Füchse gehören, und
der Felidae, die alle Katzen umfaßt, lebende wie
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ausgestorbene, wahre Katzen und Säbelzahntiger, oder,
um mit den Taxonomen zu sprechen, die Felinae und die
Maichairodontinae – sofern man Taxonom und der
lateinischen Aussprache kundig ist. So einfach ist das.
Doch die Canoidea umfassen auch eine Familie namens
Ursidae, das heißt die Familie der Bären, weiterhin eine
Familie namens Procyonidae, zu denen unter anderen der
Panda gehört, und die Familie der Mustelidae, zu der so
unterschiedliche Tiere wie der Nerz, der Otter und der
Skunk, eine nahezu ausnahmslos als bedauerlich
empfundene Art der Katze, gehören. Die Katze hat zudem
ziemlich unglaubliche nahe Verwandte. Dazu gehören,
wie zu erwarten, die Zibetkatzen (Viverridae), von denen
eine Art so katzenähnlich ist, daß sie ein fehlendes Glied
in der Familie Felinae sein könnte, und die Mungos. Daß
auch die Hyänen (Hyaenidae) in dieser Gruppe
auftauchen, ist nicht unbedingt naheliegend – und es steht
zu vermuten, daß keine Katze sonderlich stolz auf diesen
Vetter ist.
Die Klassifizierung der Felidae selbst verstrickte die
Taxonomen im Verlauf der Jahre in Diskussionen, die in
weniger gelehrtem Umfeld leicht in Streitereien hätten
ausarten können. Dr. George Gaylord Simpson bemerkt
bei seiner Annäherung an das Thema in der Classification
of Mainmals, daß es nicht zu vereinbarende
unterschiedliche Meinungen hinsichtlich der Phylogenie
gebe und somit auch der hauptsächlichen Klassifizierung
der Felidae, zusätzlich zu den üblichen zahlreichen
Meinungsverschiedenheiten in Detailfragen, und tut wenig
später die Ausführungen eines Kollegen mit der
Bemerkung ab, »dieses Argument (sei) nahezu genauso
falsch wie richtig«, wahrhaft harte Worte von einem
Kurator für fossile Säugetiere und Vögel. Diese
Meinungsverschiedenheit, die in Beziehung zu einem
-24-
prähistorischen Tier zu Tage tritt, das entweder Hyäne
oder Katze war, spitzt sich zu, sobald die Taxo nomen sich
der heute lebenden Katzen nähern. Hier gehen
unterschiedliche Meinungen derartig ins Detail, daß sie
dem Laienverstand kaum noch begreiflich sind.
Fast jede zweite befragte Kapazität klassifiziert die
Katzen in unserer Umgebung unter den wahren Katzen
(Unterfamilie Felinae), von denen die meisten zur Zeit
noch existieren, im allgemeinen anders. Für unsere
Begriffe zählen fast alle Katzen – ausgenommen der
Acinonyx, der Gepard – zur Gattung Felis, so daß unsere
Martini wissenschaftlich der Spezies Felis domestica
zugeordnet wird und der Löwe im Zoo der Spezies Felis
leo. Für andere dagegen ist sogar eine so eindeutige Katze
wie der Ozelot Mitglied einer eigenen Gattung:
Leopardus.
Dr. Simpson selbst läßt nur drei Gattungen gelten: Felis,
wozu er alle kleinen Katzen einschließlich Luchs rechnet,
Panthera, die Gattung der Großkatzen: Löwe, Leopard,
Tiger, Jaguar und Acinonyx, eine Gattung, in der der
hochbeinige Gepard mit seinen nicht einziehbaren Krallen
allein ist. Denken wir an Martini und ihre Töchter, an den
verstorbenen Jerry und unsere heißgeliebte Pammy, an den
schwarzweißen Pete vor
vielen Jahren, an die wilde Schwarze, die lange Zeit die
Müllgrube in einem Sommerlager heimsuchte und sich
gegen Hunde und Krähen durchzusetzen wußte, dann
folgen wir, soweit wir können, Dr. Simpsons Linie. Sie
sind Felis domestica, ganz gleich, wie sehr sie sich durch
Zucht unterscheiden. Sie sind die Katzen, die dasitzen und
Leute anschauen, sie sind die Katzen, die vom Menschen
gezähmt wurden.
Warum es so ist und nicht anders, wird nur teilweise
klar. Vor vierzig Millionen Jahren mochte ein
-25-
unparteiischer Beobachter die Zukunft wohl als eine Art
Würfelspiel betrachtet haben, wobei die Chancen für die
Katze ein bischen günstiger standen als für die anderen.
Die frühen Katzen waren wahrscheinlich genauso klug
wie die kleinen Affen; in dieser Hinsicht besteht heute
kaum ein Unterschied zwischen dem Affen, der Affe
geblieben ist, und der Katze, und das, obwohl die meisten
von Menschen erdachten Tests eindeutig und aus
naheliegenden Gründen den Affen bevorzugen. Körperlich
gesehen war die Katze zunächst die stärkere und flinkere;
sie hatte es nicht nötig, auf Listen zurückzugreifen, sie
brauchte nicht schlau zu sein. Selbst gegenüber den
modernen Katzen, die, so wild und groß sie auch sein
mögen, nicht mehr die Katzen prähistorischer Zeiten sind,
können die Affen bei gleichem Gewicht, Affe gegen
Katze, absolut nichts ausrichten. Vor nicht allzu langer
Zeit wurde in Kalifornien ein Gorilla tödlich von einem
schwarzen Panther von nur einem Drittel seiner Größe
verletzt, als der Gorilla mit seinen neugierigen Händen die
Trenntür zwischen ihren Käfigen geöffnet hatte. Der
Mensch selbst hätte, unbewaffnet, nicht durch Kleidung
geschützt, ohne die gegerbte Haut eines anderen Tieres an
den Füßen, reichlich Probleme, sich gegen einen
Hafenkater zu wehren, und könnte sich glücklich schätzen,
wenn er dem Angriff eines Ozelots lebend entkommt. Und
ein Ozelot ist nur geringfügig größer als die Hauskatze.
Mag sein, daß die Katzen sic h veränderten, nicht die
Affen, daß sich aus den alten Katzen eine Rasse
superkatzenartiger Wesen entwickelte, wie der Mensch ein
Superaffe ist. Zu diesem Thema ist viel spekuliert worden,
allerdings von niemandem mit mehr Eleganz und Weisheit
als von dem verstorbenen Clarence Day. Superkatzen
hätten gute Menschen abgegeben – flink und
einzelgängerisch, gewalttätig, aber voller Anmut. Freilich,
-26-
sie wären gefährlich gewesen, aber nur füreinander als
Individuen. Sie hätten niemals, wie Day betont, in Armeen
gekämpft, denn das ist nicht Katzenart, sie hätten weniger
geschwatzt und nur über unmittelbar Wichtiges geredet.
Und sie wären gewiß sehr schön gewesen, so schön wie
kein Affe, ganz gleich, wie weit entwickelt, jemals hoffen
kann zu sein. Da ihre Waffe in ihrem eigenen Körper
bestanden hätte, wäre es nicht nötig gewesen, Waffen zu
erfinden.
Vielleicht ist es diese Katzengenügsamkeit, die sie dabei
belassen hat, was sie ist: die vom Menschen Ge zähmte,
nicht die Zähmerin. Wenn der Baumaffe alter Zeiten
weiterkommen wollte, wenn er am Leben bleiben sollte,
mußte er seinen Verstand beisammen haben, und das
Benutzen des Verstands soll den Verstand ja schärfen.
Schließlich brauchte er noch mehr als den Verstand, denn
selbst, als er größer von Gestalt wurde, war er, wie sich
vermuten läßt, auf seinem Weg zum Menschwerden
niemals stark wie ein Gorilla. Er war körperlich nur den
kleineren unkriegerischen Tieren gewachsen, und diese zu
fangen muß ihm Schwierigkeiten bereitet haben. Er
brauchte Waffen, um seine geringe Stärke auszugleichen;
ein bedauernswert großer Teil der Geschichte befaßt sich
damit, wie der Mensch zu diesen Waffen kam und wie er
sie einsetzte. Um diesen Drang zu befriedigen, woran er
immer noch arbeitet, ist der Mensch durchaus in der Lage,
sich den Boden unter den Füßen wegzuziehen – und den
Katzen auch.
Vermutlich war der Affe trotz aller Tatsachen, die
dagegen sprachen, schon vor vierzig Millionen Jahren zum
Triumphieren vorgesehen. Die Hand ist schneller als die
Pfote, und seit frühesten Zeiten benutzen Affen ihre
Hände. Vom Greifen nach einem Baumast, um daran zu
schaukeln, ist es kein weiter Weg – nur ein paar Millionen
-27-
Jahre – bis zum Abbrechen und Schwingen des Astes.
Dann aber: Obacht, Tiere, hier kommt der Mensch! Eure
Krallen sind besser, eure Zähne scharf und gefährlich, eure
Körper geschmeidig und schnell.
Wenn ihr Katzen seid, ist der weiteste Sprung eines
Menschen nicht mehr für euch als ein träger Hüpfer. Doch
ihr könnt dem Menschen nicht zu nahe kommen,
jedenfalls nicht immer, nicht oft genug. Sein Arm ist um
eine Keulenlänge länger, und einmal schleudert er seine
Keule nach euch, einmal benutzt er Steine, und jetzt, die
Evolution möge uns helfen! – jetzt hat er einen
zugespitzten Stein am Ende seiner Keule befestigt und
sich damit eine schreckliche Kralle geschaffen. Und
während er all dies tut, teilweise auch weil er all diese
Dinge tut, wird er immer intelligenter und geschickter. Für
dich gräbt er Gruben, in die du stürzen sollst,
Säbelzahntiger. Bald wird er lernen, eine Ziege auf deinem
Pfad anzupflocken, Löwe, und im Hinterhalt warten, bis
du sie dir holen willst. Dann tötet er dich mit Stahl und
Feuer. Zu diesem Zeitpunkt, Martini, wird er über eine
Sprache verfugen, in der er dich und alle deiner Art
»hinterlistig« nennen wird und »falsch«.
Die Katze brauchte keine derartigen Hilfsmittel oder
wußte nicht, daß sie sie brauchte ~ und hätte sie in jedem
Fall sowieso nicht benutzen können. Mit einer Pfote kann
man an Dingen zupfen, wie man mit einem Huf nach
ihnen treten kann; falls die Pfote Krallen hat, kann man
damit sogar Gegenstände aufheben. Aber man kann sie
nicht greifen, kann sie nicht im eigentlichen Sinn
benutzen. Das konnte der Affe von Anfang an, und als er
schließlich einen Daumen hatte, war alles vorbei. Da war
er ein Mensch.
-28-
Zudem hatten die Affen etwas, was die Katze nie
besessen hat – etwas, was die Wissenschaftler Formbarkeit
nennen, die innewohnende Fähigkeit, sich zu verändern.
Andere Tiere verfügen freilich auch über diese Fähigkeit.
Der Hund zum Beispiel, so daß eine Sorte Hund ein Bär
werden konnte, und ein Wesen, das als Wolf angefangen
hatte, nachdem der Mensch die Zucht in die Hand nahm,
konnte so unterschiedliche Gestalt annehmen wie die
große Dänische Dogge und der Chihuahua, wie die
Englische Bulldogge und der Whippet. Nichts
Vergleichbares geschah mit der Katze, und nichts von
allem, was der Mensch unternommen hat, um künstliche
Veränderungen
hervorzurufen,
hat
nennenswerte
Ergebnisse gezeitigt. Durch selektive Zucht kann der
Mensch die Farbe der Katze änd ern – nur sehr geringfügig
ändern. Manchmal gelingt ihm eine Modifizierung von
Dichte oder Länge des Fells. Doch er erhält immer wieder
Katzen – innerhalb der Gattung stets so ziemlich von
gleicher Größe und Gestalt, mit dem typischen
Katzenschädel und -kiefer. Die ersten wahren Katzen
hatten in etwa den gleichen Schädel; ein Wissenschaftler
kann anhand von zwei Fotografien feststellen, daß es sich
bei dem einen um einen fossilen Katzenschädel handelt,
der vor ein paar Millionen Jahren ein Gehirn enthalten hat,
und bei dem anderen um den Schädel einer Katze, die vor
sechs Monaten noch Katze war. Ohne Anleitung kann ein
Laie diese Unterscheidung nicht treffen. Der Mensch kann
Tiger und Löwen kreuzen – Katzen lassen sich bereitwillig
untereinander kreuzen, denn sie erkennen eine andere
Katze auf den ersten Blick – und eine andere Großkatze
erhalten, eine etwas seltsam gemusterte, die nicht ganz
Löwe und nicht ganz Tiger ist, sich aber auch nicht
wesentlich von beiden unterscheidet.
Katzen sind nämlich genetisch festgelegt und zwar schon
-29-
aus rein praktischen Gründen, seit sie aufhörten,
Viverridae zu sein. Die einen sind größer als die anderen,
die meisten, bis auf wenige Ausnahmen, haben Schwänze,
es treten vielerlei verschiedene Fellfärbungen auf. Doch an
keine m Punkt auf ihrem Weg brachte ein abgeirrter Zweig
die Superkatze hervor. Deshalb liefen sich die kleinen
Katzen zu irgendeinem Zeitpunkt mit dem Menschen ein.
Wann das geschah oder wie es geschah, weiß niemand
und wird niemand jemals wissen. Höchstwahrscheinlich
vollzog es sich völlig unabhängig an vielen Orten, wo
Menschen und kleine Katzen zusammentrafen. Es ist
durchaus möglich, daß die Katzen den ersten Schritt
unternahmen, weil sie erfahren hatten, daß es dort, wo
Menschen lebten, vor den Höhlen der Menschen,
womöglich frisches Fleisch zu holen gab – nur zum Teil
vom Menschen abgenagte Knochen, die noch Nahrung für
eine Katze boten, Teile von Tieren, die der Mensch nicht
essen mochte, auch wenn sie noch ziemlich frisch waren.
(Von letzteren kann es nicht viel gegeben haben, denn mit
der eigenen Beute ist die Katze genauso wählerisch wie
der Mensch.) Und der Mensch stellte fest, daß diese
kleinen Katzen nicht gefährlich waren, und lernte sie
vielleicht als primitiven Müllschlucker zu schätzen. Und
irgendein Mensch, einer, der empfindsamer war als seine
Brüder, sanfter vielleicht, mag irgendwann mal ein junges
Kätzchen in die Hand genommen haben. Vielleicht haben
viele Menschen an vielen Orten auf der Welt mal ein
junges Kätzchen in die Hand genommen.
Fast jeder findet kleine Kätzchen süß und entzückend.
Viele Menschen, die ausgewachsene Katzen nicht
ausstehen können, können kleinen Miezen nicht
widerstehen. (Und viel zu viele, die Katzen als grausam
bezeichnen, setzen die Kätzchen aus, sobald sie anfangen,
erwachsen zu werden. Jeden Herbst wimmelt es auf dem
-30-
Land von jungen, von Sommerurlaubern ausgesetzten
Katzen; die Städte sind voll von menschlicher Zuneigung
entwachsenen
Katzen.)
Höhlenmenschen
und
Höhlenkinder mögen junge Wildkätzchen hinreißend
gefunden haben, so könnte die Höhlenkatze entstanden
sein; sie mag ins Feuer geblinzelt haben, als der Mensch
das Tierchen entdeckte, und gelernt haben zu schnurren,
wenn sie gestreichelt wurde. Allein das Feuer mag Katzen
angelockt haben, denn Katzen mögen Feue r, lieben warme
Plätzchen.
Als der Mensch seßhaft wurde und anfing, sein Getreide
zu lagern, fand die kleine Katze einen weiteren Grund,
dem Menschen wohlgesinnt zu sein. Wo Menschen Korn
lagern, sammeln sie letztendlich auch Rat ten und Mäuse.
Wo Ratten und Mäuse zahlreich vertreten sind, halten sich
mit ziemlicher Sicherheit auch Katzen auf. Zu der Zeit, als
er Kornvorräte anlegte, war der Mensch in der Lage,
Ursache und Wirkung zu erkennen – zumindest bis zu
dem Grad, der ihm überhaupt je möglich war. Je mehr
Nagetiere, desto weniger Korn; je mehr Katzen, desto
weniger Nagetiere. Damit hatte die Katze ihre
Lebensaufgabe gefunden. Sie ist dem Menschen natürlich
auch Schmusetier gewesen, wie so vieles andere. Doch im
Grunde war und ist sie bis auf den heutigen Tag ein
Arbeitstier. Es mag ihr nicht wie Arbeit erschienen sein; es
liegt schließlich nicht in der Natur der Katze, sich zu
knechten. Ganz gewiß würde ihr nicht im Traum einfallen,
sich vor irgendwelche Karren spannen zu lassen, und
geritten wurde eine Katze allerhöchstens in Mythen. Doch
wenn ihr Sport dem Menschen als nützliche Arbeit
erscheint, ist es der Katze auch recht. Katzen sind ziemlich
tolerant menschlichen Eigentümlichkeiten gegenüber,
solange sie selbst davon keinen Schaden haben.
Höchstwahrscheinlich war die Katze nicht das erste Tier,
-31-
das menschlichen Eigentümlichkeiten mit Toleranz
begegnete. Ihre Beziehung zum Menschen ist in der
langen Geschichte der Katze lediglich eine Episode; es ist,
als hätte sie in ihrem lange währenden Leben lediglich
einmal kurz zum Tee hereingeschaut. Bei weitem während
des größten Teils ihres Erdenlebens blieb der Katze keine
andere Wahl. Und dann kam die Verbindung keinesfalls
spontan zustande. Zuerst erfolgte die Verbindung des
Menschen mit einem anderen Nachfahren des Miacis – mit
ziemlicher Sicherheit erfolgte sie zuerst. Als der Mensch
in Erscheinung trat, kam auch der Hund.
Grob genommen, das heißt innerhalb von ein paar
Äonen mehr oder weniger, haben diese beiden etwas
jüngeren Tiere einen gemeinsamen Geburtstag. Der des
Hundes liegt irgendwo im späten Pliozän, ungefähr vor ein
paar Millionen Jahren. Der des Menschen dürfte etwa zur
gleichen Zeit oder ein bischen später anzusiedeln sein – in
den frühen Tagen des Pleistozäns, das aufs Pliozän folgte.
Die Festsetzung dieses Zeitpunkts hängt weitgehend
davon ab, was man als Mensch bezeichnen will
beziehungsweise als Hund. Wir können den Eoanthropus
einen Menschen nennen und den Tomarctus einen Hund,
denn ersterer sah einigermaßen wie ein Mensch aus, und
letzterer war einem Hund nicht unähnlich. Allerdings ist
unwahrscheinlich, daß sie sich je begegnet sind. Ein viel
späterer Mensch, nun aber unverwechselbar ein Mensch,
traf den Wolf, und nach längerer Zeit taten sie sich
zusammen. Bewiesen ist, daß sie vor fast zehntausend
Jahren gemeinsame Sache machten; die Anfänge dieser
Beziehung mögen noch weiter zurückliegen. Vermutlich
ging die Katze zu dieser Zeit noch ihren
eigenbrötlerischen Weg, was allerdings nicht zu beweisen
ist.
Der Hund war damals kein Eigenbrötler, wenn er denn
-32-
jemals einer gewesen sein sollte. Gesellig und intelligent,
für den Einzelkampf nicht so gut ausgerüstet wie die
Katze, lernte der Wolf, aus dem der Hund entstehen sollte,
frühzeitig, daß man gemeinsam stark ist. Viele Wölfe, die
sich bei der Jagd ablösen, sind besser als ein einzelner
Wolf; mit der Zeit können sie das schnellste Wild müde
hetzen. Eine Wolfsfamilie kann einen Bären töten, ein
Rudel Wölfe ebenfalls; das Rudel hat vielleicht sogar eine
Chance gegen eine Großkatze. Wie der Hund dies lernte,
erfuhr es auch der Mensch. Man könnte annehmen,
wenngleich es niemand| eindeutig wissen wird, daß es der
Mensch war, der zuerst als schwachen Schimmer in
seinem dunklen Bewußtsein den Vorteil der Verbindung
dieser beiden Kräfte erkannte.
Man könnte zudem annehmen, daß der Hund seine
Nützlichkeit zunächst als Jagdgehilfe unter Beweis stellte.
Der Hund lief schneller als der Mensch, wenn es ums
Hetzen der Beute ging, er witterte Dinge, die der Mensch
nicht roch, und er konnte ihn warnen – oft genug wohl
davor, daß eine Großkatze gefährlich auf der Pirsch war.
So wurde der Wolf schließlich zum Hund und machte sich
im Lauf der Zeit, während sich auch die menschlichen
Gewohnheiten änderten, auf vielerlei weitere Weise
nützlich. Ein Hund kann vieles, und ein Hund ist nicht
stolz. Ein Hund zieht einen Schlitten oder einen Karren,
ein Hund kämpft für den Menschen und hilft ihm bei der
Polizeiarbeit, ein Hund führt den Menschen zum Wild und
legt es ihm zu Füßen. Ein Hund hütet die Schafe und das
Vieh des Menschen und macht sich in mancher Hinsicht
auch im Hause nützlich.
In den frühen Zeiten glaubten Mensch und Hund
wahrscheinlich, gemeinsam der Katze gewachsen zu sein.
Ihr junges Leben als Tiere machte sie verwandt, obwohl
schwerlich anzunehmen ist, daß es ihnen bewußt gewesen
-33-
wäre. Ihre vergleichsweise geringe Körperkraft, die
Geselligkeit, die ihnen gemeinsam war, führte sie auf
natürliche Weise zusammen. Mehrere tausend Jahre
mögen verstrichen sein, bevor die Katze sich zu ihnen
gesellte, um mit ihne n jenes Triumvirat am Feuer zu
bilden, jenes unbehagliche Dreieck von Mensch und Katze
und Hund, von denen sich keiner jemals der anderen
sicher ist, in denen – vornehmlich aber in der Katze – die
Wildheit nicht völlig gezähmt ist.
Als Mitglied dieser Gruppe ist die Katze zuerst eindeutig
bekannt aus dem alten Ägypten, woher wir unser
sicherstes Wissen über die meisten Umstände in der
früheren
Zivilisation
beziehen.
Vor
viertausendfünfhundert Jahren tauchen geschnitzte
Katzendarstellungen auf, doch zu jener Zeit war sie
offenbar schon gut gezähmt – das heißt, sie war kein
geduldetes Tier am Rand der Gruppe. Sie saß unter dem
Sessel ihres Herrn, manchmal mit einem Band daran
angebunden. Sie saß aufrecht, den Schwanz um sich
gelegt, wie es Katzen zu tun pflege n, wenn sie nichts
Unmittelbares zu fürchten haben. Sie war zu Hause, und
dem Anschein nach schon seit langer Zeit.
Es ist möglich – es ist sogar sehr wahrscheinlich -, daß
sie zu jener Zeit woanders domestiziert war. (KatzenExtremisten machen hier ungeschickterweise einen
Einwand: Die Katze ist niemals domestiziert, sie ist
lediglich gezähmt. Das ist ein Beispiel für die
Sentimentalisierung der Katze, die unser Denken so
weitgehend beeinflußt. Es ist eine nebensächliche
Wortklauberei; der Hund ist ein gezähmter Wolf.) Zum
Beispiel war die Katze vermutlich schon vor dem
Eintreffen der Weißen in Nord- und Südamerika ein
Haustier. In vielen Teilen des Ostens war sie beinahe mit
Sicherheit gezähmt. Mit anderen Worten: Ihr Ursprung ist
-34-
vielfältig die Katze der Pallas, Felis manul, war keine
eingeborene Ägypterin. Wahrscheinlich war sie gezähmt,
vielleicht war sie die Ahnin der modernen
Langhaarkatzen. Irgendeine andere Katze der frühen
Zivilisation mag die heutigen Siamkatzen hervorgebracht
haben.
Die erste ägyptische Katze war vermutlich ein kleines
eingeborenes Tier noch im wilden Zustand, bekannt unter
dem Namen Caffre – das Wort wird unterschiedlich
geschrieben. Sie hatte helles Fell und schwarze Fußsohlen.
Vielleicht war sie die erste Katze, die vom Tisch des
Menschen gefressen hat. Auf jeden Fall war sie die erste
Katze, die zum Gott erhoben wurde.
-35-
Drittes Kapitel
Zur Gottheit befördert
Zwischen prähistorischen und historischen Zeiten befindet
sich eine Zwielichtzone, und in dieser Zone bewegt sich
die Katze als Schatten; sie besteht vielleicht als Theorie,
kann aber nicht bewiesen werden. Bevor die Ägypter
anfingen, in Schnitzereien und Bildern ihre Geschichte zu
erzählen, mag es in Nordafrika Stämme von bedeutend
primitiverer Kultur ge geben haben als die Menschen, die
eine komplizierte Zivilisation am Nil errichtet hatten und
den Menschen, die nach ihnen kamen, den deutlichsten
Einblick in die Vergangenheit gewährten. Diese Stämme
hatten vielleicht, wie die meisten primitiven Völker,
Totems; das Totem eines dieser Stämme mag die Katze
gewesen sein. Vielleicht bildeten sie den Katzen-Clan, wie
sich viele Jahrhunderte später einige Schotten im Zeichen
der Katze zu einem Clan vereinigten; wie sich in Sumatra
gewisse Stammesmitglieder als Abkömmlinge einer Katze
betrachteten.
Totemtiere, sofern von der angenehmen Sorte –
möglichst
klein,
möglichst
harmlos,
möglichst
kontrollierbar -, werden oft von Stammesmitgliedern zur
Verfügung gehalten, und so mag es in diesen fernen Tagen
auch mit der Katze gewesen sein. Sie war wahrscheinlich
gleichzeitig ein Hausgeist und eine Art kleiner Gott noch
-36-
nicht ganz Gott, erst nur ein Gott im Entstehen, ein
Wesen, das zum Göttlichen strebte. Wenn dieser frühe
Stamm Ackerbau betrieb, war sie ein hilfreicher kle iner
Gott; indem sie das Korn derer schützte, die sie schützten,
hat sie vielleicht dazu beigetragen, daß diese Menschen
ein bischen besser genährt waren als die aus anderen
Stämmen, und damit stärker. Vielleicht errang dieser
Stamm im Lauf der Jahrhunderte, während sich Katzen
und Katzenhalter vermehrten, die Vorherrschaft in
Ägypten. Bubastis könnte seine Stadt gewesen sein, denn
auch später noch war sie lange Zeit die Stadt der Katze.
Niemand weiß Genaues über diese Dinge. Freilich haben
sich hin und wieder Menschen voller Überzeugungskraft
zu Wort gemeldet, als wären sie zu jener Zeit
dabeigewesen. »In sehr frühen Zeiten, das heißt
irgendwann zwischen viertausend und zehntausend Jahren
vor Christus, war die ägyptische Katze schlichtweg das
von uns beschr iebene Totemtier.“
Das behauptet Professor William Martin Conway 1891
in England, einige Zeit nach der genannten Epoche. Von
dieser Theorie läßt sich nur soviel sagen: Sie ist
einleuchtend. N. und B. Langton, die das Thema an die
dreißig Jahre erforschten, sind sich weniger sicher.
»Anscheinend ist kein ägyptischer Mythos, keine Sage
über den ersten Kontakt zwischen Katze und Mensch
bekannt«, schreiben sie voller Bedauern und verfallen ins
Spekulieren, ob der Mensch die Katze eingefangen hat
oder von ihr adoptiert wurde – und ins Spekulieren
darüber, was für eine Art Katze diese erste Katze gewesen
sein mag.
Höchstwahrscheinlich war sie eine Caffre, doch nicht
einmal das ist erwiesen. Zu dem Zeitpunkt, als sie in
Ägypten so zur festen Einrichtung geworden war, daß sie
ständig abgebildet wurde, war sie mit ziemlicher
-37-
Sicherheit eine Mischform, grundsätzlich Caffre, aber
deutlicher getigert. Damals hatte sie (im allgemeinen)
spitze Ohren und saß mit nahezu geradem Rücken, etwa
wie es die heutigen Siamkatzen häufig zu tun pflegen,
wenngleich die Siamkatze, soweit bekannt, kein
geradliniger Abkömmling der ägyptischen Katze ist. Doch
in ihrer ersten Erscheinungsweise war sie womöglich
überhaupt keine Katze – jedenfalls keine Felis domestica,
wenn auch mit großer Sicherheit eine Katzenart.
Diese erste Darstellung eines Tieres, das vielleicht eine
Katze gewesen sein mag, ist, wie die Langtons es
beschreiben, eine Schnitzerei von »zwei katzenartigen
Tieren, die an Standarten oder rituellem Zubehör
hinaufklettern, auf zwei Fragmenten aus Abydos, die den
Namen des Königs Den aus der Ersten Dynastie tragen. “
Den – Den Semti oder Den Sentui – hat etwa zwischen
5383 und 5363 v. Chr. gelebt oder war unserer Zeit um ein
paar tausend Jahre näher. Und eines dieser Tiere, das an
einer Standarte hinaufklettert, sollte womöglich einen
Löwen darstellen, denn sein Schwanz endet in einer
Quaste. (Ein Löwe klettert allerdings nicht an Standarten
hinauf; der Löwe klettert uncha rakteristischerweise nicht
wie eine Katze.) Es wurde Vermutet, daß diese Tiere
überhaupt keine wie auch immer gearteten Katzen waren,
sondern Mungos. Doch ihre Nasen und Schwänze sehen
nicht aus wie die von Mungos. Stellen wir sie uns als
Katzen vor; damit haben wir einen Ausgangspunkt.
Aber wenn Katzen, diese »katzenartigen Tiere«, noch
beträchtliche Zeit vom Gottsein entfernt waren, bleibt nur
die Möglichkeit, daß sie in gewissem Sinne rudimentäre
Totemtiere waren. Erst sehr viel später schleicht sich der
erste Hinweis auf Anbetung ein. Erst in vergleichsweise
später Zeit, in den Tagen des Neuen Reichs, vor höchstens
dreitausendfunfhundert Jahren – wurde die Katze heilig
-38-
gesprochen und mit der Göttin Bastet in Beziehung
gesetzt. Die Göttin hatte viele Namen; die Griechen
nannten sie Bubastis. Oder sie waren nur in dem Sinne
heilig, daß sie unantastbar waren, wie östliche Völker es
mit vielen Tieren halten. Und es darf nicht vergessen
werden, daß die Katzen, auch nachdem sich ihre
Verbindung mit der Göttlichkeit gefestigt hatte, immer
noch blieben, was sie schon immer waren – Haustiere und
Jäger von Nagetieren. Von Zeit zu Zeit wurde vielleicht
eine bestimmte Katze besonders geehrt; kleine, fellige
Bastets ruhten womöglich auf Kissen und ließen sich
huldigen. Doch vorrangig bewegten sich Katzen so, wie
sie es seit jeher gewohnt waren: auf ihren eigenen vier
Füßen. Keine Katze, ob Gott oder gewöhnlich Sterbliche,
ist glücklich, wenn sie keinen Boden unter den Füßen hat;
als Katze kann man nie wissen, wann man sich nach
irgendwohin auf den Weg machen muß.
Zur Zeit der XVII. Dynastie waren Katzen mit
Gewißheit überall und wurden bei allen möglichen
Katzenbeschäftigungen abgebildet: auf Gräbern, in
Materialien von Gold bis Ton. Schnitzereien zeigen sie
unter Sesseln sitzend, hin und wieder mit Leinen an die
Sesselbeine angebunden, oder an Knochen nagend, Fisch
verzehrend, mit Mäusen unter der Pfote, als
Katzenfamilien, bestehend aus Mutter und Jungen –
niemals mit mehr als vier Jungen -, manchmal die
Kätzchen säugend. Einige dieser Darstellungen sind so
lebensecht, daß man sie beinahe schnurren zu hören
glaubt, andere sind stilisiert. Die Abbildungen variieren
stark in der Größe; manche wurden offenbar als Amulett
getragen. Die Langtons stellen fest, daß alle ägyptischen
Katzen ihren Schwanz nach rechts gebogen tragen,
obwohl, wie sie anmerken, »die Katze im wahren Leben
unparteiisch ist«.
-39-
Die Sammlung der Langtons zeigt offenbar zwei Arten
von Katzen: die kurzohrige mit stumpfer Nase und die
langohrige mit spitzer Nase. Die häufigste Färbung, soweit
sie heute noch entschlüsselt werden kann, ist rötlich mit
schwarzem Muster. Die meisten Katzen waren zumindest
bis zu einem gewissen Grad gestreift. In manchen Fällen
wurden gefärbte Steine benutzt, um die Zeichnung
herzustellen. Und eine ägyptische Abbildung zeigt ganz
eindeutig eine Katze, die ihrem Herrn bei der Jagd
assistiert, eine Beschäftigung, die Jules Fleury-Husson,
der unter dem Namen Champfleury eines der ersten
Katzenbücher schrieb, mit schweren Zweifeln betrachtet.
Eine solche Beschäftigung, so schreibt er, würde an ein
Wunder grenzen. Er tendiert offenbar zu der Annahme,
daß irgendein Künstler aus alter Zeit diese Sache erfunden
hat.
Die relativ gut erhaltene Abbildung zeigt mit Gewißheit
eine Katze, die ein Wildgeflügel aus dem Sumpf holt, wie
es aussieht, auf menschlichen Befehl oder zumindest in
menschlicher Begleitung. Und daran ist überhaupt nichts
Wunderbares; es wäre im Höchstfall ein wenig
ungewöhnlich. Im allgemeinen gehen Katzen nur ins
Wasser, wenn sie sich dazu gezwungen sehen, doch
schwimmen können sie problemlos, und einige genießen
es offenbar sogar. Häufig genug gehen Katzen fischen,
und nicht immer angeln sie nur vom Ufer aus mit der
Pfote. Viele Katzen wurden beim Tauchen nach Fischen
beobachtet, und anscheinend macht es ihnen Spaß. Und
vom Instinkt her ist die Katze ein Apporteur. Sie pflegt
ihre eigene Beute in die Höhle der Familie zu bringen, wie
alle Katzenbesitzer ständig feststellen können. Sie legt
dem Menschen ein frisch erlegtes Kaninchen zu Füßen,
wenn auch meistens nur zum Anschauen und mit der
Absicht, es selbst wieder mitzunehmen. Mühelos kann
-40-
man einer Katze das Apportspiel mit einem ihrem Maul
angepaßten Gegenstand, vorzugsweise einer Maus aus
Katzenminze, an einem einzigen Abend beibringen.
Martini spielte dieses Spiel unermüdlich, bevor wir
andere Katzen hatten, die neue Regeln und neue Spiele mit
sich brachten. Sie spielte, bis ihre beiden Menschen
erschöpft waren, während sie selbst nicht das geringste
Zeichen von Ermüdung zeigte. Das Spielzeug wurde dem
jeweils erwählten Menschen zu Füßen gelegt, und dann
sprach Martini. Höflich ließ sie Zeit für eine Antwort.
Dann sprach sie erneut, immer noch mit angemessener
Höflichkeit – eine Siamkatze ist nicht auf sanfte Töne
eingestellt, doch sie war nicht gebieterisch. Erst wenn
mehrere Aufforderungen ungehört verhallt waren, legte sie
die Pfote ans Menschenknie, wobei sie gerade soviel
Krallen zeigte, wie nötig war, um das Vorhandensein
dieser Krallen nicht vergessen zu lassen. Dann war es
höchste Zeit, die Maus noch einmal zu werfen – in den
langen Flur einer Stadtwohnung, wohin Martini in furioser
Begeisterung folgte, um sie dann zurückzuerstatten.
Ihr gefiel das Spiel am besten, wenn zwei Menschen
teilnahmen und wenn wir in zwei Sesseln in etwa drei
Meter Entfernung voneinander saßen. Dann war der Trick
verwickelter, komplizierter. Einer von uns warf die Maus;
Martini brachte sie zurück, aber nicht zu demjenigen, der
geworfen hatte, sondern zum anderen. Nun warf dieser;
die Maus wurde dem ersten Werfer zurückgebracht. So
ging es abwechselnd immer weiter, für eine Stunde oder
so, ohne Fehler. Hin und wieder schien sie allerdings zu
vergessen, näherte sich dem, der nicht an der Reihe war.
Doch immer besann sie sich noch rechtzeitig ~ rechtzeitig
genug gewöhnlich, um seitlich nach dem Menschen zu
schielen, der nicht an der Reihe war, einen kleinen
mißbilligenden Ton von sich zu geben (als läge der
-41-
Beinahe-Fehler beim Menschen, nicht bei der Katze), und
um jeden Gedanken an eine Unsicherheit durch einen
etwas weiteren Umweg als gewöhnlich abzuschmettern.
Katzen machen nicht gern Fehler; das ist ihnen peinlich.
Wenn Katzen zu solchen Spielen fähig sind, und fast alle
sind es, dann besteht kein ohne weiteres erkennbarer
Grund, warum ihnen die Jagd auf Kleinwild nicht gefallen
sollte. In Ägypten haben sie zweifellos gejagt. Zu jener
Zeit wurden sie gut behandelt, und eine gut behandelte
Katze ist sehr kooperativ. Daß eine Katze unter einem
Sessel gehockt haben soll, selbst wenn es sich um einen
Königsthron handelte, noch dazu mit einer Leine um den
Hals und lange genug, um einem Bildhauer als Modell zu
dienen – das ist bedeutend schwerer nachzuvollziehen.
»Sitz doch um Ras willen endlich still!« mag der entnervte
Künstler oft genug ausgestoßen haben. »Du sollst nicht an
der Leine knabbern, Chaou!“
Vielleicht hat er auch »mau« oder »mai« oder »meau«
gesagt, denn offenbar gab es mehrere Wörter für »Katze«.
Oder aber wir können ihn, nachdem so viele Jahrhunderte
vergangen sind, einfach nicht so gut verstehen.
Auch verstehen wir, wenngleich viele so gelehrt über das
Thema geschrieben haben, die ägyptische Religion nicht
sonderlich gut. »Einen klaren, zusammenhängenden
Einblick in die ägyptische Religion zu erhalten scheint
unmöglich zu sein, aus dem einfachen Grund, weil der
Ägypter selbst nie einen solchen Einblick hatte«, bemerkt
James Baikie reichlich resigniert an einer Stelle seiner
History of Egypt. Als also die Katze mit Bastet
gleichgesetzt wurde, die so viele andere Namen hatte die,
wie Herodot anregt, identisch waren mit Diana -, wurde
sie in mancher Hinsicht noch geheimnisvoller denn je.
Bastet war, abhängig vom jeweiligen Blickwinkel, die
Göttin der Sonne und des Mondes, der Liebe und der Jagd;
-42-
sie war gut und böse zugleich, sie war verwandt und
manchmal identisch gesetzt mit Sekhmet und Ashtoreh.
Und sie wurde nicht immer in der gleichen Gestalt
repräsentiert und schon gar nicht immer als Katze,
wenngleich die Katzengestalt sich im Verlauf der
Jahrhunderte immer weiter ausbreitete. In der V. Dynastie
war sie nicht einmal katzenköpfig; es wäre vorstellbar, daß
dies erst der Fall war, als der postulierte Katzen-Clan an
die Macht gelangte, denn die Geschichte weiß, daß die
Menschen immer wieder alte Götter übernommen und im
Hinblick auf ihre Belange umgemodelt haben. Und bevor
Bastet katzenköpfig wurde, hatte sie ein Löwenhaupt.
Insgesamt tritt sie in vier Gestalten auf: katzenköpfig,
katzenköpfig und katzenfüßig, mit Löwenhaupt und als
Katze. Warum, weiß niemand zu sagen. Sie war eine
veränderliche Göttin.
Im Labyrinth von Religion und Katzendasein zeichnet
M. Oldfield Howard einen so klaren Weg vor, wie er sonst
nicht zu finden ist. Über die Katze und Bastet schreibt er:
»Wie die Katze in der Dunkelheit sehen kann, so
durchdrang die Sonne, wenn sie nachts in die Unterwelt
reiste, die Finsternis. Bastet repräsentierte den Mond, denn
der Mond galt als Auge der Sonnengöttin in den Stunden
der Dunkelheit. Denn wie der Mond das Licht des
Sonnensystems reflektiert, so begriff man die
phosphoreszierenden Augen der Katze als Spiegel für die
Sonnenstrahlen, solange sie anderweitig unsichtbar für das
menschliche Auge blieb. Bastet als Katzenmond hatte
während der Nacht die Sonne in ihren Augen, hielt Wache
mit Hilfe des ihr anvertrauten Lichts, während ihre Tatzen
den Kopf ihrer Todfeindin, der Schlange der Finsternis,
packten und schlugen und zerfleischten. Dadurch
rechtfertigte sie ihren Namen als Reißerin und bewies, daß
er nicht unvereinbar war mit der Liebe.«
-43-
Dieser Beweis war notwendig; denn Bastet war, nicht zu
vergessen, die Göttin der Liebe. Gezwungenermaßen
mußte sie großartig in allen Bereichen sein, insbesondere
als »Reißerin« in Zeiten der Sonnenfinsternis. Denn dann,
so schreibt Howard, »fand ein entsetzlicher Kampf statt –
eine titanische Schlacht zwischen Dunkelheit und Licht,
Böse und Gut. Angsterfüllt und atemlos beobachtete der
Mensch den Sonnengott in Gefahr, schrie und schüttelte
das Sistrum, um den Feind, die Schlange, zu erschrecken.
Urplötzlich sprang dann die himmlische Katze mit
feurigen Augen und gesträubtem Fell das todbringende
Reptil an, und Apap (die Schlange) floh blutend und
zerrissen in die Tiefe der Dunkelheit. Nachdem die
Sonnenfinsternis auf diese Weise beendet war, steigerte
sich die Verehrung des ägyptischen Volks für das heilige
Tier jedesmal erheblich.«
Gesteigert haben muß sie sich, und hoffentlich in
menschlicher Weise – das heißt, im Umgang des
Menschen mit der Katze. Ob die kleine, pelzige »mau«
oder »chaou« in ägyptischen Häusern besondere
Leckerbissen erhielt, wenn sie die Welt vor der Dunkelheit
gerettet hatte? Durfte sie zu diesem besonderen Anlaß
vielleicht dort sitzen, wo sie schon immer gern hätte sitzen
mögen und nie – wie ihre Besitzer dachten und was sie,
die Katze, nicht korrigierte – wirklich gesessen hatte?
Wurde sie gestreichelt, hinter den Ohren gekrault? Oder
war sie für ein paar Tage zu schrecklich in ihrer Majestät
für solche Zuwendungen und wurde daher mehr verehrt
als geliebt?
Das Sistrum, das die Ägypter schlugen, um die Schlange
zu verscheuchen und die göttliche Katze anzufeuern, war
immer mit der Katze assoziiert; das Bild der Katze
schmückte diese altertümliche Rassel, die zum Teil
Musikinstrument und zum anderen Teil Phallussymbol
-44-
war. Die Katzendarstellung symbolisierte vermutlich –
und ganz, wie es ihr angemessen ist -Fruchtbarkeit. Denn
die Katze war, um noch einmal Howard zu zitieren, »das
Emblem des altehrwürdigen Ideals der jungfräulichen
Mutterschaft, die große ägyptische Muttergöttin, die
womöglich zu einer Vielzahl anderer Göttinnen in
Katzengestalt zählte«. Die Verbindung der Katze mit
Jungfräulichkeit ist sicherlich eine der seltsamsten
menschlichen Einbildungen; Jungfräulichkeit ist ganz
offensichtlich ein der Katze völlig unverständliches
Konzept. In einem Land, in dem es von Katzen wimmelte,
dürfte dies den Ägyptern kaum entgangen sein.
Vermutlich war die Katze, solange sie Katze war, nichts
weiter als die kleine »maou«, die um Beine strich und
Mäuse fing, und göttlich war sie nur bei förmlicheren
Anlässen.
Doch diese zwei Sichtweisen der Katze trafen sich
natürlich irgendwo, und das gereichte der Katze nur zum
Wohle. Auch solange sie nur Katze war, blieb sie
unverletzbar, in gewissem Maße göttlich. Ein römischer
Soldat, der eine Katze tötete – und sich damit, wie man es
sich so vorstellt, echt römisch aufführte -, wurde vom
ägyptischen Mob wahrscheinlich nahezu in Stücke
gerissen. Wer als erster eine tote Katze erblickte, lebte
ungesund, denn es bestand die Gefahr der Vermutung, er
könnte zu ihrem Tod beigetragen haben. Ein bestimmter
hinterlistiger Kapitän alter Zeiten warf, als er eine
ägyptische Stadt angriff, Katzen über die Mauern und
schickte ihnen seine Männer hinterher, während die
Ägypter nach einer Lösung für das Dilemma suchten, das
dieser plötzliche Götterregen für sie darstellte.
Da Katzen niemals willentlich getötet wurden und so
fruchtbar sind, wie eine Göttin der Liebe es sich nur
wünschen kann, wurden sie sehr zahlreich in Ägypten so
-45-
zahlreich, daß ein Grieche, ein Tourist in den späteren
Tagen Ägyptens, berichtete, man träfe in diesem Land
häufiger auf einen Gott als auf einen Menschen. Damit in
dieser Übervölkerung durch Katzengötter keiner von ihnen
Not litt, hinterließ ein Herrscher – el-Daher-Beydars –
einen Fonds zur Einrichtung eines »Katzengartens« für,
wie M. Champfleurys Übersetzer es ausdrückt,
»bedürftige herrenlose Katzen«. Da alle Katzen sich,
sobald sich die Fressenszeit nähert, als bedürftig
betrachten, da es unvorstellbar ist, daß eine Katze glaubt,
sie hätte einen Herren, wie auch immer der Mensch die
Beziehung betrachten mag, wird dieser Garten oftmals
überlaufen gewesen und der Beauftragte beschuldigt
worden sein. Doch der Gedanke war ein freundlicher, und
mancher Ägypter muß in seinem letzten Willen die
weitere Versorgung einer Lieblingskatze festgelegt haben,
wie Katzenliebhaber – und natürlich auch Hundeliebhaber
– es zu allen Zeiten oft genug getan haben.
Dennoch lebt auch die verwöhnteste, sorgsamst behütete
Katze nicht ewig, wenngleich sie in Relation zu ihrer
Lebenserwartung – die, sofern ihr kein Unfall zustößt,
zehn Jahre beträgt – länger lebt als der Mensch. Also
starben auch in Ägypten Katzen, und wenn die
Familienkatze verstarb, trauerte die Familie; die
Angehörigen rasierten sich die Augenbrauen. Die Katze
wurde, genauso wie ein verstorbener Mensch, mumifiziert,
und wenn es sich um eine gut situierte Katze handelte,
bekam sie vielleicht sogar ihr eigenes Grab, in dem ihr
Abbild in die Wände gehauen wurde. »Sie war eine ganz
ungewöhnliche Katze«, ließ ein Mitglied der ägyptischen
Aristokratie dann vielleicht seinen Künstler wissen. »Sie
hatte die Angewohnhe it, so dazusitzen, den Kopf ein
wenig zur Seite geneigt, und zu mir aufzuschauen. Stellen
Sie sie bitte in dieser Haltung dar.“
-46-
Und später mag solch ein Mann, bis es Zeit war, sein
eigenes Abbild in die Wände seines Grabs hauen zu
lassen, die Begräbnisstätte seiner Katze manchmal
aufgesucht und das Bildnis der Katze betrachtet haben –
wenn er mittlerweile auch längst andere Katzen hatte,
schöne Katzen. Dann seufzte er wohl und gedachte der
Wärme der lebendigen Katze an seinem Bein, dachte an
ihr Schnurren, an ihre Eigenarten, die sie von anderen
Katzen abhob.
Wären Sie Ägypter gewesen in den großen Tagen der
Katze und gleichzeitig auch Ägyptens, hätten Sie kleine
Töpfchen mit Milch in das Grab gestellt, damit die Katze
in der Unterwelt nicht Hunger leiden und sich vergessen
fühlen mußte. Natürlich stehen die Chancen, daß Sie,
wären Sie damals Ägypter gewesen, Ihrer Katze ein Grab
hätten bieten können, denkbar schlecht, denn die ideale
Lösung zur Verteilung des Reichtums war noch nicht
entdeckt. Also bekam Ihre Katze, wenn auch mumifiziert,
nicht gerade das alleraufwendigste Begräbnis und schon
gar kein Grab. Vielleicht hätten Sie ein Fest zu Ehren der
Katzengöttin abgewartet und die kleine Mumie dann zum
Tempel getragen, um sie dort an der vorgesehenen Stelle
beizusetzen. Vielleicht hätten Sie sie auch auf einen der
Katzenfriedhöfe gebracht, deren größter am Ostufer des
Nils bei Beni-Hasan liegt. Dort wurden Hunderttausende
von Katzenmumien bestattet und im Laufe der Zeit,
während Ägypten weniger und weniger Ägypten wurde,
wieder ausgegraben. Sie wurden erst in jüngster Zeit
ausgegraben und tonnenweise verkauft und als
Düngemittel benutzt. Zahlreiche Mumien wurden nach
England verschifft, wo es zur Zeit dieser Katzen noch
keine Katzen gegeben hatte und wohin sie nicht hätten
exportiert werden können.
Denn Ägypten hütete seine Katzen streng, und es galt als
-47-
Verbrechen, gezähmte Felis caffre über die Grenzen des
Reichs zu schmuggeln. Womöglich wurden die der
Katzengöttin innewohnenden Tugenden als Geheimwaffe
angesehen, von der die Größe Ägyptens in gewissem
Maße abhing. Vielleicht waren die Ägypter aber auch
lediglich nicht sicher, ob genug Katzen vorhanden waren,
um die ganze Welt zu versorgen, und hatten selbst schwer
genug an Nagetier-Problemen zu tragen. Doch wenn die
Katze ein Staatsgeheimnis oder auch nur ein staatliches
Hilfsmittel war, sickerte das Geheimnis doch durch, wie es
Geheimnisse so an sich haben, ganz gleich, wie laut
nationale Sprecher darüber tönten.
In den frühesten Tagen waren Katzen offenbar nicht sehr
weit verbreitet. In verschiedenen Gebieten der östlichen
Halbkugel waren sie wohl bekannt und wurden vielleicht
auch unabhängig voneinander gezähmt. Die Israeliten
jedoch scheinen die Katze nicht gekannt zu haben; sie
wird in jüdischen Schriften jedenfalls nicht erwähnt, außer
in einem Satz aus den Apokryphen und auch hier wird
bezweifelt, ob dieser sich tatsächlich auf eine Katze
bezieht. Im frühen Griechenland und selbst im frühen
Rom gab es anscheinend keine Katzen. In China, so wird
vermutet – und nur vermutet -, waren Katzen bis ungefähr
zu Beginn der christlichen Ära unbekannt.
Als die Hauskatze Ägypten verließ und nach Europa
vordrang, reiste sie – wie es Götter gern tun – mit dem
Handel. Vermutlich waren es phönizische Händler, die
beim Durchgang durch den ägyptischen Zoll um ihr Leben
zitterten und die ersten schnurrenden Götter Ägyptens
über das Mittelmeer verschifften – als Haustiere, als
Mäusefänger, als Kuriositäten. In Europa angekommen,
richtete die Katze sich dort ein. Sie traf auf eine Vielzahl
von Vettern.
Von England zum Beispiel als »katzenlos« zu sprechen,
-48-
ist im engeren Sinne nicht korrekt. Soweit bekannt ist, gab
es vor der römischen Invasion dort keine zahmen Katzen.
Doch in den Wäldern wimmelte es, wie in allen
europäischen Wäldern, von der gemeinen Wildkatze, Felis
catus – einer Katze, die sich in einigen Teilen Europas,
besonders in Schottland, bis auf den heutigen Tag gehalten
hat. Diese Katze hatte ungefähr die Größe der ägyptischen,
war aber viel deutlicher gezeichnet – scharf gestreift oder
gefleckt. (Diese Zeichnung scheint grundsätzlich allen
Katzen zu eigen zu sein; sie taucht in Ansätzen sogar bei
Siamkatzen auf, wo sie bei den Züchtern keineswegs gern
gesehen ist. Die ägyptische Katze hatte offenbar von
Anfang an eine Neigung zu Streifen.)
Ein paar von diesen neuen, aus Ägypten nach Europa
verschleppten Katzen gingen des Nachts aus, wie es
Katzen nun mal mögen. Da hörte man einen neuen
Katzenschrei in Europas Wäldern, und wenn auch ein
ägyptischer Akzent feststellbar war, stand doch außer
Frage, von wem er ausgestoßen wurde. Die Katze verfügt
über eine universelle Sprache und stellt, über jeden
Zweifel erhaben, eindeutig fest, was Katze und was nicht
Katze ist. Europäische Katzenweibchen schrien ihre
urzeitliche Einladung in die Dunkelheit und auch in den
Tag hinaus – Zurückhaltung ist rezessiv bei Katzentieren , und eine freilaufende Katze schreit niemals lange
vergeblich. Irgendwo ist immer ein Kater, und wenn er
kann, dann kommt er.
So kamen die europäischen Katzen aus den Bäumen, und
die Neuankömmlinge aus Ägypten folgten ihnen hinauf in
die Bäume, und alle zusammen bekamen viele kleine
Kätzchen. Felis catus traf auf Felis caffre, und sie brachten
die meisten unserer heutigen Felis domesticae hervor. So
lautet zumindest die vorherrschende Theorie. Langhaar-,
Siamkatzen und noch einige andere Arten haben
-49-
womöglich andere oder zum Teil andere Ahnen. Doch die
Katze auf den Hinterbeinen an einer städtischen
Mülltonne, die Katze in der Scheune eines Bauernhofs und
die glatte, kurzhaarige, die immer weiß, wo ihre nächste
Mahlzeit wartet und wie sie sie bekommt, die sich von
einem Kind am Schwanz ziehen läßt – all diese Katzen
können durch die Jahrhunderte zurückblicken in die
Wälder Europas und auf die Wildkatze, einen gefährlichen
Gesellen; sie können in die Vergangenheit lauschen und
die Urwaldschreie dieser neuen Verbindung hören. Und
wenn sie nicht daran gehindert wird, kann jede heutige
Katze ihren Fensterplatz verlassen, sich von ihrem Kissen
erheben und den nächstbesten verfügbaren Ort aufsuchen,
der annähernd einem Wald gleichkommt, und selbst diese
Schreie ausstoßen.
Die Vermutung liegt nahe, daß die Nachkommen der
einheimischen Wildkatze und der domestizierten Caffre
(die womöglich selbst schon eine Mischzüchtung war)
weniger schwer zu zähmen waren als die Wildkatze.
Wenn die Ägypterin in dieser neuen Welt ein Heim
gefunden hatte, brachte sie dort auch zweifellos ihre
Jungen zur Welt, und diese waren dann von Anfang an
zahm, weil ihre Mutter ihnen alles erklärt hatte. Und das
eine oder andere Junge einer Wildkatze verspürte
vielleicht eine Sehnsucht in sich nach dem Anblick und
den Geräuschen von Menschen und nach ihrem Feuer und
dem Überfluß an Mäusen bei den Menschen – und näherte
sich vorsichtig an und ließ sich schließlich füttern und
streicheln. Zu diesem Zeitpunkt war der Europäer reif für
die Katze.
Reif war er wohl nicht von jeher, und nicht nur aufgrund
des niedrigeren Standes seiner Zivilisation. Vielleicht
hatte er keine Mäuse, die ebenfalls aus dem Osten
eingeführt wurden. Er hatte so manches nicht,
-50-
einschließlich einiger unserer modernen Krankheiten.
Doch die Mäuse kamen, und dann war es lebenswichtig,
daß auch die Katze kam. Die Griechen experimentierten
anscheinend eine Zeitlang mit Mardern als Mausefallen,
fanden sie jedoch unzureichend, denn wenn es um Mäuse
geht, kommt nichts einer Katze gleich. So sah die Katze
sich in Europa willkommen geheißen und breitete sich
allmählich aus, wie sie sich inzwischen in der ganzen Welt
ausgebreitet hat.
Doch für diese Ausdehnung ihres Wirkungskreises
mußte sie Strafe zahlen. Sie war nicht länger eine Göttin,
doch die Attribute der Magie blieben an ihr haften. Sie trat
in eine unbehagliche Verbindung mit der Unterwelt ein,
und aus dieser Verbindung hat sie sich erst kürzlich, und
keinesfalls überall, befreien können. Sie wartet immer
noch, wie sie schon so lange geduldig gewartet hat, darauf,
daß der Mensch erwachsen wird. Hin und wieder wird sie
sich zwangsläufig fragen, ob es jemals dazu kommt.
-51-
Viertes Kapitel
Übersinnliche Begabungen
Historisch gesehen war die Katze zunächst ein Gott und
wurde dann zum Teufel degradiert. Diese Entwicklung ist
in keiner Weise ungewöhnlich; es ist das landläufige
Schicksal von Göttern, in die Dunkelheit hinabzusteigen.
Es ist dagegen keineswegs das gewöhnliche Schicksal von
Tieren, mit dem Übernatürlichen in Verbindung gebracht
zu werden und diese Position über Tausende von Jahren
hinweg zu halten. Schlangen und Kröten freilich sind sehr
versiert im Umgang mit nichtmenschlichen Wesen; der
Stier war heilig, und der harmlose Hase war ein Begleiter,
wenn nicht gar das zweite Ich von Hexen. Immer mal
wieder kamen dem Menschen Zweifel, was die Eule
betrifft. Aber nur die Katze schleicht so unentwegt durch
die seltsam ausgeleuchteten Korridore des menschlichen
Bewußtseins, in denen Gut und Böse in grauenhaften
Gestalten miteinander ringen.
Vielfältige Überlegungen, warum das so ist, wurden
angestellt, warum diese Tatsache von der frühen
ägyptischen Zeit bis gestern, wenn nicht sogar bis heute,
Gültigkeit hat. Rein verstandesmäßig betrachtet, weist die
Hauskatze wenig auf, was Ehrfurcht gebietet: Sie ist klein
und wird uns kaum verletzen; sie ist ein
Schmuckstückchen und gleichzeitig nützlich, und die
-52-
Dämonen, die sie anscheinend manchmal sieht, sind,
dessen können wir sicher sein, nicht ihre, sondern die
unseren. Da liegt sie auf dem Rücken, sieht aus, als würde
sie lächeln, und bietet Freunden ihren ungeschützten
Bauch, um sich kitzeln zu lassen; wenn sie gut gelaunt ist,
mag sie einem Kind sogar gestatten, sie am Schwanz zu
ziehen. Sie ist deutlich verspielter als die meisten Tiere,
nicht nur als junges Kätzchen, und falls sie andere,
anscheinend nicht so unschuldige Gewohnheiten hat, steht
sie in dieser Hinsicht keinesfalls allein da. Und trotzdem
gibt es heute noch Menschen, die, sobald sie eine Katze
sehen, sich aufführen, als hätten sie den Satan persönlich
unter höchst widrigen Umständen getroffen.
Daß diese Opfer der Katzenphobie in Zeiten, da die
meisten unserer Teufel in menschlicher Gestalt auftreten
und unsere Hexenjagd sich nicht auf Hexen konzentriert,
immer noch erstaunlich empfänglich für das
Übernatürliche in der Katze sind, liegt nahe, läßt sich aber
nicht beweisen. Wenn dem so ist, stehen sie ein bischen
hilflos da, ohne hinreichende Form, in die sie vom
Verstand her ihren instinktiven Abscheu pressen können.
Ihre Angst vor Katzen können sie sich selbst nicht einfach
damit erklären, daß die Katze Bastet ist, die nicht
unbedingt eine angenehme Göttin war. Ihr Verstand läßt
auch nicht zu, daß sie sich sagen, das Tier, vor dem sie
zurückschrecken, sei ein verkappter Hexenmeister, der nur
darauf wartet, sie mit einem Zauber zu belegen. Solcher
Aberglaube ist aus der Mode gekommen. Der menschliche
Instinkt, der ihn hervorgerufen hat, ist noch kraftvoll
vorhanden, hat jedoch sein stützendes Gerüst verloren.
Möglich ist, daß die Assoziierung der Katze mit dem
Übersinnlichen zumindest zu einem beträchtlichen Teil
schon immer ein solches Gerüst für die Vernunftarbeit
gewesen ist, mit der unbewußten Absicht, mit Hilfe des
-53-
Verstands die Linderung einer innewohnenden Angst zu
erreichen. Ein Mensch kann Ehrfurcht vor einem Gott
haben, ohne seine Würde einzubüßen; Angst vor dem
Teufel ist keine Schande. Diese Rechtfertigung vor sic h
selbst mag in ganz verschwommener Form zu einer Zeit
begonnen haben, als der Mensch gerade erst anfing,
Mensch zu werden, das heißt, kurz nachdem er von den
Bäumen stieg. Denn zu jener Zeit waren die ihm
bekannten Katzen wahrhaft furchtbar.
Wenn er schwatzend in seinem Baum hockte, sah der
frühe Menschenaffe viele entsetzliche Begebenheiten im
Zusammenhang mit dem mächtigen, schleichenden Feind,
dessen Bewegungen so unmenschenaffenhaft geschmeidig
waren. Schönheit und Tod sah er da vereinigt,
ungerechterweise verbunden mit der Befähigung zum
Klettern auf Bäume. Die Furcht vor der Katze brannte sich
ein in das Hirn des kleinen Tierchens auf seinem Ast, und
plappernd teilte er die Angst seinen Freunden mit. Der
kleine Affe war vielleicht der erste, der unter
Ailurophobie, unter einer Katzenphobie, litt. Der erste
Mensch erbte womöglich eine Angst, die in Muskeln und
Nerven hockte, die zum Schreckgespenst im sich
entwickelnden Bewußtsein des Menschenaffen geworden
war.
Und der frühe Mensch selbst hatte jeden Grund, die
Heidenangst des Affen zu teilen, denn er lebte in den
Tagen der größten Katzen inmitten von Schwierigkeiten.
Wahrscheinlich stellten die großen Katzen – Smilodon
und die Nachfahren von Dinictis – für den Menschen die
schlimmste Gefahr dar und trugen das Ihre zum langsamen
Wachstum der menschlichen Bevölkerung bei, als der
Mensch noch versuchte, sich die Erde zu eigen zu machen.
Angesichts der großen Katzen muß der frühe Mensch
mächtige Ehrfurcht gepaart mit mächtiger Angst
-54-
empfunden haben, vielleicht auch ein bißchen Neid. Da
war ein Tier, unermeßlich stärker als er selbst und zudem
unvergleichlich viel schneller. Da war ein Tier, das
mühelos dort hinaufsprang, wohin der Mensch kaum
durch Klettern gelangte, ein Gegner, so gut ausgerüstet,
daß er mit einem einzigen trägen Wischen seiner Tatze
einen Menschen zu einem blutigen Nichts reduzieren
konnte. Zudem war dieses Tier listig – in dem Bereich, wo
sie einander trafen, fast so einfallsreich wie der Mensch
selbst.
Nun ist aber der Menschenaffe ein stolzes Tier und war
es seit jeher. Wenn ein anderes Tier besser zu sein schien
als der Menschenaffe – anmutiger, schöner, kraftvoller -,
ist der Gerechtigkeit eindeutig ein Fehler unter laufen.
Wenn der Gerechtigkeit in dieser Hinsicht ein Fehler
unterläuft, sind offenbar zweifelhafte Mächte im Spiel; das
Böse hat dem Gegner die helfende Hand gereicht. Ein
Wesen, so mächtig, daß es Unheil anrichten kann, muß
vom bösen Geist beeinflußt sein oder, allgemeiner, von
irgendeiner übernatürlichen Macht. (Die meisten
primitiven Götter des Menschen waren gleichzeitig oder
abwechselnd gut und böse.) In der Katze steckt der Teufel;
die Katze ist ein schrecklicher Gott auf vier Beinen mit
Augen wie Feuer. Wenn wir ihr ein, zwei Kinder
vorwerfen, als Opfer sozusagen, läßt sie sich vielleicht
besänftigen. Wahrscheinlich gehen ihre große Kraft und
kämpferische Fähigkeit auf uns über, wenn wir sie zu
unserem Totemtier erwählen. (Tausende von Jahren später
war die Katze nicht selten ein Wappentier -Symbol wilden
Stolzes und todbringender Gefahr.)
So oder ähnlich mag die Atmosphäre gewesen sein,
geprägt von menschlicher oder auch vormenschlicher
Angst, als die Katze zum ersten Mal ihren Platz im
menschlichen Netz von Magie und Religion einnahm – in
-55-
diesem Netz, das den Menschen vor Gefahr schützen soll,
in dem sich die Sonne fängt, damit sie jeden Tag wieder
aufgehen kann und die Welt nicht zu ständiger Dunkelheit
verdammt, in jenem Netzwerk, in dem der Korngott
gefangen und erschlagen wird, damit er im Frühling
wieder aufersteht und Wachstum mit sich bringt.
Vielleicht war die Katze anfangs eine Göttin, weil der
Mensch solch eine ehrfürchtige Angst vor ihr hatte.
Und die Betrachtung aus der Nähe, die möglich wurde,
als die Katze zur Begleiterin des Menschen wurde, tat
wahrscheinlich ein übriges zur Stützung des Glaubens, daß
Katzen etwas Unheimliches an sich haben. Zum einen ist
die Katze, sofern man ihr ihren Willen läßt, weitgehend
ein Nachttier – viel deutlicher als die anderen Vertrauten
des Menschen in der Tierwelt, die es im allgemeinen
bevorzugen, nachts zu schlafen, wenn auch nicht so
ausschließlich wie der Mensch. Die Katze teilt diese
Vorliebe nicht, und das ist höchst merkwürdig – höchst
verdächtig. Der Mensch hat, hatte vielleicht schon immer,
Angst vor der Dunkelheit. (Als die Großkatzen nächtens
herumstreiften, hatte er allen Grund dazu.) Der Mensch
war von jeher der Ansicht, die Nacht wäre die Zeit, in der
sich böse Geister häuften. Und da ist die Katze, geht mit
Vorliebe des Nachts aus, wenn Mensch und Hund wissen,
daß es Zeit ist, beim Feuer zu schlafen. Nächtliches
Herumstreifen, Nachtsicht, das ist etwas für besessene
Wesen – und zu denen gehört die Katze; auch die Eule ist
ein Nachttier.
Sowohl Katze als auch Eule haben starre Augen, das
heißt, die Katze nur beina he. Eulen starren Menschen
angeblich an, Katzen tun es ganz sicher. Ein irregeleiteter
Katzenhasser, der anscheinend nur wenige Katzen
kennengelernt hatte, warf diesem Stamm einmal vor, sie
wären nicht fähig, den Blick des Menschen zu ertragen,
-56-
und behauptete, in der Art, wie Menschen von anderen
Menschen mit diesem Merkmal reden, sie wären
verschlagen.
Frühe,
aufmerksamere
Katzenhalter
bemerkten zweifellos, was jeder, der Kontakt mit Katzen
hat, bemerkt: daß es zu den Dingen zählt, die die Katze am
besten kann und am häufigsten tut, den Blick des
Menschen zu halten. Und dieses unentwegte Starren ist
gewiß ein wenig unheimlich. Zum einen fehlt den Augen
der Katze die Tiefe; bei ihrem Anblicken wird bewußt,
daß man zwar in diese Augen hineinsieht, aber nicht ins
Innere vordringt, und mit der Zeit kommt man voller
Unbehagen zu der Überzeugung, daß die Katze derartige
Probleme mit dem menschlichen Auge nicht hat. Die
Katze schaut den Menschen nicht nur an, ganz
offensichtlich schaut sie durch ihn hindurch, womöglich
auf etwas in seinem Rücken. Von einer Katze angestarrt
zu werden, ist höchst beunruhigend, und ein
phantasiebegabter Mensch wird irgendwann das Gefühl
halben, daß es mehr ist als bloß Katze, was ihn da aus den
Katzenaugen durchschaut. Dieses Gefühl müssen die
Menschen vor ein paar tausend Jahren sowohl häufiger als
auch deutlicher erlebt haben, sie ließen ihre Phantasie
stärker spielen, da so vieles mehr der Vorstellung
überlassen war. (Wir stellen uns heute keinen Sonnengott
in einem strahlend goldene n Wagen mehr vor; wir reden
von einem ungeheuer weit entfernten Ball aus brennenden
Gasen.)
Das Unbehagen, das die Katze mit ihrem Starren
hervorruft, mag den Menschen in seinem Glauben bestärkt
haben, daß hinter der Katze mehr steckt, als auf den ersten
Blick zu vermuten wäre. Und die Augen der Katze selbst
führen sich merkwürdig auf, das heißt, nicht wie Augen
sich aufführen sollten, also so wie die des Menschen.
Abgesehen davon, daß sie nachts nicht nahezu blind sind,
-57-
weiten oder verengen sich die Augen der Katze mit
nachlassendem oder zunehmendem Lichteinfall, und dies
ließe sich als Beweis für die Verwandtschaft der Katze mit
Sonne und Mond erklären – und wurde so erklärt. Bastet
war, nicht zu vergessen, unter anderem auch die
Mondgöttin. In der Mystik wird die Identifikation mit dem
Mond bestärkt durch die Tatsache, daß die Katze zu einem
mondähnlichen Kreis zusammengerollt zu schlafen pflegt.
Die geschmeidigen Bewegungen der Katze mögen als
weiteres Indiz für ihre Verbindung mit dem
Übersinnlichen gewertet worden sein, und zwar ebenfalls
wiederum aufgrund menschlicher Ängste. Der Mensch
fürchtet die sehnige, geschmeidige Schlange. Der Mensch
verabscheut, zweifellos aufgrund seiner Ängste, alles, was
ihm katzenhaft geschmeidig erscheint. Wenn auch
widerwillig, drängt sich der Schluß auf, daß der Mensch
von Natur aus der Anmut abwehrend, wenn nicht feindlich
gegenübersteht, vielleicht, weil er selbst im Vergleich zu
anderen Tieren und besonders zur Katze so wenig davon
besitzt. Die Zauberin ist in den Überlieferungen immer
anmutig; ein Herz aus Gold schlägt bekanntlich nur unter
der rauhesten Schale und in äußerst unvorteilhafter Hülle.
Nun aber betrifft der Großteil dieser Erfahrungen und
Beobachtungen, die den Menschen veranlagten, die Katze
als magisches Wesen zu betrachten, Merkmale, die der
Katze in ihrer Eigenschaft als Tier innewohnen, und hat
damit nichts mit katzentypischen Fehlern oder Tugenden
zu tun. Die Großkatze schlug den Menschen vor
Tausenden von Jahren, weil sie hungrig war und weil der
Mensch eine ihr angemessene Mahlzeit darstellte und
leicht zu erbeuten war. Die Katze ist so anmutig in ihren
Bewegungen, weil sie für ihre Zwecke optimal
ausgestattet ist; ihre Augen weiten und verengen sich je
nach den Lichtverhältnissen, weil ihr diese Fähigkeit sehr
-58-
zupaß kommt, und sie jagt bei Nacht, weil die Nacht die
beste Zeit für die Jagd ist. Jedoch scheint es, als ob sie ihre
Art, einen Menschen anzustarren und in die Defensive zu
drängen, ein bischen übertreibt, und in mindestens einem
weiteren Aspekt hat sie sich die Identifikation mit dem
Übersinnlichen selbst zuzuschreiben, durch die sie soviel
gewonnen und auch gelitten hat.
Denn zweifellos benehmen sich viele Katzen, als
stünden sie zumindest gelegentlich in Kontakt mit
Mächten jenseits unserer Kenntnis, dazu offenbar noch aus
freiem Willen, wenn nicht gar absichtlich. Dessen kann
niemand sicher sein, denn die Ziele einer Katze sind
undurchschaubar, sofern man selbst weder Katze ist noch
dazu neigt, Katzenart einfach mit menschlicher Art
gleichzusetzen – eine Gleichsetzung, die vieles, was wir
als Menschen von Katzen halten, ungünstig einfärbt.
Möglich ist auch, daß Katzen, die Dinge sehen, die nicht
vorhanden sind oder besser nicht vorhanden wären,
neurotisch sind.
Eine solche Katze kann, wenn sie dahinschreitet,
plötzlich stehenbleiben, herumfahren und ins Nichts
starren, manchmal sogar angesichts des Unsichtbaren, das
sie sieht, das Fell sträuben. Vorsichtig nähert sie sich
diesem Nichts, anscheinend auf Zehenspitzen, bleibt
stehen und lauscht – vielleicht hat ein Dämon den
geheimen Namen der Katze gerufen, ihr einen Befehl
erteilt. Die Katze kann diese Aktivität genauso schnell
aufgeben, wie sie sie begonnen hat, zu einem Menschen
aufblicken und sich freundlich melden. Dann hüpft sie
davon, ga nz Katze und nur Katze, und sieht und hört nicht
mehr, als einer respektablen Hauskatze zusteht. Sobald sie
sich aber der Tür nähert, springt sie plötzlich zur Seite, als
hätte sich vor ihren Füßen unvermittelt eine Grube
aufgetan, als hätten unsichtbare Finger, die vermutlich
-59-
ähnlich ihren Pfoten mit Krallen bewehrt sind, ihr Fell
gestreift. Für den Menschen, der so etwas beobachtet,
kann dies durchaus beängstigend sein.
Unsere derzeitigen Katzen führen sich ziemlich selten so
auf, doch wir kannten eine Katzenfamilie, deren
Mitglieder anscheinend nichts sahen außer Dingen, die uns
unsichtbar blieben, und zudem wohl die unvorstellbarsten
Geräusche hörten. Zu jener Zeit wohnten wir in einer
selbst an schönen Tagen nicht sehr erfreulichen
Souterrain-Wohnung, und die Katzen kamen und gingen,
wie es ihnen paßte – kamen vom Garten her, die Treppe
hinunter, vielleicht sogar durch den Fußboden. Sie kamen
anscheinend, um Geister zu jagen, wie andere Katzen ein
notorisch mäusereiches Gebiet aufsuchen würden. Sie
waren unserer Erinnerung nach drei an der Zahl, doch uns
erschienen sie immer zahlreicher; schließlich wirkte die
gesamte Wohnung seltsam übervölkert auf höchst
sonderbare Weise übervölkert. Als wir selbst anfingen zu
sehen und zu hören, was die Katzen sahen und hörten,
zogen wir um.
Bestimmt hatten diese Katzen mehr Grund zur
Wachsamkeit als viele andere, da sie dem Boß von Morton
Street unterstanden, einer wahrhaft furchteinflößenden
Gestalt. Auch dieser Kater ging ein und aus, wenn auch
nicht so häufig, doch er sah keine Geister. Uns allerdings
sah er sehr deutlich, und soweit wir es beurteilen können,
betrachtete er uns als Beute. Er war groß und schwarz,
narbenbedeckt und trotzdem, soviel war klar, unbesiegt. Er
bewegte sich seltsam huschend, wie wir es zuvo r und
seither nie wieder bei einer Katze beobachtet haben. Seine
Gesichtszüge waren in einem beständigen Fauchen
erstarrt, und er war wohl die Ausnahme zu der Regel, daß
Katzen ihre Krallen einziehen können. Jedenfalls zog er
seine Krallen niemals ein. Er sah in uns Mäuse, dessen
-60-
waren wir sicher mit der Zeit, und wir traten ihm niemals
einzeln gegenüber, was uns tollkühn erschienen wäre. Die
Katzen von niederem Rang, die unter einem Spuk litten,
rannten in wilder Flucht davon, sobald er auftrat; sie
lebten in ständiger Angst vor ihm, wie auch wir bis zu
einem gewissen Grad. Mag also sein, diese Katzen sich
lediglich eine Neurose angeeignet hatten und überall den
Boß von Morton Street sahen und hörten, selbst wenn er
ganz woanders war und gerade eine Dänische Dogge riß.
Außerdem erschrecken Katzen mit ihrem im Vergleich
zu unserem soviel empfindlicheren Gehör vermutlich über
Geräusche, die für uns nicht vernehmbar sind. Wenn wir
hören könnten, was sie hören, würden wir womöglich
feststellen, daß das Geräusch nicht die Stimme des Teufels
war, sondern nicht mehr als der ohrenbetäubende Aufprall
einer Stecknadel auf den Teppich oder das Summen eines
winzigen Insekts im Gras. Vielleicht sind Katzen auch
körperlich bedeutend empfindsamer als wir und haben
Wahrnehmungen über Haut und Fell, für die unsere gröber
konstruierten Nerven unempfänglich sind. Viele Katzen
sind fraglos hyperempfindlich; es gibt Katzen, denen eine
Berührung ihres Schwanzes, und sei sie noch so sanft,
unerträglich ist. Martini ist, wenn auch nicht bis zum
äußersten Extrem, schwanzempfindlicher als die meisten
Katzen. Als einmal eines ihrer Jungen beim Spiel ihren
Schwanz berührte, war sie außer sich und biß das Kleine,
während die meisten Katzen ihren Schwanz als Spielzeug
für die Jungen zur Verfügung stellen.
Je besser jemand Katzen kennt, desto besser versteht er
sie – natürlich innerhalb gewisser Grenzen. Die Katze, die
Gespenster sieht, reagiert, wenn man sie gut kennt, mit
einiger Sicherheit auf nicht wahrnehmbare, aber trotzdem
körperliche Stimuli. So kann der Mensch sich in
Sicherheit wiegen, das unheimliche Verhalten wegdenken.
-61-
Wenn wir jetzt, na chdem wir so viele Katzen
kennengelernt haben, den Kellerkatzen begegnen würden,
fänden wir sie bestimmt vernünftiger als vor vielen Jahren.
(Der Boß allerdings bliebe nach wie vor die
furchteinflößendste Katze aller Zeiten für uns; womöglich
war er der Teufel persönlich.) Die Kellerkatzen sahen
nicht eigentlich Geister – glauben wir. Martini lauscht
nicht auf Stimmen aus der Unterwelt – dessen sind wir fast
sicher. Wenn wir aber tatsächlich an Geister glauben
würden oder an eine Unterwelt, dann wären wir wohl nicht
so überzeugt. Wenn wir an Geister glaubten und Angst vor
Katzen hätten, wären wir, zugegebenermaßen, keineswegs
überzeugt.
Wir kennen nur wenige Menschen, die ehrlich an Geister
glauben, dagegen aber viele, die Angst vor Katzen haben.
Ailurophobie ist in verschiedenster Ausprägung weit
verbreitet. Ein jeder, der Katzen beherbergt und mit
Menschen zu tun hat, trifft unvermeidlich auf Menschen,
die mit dieser oft nicht kontrollierbaren Angst vor Katzen
geschlagen sind. Eine Freundin von uns wurde hysterisch
und wäre fast in Ohnmacht gefallen, als ein Liftboy, allein
mit ihr in der Kabine, aus Spaß wie eine Katze miaute.
Jeder Katzenbesitzer ist mehr oder weniger extremen
Beispielen dieser Angst schon begegnet – in Form von wie
erstarrt dasitzenden Gästen, die mit verkrampftem Lächeln
höflich versichern, alles wäre in Ordnung, und dabei voller
Entsetzen das neugierige Annähern einer kleinen Katze im
Auge behalten. Hierbei ist zu bemerken, daß sich die
Katze unfehlbar immer diesen Unglücklichen nähert und,
wenn möglich, versucht, es sich auf ihrem versteinerten
Schoß gemütlich zu machen.
(Ailurophobie ist nicht zu verwechseln mit der ziemlich
weit verbreiteten Katzenallergie, die – zumindest
vermutlich – auf ganz anderen Umständen basiert, nämlich
-62-
auf eher physischen als mystischen. Katzenhaar, das in der
Umgebung von Katzen gewöhnlich in der Luft liegt und
auf den Möbeln von Katzenbesitzern zweifellos vorhanden
ist, sowie Katzenschuppen greifen an Asthma gleich
welcher Form leidende Menschen heftig an. Einer unserer
Freunde, gleichzeitig ein Geschäftspartner, kann uns
niemals besuchen, so angenehm und erfreulich es auch
sein würde, weil er es an keinem Ort aushält, wo Katzen
sich aufhalten oder aufgehalten haben – er könnte dort
nicht atmen. Es wäre sinnlos, die Katzen in einem anderen
Raum einzusperren, solange die Katzen in jedem Zimmer,
das er auch betreten mag, im ganzen Haus waren.
Manchmal überrascht es uns, daß er beim
Zusammentreffen mit uns an neutralem Ort nicht schon
einen Asthmaanfall bekommt, so heftig reagiert er auf
Katzen, und genauso unvermeidlich tragen wir
Katzenspuren an unserer Kleidung, wie jeder Hund
unverzüglich feststellen würde. Zufällig reagiert dieser
Mensch in gleicher Weise auf Hunde und Pferde; seine
Katzenallergie ist, wenn auch heftig in ihrer
Erscheinungsform, nicht ausschließlich. Er mag Hunde
wie auch Pferde und hat seines Wissens eigentlich nichts
gegen Katzen, doch die Möglichkeit eines sozialen
Kontakts mit einem dieser Tiere ist ausgeschlossen. Dies
aber ist keine Katzenphobie, und er gibt den Katzen auch
nicht die Schuld an seinem Dilemma.)
Zahlreiche Studien beschäftigen sich mit der
Ailurophobie und zeigen keine schlüssigen Ergebnisse.
Die Forscher bemühen sich um eine besser greifbare Basis
für diese Angst als die historische Erklärung, die
offensichtlich nicht beweisbar ist. Leider entziehen sich
auch alle anderen Theorien der Beweisbarkeit,
einschließlich der sehr beliebten Behauptung, ein Mensch,
der sich vor Katzen furchtet, habe in frühester Kindheit
-63-
ungünstigen, wenn nicht gar schmerzhaften Kontakt mit
einer Katze gehabt, wodurch alle Angehörigen dieser Art
in seinem Bewußtsein verzerrt gespeichert sind. Das ist
nur eine dieser bequemen Theorien, deren Hauptvorteil
darin liegt, daß sie genauso wenig bewiesen wie
ausgeschlossen werden können. Sie haben Angst vor
Katzen, können sich aber an keine Gelegenheit, nicht
einmal in dunkelster Kindheit erinnern, als eine Katze
Ihnen etwas angetan hat? Ah – das ist die schlimmste
Ausprägung von allen. Allein die Tatsache, daß Sie sich
nicht erinnern, ist Beweis genug, daß etwas vorgefallen
sein muß, was Ihnen die Ailurophobie aufgezwängt hat.
Erinnern Sie sich jedoch, daß eine Katze Sie, als Sie selbst
noch auf allen Vieren krabbelten, mal gekratzt hat, und
haben Sie trotzdem keine Angst vor Katzen, haben Sie die
Theorie damit noch lange nicht widerlegt. Sie haben keine
Angst, weil Sie sich erinnern. Die Windungen des
menschlichen Bewußtseins bleiben, wie die des
Katzenbewußtseins, undurchschaubar. Manchmal gewinnt
man den Eindruck, daß Menschen beinahe genauso
geheimnisvoll wie Katzen sind.
Die Angst selbst ist allerdings keineswegs rein
unterschwellig; die Symptome können so offensichtlich
sein wie die der Windpocken. Dr. S. Weir Mitchell drang
ziemlich tief, wie in so viele andere Themen, auch in das
der Ailurophobie vor. Seine Forschung brachte ihm
»unbezweifelbare Beweise hinsichtlich der großen Anzahl
von Menschen (ein), in denen die Nähe von Katzen eine
Vielzahl von Symptomen hervorruft«. Er fährt fort: »Bei
solchen Menschen setzt das von der Katze hervorgerufene
Gefühl spontan ein. Ein Asthmakranker erfährt es
langsamer und kumulativ und vielleicht erst nach zwanzig
Minuten oder noch später. Andere Menschen erleben
andere Symptome, wenn sie eine Katze sehen, mit oder
-64-
ohne Begleitung von Atemnot. Vielleicht liegt nur Angst,
Schrecken, Abscheu zugrunde. Hinzu kommen womöglich
Frösteln, Schauern, Schwäche, Kieferkrampf oder, wie in
einem Fall, Kiefersperre, Lähmung der Arme, Blässe,
Übelkeit, selten auch Erbrechen, ausgeprägte hysterische
Krämpfe und sogar zeitweilige Erblindung. Das alles
vergeht, sobald die Katze entfernt wird, läßt das Opfer
jedoch in wenigen Fällen für einen ganzen Tag unter
nervöser Anspannung zurück.«
Manchmal mag es zutreffen, daß ein ausgeprägter
Katzenphobiker einige, wenn auch nicht gerade die
extremsten, dieser Symptome aufweist, ohne überhaupt
eine Katze gesehen oder auch nur gehört zu haben.
Der Mensch hat auch Angst vor anderen Lebewesen
viele Menschen schrecken schon vor dem bloßen Anblick
einer wenn auch noch so harmlosen Schlange zurück. Eine
Spinne, die geschäftig ihr Netz webt, weckt Ängste,
Schrecken und Abscheu, vielleicht sogar Hysterie. Solche
Ängste sind allerdings nicht schwer zu verstehen.
Abgesehen davon, daß sie dem Menschen im Paradies
einen bösen Streich gespielt hat, ist die Schlange kalt, und
ein Tier sollte nicht kalt sein, und zur Strafe für ihre
Sünden kriecht sie auf dem Bauch. Das grausame
Schicksal der Spinne besteht darin, auszusehen wie eine
Spinne. Und da sowohl Schlange wie auch Spinne unter
Umständen giftig sein können, ist es ratsam, einen großen
Bogen um sie zu schlagen.
Die Katze aber ist warm und schön, sie g eht zierlich auf der
angemessenen Anzahl von Pfoten; sanft schnurrt sie auf des
Menschen Schoß. Seltsam, daß sie so oft gefü rchtet ist, es sei
denn, diese Furcht ist tatsächlich eine unbewußte Angst aus
Urzeiten – es sei denn, man sieht den Teufel in der K atze. Das
wäre keine Überraschung. Den Teufel hat man in der Katze
tausend Jahre lang und länger gesehen.
-65-
Fünftes Kapitel
Im Reich der Dunkelheit
Abgesehen von den Jahrhunderten ihrer Göttlichkeit in
Ägypten wurde die Katze gewöhnlich mit den Mächten
der Dunkelheit assoziiert, mit den primitiven Göttern, die,
entsprechend unserer heutigen Differenzierung, weder gut
noch böse waren, sondern beides zugleich. Diese
Assoziation brachte der Katze viel Leid, besonders, als sie
nach Europa kam, und nie wieder so extrem wie in der
Zeit des Ringens zwischen dem Christentum und den alten
Göttern, die zu Teufeln geworden waren.
Die Götter der einen Religion werden zu den Dämonen
der folgenden; die Begleiter der früheren Götter folgen
diesen in die Dunkelheit und teilen deren Transformation
dortselbst. Die katzenköpfige Bastet war nicht die erste,
die mit der Zivilisation, deren Träume sie hervorbrachte,
unterging. Ihre Tempel bröckelten und wurden nicht
wieder aufgebaut; es kam eine Zeit, da wurden keine
neuen Priester in ihrem Namen geweiht. Andere
Gottheiten übernahmen ihre Aufgabe, den Menschen vor
der ihn umgebenden Dunkelheit zu schützen – vor der
Dunkelheit der untergehenden und der vom Winter
entkräfteten Sonne, vor der Dunkelheit des Todes, die
Nacht und Winter symbolisierten. Doch Bastet starb nicht
endgültig, wie auch die Gottheiten der Druiden nicht
-66-
starben, wie auch der primitive Korngott, ganz gleich, wie
oft er getötet wurde, doch unsterblich war. Bastet – gleich
unter welchem Namen, sei es Hekate oder Diana oder
Lilith oder unter neueren Namen – schloß sich den kleinen
Gottheiten an, das heißt, den Teufeln, denn das Wort
Teufel bedeutet nichts anderes als ›kleiner Gott‹.
Einstmals war sie das Symbol des altehrwürdigen Ideals
der jungfräulichen Mutterschaft. Dann wurde sie zu einer
der Mütter allen Übels.
Bastet wurde zur enterbten Göttin in der Gesellschaft
vieler anderer – vermischte sich zum Teil mit den anderen
inmitten dieser komplizierten Hierarchie der Unterwelt,
die keiner so recht entschlüsseln kann. Sir James G.
Frazer, der der Sache am nächsten kam, mußte zahlreiche
Bände füllen und war dann und wann doch aufs Raten
angewiesen. Bastet beziehungsweise Diana gesellte sich
zu den Geistern der düsteren Götter, die die Druiden in
oftmals grauenhaften Riten besänftigt hatten; sie wurde
mit Göttern in Verbindung gebracht, so primitiv, daß sie
namenlos und durchgängig sind. Die an sie, an das
Übersinnliche gefesselte Katze – was offenbar von jeher
ihr Los ist – mußte, ob sie wollte oder nicht, mit hinab in
diese Dunkelheit. Die Katze wurde zur Begleiterin von
Hexen und Zauberern, das heißt, derjenigen, die nach dem
Aufstieg der heutigen Götter immer noch die gestrigen
anbeteten. Sie wurde zum Beiwerk von Satan, einem
gestürzten Gott, wurde unfreiwillig zur Teilnehmerin an
den primitivsten magischen Riten. Das alles war sehr
schwer für die Katze.
Ihr Martyrium in Europa begann früh, und es wäre
optimistisch zu behaupten, es würde heute nirgends mehr
andauern – es gäbe keinen versteckten Winkel auf diesem
Kontinent, wo man es noch für angebracht hält, zur
Erntezeit eine Katze zu töten, wo man aus Frömmigkeit
-67-
eine lebende Katze ins Osterfeuer wirft. (In den dreißiger
Jahren oder so gab es in Pennsylvania noch Leute, die an
Hexerei glaubten; manchmal hielt man es immer noch für
ratsam, dem Teufel eine Katze zu opfern, die man
lebendig in kochendes Wasser warf. Hinterher trug man
einen Knochen von dem toten Tier als Amulett bei sich.)
Die Katze starb durch Zauber, bevor die christliche Kirche
stark genug war, um gegen die Hexerei ins Feld zu ziehen,
ein Feldzug, der vielen tausenden Männern und Frauen
und unzähligen Katzen den Tod brachte.
Die alten Götter waren völlig ins Dunkel getreten, als die
Hexen, und mit ihnen ihre Katzen, auf dem Scheiterhaufen
brannten oder am Galgen hingen. Zumindest offiziell
waren sie in die Dunkelheit verstoßen, wenngleich die
Menschen sie immer noch verehrten, oftmals ohne noch
von der tiefen Bedeutung der ausgeübten Riten zu
wissen. Die Zeremonien der Druiden waren auf dem
Höhepunkt der Hexenverfolgung im sechzehnten und
siebzehnten Jahrhundert nur noch dunkle genetische
Erinnerung. Doch die Druiden hatten religiöse Gründe
dafür gefunden, Tiere wie auch Männer und Frauen zu
Tode zu quälen; für seine Grausamkeit hat der Mensch
noch immer höchst moralische Rechtfertigungen ins Feld
führen können. Es ist nicht bewiesen, daß die Druiden
Katzen über ihren Freudenfeuern geröstet haben, wie sie
es mit Schlangen und anderen Tieren hielten,
einschließlich Menschen. Zur Zeit der Druiden – etwa 200
vor bis 200 nach Christi Geburt -, gab es Katzen in Gallien
und Britannien, doch sie waren nicht zahm. Felis catus, die
europäische Wildkatze, ließ sich nicht gern rösten und war
kein zutrauliches Tier.
Es wird angenommen, ist jedoch nicht belegt, daß das
Ziel dieser alten Druiden-Riten darin bestand, Hexen und
Zauberer zu vernichten, entweder in ihrer menschlichen
-68-
Erscheinungsform oder in der Verkörperung von Tieren,
in die sie sich verwandelt hatten. Natürlich ist es möglich,
daß die Druiden Götter geopfert haben anstelle von
Dämonenanbetern. Frazer allerdings tendiert zu der
Meinung, daß die gequälten Wesen als Hexen verbrannt
wurden, und er untermauert diese Vermutung mit der
Beobachtung, daß die Opfer moderner Scheiterhaufen
meistens Katzen waren, und die Katze war eben das Tier,
in das Hexen sich angeblich, abgesehen vom Hasen,
vorzugsweise verwandelten.
Doch falls die Druiden Tiere opferten, die durch Magie
in Repräsentanten der Götter verwandelt waren, dann
hätten sie unfraglich Katzen genommen, wenn Katzen
einfacher verfügbar gewesen wären. Kaum standen dann
Katzen zur Verfügung, wurden sie als Korngott erkannt
und als solcher häufig getötet, sogar noch in jüngerer Zeit.
Frazer führt eine Menge solcher Opfer auf: In Amiens
bedeutete der Ausdruck sie werden die Katze töten bis vor
kurzer Zeit den Abschluß der Ernte. Wenn das letzte Korn
geschnitten ist, wird auf dem Hof eine Katze getötet. Und
beim Dreschen wurde in manchen Teilen Frankreichs eine
lebendige Katze in die letzte Korngarbe gesteckt, die
gedroschen werden soll, und mit den Dreschflegeln
erschlagen. Am Sonntag wurde sie dann gebraten und als
Festschmaus verzehrt.
Solche Praktiken, zu denen die Katze, sobald sie
vorhanden war, hinzugezogen wurde, waren vor dem
endgültigen Triumph des Christentums in Europa weit
verbreitet. Viele Riten erforderten das Töten der Katze,
doch an einigen nahm sie teil, manchmal gar als
Ehrengast. In den Fruchtbarkeitsriten der Töchter Dianas
repräsentierte die Katze den Mond und wurde sowohl als
Mondgöttin als auch als Personifikation der
Fruchtbarkeitsgöttin verehrt. Diese Riten hingen von den
-69-
Mondphasen ab und hatten den orgiastischen Charakter
solcher Riten aus primitiver Vorzeit. Einige Fraktionen der
Waldenser Sekte hielten in der dunklen Jahres zeit einen
dunklen Karneval ab und feierten ihren Glauben, daß der
Mensch satanischen Ursprungs sei und die /Mächte der
Dunkelheit denen des Lichts in nichts nachstanden, und in
ihrem Ritual spielte eine Katze die Hauptrolle und wurde
auf merkwürdige Weise geehrt. In diesen Tagen stand die
Katze noch mit gewissen Göttern in Verbindung – Diana
war durch Transmutation dieselbe Göttin, wie die Katze
einstmals war. Die Existenz dieser Götter wurde noch
geduldet, wenn sie auch nur in isolierten Aspekten von der
neuen Religion der Form nach toleriert wurden,
hauptsächlich deswegen, weil diese neue Religion noch
nicht stark genug war, sie endgültig zu Boden zu
schmettern.
So durchlebten die Katzen schwere Zeiten, schon bevor
die Götter, mit denen sie identifiziert wurden, in die
Vergessenheit – oder so weitgehend in die Vergessenheit,
wie es nun mal das Schicksal eines Gottes ist – gestoßen
wurden, und wurden von ihren Mauselöchern
ferngehalten. Was man den Katzen im Zeichen der Magie
antat, war, selbst wenn es nicht tödlich endete, gewöhnlich
nichts, was Katzen mögen. Keine Katze, oder nahezu
keine Katze, mag es, als zentrale Figur in einer
Regenmacher-Zeremonie in einen Fluß geworfen zu
werden. Und die waldensische Form der Anbetung muß
eine schwere Beleidigung der Katzenwürde gewesen sein.
Abgesehen davon, daß sie eine Katze oder Repräsentantin
des Korngotts war, gab es übrigens noch andere Gründe,
eine Katze zu Tode zu quälen. Magie hatte immer auch
verständnisvolle Züge; es bestand stets die Chance, daß
den Göttern, denen die Katze lieb war, Konzessionen
abgerungen werden konnten, indem man ihnen eine Katze
-70-
opferte. »Diese Götter liebten die Katze als ihr erwähltes
und heiliges Symbol«, bemerkt M. Oldfield Howey. »Die
Katze zu quälen würde sie zwingen, die Forderung zu
erfüllen, die der Folterer als Bedingung für ihre Erlösung
stellt.“
Wenn also jemand vom Teufel die Zuwendungen
verlangt, die der Teufel bekanntlich leisten kann, könnte er
vielleicht Druck ausüben, indem er über kleinem Feuer
langsam eine Anzahl von vorzugsweise schwarzen Katzen
röstet. Wenn die erste Katze schreit, kommt vielleicht ein
niederer Teufel – in Katzengestalt – und faucht vor Wut
und macht Versprechungen. Doch der Aspirant auf
dämonische Segnungen gibt noch nicht auf, hört nicht hin.
Er röstet eine weitere Katze am Spieß, dreht ihn langsam,
und wenn auch diese schreit vor Todesqual, mag ein
zweiter Abgesandter des Teufels erscheinen – eine größere
Katze, angsteinflößender, wichtiger. Wird dieser Prozeß
lang genug fortgesetzt, erscheint am Ende vielleicht – und
wird in gewissen Teilen der Welt zuversichtlich erwartet –
Satan selbst, in Gestalt einer riesigen Katze und bereit, die
Hälfte seines Reichs zu verschenken, wenn nur der Folter
ein Ende gesetzt wird. Satan wurde offenbar barmherziger,
ablehnender gegenüber grausamer Folter eingeschätzt als
der Mensch selbst.
So konnten in diesen frühen Tagen Europas in der
Ausübung dessen, was man später als Hexerei
bezeichnete, Katzen gequält und getötet werden, wie es
beinahe zu jeder Zeit überall in der Welt, wo es Katzen
gab, ihr Los war. Doch mehr, entschieden mehr Katzen
starben in späteren Jahrhunderten von der Hand derer, die
den Gott des Lichts verehrten, als Göttern der Dunkelheit
gewidmeten Riten zum Opfer fielen. Es war das Göttliche,
das die Hexen und ihre Katzen umbrachte.
Die Unterscheidung zwischen den Göttern des Guten
-71-
und des Bösen ist in modernen Zeiten freilich leichter zu
treffen, als sie in alten Zeiten zu verstehen war. Als
gläubige Christen oder als in einer Zivilisation
aufgewachsene Fraue n und Männer, in der der christliche
Glaube vorherrscht, fällt es uns nicht schwer, eine
moralische Wahl zwischen beiden Mächten zu treffen.
Doch der gute Gott war ein ziemlich spätes Konzept des
menschlichen Bewußtseins; die alten Götter standen
jenseits von Gut und Böse; ihre Launen waren so
uneingeschränkt wie ihre Macht. Sie konnten weder Gutes
noch Böses tun, höchstens insofern als das, was für den
Menschen gut war, als gut betrachtet wurde, denn sie
standen weit über solchen von Menschen aufgestellten
Regeln. Die Identifikation der Gottheit mit dem Guten, mit
dem Aufrechten, die Zuweisung von Sanftmut und Gnade
an den Gott sind eine relativ junge menschliche
Vorstellung – und zeigen den Menschen durch sein
Moralverständnis
in
seinem
wehrhaftesten,
differenziertesten Zustand im Vergleich zum Tier. Selbst
Jehovah war eher ein Gott des Zorns als der Gerechtigkeit;
wie er zum Gott der Liebe wurde, wird poetisch dargestellt
in Marc Connellys Green Pastures, unter anderem ein
Resume der religiösen Entwicklung des Menschen von
zarter Schönheit.
Die Männer und Frauen, die die Mondgöttin anbeteten,
in Riten, die uns jetzt unwürdig erscheinen, beteten, nicht
zu vergessen, das Böse nicht absichtlich an. Sie verehrten
die amoralischen Götter, vermutlich ohne ein Bewußtsein
von Sünde. Das Bewußtsein von Sünde kam später, als sie
als Christen aus freiem Willen Dämonen verehrten, als sie
wußten, daß das, was sie taten, falsch war, als sie, wie in
Schwarzen Messen, verstockt darauf beharrten. Das
Vergnügen wurde zweifellos noch durch das Verbotene
ihres Handelns verstärkt; zusätzlicher Nervenkitzel kam
-72-
wahrscheinlich durch die Gefahr, in die sich diese
Huldiger begaben. Als die Kirche, die im Dunklen
Zeitalter langsam, aber unaufhaltsam erstarkte, mächtig
genug war, gegen das Böse einzuschreiten, wurde die
Gefahr erst recht beträchtlich. Da waren die Diener der
Mondgöttin und ihrer irdischen Verkörperung, der Katze,
keine unschuldigen Primitiven mehr, die nichts weiter
taten, als es ihre Ahnen seit dem Beginn der
Menschheitsgeschichte getan hatten. Da waren sie Hexen
und mußten ausgerottet werden. Diese Ausrottung nahm
sehr lange Zeit in Anspruch; die Götter der Dunkelheit
sterben langsam.
Selbst heute, da die Essenz dieses heidnischen Glaubens
eingetrocknet ist, hocken die Schatten noch in Winkeln
des menschlichen Bewußtseins. Es bringt Unglück, wenn
eine schwarze Katze, die Teufelskatze, dem Menschen
über den Weg läuft.
Die Hexerei war zu der Zeit, als sie so bezeichnet wurde,
eine unterirdische Überlebensform heidnischer Religion;
war, mit Howeys Worten »das Überleben des weiblichen
Prinzips der Gottheit« – der ewigen jungfräulichen
Mutterschaft des Schöpfers. Und untrennbar verbunden
damit war die Katze, das Symbol dieses Aspekts des
Göttlichen.
»Daher«, fährt Howey fort, »ist die Katzengestalt auf der
Spitze des Sistrums abgebildet, das Isis in der Hand trägt,
und die Katze war in der Stunde der Gefahr, als ein
entsetzlicher Taifun die Götter zwang, ihre Göttlichkeit zu
verbergen und nach Ägypten zu fliehen, die gewählte
Verkörperung von Diana (oder Hekate) selbst. In
Katzengestalt suchte Diana Zuflucht im Mond, und alle
Mondgöttinnen verschiedenster Länder und Zeitalter sind
untrennbar mit der Katze verbunden. Hexen, einstmals
ihre Priesterinnen, beteten den Mond mit unverminderter
-73-
Ehrfurcht an, und so behielt die Katze selbst nach der
furchtbaren Degradierung der Mutter-Anbetung ihre
Bedeutung im Diana-Kult… Zur Erklärung des
Untergangs dieses alten schönen Glaubens müssen wir uns
entsinnen, daß die Katze, sei es durch ihr eigenes
vielschichtiges Wesen oder noch deutlicher, zu einem
Kreis zusammengerollt wie der wandelbare Mond, den sie
verkörperte, die Mutter der Natur als Ganzes
repräsentierte. Sie war Venus die Schöne und Venus die
Schreckliche, die Göttin des Lebens und des Todes, deren
östlicher Name Alhuza oder Huza für das Ägyptische
›göttliche Frau‹ oder Isis steht.«
Im Mittelalter sah sich die Kirche stark genug, um gegen
die dunklen Götter, ihre Priester und Priesterinnen und
natürlich ihre Katzen vorzugehen. Zu Beginn des
fünfzehnten Jahrhunderts war die Verfolgung voll im
Gange; sie dauerte an die dreihundert Jahre und verlief
dann mehr im Sande statt abrupt eingestellt zu werden.
Noch im späten achtzehnten Jahrhundert wurden Frauen
in Mitteleuropa als Hexen getötet. In Deutschland wurden
im
sechzehnten
und
siebzehnten
Jahrhundert
schätzungsweise einhunderttausend Hexen kraft des
Gesetzes
getötet,
wurden
in
Frankreich
siebenund fünfzigtausend und in Großbritannien noch
einmal dreißigtausend von aufrechten Bürgern verbrannt
oder gehenkt oder ertränkt. Wie viele Hunderttausende
von Katzen als ihre Begleiter oder auch im Ruf, der Teufel
selbst zu sein, starben, kann niemand schätzen. Doch es
war eine schlimme Zeit für Katzen.
Überall in Europa verbrannten Christen Katzen in
Fastenfeuern oder rösteten sie langsam darüber. Sie
stopften sie in Weidenkörbe und warfen die Körbe ins
Feuer; als Elizabeth I. in England gekrönt wurde, opferte
man einen solchen Korb voll schreiender Katzen als
-74-
Warnung an die Unterwelt und zur Unterhaltung der
göttlichen Welt. Louis XIV. von Frankreich tanzte mit
seinen Edelmännern und deren Damen 1648 vergnügt um
ein Feuer, in den Ohren die entsetzlichen Schreie
sterbender Katzen. In Schottland wurden anläßlich eines
Festes mit Namen Taigheirn, das vier Tage andauerte,
unzählige Katzen verbrannt. Dort wurden die Katzen den
Teufeln – das heißt, den alten Göttern -, geweiht, denen
sie dienten, und dann langsam geröstet. Katzen wurden zu
Tode gepeitscht – »The finest pastime that is under the
sun, is whipping the cat at Abrighton« (Das größte
Vergnügen unter der Sonne ist das Peitschen der Katze zu
Abrighton). Wäre die Katze nicht so zäh und nicht so
fruchtbar – und wäre sie vielleicht nicht so nützlich, daß
die Vernunft des Menschen sie letztlich schützt -, dann
wäre sie womöglich inzwischen längst ausgestorben.
Katzen mußten sterben, weil sie mit Hexen in
Verbindung gebracht wurden, und Menschen mußten
sterben, viele oftmals so unschuldig, daß sie nicht einmal
die Absicht hatten, etwas Böses zu tun oder falsche Götter
anzubeten, aus dem einzigen Grund, daß sie Katzen
kannten. Im Jahre 1618 saßen in England einmal zwei alte
Frauen beim Tee. Sie hatten eine befreundete Katze. Die
Katze näherte sich auf der Suche nach Futter, und eine der
Frauen wedelte abwehrend mit ihrem Taschentuch. Als sie
mit ihrer Freundin vor Gericht stand, war es diese Geste,
die sie überführte: Sie hatten mit Hilfe von mystischen
Zeichen mit der Katze kommuniziert. Sie wurden
angeklagt, durch bösen Zauber Krankheit und Tod der
Kinder des Earl of Rutland herbeigeführt zu haben,
wurden für schuldig befunden und gehenkt. Es ist
anzunehmen, daß ihre Katze aufgestöbert und gleichfalls
getötet wurde. Auf dem Höhepunkt der Hexenjagd war es
schon gefährlich, eine Katze auch nur zu kennen. Sie war
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eine Ausgestoßene unter den Tieren, der Teufel
persönlich. Manche Leute haben das noch nicht vergessen.
Trotz aller Bemühungen der Inquisition und ihrer
weltlichen Handlanger, trotz allem, was Helfershelfer und
Scheiterhaufen ausrichten konnten, wurden die Katzen
nicht ausgerottet – und letztendlich auch nicht der Glaube
an ihre übersinnlichen Verbindungen. (Auch nicht,
wohlgemerkt, die Zauberei selbst. Noch bis vor nicht allzu
langer Zeit wurden Frauen und Männer in Schottland
beschuldigt, sich in Verfolgung böser Absichten in Katzen
zu verwandeln. In abgelegenen Gegenden, zum Beispiel in
Pennsylvania, werden vielleicht noch immer Katzen dem
Teufel geopfert; sie werden womöglich immer noch nach
alter Tradition als Geister des Korns getötet.) Katzen
künden immer noch Böses an, besonders, wenn sie
schwarz sind. Sie verursachen vielleicht immer noch, wie
weltweit angenommen, den Tod von Kindern, indem sie
sich ihnen aufs Gesicht legen und den Atem nehmen.
Dieser letztere Aberglaube, bar jeder Grundlage, spiegelt
höchstwahrscheinlich die Angst vor der Vampirkatze
wider, einem angsteinflößenden Wesen, das durch die
Windungen des mythosschaffenden Bewußtseins der
Menschheit schleicht. Lilith, die dunkle Göttin der
hebräischen Mythologie, verwandelte sich in eine
Vampirkatze, El- Broosha, und saugte in dieser Gestalt das
Blut ihres liebsten Opfers, des neugeborenen Säuglings.
Die schwarze Katze wird natürlich von jeher am
schnellsten als des Teufels verdammt. Jahrhundertelang
hat der Mensch in der ganzen Welt die übersinnliche
Katze erforscht, und er weiß sehr viel über sie.
So ist auch weithin »bekannt«, daß eine fremde Katze,
gleich welcher Farbe, allein dadurch, daß sie ein Haus
aufsucht, den Tod bringen kann, daß eine Katze gleich
welcher Farbe, die über einen Sarg springt, großes Übel
-76-
heraufbeschwört, es sei denn, sie wird schnellstens getötet.
In China sind Hund und Katze in einem Haus, in dem ein
Toter liegt, nicht zugelassen, da die Anwesenheit dieser
Tiere den Toten befähigt, sich zu erheben und großes
Unheil anzurichten. Im Mai geborene Kätzchen wurden
jahrhundertelang mißtrauisch beäugt, und selbst heute
noch glauben gewisse keltische Völker, daß eine im Mai
geborene Katze Schlangen ins Haus lockt. Der Grund
besteht vermutlich darin, daß der Mai für diejenigen, deren
genetische Erinnerung Spuren der Druiden-Magie
gespeichert hat, ohnehin ein schlechter Monat ist. Im Mai
zelebrierten die Druiden ihre Frühlingsriten, um die
Wiedergeburt der Erde sicherzustellen, und diese Riten
beinhalteten höchst grauenvolle Opfer. Nachdem die
Druidengötter in den Untergrund gegangen waren, traten
die Hexen die unvermeidliche Nachfolge an; sie ritten ihre
Katzen und ihre Besen auf hohe Berge und trieben dort in
der Walpurgisnacht, umheult vom Wind, unsagbare
Dinge, wenn der Mai begann.
Wenn eine junge Katze, ob im Mai geboren oder nicht,
des Nachts in ein Haus kommt, bringt sie Böses mit sich,
es sei denn, sie bleibt, um es abzuwehren. Dafür können
wir uns verbürgen: Eine unserer liebenswertesten Katzen
kam an einem verregneten Abend zu uns, jammerte leise
in der Nässe und wurde eingelassen. Und in jener Nacht
befiel uns keinerlei Übel. Die Katze blieb etwa zehn Jahre
und wirkte wohl die ganze Zeit über als eine Art Talisman.
Hätte während dieser Jahre einer von uns ein Gerstenkorn
bekommen, wäre er geheilt worden, indem er die
betroffene Stelle mit dem Katzenschwanz rieb, zumal die
Katze größtenteils schwarz war. (Keiner von uns stammt
allerdings aus Cornwall, wo dieser Glaube über
Generationen hinweg weit verbreitet war; vielleicht wäre
auch keiner von uns in der Lage gewesen, den
-77-
Zauberspruch, der beim Reiben des Gerstenkorns
unerläßlich ist, korrekt zu intonieren. Und vielleicht hätte
Pete, der eine eigene Vorstellung von Würde hat, eine
solche Nutzung seines Schwanzes freiwillig nicht
geduldet.)
Eine Katze bringt, je nach den Umständen, Glück oder
Unglück, vorrangig jedoch letzteres. Im siebzehnten
Jahrhundert sagte man: »Küßt du die schwarze Katze,
wirst du fett, küßt du die weiße, wirst du mager«, was eine
nette Verteilung des Glücks bedeutet, sofern die richtige
Entscheidung getroffen wird. Es wäre anzunehmen, daß es
für viele einfacher ist, eine weiße Katze zu küssen, als
Diät zu halten, wenngleich bei weitem nicht für alle. Und
ein altes Sprichwort besagt: Wer die Welt erobern will,
braucht eine schwarze Katze, einen heulenden Hund und
ein krähendes Huhn.
Doch wenn Ihre Katzen Ihr Haus verlassen, wie es
Katzen manchmal zu tun pflegen, wird unvermeidlich
Krankheit folgen. (Dessen können wir nicht sicher sein.
Zwar hat eine unserer Katzen, die schon vorher leise
Anzeichen von Wahnsinn gezeigt hatte, unser Haus
verlassen und ist nie zurückgekehrt, doch wir können uns
nicht so ohne weiteres erinnern, ob das, abgesehen von
Bedauern und einem bleibenden, leisen Kummer, auch
Krankheit zur Folge hatte.)
In zahlreichen Aberglauben werden Katzen, und das
liegt auf der Hand, mit Liebe und Heirat assoziiert, und in
diesem Zusammenhang ist ihr Einfluß meistens, wie nicht
anders zu erwarten, günstig. Es bringt der Braut Glück,
wenn eine Katze auf einer Hochzeit niest. Doch wenn eine
Jungfrau einer Katze auf den Schwanz tritt, muß sie für
ein Jahr jegliche Hoffnung auf Verheiratung aufgeben,
wahrscheinlich weil sie irgendeine dunkle Liebesgöttin
beleidigt hat. Ein Telugu-Inder wird, wenn er eine dritte
-78-
Frau nehmen will, zuerst eine Katze heiraten und ihr ein
gelbes Band um den Hals legen. Allerdings sollten sich
Männer vergewissern, ob die Frauen, die sie heiraten,
nicht in Wirklichkeit verkappte Katzen sind; das ist oft
genug vorgekommen. Aesop erzählt die bedauerliche
Geschichte eines jungen Mannes, der ein wunderschönes
Mädchen heiratete, ohne zu merken, daß Venus, um sein
Verlangen zu stillen, aus der Katze des Hauses das
Mädchen geschaffen hatte. In der Hochzeitsnacht hörte
das Mädchen eine Maus rascheln, und in ihrem
Katzenherzen vergaß sie alle anderen Freuden und stellte
der Maus nach. Dies wiederum verärgerte Venus
dermaßen, daß sie das Mädchen in die Katze
zurückverwandelte, und auch den jungen Mann wird es
einigermaßen verblüfft haben. Ein Mann, dessen Frau die
Angewohnheit hat, des Nachts herumzustreifen, tut gut
daran, sie im Auge zu behalten, selbst wenn keine Mäuse
vorhanden sind.
Einmal, vor ein paar Generationen, hatte ein Schotte
solch eine nachtschwärmende Frau und folgte ihr, als sie
das Haus verließ, in welcher Erwartung, ist nicht allzu
schwer zu erraten. Was er allerdings wohl nicht vermutet
hätte: Seine Frau verwandelte sich in eine Katze und stach
mit sieben weiteren Katzen in einem Sieb in See. Der
Mann rief die Heilige Dreifaltigkeit an; das Sieb wurde
leck, und alle Katzen ertranken. So jedenfalls lautete die
Geschichte, die er im Ausland zum besten gab.
Schon immer hatte die Katze großen Einfluß auf das
Wetter. Allein dadurch, daß sie sich das Gesicht wäscht,
kann sie Regen bringen, und kluge Landleute töteten vor
der Ernte nicht selten ihre Katzen, um trockenes Wetter zu
gewährleisten. Wenn in Schottland eine Katze am Tisch
kratzt, ist mit Wind zu rechnen; in Java wurden Katzen
lange Zeit als Regenmacher eingesetzt. Laut Frazer
-79-
braucht man dazu nur eine oder zwei Katzen, Männchen
und Weibchen, zu baden. Komplizierter und daher wohl
auch effektiver ist eine Methode, zu der man nicht nur
eine Katze, sondern sämtliche Frauen des Dorfs benötigt.
Die Frauen steigen in einen Fluß und spritzen sich
gegenseitig nach Herzenslust naß. Dann wird eine
schwarze Katze mitten unter sie geworfen und gezwungen,
eine Weile zu schwimmen, während die Frauen sie naß
spritzen. Danach erst darf die Katze das Ufer gewinnen
und flüchten. Und dann kommt der Regen.
Seeleute sind sich der engen Beziehung von Katze und
Wetter bewußt, seit die Katze zum ersten Mal auf der
Arche in Erscheinung trat. (Die Ratten vermehrten sich so
drastisch, daß sie zur Plage wurden, da strich Noah einem
Löwen über den Kopf, der daraufhin eine Katze ausnieste.
Vielleicht war es aber auch zu einer Mesalliance zwischen
einer Löwin und einem Affen gekommen, deren Ergebnis
dann die Katze war. Allerdings ist diese Theorie mit
einiger Skepsis zu genießen, denn in der Katze findet sich
nicht der geringste Hin weis auf Affenart. Eine weitere
Möglichkeit steht zur Wahl: Die Sonne erfand den Löwen,
und der Mond schuf, um nicht zurückzustehen, die Katze.
Darüber lachten die Sterne herzlich, und der Mond
versuchte es noch einmal. So entstand der Affe. Es wird
gemunkelt, daß die Sterne sich angesichts dieser neuen
Schöpfung schier ausschütten wollten vor Lachen. Einige
zwinkern offenbar immer noch vor lauter Spaß an diesem
Vorfall.) Seeleute, deren Leben immer in Gefahr ist und
die sehr stark vom Schicksal abhängen, achten von jeher
genau auf Omen und hüten sich vor bösen Mächten. Ihre
traditionelle Verbundenheit mit der Katze äußert sich in
den zahlreichen Bezügen in der nautischen Terminologie:
Katzenpfötchen für den leisen Wellengang des Meeres,
wenn ein Sturm bevorsteht, Katzenboot, neunschwänzige
-80-
Katze, Katzenkopf und Katzenblock.
Katzen wurden auf der ganzen Welt häufig in der
freundlichen, weißen Magie eingesetzt, meistens jedoch zu
ihrem Unbehagen oder gar mit Todesfolge. In
Südslavonien zum Beispiel herrschte lange Zeit der
Glaube, daß ein Dieb, der auf dem Markt unbemerkt
klauen wollte, nur eine blinde Katze verbrennen und ihre
Asche aufbewahren mußte. Eine Prise Katzenasche, über
den Händler gestreut, der als Opfer auserkoren war, ließ
die Blindheit der Katze auf diesen übergehen und den
Diebstahl zum Kinderspiel werden. In vielen Teilen der
Welt wurde auch lange vermutet, daß die Gabe des
zweiten Gesichts durch ein Katzenopfer erlangt werden
könnte, da die Katze selbst als Seherin galt. Die Hexen
früherer Jahrhunderte benutzten häufig Katzen, um in der
Zukunft zu lesen.
Über lange Zeiträume hinweg gab es so viele Gründe,
Katzen zu töten, daß der ausgebliebene endgültige Erfolg,
daß die Katze nicht ganz und gar ausgerottet wurde, schon
erstaunlich ist. Vermutlich aber gibt es heute mehr Katzen
auf der Welt als je zuvor, da es auch mehr Menschen gibt,
und wo mehr Menschen sind, sind auch mehr Ratten und
Mäuse. Die Möglichkeiten der Katze, sich zu ernähren,
sich mit Mäusen zu vergnügen und ein Plätzchen im Haus
des Menschen zu finden, vervielfachen sich dadurch, und
analog zu ihren Möglichkeiten vermehren sich die Katzen.
Denn die Katze war auch immer, wenngleich ein Wesen
aus der Unterwelt, paradoxerweise das »harmlose,
nützliche“
-81-
Tier, von dem Shakespeare schrieb. Sie war schon
immer eine kuschelige Mausefalle, und die Menschheit
hielt ihr die Tür offen.
-82-
Sechstes Kapitel
Ruschelige Mausefallen
Niemand weiß, wie viele Millionen Ratten und Mäuse sich
auf der Welt herumtreiben und dem Menschen mit
äußerster Gewissenhaftigkeit den größtmöglichen Schaden
zufügen. Wieviel von dem, was dem Menschen wert und
teuer ist, durch diese kleinen, allgegenwärtigen Wesen
zerstört wurde, seit sie anfingen, den Menschen zu
belästigen, läßt sich höchstens raten. Ratten, so lautet,
durchaus nachvollziehbar, die herrschende Meinung,
haben in den Lauf der Geschichte eingegriffen. Die Pest,
die sie verbreiten, hat bestimmte Populationen nahezu
ausradiert und stellt in Teilen der Welt noch immer eine
schwelende Gefahr dar. Was sie und ihre kleineren
Vettern an Nahrung vernichtet haben, würde Generationen
ernähren, und sie beschränken ihre Zerstörungswut
keineswegs auf Nahrungsmittel. Mäuse und Ratten fressen
nahezu alles, und was sie nicht fressen, verunreinigen sie.
Der Mensch kennt keine Gnade mit diesen Nagetieren,
und wären sie sich selbst überlassen, würden sie über kurz
oder lang nur zu gern die Welt beherrschen. Kein anderes
Tier, außer dem Menschen selbst, fügt der Menschheit
soviel Schaden zu.
Nahezu unbestreitbar ist, daß es mehr Ratten und Mäuse
als Männer und Frauen auf der Welt gibt. Die Scheunen,
-83-
die Kornfelder der Welt sind voll von ihnen. An jedem
Fluß- oder Bachufer plündern Ratten zu Tausenden; die
großen Städte, die der Mensch aufgebaut hat, bieten mehr
Nagern als Menschen Lebensraum. Ratten rascheln in
Hauswänden und dringen vor, um die Nahrung des
Menschen und sogar, ergibt sich die Gelegenheit,
Menschen zu fressen. Keine Niederträchtigkeit ist einer
Ratte fremd, und die Maus ist, unter Berücksichtigung des
Größenverhältnisses, genauso schlimm wie die Ratte.
So ist es schon seit ägyptischen Zeiten, als die Katze
noch eine Göttin war, und so war es in Europa, während
sie als Teufel galt. Ob als Gott oder als Teufel, die Katze
spürte schon immer jedes Mauseloch auf und arbeitete für
ihren Lebensunterhalt. Wahrscheinlich tat sie es nicht,
weil es nützlich war und dem Menschen gefiel, bei dem
sie lebte. Viel eher tat sie es wohl, weil es für eine Katze
nichts
Schö neres
gibt
als
die
Mäusejagd.
Höchstwahrscheinlich erkannte sie aber auch, daß ihre
Menschen sie lobten, wenn sie eine Maus gefangen hatte –
eine recht angenehme Begleiterscheinung ihrer sportlichen
Betätigung. Dann durfte sie vielleicht ins Haus und sich
am Feuer räkeln. Die logische Fortführung dieser
Gedanken erklärt dann auch, warum die Katze ihre Beute
gern dem Menschen zu Füßen legt, während sie ernsthaft
auf ihre Leistung hinweist und, wenn nötig, die
angemessene Wertschätzung durch sanftes Hakeln an
menschlicher Kleidung erzwingt. So verhalten sich
zweifellos die meisten Katzen, und sie erwarten Lob,
genauso, wie sie Lob verlangen, wenn sie eine sich
windende Schlange oder ein schlimm zugerichtetes
Kaninchen oder, zugegebenermaßen, einen Vogel
heimbringen. (Daß die meisten Menschen das
Vögelfangen nicht unbedingt lobenswert finden, wird für
die Katze, gelinde gesagt, verwunderlich sein, zumal sie
-84-
noch weiß, daß eben dies in ihren ägyptischen Tagen als
die einer Katze angemessene Tätigkeit galt. Die Katze
weiß längst: Der Mensch ändert sich und ist
unberechenbar.) Aber mit Ratten- und Mäusefangen sind
alle Menschen ausnahmslos einverstanden; das finden alle
Menschen nützlich, und hierfür belohnen Menschen die
Katzen mit Obdach und Futter. (Zärtlichkeiten verdient
sich die Katze auf andere Weise, indem sie sie selbst ist
nämlich; indem sie sie selbst ist: warm und freundlich,
gleichzeitig unter Beibehaltung einer anständigen
Zurückhaltung.) Doch als Mausefalle erschien die Katze
auf staatlichen Lohnabrechnungen und auf denen der
Privatindustrie; aufgrund ihrer Eigenschaft als großartige
Jägerin kleiner, dem Menschen schädlicher Tiere wurde
sie in katzenlose Gegenden importiert – und störte dort
ohne eigenes Verschulden das »Gleichgewicht der Natur«,
von dem die Menschen so klug schwätzen und das sie so
erfolgreich durcheinanderbringen. Als Rattenjäger wurde
sie im endlosen Kampfzug gegen die Beulenpest, einem
häßlichen Weggefährten der Ratte, eingesetzt, und ihr
umfassenderer Einsatz wurde sehr ernsthaft empfohlen.
So entzückend eine Katze für diejenigen, die sie
entzückend finden, auch ist, läßt sich doch bezweifeln, ob
Katzen es unternommen hätten, in Harmonie mit den
Menschen zu leben, wären da nicht Ratten und Mäuse
gewesen. Was den Hund betrifft, mag es sich anders
verhalten haben, denn nur in primitiver Vorzeit haben die
meisten Hunde tatsächlich Aufgaben für den Menschen
erledigt. Heutzutage ist der Großteil der Hunde arbeitslos
– ein paar wenige ziehen Schlitten, manche hüten die
Herden des Menschen, andere begleiten ihn auf die Jagd
und helfen dem Menschen, für ihn nicht genießbare Tiere
auf die umständlichste Art und Weise zur Strecke zu
bringen. Von manchen Hunden verlangt man, daß sie
-85-
Einbrecher verbellen. Ein Hund lebt nicht von seiner
Arbeit, er lebt von seinem Charme, und zwar schon seit
Generationen. Seine Zuneigung ist beinahe grenzenlos und
wird nicht gerade subtil zum Ausdruck gebracht; einen
Hund zu mögen, fällt überhaupt nicht schwer. Er würde
Ihnen auf die Schulter klopfen, wenn er könnte, und seien
wir ehrlich, manchmal tut er es auch. Einer der nettesten
Hunde, die wir je kannten, ein prächtiger Dobermann,
begrüßte sein Frauchen, das ein paar Monate fort gewesen
war, so voller herzlicher Begeisterung, daß er es rücklings
in den Kamin stieß und der Frau dabei zwei Rippen brach.
Eine Katze zu mögen, ist etwas schwieriger. Sie besteht
auf den Feinheiten in der Gunstbezeigung und ist auf ihre
Art unglaublich kultiviert. Die Katze mußte zunächst unter
Beweis stellen, daß sie unersetzlich ist. Der großen
Mehrheit der Menschen konnte sie es beweisen. Doch es
gibt auch Dissidenten.
Nicht, weil die Katze eine fröhliche Gefährtin, sondern
weil sie eine fleißige Arbeiterin ist, hält sich der Bauer
eine Scheune voller Katzen – und erhält sich so seine
Getreide Vorräte. Nicht etwa ihr ansprechender Umgang
mit Menschen, sondern ihr »grausamer“
Umgang mit Mäusen sicherte der Katze ihren Platz im
Lebensmittelladen an der Ecke; dort hielt sie sich rein
geschäftlich auf und war nützlich wie eine Angestellte.
Die Männer und Frauen, die auszogen, um einen neuen
Kontinent urbar zu machen, hielten Katzen, die sie
begierig den Händlern abkauften, nicht etwa aus
Gefühlsduselei. Sie bezahlten bares Geld für die Katzen,
ließen sie sich vermehren und ertränkten die Jungen nicht,
weil es keine andere halb so gute Möglichkeit gab, das
Ungeziefer – die Ratten und Mäuse, die Erdhörnchen und
Ziesel – in Schach zu halten, die die Ernte vernichteten.
Und wenn sie nicht gerade Nagetiere jagten, machten sich
-86-
die Pionier-Katzen freudig unter den Schlangen nützlich.
So ziemlich jede Katze tötet gern Schlangen, wenn auch
nicht viele sie genießbar finden. Unsere Katzen haben eine
ganze Menge gefangen, doch keine hat eine Schlange je
als Futter betrachtet, und Martini, genauso pingelig wie
quengelig, verzieht jedesmal das Gesicht, wenn sie eine
Schlange im Mäulchen hatte, wie ein Mensch, der
unverhofft in etwas Ekliges beißt. Sie putzt sich das
Mäulchen mit der Pfote, um den schlechten Geschmack
loszuwerden, und protestiert vernehmbar, sofern einer von
uns in der Nähe ist, wiederum wie ein Mensch, der die
Schuld an seiner Unvernunft mit anderen teilen will.
Die aus dem Käfig eines reisenden Kesselflickers
gekauften Katzen, die bei der Unterwerfung eines
Kontinents halfen, leisteten einen großartigen Beitrag zur
Ausdehnung der menschlichen Zivilisation, und dieser
Beitrag wird, zumindest von einem Autor, nahezu
überschwenglich gewürdigt. »Dem Einfluß der Hauskatze
auf die amerikanische Zivilisation wird entschieden
weniger Beachtung geschenkt, als er verdient«, verkündet
die Encyclopedia Antericana, und der Autor des Artikels
über Katzen, eindeutig ein Katzenliebhaber, fährt trocken
fort: »Der Vormarsch der Landwirtschaft wie auch ihre
Ausdehnung über endlose Waldgebiete und Prairien wurde
zum großen Teil von diesem so häufig mißbrauchten und
mißverstandenen Tier ermöglicht. Unmöglich zu
berechnen, wieviel Nahrung Katzen gerettet, wieviel
Besitz sie vor der Zerstörung geschützt, welche
Ungezieferplagen sie seit den Anfängen der Besiedlung
Amerikas in Schach gehalten haben. Ohne ihre schlaflose
Wachsamkeit wären die großen Städte in Windeseile von
Ratten und Mäusen überrannt.«
Da die großen Städte ohnehin überrannt sind oder doch
zumindest beinahe, bedarf es nicht der Skepsis eines
-87-
Katzenfeinds,
um
diese
Lobrede
geringfügig
einzuschränken. Katzen sind keineswegs schlaflos:
Manche Katzen wachen blitzschnell auf, andere
verschlafen nahezu alles. Wenn die Katze schläft, tanzen
außerdem die Mäuse, hin und wieder sogar fast vor der
Nase einer Katze, und mehr als einmal haben wir die eine
oder andere unserer Katzen aufwecken müssen, um sie auf
diesen Umstand hinzuweisen. Doch der Autor des oben
zitierten Artikels, Ernest Ingersoll, ein wohlbekannter
Naturforscher, übertreibt zweifellos in der Wortwahl, aber
nicht die Fakten. Jeder Bauer würde ihm beipflichten. Pete
und seine Nachfolger nahmen sich der Mäusemigration an,
die uns jahrelang in unserem Häuschen auf dem Lande
plagte. Anfangs suchten wir es nur an den Wochenenden
auf, bis wir schließlich dazu übergingen, den größten Teil
des Jahres dort zu verbringen.
In der ersten Zeit war dieses Häuschen im wahrsten
Sinne des Wortes ein Rattennest, und in sämtlichen
Schubladen hatten sich Mäusefamilien häuslich
niedergelassen. Im Winter nahmen die Ratten das Haus
ungehindert in Besitz und auseinander; im Frühling, wenn
wir aus unserem Stadtquartier wieder übersiedelten,
fanden wir Verheerungen vor: Der Fußboden war übersät
von Glas und Porzellanscherben, alles, was sich nagen
ließ, war angenagt – Ratten können sich durch so ziemlich
alles hindurchfressen -, und mit jedem Schritt stiegen wir
auf ihre unverkennbaren Hinterlassenschaften. Es stank
buchstäblich nach Ratte, und die Mäuse hatten sich in die
Matratzen verkrochen, um Familien zu gründen.
Diese Kreaturen zogen sich bei unserer Ankunft nicht
bereitwillig zurück. Im Winter gehörte ihnen das Haus,
und den ganzen Sommer über kämpften sie darum; das
Rascheln von Ratten riß uns nachts aus dem Schlaf, und
manchmal fanden in den frühesten Morgenstunden
-88-
spektakuläre Rattenjagden statt. Wir und unsere Gäste
waren mit Besen und Schürhaken bewaffnet, die Ratten
mit Haß und häßlichen Zähnen. Um hier leben zu können,
mußte man beinahe ein professioneller Jäger sein, und es
wurde zunehmend schwierig, Gäste zu uns zu locken, die
dann als Gastgeschenke paketeweise neues, sehr zu
empfehlendes Rattengift mitbrachten, welches den Ratten
möglichst nachdrücklich zu empfehlen allerdings wohl
versäumt worden war.
Dann kamen nach den ersten paar Jahren die Katzen –
zuerst Pete und dann weitere. Und als sie kamen, gingen
die Ratten und nach ihnen die Mäuse. Und sie mieden das
Haus nicht nur, wenn wir und die Katzen anwesend waren.
Sie gaben es auch als Winterquartier auf, zumindest fast.
In den letzten drei, vier Jahren sahen wir lediglich eine
Ratte, und das geschah während der Zeit, als Martini,
unsere damalige Katze, über die Maßen mit ihren Jungen
beschäftigt war.
Trotz allem sahen wir in dieser Zeit des Rückzugs der
Nager, als sie diesen winzigen Teil der Welt
widerstrebend an die Menschen und ihre Katzen abtraten,
nur eine einzige von den Katzen jemals mit einer, noch
dazu sehr kleinen, Ratte. (Zur Blütezeit ihrer Herrschaft
waren die Ratten fast so groß wie Katzen.) Ein paar
wurden wahrscheinlich in unserer Abwesenheit getötet
und aus irgendwelchen Katzengründen verschleppt. Ratten
sind nicht wie Mäuse, das wissen Katzen und spielen nicht
mit ihnen. Die Tötung erfolgt wohl eher rasch und geheim.
Jedenfalls wurde nur diese eine ziemlich mißratene Ratte
als Beweis vorgelegt. Unserer Meinung nach wurden die
Ratten von Angst vertrieben, nicht getötet. Denn Katzen
haben eine besondere Wirkung auf Nagetiere: Gewöhnlich
reicht allein ihre Anwesenheit. Für die menschliche Nase
ist die Katze nahezu geruchlos; falls es in einem von
-89-
Katzen bewohnten Haus tatsächlich nach ihnen riecht –
abgesehen von den Düften, die ein nicht kastriertes
Männchen absichtlich absetzt -, dann sind die Katzen
krank. Ratten und Mäuse jedoch empfinden ihren Geruch,
womöglich Schwefelgeruch, sehr intensiv, und ohne
Zweifel vertreiben Katzen bedeutend mehr Ratten und
Mäuse aus Scheunen und Häusern, als sie tatsächlich
töten. St. George Mivart, der Autor des monumentalsten
und wohl auch maßgeblichsten Buches, das je über Katzen
geschrieben
wurde,
erwähnt
eine
Katze,
die
erwiesenermaßen zwanzig Mäuse an einem einzigen Tag
fraß und entschieden mehr in die Flucht schlug. Ratten
scheinen sogar noch stärker auf der Hut vor Katzen zu sein
und einen Ort, an dem eine Katze verkehrt, noch eiliger zu
verlassen.
So klug sind Mäuse im Hinblick auf Katzen nicht; sie
müssen mehr oder weniger Stück für Stück getötet
werden. Das besorgten alle unsere Katzen, von einer
einzigen Ausnahme abgesehen, mit dem größten
Vergnügen. In dieser Hinsicht hatte Pete Glück, denn er
fand einen Ort vor, den sich seit Jahren keine Katze
vorgenommen hatte und der deshalb nur so wimmelte von
jagdbarem Wild. Im Verlauf seiner ersten Besuche räumte
er im Nullkommanichts unter den Mäusen auf, und danach
waren im Hause nur noch prophylaktische Patrouillen
vonnöten. Zur echten Jagd begab er sich auf die Felder
und fing die dort lebenden Mäuse – die, nicht zu
vergessen, zwangsläufig ins Haus gezogen wären, hätten
sie gewußt, welche Möglichkeiten sie sich dort entgehen
liefen. In den etwa zehn Jahren, die Pete mit uns
verbrachte, fing er vermutlich Hunderte von Mäusen, und
Grund zu dieser Vermutung haben wir, weil er die meisten
mit nach Hause brachte. Einmal, als wir mit Gästen noch
spät in der Nacht wach waren und Pete noch draußen
-90-
umherstreifte, da die Gäste ihn nicht sonderlich
interessierten, fing er ein halbes Dutzend Mäuse und legte
sie säuberlich in Reih und Glied auf die Türschwelle, als
Hinweis für uns, daß er zwar abwesend, aber nicht untätig
gewesen war.
Nur hin und wieder fraß Pete eine von seinen Mäusen,
und wenn, dann eher aus einer Art Pflichtgefühl als aus
Appetit auf Mäuse. Wäre er hungrig gewesen, hätte er
sicherlich anders empfunden. Doch wäre er hungrig
gewesen, hätte er nicht so viele Mäuse gefangen, denn der
beste Mauser ist stets eine wohlgenährte Katze, die
Erholung sucht, nicht Nahrung. (Die Katze ist jedoch nicht
ganz von demselben Geist getrieben wie der menschliche
Jäger. Der Mensch weiß im voraus, daß er nur einen
Bruchteil seiner eßbaren Beute verzehren wird; er würde
niemals einen Löwen verspeisen. Die Katze merkt
vermutlich erst, wenn sie die Maus gefangen hat, daß
Beefsteak ihr lieber ist.) Petes gelegentliches Knabbern an
Mäusen war eher eine Formalität, um Mäusen und
Menschen zu beweisen, daß er erstere zu verschlingen in
der Lage ist.
Ein so erfreuliches Jagdgebiet fanden die Katzen, die
nach Pete kamen, nicht vor. Pamela, mit ihrem Bruder
Jerry Petes Nachfolgerin, verlegte den Großteil ihrer
Jagdaktivitäten nach draußen, wenngleich sie in jedem
Frühling auch noch ein, zwei Hausmäuse fand. Eine Reihe
ihrer Feldmäuse überließ sie Jerry, der zwar eifrig, aber
eine Niete war; er gehörte zu den wenigen Katzen unserer
Bekanntschaft, die eine einmal gefangene Maus wieder
entkommen ließen. Er ließ sie mit schöner Regelmäßigkeit
entwischen, da er die Entfernung zwischen Maus und
möglichem Schlupfwinkel schlecht abschätzen konnte –
im Grunde konnte er überhaupt nichts richtig beurteilen.
Den Großteil seiner Zeit verbrachte er vorm Fenster
-91-
sitzend, von wo aus er ärgerlich die Vögel anschnatterte,
die er niemals fing.
Martini, als sie an der Reihe war, traf es noch härter, und
in unserem letzten Jahr im Häuschen auf dem Lande fand
sie keine einzige Hausmaus mehr, so lange und so
geduldig sie auch vor dem Mauseloch des vergangenen
Jahres lauerte. Den Rest des Sommers verbrachte sie auf
den Feldern, doch selbst dort war die Jagd nicht mehr das,
was sie einmal war. In erster Linie war sie zwar
Hauskatze, doch wir nahmen sie mit, damit sie Gin, einer
ihrer Töchter, mit Rat und Tat zur Seite stehen konnte.
Gin, Spätankömmling auf den Mäusefeldern, beschloß,
sich lieber an Kaninchen zu halten. Diese Vorliebe und
vor allem ihr Erfolg erwiesen sich für uns als
einigermaßen beunruhigend, denn Kaninchen schreien,
wenn sie erjagt werden, und sind hinsichtlich Erscheinung
und Betätigung soviel liebenswerter als Mäuse. Aber kein
Gärtner, ob er nun Blumen pflanzt oder Gemüse anbaut,
kann sich übertriebene Sentimentalität in bezug auf
Kaninchen leisten.
Martinis zweite Tochter, Sherry, ist unseres Wissens die
einzige Katze, die, soweit wir beobachten konnten, nichts
tötet, was größer ist als ein Grashüpfer. Sie hat irgendwie
Angst vor Mäusen, so scheint es jedenfalls, und deswegen
blicken die anderen beiden auf sie herab. Sie mögen sie
auf gewissermaßen nachsicht ige Art, sie schlafen bei ihr,
lecken sie und spielen mit ihr die Kontaktspiele – worin
Sherry nun wiederum widersprüchlicherweise höchst
eindrucksvoll ist. Doch es liegt nahe, daß die anderen
beiden nicht viel von ihr als Katze halten. Ihre Mutter
bestimmt nicht, dessen sind wir sicher, denn Martini ist
eine Person mit festen Meinungen und erlebte schon
frühzeitig eine Enttäuschung mit Sherry. Diese
Enttäuschung erfuhr sie, als Sherry noch sehr klein war
-92-
und unter mütterlicher Obhut stand.
Martini gab ihren Jungen Erklärungen, wie alle
Katzenmütter es tun sollten und wie es die meisten,
Gelegenheit vorausgesetzt, auch tun. Martini behandelte
das überaus wichtige Thema Maus. Das hier, ließ sie Gin
wissen und legte ihr eine noch nicht ganz tote Feldmaus
vor die Pfoten, ist eine Maus. Martini stupste die Maus,
schob sie Gin zu. Mäuse sind etwas, womit sich eine
Katze vertraut machen muß und was sie fangen sollte,
sofern vorhanden. Martini schob die Maus näher zu Gin
heran und machte tief in der Kehle ein leises Geräusch.
»Maus«, sagte sie, so deutlich, wie es einer Katze gegeben
ist.
Und Gin sagte, nachdem ihr die Zusammenhänge so
erklärt worden waren: »Oh. Maus!«, wobei sie Freude und
Interesse zeigte. Sie stieß die Maus ein bischen hierhin
und dorthin und schleppte sie dann lange mit sich herum,
und wenn sie danach noch eine Weile dachte, Mäuse
lebten in Martinis Mäulchen und müßten dort gefangen
werden, so wuchs sie doch bald über diese kindliche
Vorstellung hinaus und erkannte, daß jede Katze sich ihre
Mäuse selbst erarbeiten muß. Sie wurde zu einem sehr
guten Mauser, bevor sie sich größerem Wild zuwendete.
Sherry allerdings benahm sich höchst seltsam, als sie
Unterricht bekam. Martini brachte eine Übungsmaus für
Sherry und legte sie ihr vor die Pfoten; Martini erklärte
und erklärte. Doch Sherry griff nicht an. Sherry wich
angsterfüllt zurück und stieß kleine, erschreckte Laute aus;
sie zog die Pfoten ein, um die Maus bloß nicht zu berühren
– es war, als hätte sie sich in ihren Rock gewickelt und
sich auf einen Stuhl gerettet. Sie verkroch sich schließlich
in eine Ecke und sagte: »Nein! Nein!«, bis Martini
schließlich die Maus fortschaffte, wobei sie sich mehrmals
kopfschüttelnd umdrehte. Seitdem hat Sherry nie eine
-93-
Maus gefangen, wenn sie auch hin und wieder
gedankenverloren mit einer Spielt, vorausgesetzt, sie ist
mausetot. Sie jagt Schmetterlinge, aber daß sie mal einen
gefangen hätte, haben wir noch nie erlebt.
Sherry ist eine äußerst anmutige Katze, doch hätte es in
den frühen Tagen der Katze mehr von ihrer Sorte gegeben,
wäre es wohl nie zu einem Zusammenleben von Mensch
und Katze gekommen. In ihrer Eigenschaft als Mauser
sind Katzen unterschiedlich; die Skala reicht von gut über
gleichgültig bis völlig unzulänglich. Manche Katzen
greifen niemals wirklich eine Ratte an. Hier benötigen sie
eine andere Technik. Die Beute ist angsteinflößend und
schwerer zu erwischen; trotz der Unmengen von Ratten
auf der Welt mag manch eine Katze ihr Leben
beschließen, ohne jemals eine zu Gesicht bekommen zu
haben, es sei denn, sie ist eine Scheunenoder Lagerkatze
oder sie sucht sich ihren Unterhalt in den Docks, wo
sowohl die Katzen als auch die Ratten groß und gefährlich
werden. Wenn alle Katzen wie Sherry wären, müßte
bezweifelt werden, daß sie Nagetiere auch nur
verscheuchen könnten, denn kein Nagetier hätte in diesem
Fall Grund zur Angst vor Katzen. Doch Sherry ist nicht
wie die meisten Katzen; manchmal scheint es, daß keine
andere Katze so ist wie sie. (Als blaue Siamkatze sieht sie
nicht einmal aus wie die meisten anderen Katzen.)
Eine Rasse von Sherry-Katzen wäre nicht von Charles
Darwin zur Rettung des englischen Rotklees empfohlen
worden, wäre nicht gepriesen worden als bestes Mittel
gegen die Beulenpest, wäre nicht in Porzellan
nachgebildet worden aufgrund der Theorie, daß selbst eine
Porzellankatze
Ratten
und
Mäuse
von
Seidenraupenpuppen fernhält. Es waren die Petes und
Martinis, die Bosse von der Morton Street, die Katzen, die
in Scheunen hausen, die ihren Stamm dem
-94-
Zusammenleben mit dem Menschen zuführten und ihm
die Billigung von seiten der Wissenschaftler eintrugen.
Darwins klassische Passage über das Gleichgewicht der
Natur und den Bezug der Katze hierzu ist weltweit
bekannt und endlos paraphrasiert worden. Sie handelt, wie
viele sich erinnern werden, von Mäusen und Hummeln,
und lautet wie folgt:
»Nur die Hummeln besuchen den Rotklee, denn die
anderen Immenarten können den Nektar nicht erreichen.
Man hat vermutet, daß auch Schmetterlinge den Klee
befruchten können, aber ich bezweifle, daß dies beim
Rotklee geschehen kann, denn ihr Gewicht ist zu leicht,
um die Seitenblätter des Blütenkelchs niederzudrücken.
Wir können deshalb als wahrscheinlich annehmen, daß,
wenn in England die ganze Gattung der Hummeln selten
würde oder gänzlich verschwände, das gleiche… beim
Rotklee einträte. Die Zahl der Hummeln eines Bezirkes
hängt großenteils von der Zahl der Feldmäuse ab, die ihre
Waben und Nester zerstören. Oberst Newman, der lange
die Gewohnheiten der Hummeln beobachtete, glaubt, daß
›in ganz England mehr als zwei Drittel der Hummelnester
von Mäusen zerstört werden. ‹ Die Anzahl der Mäuse
hängt bekanntlich wieder von der Zahl der Katzen ab. ›In
der Nähe von Dörfern und Landstädtchen‹, sagt Newman,
›fand ich die meisten Hummelnester, was ich den Katzen
zuschreibe, die die Mäuse vernichten.‹ Es ist daher
durchaus glaublich, daß die Anwesenheit zahlreicher
Katzen in irgendeinem Bezirk durch Vermittlung der
Mäuse und dann der Bienen auf die Anzahl gewisser
Pflanzen bestimmend einwirken kann.«
Diese Studie über das Gleichgewicht der Natur wurde
noch um einen Schritt weitergeführt: Die Anzahl der
Katzen in einem Dorf variiert entsprechend der Anzahl der
alten Jungfern, die – nach landläufiger Meinung und bis zu
-95-
einem gewissen Grad auch tatsächlich – die großen
Schützerinnen der Hauskatze sind. Die Menge an rotem
Klee mag sich also letztendlich oder fast letztendlich
umgekehrt proportional zur Anzahl von Männern oder
proportional zu männlicher Widerspenstigkeit verhalten.
Das Gleichgewicht der Natur führt uns so ziemlich überall
hin.
Ein anderer britischer Wissenschaftler, weniger bekannt
– nur ein Oberstleutnant, der als Zivilist in Indien als
Chirurg wirkte -, forschte über Katzen und Ratten und die
Pest und empfahl als Ergebnis folgendes: mehr Katzen.
Diese Empfehlung sprach er zweimal, beim zweiten Mal
ein wenig weinerlich, im British Medical Journal im Jahr
1908 aus, zuerst im Mai, um das Thema dann im Oktober
noch einmal aufzugreifen.
Der Oberstleutnant – sein Name war Buchanan –
erwähnte, daß Ratten, wie auch 1908 schon jedermann
wußte, die Beulenpest ausbrüten und durch ihre Parasiten
auf Menschen übertragen. Er fand Beweise dafür, daß der
Mensch diesen Zusammenhang schon seit Tausenden von
Jahren vage vermutete und zumindest wußte, daß es Zeit
war, aus dem Haus zu flüchten, wenn ein Rattensterben
begann. Er wies darauf hin, daß Katzen den
Mohammedanern und Hindus heilig sind. »Als jetzt«, so
schrieb er, »die Mitglieder der Pestkommission die Ratten
definitiv als Ursache der Pestepidemien erkannt hatten,
wäre zu erwarten gewesen, daß man sich zuallererst nach
einem natürlichen Feind der Ratte
umsah und sich informierte, ob die Menschen bereit
wären, ein solches Tier zu halten. Der erste Satz, den die
meisten von uns in der Schule lernten, lautete: Katzen
töten Ratten.«
Wer jedoch solche Hoffnungen in die Pestkommission
setzte, hatte sich leider, so gab Buchanan traurig zu,
-96-
getäuscht. Die Pestkommission schien nicht zu wissen, da
Katzen Ratten töten, vielleicht, weil ihre Mitglieder andere
Schulen besucht hatten; jedenfalls taten sie nichts, um die
Katzenhaltung zu fördern. Und Katzen mußten gefördert
werden; die meisten hatten nur zwei Würfe pro Jahr, und
diese waren klein und die Sterblichkeitsrate der
Katzenjungen war hoch. Jetzt schon war der Bedarf
erheblich; hätte die Kommission gleich, also im Mai 1908,
angefangen, hätte sie ein gutes Stück Arbeit zu bewältigen
gehabt, denn »es würde beträchtliche Zeit dauern, eine
ausreichende Menge an Katzen zu bekommen«. Doch die
Kommission saß, wie Buchanan es sah, lediglich auf ihren
Theorien und schaffte jedenfalls keine Katzen herbei. Der
gute Arzt, der für seine Überzeugung kämpfte – und für
das Leben vieler Menschen -, schüttelte traurig den Kopf
über den Seiten des British Medical Journal. Er tat jedoch
noch mehr. Er bemühte sich um den Be weis für seine
These.
Er führte eine Katzenzählung durch, dort in den
schäbigen, übervölkerten Dörfern Indiens. Er fand
zahlreiche Dörfer, in denen es eine Katze oder mehr auf
zwei Häuser und keine Pest gab; er fand heraus und
bewies, daß die Pesthäufigkeit mit dem Ansteigen der
Katzenmenge abnahm. Er stellte den Unterschied
zwischen drei Dörfern fest: In Dorf B gab es viele Katzen,
in den Dörfern A und C nur wenige. In Dorf B herrschte
keine Pest, in den Dörfern A und C wütete sie. Er fand ein
Dorf mit vierzig Häusern und sechsunddreißig Katzen – es
war pestfrei; im Dorf Jasapur stieß er auf achtunddreißig
Pestfälle, davon einundzwanzig tödlich, in einundzwanzig
Häusern, und all diese Fälle bis auf einen traten in
katzenlosen Häusern auf. (Der einzige Ausna hmefall war
ein Haus mit einer Katze, die noch zu jung zum
Rattenfangen war.) Er stellte fest, daß die Hindus nicht
-97-
willens waren, Ratten in Fallen zu fangen oder sie zu
vergiften, aber nichts dagegen einzuwenden hatten, daß
Katzen Ratten fingen; die meisten Hindus und
Mohammedaner
zeigten
sich
als
bereitwillige
Katzenhalter. Und als die Pestkommission weiterhin
untätig blieb, ließ Dr. Buchanan Pamphlete zum Lob der
Katze drucken und weitgestreut verteilen.
Das alles führte offenbar zu nichts. Weder die
Pestkommission noch die Inder reagierten. Zwanzig Jahre
später merkte ein katzenbewußter Besucher an, daß »nur
wenige Inder die Katze zu schätzen wissen« und Indien
eines der Gebiete der Welt bleibt, in denen die Pest noch
immer lauert, bereit, jederzeit wieder zuzuschlagen. In der
Schule lernen wir, daß Katzen Ratten töten; dieser
Lehrsatz ist allerdings, wie Dr. Buchanan betrübt
feststellte, offenbar »das letzte, was viele in die Tat
umzusetzen bereit sind«. In Indien wie auch anderswo
versuchen viele, dieses Naturgesetz zu umgehen. Man
bemühte sich, es zu umgehen, schon seit den Tagen der
alten Griechen und Römer, die lange Zeit versuchten,
anstelle von Katzen Marder einzusetzen. Dieser Versuch
fand allerdings statt, bevor die Katze Einzug in Europa
hielt; als die Katze kam, ließen die vernünftigen Griechen
von den Mardern ab.
Natürlich tötet der Marder Ratten und Mäuse, wie eine
ganze Reihe anderer Tiere auch – die Eule, das Wiesel,
das Frettchen, der Mungo und das Stinktier unter anderen.
Ebenso erfolgreich sind Fallen, sofern Ratten und Mäuse
zu bewegen sind hineinzutappen, und den Ratten ist
bekanntlich mit Fallen schwer beizukommen. Ebenso
wirkt Gift, wenn auch die Opfer vielleicht mit höchst
unangenehmem Ergebnis in unzugänglichen Winkeln des
Hauses zu sterben beschließen, oder sie lassen das Gift
unberührt, bis es zu gegebener Zeit von Hunden und
-98-
Kindern gefunden und verzehrt wird. Giftgas ist
wirkungsvoll, aber äußerst gefährlich und nur unter
Bedingungen anzuwenden, wo angemessene Kontrolle
möglich ist, denn ein Gas, das Nagetiere tötet, tötet auch
Menschen. Letzteres wurde leider viel zu häufig unter
Beweis gestellt. Schwarze Schlangen sind gute Mauser,
aber wer hält schon gern schwarze Schlangen als
Haustiere?
Es ist sogar wahrscheinlich, daß andere natürliche
Feinde von Mäusen und Ratten – besonders Eulen, Wie sel
und Stinktiere – weltweit mehr Nager im Jahr töten als
Katzen. »Natürlich trifft das zu«, schreibt Ida M. Meilen,
eine große Fürsprecherin der Katze, »da in den Wäldern
und Feldern, wo diese Vögel und Tiere ihre Beute fangen,
tausendmal mehr Mäuse leben als im Haus oder in der
Scheune, und außerdem sind sie auf Mäuse als Nahrung
angewiesen. “
Das stimmt, zumindest wahrscheinlich – Genaues weiß
natürlich niemand -, und liegt außerdem auf der Hand. Die
Feldmaus auf dem Feld interessiert niemanden sonderlich,
abgesehen von anderen Mäusen, und richtet, solange sie
auf ihrem Feld bleibt, keinen größeren Schaden an. Sie
verfolgt Maulwurfsgänge bis zu den Tulpenzwiebeln und
frißt die Zwiebeln, doch das ist eher lästig als bedrohlich.
Mäuse und Ratten wachsen sich zu der bekannten Plage
aus, sobald sie menschliche Behausungen heimsuchen, mit
anderen Worten, wenn sie das Jagdrevier der Eule
verlassen und das Territorium der Katze betreten. Diese
Nagetiere gehen den Menschen und die Katze unmittelbar
an.
Wie andere Arbeitskräfte auch, werden Katzen als
Mausefallen besonders hoch gehandelt, wenn sie rar sind.
Im Jahr 948 gab es in Wales offenbar nicht genug davon
im freien Handel, so daß König Howell die Preise
-99-
festlegte. Ein neugeborenes Kätzchen, das die Augen noch
geschlossen hatte und dessen Qualität als Mauser nur
vermutet werden konnte, war einen Penny wert. Konnte
bewiesen werden, daß die Katze eine Maus gefangen
hatte, verdoppelte sich der Preis.
Stand eine Katze im Ruf, eine gute Mäusefängerin zu
sein, war sie sozusagen eine zwanzig-Mäuse-pro-TagKatze, kostete sie vier Pence. Als Katzen in England rar
waren, drohte einem Katzenmörder eine angemessene
Strafe. Der Mörder mußte den Katzenbesitzer wie fo lgt
entschädigen: Die Katzenleiche wurde am Schwanz so
aufgehängt, da die Nase den Scheunenboden berührte.
Dann mußte der Mörder Korn über die Katze schütten, so
lange, bis der entstehende Kegel die Schwanzspitze
bedeckte – Korn, das die Katze, wäre sie am Leben
geblieben, vor Ratten und Mäusen geschützt hätte.
Kameradschaft und Mäusefang sind so ziemlich alles,
was der Mensch je von der Katze bekommen hat,
wenngleich das nicht unbedingt heißt, daß man nie etwas
anderes versucht hätte. Die Chinesen zum Beispiel sollen
die Katze an wolkenverhangenen Tagen als Uhr benutzt
haben, indem sie das Herannahen der Dämmerung an der
zunehmenden Verengung der Pupille abschätzten. Das
klingt allerdings reichlich unwahrscheinlich und ziemlich
weit hergeholt. Im sechzehnten Jahrhundert schlug ein
Erfinder vor, Katzen in der chemischen Kriegsführung
einzusetzen. Kleine mit wahren Pestgerüchen geladene
Kanonen sollten an Katzen befestigt werden, die dann in
Richtung Feind liefen. Es ist nicht überliefert, ob derart
ausgerüstete Katzen tatsächlich jemals losgelassen
wurden, nicht zuletzt, weil von jeher schwer
vorauszusagen war, wo eine Katze hinläuft.
Im Mittelalter wurden Katzen ziemlich brutal als
-100-
Musikinstrumente benutzt, wie Champfleury berichtet. Er
schildert eine Prozession aus dem Jahre 1549, in der eine
Art Katzen-Kalliope mitgefuhrt wurde. Eine Reihe von
Katzen steckte in einem Käfig, so daß ihre Schwänze
heraushingen; die Schwänze waren an einer Art Klaviatur
befestigt, und ein dressierter Bär drückte die Tasten, so
daß die Katzen in Baß oder Sopran schrien, während sie
durch die Strafen gefahren wurden. Diese diabolische
Apparatur gab es in verschiedenen Varianten, doch die
Idee setzte sich nicht durch, vielleicht weil die Ohren des
Menschen empfindlicher sind als sein Herz.
Katzen werden schon seit Jahrhunderten verspeist,
manchmal als Katzen, häufiger aber wahrscheinlich als
Kaninchen; ihr Körper, besonders die Leber, wurde zur
Herstellung vieler jener alten Heilmittel benutzt, die uns
so absurd erscheinen, bis wir uns darauf besinnen, daß
wirksame Antibiotika aus Schimmelpilzen hergestellt
werden; von vielen Katzen ließ man das Fett aus; das Fell
wurde im Pelzgeschäft verwendet, aber das Angebot
übertraf stets die Nachfrage – das Fell hält sich nicht
lange, außer am Körper der Katze.
Doch nicht diese kleineren Dienste und Eigenschaften
brachten der Katze den Platz an der Seite des Menschen
ein. Katzen und Menschen leben zusammen, weil die
Hauskatze ein Jäger ist wie ihre Vorväter. Auch das
kleinste Exemplar ist der in Schönheit gekleidete Tod, ein
Wesen, dessen Beruf das Töten ist.
-101-
Siebtes Kapitel
Katzen, Vögel und das Gleichgewicht der Natur
Der Mensch muß der Katze äußerst rätselhaft vorkommen,
denn mehr als die meisten anderen Tiere ist die Katze
rational veranlagt. Katzen tuscheln miteinander über die
Menschen, wobei sie höflichkeitshalber so tun, als würden
sie einander nur die Ohren putzen. Wenn sie Menschen
anstarren, geschieht es immer noch in der Hoffnung, daß
sie durch ausdauernde Beobachtung vielleicht doch noch
das Rätsel der augenscheinlichen Widersprüchlichkeiten
im menschlichen Geist lösen können. Unsere Gin, noch
ziemlich jung und ungewöhnlich bedacht auf die
Herstellung gegenseitigen Verständnisses, stellt uns häufig
gezielte Fragen, die wir, da wir keine Antwort bereit
haben, einfach auf die bevorstehende Mahlzeit beziehen.
Dabei will Gin in Wirklichkeit gern Näheres über unser
Verhältnis zu Vögeln erfahren. Ihr lobt mich, hält sie uns
vor, wenn ich eine Maus fange, und toleriert, daß ich ein
Kaninchen mitbringe. Aber komme ich mit einem Vogel
nach Hause, der doch so viel schwieriger zu fangen ist,
schimpft ihr mit mir. Ihr sagt: »Böse Katze!« und »Laß
ihn los, Gin!« und versucht, mir den Kiefer zu öffnen,
damit der Vogel entwischen kann. Manchmal gelingt es
euch, und das Tier, mit dem ich mir solche Mühe gegeben
habe, fliegt davon.
-102-
Schließlich, fährt Gin – bemüht, sich für das benebelte
menschliche Hirn klar genug auszudrücken – fort, haltet
ihr mich und meinesgleichen doch als Jäger. Mit Ihr, sagte
sie, um ihr Anliegen ganz deutlich zu machen, meine ich
alle Menschen; in bezug auf dieses Thema bin ich nicht
Gin, sondern ein Gattungswesen. (Wir als Individuen, fügt
sie schnurrend, uns um die Beine streichend, hinzu, sind
anders verbunden; ich mag euch sehr, ich folge euch über
große Entfernungen hinweg, um bei euch sein zu können,
und weine bitterlich, wenn ihr einen umzäunten Garten
betretet und mich zurücklaßt. Aber ich rede nicht von uns
als Individuen. Ich rede von Katzen und Menschen.) Wir
von der Gattung Felis domestica sind als Jäger engagiert,
aber ihr schimpft mit mir, wenn ich am meisten Erfolg
habe.
Was ist denn ein Vogel schon anderes als eine Maus mit
Flügeln – und einer Stimme, die an meinen Nerven zerrt?
Während ich Mäuse unvoreingenommen und ohne jede
Wut jage, spüre ich eine besondere Befriedigung, wenn
ich die schrille Stimme eines Vogels zum Schweigen
bringe, ähnlich wie ihr mit Begeisterung Mücken jagt und
tötet. (Deswegen schnattere ich oft, wenn ich einen Vogel
sehe; Vögel machen mich so wütend, wie ein Kaninchen
es niemals zuwege bringen würde.) Was hat es also mit
den Vögeln auf sich, außer daß sie für eine Katze ein
großes Ärgernis darstellen?
Die Antworten sind zu vage, als daß wir sie Gin zumuten
könnten, also geben wir ihr stattdessen ihre Mahlzeit, und
damit gibt sie sich als höchst aktive und daher stets
hungrige Katze zufrieden. Hin und wieder dreht sie sich,
bevor sie zu fressen beginnt, zu uns um und schüttelt
traurig, nachsichtig den Kopf. Wir gehören ihr, und sie
liebt uns. Trotzdem, übermäßig klug sind wir nicht.
Natürlich könnten wir Gin erklären, daß Vögel häufig
-103-
sehr schön sind, daß sie Töne von sich geben, die dem
menschlichen, wenn auch nicht dem Katzenohr
wohlgefällig sind, daß der Mensch im Flug des Vogels
eine Freiheit ahnt, die ihm verwehrt ist, eine Leichtigkeit,
nach der er sich sehnt. Darauf könnte sie entgegnen, daß
auch Schmetterlinge häufig schön sind; sie könnte
hinzufügen, daß viele Vögel Töne ausstoßen, die dem
Menschenohr genauso unangenehm sind wie dem der
Katze, und als Beispiel könnte sie Krähen anführen; sie
könnte andeuten, daß die Freiheit im Bewußtsein, nicht im
Besitz von Flügeln zu suchen ist. Was das Töten von
Vögeln betrifft, könnte sie weiterhin sagen, daß Menschen
mehr Vögel umbringen als Katzen und daß auch andere
Vögel ihresgleichen töten. Seid vernünftig, könnte Gin
verlangen – würde sie nicht gerade philosophierend ihre
Mahlzeit verzehren. Versucht doch um Himmels willen
mal, rational zu denken.
Worauf wir lediglich antworten könnten, daß wir unser
Bestes tun. Wir würden ihr allerdings möglichst nicht
allzuviel über den Vogelkult in seiner extremen
Ausprägung erzählen, weil wir sie nicht endgültig
enttäuschen wollen.
Die Fragen liegen auf der Hand: Wie groß ist tatsächlich
die Dezimierung der Vogel weit durch Katzen? Reduziert
sie den Vogelbestand so weit, daß das Gleichgewicht der
Natur in Gefahr gerät?
Im allgemeinen ist es so, daß die Natur gute Chancen
hat, im Gleichgewicht zu bleiben, solange der Mensch
nicht dazwischenpfuscht.
Die Hauskatze, die tatsächlich im Haus lebt, tötet
zweifellos eine beträchtliche Menge Vögel. Es stimmt
aber auch, daß in Gegenden mit zahlreichen Haus- und
Scheunenkatzen – auf dem Land, in den Vorstädten
heimische Räuber am seltensten sind, wodurch das
-104-
Gleichgewicht der Natur wiederhergestellt ist. Und
außerdem – immer vorausgesetzt, der Mensch läßt seine
Hände, seine Gewehre aus dem Spiel – gibt es genug
Vögel.
Es gibt Unmengen von ihnen; in manchen Gegenden
sind es schon zu viele.
In den Vorstädten und beinahe ländlichen Gegenden
rund um New York zum Beispiel leben in unseren Tagen
bereits mehr Rotkehlchen, als Raum für diese Vogelart
vorhanden ist. Das liegt daran, daß Rotkehlchen, wie auch
der schlichteste Amateurbeobachter weiß, während der
Nistzeit auf der uneingeschränkten Herrschaft über ein
festgelegtes Gebiet bestehen. Sie stecken Reviere ab wie
ein Goldsucher; wenn nötig, kämpfen sie bis zum letzten
Atemzug gegen einen Eindringling. Als leicht in die Irre
zu führende Wesen bekämpfen sie sogar ihr eigenes
Spiegelbild in einer Fensterscheibe oder anderen
spiegelnden Flächen. Vor Jahren haben wir fast einen
ganzen Tag mit dem Versuch zugebracht, ein Rotkehlchen
zu retten, das augenscheinlich wild entschlossen war, sich
an der glänzenden Radkappe eines Buick das offenbar nur
in geringem Maße vorhandene Hirn aus dem zarten
Schädel zu treiben. Verzweifelt flog der Vogel das
Rotkehlchen in der Radkappe immer wieder an, stieß mit
Kopf und Schnabel und den kleinen Krallen zu, bis er
erschöpft zu Boden sank. Dann ruhte er ein wenig, wobei
er böse Blicke in Richtung Radkappe warf. Sobald er sich
einigermaßen erholt hatte, stand er auf und schaute noch
einmal nach. Und wieder fand er das widerrechtlich
eingedrungene Rotkehlchen vor, und wieder flog der
unbezähmbare, wenn auch nahezu hirnlose Vogel Attacke
gegen den Feind. Wir haben ihn verjagt, wir haben
versucht, ihn abzulenken – die Katzen waren in der
Zwischenzeit weggesperrt. Wir haben das Auto in den
-105-
Schatten gefahren. Nichts funktionierte, bis wir schließlich
in den Wagen stiegen und ein, zwei Stunden
spazierenfuhren.
Dadurch konnten wir das Rotkehlchen letzten Endes
doch beschwichtigen. Der Feind war geflohen; es konnte,
wenn auch arg gebeutelt, zu seinem Weibchen
zurückfliegen, das wahrscheinlich annahm, der Gatte hätte
sich auf eine Schlägerei eingelassen. (Am Abend hörten
wir vom Nest her eindrucksvolle Schimpftiraden.) Er hatte
sein Recht verteidigt, in diesem Gebiet zu nisten, das
durch erste Inanspruchnahme und kraft der Gewalt von
Schnabel und Kralle das seine war. Genauso gnadenlos
hätte der Vogel gegen einen echten Eindringling gekämpft
und ihn, sofern es in seiner Macht stand, vertrieben.
Auf diese Weise wird eine große Anzahl von
Rotkehlchen vertrieben und brütet nicht – in Ermangelung
einer Wirkungsstätte, eines Heims. Das gleiche gilt für
zahlreiche andere gewöhnliche Vögel; in der Umgebung
von New York sind inzwischen die Nistkapazitäten für
alle gängigen Vogelarten ausgeschöpft. Es bleibt einfach
kein Platz mehr für weitere Vögel; das Gebiet ist voll
besetzt. Und es steht zu erwarten, daß es ungeachtet von
Katzenfraß und anderer Einbußen, und wenn nicht eine
unvorhergesehene Katastrophe eintritt, voll besetzt bleibt.
Rotkehlchen zum Beispiel haben eine durchschnittliche
Lebenserwartung von drei bis vier Jahren, aber manche
werden doppelt so alt. Sie brüten zweimal im Jahr und
ziehen mit jedem Gelege gewöhnlich vier Junge auf. So
kann
ein
Rotkehlchen-Pärchen
unter
normalen
Bedingungen in seinem Leben zwischen vierundzwanzig
und
zweiunddreißig
Nachkommen
produzieren.
Angesichts der Tatsache, daß die
Populationskapazität der Rotkehlchen ausgeschöpft ist,
-106-
wird klar, daß alle bis auf zwei ihrer Jungen, die als
Nachfolge erforderlich sind, als Beute zur Verfügung
stehen und ohnehin dem Untergang geweiht sind. Die
Natur ist verschwenderisch, wenn es um die Erhaltung
ihres Gleichgewichts geht; sie produziert mehr Vögel, als
sie oder die Welt benötigen. Wenn die Katze diesen
Überschuß in Grenzen hält, wirkt sie ausgleichend und
stört keineswegs das Gleichgewicht der Natur.
Es gab schon immer genug Vögel, die man anschauen
konnte, denen man lauschen konnte und die dem
Menschen all die Dienste erwiesen, die von Vögeln zu
erwarten sind. Klar, sie fressen Insekten, ohne Rücksicht
darauf, ob sie schädlich oder nützlich sind. Daher sind sie
zweifellos nützlich, wenngleich sie das Absuchen des
Bohnenbeets nicht übeflüssig machen und auch fast
ausnahmslos dem Kartoffelkäfer relativ gleichgültig
gegenüberstehen. (Stare mögen ihn angeblich gern, aber
nur wenige Menschen mögen Stare.) Mit Sicherheit
fressen sie nicht halb so viele Insekten, wie es der Mensch
wünschen würde, vielleicht, weil alle Raubtiere offenbar
bestrebt sind, das Gleichgewicht der Natur in ihrem Sinne
zu erhalten – als beständige Nahrungsquelle. Vögel
fressen niemals so viele Insekten, daß sie ernsthaft in die
Insektenpopulation eingreifen könnten. Sie achten darauf,
daß wenigstens die nächste Brut gesichert ist – denn was
sollten die Vögel sonst im folgenden Jahr tun? Schade,
daß Vögel sich auch den To matenschädlingen gegenüber
so verhalten, die ihnen wohl zufällig nicht schmecken; ein
Glück, daß sie im Hinblick auf Regenwürmer ähnlich
veranlagt sind, denn die Ausrottung von Regenwürmern
würde sich für uns alle als Katastrophe erweisen.
Vögel sind dem Menschen nützlich, aber auch schädlich.
Sie fressen manche Insekten, die vielleicht Erbsenranken
vertilgen. Aber sie fressen auch die Erbsen. Samen, aus
-107-
denen der Gärtner Blumen ziehen möchte, sind für die
vielen am Boden fressenden Vögel nichts weiter als
Vogelfutter, und manchmal ist es fraglich, ob man, wenn
man mühevoll ein Blumenbeet herrichtet, das nur leicht
mit Erde bedeckt werden darf, tatsächlich einen Garten
anlegt oder eher den Tisch für die Vogelwelt deckt. Mit
Vögeln verhält es sich nicht anders als mit Katzen: Man
muß sie nehmen, wie sie kommen. Krähen zum Beispiel –
Krähen erscheinen uns von vornherein als schlecht. Mit
ihrem Krächzen verderben sie uns den Morgen, und wenn
die Getreideschößlinge erst ein paar Zentimeter hoch sind,
graben sie sie aus, um an den keimenden Samen zu
gelangen. Kann dies verhindert werden, gelingt es dem
Getreide also trotz der Krähen zu reifen, fangen sie
spätestens an, die Körner aus den Ähren zu picken, sobald
sie reif sind. Über Krähen weiß kein Mensch etwas Gutes
zu berichten.
Trotzdem werden wir wie alle anderen Katzenliebhaber
auf dem Lande weiterhin unsere Katzen ausschimpfen,
wenn sie Vögel fangen, und dem logischen Verstand der
Katze damit die menschliche Inkonsequenz beweisen. Wir
werden auch weiterhin versuchen, Katzen an dieser für sie
völlig natürlichen Beschäftigung zu hindern. Dabei
werden wir uns allerdings keinen allzu großen Hoffnungen
hingeben.
Einige Katzenbesitzer haben ihren Katzen die Jagd auf
Vögel ausgeredet oder glauben es zumindest. Fraglos trifft
es auch zu, daß Katzen und Vögel schon gelernt haben,
miteinander zu leben, zumindest lange genug, um sich
fotografieren zu lassen, und wahrscheinlich zum Preis
großer mentaler Belastungen bis hin zur Neurose.
Junge Kätzchen werden von mehr Menschen gemocht
als ausgewachsene Katzen; der einzige Nachteil an so
einem Kätzchen, sagen sie und meinen es nur halb spaßig,
-108-
ist, daß es sich unvermeidlich zu einer Katze auswachsen
wird. Das ist natürlich nicht ganz richtig: Ein Kätzchen
kann sehr leicht daran gehindert werden, zur Katze
heranzuwachsen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann
das Kätzchen rasch und so barmherzig wie möglich töten,
wenn es etwa sechs Wochen alt ist, oder man kann das
Kätzchen, will man es nicht auf so ehrliche Weise
loswerden, aussetzen und sich selbst überlassen, was
gewöhnlich denselben Effekt hat, aber dem Menschen das
reine Gewissen beläßt.
Ob in der Stadt oder auf dem Land, man gerät schnell in
eine Situation, in der diese Entscheidung unabdingbar
wird. Auf dem Land gibt es im Frühling viele
junge Katzen; in der Stadt sind junge Katzen oft gern
bereit, Menschen nach Hause zu folgen. Ein weiches Herz
verführt so ziemlich jeden, sich mit einem Kätzchen
einzulassen. Da das Verantwortungsbewußtsein im
Menschen selbst in seiner Bezie hung zum Mitmenschen
oft nur latent vorhanden ist, ist dies nicht weiter
verwunderlich. Doch den betroffenen Katzen macht es das
Leben schwer.
Eine Familie, vielleicht mit ein, zwei Kindern, zieht den
Sommer über aufs Land. Ein Kätzchen, alleingelassen,
stellt fest, daß das Haus bewohnt ist, und schaut herein.
Oder die Kinder betteln um eine Katze, und fast jeder
Bauernhof hat Kätzchen übrig. Auf dem Land bereiten
Katzen keine Schwierigkeiten; wenn sie nach draußen
wollen, melden sie sich, und sie fressen fast alles. Sie
lassen sich von den Kindern zausen, gewöhnlich viel zu
grob, sind unendlich verspielt und liebenswert, jagen nach
Schatten auf dem Rasen und sind hinreißend in ihrem
Eifer, wenn sie nach baumelnden Fäden springen. Im Juni,
Juli und August wird sich wahrscheinlich auf beiden
Seiten die große Liebe einstellen.
-109-
Doch dann kommt das Ferienende, der Tag des Auszugs,
der Tag des eiligen Packens, des Bedauerns, der Gedanken
an Schule und an die Enge der Mietwohnung. Schon jetzt
ist die Katze im Weg; jetzt ist es nicht mehr lustig, wenn
sie in die Schachtel springt und mit Bändern oder
Schnüren spielt. Jetzt ist die Katze lästig. Und wenn sie
jetzt schon lästig ist, wie soll es dann erst in der engen
Stadtwohnung werden, wo zum Kratzen nur Möbel zur
Verfügung stehen, wo eine Toilette eingerichtet werden
muß? Überhaupt ist sie längst nicht mehr das niedliche
Kätzchen wie zu Anfang; inzwischen ist sie schon mehr
als eine halbe richtige Katze. Vielleicht hat sie sogar schon
angefangen, unmißverständlich klarzustellen, was für eine
Art von Katze sie ist.
Die Kinder mögen die kleine Katze freilich noch immer.
Doch die Schule wird sie ablenken, sie werden neue
Interessen finden. Und wer weiß? – Vielleicht gibt es im
nächsten Sommer wieder eine Katze. Mittlerweile jedoch
ist diese Katze da, und diese Katze, die eigentlich kein
Kätzchen mehr ist, ist zum Problem geworden. Sie ist ein
Problem, das sich, wenn sich keine andere Lösung findet,
mit ein paar Schlaftabletten leicht lösen ließe, aber das ist
grausam, oder? Wenn uns noch Zeit bliebe, könnten wir
versuchen, ihr ein neues Heim zu besorgen, aber jetzt ist
urplötzlich der Sommer vorüber, auf dem Land ist alles
tot. Dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Viel einfacher ist es,
die Katze zurückzulassen. Katzen haben neun Leben, wie
jeder weiß. Sie können für sich selbst sorgen. Außerdem
liegt einer Katze ja gar nicht viel am Menschen; ein neues
Heim findet sie allemal; der Katze ist es gleich, bei wem
sie zu Hause ist.
Jenseits der Straße zu unserem Häuschen bei Brewster
befand sich eine große Feriensiedlung, deren Bewohner
wohl niemals den Herbst auf dem Lande er lebten – die
-110-
sanften Töne im Oktober, die schneidenden grauen Tage
im frühen November. Am Abend des ersten Montags im
September reisten sie ab nach Hause und ließen ihre
Katzen zurück. (Ihre Hunde nahmen sie mit, obwohl sie in
einer Mietwohnung bedeutend problematischer sind.) An
den heilen, sonnigen Tagen bis in den späten September
erlebten wir, daß diese Katzen, für die lange Zeit gut
gesorgt worden war, ihr Vertrauen in den Menschen noch
bewahrten. Ein schöner junger Kater kam einmal über den
Rasen zu einem von uns, weinte ein bischen, war ein
bischen verwundert und mehr als ein bischen hungrig,
hatte jedoch noch Vertrauen und trug den Schwanz steil
aufgeric htet.
Wir konnten nichts tun, da wir mit Katzen eingedeckt
waren. Wir durften nicht einmal zu freundlich sein, denn
die eigenen Katzen sind eifersüchtige Wesen; wir konnten
ihn nicht füttern, weil er dann geglaubt hätte, ein neues
Heim gefunden zu haben, und nicht weiter gesucht hätte –
nicht mehr gesucht hätte, solange die Tage noch warm und
die Nächte nicht zu kalt waren und eine Katze noch eine
Chance hatte. Wir hätten natürlich auch ehrlich sein
können. In den letzten paar Jahren hatten wir immer von
unserem Tierarzt verschriebene Schlaftabletten vorrätig.
Doch letztendlich waren wir genauso feige wie die
anderen; die Tabletten haben wir nie benutzt. Eine Katze
hat immer gewisse Chancen, und Töten belastet das
Gewissen. Was mag aus diesem schönen, jungen Kater
geworden sein? fragen wir uns oft. Vielleicht hat er ein
gutes Zuhause gefunden.
Ja, natürlich, vielleicht. Es ist tröstlich, die Dinge von
der Sonnenseite her zu betrachten. Vielleicht fängt er just
in diesem Augenblick Mäuse für irgendwelche Leute.
Höchstwahrscheinlich aber ist er langsam gestorben, als
der Winter kam und Nahrung immer schwerer zu finden
-111-
war, als die Nächte grausam kalt wurden und die Tage
nicht viel besser waren. Vermutlich ist er in dem
unzulänglichen Unterschlupf, den er fand (er war ja keine
erfahrene Katze; er hatte gelernt, daß Katzen in warmen
Häusern leben und sich das Futter in Schüsselchen
vorsetzen lassen), eines Nachts erfroren. Vielleicht hat er
es aber auch geschafft, denn er war ja ein kräftiges Tier,
selbst einen Winter im Staat New York zu überleben.
Vielleicht ist er jetzt eine wildernde Katze, die angstvoll
vor Menschen davonläuft und sie verbittert ansieht, wenn
er in die Enge getrieben wird. Dann ist er jetzt dünn und
zäh, und seine einstmals spitzen Ohren sind abgerundet,
weil die Ohren zuerst erfrieren. Er tötet alles, was ihm vor
die Nase kommt, und er jagt bei Nacht. Er »wildert«, er
frißt »geschützte“ Vögel, wenn er sie erwischt. Die
Menschen, die ihn diesem Schicksal ausgeliefert haben,
werden nach wie vor sagen, daß Kätzchen entzückend
sind, aber leider zu Katzen werden; sie werden sagen,
Katzen seien grau sam und stellen eine große Bedrohung
für die Vogelwelt dar.
Die unerwünschte Katze ist freilich nicht ein für
ländliche Gebiete typisches Problem. Kein Mensch weiß,
wie viele heimatlose Katzen in einer Großstadt wie New
York umherstreunen. Sie ernähren sich aus Mülltonnen,
jagen in widerlichen Ecken nach Ratten und Mäusen,
werden räudig und kriegen Flöhe. Sie heulen auf Zäunen,
zusammen mit Hauskatzen, die nachts freigelassen
werden. Die vorherrschende Meinung ist, daß sie am
besten tot wären, da sie ein so elendes Leben führen, und
daß es menschlich wäre, sie zu töten. Vermutlich ist das
richtig, wenngleich die Katzen selbst anderer Meinung
sind. Sie sind sehr schwer zu fangen.
-112-
Achtes Kapitel
Katzen – die besseren Menschen?
Wenn wir Gin sagen, sie sei »böse«, weil sie Vögel fängt,
weist einiges darauf hin, daß sie weiß, was wir meinen.
Vielleicht legt sie ein wenig die Ohren an; sie schaut uns
mit etwas wie Zweifel in ihren blauen Schlitzaugen an. Sie
geht nicht fort, denn sie weiß, daß von uns keine
körperliche Züchtigung zu befürchten ist, doch kommt sie
auch nicht näher, schmiegt sich nicht schnurrend an, wie
es der Fall wäre, wenn wir sagen würden: »Brave Ginny.
Gute Ginny«. Man könnte vermuten, daß das Wort »böse«
eine besondere Bedeutung für sie hat, vielleicht sogar
mehr oder weniger dieselbe Bedeutung wie für uns.
Manche Leute stellen noch weit unwahrscheinlichere
Vermutungen über Katzen an.
Wenn wir uns nicht nur einbilden, daß Gin sich
tatsächlich anders verhält, sobald sie das Wort »böse«
hört, dann reagiert sie wahrscheinlich mehr auf den
Tonfall als auf das Wort selbst. Katzen und Hunde
reagieren auf das Timbre der menschlichen Stimme;
würden wir Gin in zärtlichem Tonfall eine »böse Katze«
nennen, käme sie zweifellos mit leisen Äußerungen des
Behagens zu uns, um sich den Kopf streicheln zu lassen.
Es ist keinesfalls so, daß Gin jedes unserer Worte versteht
oder auch nur diesen Anschein erweckt. Selbst für Martini
-113-
sind zahlreiche menschliche Worte unverständlich, und
dabei ist sie womöglich ein Genie, ganz gewiß aber
anderen Katzen geistig haushoch überlegen.
Verstünden Gin oder Martini tatsächlich das Wort
»böse«, alle seine Nuancen oder sein Gegenteil, begriffe
doch keine von beiden den Sinn, der schließlich Menschen
und nicht Katzen betrifft und von Menschen von
kindlicher Naivität, von einer Naivität, die jede Katze
verblüffen müßte, auf Katzen angewendet wird. Beinahe
keine einzige Katze ist naiv. Hätten wir nicht durch
jahrelange
Erfahrung
gelernt,
uns
vor
Verallgemeinerungen zu hüten, würden wir schlicht sagen,
eine Katze könne nie naiv sein. Das allerdings würde
nichts anderes bedeuten, als daß wir nie einer Katze
begegnet wären, deren Verhalten uns an einen naiven
Menschen erinnerte. Es ist durchaus möglich, daß Katzen
sich nicht wie menschliche Wesen verhalten; möglich ist
sogar, daß sie nicht einmal den Wunsch verspüren, obwohl
die Menschen gewöhnlich versuchen, sie dazu zu
zwingen, und sie fast immer wie etwas merkwürdige und
insgesamt leicht zurückgebliebene Männer und Frauen
einschätzen.
Diese Neigung, die Katze zu anthropomorphisieren, ihr
also menschliche Eigenschaften zuzuschreiben und
deshalb zu erwarten, daß sie ihren Möglichkeiten
entsprechend menschliche Verhaltensweisen imitiert, setzt
schon sehr frühzeitig im menschlichen Bewußtsein ein
und dauert an. So denken Kinder über Katzen, und so
dachte, wie wir in Kürze sehen werden, der selige Dr.
Edward Lee Thorndike über Katzen, wenngleich er sonst
in keiner Weise erkennbar kindisch war. Diese Einstellung
ist äußerst bequem für den Menschen, und daher macht er
sie sich nahezu zwangsläufig zu eigen. Wahrscheinlich ist
sie tatsächlich unumgänglich; wahrscheinlich kann das
-114-
menschliche Bewußtsein der Objektivität keinen anderen
Tribut zollen als die Erkenntnis, daß sie unerreichbar ist.
Selbst dieser Tribut wird in den seltensten Fällen geleistet.
Zum Beispiel liegt nahe, daß Dr. Thorndike nicht nur
wissenschaftliche Objektivität suchte, als er die Intelligenz
von Katzen testete, sondern glaubte, sie bereits gefunden
zu haben, obwohl kaum etwas weiter von der Wahrheit
entfernt sein könnte. In seiner Untersuchung des
Katzenbewußtseins verhielt sich dieser großartige
Psychologe im Grunde kaum anders als 2835 Kinder, die
fast fünfzig Jahre zuvor von Stanley G. Hall und C.E.
Browne über ihre Schmusetiere befragt wurden. Die
Kinder sahen ihre Katzen als kleine Menschlein mit
Fellchen und vier Beinen an, und im Kern machte es Dr.
Thorndike auch nicht viel anders. Die meisten der von
Hall und Browne befragten Kinder äußerten sich
allerdings gar nicht über Katzen, da 71,6 Prozent von
ihnen Hunde bevorzugten. Ob sich diese Vorliebe auch in
den späteren Jahre des Menschen fortsetzt, ist nicht sicher;
in beträchtlichem Maße wird es wohl so sein, wenngleich
viele Menschen mit zunehmender Reife, wenn sie nicht
mehr so angewiesen sind auf das Gefühl der
Überlegenheit, das die Zuwendung eines Hundes ihnen
gibt, Katzen kennen- und bewundern lernen. Aber ganz
gleich, welchen Alters, zumindest in den USA sind mehr
Menschen auf Hunde als auf Katzen fixiert, und diese
Vorliebe äußert sich in einem gewissen Gruppenzwang.
Das trifft in erster Linie auf männliche Wesen zu. Es ist
»männlich«, als kleiner Junge einen Hund zu besitzen, und
außerdem bringt es eine Menge Spaß, und Hunde sind in
ihrer Beziehung zu kleinen Jungen belastbarer als die
meisten Katzen. Von den 804 von Dr. Hall und seinem
Mitarbeiter befragten kleinen Katzenfreunden waren 582
Mädchen und nur 222 Buben.
-115-
Diese 804 Befragten mochten Katzen aufgrund ihrer
Verspieltheit, waren begeistert von ihrer Anmut und
Ausdauer. (Die meisten Kinder bezogen sich vermutlich
auf Kätzchen oder junge Katzen, und diese sind fast
ständig in Bewegung, bis sie plötzlich ohne jede
Vorwarnung fest einschlafen.) Die Bewegungen der Katze
sind von unendlicher Vielfalt; keine bewegt sich genau
wie eine andere, und nur wenige Katzen wiederholen ihre,
eigenen Bewegungen, nicht einmal bei im Grunde
genommen identischen Abläufen. (Sherry zum Beispiel
hat beim Spielen eine ganz eigene Art, sich im Sprung zu
drehen, in die Luft zu gehen, um den Angriff eines
Papierschnitzels abzuwehren, und sich dabei wie ein
Akrobat um die rechte Schulter zu drehen, wobei sie doch
wieder mit allen Vieren, mit gekrümmtem Rücken und
dem Spielzeug zugewandt auf dem Boden landet. Diese
Bewegungen haben wir bei keiner anderen Katze gesehen,
obwohl viele Katzen gern das gleiche Spielchen treiben.
Und dabei führt Sherry diesen Sprung selten, vielleicht
sogar nie, mit den gleichen Bewegungsabläufen aus. Ihr
Sprung hat nichts Mechanisches wie zum Beispiel die
Vorhand eines guten Tennisspielers.)
Die Kinder, die Katzen dieser Gewohnheiten und
Fähigkeiten wegen mochten, betrachteten die Tiere fast
ausnahmslos als ihresgleichen, eben auch als Kinder,
schrieben ihnen die gleichen Motive zu und verlangten
von ihnen die Einhaltung moralischer Grundsätze, die sie
selbst gelernt hatten. Sie fütterten sie mit allem, was
Kinder mögen oder essen müssen. Die meisten Kinder
waren überzeugt, daß ihre Katze mit ihnen rede, wenn sie
schnurre oder Augen, Kopf und Schwanz auf bestimmte
Weise bewege, und »verstanden«, was sie ihnen zu sagen
hatte. Die Katze sagte »Ich liebe dich«, »ich möchte
Milch«, »öffne mir bitte die Tür«, »sei nicht böse auf
-116-
mich«, »tut mir leid, ich will's nie wieder tun«. Die Katze
sagte auch: »Ich möchte was zu fressen« und wurde
daraufhin mit irgendeiner Leckerei belohnt.
Die Katzen bekamen Eis zu fressen, was die meisten
gern mögen, sie bekamen auch Erdnüsse, Süßigkeiten und
Vanillepudding, lauter Dinge, die Kinder gewöhnlich
lieber mögen als Katzen. In Haushalten, in denen die
Eßgewohnheiten des Kindes streng reglementiert wurden,
bekamen die Katzen auch Milch und Sahne, Eier,
Getreideprodukte und Fleisch. Ein paar Katzen, so wußten
die Kinder zu berichten, fragen Ratten und Mäuse und
Fische, doch das kindliche Bewußtsein beharrte auf der
Vorstellung, daß die Katzen im Grunde Erdnüsse und
Süßigkeiten viel lieber mochten, denn welches Kind gibt
diesen Dingen nicht den Vorzug?
»Das Verhältnis des Kindes zur Katze ist weitgehend
anthropomorph«,
schrieb
Dr.
Hall
in
seiner
Schlußfolgerung, 1905 im Pedagogical Seminary
veröffentlicht. »Es schreibt der Katze die gleichen
Gedanken und Gefühle zu, die es selbst erlebt, und
offenbart in seiner Behandlung des Tieres unbewußt seine
eigenen Vorstellungen von Gut und Böse, sein Ausloten
von Zuneigung, seine Vorlieben und Abneigungen. In
diesem Zusammenhang besteht eines der interessantesten
Ergebnisse in der Tendenz des Kindes, das Ausloten von
Gut und Böse konform mit dem Willen des Tierbesitzers
auszurichten…
Kinder unterliegen der alten Vorstellung von Tieren als
moralischen Wesen mit voller Verantwortung für die
moralische oder unmoralische Qualität ihres Tuns. Nur in
wenigen Fällen wurden die natürlichen Instinkte der Katze
in Betracht gezogen. Während Ratten- und Mäusefangen
oft als Tugend angesehen wird, ist das Fangen eines
Vogels böse. Möglicherweise ist diese moralische
-117-
Objektivität Ausdruck der Erziehung, der das Kind
unterworfen ist, denn bedauerlicherweise finden sich allzu
häufig Kinder, die ein Mißgeschick mit ihrer Kleidung
oder ihrem Besitz auf eine Ebene mit einer
Moralverletzung stellen, weil sie für beides die gleiche
Strafe zu erwarten haben.«
Dr. Hall kam aufgrund der ihm vorliegenden
Erhebungen außerdem zu dem Schluß, daß Kinder aus
ihren Katzen ein Gefühl der Autorität bezogen,
weitgehend auf der Basis ihrer überlegenen Größe und
Kraft. Weiterhin kam der Forscher zu der Überzeugung,
daß
Haustierhaltung
Kindern
hilft,
Verantwortungsbewußtsein und Menschlichkeit Tieren
gegenüber zu entwickeln.
Vom kindlichen zum erwachsenen Bewußtsein ist es nur
ein kleiner Schritt. Mit dem Erwachsenwerden erkennt der
Mensch vielleicht, daß Katzen lieber Hack als Erdnüsse
mögen, womöglich aber nicht, daß Katzen (ebenso wenig
wie anderen Tieren) nicht die Moralbegriffe des Menschen
zueigen sind, daß es naiv, wenn nicht unverschämt wäre,
Begriffe wie »gut« und »böse« auf sie anzuwenden. Man
verlangt und besteht auf der Konformität mit dem Willen
des Besitzers in bezug auf objektive Moral, was bei einer
Katze wohl kaum zu erreichen ist. Sie kann nicht als »gut«
bezeichnet werden, sofern wir nicht bereit sind, unsere
Moralvorstellungen zu vergessen.
Solange der Mensch nicht willens ist, die Anwendung
seiner eigenen Standards auf Katzen aufzugeben, bestehen
nur geringe Chancen zur Herstellung gegenseitigen
Verständnisses. Es ist unsinnig zu erwarten, daß eine
Katze sich wie ein Mensch verhält, und in vielerlei
Hinsicht ist es nur gut, daß das so ist. Es wäre zum
Beispiel sinnlos zu erwarten, daß die Katze menschlich
-118-
wird und von Praktiken abläßt, die der Mensch, eine
Autorität auf diesem Gebiet, als grausam bezeichnet.
Es war grausam und zugleich menschlich, wie sich die
Folterknechte der Inquisition angeblich – zweifellos ist es
Verleumdung, oder nicht? – gegenüber den Gefangenen,
die sie quälten, verhalten haben sollen. Ihren
unglücklichen Opfern, lange Zeit in der Dunkelheit mit
dem Wissen eingesperrt, daß sie anläßlich der
Urteilsverkündung noch einmal das Licht sehen könnten,
wurden hin und wieder kurze Hoffnungsschimmer
gewährt.
Es war bestimmt ein sehr lustiges, sehr menschliches
und überaus grausames Katz- und-Maus-Spiel.
Es ist freilich recht ähnlich dem Spielchen, das die Katze
mit der Maus treibt, wenn auch ausgeklügelter in den
zugefügten Qualen, denn der Mensch ist in seinem
Sadismus einfallsreicher als die Katze. Der einzige
Unterschied besteht darin, daß der Mensch es besser weiß,
die Katze aber nicht, daß der Mensch durch solche Taten
seine eigene Menschlichkeit kränkt und verhöhnt. Damit
stellt der Mensch sich nicht auf eine Stufe mit der Katze,
sondern auf eine ungleich niedrigere, denn grausam ist die
Katze nur nach den Standards des Menschen, nicht nach
ihren eigene n. Es gibt keine menschlichen Katzen; keine
Katze, die sagen würde, daß gewisse Dinge einer Katze
nicht würdig sind. Keine Katze hat je eine Vorstellung von
»Grausamkeit« entwickelt, und deshalb kann im Grunde
keine Katze grausam sein. Wenn Menschen tun, was
Katzen tun, sind sie grausam. Das geschieht häufig; man
muß gar nicht auf die Inquisition zurückgreifen, um
Beweise dafür zu finden. »Selbst Fabrikbesitzer, die
Kinder arbeiten lassen, und Theaterkritiker haben
behauptet, Katzen seien grausam«, bemerkt Carl van
Vechten in seinem berühmten Buch über Katzen.
-119-
Viele haben diese Behauptung aufgestellt. Wenn sie die
Katze »hinterhältig« und »verschlagen« nennen,
vermenschlichen sie sie und sentimentalisieren sie
zugleich. Beides geht Hand in Hand; es sind parallel
laufende
Manifestationen
der
althergebrachten
Schwierigkeit des Menschen, die Katze als Katze zu
betrachten und sie Katze sein zu lassen. Möglicherweise
hat sich der Mensch vom Hund irreführen lassen, da es
bedeutend einfacher ist, die Standards, an die sich der
Mensch hält, auf Hunde anzuwenden, und dabei die
Mitwirkung des Hundes zu erreichen.
Es fällt wahrhaftig nicht schwer zu glauben, daß der
Hund gern ein Mensch sein würde. Der Ehrgeiz eines
wohlerzogenen, also »guten“
Hundes besteht darin, mehr seinem Herrn als sich selbst
zu gefallen, und die Mittel, die er dafür einsetzt, sind
gewöhnlich eher menschlicher als subtiler Natur. In seinen
Liebesbezeigungen ist er überschwenglich wie viele
Menschen und wie es sich fast alle wünschen; der Hund
läßt ihn nicht im Zweifel über seinen Stellenwert, und
wenn er seine Unterwürfigkeit demonstriert, wozu er gern
bereit ist, dann tut er es aus vollem Herzen, so daß selbst
der unbedeutendste Mensch sich für eine kleine Weile in
den leuchtenden Augen des Hundes als gottähnlich
spiegeln kann. Der Hund ist unkritisch. Will der Mensch
spazieren gehen, gibt es nichts, was sein guter Hund lieber
täte; will der Mensch beim Feuer sitzen, hat sein Hund
denselben Wunsch und hebt im Schlaf hin und wieder
zärtlich den Blick, um sicherzugehen, daß sein Herr ihn
nicht verlassen hat. Steht dem Menschen der Sinn nach
Spielen, wird der Hund eifrig die Regeln pauken und
unermüdlich mitspielen. Ein Hund kann lernen, auf den
Hinterpfoten zu laufen, wodurch er sich lächerlich macht,
er kann lernen, um seine Mahlzeit zu »betteln«. Hätte er
-120-
Worte, würde er sicherlich auch liebend gern vor
Publikum rezitieren.
Dieses Bestreben des Hundes, allen Wünschen des
Menschen nachzukommen, sein ganzes Leben nach
Menschen- statt nach Hundeart auszur ichten, ist dem
Menschen freilich sehr angenehm. Es stützt ihn in seiner
Überzeugung, daß er in jeder Hinsicht der Überlegene ist,
stärkt seinen Glauben, daß alle Tiere am liebsten
menschenähnlich wären, wenn sie könnten. Und es macht
den Hund liebenswert für Personen, die fähig sind,
Zuneigung zu empfinden. Es ist schwer zu begreifen, wie
jemand einem Hund widerstehen kann, dessen ganzes
Wesen darauf ausgerichtet ist, seine Liebenswürdigkeit
unter Beweis zu stellen. Der Hund ist ein sonniges Tier;
wäre er jemals ein Gott gewesen, dann ein Gott des Lichts.
Und wenn er uns manchmal, wie Nelson Antrim Crawford
so unfreundlich bemerkt, an einen Versicherungsvertreter
erinnert – Versicherungsvertreter sind harmlos und zudem
meisten ausgesprochen herzliche Geschöpfe.
Außerdem ist ein Hund, zumindest oberflächlich
betrachtet, einfach zu verstehen. Es ist mit einiger
Sicherheit anzunehmen, daß er, wenn er der Situation
entsprechende menschliche Verhaltensweisen zeigt, den
menschlichen Gefühlen unter diesen Bedingungen so nahe
kommt, wie es ihm möglich ist. Wenn ein Hund lächelt,
dann lächelt er wie ein Mensch. Wenn er seinen Herrn mit
Freudensprüngen begrüßt, dann empfindet er eindeutig
Freude; er ist wie ein Mensch, der einen heimgekehrten
geliebten Freund in die Arme schließt. Wenn uns ein Hund
leckt, handelt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um
einen Kuß. (Leckt uns die Katze, will sie vielleicht nur
wissen, wie wir schmecken.) Ein Hund, der Schimpfe
bekommt, versinkt in Scham und Erniedrigung, und zwar
sichtbar; ein geschlagener Hund duckt sich wie ein
-121-
geschlagener Mensch. Auf ein freundliches Wort nach
einer Bestrafung blüht der Hund wieder auf. Die Autorität,
die man über ihn ausüben kann, bietet eine Befriedigung,
die ihresgleichen sucht, seit die Sklaverei in einigen Teilen
der Welt abgeschafft ist.
Und dank seiner Überzeugung, daß der Mensch am
besten wissen muß, daß der Mensch der beste ist,
akzeptiert der Hund – oder gibt sich zumindest den
Anschein – den menschlichen Verhaltenskodex. Oft sogar
akzeptiert er ihn umfassender als der Mensch selbst. Ein
Hund läßt sich überzeugen, daß es »nicht recht« ist,
Canapes vom Kaffeetisch zu fressen, und Hundebesitzer
wußten uns zu berichten, daß viele Hunde auch dann keine
Canapes naschen, wenn kein Mensch anwesend ist. Wir
kannten lange einen Foxterrier, der gelernt hatte, daß es
»nicht recht« war, das Obergeschoß des Hauses, in dem er
lebte, zu betreten, und der es konsequent niemals
aufsuchte, selbst wenn die Familie abwesend war. (Das
glaubte man zumindest, und da er unablässig Haare auf
den Möbeln hinterließ, war es auch einigermaßen leicht zu
überprüfen.) Eben dieser Hund, in unseren Augen nicht
unbedingt ein Ausbund an Intelligenz, wußte, daß es
»nicht recht« war, auf den Möbeln im Erdgeschoß zu
schlafen, doch diese Verlockung war zu groß, um ihr
widerstehen zu können. Er sprang jedoch jedesmal, wenn
er die Familie kommen hörte, zu Boden, und zwar mit
einem verräterischen dumpfen Aufprall. Für ein paar
Minuten nach dieser Regelverletzung ließ er, wie man so
schön sagt, die Ohren hängen.
Keine Katze, die wir je gekannt haben, wäre aus Respekt
vor menschlichen Wünschen vom Sessel gesprungen, und
die Katze verfügt gar nicht über die Fähigkeit, die Ohren
hängen zu lassen, um ihre Reue zum Ausdruck zu bringen.
Wir haben auch keine einzige Katze kennengelernt, die es
-122-
als »nicht recht« empfunden hätte, alle nur erreichbaren
Canapes aufzufressen, wenn sie ihr denn schmeckten,
wenngleich wir einer oder zwei von ihnen beibringen
konnten, daß es sich als unklug erweisen würde. Die
Interessen einer Katze bleiben die einer Katze, nicht die
des Menschen, und genauso verhält es sich mit ihren
Gewohnheiten. Wenn sie jemanden mag – Katzen
verlieben sich häufig -, dann, weil sie diese Person als
Individuum schätzt; sie macht Zugeständnisse an sein
Menschsein, beneidet ihn jedoch nicht darum. Ihr
Verhalten ist in jeder Situation Katzenverhalten, niemals
menschlich. Ganz eindeutig hätte sie nie den Wunsch, ein
Mensch zu sein, selbst wenn sie könnte.
Diese Weigerung, sich in ein anthropomorphes Muster
pressen zu lassen, ärgert viele Menschen, besonders
solche, die das Leben gern einfach und auf leicht
verständlicher Ebene halten wollen. Eine Katze zu
verstehen, ist schwierig; daß sie darauf besteht, »anders«
zu sein, ist ein Fehler, den viele Menschen nicht tolerieren
können, nicht einmal bei ihresgleichen.
Nun gibt es aber offensichtlich keinen Grund, warum ein
Mensch sich die Mühe machen sollte, eine Katze zu
verstehen. Katzen zu kennen ist nicht nötig; begegnet man
einer, was in einer dicht von Katzen besiedelten Welt sehr
wahrscheinlich ist, kann man sie einfach ignorieren. Jeder
Mensch kann ohne Katze leben, wahrscheinlich selbst ein
Katzenfanatiker, wenn er es versuchen würde, und sogar
ohne allzu drastische Mangelerscheinungen. Es ist
überflüssig, sich eine Meinung über Katzen zu bilden, und
eine falsche Meinung über Katzen gefährdet weder den
gesellschaftlichen Status noch die unsterbliche Seele.
Freilich ist es ein bischen dumm, eine erkennbar falsche
Meinung über irgendwas zu haben, und sei es über
Katzen.
Es
ist
idiotisch,
allumfassende
-123-
Verallgemeinerungen über eine Gruppe aufzustellen, bloß
weil man deren Mitglieder sogar als Individuen schwer
verständlich findet. Doch ob es nun idiotisch ist oder
nicht, Menschen stellen über Katzen fast genauso viele
lächerliche Verallgemeinerungen auf wie zum Beispiel
über Frauen.
Die Katze paßt nicht wie der Hund sauber ins
menschliche Muster, das einzige Muster, das der Mensch
überhaupt begreift. Der menschliche Verstand ist oft
hilflos, wenn er kein Muster findet. Besser als diese Leere
ist allemal ein erfundenes Muster. Schon seit Generationen
erfinden die Menschen derartige Muster für Katzen sie
erzählen einander, daß »alle Katzen« dies oder jenes tun,
so oder so empfinden. Katzenliebhaber ze igen dieses
Verhalten genauso häufig wie Katzenhasser; eine sehr
bekannte Katzenfreundin schrieb einmal, daß es keine
schlechten Katzen gebe, wobei sie »schlecht« nicht im
moralischen, sondern im behavioristischen Sinn
verstanden wissen wollte. Sie hätte einmal den Boß von
Morton Street kennenlernen sollen, der in Sünde
schwelgte. Von Katzenliebhabern stammt die Weisheit,
Katzen in ihrer zierlichen Anmut seien so sicher auf ihren
Füßen, daß sie niemals etwas umwerfen. Unsere
derzeitigen Katzen, sämtlich gesund und lebhaft, zwei von
ihnen auch anmutig, werfen unablässig Gegenstände um
und fallen sogar selbst manchmal irgendwo runter.
Außerdem sind sie, wenn sie einander auf dem
Teppichboden jagen, in etwa so leise wie Pferde, die unter
einer Brücke hindurch traben – für Martini und Gin und
Sherry wie für jede beliebige Katze, die es sehr eilig hat,
gilt der Spruch von geräuschloser Bewegung auf
Sammetpfötchen leider nicht. Und nicht alle Katzen sind
schön, wenn auch die meisten auf ihre Art als schön zu
bezeichnen sind; sie sind nicht einmal alle geschmeidig.
-124-
Sherry hat einen wackligen Gang; wir haben manchmal
den Verdacht, daß sie das leidige Problem, vier Beine zu
haben, bis heute nicht gelöst hat.
Katzenfanatiker sentimentalisieren ihre kleinen Freunde;
genauso verfahren mit umgekehrten Vorzeichen auch die
Katzengegner. Alan Devoe informierte vor einigen Jahren
die Leser des American Mercury in einem Artikel mit dem
Titel Our Enemy, the Cat, daß alle Katzen völlig wilde
Tiere seien, daß sie sich stets verstecken, wenn sie Junge
haben, daß sie sich vorzugsweise im tiefen Walde paaren
und daß sie sterben wie sie leben. Eines Tages, so meint
er, sei die Katze oft ohne Vorwarnung plötzlich aus dem
Haus verschwunden, um nie zurückzukehren. Sie habe den
Schatten des Todes geahnt und wolle ihm auf die
unveränderte alte Art der Wildnis entgegentreten: allein.
Das ist ein malerisches Katzenbild; es macht sie fremd
und faszinierend. Und es enthält, wie jede
Verallgemeinerung, kaum ein Körnchen Wahrheit. Viele
Katzen weigern sich, ihre Jungen zur Welt zu bringen,
solange ihre Menschen sich nicht um sie versammeln und
Beifall spenden; Martini gebar ihr letztes Junges nach
einer entsetzlichen Geburtserfahrung auf einem Sofa in
einem hellerleuchteten Zimmer, obwohl sie fast schon zu
schwach war, um hinaufzuklettern. Wahrscheinlich roch
es nach einem Menschen, den sie mochte. Katzen paaren
sich, wo immer sie sich begegnen, wie jeder
Stadtbewohner weiß, und dabei verfahren sie keineswegs
diskret, und züchtig noch viel weniger. Zugegeben, einige
suchen dunkle Winkel zum Sterben auf; unsere Pammy
aber, die plötzlich krank wurde und innerhalb von ein,
zwei Stunden starb, rief einen von uns in ihrer Not,
schnurrte leise, als sie hochgenommen wurde, und
versuchte, unmittelbar bevor sie zusammenbrach, auf
Beinen, die sie nicht mehr tragen wollten, dem Menschen
-125-
näherzukommen, den sie liebte, wenn denn je eine Katze
einen Menschen geliebt hat.
Doch die Katze liebt den Menschen nicht, wie wir von
einer großen Anzahl von Autoren erfahren können. In
ihrem Katzenherzen, so behauptet Mr. Devoe im Brustton
der Überzeugung eines Menschen, der mit eigenen Augen
hineingesehen hat, wohnt weder Liebe noch Dankbarkeit.
Und ebenfalls mit der Überzeugung eines Menschen, der
jahrelang gesucht hat, schreibt Dr. N.S. Shaler, es wäre
ihm nicht gelungen, beweiskräftige Hinweise auf das
Vorhandensein von wahrer Liebe für ihren Herrn in der
Katze zu finden.
Tatsächlich ist keine Katze bekannt, die die menschliche
Sprache erlernt hätte. Also hat keine Katze jemals gesagt:
»Ich liebe dich«. Dr. Shaler hätte wahrscheinlich einzig
und allein eine derartige direkte Äußerung als
»beweiskräftigen Hinweis« gelten lassen. Und in
gewissem Sinne hat er freilich sogar recht: Solange Katzen
nicht mit Menschen sprechen oder über sie schreiben, wird
kein Mensch je erfahren, was eine Katze empfindet, und
selbst dann könnte es noch sein, daß alle Katzen, die das
Sprechen lernen, Lügner sind.
Andererseits ist Dr. Shaler aber überzeugt davon, daß
Hunde Menschen lieben, obwohl Hunde, ähnlich wie
Katzen, selten menschliche Sprachen beherrschen. Seine
Überzeugung rührt daher, daß Hunde sich verhalten, als
würden sie Menschen lieben. Auf der Grundlage dieser
Beweisführung stimmen wir mit ihm überein. Wir sind
auch der festen Annahme, daß die meisten Hunde ihr Herz
an Menschen ihrer Wahl hängen, da es keine andere
vernünftige Erklärung für ihr oft so überschwenglich
liebevolles
Verhalten
gibt.
Aufgrund
ähnlicher
Beobachtungen glauben wir, daß unsere Katzen, jede auf
ihre Art und in verschiedenen Abstufungen, uns mögen
-126-
oder gemocht haben.
Die Liebesbeweise unserer Katzen ähneln in mancher
Hinsicht denen von Hunden – schließlich haben Katzen als
auch Hunde Pfoten und zwar jeweils vier davon; beide
haben Schnauzen, die sie öffnen können, und Zungen zum
Lecken. Beide können Laute von sich geben, die
anscheinend einer Sprache nahekommen. Doch da die
meisten Katzen nicht übertrieben extrovertiert sind, da
keine Katze sonderlich bestrebt ist, dem Menschen zu
gefallen, indem sie sich verhält wie ein Mensch, zeigen
Katzen ihre Zuneigung zumeist nicht allzu offen. Es
bestehen jedoch andere Ebenen der Hingabe als die in
Schlagern so ansprechend zum Ausdruck gebrachten; es
gibt andere Wege, Herzlichkeit zu zeigen, als durch den
herzhaften Schlag auf den Rücken. Eine Katze kann dem
Menschen vieles sagen, wenn der Mensch nur lernt
zuzuhören.
Später
wollen
wir
einige
ihrer
Ausdrucksmöglichkeiten noch zur Sprache bringen.
Doch Katzen sprechen nicht wie Menschen und
verhalten sich nicht wie Menschen. Wer sich ihnen nähert
wie die Hall-Browne-Kinder, wird nicht viel über Katzen
erfahren – abgesehen davon, daß sie nett zu betrachten
sind, sich weich anfühlen und tief in ihrem Inneren ein
leises Geräusch machen, da wir, ohne es beweisen zu
können, als freundlich identifizieren. Wer Katzen
sentimentalisiert, wer die Einhaltung des menschlichen
Moralkodex von ihnen erwartet, wer unkritische
Ergebenheit oder das Eingeständnis ihrer Unterlegenheit
von ihnen verlangt, was für die Menschenaffen jüngsten
Modells so befriedigend ist, wer von seinem Haustier
erwartet, da es um seine Abendmahlzeit winselt, wird
nicht viel über Katzen erfahren. Dafür sind Katzen zu
wenig menschenähnlich.
Unter allen Geschöpfen Gottes gibt es nur eines, das sich
-127-
nicht zum Sklaven der Peitsche machen lät, sagt Mark
Twain sinngemäß, und das ist die Katze. Und auf seine
reichlich mißmutige Art und Weise fährt er fort: Ließe der
Mensch sich mit der Katze kreuzen, entstünde ein besserer
Mensch, doch die Katze hätte das Nachsehen.,.
Diese Mischung is t trotz größter Bemühungen der
Anthropomorphisierer wohl kaum zu erreichen. Menschen
und Katzen sind beide zu alt, um sich noch zu verändern,
sind im Verlauf der Jahrhunderte starrköpfig geworden.
Wenn wir die Katze überhaupt haben wollen, müssen wir
sie nehmen, wie sie ist, und nicht verlangen, daß sie ist,
wie wir sind. Sie wird uns entgegenkommen, wenn auch
vielleicht nicht auf halbem Weg.
-128-
Neuntes Kapitel
Vom Leben in zwei Weiten
Mag sein, daß die Katze gefühlsmäßig in zwei Welten
lebt, in der menschlichen und in ihrer eigenen, und dies
mag stärker auf sie zutreffen als auf andere Tiere, die in
der Gesellschaft des Menschen leben. Selbst Hühner,
Geschöpfe von außergewöhnlicher Dummheit und
geringer emotionaler Wärme, passen sich anscheinend
vage den Gewohnheiten des Menschen an. Hunde haben,
obwohl sie immer wieder hoffnungsvoll an die Tür zur
Menschenwelt klopfen, auch ihre eigene Welt, und es ist
vorstellbar, daß Kühe, wenn sie sich zur Abendstunde am
Weidenzaun versammeln, in Erwartung ihres Bauern
verschwommene Rindergedanken hegen. Es mag aber
auch sein, daß kein anderes Tier die Trennlinie zwischen
beiden Welten so scharf zieht wie die Katze mit ihrem
logischen Verstand.
Als Wanderer zwischen zwei Welten spricht die Katze
Sprachen, die dem Verständnis der anderen Bewohner
angemessen sind. Sie spricht in einer bestimmten Weise
mit Männern und Frauen und in anderer Weise mit ihren
Mitkatzen
und
Mäusen
und
Vögeln
und
bedauerlicherweise mit Hunden, die ihre Katzenwelt teilen
-129-
oder in sie eindringen. Als Liebesbeweis für eine andere
Katze leckt sie diese; die größte Zuneigung kommt durch
Lecken des Gesichts zum Ausdruck. Will eine Katze sich
einer anderen anschließen, vielleicht an einem bereits
besetzten Ort – in einem Karton, auf einer warmen
Fensterbank, auf einem Polster -, so muß der
Neuankömmling zunächst die Katze, die vor ihr dort war,
lecken, zumindest symbolisch. Dies zu versäumen, gilt als
schlechter Stil und kann zur Vertreibung durch den
Inhaber des Plätzchens führen. Hin und wieder mag die
befragte Katze sich hörbar äußern, Erlaubnis oder
Mißbilligung zum Ausdruck bringen, doch dies ist selbst
unter relativ gesprächigen Katzen ungewöhnlich. Außer
im Zorn oder in anderer Leidenschaft und in der
Unterhaltung von Mutter und Jungem ist hörbare
Konversation zwischen Katzen die Ausnahme. Abgesehen
vom Fauchen, das durch seitliches Aufrollen der Zunge zu
einer Art Rinne bewerkstelligt wird, haben Katzen Hunden
kaum etwas zu sagen, und ein kleines Knurren reicht für
Ratten und Mäuse.
Doch mit Menschen, die sich, wie die Katze festgestellt
hat, mit Hilfe von Lauten verständigen, reden fast alle
Katzen hörbar, und manche sogar ziemlich viel.
(Traditionell und unserer Erfahrung nach auch tatsächlich
sind Siamkatzen die gesprächigsten.) Sie reden spontan,
wenn sie nach draußen oder ihre Abendmahlzeit wollen;
einige reden ununterbrochen, während ihre Mahlzeit be
reitet wird; sie schnurren, wenn sie gestreichelt werden,
viele antworten, gewöhnlich mit ein oder zwei Silben, auf
eine Begrüßung. Martini behält sich einen ganz eigenen,
kurz ausgestochenen Ton dafür vor, um auszudrücken, daß
sie einem ihrer Menschen auf die Schulter springen will –
das ist zugleich Forderung und Warnung, aber wohl eher
letzteres. Wenn ein Mensch sie beleidigt, wird eine Katze
-130-
kurz und mahnend knurren – ebenso verfährt sie mit einer
anderen Katze, die ihr zu nahe tritt. Wird sie von einem
Menschen, einem Hund oder einer anderen Katze
ordentlich erschreckt, dann faucht sie.
Allerdings hat die Katze erkannt, daß die Menschen
schwer von Begriff sind, und deshalb beschränkt sie sich
nicht auf Worte, sondern greift auch auf Pantomime
zurück, wie Menschen, wenn sie anderen, die sie nicht
recht verstehen, zum Beispiel Ausländern, etwas erklären
wollen. Eine Katze, die ihre Mahlzeit verlangt, mag also
ihrer Verlautbarung noch die pantomimische Erklärung
hinzufügen, indem sie den Ort aufsucht, an dem ihr
Fressen bereitet wird. Wenn das Aufwärmen des Futters
für Gin unerträglich lange dauert, wenn ihre lautesten
Aufforderungen zur Eile – siehst du nicht, daß ich
verhungere? – nichts fruchten, dann geht sie zu dem Stapel
Pappteller und tupft mit der Pfote auf den obersten, auf
dem, wie sie weiß, ihr Fressen irgendwann aber wann,
zum Kuckuck? – serviert wird.
Alle Katzen gehen zur Tür und geben dort Laut, wenn
sie nach draußen wollen, viele recken sich sogar nach der
Klinke oder dem Knauf, nicht wenige lernen, die Tür zu
öffnen und sich selbst rauszulassen, sofern die Tür sich
nach außen öffnet. Gin hatte sich angewöhnt, auf einen
Sessel neben einer nach draußen führenden Tür zu
springen und von dort aus Laut zu geben, denn dort war
sie außerhalb der Reichweite der Tür und konnte, wenn
sich diese Tür nach innen öffnete, schneller hinaus. Alle
Katzen wissen, daß Menschen die Katzensprache äußerst
notdürftig beherrschen und daß die einfachsten Dinge wie
in einer Scharade vorgeführt werden müssen. Viele dieser
Vorstellungen werden mit der Zeit so vertraut, daß die
Katzen sie womöglich gar nicht mehr als solche realisieren
und die Mensche n sie als alltäglich hinnehmen. So
-131-
erkannte zweifellos sogar Dr. Shaler, daß eine Katze,
wenn sie sagte, sie habe Hunger, und sich dann verhielt,
als hätte sie Hunger, wirklich Hunger hatte. Nahezu ohne
zu wissen, was er tat, nahm er die Katze beim Wort – beim
Wort und beim Verhalten.
Doch häufig ergeben sich im Leben einer Katze in der
Menschenwelt Situationen, die auf beiden Seiten mehr
Überlegung erfordern, wenn Kommunikation zustande
kommen soll. Falls das, was zum Ausdruck gebracht
werden soll, kein abstraktes Thema ist, muß ein
intelligenter oder auch nur halbwegs aufmerksamer
Mensch nicht unnötig lange verblüfft sein. So teilte
Martini uns einmal einen Notfall in bezug auf ihr
Katzenklo mit, und zwar so eindringlich, daß ein
Mißverständnis völlig ausgeschlossen war.
Während unserer Zeit in der Stadt war Martini an in
Fetzen gerissenes Zeitungspapier in ihrer Toilette
gewöhnt. Wir stellten ihr eine Kiste und Papierfetzen zur
Verfügung, und das war besser als alles andere, was sich
anbot, obwohl es in keiner Weise der Vorstellung einer
Katze von einer angemessenen Toilette genügte. Als
vernünftiges Wesen, das nicht auf ohnehin unerreichbarer
Perfektion besteht, benutzte Martini prompt Kiste und
Papier und zeigte beides, sobald es notwendig wurde, auch
ihren Jungen. Daraufhin benutzten alle drei dieselbe
Toilette.
Der Nachteil dieser Regelung bestand darin, daß wir
immer darauf achten mußten, daß die Kiste sauber und
trocken war, und daß wir diese für die Katzen so überaus
wichtige Angelegenheit allzuoft vergaßen. An dem Tag,
an dem Martini uns ihre Sorge erklärte, hatten wir uns
anscheinend stundenlang mit weniger wichtigen Dingen
beschäftigt. Wahrscheinlich hatte Martini uns schon
mehrere Male angesprochen, ohne eine Antwort zu
-132-
erhalten, was bei ihr zu einer Geringschätzung unserer
Intelligenz und zu erheblicher Verärgerung führte, denn
sie ist ungewöhnlich pingelig und besteht auf einem
trockenen Katzenklo.
Also kam sie in das Zimmer, in dem einer von uns
arbeitete, und gab diesem eine letzte Chance. Sie sprang
aufs Sofa und meldete sich so laut und so beharrlich zu
Wort, daß Konzentration nicht mehr möglich war. Der
Mensch drehte sich um und fragte: »Was gibt's, Teeny?«
Martini
ergriff
erneut
das
Wort,
diesmal
kürzerangebunden. Dann nahm sie eine charakteristische
und unmißverständliche Stellung auf dem Sofa ein.
»Teeny!« sagte der Mensch vor Verwunderung und
Schreck sehr laut. »Teeny!“
Und der Mensch stand auf. »Du böse…« begann der
Mensch.
Doch da sprang Teeny vom Sofa. Sie eilte davon und
gab dabei verbale Instruktionen. Sie schlug den Weg zur
Küche ein, wo ihre Katzentoilette stand. Sie hatte es eilig.
Der von ihr zur Hilfe geholte Mensch folgte ihr und fand
sie vor der Toilette stehend, sie betrachtend, die Oberlippe
leicht zurückgezogen, wie es Katzen zu tun pflegen, wenn
ihnen etwas Unangenehmes widerfährt. Dann blickte sie
auf. Sie sagte: »Bah!«
Der Mensch säuberte das Katzenklo. Martini benutzte es.
Wenngleich dieser Akt einigen Einfallsreichtum von
Seiten Martinis erforderte, war er doch für eine kluge
Katze nicht zu schwierig und ließ auch nicht mehr als eine
Erklärung zu. Martini wollte etwas und sorgte dafür, daß
es erledigt wurde. Vermutlich würde ein Mensch, der nicht
viel von Katzen versteht, behaupten, sie hätte wirklich
aufs Sofa machen wollen und ihre Handlungen wären
nicht Pantomime, sondern echt gewesen. Einiges spricht
-133-
dagegen. Gesunde Katzen, abgesehen von rolligen
Weibchen, brechen fast nie mit ihren Gewohnheiten.
Wenn Martini in unserem Häuschen in Brewster
stundenlang eingesperrt ist – auf dem Lande weigern sich
die Katzen aus verständlichen Gründen, das Katzenklo zu
benutzen, und Martini lehnte aus allein ihr bekannten
Motiven für eine Weile den Kamin ab -, wartet sie, bis sie
rausgelassen wird, ganz gleich, wie lange sie warten muß.
(In dieser Hinsicht haben sich Katzen unmenschlich unter
Kontrolle.) Und hätte sie mit einer Gewohnheit brechen
und aufs Sofa machen wollen, hätte sie es ganz gewiß
nicht einem von uns angekündigt und sich schon gar nicht
für ein Polstermöbel in einem besetzten Raum
entschieden.
Oft genug aber müssen Katzen mit Menschen über
bedeutend abstraktere Themen reden – müssen Gefühle
wie Eifersucht, Kränkung und am häufigsten Zuneigung
zum Ausdruck bringen. Manche Katzen empfinden solche
Gefühle stärker als andere, manche sind einfach besser
befähigt, sie mitzuteilen. Doch keiner von uns kannte je
eine Katze, die sich nicht auf irgendeine Weise
verständlich machen konnte und es nicht tat, wenn die Not
es verlangte. Wir haben, wie die meisten Menschen, die
einige Zeit mit Katzen verbrachten, den Eindruck, daß die
Katze zum Beispiel ihre Liebe zu einem Menschen
genauso deutlich vermitteln kann wie den Wunsch, nach
draußen gelassen zu werden.
Da gab es beispielsweise die Katze namens Pammy, die,
wie später auch Martini, eine ganz besondere Katze war –
eine Katze, über die man gern ein Buch schreiben würde.
Pammy, wie bereits erwähnt inzwischen verstorben, war
eine langgestreckte graue Katze mit weißem Lätzchen.
Ihre Mutter war Siamesin, ihr Vater irgendwer, und sie
kam mit ihrem Bruder Jerry vor Jahren zu uns. Von diesen
-134-
beiden wie auch von unseren anderen Katzen werden wir
später noch berichten. Im Augenblick geht es nur um die
Tatsache, daß Pammy schon von kleinauf eine besondere
Bindung zu einem von uns aufbaute – zufällig zu
demjenigen, den der aggressivere Jerry nicht bevorzugte.
Jerry schlug nach Pammy, wenn er sich Frances näherte.
Die geballte Zuneigung einer sehr sanften Katze richtete
sich somit auf einen einzigen Menschen und äußerte sich
in leisen Tönen, im Schnurren, in ihrem Verlangen,
diesem Menschen nahe zu sein – eben in all den kleinen
Nettigkeiten, die weniger feindselig gesinnte Menschen
als Dr. Shaler überzeugen müssen.
Doch dann kam der Krieg, und der Mensch, dem Pammy
ihr Herz geschenkt hatte, mußte notgedrungen für ein paar
Monate fort. Das Arbeitszimmer dieses Menschen, in dem
Pammy mit weichen Pfoten und Liebenswürdigkeiten
versuchte, ihn von der Arbeit abzuhalten, wurde zeitweise
anderweitig genutzt. Und Pammy brach es das Herz –
solch extreme Phrasen verwendet man nicht gern, doch
jede andere wäre unzulänglich. Pammy verlor den Boden
unter den Pfoten.
Sie kam zur Tür des Zimmerchens, in dem der Mann
sich hätte aufhalten müssen, in dem er sonst immer
anzutreffen gewesen war. Sie brauchte nicht einzutreten,
um zu wissen, daß er nicht da war; dort herrschte ein
anderer Geruch, auch wenn niemand sich darin aufhielt.
Sie blickte ins Zimmer, hob den Kopf und stieß einen
kleinen, hoffnungslosen Schrei aus. Dann drehte sie sich
um und wanderte rastlos durch die Wohnung, nur um dann
zu besagtem Zimmer zurückzukehren und es wieder leer
vorzufinden – oder noch schlimmer als leer, wenn jemand
anderer sich dort niedergelassen hatte. Sie wandte sich um
und hörte dann vielleicht, wie sich ein Stockwerk tiefer die
Haustür öffnete. Im selben Augenblick war sie ganz Ohr,
-135-
aber eben nur für einen Augenblick. Das Geräusch der
Schritte war genauso falsch wie der Geruch, und wieder
weinte Pammy und nahm ihre rastlose Wanderung erneut
auf.
In der ersten Woche wollte sie mit dem
zurückgebliebenen Menschen nichts zu tun haben. Sie
zeigte nicht mehr als die gewohnte distanzierte
Höflichkeit; eine unhöfliche Katze war sie nie. Doch die
freizügig gewährte Zuneigung eines ebenso, auf
menschliche Weise, Einsamen wurde nur geistesabwesend
hingenommen, rührte nicht ans Herz der Katze. Pammy
fraß zwar weiterhin, das veränderte sich nicht, nur daß sie
offenbar ohne großes Vergnügen ihre Mahlzeiten zu sich
nahm. (Der Mensch, der gegangen war, hatte sie fast nie
gefüttert.) Doch sie spielte nicht mit ihrem Bruder; sie
schlich nur durch die Wohnung, suchte, horchte auf das
Schlagen der Tür, hoffte.
Schließlich schien sie mehr und mehr aufzugeben, doch
da waren schon Wochen vergangen. Sie fing an, dem
zurückgebliebenen Menschen ins Gesicht zu schauen, und
obwohl sie immer noch mit kleinen Schreien ihrer
Einsamkeit Ausdruck gab, war doch auch klar, daß sie
Freundschaft und das Gefühl der Sicherheit suchte. Nach
etwa sechs Wochen hatte sie sich anscheinend endlich mit
dem Verlust abgefunden und schien bereit zu sein, sich
neu zu orientieren. Als der Fortgegangene heimkehrte,
freute sie sich ganz eindeutig und saß so oft wie möglich
auf seinem Schoß. Doch seither war sie nie wieder eine
auf einen einzigen Menschen fixierte Katze; sie hatte
gelernt, wie Menschen es auch oft lernen müssen, daß es
gefährlich ist, seine Liebe zu ausschließlich zu
verschenken. Sie hatte ihr Gefühlsleben erweitert.
Doch wenn sie während jener Wochen nicht tief
innerlich den Verlust von jemanden, den sie liebte,
-136-
schmerzlich gespürt haben sollte, dann ergeben die
Verhaltensweisen
von
Katzen
und
Menschen
gleichermaßen keinen Sinn mehr, dann haben die Worte,
derer wir uns bedienen, keine Bedeutung. Wir können
vermuten, daß unausgeformte Gefühle sie beherrschten,
daß sie keine Vorstellung von ihrem Verlust geformt hatte,
wir können uns aber auch in all diesen Vermutungen
täuschen. Dennoch tat sie, was in ihrer Macht als
fühlendes Wesen stand, um ihrer latenten Enttäuschung,
ihrem Gefühl der Betrübtheit Ausdruck zu geben, was eine
Zeitlang nach einem gefühlsmäßigen Trauma auch dem
menschlichen Bewußtsein eigen ist, auch dann, wenn es
sich oberflächlich gesehen mit anderen Dingen
beschäftigt.
Martini, die in jeder Hinsicht heftiger ist und kaum
etwas gelassen hinnehmen kann, zeigte ähnliche
Reaktionen, als wir beide sie zu einem kritischen
Zeitpunkt in ihrem Leben allein lassen mußten. Als ihre
Jungen noch sehr klein waren und Martini ihre einzige
Nahrungsquelle war, mußten wir für zehn Tage oder so
verreisen. Martini hörte einfach auf zu fressen Und nahm
erschreckend ab, zumal sie ihre Jungen weiterhin säugte.
Die Person, die sich großzügigerweise als Katzensitter zur
Verfügung gestellt hatte, bekam es mit der Angst zu tun
und rief den Tierarzt. Martini zog sich in einen
prophylaktisch vorbereiteten unzugänglichen Winkel
zurück und knurrte und fauchte. Sie ließ sich nicht
anfassen; jedes Locken beantwortete sie mit wütender
Warnung. Und da sie nie eine Katze war, die sich hätte
beeinflussen lassen, ließ man ihr ihren Willen, und sie
verweigerte weiterhin die Nahrung. Als wir zurückkamen,
fluchte sie uns ein paar Tage lang an und gestattete uns
nicht, ihre Jungen zu berühren, aber sie fraß wieder.
Nichts dergleichen wäre wahrscheinlich geschehen,
-137-
wenn auch nur ein bischen von dem, was so viele
Menschen über Katzen »wissen«, der Wahrheit
entspräche. Sie befand sich auf vertrautem Boden, und
viele Menschen behaupten schließlich, Katzen hingen
einzig und allein an Orten. Sie war nicht einmal mit
fremden Personen zusammen; ihre Hüterin kannte sie
schon lange und hatte sie schon als kleines Kätzchen
gemocht. Aber sie war von den Menschen, die sie liebte,
verlassen worden, und das machte sie, wie es nun mal ihre
Art war, wütend. Martini hat nämlich ein Temperament,
das sie befähigt zu töten, was sie liebt. Sie ist sehr stolz,
und wer sie ablehnt, begibt sich in Gefahr. Ihre Liebe ist
gewalttätig.
Ihre Liebe ist, selbst wenn nichts Besonderes vorgefallen
ist, um sie zu verärgern, selbst in ihrem alltäglichsten
Ausdruck gewalttätiger als die der meisten uns bekannten
Katzen. Wenn sie beschließt, Zuneigung zu zeigen
zumeist gegenüber Frances, die ihr gehört -, dann tut sie es
mit Leib und Seele. Es reicht nicht, auf dem Schoß zu
sitzen und zu schnurren. Sie schmiegt sich an die Brust,
kitzelt mit ihren Schnurrbarthaaren die Wange, sie legt das
Pfötchen ans Gesicht, sie legt die Vorderbeine um den
Hals. In dieser Haltung möchte sie angesprochen, sanft
berührt werden, möchte ihren Namen möglichst oft sehr
leise ausgesprochen hören. Die ganze Zeit über muß die
erwählte Person still sitzen, darf nicht lesen und auch nicht
versuchen, zum Telefon zu gehen, falls es klingelt. Nur
eine Bewegung, nur ein kleines Abweichen der
Konzentration, und Martini springt mit einer
Verwünschung zu Boden, kehrt dem Kränker den Rücken
zu und antwortet nicht, wenn sie angesprochen wird. Sie
ist nicht einfach zu umwerben, unsere Oberkatze; sie gibt
sich nicht mit oberflächlichen Liebesbezeigungen ab.
Sie und ihre Töchter begrüßen uns stets, wenn wir nach
-138-
einer Zeit der Abwesenheit zurückkehren; immer sitzen
sie schon an der Tür, bevor wir dort angekommen sind.
Gewöhnlich rückt Martini ein wenig von den
anderen ab und legt sich auf den Rücken. Sie erwartet,
als erste begrüßt zu werden; es empfiehlt sich, die anderen
nicht zu beachten, bis ihre Bedürfnisse befriedigt sind.
Erst dann können wir mit Gin und Sherry sprechen, die
um unsere Beine streichen und aufgeregt schnurren.
(Martini schnurrt sehr leise, oft sogar kaum hörbar. Sie ist
vielmehr ganz vibrierende Katze.)
Wenn wir stundenlang fort gewesen sind, laufen die
Katzen nach der Begrüßung gewöhnlich aufgeregt durchs
Haus, ringen miteinander, springen auf Möbelstücke und
wieder herunter und stoßen scharfe Begeisterungsschreie
aus. Zu solchen Gelegenheiten, oft auch zu anderen,
vergibt Martini ihre Würde als Matrone und tobt wild
umher, springt mit buschigem Schwanz quer durchs halbe
Zimmer, um fast auf einer der anderen Katzen zu landen,
diese zu umklammern und sich mit ihr auf dem Boden zu
wälzen, wobei sie so tut, als würde sie die andere mit
Zähnen und Krallen zerreißen. Die beiden anderen Katzen
sind größer und stärker als Martini, doch von Geburt an
waren sie unter ihrer Fuchtel.
Nicht alle Katzen zeigten sich in der mit Menschen
geteilten Welt so überschwenglich. Pammy auf ihre Weise
schon. Auch sie begrüßte uns an der Tür. Jerry tat es
manchmal, wenn es ihm gerade in den Sinn kam,
vielleicht aber auch nur, weil Pammy es tat und er sich in
seiner etwas verschwommenen Art fragte, was sie wohl
vorhaben mochte. Jerry genoß Aufmerksamkeiten, schien
jedoch keine sonderlich liebevolle Katze zu sein.
Pete pflegte lediglich den Blick zu heben, wenn wir ins
Haus traten, milde zu lächeln und dann wieder
einzuschlafen. Manchmal, keineswegs immer, drehte er
-139-
sich auf den Rücken, um sich kraulen zu lassen. Aber er
folgte uns mit Vorliebe auf Schritt und Tritt, wie es auch
Martini liebt. Pete behielt uns im Auge und ließ nicht zu,
daß wir uns zu weit entfernten. Eines Abends, als wir zu
lange bei Freunden in einem benachbarten Häuschen
blieben, kam Pete uns quer übers Feld nach, schaute
durchs Fenster, öffnete die Fliegentür und trat ein, um uns
an den Kleidern zu zupfen und zu erklären, daß es höchste
Zeit wäre, mit ihm nach Hause zu kommen.
Pete führte länger als die anderen eine Art PendlerDasein zwischen Stadt und Land, da wir in den ersten der
etwa zehn Jahre seines Lebens mit uns den Großteil
unserer Zeit in New York verbrachten und nur am
Wochenende und im Urlaub aufs Land zogen. Pete
verbrachte die Auto- oder Bahnfahrt stets in einem
Reisekäfig, den er gründlich verabscheute. Doch er zeigte
nicht die Spur einer Fixierung auf einen Ort; befand er
sich in der Wohnung, war es ihm recht, lebte er auf dem
Lande, hatte er keine Einwände dagegen. Nach seinem
ersten Besuch auf dem Lande schien ihn die veränderte
Umgebung nicht mehr zu überraschen, wenngleich für
eine Weile noch ihre Erforschung notwendig war. Uns
oder ihm ist es nie in den Sinn gekommen, daß er nach
New York zurückwandern könnte. Sein Zuhause war dort,
wo wir uns aufhielten; er hätte sich auch mit dem
Reisekäfig abgefunden, wenn einer von uns ihm darin
hätte Gesellschaft leisten können.
Unsere Katzen aus jüngerer Zeit hatten sämtlich diese
Gleichgültigkeit Orten und die Anhänglichkeit Menschen
gegenüber. Im Grunde haben wir nicht eine Katze
kennengelernt oder aus erster Hand von einer gehört, die
anders empfand. (Wenn Katzengeschichten einen
Wahrheitsgehalt haben sollen – was viele abstreiten -,
dann nur solche aus erster Hand. Was jemand über
-140-
jemandes Katze gehört hat, ist selten aufschlußreich und
nie ein Beweis.) Aber die Katzen unserer Bekanntschaft,
die, von denen wir am meisten wußten, wurden in ihrem
Zuhause auch wie Personen, nicht wie Möbelstücke
behandelt. Vermutlich fängt eine Katze, die wie ein
Möbelstück behandelt wird, an irgendeinem Punkt
schließlich an, sich wie eines zu verhalten, zumindest in
den Augen der Menschen. Sie würde sich nicht als Möbel
fühlen, wohl aber vielleicht als Teil des Hauses.
Katzen erkennen ihre Menschen anscheinend eher am
Anblick und an den Geräuschen als am Geruch, wenn sie
auch gern und ausgiebig an ihren Freunden und noch
lieber – manchmal so sehr, daß es peinlich wird – an
Fremden schnuppern. Offenbar entnehmen sie dem
Geruch der Finger eine ganze Menge über den
Betreffenden, und der Geruch seiner Schuhe gibt
Aufschluß darüber, wo er sich aufgehalten hat. Ihr
Geruchssinn ist anscheinend eher ausgeprägt selektiv statt
scharf, aber trotzdem in jeder Hinsicht unendlich
empfindlicher als der des Menschen. Wir haben eine
Katze erlebt, die während ihrer Abwesenheit Besuch von
einem Hund erhalten hatte und noch eine halbe Stunde,
nachdem der Hund wieder fort war, jede seiner
Bewegungen im Zimmer nachvollziehen konnte. Die
Katze hatte während der ganzen Zeit die Lippe gekräuselt,
wohl aus Verachtung für ein derartig stinkiges Tier.
Gewöhnlich erkennt eine Katze einen Freund, sobald er
in ihr Sichtfeld rückt, also auf beträchtliche Entfernung.
Hin und wieder fühlt sie sich aus welchen Gründen auch
immer etwas unsicher, bis sie schließlich angesprochen
wird. Dann ist sie gewöhnlich äußerst bekümmert – ein
anthropomorphes Wort; Anthropoiden können es einfach
nicht umgehen – darüber, daß sie ertappt wurde.
Bekümmert sind Katzen auch, wenn sie, was manchmal
-141-
vorkommt, sich behutsam an einen bekannten Gegenstand
an einem ungewohnten Ort anschleichen. Martini pirschte
sich einmal mit äußerster Vorsicht über den halben Rasen
hinweg an ein Polster an, das in der Sonne trocknen sollte,
und sie erkannte es erst auf knapp zwei Meter Entfernung.
Sie blieb wie angewurzelt stehen und blickte zur Seite, als
wäre
die
ganze
Prozedur
ein
ausgeklügeltes
Täuschungsmanöver gewesen, während das eigentliche
Objekt ihres Interesses die ganze Zeit über woanders zu
suchen war. Leider verdarb sie diese Pantomime dann
doch, indem sie uns einen Blick über die Schulter zuwarf,
um zu sehen, wie wir es auffaßten. Wir amüsierten uns;
das erkannte sie auf den ersten Blick und schritt mit
langsamer, reichlich verachtungsvoller Würde davon.
Katzen orientieren sich an Formen und räumliche r
Anordnung und zeigen wenig Interesse an Farben,
vermutlich weil sie weitgehend farbenblind sind. Daß sie
völlig farbenblind sind, »weiß« jeder über die Katze. Die
Sicht der Katze in bezug auf Farben – Nuancen in der
Intensität in einer vorwiegend monotonen Welt wird
häufig in Büchern über Farbenblindheit dargestellt, doch
keines dieser Bilder ist unseres Wissens von einer Katze
gemalt worden. Forscher erinnern einander und ihre Leser
ständig daran, daß keiner einer Katze ins Gehirn schauen
oder mit ihren Augen sehen kann und genau dies tun viele
von ihnen doch unablässig. Das Ausmaß der
Farbenblindheit der Katze können Nicht-Katzen höchstens
auf gut Glück zu erraten versuchen. Von den zwei am
besten angelegten Erforschungen der Farbsicht von Katzen
gelangt eine zu dem Schluß, sie wäre nicht vorhanden,
während die andere behauptet, sie sei äußerst scharf.
Anekdotische
Beweisführungen
von
laienhaften
Katzenbesitzern tragen nichts zur Behebung dieses
wissenschaftlichen Wirrwarrs bei. Manche Menschen sind
-142-
überzeugt, daß Katzen farbsensibel sind, andere behaupten
das Gegenteil. Unserer eigenen Erfahrung nach haben
Farben bestenfalls sehr geringe Bedeutung für Katzen; von
Blumen lassen sie sich durch den Duft, nicht durch die
Farbe verlocken. Die meisten Katzen schnuppern
augenscheinlich gern an Blumen, manche fressen sie
sogar. Zufällig trinken alle gern das Wasser, in dem
Blumen gestanden haben, sogar, wenn ihnen bedeutend
frischeres Wasser frei zur Verfügung steht.
Dr. Georgina Ida Stickland Gates, eine Psychologin, die
sich mit dem Thema befaßte – wenn auch offensichtlich
mit einem Band Thorndike zwischen sich und der Katze -,
ist überzeugt, daß die Katze nicht nur keine Farben sieht,
sondern auch sonst kaum etwas und zudem noch sehr
schlecht hört. Ihre Katze, so behauptet sie, sähe sie
vermutlich als vagen Umriß. Genauso wenig wie sie die
Farbe ihres Kleides erkenne, würde sie Veränderungen im
Gesichtsausdruck oder den Wechsel des Kostüms
bemerken. Vermutlich würde die Katze sie als Gesamtheit,
als eine große To talität betrachten, deren Einzelheiten sie
nur verschwommen wahrnimmt.
Was für den einen wahrscheinlich ist, ist für den anderen
unvorstellbar. Uns erscheint es ausgeschlossen, daß eine
Katze den Wechsel des Kostüms nicht bemerkt, in erster
Linie deshalb, weil unsere Katzen es offensichtlich tun.
Während unserer Zeit in der Stadt erkannte Pete am
Wechsel unserer Kleidung, daß die Fahrt aufs Land
bevorstand, und versteckte sich unverzüglich, um dem
Reisekäfig zu entgehen, den wir immer erst im allerletzten
Moment auch nur anfaßten. Doch wenn wir die Koffer
packten, um in Stadtkleidung irgendwo hinzugehen,
kümmerte es ihn nicht. Den Unterschied erkannte er also
sehr wohl. Und alle Katzen überprüfen die Kleidung eines
Menschen, den sie besetzen wollen; trägt einer von uns
-143-
Shorts oder sonstige Tennisbekleidung, beschließen die
Katzen nach flüchtiger Prüfung, daß wir fürs Sitzen auf
dem Schoß nicht angemessen angezogen sind.
Dr. Gates war, weiß der Kuckuck aufgrund welcher
Beweise, auch überzeugt davon, daß Katzen über nur
geringe oder gar keine tonale Wahrnehmung verfügen,
während alle Katzen unserer Bekanntschaft eine solche in
ausgeprägter Form zeigten. Sie reagierten ganz
offensichtlich erfreut auf sanfte Töne in der menschlichen
Stimme und ablehnend auf rauhe oder schrille Stimmen.
Es gibt, allerdings Vorwiegend anekdotisch, eine ganze
Menge Beweismaterial für die Musikalität von Katzen,
wenn auch unsere nie großes Interesse für Musik gezeigt
haben. Bei einer Gelegenheit reagierte Martini wütend auf
die Töne einer ägyptischen Flöte, die auch für uns
reichlich unerwartet im Radio erklang, doch ansonsten ist
Musik ihr gleichgültig, selbst wenn sie zufällig auf dem
Radio sitzt. Sie haßt allerdings das Pfeifen, genauso wie
alle Katzen, mit denen wir je zu tun hatten.
Dr. Gates stellte zudem in Frage, daß Katzen ihren
eigenen Namen kennen, was nichts als barer Unsinn ist.
Katzen, die ständig nur »Kätzchen« gerufen werden,
nehmen wahrscheinlich an, das sei ihr Name. Andere
Katzen kennen ihren Namen genauso gut, wie Menschen
ihre Namen wissen; viele antworten, wenn sie mit Namen
gerufen werden, und kommen sogar, sofern es der Katze
in dem betreffenden Augenblick genehm ist.
Dem Menschen fällt es schwer, sich von der Annahme
zu lösen, daß Gehorsam synonym mit Begreifen ist oder
im Fall von kleinen, zugegebenermaßen abhängigen
Tieren sein sollte. Mag sein, daß Dr. Gates und andere, die
in Frage stellen, daß die Katze jemals ihren Namen lernt,
unbewußt vermuten, daß eine Katze angerannt kommen
müßte, sobald sie gerufen wird und ihren Namen erkennt.
-144-
So verhält sich der Hund; warum sollte die Katze anders
sein?
Und oft genug kommen Katzen tatsächlich angerannt,
nicht selten in halsbrecherischem Tempo. Am häufigsten
wird dies freilich der Fall sein, wenn eine Mahlzeit
ansteht, denn dann ist es fast immer die Mühe wert. Doch
auch zu anderer Gelegenheit kommt es vor, wenn es der
Katze in den Kram paßt. Wieso es ihr in den Kram paßt,
weiß kein Mensch und wird es nie erfahren. Wir haben
keine Ahnung, warum Sherry an manchen Tagen, wenn
wir sie rufen, wie ein geölter Blitz über den Rasen fegt,
wobei ihre Hinterbeine zu ihrer großen Bestürzung
schneller sind als die vorderen, und warum sie an anderen
Tagen, unter nahezu identischen Bedingungen, nur
gelangweilt um sich schaut, um dann weiter Gras zu
fressen. Es trifft ja nicht zu, daß sie an einem Tag ihren
Namen kennt und am nächsten nicht, doch darüber hinaus
kann der Mensch nur vage spekulieren.
Diese eigene Entscheidung, dieses augenscheinliche
Inbetrachtziehen besonderer Umstände zu einer
bestimmten Zeit und die Reaktion hierauf sind es
vermutlich, die der Katze ihren reichlich übertriebenen
Ruf als unabhängiges Tier einbringen – dies und natürlich
die Tatsache, daß eine Katze sich von niemandem, sei es
von Zwei- oder Vierbeinern, von Tausendfüßlern oder
Wesen ohne Beine, herumstoßen läßt. Die Katze kommt
oder kommt nicht, wie es ihr gerade paßt, die Katze zieht
sich zurück, wenn es ihr langweilig wird; keine Katze
würde jemals aus Höflichkeit eine Cocktailparty über sich
ergehen lassen. Aufgrund dieses Verhaltens nennt man die
Katze »unabhängig«; sie mag auch als »unsozial«
bezeichnet werden, von einigen vielleicht sogar als
»dumm«. Es wäre womöglich zutreffender, der Katze
nicht in erster Linie diese Attribute zuzuschreiben,
-145-
sondern sie als selektiv zu bezeichnen, wobei die Basis
ihrer Selektion dem menschlichen Verstand nicht immer
klar ist.
Alle oder fast alle Katzen, die sich auf Menschen zu
verlassen gewohnt sind, werden abhängig von diesen
Menschen – abhängig von ihrer Zuneigung, als
emotionalem
Mittelpunkt
wie
auch
für
ihre
grundsätzlicheren Bedürfnisse wie Futter, Wärme und
Obdach. Sie sind in ganz beträchtlichem, wenn auch nicht,
wie wir gesehen haben, in vollem Maße in der Lage, sich
selbst zu versorgen, doch darauf verzichten sie ganz gern.
Menschen gegenüber sind die meisten alles andere als
ungesellig, obwohl viele von ihnen, wieder einmal
meistens ohne Angabe von Gründen, streng unter den
Menschen selektieren. Wenn Menschen sich in einem
Haus von einem Raum in den anderen begeben, sich mal
in diesem, mal in jenem Zimmer aufhalten, folgen die
Katzen ihnen meistens. Während unserer Zeit in der Stadt
blieben die Katzen gewöhnlich im Wohnzimmer, solange
wir uns dort aufhielten, und folgten uns ins Schlafzimmer,
wenn wir uns, was häufig vorkam, dorthin zurückzogen,
um noch im Bett zu lesen. Einen erkennbaren Grund dafür
hatten sie wohl nicht, abgesehen davon, daß sie die Nähe
zu uns unserer Abwesenheit vorzogen. So verhielten sie
sich auch keineswegs immer, sondern nur, wenn ihnen
danach war, schätzungsweise in zwei Fällen von drei. Alle
merkten auf, wenn sie mit ihrem Namen angesprochen
wurden; manchmal kamen sie und manchmal nicht, und
dieses Verhalten unterschied sich in seiner Ausprägung
von Katze zu Katze. Martini antwortet eigentlich immer,
ob sie nun kommt oder nicht, aber sie antwortet nicht
mehr, wenn sie wiederholt angesprochen wird – das ist
wohl zuviel Aufwand. Ihre Auswahl von Menschen ist oft
völlig unerklärlich. In New York hatten wir über Jahre
-146-
hinweg ein Hausmädchen, das wir alle, einschließlich der
Katzen bis auf eine, sehr mochten – sie war zärtlich zu den
Katzen, und uns gegenüber war sie kompetent und
vertrauenswürdig; oft genug fütterte sie die Katzen, wie
sie jahrelang auch uns verpflegt hat. Pete betete sie
unverhohlen an und spielte ihr Streiche, Pam und Jerry
mochten sie offensichtlich, Sherry mochte sie von Anfang
an, und Gin, die nur sehr zögernd Freundschaft schließt,
fand sie schließlich ganz nett und ließ sie stundenlang
nicht aus den Augen. Gin fand es besonders unterhaltsam,
wenn sie den Küchenboden aufwischte. Dann lag sie auf
der Türschwelle, eine Pfote in der Küche, und hob die
Pfote, um darunter aufwischen zu lassen.
Doch Martini, die Elizabeth fast genauso früh in ihrem
Katzenleben kennenlernte wie uns, konnte sie nicht
ausstehen. Manchmal lief sie vor ihr davon, dann wieder
stand sie auf der Türschwelle und verwehrte ihr fauchend
den Eintritt. In den Jahren ihrer Bekanntschaft änderte
Martini ihre Einstellung zu Elizabeth nicht, obwohl sie
sich in vieler Hinsicht aufgrund einer Veränderung in
ihrem Leben umstellen mußte. Weder wir noch Elizabeth
haben den Grund für dieses Verhalten je begriffen, und
wir bedauerten es alle. Seit ihrem ersten Wurf und der
darauf folgenden Sterilisation war Martini Menschen
gegenüber nie auffällig übellaunig, obwohl sie keineswegs
als besonders liebenswürdige Katze bezeichnet werden
kann. Elizabeth jedoch mochte sie nie.
Sherry mag jeden und erschrak bei ihrem ersten
Zusammentreffen mit Kindern nur geringfügig, obwohl sie
Angst vor Mäusen hat. Schon bald mochte sie Kinder,
während viele andere Katzen, die mit Erwachsenen groß
werden, vor kleinen Menschen zurückschrecken, die in
den Augen einer Katze wahrscheinlich eine unnatürliche
Kompromißform darstellen. Gin mag auf den ersten Blick
-147-
so ziemlich niemanden, wird mit der Zeit jedoch ein wenig
zugänglicher, ohne jedoch jemals Sherrys Herzlichkeit zu
erreichen. Doch selbst Sherry mag einige Menschen lieber
als andere, und nicht immer nur deshalb, weil sie sie
besser kennt. Auch begegnet sie nicht immer denen, die
ihr am bereitwilligsten ihre Freundschaft anbieten, am
freundlichsten. Sie ist, wie die meisten Katzen, sehr
wählerisch.
Katzen halten so fest an ihrem Vorrecht der Selektion,
daß im Umgang mit ihnen erfahrene Menschen beim
Zusammentreffen mit unbekannten Katzen warten, bis sie
ausgewählt Werden, gewöhnlich mit möglichst dicht vor
der Nase der Katze zufällig baumelnder Hand. Bei solchen
Anlässen schwebt die Hand eines klugen Menschen dicht
über dem Boden oder der Oberfläche, auf der die Katze
gerade hockt, aber nicht über dem Kopf der Katze. Katzen
mögen es nicht, wenn etwas von oben auf sie
herunterkommt. In einer noch nicht auf Sicherheit
überprüften Umgebung kriechen Katzen ausnahmslos
irgendwo unter und schauen sic h von dort aus um. Etwas
von oben kommendes Unbekanntes kann – soviel weiß die
Katze – schließlich eine große Ohreule sein, und
dementsprechend könnte sich eine nervöse Katze dann
verhalten. Eine Katze will die angebotenen Finger sowohl
sehen als auch riechen; erst danach entscheidet sie
selbständig, ob der dazugehörige Mensch akzeptabel ist.
Sie wird einen Menschen nicht notgedrungen schon
deshalb mögen, weil andere Katzen ihn mögen, was Leute,
die überzeugt sind, »gut mit Katzen umgehen zu können«,
nicht selten in Verwunderung stürzt. In den Tagen vor
ihrer Operation, als es Martini nicht gut ging und sie sehr
nervös und reizbar war, kratzte Martini einmal einen
Besucher ziemlich gründlich, der trotz Warnung unter
Beweis stellen wollte, daß es auf der ganzen Welt keine
-148-
Katze gebe, mit der er nicht klarkommen würde. Vielleicht
wehrte sich Martini dagegen, in ein Schema gepreßt zu
werden, denn sie weiß nur zu gut, daß sie eine
Persönlichkeit ist.
Nicht kastrierte oder sterilisierte Katzen bestehen
gewöhnlich noch heftiger auf ihrer eigenen Wahl, wie sie,
wiederum gewöhnlich, in fast allen Bereichen einfach
eigensinniger sind. Martinis Einstellung zum Leben hat
sich allerdings nicht merklich geändert, doch ist sie seit
der Operation nicht mehr so heftig in ihrer
Ausdrucksweise. Und einmal kannten wir einen großen,
wunderschönen Kater, der, obwohl er mit einem
außergewöhnlich nervösen jungen Collie und einem
weiteren sehr gesprächigen Hund zusammenlebte, ruhig
und friedlich war und entspannt auf beinahe jedem
angebotenen Schoß lag, wobei er den Besitzer des
betreffenden Schoßes anstrahlte und laut schnurrte. Doch
ein Mensch kann gewöhnlich über eine ihm unbekannte
Katze keinerlei Aussage machen, und falls das Tier noch
im Vollbesitz seines Sexualtriebes ist, noch viel weniger.
Das Verhalten von Katzen, die man kennt, von Katzen,
mit denen man lebt, ist im allgemeinen genauso
vorhersagbar wie das der individualistischsten Wesen und
bestimmt vorhersagbarer als das von Menschen. Natürlich
mögen Katzen sozusagen manchmal auch mit dem
falschen Fuß aufgestanden sein; manche Katzen erwecken
den Eindruck, wie manche Menschen auch, leicht
manischdepressiv zu sein.
Wenn sie ein bischen übellaunig sind, weisen Katzen
Zuneigungsbezeugungen ab, die sie sonst genießen, und
warnen einen Menschen vielleicht sogar vor einer
Annäherung, sei es pantomimisch oder sozusagen verbal.
Mehr als das hat sich keine Katze uns gegenüber jemals
herausgenommen – ausgenommen natürlich anläßlich von
-149-
Untersuchungen beim Tierarzt, bei denen sie festge halten
werden mußte, oder wenn sie, was hin und wieder
unvermeidlich ist, eine Spritze bekam. Katzen können
nicht gut Schmerzen ertragen, und fügt man ihnen
Schmerzen zu, beißen sie den Folterer, falls er erreichbar
ist, mehr oder weniger ungeachtet seiner Identität. Hin und
wieder mag ein Männchen mit zunehmendem Alter vom
Leben und den Menschen völlig desillusioniert werden.
Wir kennen einen Kater, Deuces Wild, in der Blüte seines
Lebens ein prächtiger Bursche, der im Alter so schwierig
wurde, daß niemand mehr mit ihm zurechtkam, bis er
schließlich getötet werden mußte. Auch Menschen haben
manchmal Identitätsprobleme, wenn sie sich dem
Greisenalter nähern, doch die menschliche Ethik läßt die
Tötung nicht zu. Außerdem haben alte Menschen nicht so
gefährliche Krallen und Zähne, Gesunde Katzen allerdings
sind, sofern sie rücksichtsvoll und einigermaßen höflich
behandelt werden, so gut wie niemals völlig
unberechenbar in ihrem Umgang mit Menschen, und nur
in Ausnahmefällen wird sich eine solche Katze als
schwierig erweisen. Hin und wieder trifft man freilich auf
eine neurotische Katze. Wir haben von einer gehört, sie
allerdings nie kennengelernt, die offensichtlich mörderisch
veranlagt ist und alles, was lebt, zu töten trachtet – mit der
einzigen Ausnahme des Menschen, den sie sich als
Betreuer hält. Selbst unser Jerry, obwohl völlig harmlos,
war ganz klar neurotisch und litt wahrscheinlich an einer
manischdepressiven Psychose. Doch vermutlich sind die
meisten Katzen geistig gesünder als Menschen, wozu wohl
gar nicht allzuviel gehört. Obwohl sie in zwei Welten
leben, sind sie selten schizophren.
Natürlich ist es schwierig für einen Menschen, mit auch
nur annähernder Genauigkeit das Leben der Katze in ihrer
eigenen Katzenwelt und der Welt anderer nichtmoralischer
-150-
Tiere zu erforschen. Ist der Mensch als Beobachter
anwesend, wird er zu einer Voraussetzung des Problems
und modifiziert es dadurch. Hin und wieder mag es
gelingen, ungesehen zu spionieren; klüger wird dadurch
niemand. Sitzt eine Katze auf der Mauer und eine andere
auf dem Boden ganz in der Nähe und unterhalten sie sich
über längere Zeit hinweg in klagendem Ton, aber doch
offenbar ohne kämpfen oder sich lieben zu wollen, dann
stutzt der Mensch wahrscheinlich. Es liegt eigentlich auf
der Hand, daß die beiden Katzen sich verständigen, daß
sie sich an gewisse Konventionen der Katzenunterhaltung
halten. Ist die eine Katze an diesem Ort zu Hause und die
andere ein Eindringling, könnte es sein, daß die heimische
Katze die andere warnt, daß sie sich besser entfernen
sollte. (Derartige Treffen verfolgen wohl häufig
tatsächlich diese Absicht, denn oft genug wendet sich die
fremde Katze letztendlich ab, wenn auch nicht deutlich
sichtbar aus Angst, und gestattet der heimischen Katze die
Genugtuung eines gespielten Fortjagens.) Solche
Diskussionen finden übrigens unter kastrierten und
sterilisierten und nicht operierten Katzen beider
Geschlechter statt, wobei ziemlich sicher ist, daß bei
dieser Beobachtung kein Irrtum in der Feststellung des
Geschlechts vorlag. In dieser Frage unterläuft einer Katze
kein Irrtum.
Katzen sind von Natur aus ihresgleichen gegenüber nicht
gesellig; streunende Katzen würden bei einer Begegnung
nie miteinander spielen und toben. Jemand, der bereits
Katzen hält, kann seinen Bestand vergrößern, und das
kommt nicht selten vor. Dabei sind jedoch behutsame
Vorstellungszeremonien zu beachten. Dennoch gibt es
auch für diese Regel, wie für alle Regeln, die Katzen
betreffen, zahlreiche Ausnahmen. Es kommt vor, daß
-151-
Katzen einander begegnen und sich mit anderen Katzen
anfreunden. Es kursieren genug Geschichten über
wohlbehütete Katzen, die streunende Artgenossen mit
nach Hause bringen, um sie an ihrem Glück teilhaben zu
lassen. Hin und wieder können auch Katzen und Hunde
ohne menschliche Vermittlung Freunde werden. Wir
kannten einst eine hübsche Deutsche Schäferhündin, die
vermutlich auf einem Gehsteig irgendwo in Baltimore
einen großen schwarzen Kater adoptierte und ihn mit zu
sich nach Hause nahm. Der Kater, der sein neues Obdach
offenbar nicht vorbehaltlos akzeptierte – er war jahrelang
ein Vagabund gewesen -, nutzte das Heim des Hundes
dennoch für eine Weile als Hauptquartier und zeigte sich
dem Schäferhund gegenüber stets sehr ergeben. Wenn der
Hund langsam ein Zimmer durchschritt, wieselte der Kater
flink zwischen seinen Beinen hin und her und begleitete
ihn so. Diesen Zeitvertreib schienen beide zu genießen,
wenn auch der menschliche Beobachter ihn als ganz nett,
aber bedeutungslos einstufte.
Aufgrund menschlichen Eingreifens leben Hund und
Katze oft genug glücklich zusammen, wenn nicht gar
liebevoll. Wenn jemand es der Mühe wert erachtet, kann
er so gut wie jede »Tierfamilie« gründen. Der
hauptsächliche Lohn besteht vermutlich darin, daß solche
ungewöhnlichen Konstellationen in der Zeitung abgebildet
werden. Doch keine Katze würde freiwillig einem Vogel
die Freundschaft halten, und die meisten haben auch am
liebsten nichts mit Hunden zu tun. Hin und wieder gefällt
es der Katze, einen Hund zu ärgern; einer von uns
beobachtete vor wenigen Jahren einmal vom Fenster einer
New Yorker Wohnung im ersten Stock aus eine solche
absichtliche Neckerei.
Auf der anderen Straßenseite stand eine Reihe von
Häusern mit altmodischen Treppenstufen vor den auf
-152-
höherer Ebene als die Straße gelegenen Eingängen. Vor
einer dieser Treppen saß eine große schwarze Katze und
putzte sich. Sie blickte die Straße entlang und sah einen
Hund kommen, verbotenerweise nicht angeleint, und sein
Herrchen folgte ihm in ein paar Meter Entfernung. Der
Hund war neugierig; auf seinem Weg lief er um jede
Treppe herum, um nachzusehen, ob es vielleicht etwas zu
entdecken gab. Die Katze sah ihm eine Zeitlang voller
Interesse zu. Dann zog sie sich nachdenklich hinter ihre
eigene Treppe zurück.
Eine dramatische Komödie spitzte sich mit nahezu
klassischer Zwangsläufigkeit bis zur Peripetie zu. Der
Hund erreichte die vierte Treppe dieser Straße, blickte
dahinter, fand nichts und lief wieder zurück; der Hund
schaute hinter die dritte Treppe und die zweite. Er
untersuchte die Treppe vor der Katze, fand nichts und
sprang zurück. Jetzt hörte die Katze bereits das Kratzen
seiner Krallen auf dem Zement. Die Katze leckte sich
noch einmal beiläufig über die Schulter, als würde sie im
Ankleidezimmer ihr Make-up auffrischen, und duckte
sich. Der Hund erreichte diese Treppe, die Katze wartete,
der Hund bog um die Ecke der Treppe.
Die Katze versuchte nicht, dem Hund ernsthaft ein Leid
zuzufügen; sie sprang ihn nicht einmal an, sondern blickte
nur schwarz und drohend zu ihm auf und schlug einmal
nach seiner Nase. Sie tat eigentlich nur so, als ob, doch das
konnte der Hund nicht wissen – er wußte nur, daß er dem
Tod ins Angesicht blickte, konnte nur noch in panischer
Angst auf allen Vieren rückwärts ausweichen, konnte vor
Angst und Schrecken nur noch aufjaulen. Und machen,
daß er wegkam. Das tat er.
Die Katze blickte dem Hund nach, der jaulend zu seinem
Herrchen stürmte, dann kam sie vor und setzte sich wieder
-153-
auf den Gehsteig. Der menschliche Zuschauer hatte den
Eindruck, als blickte sie jetzt zum Fenster auf- wie zu
einer Loge – und verbeugte sich.
Wenn letzteres auch nicht ganz der Wahrheit entspricht,
steht doch fest, daß die Katze ein Spielchen trieb, mit
Sorgfalt und einem feinen Gespür für den richtigen
Zeitpunkt einen Streich ausgeheckt hatte. Sie hatte keine
Angst vor dem Hund gehabt, es war nicht einmal so, daß
sie ihn nicht leiden konnte. Es hatte ihr einfach nur Spaß
gemacht, den Hund zu erschrecken und lächerlich zu
machen, ihm eben einen Streich zu spielen. Beifall hätte
sie sehr genossen, wie alle Katzen. Falls sie sich aber des
Zuschauers nicht bewußt war, was anzunehmen ist, reichte
ihr das Wissen, daß sie Applaus verdient hatte.
Aufgrund des Wissens der Katze um menschliche
Zuschauer können wir nie ganz sicher sein, inwieweit sich
die zwei Welten im Spiel freundlicher Katzen miteinander
überlappen. Vielleicht spielen Katzen gar nicht
miteinander, wenn keine Menschen anwesend sind; das
kann der Mensch schwerlich beurteilen. Ihr Spiel
miteinander könnte auch immer zum Teil ein Spiel für
Publikum sein.
Dieses Spiel von Katzen – ihr großes Spiel – ist ein
Spektakel, das dem Besitzer einer einzigen Katze freilich
entgehen muß. Grundsätzlich besteht es aus gemimter
Kriegsführung; es könnte auch als Versuch im Boxring
angesehen werden, nur mit dem Unterschied, daß die
Katzen einander nicht verletzen und auch nicht diese
Absicht hegen. Außerdem ist es ein Ringkampf und
schließt häufig an einem oder mehreren Punkten einen
Hindernislauf ein. Augenscheinlich wird es nach
bestimmten festen Regeln gespielt. Ein Katzenbeobachter,
ein geheilter Sportjournalist, glaubte, ein Punktsystem
erkannt zu haben, durch das der Gewinner bestimmt
-154-
werden konnte, doch der war entweder ein besserer
Beobachter oder phantasiebegabter als wir. Ganz gewiß
wird das Spiel bis zu einem mehr oder weniger
feststehenden Schlußpunkt gespielt; die Katze in der
Defensive kann es jederzeit abbrechen.
Kürzlich verletzte Sherry beim Spielen mit Gin auf eine
für uns nicht erkennbare Weise eine der Regeln offenbar
noch dazu eine wichtige -, und danach wollte Gin
überhaupt nicht mehr mit ihr spielen, während sie mit
Martini weiterhin spielte;. Wenn Sherry das Spiel
vorschlug, hieb Gin mit der Pfote nach ihr, nur als
Warnung, ohne zu treffen, und fauchte. Sherry schien
nicht zu wissen, was sie sich hatte zuschulden kommen
lassen, und es könnte auch sein, daß Gin, da Sherry
schwerer ist als ihre Schwester, nichts gegen ihre
Methoden, sondern gegen ihr Gewicht einzuwenden hat.
Gin war sowieso nie übermäßig für das Spiel zu
begeistern; sie jagte lieber draußen. Oft beobachtet sie die
anderen beiden nach einem Tag auf den Feldern mit
müder Nachsicht beim Toben, wie eine Sekretärin am
Feierabend nach einem langen Tag im Büro, zu müde für
die Vergnügungen jener, die nicht wissen, was es heißt,
für seinen Unterhalt zu arbeiten. Wenn sie doch einmal
mitspielt, übernimmt Gin gewöhnlich den defensiven Part.
Die Katze in der Offensive gibt das Startsignal, soviel ist
klar. Wenn Martini spielen will, duckt sie sich
sprungbereit, macht Schleichbewegungen und plustert vor
Erregung ihren Schwanz auf. Der buschige Schwanz, die
gesträubten Rückenhaare sind ihre Erkennungsmerkmale;
die anderen zeigen nur im Umgang mit Hunden einen
buschigen
Schwanz.
Sherry
beobachtet
diese
vorbereitenden Bewegungen und duckt sich ihrerseits.
Dann folgt oft eine ausgedehnte Phase des Lauerns, die
gewöhnlich mit einer Hetzjagd endet. Dabei springen
-155-
beide Katzen über Sessel und Sofa und oft genug auch
über die dort sitzenden Menschen. Martini als Initiatorin
des Spiels ist meistens die Verfolgerin, doch an einem
gewissen Punkt fügt sie sich dann auch in die Rolle der
Verfolgten.
Im frühen Stadium kann diese Aktivität, offenbar auf
Wunsch aller Beteiligten, für eine winzige Ruhepause
unterbrochen werden, während derer die Katzen, ohne
einander zu beachten, sich setzen und sich putzen. Man
könnte meinen, das Spiel sei beendet, und hin und wieder
trifft das aus uns nicht verständlichen Gründen auch zu.
Gewöhnlich jedoch gönnen sie sich nur eine kurze Pause
zwischen zwei Runden, zum Seitenwechsel vielleicht.
Meistens fängt eine von beiden, am häufigsten Martini,
das Spiel wieder an.
Irgendwann dann ist das Kontaktstadium erreicht. In
diesem Stadium legt sich die Katze in der Defensive mit
ausgestreckten Pfoten, entblößten Krallen, offenem
Mäulchen und bißbereiten Zähnen auf die Seite, und die
Katze in der Offensive umkreist sie und sucht nach einer
Schwachstelle. Auch die Angreiferin hat die Krallen
ausgestreckt, die Ohren angelegt und das Mäulchen
geöffnet, die unglaublich spitzen Reißzähne entblößt. In
dieser Phase geht es weitgehend darum, sich in eine
günstige Position zu bringen, und wenn Sherry in der
Defensive ist, gehört eine gute Portion Katzengeschwätz
zum Ausdruck von Angst und Schmerz dazu. (Das ist
genauso wenig ernst zu nehmen wie das Stöhnen und die
Schmerzensschreie eines Profiringers.)
An einem bestimmten Punkt springt die angreifende
Katze zu. Wenn die Angegriffene sie mit steif
ausgestreckten Beinen abwehren und anderweitige
Berührungen vermeiden kann, erhält sie vermutlich einen
Punkt. Kann die Angreiferin die Abwehr durchbrechen,
-156-
gibt sie womöglich vor, die Krallen in den ungeschützten
Bauch zu schlagen, wie sie in einem echten Kampf
versuchen würde, ihn mit den Krallen der Hinterpfoten
aufzuschlitzen. Vielleicht beißt sie der Gegnerin ins Ohr,
oder sie schlingt lediglich beide Vorderbeine um ihren
Hals und versucht scheinbar, sie zu erwürgen. An diesem
Punkt ist die Unterscheidung von Angreifer und
Verteidiger schwierig, denn die Katzen wälzen sich in
wildem Kampf.
Jede der Beteiligten kann das Spiel nun abbrechen, doch
gewöhnlich bestimmt die ursprüngliche Verteidigerin das
Ende. Darauf kann, offenbar auf Anregung der Katze in
der Defensive, eine weitere Hetzjagd oder ein neuer
Ringkampf folgen oder aber der endgültige Schluß. Das
Spiel ist beendet, wenn eine der beiden Katzen einfach
weggeht oder sich setzt und irgendetwas anstarrt oder
einen Schluck Wasser trinken geht. Wird das Spiel wieder
aufgenommen, so bleibt die Rollenverteilung fast immer
gleich; nur selten werden sie in einer Folge von Spielen
getauscht.
Soviel läßt sich beobachten, und gewisse Regeln lassen
sich erraten. Zum Beispiel wird es als schlechter Stil
erachtet, eine Katze anzuspringen, wenn sie sich ernsthaft
putzt; dann ist es offenbar unfair, jemanden anzugreifen,
der keine Bewegungsfreiheit hat; wenn eine Katze
irgendwo unterkriecht, unter ein Sofa zum Beispiel, folgt
die andere ihr nur selten; wenn eine anzeigt, daß sie
tatsächlich verletzt ist, ist das Spiel abrupt zu Ende.
Allerdings kommt nie eine Katze zu Schaden, sie kann
höchstens mal böse außer Atem geraten.
So wird es gespielt. Man muß es beobachten, um zu
erkennen, wie aufregend, wie fröhlich, wie rasant es ist.
Katzen in Bewegung sind immer hinreißend, und
während des Spiels sind sie ununterbrochen in Bewegung
-157-
– es ist ein verblüffendes Schauspiel geschmeidiger
Anmut, bezaubernder Akrobatik. Der Mensch mit seinem
steifen Rückgrat, den unausgewogenen Muskeln zur
Gewährleistung der aufrechten Haltung kann auch in
seiner biegsamsten Ausführung nicht einen Bruchteil der
Beweglichkeit noch der plumpsten Katze erreichen.
Martini ist für ihre Rasse ein bischen pummelig und leicht
übergewichtig. Doch ein seitlich gedrehter Luftsprung
während des Spiels ist für sie ein Kinderspiel, ebenso wie
die Landung auf Zehenspitzen, zugleich mit Katzbuckel,
auf dem Sofa, um dann ein paar Schritte so zu tanzen,
während sie über die Schulter hinweg die Gegnerin ansieht
und gleich wieder durch die Luft fliegt, sich im Flug dreht
und nicht auf, sondern haarscharf vor der Gegnerin landet,
sich noch während der Landung dreht und auf die Füße
kommt. Schon im nächsten Moment mag sie wieder sitzen
und versonnen ihr rechtes Schulterblatt putzen. Wenn
Sherry und manchmal auch noch Gin hinzukommen, wenn
alle drei Katzen gleichzeitig springen und sich in der Luft
drehen, jede auf ihre eigene, aber doch unverwechselbare
Katzenart, dann gibt es kein anderes tierisches
Bewegungsmuster, das diesem Spiel in Anmut und
Aufregung auch nur annähernd gleichkommt. Das Ballett
der Menschen, der großartigste Eislauf, das perfekteste
menschliche Ballspiel, ob Tennis oder Fußball – all diese
Aktivitäten, in denen der Mensch beinahe Anmut zeigt,
sind im Vergleich schwerfällig und verzerrt.
Solche Dinge erlernt der Mensch langsam und mühselig
und erringt damit einen teilweisen Triumph der
Vorstellung über die Steifheit. Doch er erlernt sie
willkürlich, nicht aus einer inneren Notwendigkeit heraus;
es ist für den Menschen nicht lebenswichtig, sich
körperlich zu verdrehen.
Das Spiel ist Teil des Lebens einer Katze; in gewissem
-158-
Sinne ist es Training fürs Leben, wie ein Kätzchen, das
einen Bindfaden zu haschen versucht, für die Jagd
trainiert. Martinis Leben kann jeden Augenblick von ihrer
Fähigkeit abhängen, seitlich auf eine Mauer zu springen,
dort zu landen, ohne auch nur annähernd aus dem
Gleichgewicht zu kommen, um unverzüglich in anderer
Richtung zu flüchten. Zweifellos hing ihr Leben schon
häufig davon ab. Katzen spielen das große Katzenspiel
zum Spaß; es steht außer Zweifel, daß sie es genießen.
Doch sie spielen es auch, um ihre Muskeln geschmeidig
und ihre Reflexe intakt zu halten. Der Instinkt – ein
menschliches Wort für einen Komplex von Stimuli, über
die der Mensch praktisch gar nichts weiß – lehrt die Katze,
im Rennen zu bleiben, niemals ihre Tricks zu vergessen.
Falls sie ihre Stadtwohnung jemals verlassen muß, wird
sie sie alle brauchen.
Sobald sie das Haus verläßt, tritt die Katze am
deutlichsten in die nichtmenschliche ihrer zwei Welten
ein, und jede ihrer Bewegungen zeugt von ihrem Wissen
um die damit verbundenen Gefahren. Sie zeigt es schon
auf der Türschwelle; nicht nur Mr. Warners
unvergleichlicher Calvin, sondern alle Katzen stehen auf
dem Sims, wie Calvin es zu tun pflegte, und blicken zum
Himmel auf, als überlegten sie, ob es angebracht ist, einen
Schirm mitzunehmen. Zwar verabscheuen Katzen es, vom
Regen
überrascht
zu
werden,
doch
es
ist
unwahrscheinlich, daß sie zögern, um sich Gedanken
übers Wetter zu machen. Vom Himmel kann geflügelte
Gefahr kommen, deshalb ist es empfohlen, sich zu
vergewissern, bevor man sich weiter herauswagt. (Katzen
fürchten Gefahren von oben am allermeisten, da sie von
oben am angreifbarsten sind.) Ist der Himmel frei von
Bedrohung, hält die Katze Ausschau nach Hunden und
anderen Gefahren. Diese Vorsichtsmaßnahmen können
-159-
Sekunden oder mehrere Minuten dauern; erst wenn sie
abgeschlossen sind, geht die Katze ihrer jeweils geplanten
Beschäftigung nach.
Der freilaufende Hund stellt fraglos die häufigste Gefahr
für eine Katze dar, und das gilt insbesondere für die
Vorstadtkatze. Ein guter Hofhund rechnet mit Katzen in
seiner Umgebung und läßt sie gewöhnlich in Ruhe; selbst
wenn er allein auf Jagd geht, gesteht er Katzen Schonzeit
zu. Wir haben erlebt, daß gute Hofhunde sich selbst
angesichts extremer Provokation an diese Regel halten.
Einer, durch dessen Ahnenreihe wohl ein Collie gestreunt
war, ließ sich eines Tages von Martini, die lediglich im
Sinn hatte, ihn zu töten, aus unserem Garten scheuchen. Er
machte keine Anstalten, sich zu verteidigen, obwohl er sie
– wenn das Glück auf seiner Seite gewesen wäre – mit
einem Biß hätte umbringen können. Er schaute lediglich
flehend zu uns herüber, als wollte er uns bitten, dieses
lästige Wesen zu entfernen, das ihm derartig auf die
Nerven ging, aber dennoch unberührbar war.
So sind jedoch keineswegs alle Hunde erzogen; viele
Hunde sind Katzenmörder. Und kaum eine halbwegs
energische Katze erkennt von Anfang an, daß sie die
Unterlegene ist. Im Hinblick auf einen mittelgroßen, nicht
abgerichteten Hund hat die Katze natürlich recht. Sowohl
Martini als auch Gin kämen wahrscheinlich problemlos
gegen jeden an, außer einen großen, starken Hund; der
Hund liefe Gefahr, geblendet zu werden. Doch keine von
beiden ist anscheinend in der Lage, einen großen, starken
Hund von anderen zu unterscheiden, und Gin hat scho n
einige schlechte Erfahrungen mit Hunden gemacht, die sie
vom Grundstück verjagen wollte. Zu viele Katzen – Gin
gehört dazu und auch Pete war einer von ihnen – greifen
bereitwillig alles an, was halbwegs als Hund zu erkennen
ist. Pete nahm es einmal mit dreien auf, und alle waren
-160-
groß. Er sprang den größten an, um ihm die Augen
auszukratzen. In diesem Fall war er jedoch in die Enge
getrieben, und er mußte eine Ablenkung herbeiführen, um
schnell auf einen Baum flüchten zu können. Nicht einmal
er mit seiner ungeheuren Abneigung gegen Hunde hätte
freiwillig so viele auf einmal angegriffen. (Er war
verdorben durch die lange gemeinsame Zeit mit einem
unfähigen Foxterrier, dem er das Leben schwer machte.
Pete genoß diese Gesellschaft hemmungslos, doch sie
machte ihn nicht mit den harten Tatsachen des Lebens
vertraut.)
Die harten Tatsachen bestehen darin, daß Hunde für
Katzen äußerst gefährlich sind, und je mutiger die Katze,
desto größer ist die Gefahr. Jede Katze, die frei
herumlaufen kann, gerät häufig in Situationen, in denen
sie ihr ganzes Repertoire an Katzenakrobatik und Reflexen
aufbieten muß, um mit dem Leben davonzukommen. Die
Katze kann es sich in einer Welt voller Hunde und Eulen,
Autos und, natürlich, anderer Katzen nicht leisten
einzurosten. Sie muß unablässig trainieren, und ein
Großteil ihres Spiels ist Training.
Trotzdem ist auch ein Großteil Spaß und sogar reine
Kobolderie dabei. Wenn eine Katze geduckt daliegt, den
Schwanz von Seite zu Seite bewegt und einem geliebten
Menschen auf einem Feldweg auflauert, diesem Menschen
vor die Füße springt und leicht seinen Schuh anstupst –
haargenau als würde sie Fangen spielen -, fällt es schwer
zu glauben, daß der vorrangige Sinn darin bestehen sollte,
nicht aus der Übung zu kommen. Wenn eine Katze
kommt, wenn sie gerufen wird, weil sie ins Haus kommen
soll, wenn sie dann Lauerstellung einnimmt, bis die
streichelnden Finger kommen, bevor sie wegspringt, und
wenn dies Spielchen immer wieder von vorn anfängt,
Wenn sie nie richtig wegläuft, nicht ernsthaft das
-161-
mögliche Eingefangenwerden vermeidet, dann spielt die
Katze wahrscheinlich nur, denn dieses Verhalten hat in der
nichtmenschlichen Welt keinen erkennbaren Sinn.
In den Momenten, in denen eine Katze derartige Spiele
erfindet – und jeder Katzenbeobachter erlebt zahlreiche
solcher Erfindungen -, erscheint uns die Trennwand
zwischen Katzen- und Menschenbewußtsein am dünnsten.
In solchen Spielen besteht anscheinend auf Seiten der
Katze eine Art von Humor, die zwar körperlich zum
Ausdruck gebracht wird, aber keinesfalls rein körperlich
ist und auch kein Streich sein soll. (Eine Katze ist
durchaus in der Lage, Streiche zu spielen, wie schon aus
der Geschichte von der Katze und der Treppe zu ersehen
ist.) Beinahe könnte man die Katze einer Vorstellung des
Lächerlichen für fähig halten, wie es gewiß zum Ausdruck
kommt, wenn menschliche Finger versuchen, eine nicht
mehr vorhandene Katze zu greifen, die sich dem Zugriff
vielleicht nur um einen halben Meter oder so entzogen hat.
Vieles im Verhalten der Katze könnte eine Art abstrakter
Intelligenz vermuten lassen – die Fähigkeit, zwei und zwei
zusammenzuzählen, Kausalzusammenhänge zu erkennen,
wenn auch nur vage, und sogar »Ideen« zu formen.
Beobachten wir Martini in ihrer komischen Art, sich zu
entziehen, sind wir fast versuc ht zu schwören, daß es nicht
nur ein Spiel, sondern auch die Idee von einem Spiel ist.
Sie ist zu diesem Spiel jedenfalls in keiner erkennbaren
Weise so befähigt, wie Katzen natürlich zu gewissen
Aktionen konditioniert sind, die ihnen Nahrung
einbringen, wie sie durch Versuch und Irrtum und einer
Häufung von Erfolgserlebnissen dazu konditioniert sind,
Türen zu öffnen, um ins Freie zu gelangen.
Beobachtet man Katzen – und in diesem Kapitel wurde,
wie jeder Katzenkenner bestätigen wird, die Vielfalt des
Verhaltens von Katzen kaum mehr als angedeutet -,
-162-
gewinnt man den Eindruck, daß vieles, was sie tun,
Ergebnis intelligenter Überlegung ist. Da unseres Wissens
kein Mensch jemals eine Katze gewesen ist, kann das kein
Mensch genau wissen. Doch in ihrer neugierigen Affenart
haben Menschen sich große Mühe gegeben, es
herauszufinden. Diese menschliche Erforschung der
Intelligenz von Katzen gehört zu den faszinierendsten und
manchmal auch merkwürdigsten Episoden in der uralten
Beziehung von Katzen und Menschen.
-163-
Zehntes Kapitel
Bewußtsein und Verstand
Katzen sind ein geheimnisvolles Völkchen, schrieb Sir
Walter Scott. In ihrem Bewußtsein geht bedeutend mehr
vor sich, als wir denken.
Er beschäftigte sich auch mit einem Problem, das eine
ganze Re ihe von Männern und Frauen – Schriftsteller,
Naturforscher, Psychologen sowie Menschen, die Katzen
lediglich mit liebevollem Interesse beobachten – zu lösen
versucht haben. Der Menschenaffe verabscheut
Geheimnisse, die er nicht selbst geschaffen hat; es ge hört
sich nicht, daß ein Vierfüßler Geheimnisse vor einem
Zweibeiner hat. Das Gewissen des Menschen ist
beunruhigt; wenn Katzen und Hunde denken, dann denken
sie vielleicht über den Menschen nach, und diese
Möglichkeit ist irritierend, da sie so viel Gelegenheit
haben, den Menschen zu beobachten. Ohne Katzen zu
werden, können wir das Bewußtsein der Katze nicht
endgültig begreifen, warnt St. George Mivart, ohne jedoch
Beachtung zu finden.
Der Mensch ist ein Mensch und deshalb a priori in der
Lage, alles zu verstehen. Zumindest ist er in der
-164-
Lage, sich über alles, was er nicht versteht, Gedanken zu
machen und es neugierig zu erforschen. Da es Tiere im
Überfluß gibt und sie der Kontrolle des Menschen
unterliegen, hat der Mensch sie gewissenhaft untersucht
und bewiesen, daß man Ratten in den Wahnsinn treiben
kann, daß dem Hund durch den bedingten Reflex das
Wasser im Mund zusammenläuft, und daß Katzen sehr
intelligent sind, überhaupt nicht intelligent sind, fähig
sind, Ideen zu formen und unfähig, ihren eigenen Namen
zu lernen, über einen Wortschatz von sechshundert
Begriffen verfügen und unfähig sind, irgend etwas länger
als fünfzehn Minuten zu erinnern. In sorgfältig
überwachten Experimenten, die sich über Jahre hinzogen,
hat der Mensch auch bewiesen, daß manche Katzen klüger
sind als andere.
Diese Erforschung des Katzenbewußtseins erfolgte im
großen und ganzen auf zweierlei Art. Die einfachste
bestand in der Beobachtung von Katzen und ihren
Verhaltensweisen und den Schlußfolgerungen daraus. Das
ist die älteste und natürlich auch die üblichste Methode,
denn das einzige, was dazu benötigt wird, ist eine Katze.
Die zweite, die wissenschaftliche Methode, benötigt jede
Menge Ausrüstung, von einem halben Dutzend Kisten bis
zu einem derart komplizierten elektronischen Gerät, daß
nur ein einigermaßen kluger Mensch damit umgehen und
nur ein Mathematiker die Ergebnisse verstehen kann.
Diese letztere Methode, die in der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts häufig angewendet wurde, hat zu zahlreichen
interessanten, meistens einander widersprechenden,
Ergebnissen geführt.
Wie nicht anders zu erwarten, fällt die anekdotische
Beweisführung mit überwältigender Mehrheit zugunsten
der Katze aus und bringt Eigenschaften von Tieren ans
Tageslicht, gegen die Tobermory, die sprechende Katze,
-165-
ein armseliger Langweiler ist. Menschen, die keine Katzen
mögen, kennen selten Geschichten über sie; Menschen,
die Katzen mögen, erzählen natürlich nur selten
Geschichten über dumme Katzen. Mivart zum Beispiel
erzählt die faszinierende Geschichte einer findigen Katze,
die, nachdem sie festgestellt hatte, daß Stare davonflogen,
wenn sie sie auf einer Wiese fangen wollte, dem in der
Nähe grasenden Vieh gegenüber jedoch gleichgültig
blieben, auf einer Kuh mitten in den Starenschwarm ritt
und dann zwischen die überlisteten Vögel sprang. Die
einfallsreiche Katze war offenbar superintelligent, doch
ihr Einfallsreichtum ist von der Art, die den Katzen einen
schlechten Ruf einbringt, beweist, daß sie »hinterlistige“
Wesen sind – kaum besser als die Menschen, die das
Trojanische Pferd erfanden und Attrappen benutzen, um
Enten vom sicheren Himmel herabzulocken.
Solche Geschichten werden zweifellos von stolzen
Menschen erzählt, denn Menschen waren die ersten, die
sich Katzen hielten. Haben wir schon berichtet, wie klug
Martini sich anstellte, als sie sich über den Zustand ihres
Katzenklos beschwerte? Das ist doch ein eindeutiger
Beweis dafür, daß Katzen denken können.
Der selige W.H. Hudson beobachtete einmal eine Katze,
die sich bis auf knapp zwei Meter an einen Vogel
heranschlich und dann urplötzlich ohne erkennbaren
Grund das Unternehmen aufgab und nach Hause ging. An
den Bedingungen hatte sich nichts geändert; Mr. Hudson
war überzeugt, daß die Katze es sich schlicht und einfach
anders überlegt hatte und dachte: »Zum Kuckuck, was tu
ich hier überhaupt? Sie fliegen ja doch immer weg.“
Voraussetzung dafür, daß sie es sich anders überlegen
konnte, ist das Vorhandensein von Verstand. Und es war
ebenfalls Mr. Hudson, der eine der niedlichsten KatzenAnekdoten erzählte. Diese kleine Geschichte ist so
-166-
köstlich, daß sie die Wiederholung wert ist, ganz gleich,
ob sie nun etwas beweist und ob sie nun wahr ist oder
nicht. (Mr. Hudson erfuhr diese Geschichte aus zweiter
Hand, und aus zweiter Hand stammen leider immer die
hübsche sten Katzengeschichten.)
Die Katze, von der die Geschichte handelt, war klein und
hatte fast ihr ganzes Leben in der Gesellschaft eines
Hundes verbracht. Die beiden kannten sich von
Kindesbeinen an. Als sie heranwuchsen, vertiefte sich ihre
Freundschaft. Die kleine Katze kommandierte den Hund
liebevoll herum, wie es in solchen Beziehungen üblich ist
-, schimpfte ihn dann und wann wegen seiner Dummheit
aus, verließ sich aber doch auf seine schützende Größe
und seine in den Augen einer Katze geradezu unheimliche
Kraft. Dann bekam die Katze Junge und stellte sie dem
Hund vor, wobei sie ihm zweifellos erklärte, daß er im
Falle ihrer Abwesenheit auf die Kleinen aufpassen müsse.
Doch zu einem Zeitpunkt, als die Jungen noch ziemlich
klein waren, wurde der Katze bewußt, daß ihr
Aufenthaltsort nicht gerade der sicherste war. Das stellen
Katzen immer wieder fest; für viele Katzen besteht die
frühe Zeit ihrer Mutterschaft aus einem einzigen langen
Umzug. Sie schaute sich in dem Haus um, das sie und ihre
Jungen und der Hund mit ein paar Menschen teilten, und
fand im Obergeschoß ein hübsches, verborgenes
Plätzchen. Sie fing an, ihre Kätzchen dorthin zu bringen,
und schon stand sie vor einem Problem: Sie war nun mal
sehr klein, und die Kätzchen waren zu unhandlich für den
Transport. Sogleich wandte sie sich an den Hund, der ohne
Zweifel groß genug war, um Kätzchen tragen zu können,
gebaut wie ein Möbelpacker unter den Hunden.
Sie führte den Hund zu ihrer Kiste in der Küche, zeigte
ihm die Kätzchen und lotste ihn dann zu dem neuen Ort,
den sie sich ausgesucht hatte. Daraufhin kehrte sie zurück
-167-
zu ihrer Kiste, hob eines der Jungen heraus, so gut sie
konnte, trug es zwei, drei Schritte weit, setzte es dann ab
und blickte vielsagend auf die Treppe, die sie würde
hinaufsteigen müssen. Der Meinung, ihr Anliegen klar
genug zum Ausdruck gebracht zu haben, begab sie sich
hinauf zu ihrem neuen Domizil und bereitete sich auf den
Empfang vor.
Der Hund begriff nicht sofort, was von ihm verlangt
wurde; die Katze wartete, doch er kam nicht mit den
Kätzchen. Sie suchte ihn, führte ihn zurück, erklärte ihm
alles noch einmal so geduldig, wie es einer Katze unter
solchen Umständen möglich ist. Und schließlich begriff
der Hund. Eines nach dem anderen nahm er die Kätzchen
behutsam hoch und brachte sie ins neue Nest. Wenn die
Katze nach dieser Begebenheit noch einmal umziehen
wollte, brauchte sie es ihrem Hund nur zu sagen, und
schon stand dem Transport nichts mehr im Wege.
Es ist eine liebenswerte Geschichte, wenn sie vielleicht
auch nicht ganz der Wahrheit entspricht. Sie enthält
jedoch
nichts
grundsätzlich
Unwahrscheinliches,
Intelligenz bei beiden Tieren vorausgesetzt. Auch Martini
ist eine sehr kleine Katze, auch für sie waren die Jungen
zu schwer zum Tragen; sie konnte sie nicht einmal
aufheben, wie es Katzen gern tun. Das Kätzchen, das sie
tragen wollte, schleifte immer teilweise über den Boden.
Wenn die Kleinen ausbüxten, versuchte sie immer wieder,
sie ins Nest zurückzutragen, aber nach den ersten paar
Malen hatten wir den Eindruck, daß sie es mehr oder
weniger nur noch symbolisch versuchte. Sie hob das
streunende Kätzchen auf, trat den Rückweg an und legte
dann eine Pause ein, um zu sehen, welcher Mensch sich
gerade in der Nähe aufhielt. Stets bekam sie die verlangte
Hilfe, und wir glaubten, daß sie sich mit der Zeit darauf
verließ. Es ist durchaus vorstellbar, daß sie sich einen
-168-
Hund ähnlich erzogen und sich auf ihn verlassen hätte,
wäre einer verfügbar gewesen.
Solche Geschichten überzeugten Mr. Hudson davon, daß
Katzen wirklich denken, und ähnliche Geschichten,
anhand von ein paar einfachen Experimenten
zusammengetragen, waren ähnlich überzeugend für
George J. Romanes, der 1883 eine der ersten
halbwissenschaftlichen Abhandlungen über Intelligenz
von Tieren veröffentlichte. Bei der Materialsammlung für
sein Buch fischte Romanes, wie er sich sinngemäß
ausdrückte, da er es für wünschenswert hielt, sein Netz
möglichst
weit
auszuwerfen,
im
Meer
der
Unterhaltungsliteratur wie auch in den Flüssen
wissenschaftlicher Schriften. Er zog dabei, wie Thornd ike
später meinte, manch seltsamen Fisch an Land.
Romanes' Studie ist, wenn auch in mancher Hinsicht
wegweisend, doch nicht ausschließlich wissenschaftlich
angelegt. Er forderte die Leute auf, ihm Geschichten über
ihre Haustiere zu schreiben oder zu erzählen, und es steht
außer Zweifel, daß er, insbesondere im Fall von Katzen
und Hunden, auf einer unwissenschaftlichen Grundlage
aufbaute, die seine Mitarbeiter – die alle erstaunlich kluge
Tiere kannten – keineswegs erschütterten. Erfährt man
zum Beispiel, daß es einmal eine Katze gab, die auf die
Feststellung hin, daß Vögel Brösel mögen, sich Brösel
besorgte und sie ausstreute, um damit Vögel für ihre
eigenen ruchlosen Zwecke anzulocken, kann man nicht
umhin, sich vom Scharfsinn dieser Katze beeindrucken zu
lassen. Romanes hatte von einer solchen Katze gehört,
doch sein Informant schilderte ihm leider nicht genau, wie
eine Katze es anstellt, Brösel auszustreuen. Er hörte auch
von einer anderen, die herausgefunden hatte, daß von
Menschen ausgestreute Brösel unter dem Schnee begraben
lagen. Sie scharrte sie frei, so daß sie sichtbar dalagen, wie
-169-
ein Mensch, der in einem strengen Winter Rehe füttert, um
den Wildbestand zu sichern.
Nur hin und wieder verfiel der Autor in
wissenschaftliche Nüchternheit. Es ist eindeutig schwierig,
so meint er pflichtschuldigst, doch ohne mit dem Herzen
beteiligt zu sein, im Falle der niederen Tiere zu
entscheiden, ob eine Handlung, die auf intelligente Wahl
hindeutet, nicht in Wirklichkeit doch reflexbedingt ist.
Spürbar glücklicher ist er, wenn er Geschichten von
Katzen und Bröseln nacherzählen darf, wenngleich zu
seiner Ehrenrettung gesagt werden muß, daß er im Fall der
bröselausstreuenden Katze leise Skepsis anklingen ließ.
Allerdings scheint er die Geschichte einer Katze
hinzunehmen, die gern Kaninchen jagte, einmal ein
schwarzes erwischte und es seinem Frauchen brachte, weil
sie offenbar klar erkannte, daß es sich um ein
außergewöhnliches Exemplar handelte, und vermutlich
hoffte, Frauchen hielte eine interessante Erklärung für
dieses Phänomen bereit.
Seine eigenen Experimente, nicht so aufwendig wie
manche später durchgeführte und sogar noch weniger
sorgfältig kontrolliert, waren ziemlich einfacher Art,
ausgeführt unter Verwendung von Bindfäden und Hebeln
und dergleichen, wobei Futter als Anreiz diente. Sie
brachten ihm die Überzeugung, daß Katzen hinsichtlich
des Begreifens mechanischer Geräte ein höheres Level
erzielen als irgendein anderes Tier, abgesehen vom Affen
und vielleicht vom Elefanten. Er war jedoch schlau genug
anzumerken, daß dies wohl zu erwarten wäre, da der Affe
mit den Händen, der Elefant mit seinem Rüssel und die
Katze mit ihren geschmeidigen Gliedmaßen und
beweglichen Krallen Instrumente besitzt, mit denen sich
kein anderes Organ in der Tierwelt recht vergleichen läßt.
Weniger schlau von ihm war es vielleicht, die Pfoten der
-170-
Katze als Instrumente zur Manipulation mit den Händen
des Affen zu vergleichen, doch dieser Fehler unterläuft
Tieren, die so an ihre Hände gewöhnt sind, daß sie sie
nicht mehr richtig einzuschä tzen wissen, ziemlich oft.
Ganz sicher ist es ein Fehler, den fast ausnahmslos auch
die Forscher in Romanes' Nachfolge begingen.
Romanes nahm allerdings zur Kenntnis, daß »die
größere Befähigung, die diese Tiere in ihrem Verstehen
mechanischer Vorrichtunge n an den Tag legen«, mit
größter Wahrscheinlichkeit auf die »Reaktion durch diese
Manipulationsorgane auf ihr Verstehen zurückzuführen
ist« eine Behauptung, die, keineswegs unlogisch auf den
Punkt gebracht, womöglich erklärt, warum es SuperAffen, aber keine Super-Katzen gibt. Und seine letztliche
Schlußfolgerung lautet immerhin, daß die Katze
hochintelligent ist, doch im Vergleich zu ihrem großen
Rivalen im Hausbereich, dem Hund, wird ihre Intelligenz,
da sie völlig anders ausgerichtet ist, häufig unterschätzt.
Zudem war er der Meinung, daß die Katze niemals in
erwähnenswertem
Maße
jenen
psychologisch
verändernden Einflüssen unterworfen war, durch die die
langwährende und enge Beziehung zum Menschen die
Psyche des Hundes so gravierend geprägt hat.
Diese Behauptung, die nicht nur hinsichtlich der
Grammatik Staunen hervorruft, ist auch psychologisch
verwirrend. Die Katze befindet sich ganz gewiß in
langwährender und enger Beziehung zum Menschen,
sofern man einen Zeitraum von vier Millionen Jahren als
langwährend zu bezeichnen gewillt ist. Warum sie nicht
jenen psychologisch verändernden Einflüssen dieser
Verbindung unterworfen war, wird nicht klar, es sei denn,
es liegt daran, daß sie Katze ist und nicht Hund. Diese
einfache Lösung ist für Psychologen nicht sehr attraktiv,
ganz gleich, ob sie sich mit Menschen oder Tieren
-171-
befassen, da sie impliziert, daß individuelle Unterschiede
durch die Umgebung bedingte Ähnlichkeiten überbieten
könnten – eine wissenschaftlich unbefriedigende
Behauptung. Keine Katze würde sic h dermaßen in Worte
verstricken.
Doch Romanes war ein Katzenfreund und dachte nur
Gutes über sie. Nathaniel Southgate Shaler war ganz
sicher kein Katzenliebhaber, und seine Beobachtung, daß
im Hinblick auf ihre Intelligenz die Katze offenbar fast
genauso hoch rangiert wie der Hund, enthält eine Spur von
Widerwillen. Ein wenig überraschend fährt er fort:
»Katzen sind sogar noch schneller als ihre Verwandten,
die Hunde, wenn es darum geht, die kunstvollen
Errungenschaften des Menschen zu verstehen; sie eignen
sich rasch die Gewohnheit an, Türen zu öffnen, die mit
Hilfe eines Riegels geschlossen werden, selbst wenn die
Kombination von starkem Druck auf den Griff und dem
Stoß, der den Vorgang zum Erfolg führt, erforderlich ist.
Solche Aktivitäten werden selten, wenn überhaupt, von
Hunden ausgeführt…
Bei der Betrachtung der unflexiblen Natur von Katzen
im Vergleich zu Hunden stellt der Naturforscher mit
Interesse fest, daß erstere zu einer Familie gehört, die nie
an ein geselliges Leben über die Grenzen ihrer Familie
hinaus gewöhnt war. Darüber hinaus pflegen alle Katzen
allein auf Jagd zu gehen, jede für sich, sowohl inbezug auf
die Bewerkstelligung als auch auf das Ergebnis. Mit
Hunden verhält es sich anders. Sie gehören zu einer
Gruppe, die in Rudeln jagt. Seit Urzeiten sind sie an
gemeinschaftliches Leben gewöhnt. Ihr Bewußtsein ist auf
sozialen Verkehr eingestellt; sie sind es gewöhnt, die
Aufregungen der Jagd in Kameradschaft zu erleben, und
sind ganz allgemein vertraut mit der rauhbeinigen
Bruderschaft, wie sie in einem Wolfsrudel herrscht.«
-172-
Der Naturwissenschaftler mag auch interessiert den
merkwürdigen Fall des Fuchses zur Kenntnis nehmen,
dessen Jagdgewohnheiten und Sozialverhalten eher
katzen- als hundetypisch sind und der dennoch
unverwechselbar zur selben Familie wie der Hund zählt.
Und seine Schlauheit ist sprichwörtlich. Interessant ist
auch, daß der Mensch, dem Geselligkeit oft als Zeichen
von Intelligenz erscheint, den zurückhaltenden Fuchs als
»hinterlistig« wie die Katze und als »schlau« bezeichnet.
Indirekt liegt eine Weigerung vor, der Loge beizutreten,
ganz gleich, ob die Divergenz nun von menschlicher oder
tierischer Seite stammt.
Dieser Vergleich von Katze und Hund, jeweils zum
Nachteil dessen, den der Forscher weniger mag, bildete
lange Zeit die Grundlage von Studien zur Intelligenz von
Tieren. Solche Studien erfolgen natürlich nur selten ohne
Voreingenommenheit, denn obwohl die menschliche Welt
keineswegs in Katzen- und Hundeliebhaber eingeteilt ist,
haben die meisten Menschen in dieser Hinsicht doch ihre
Vorliebe, welche bei manchen nahezu an Hysterie grenzt.
Selbst Dr. Wesley Mills, Physiologieprofessor an der
McGill Universität, hatte mit seiner Voreingenommenheit
zu kämpfen, als er um die Jahrhundertwende über einige
Monate hinweg Tag für Tag seine Beobachtungen einer
jungen Katze und eines Welpen aufzeichnete. Der
Verdacht liegt nahe, daß er im Grunde seines Herzens
Hunde bevorzugte, wenngleich wenige Forscher
einschließlich einiger berühmterer als er letztendlich die
Natur der Katze deutlicher erkannten.
Dr. Mills hatte zur Zeit seiner Versuche offenbar sehr
viel Zeit zur Verfügung, die er damit verbrachte, die
kleinen Tierchen zu beobachten. Zu einem bestimmten
Zeitpunkt öffnete die junge Katze die Augen; zu einem
bestimmten Zeitpunkt öffne te auch der Welpe die Augen.
-173-
Kätzchen und Welpe lernten beide, den Kopf in die
Richtung von Geräuschen zu wenden; sie lernten, ihre
Bewegungsabläufe zu koordinieren, sie erlernten die
Benutzung der Toilette, wie der Mensch sie bei Tieren
bevorzugt – oder auch nicht. Während dieses gesamten
Prozesses des Heranwachsens bewegten sie sich unter den
aufmerksamen Augen eines Physiologen, der nicht nur ein
qualifizierter
Tierarzt,
sondern
auch
noch
Humanmediziner war.
Über kurz oder lang fand er heraus, daß die Katze dem
Hund entsprechenden Alters in bezug auf die
Koordination angestrebter Bewegungsabläufe wie auch in
dem Tempo der Adaption an ihre Umgebung weit voraus
war – das heißt, in der Adaption an Dr. Mills und
hauptsächlich an Dr. Mills' Arbeitsraum, ganz zu
schweigen vom Katzenklo und einem Plätzchen unten auf
dem Bücherregal, das die Katze sehr liebte. Zu letzterem
Punkt bemerkt Dr. Mills mit nahezu übermenschlicher
Nachsicht, daß die Katze ausgeprägte Willenskraft,
intelligent zum Ausdruck gebracht, an den Tag legte. Als
seine Forschungsarbeit sich dem Ende zuneigte, war er zu
dem Schluß gekommen, daß die Katze schwer
mißverstanden und ihre Intelligenz weit unter schätzt wird.
Wenn Intelligenz darin besteht, die Mittel in mehr oder
weniger bewußter Weise einem Zweck anzupassen,
einschließlich der eigenen Adaption an die Umgebung, so
meint er, dann wird der Entwicklungsbericht über die
Katze zu diesem Thema auf großes Interesse stoßen. Unter
diesem Aspekt betrachtet sei die Katze in ihren ersten drei
Lebensmonaten tatsächlich dem Hund weit überlegen.
Fraglos waren Dr. Mills' Beobachtungen zu eng gefaßt,
um Verallgemeinerungen zulassen zu können. Womöglich
gerieten ihm rein zufällig nur eine besonders kluge Katze
und ein weniger kluger Hund in die Hände; schließlich
-174-
variiert bei beiden Arten der Intelligenzquotient ganz
erheblich zwischen den Individuen. Öder aber die Katze
war lediglich frühreif, ohne besonders überlegen zu sein,
oder dem Hund war das Beobachtetwerden peinlich,
wodurch er sich befangen fühlte. Doch was immer auch
Dr. Mills durch den Vergleich erfuhr: Er lernte eine
Menge über die Katze und wurde gewissermaßen zu ihrem
Verteidiger.
»Im Gegensatz zum Hund«, so schrieb er in seiner
Schlußfolgerung, »hat die Katze sehr wenig Beachtung
vom Menschen erfahren. Für diese Vernachlässigung gibt
es zahlreiche Gründe, zum Beispiel den in seiner
Bedeutung nicht zu unterschätzenden, daß Miez nicht
schmeichelt. Der Hund stellt sich auf jede Eigenart und
Laune seines Herrn ein, doch die Katze bleibt immer sie
selbst. Um sie einigermaßen verstehen zu können, muß sie
wie ein empfindlicher Mechanismus und überaus
freundlich behandelt werden. So verstanden, zeigt sich die
Katze keineswegs nur als vergleichsweise ungezähmte
Verkörperung gewisser mächtiger Instinkte.«
Doch Dr. Mills kam außerdem auch zu dem Schluß, daß
der Charakter des Hundes dem des Menschen bedeutend
näher ist als der der Katze, und diese Aussage sollte gewiß
nicht so misanthropisch klingen, wie sie verstanden
werden kann.
Etwa zur gleichen Zeit, als Dr. Mills sein Kätzchen und
seinen Welpen beobachtete und erfuhr, daß jeder, der
etwas von einer Katze erwartet, sie freundlich und zärtlich
behandeln muß, führte ein Psychologe, der in der
Folgezeit zu viel größerem Ruhm kommen sollte, eine
Reihe von Experimenten mit Katzen und anderen Tieren
durch. Seine Versuche basierten auf der schlichten
Voraussetzung, daß unter keinen Umständen ein besseres
Forschungsobjekt aufzutreiben wäre als eine hungrige
-175-
Katze. Der Wissenschaftler, der mit dieser nahezu
kindlichen Unbefangenheit in bezug auf seine Grundlagen
an das vorliegende Thema heranging, war Edward Lee
Thorndike von der Columbia Universität, dessen Beiträge
zur menschlichen Psychologie zahlreich und bedeutend
sind und dessen wissenschaftliche Methoden von einem
Laien vielleicht nicht hinterfragt werden sollten.
Dr. Thorndike führte seine Experimente im Jahr 1898
durch. Unseres Wissens waren sie die ersten, die sich auf
moderne wissenschaftliche Methoden stützten.
Zum Teil stellten sie eine Reaktion auf Romanes dar,
dessen anekdotische Herangehensweise er – zu Recht als
unwissenschaftlich empfand. Seiner Meinung nach
würden Menschen, wenn aufgefordert, Geschichten zum
Beweis von Intelligenz bei Tieren zu liefern, fraglos auch
mit solchen aufwarten. So würde man lediglich Berichte
von Tieren in Höchstform erhalten. Menschen sind nun
mal versessen darauf, bei Tieren Intelligenz festzustellen.
Das gefällt ihnen, bemerkt Dr. Thorndike mit Genauigkeit
und Bauernschläue.
Seine Schläue setzte sich bis zu einem gewissen Grad im
Konzept seiner Experimente fort. Er hatte Käfige
vorbereitet, aus denen ein Tier durch bestimmte
Manipulationen entkommen konnte – im einfachsten
Falle, indem es an einer Bindfadenschlaufe zog. Zog das
Tier an diesem Bindfaden und befreite sich, so wurde es
mit einem Leckerbissen belohnt. Dieser einfachen
Vorrichtung folgten Varianten, die durch größere
Schwierigkeitsgrade die Fähigkeit des Tieres zur
Anpassung an eine komplexere Umgebung testen wollten.
Dank solcher Kisten und zehn Katzen führte Dr.
Thorndike eine Reihe von Experimenten durch, die ihn zu
dem Schluß brachte, daß Katzen nicht denken, nicht
nachahmen, nicht überlegen; daß sie, wie andere Tiere
-176-
auch, überhaupt keine Vorstellungen oder Erinnerungen,
keine übergreifenden Ideen haben. Er fügte hinzu, daß
vielleicht die einzige Art von Assoziation bei Tieren in
den Sinneseindrücken besteht, die dank der erfolgenden
Befriedigung mit bestimmten Reizen verbunden waren.
Das, und nur das bewirkte ein bestimmtes Verhalten. Er
fand zum Beispiel heraus, daß eine Katze einen gewissen
Sinneseindruck von sich selbst hat, wie sie an einer
Schlaufe zieht, wie sie ihre Pfote an einem bestimmten Ort
sieht und ihren Körper auf eine bestimmte Art einsetzt.
Das Ergebnis: Futter.
Zu diesem und anderen Schlüssen kam er, indem er, was
die Katzen betrifft, eine bestimmte Befindlichkeit
sicherstellte: rasenden Hunger. (In einer späteren Ausgabe
seines Buchs zu diesem Thema bestritt Dr. Thorndike
einigermaßen empört, in dieser Beziehung gemeint zu
haben, was er doch ganz offensichtlich sagte. Katzen bei
»rasendem“ Hunger zu halten, wäre nicht, so versicherte
er einem entrüsteten Beschwerdebriefschreiber, dasselbe,
als sie verhungern zu lassen.) Wenn die betreffende Katze
hungrig genug war, wurde sie in eine Kiste gesteckt, aus
der sie herausfinden mußte. Die Zeit wurde gestoppt; war
das Problem gelöst, bekam sie zu fressen. Später dann
wurde die Prozedur wiederholt, die Zeit wurde
genommen, die Katze bekam zu fressen. Jede einzelne
Katze wurde zahlreichen Tests unterzogen, zunächst in der
einfachsten Kiste, und sobald sie ohne Schwierigkeiten
herausfand, wurde sie in eine kompliziertere Kiste
transferiert. Grundlage für Schlußfolgerungen war die
Zeit, die die Katze zum Entkommen benötigte. Falls zum
Beispiel nach einer gewissen Anzahl von Versuchen eine
Beschleunigung festzustellen gewesen wäre, hätte
Thorndike vermutet, daß das Tier zu diesem Zeitpunkt das
Problem begriffen hätte. Solche deutlichen Fortschritte
-177-
stellte er nicht fest.
An der Zeitkurve, so meint Thorndike, läßt sich wohl
recht gut das Fortschreiten der Assoziationsbildung
ablesen, denn die zwei Hauptfaktoren dabei sind das
Verschwinden jeglicher Aktivität außer solcher, die Erfolg
zeitigt, und die Perfektionierung dieser bestimmten
Handlung, bis sie exakt und willentlich erfolgt. Die
Kombination der beiden Faktoren verhält sich umgekehrt
proportional zur benötigten Zeit, vorausgesetzt, das Tier
will wirklich sofort hinaus. Das war durch das Ausmaß
des Hungers weitgehend sichergestellt. Das allmähliche
Absinken der Zeitkurven zeigt also das Fehlen von
Überlegung. Sie stellen praktisch das Austreten eines
Pfads im Gehirn dar, nicht die Entscheidung eines
rationalen Bewußtseins.
Was tatsächlich zu diesen Überzeugungen Dr.
Thorndikes führte, war schon ziemlich merkwürdig. Zum
ersten waren wohl die Katzen ziemlich merkwürdig oder
stark verängstigt -, denn während der Dauer der
Experimente zeigten nur zwei von zehn ein Verhalten, das
der Forscher folgendermaßen beschreibt:
»Wurde sie in den Käfig gesetzt, zeigte die Katze
deutliche Anzeichen von Unbehagen und den Impuls, aus
dem Gefängnis zu entkommen. Sie versuchte, sich durch
jede vorhandene Öffnung zu zwängen, sie kratzte und biß
in die Gitterstäbe oder den Maschen draht, sie steckte die
Pfoten durch jede beliebige Öffnung und schlug nach
allem Erreichbaren, sie setzte ihre Bemühungen fort, wenn
sie etwas Loses, Bewegliches berührte, sie kratzte an
eventuell im Käfig vorhandenen Gegenständen. Sie
schenkte dem draußen bereitgestellten Futter kaum
Beachtung und schien nur instinktiv auf ihr Entkommen
bedacht zu sein. Dabei kämpfte sie mit erstaunlicher
Energie. Acht bis zehn Minuten lang kratzte und biß sie
-178-
unaufhörlich
und
versuchte,
sich
irgendwo
hindurchzuzwängen.«
An genau diesem Punkt werden sich Menschen, die
Katzen überhaupt nur kennen, von Dr. Thorndike
verabschieden. Und auf weniger subjektiver Grundlage
haben sich auch diejenigen von Dr. Thorndike distanziert,
die seine Experimente wiederholten. Nach ihm ist es
niemandem jemals wieder gelungen, Katzen zu einem
solchen Verhalten gegenüber Kisten zu überreden, wie
Thorndikes Katzen es an den Tag legten – alle, bis auf
zwei. Eine von diesen beiden war »eine alte Katze«
tatsächlich aber erst anderthalb Jahre alt, a|so gerade der
Pubertät entwachsen -, und die andere war
»außergewöhnlich träge«. Beide Katzen schieden in einem
frühen Stadium der Versuchsreihe aus.
Und natürlich verhielten sich eben diese beiden Katzen
wie ganz normale Katzen, sofern sie nicht falsch behandelt
werden, denn es gibt kaum etwas, was einer Katze mehr
Spaß macht als eine Kiste und der Aufenthalt in einer
Kiste. Ihr Instinkt rät der Katze, nach Möglichkeit eine
Kiste zu finden, hineinzuklettern und den Deckel über
ihrem Kopf zu schließen, sich gemütlich niederzulassen
und sich zu putzen. So ziemlich das letzte, was eine Katze
anstrebt, ist, diese köstliche Kiste zu verlassen, in der sie
sich sicher und geschützt fühlt. So ziemlich das letzte, was
ein Wissenschaftler unternehmen sollte, ist, die Intelligenz
einer Katze an der Geschwindigkeit zu messen, mit der
das Tier etwas ausführt, was es gar nicht möchte.
Genau das hat Dr. Thorndike jedoch getan, und darauf
hat er seine Schlußfolgerungen aufgebaut. Carl van
Vechten, der natürlich im Hinblick auf katzenbezogene
Themen nicht unbedingt als gleichgültig bezeichnet
werden kann, nennt diese Schlußfolgerungen aufgrund
dieser und anderer Aspekte »völlig wertlos« und fügt
-179-
hinzu: »Das Experiment entspricht meiner Meinung nach
exakt dem Versuch, einen hungrigen, verängstigten
Cherokee-Indiander in einen Rolls-Royce zu setzen und
ihn in einer ihm unverständlichen Sprache aufzufordern,
den Wagen zu steuern, wenn er etwas zu essen haben
will.“
Zurückhaltender, aber in dieselbe Richtung deutend,
bringt ein späterer Wissenschaftler seine Ansicht zum
Ausdruck, daß Thorndikes Tierpsychologie, dem
Verhalten der Katzen nach zu urteilen, wie eine einzig aus
der Beobachtung von Diabetikern entstandene Physiologie
anmutet.
Was mit den Thorndike-Katzen nicht stimmte, wurde nie
genau eruiert; möglich, wenn auch unwahrscheinlich ist,
daß von seinen zehn Katzen acht einfach zufällig
hysterisch waren. Daß seine Katzen auffällig sonderbar
waren, legt schon die Tatsache nahe, daß nach seinen
Angaben Futter für sie alle das nötige Lockmittel war, um
sie zum Entkommen anzuregen. Zwar gibt er zu, daß die
meisten seiner Katzen, wenn sie sich in der Kiste
befanden, offenbar kaum Interesse für das Futter
außerhalb der Kiste zeigten, doch die Bedeutung dieser
Gleichgültigkeit entging ihm leider. Die Bedeutung liegt
nun aber darin, daß Nahrung, selbst wenn die Katze
überaus hungrig ist, gegenüber der Sicherheit immer, oft
auch gegenüber dem Wunsch nach Zärtlichkeit und hin
und wieder auch gegenüber dem Sauberkeitsdrang, eine
untergeordnete Rolle spielt. Daher ist Futter in
Experimenten ein reichlich fragwürdiges Lockmittel; man
ist versucht zu glauben, die Katzen wären bedeutend
schneller aus ihren Kisten geflüchtet, wenn Dr. Thorndike
lediglich versprochen hätte, sich davonzuheben.
Katzen in gesundem Zustand sind eifrige Fresser. Sind
sie sehr gesprächig, jammern sie sogar nach ihren
-180-
Mahlzeiten. Und doch läßt die Katze, die ihr Fressen am
dringendsten einfordert, es häufig stehen, wenn es ihr
vorgesetzt wird, um zunächst einmal nach möglichen
Gefahren Ausschau zu halten oder sogar nur eine
Streicheleinheit einzuheimsen. Wir kennen nicht eine
einzige Katze auch nur vom Hörensagen, die gefressen
hätte, wenn sie verängstigt war, was auf Thorndikes
Katzen wohl ausnahmslos zutraf. Viele Katzen erbrechen
Nahrung, die sie in wenn auch nur leicht nervöser
Verfassung zu sich genommen haben; kaum eine Katze
frißt an einem fremden Ort, bevor sie ihn nicht gründlich
überprüft hat. Daß Thorndikes Katzen das Experiment
nicht zum Abschluß brachten, indem sie durch
Hungerstreik verendeten, ist schon bemerkenswert; in der
Rangfolge ihrer Sehnsüchte kam Fressen wohl an letzter
Stelle.
Unfair wäre zu behaupten, die Katzen wären auf
irgendeine Weise mißhandelt worden, und in seiner
Fußnote bezüglich des »rasenden“ Hungers legte Dr.
Thorndike Wert darauf, Mißhandlung auszuschließen.
Nicht einer der zahlreichen Besucher in seinem Labor, so
sagt er, habe irgendeine Außergewöhnlichkeit oder etwas
Beklagenswertes im Verhalten der Tiere zur Sprache
gebracht. Hinweise auf Angst oder Schmerz wären nicht
zu erkennen gewesen.
Dennoch waren die Katzen eindeutig nach seiner
eigenen Schilderung während der Dauer der Experimente
in panischer Verfassung, und schon allein diese Tatsache,
ganz gleich, was ihr zugrunde gelegen haben mag, reicht
aus, die Ergebnisse seines Experiments zu widerlegen und
entsprechend seine Schlußfolgerungen in Zweifel zu
ziehen. Vermutlich war er einfach der falsche Mann für
den Umgang mit Katzen und wußte wahrscheinlich nicht,
was Dr. Mills meinte, als er mahnte, daß Katzen wie
-181-
äußerst empfindliche Mechanismen gehandhabt werden
müßten.
Immerhin schlug Dr. Thorndike selbst eine
weitergehende Erforschung des Katzenbewußtseins vor,
und zwar durch Menschen, die Katzen zu kennen meinen,
womit er womöglich gewisse Zweifel an seiner eigenen
Kompetenz andeutete. Und er hielt seine Ergebnisse auch
nicht für so aussagekräftig, wie sie seither eingeschätzt
werden.
Die Forschungen wurden weitergeführt und werfen
großenteils ein schräges Licht auf die Solidität der
Thorndikeschen Anfangsergebnisse. Dennoch war er ein
bedeutender Psychologe und warf einen langen Schatten,
besonders über das Laienverständnis von Intelligenz bei
Tieren. Sein Einfluß ist immer noch in zahlreichen
Werken über Katzen zu spüren; nahezu jeder vermutet
vage, daß Katzen Probleme haben, aus einer Kiste zu
flüchten, und daß sie es schließlich allein durch
Wiederholung einer erfolgsgekrönten Handlung lernen,
ohne eine »Vorstellung« von ihrer Handlungsweise zu
haben.
Nicht zu vergessen ist der Umstand, daß Dr. Thorndike
als Psychologe sich nicht in erster Linie für das
Bewußtsein nicht-sprachbegabter Tiere interessierte.
Anhand seiner Katzen – und seiner Hunde und Affen
suchte er nach Hinweisen auf das Funktionieren des
Bewußtseins als solches. Bleibt nur zu hoffen, daß seine
Methoden zum Beispiel bei Affen etwas geschickter
waren. Es sieht ganz so aus; Affen schneiden immer am
besten ab.
-182-
Elftes Kapitel
Katzen sind keine Affen
Betrachtet man nicht nur Dr. Thorndikes Test zur
Feststellung von Intelligenz bei Katzen, sondern auch die
nachfolgenden, überzeugenderen Versuche, darf man
einen wichtigen Umstand nicht außer acht lassen: Die
Tests sind im menschlichen Bewußtsein entstanden. Auch
mit dem besten Willen, und in diesem Bereich werden
Männer erster Güte gearbeitet haben, ist diese
Einschränkung nicht zu überwinden. Da wir Hände haben,
ist unser Denken auf Hände ausgerichtet, wie unser
Bewußtsein auch auf bestimmte Wünsche und bestimmte
Ängste ausgerichtet ist, die aufrechtgehenden, Werkzeuge
benutzenden Wesen angeboren sind.
Versuchen wir, uns vorzustellen, wie es bei vertauschten
Rollen wäre, wenn Katzen – natürlich Super-Katzen – die
Intelligenz des Menschen testen würden. Das ist
schwierig, denn, wie Mivart schon sagte, für einen
Menschen ist es schwierig, eine Katze zu werden. Wir
müssen von einer Annahme ausgehen, die vielleicht nicht
zutrifft: daß einer Super-Katze der Mensch erscheinen
müßte wie ein Tier, das gern eine Katze wäre, aber
natürlich nicht kann. Wenn eine Katze so dächte, würde
sie dem Menschen die Eigenschaften einer Katze
zuschreiben, den Menschen felinomorphieren. Wie der
-183-
Mensch voraussetzt, daß eine Katze aus einer Kiste
entkommen wollen muß, so mag eine Katze vermuten, daß
der größte Wunsch des Menschen – besonders, wenn
grolle Katzen in der Nähe sind – darin bestehen muß in
einer Kiste zu hocken. Dann können wir uns vorstellen,
daß die Experimente der Katze in einem großen Raum
oder Käfig, in dem sich ein kleinerer Raum befindet,
durchgeführt werden. Als weiteres Lockmittel würde in
dem kleineren Raum ein dicke, leckere Maus oder Ratte
hocken.
(Hier könnte eingewendet werden, daß wir zu weit
gehen, daß jede halbwegs intelligente Katze wissen würde,
daß die wenigsten Menschen Mäuse mögen. Und doch
wird den Katzen bei Experimenten als Anreiz meistens
Leber angeboten, obwohl bei weitem nicht alle Katzen
Leber mögen. Zwei von unseren gegenwärtig drei Katzen
verabscheuen Leber; Martini hält Leber für Abfall.)
Der zu testende Mensch würde in den größeren Raum
gebracht; der Erwartung der Katze gemäß mußte er dann
sogleic h versuchen, in den kleineren und zu der Maus zu
gelangen. Das würde er vielleicht nicht auf Anhieb
verstehen; womöglich kratzt er auf der Suche nach einem
Ausgang ergebnislos an den Wänden des äußeren Raums.
Der Katzen-Thorndike mit der Stoppuhr in der Hand
würde den Menschen für dieses Verhalten runterstufen,
doch wenn der Mensch sich einfach hinsetzte, um zu
überlegen, würde er wohl als »sehr alter Mensch« von
etwa achtzehn Jahren abgetan oder als außergewöhnlich
träge. Wir dürfen jedoch annehmen, daß einigermaßen
kluge Menschen verstehen würden, was von ihnen
verlangt wird – verständnisvolle Katzen-Forscher würden
ermutigend schnurren und Ratschläge in der
Katzensprache erteilen.
Nun also würde der Mensch als Zugang zum inneren
-184-
Raum keine Tür mit der üblichen, für menschliche Hände
leicht zu betätigenden Klinke finden. Stattdessen entdeckt
er vielleicht, nach ausgedehnter und anfangs erfolgloser
Suche, daß in die Wand zum inneren Raum Paneele
eingesetzt sind, die sich mit Krallen entfernen lassen
würden. Natürlich schließt dieses Paneel lückenlos mit der
Wand ab; da Katzen nicht greifen können, würden sie
keinen richtigen Halt finden. Vom Menschen würde
erwartet, daß er seine Fingernägel und vielleicht auch
Zähne in die Paneele gräbt und sie niederreißt, wie ein
höheres Tier, zum Beispiel eine Katze, in diesem Fall
vorgehen würde. Eine kluge Katze wäre darauf gefaßt, daß
er sich dabei nicht übermäßig geschickt anstellt. Trotzdem
aber würde die Katze denken wie ein Tier mit Krallen,
sofern wir von der Katze nicht eine unendlich höhere
Intelligenz erwarten als Menschen unter den gleichen
Umständen zu zeigen pflegen. Anders zu denken würde
ihr ungeheuer schwerfallen. Für die Super-Katze wäre der
Mensch weiter nichts als ein Wesen mit verkümmerten
Krallen, wie die Katze für uns ein Wesen mit in ihrer
Funktion beeinträchtigten Händen ist.
Irgendwann gelingt es dem zu testenden Menschen dann
vielleicht, die Paneele niederzureißen; vielleicht gelingt es
ihm sogar schneller als zum Beispiel einem Bären, die
kunstvolle Apparatur der Katze zu begreifen. Nun würde
von ihm erwartet, daß er durch die Öffnung springt, die
sich womöglich drei Meter über dem Boden befindet –
welche Katze kann nicht problemlos doppelt so hoch
springen? -, und sich auf die Maus stürzt. Aber wie
würden Katzen die Köpfe schütteln über die menschliche
Art des Mäusefangens! Wie würden sie ernst
zusammenfassend über die »unnützen Bewegungen« des
Menschen schreiben, über die Langsamkeit, mit der der
Mensch selbst nach wiederholten Versuchen lernt, über
-185-
die Gleichgültigkeit vieler Testpersonen gegenüber dem
Lockmittel, trotz ihres Zustands von äußerstem Hunger!
»Möglich ist«, würde der Katzen-Thorndike schließen,
»daß Menschen überhaupt keine Vorstellungen oder
Erinnerungen haben, keine Ideen zur Herstellung von
Zusammenhängen… lediglich gewisse Sinneseindrücke…
gewisse Impulse…«
Großen Katzen würden solche Fehler beim Testen von
kleinen Katzen natürlich nicht unterlaufen; SuperKatzen
würden ihre Erforschung nicht so weit entwickelter
Katzen scharfsinnig genug angehen. Und der Mensch ist
gewöhnlich klug genug, wenn es darum geht, Affen,
ebenfalls Wesen mit Händen, zu testen. Das ist vielleicht
der Grund dafür, daß die Menschen die Intelligenz der
nicht so weit entwickelten Menschenaffen gewöhnlich so
hoch einschätzen. L.T. Hobhouse, ein weiterer
renommierter Psychologe, war auch dieser Meinung, als er
1901 bemerkte, daß Affenintelligenz der Art von
Experimenten, die menschliche Intelligenz vorzugsweise
entwirft, eher gewachsen ist. Er deutet an, daß dies nicht
unbedingt ein Hinweis auf qualitativ überlegene
Intelligenz sein muß.
Hobhouse war einer der ersten Forscher, die sowohl
Thorndikes Methoden als auch seine Schlußfolgerungen
heftig kritisierten, teils auf der Grundlage der Logik, teils
auf der seiner eigenen Experimente. Hobhouse zweifelte
in erster Linie an der Gültigkeit der Hauptvoraussetzung,
auf die sich sein Vorgänger stützte: vereinfacht gesagt,
daß Intelligenz in umgekehrtem Verhältnis zu der Zeit
steht, die für das Erringen des Erfolges benötigt wird.
Mr. Thorndike scheint den zusammengepfuschten
Charakter seiner statistischen Methoden überhaupt nicht
zu erkennen, beobachtet Hobhouse anscheinend nur
mühsam beherrscht. Auch die Zeitkurven selbst versetzten
-186-
Hobhouse in Erstaunen; für ihn zeigten sie keineswegs
immer den allmählichen Fortschritt, den Thorndike zu
erkennen glaubte. Aber die Kurven waren, wie Hobhouse
erschöpft bemerkt, sehr schwer zu begreifen, und das
entspricht der Wahrheit.
Hobhouse, der selbst Katzen und auch Hunde hielt, war
sich der Individualität der Tiere bewußt und behandelte sie
gut, daher geriet auch keine seiner Katzen in Panik. Unter
den von ihm getesteten Tieren fand er keinen
maßgeblichen Unterschied in der Lernfähigkeit von
Hunden, Elefanten, Katzen und Ottern. Er kam zu
folgendem Schluß: Was die Tiere lernten, war nicht nur
eine bestimmte Reaktion auf einen bestimmten
Gegenstand, sondern das Bewirken einer bestimmten
Veränderung an dem Gegenstand als Mittel zur
Nahrungssicherung. Bei seinen Tieren ging es offenbar
nicht um die Abfolge »Pfote so, Körper so,
Erfolgserlebnis«, sondern um die Erkenntnis: »an der
Schnur ziehen, Erfolgserlebnis«, also um etwas wesentlich
anderes. Wenn der Blickwinkel stimmt, so sagte
Hobhouse, haben wir hier in grundsätzlicher Ausformung
das in die Tat umgesetzte Äquivalent der praktischen
Beurteilungsidee. Er glaubte, daß Tiere Erfahrungen
intelligent einsetzen, was so ziemlich die höchste
Anforderung an ein Wesen ist und mehr, als die meisten
vorweisen können. In seinem Kommentar zu Thorndikes
Feststellung, daß, wenn drei von acht Katzen lernen, aus
einem Käfig zu entkommen, drei von tausend Katzen in
einem Raum nach denselben Methoden vielleicht lernen,
eine Türklinke zu benutzen, zeigt er sich gleichzeitig
wachsam und trocken rational.
Das geschieht wahrscheinlich durch Herumspringen und
kratzen im ganzen Raum, schreibt Hobhouse und geht
dann der Sache auf den Grund: Die Antwort allerdings
-187-
lautet, daß tausend Katzen ihre Zeit nicht damit
verbringen, in einem Zimmer herumzuspringen und zu
kratzen.
In den Jahren nach Thorndike und Hobhouse fanden die
Katzen keine Ruhe; sowohl in den USA als auch anderswo
wurde weiter experimentiert. In Polen führte V. Teyrovski
Experimente durch und »bewies« selektive Imitation bei
Katzen, wie auch »praktisches Urteilsvermögen« und
»artikulierte Vorstellung«, alles, was Thorndike seiner
Überzeugung nach widerlegt hatte. C.S. Berry forschte im
Jahr 1908 und »bewies« ebenfalls, daß Katzen nicht nur
einander, sondern auch Menschen imitieren, und daß
Katzen nicht instinktiv Mäuse töten und fressen, sondern
es durch Imitation lernen. 1909 wiesen zwei Experimente
die Fähigkeit feiner Farbunterscheidung bei Katzen nach,
und 1915 fanden zwei weitere Beobachter heraus, daß
Katzen völlig farbenblind sind. 1928 schrieb Dr. Gates,
daß andere Forschungen schon morgen diese Theorien
kippen können, eine bemerkenswert gemäßigte
Behauptung, da es sich bei den genannten Theorien
vorwiegend um Thorndikes handelte und eine ganze
Anzahl von Leuten überzeugt davon waren, daß sie längst
nicht mehr galten.
1929 veröffentlichte Donald Keith Adams, beinahe als
hätte er Dr. Gates' Bemerkung gehört, die Ergebnisse von
in Yale durchgeführten Experimenten. Wenn auch
manches, was über die Unzulänglichkeit der KistenMethode gesagt wurde, auch auf diese Experimente
zutrifft, bringen sie unseres Erachtens doch mehr Licht in
die Frage nach dem Bewußtsein der Katze als andere. Mr.
Adams lagen die Erfahrungen seiner Vorgänger als Basis
vor, er brachte beträchtliche Hellsichtigkeit in seine Arbeit
ein, und seine Katzen mochten ihn. Sie mochten ihn trotz
ziemlich anstrengender Zeiten, die Katzen und
-188-
Wissenschaftler miteinander verbrachten, und trotz des
reichlich abscheulichen Futters, das ihnen verabreicht
wurde.
Adams' Absicht war, Thorndikes Experimente zu
überprüfen und auf ihrer Grundlage weiterzuforschen;
Adams benutzte achtzehn Katzen über einen Zeitraum von
zwei Jahren hinweg und hielt sie in einem umgebauten
Stall, wo sie auf dem nackten Boden schliefen, nichts,
nicht einmal ein Seil, zum Spielen hatten und als Futter
anfangs ein Gemisch aus Mehl, Wasser, Rindfleisch und
Knochenmehl,
Salz,
gesiebtem
Alfalfa-Schrot,
Brauereihefe und einem Trockenmilchprodukt bekamen.
Diese Zutaten wurden in Wasser gekocht und zu einer Art
fester Paste oder Teig mit relativ geringem Nährwert
verarbeitet. Später wurde aus Gründen, die nur Mr. Adams
bekannt sein dürften, noch Talg zu dieser wenig
schmackhaften Substanz hinzugefügt, die die Katzen
trotzdem fraßen. Hin und wieder kam noch Leber hinzu,
wenn etwas von den Experimenten übrig geblieben war,
und sie schien eine geheimnisvolle Eigenschaft über die
Anreicherung des Futters mit Erythrozyten und Vitaminen
hinaus zu besitzen. Die Zugabe von Leber machte dieses
Futter entschieden attraktiver für die Katzen.
Nichtsdestoweniger wollten die Katzen mit dieser Diät
nicht gedeihen, und gegen Ende des für die Experimente
angesetzten Zeitraums sah Adams sich gezwungen zu
berichten, daß die beschriebene Nahrung nicht länger
empfohlen werden könne, weil die Katzen die Räude
bekamen, Gewicht verloren und hier und da einfach
eingingen.
Die Katzen waren schlecht genährt und fühlten sich
nicht wohl, standen körperlich und emotional unter Streß –
und eine von ihnen zeigte, was sie von der ganzen
Angelegenheit hielt, als Adams ein Experiment zum
-189-
Nachweis der Ortsgebundenheit von Katzen durchführte.
Diese Katze wurde in einer Kiste an einen Ort zweieinhalb
Meilen vom Labor entfernt verbracht und mit Hilfe einer
durch eine Schnur zu betätigenden Vorrichtung
freigelassen, wobei Adams im Verborgenen zusah. Die
Katze verließ die Kiste, schaute sich etwa zehn Minuten
um – wahrscheinlich, um sicherzugehen, daß Adams sich
nicht unter irgendeinem Blatt versteckt hatte -, und machte
sich dann eilends im rechten Winkel zu der Richtung, in
der das Labor sich befand, aus dem Staub. Sie kam auch
niemals zurück und bewies damit eine ganze Menge
hinsichtlich der Intelligenz dieser einen Katze, wenn auch
nicht bezüglich ihrer Ortsgebundenheit.
Doch der Großteil der Unbilden, denen die Katzen
ausgesetzt waren, wurde von dem Zwang zur Sparsamkeit
diktiert, und es war kein Thorndike in der Nähe, der die
Unbequemlichkeit noch erhöhte. Adams war freundlich zu
seinen Katzen, er behandelte sie fair; es mag eingeschoben
werden, wenngleich der Forscher so etwas klugerweise
nicht erwähnt, daß er sie lieben lernte, und mindestens
eine von ihnen verliebte sich in ihn. Und nur eine von
achtzehn Katzen verhielt sich, als sie in eine Kiste gesteckt
wurde, in etwa so wie alle bis auf zwei von Thorndikes
Katzen. Die restlichen siebzehn Adams-Katzen benahmen
sich genau wie Katzen, mit Ausnahme von mindestens
einer, die sich aufführte wie ein kleines Genie.
Adams suchte und fand meistens auch Katzen, die wenig
Erfahrung mit einem geregelten Leben zu Hause hatten
und daher mit menschlichen Gerätschaften weniger
vertraut waren als die gut versorgte Hauskatze. Unsere
Gin zum Beispiel bewies, als wir in der Feriensiedlung bei
Brewster wohnten, daß sie wußte, die Bewegung der
Klinke an der Haustür ging unweigerlich dem Öffnen der
Tür voraus. Sie konnte die Klinke nicht wirkungsvoll aus
-190-
eigener Kraft erreichen, doch sie kam ihr stets so nahe,
wie sie es eben konnte, und schaute sie an und streckte die
Pfote nach ihr aus. In so ziemlich jedem von Menschen
erdachten Flucht-Experiment würde sie mit großem
Vorsprung an den Start gehen. Adams war bemüht,
derartig vorgebildete Katzen zu vermeiden. Er nahm auch
junge Katzen, die noch kaum Erfahrungen in einem wie
auch immer gearteten Leben gesammelt hatten.
Er studierte Zeichnungen der von Thorndike benutzten
Kisten und baute sie für seine eigenen Experimente nach,
sofern die Zeichnungen Aufschluß über die Bauweise
gaben – was nicht immer der Fall war. In eine der
einfachen Thorndike-Kisten wurde eine sechs Monate alte
Katze namens Ace gesteckt. Ihr Verhalten dort war im
allgemeinen typisch für die Adams-Katzen in ThorndikeKisten.
Sie strampelte nicht und schrie auch nicht in einem
Verzweiflungsanfall oder dergleichen. Zum ersten Mal in
dieser Kiste, blieb sie dort achtundzwanzig Minuten la ng,
von denen sie sechsundzwanzig damit verbrachte, zu
sitzen und sich umzuschauen, sich zu putzen und ganz
eindeutig den Umstand, in einer Kiste zu sein, gründlich
auszukosten. Zwei Minuten verlebte sie in nicht sehr
aufgeregter Beschäftigung, die zu absolut keinem
Ergebnis führte. Sie wurde aus der Kiste genommen. Nach
einiger Zeit wurde sie wieder hineingesetzt, setzte sich
mitten in die Kiste und schaute sich um. Dann wurden
Adams und die Katze gleichermaßen von einem lauten
Tumult unter den Affen im Obergeschoß erschreckt. Die
Katze rührte sich und griff durch die Gitterstäbe auf der
Vorderseite der Kiste nach dem Schüsselchen (mit dem
Anreiz-Futter), das versehentlich in ihrer Reichweite
stand. Sie warf das Schüsselchen um, zog es aber näher zu
sich heran, kratzte nach dem Futter und zog es, ohne das
-191-
Schälchen, durch die Gitterstäbe in die Kiste hinein. Dann
fraß sie das Futter.
Adams kam zurück, rückte das Schüsselchen mit Futter
außerhalb der Reichweite der Katze, und Ace versuchte
unverzüglich wieder, es zu greifen zu bekommen, gab
jedoch bald auf und saß fünf Minuten lang still in der
Mitte der Kiste. Dann stupste sie beiläufig nach der
Zugvorrichtung, verfing sich mit der Kralle in der
Schlaufe, öffnete die Tür und verließ die Kiste. Nach zehn
Versuchen – einmal griff sie über das Türchen und löste
den Riegel ohne Hilfe der Schlaufe, verließ die Kiste und
verbrachte dreißig Sekunden in offenbar nachdenklicher
Betrachtung der ganzen Apparatur – also, nach zehn
Versuchen verließ sie die Kiste immer dann, wenn sie Lust
dazu hatte. Das heißt, sie befreite sich gleich beim ersten
Versuch ohne unnütze Bewegungen, ohne Fummelei. Hin
und wieder verstrich ziemlich viel Zeit, bis sie einen
Versuch unternahm, manchmal kam sie aber auch sofort
heraus.
Ace wurde einunddreißigmal getestet. Sie hatte vier
»Fehlschläge« zu verzeichnen, das heißt, viermal machte
sie überhaupt keine Anstalten, die Kiste zu verlassen. Und
– sie hatte elf verschiedene Methoden. Soweit Adams es
beurteilen konnte, stellte sich kein Sinneseindruck von
Pfote in bestimmter Position, von diesen und jenen
Körperbewegungen ein. Sie bildete sich offenbar vielmehr
die Vorstellung vom Ziehen an einer Schlaufe. Zuerst zog
sie meistens mit dem Mäulchen an der Schlaufe, im
späteren Verlauf der Experimente benutzte sie eine Pfote.
Beim letzten Versuch in der Kiste zog sie die Schlaufe mit
der Pfote zum Mäulchen und vollführte dann noch einen
kurzen Ruck mit den Zähnen.
Gewöhnlich variierte Thorndike die Aufgabe, sobald
eine Katze endlich ein Problem gelöst hatte. Im
-192-
einfachsten Fall wurde die Kiste dahingehend verändert,
daß die Schlaufe an anderer Stelle hing, während die Tür
sich auf das Ziehen der Schlaufe hin nach wie vor von
innen öffnen ließ. Thorndikes Katzen taten sich ziemlich
schwer damit. Ace, im allgemeinen typische
Repräsentantin von Adams' Katzen, wurde eine Woche
nach erfolgreichem Abschluß der ersten Tests in eine
andere Kiste gesetzt. Beinahe sofort fand sie die Schlaufe,
zog daran, verlief die Kiste und fraß. In dieser Kiste wurde
sie dreiundzwanzigmal getestet und öffnete die Tür
jedesmal auf Anhieb – das heißt, sobald sie Lust hatte,
etwas anderes zu tun, als das Gefühl zu genießen, in einer
Kiste zu sein.
Eine Katze bekam einen Anfall, als sie in die Kiste
gesetzt wurde, zeigte sich auch danach weiterhin als
unzugänglich und wurde als unheilbar ausgesondert. Eine
weitere zeigte sich ähnlich psychotisch, strampelte panisch
in der Kiste herum und versuchte nach ihrer Freilassung
verzweifelt, aus dem Raum zu flüchten. Adam ging
hinein, sprach mit der Katze und streichelte sie. Daraufhin
fraß die Katze, die bis dahin das Lockfutter völlig ignoriert
hatte. Später lernte sie die Öffnung des Fluchtwegs aus der
Kiste schnell und gut und fraß das Lockfutter niemals,
bevor Adams nicht den Raum betreten hatte. Sobald
Adams hereinkam, unabhängig davon, ob er die Katze
streichelte oder nicht, fing die Katze an zu schnurren und
fraß und gab dabei unbewußt einen Kommentar über die
Motivation von Katzen ab.
Doch ein Kater namens Pete war Adams' Star. Pete
wurde in eine der vorbereiteten Kisten gesetzt, und wie
Ace saß er zunächst da und verbrachte mindestens zehn
Minuten mit einer, wie es dem Beobachter erscheinen
mußte, gemächlichen Inspektion der Lage. Dann faßte er
nach der Schlaufe, zog daran, sah zu, wie die Tür sich
-193-
öffnete, und ging hinaus. Mit noch sparsamerem Aufwand
hätte die Handlung nicht durchgeführt werden können,
bemerkte Adams dazu.
Drei Minuten später befand sich Pete erneut in der Kiste.
Er putzte sich. Dann griff er ohne jegliche Umschweife
nach der Schlaufe und verließ die Kiste. In vielen noch
folgenden Tests zog Pete stets an der Schlaufe und ging
hinaus. Manchmal war er fixer, manchmal nicht so
schnell, doch Thorndike hätte vergebens nach einer Kurve
gesucht, die anzeigte, daß sich langsam irrational ein
Muster in Petes Bewußtsein eingrub. Manchmal wollte
Pete sofort hinaus, dann wieder mußte er sich zunächst
einmal putzen – oder denken oder seinen Tagträumen
nachhängen. Wie Adams scharfsinnig beobachtete, mag
vielerlei auf die Unterschiede im Zeitaufwand Einfluß
genommen haben, die vielleicht mit Variationen des
Apparates,
mit
der
Menge
innewohnender
Befindlichkeiten, die wir gewöhnlich unter dem Begriff
Motivation
zusammenfassen,
mit
irgendeinem
unzugänglichen
und
nicht
zu
ergründenden
Bewußtseinsprozeß, der nicht in diese Kategorie fällt, oder
mit allem gleichzeitig zusammenhängen. Aber wenn Pete
raus wollte, wußte er stets, wie er es anzustellen hatte.
Die Katze, so behauptete Thorndike, überblickt eine
Situation nicht, und noch viel weniger denkt sie nach, um
dann zu beschließen, was zu tun ist. Adams schüttelt darob
den Kopf. Der Beschreibung des Verhaltens meiner
Katzen, sagt er, ist zu entnehmen, daß sie die Situation
überblickten und sehr wahrscheinlich auch überdachten
und dann beschlossen, was zu tun war. Das war viel eher
die typische Vorgehensweise als die Ausnahme. Eine von
seinen Katzen, Pete, tat außerdem genau das Erforderliche,
nachdem er die Situation zehn Minuten lang abgeschätzt
hatte. Vermutlich hätte Thorndike eine Katze, die zehn
-194-
Minuten lang untätig, lediglich um sich schauend, in der
Kiste gesessen hatte, herausgenommen und als
»ungewöhnlich träge« abgestempelt.
Durch die Wiederholung der Thorndike-Experimente
wurde Adams klar – und jeder, der von Adams'
Experimenten liest, schließt sich ihm an -, daß die
Schlaufe für die Katzen das Ding war, an dem sie ziehen
mußten, wobei es zweitrangig war, wie das Ziehen
bewerkstelligt wurde. Und das natürlich trifft Thorndikes
Theorie mitten ins Herz. Wenn die Katze über eine, ga nz
gleich wie, verschwommene Vorstellung darüber verfügt –
und Pete erschien nun keineswegs verwirrt -, wie sie durch
gewisse Handlungen eine gewünschte Veränderung
erzielt, dann darf ruhigen Gewissens behauptet werden,
daß sie »denkt«.
Adams ging zu anderen Experimenten über. Er
befestigte Leber in einer Kiste an einer Schnur, und die
Katzen mußten daran ziehen, um die Beute zu bekommen.
Den meisten gelang es; ein Kater namens Tom zog mit
den Pfoten an der Schnur und formte sie zu einer Schlaufe.
Diese Schlaufe nahm er ins Maul und zog dann wieder mit
den Pfoten nach, bis er das Futter gesichert hatte. Ein
solches Verhalten wäre beim Menschen gewiß als
absichtsvoll bezeichnet worden, und es führt kein Weg um
die Schlußfolgerung herum, daß auch der Kater
absichtsvoll handelte, meint Adams.
Der Forscher stellte einen Futternapf in eine Kiste und
befestigte eine Schnur daran, die außerhalb der Kiste
baumelte, so daß das Futter, wenn an der Schnur gezogen
wurde, in Reichweite kam. Diesem Test unterzog er Taps,
die mit der Schnur spielte und den Napf versehentlich
heranzog. Sie hielt inne, als sie die Bewegung des Napfes
vernahm, und betrachtete die Vorrichtung nachdenklich.
Nichts weiter passierte, und sie stapfte prüfend im Raum
-195-
umher. Im Vorbeigehen schlug sie nach der Schnur, und
wieder bewegte sich der Napf. Diesmal ging sie nach
einem Blick von nur zwei Sekunden auf die Leber zur
vergitterten Seite der Kiste und holte die Leber mit den
Pfoten heraus. Fünf Minuten später holte sie sich das
Futter unverzüglich, und in den folgenden Versuchen
benötigte sie nie mehr als zwanzig bis fünfundzwanzig
Sekunden dazu.
Auch eine Katze namens Chip lernte diesen Trick
bereitwillig. Dann komplizierte Adams ihn ein wenig; er
ließ drei Schnüre aus der Kiste hängen, und nur eine war
mit dem Futter verbunden, und zwar die einzige Schnur
von den dreien, die bisher nicht benutzt worden war und
daher auch keinen vertrauten Geruch ausströmte. Chip war
im Begriff, nach der ersten vertrauten Schnur zu greifen,
nahm sie aber nicht. Stattdessen richtete sie den Blick auf
das andere Ende der Schnur und nahm dann zielstrebig die
richtige, zog sie heraus und fraß die Leber. Dazu brauchte
sie fünfundzwanzig Sekunden. Chip arbeitete sich weiter
nach oben.
Adams unterzog einige seiner Katzen dem
Erinnerungstest, der schon auf verschiedene Tiere
angewendet wurde. Das zu testende Tier wird in einem
Käfig in die Mitte des Versuchsraums gestellt. In jeder
Ecke des Versuchsraums steht eine Kiste, und vor den
Augen des Tieres stellt der Versuchsleiter einen gefüllten
Freßnapf in eine der Kisten. Dem Tier sind ein paar
Minuten zum Überdenken der Situation gestattet, dann
wird es über eine Zeitspanne zwischen wenigen Minuten
und mehreren Stunden aus dem Raum genommen. Es wird
wieder in den Raum gebracht und freigelassen; sucht es
das Futter nun in der richtigen Kiste?
Bei den Versuchen mit Katzen fielen die Ergebnisse
unterschiedlich aus, doch viele von ihnen erreichten die
-196-
höchste Punktzahl, und viele von den Fehlschlägen, so
bekannte Adams hinterher, waren wohl eher seiner
Dummheit als der der Katzen zuzuschreiben. Adams war
ein außergewöhnlicher Forscher, bereit, Schuld auf sich zu
nehmen, bereit, Zugeständnisse zu machen. Über lange
Zeit hinweg versuchte er, ein Experiment auszuarbeiten,
das mit dem auf Affen angewandten vergleichbar wäre,
die – manchmal – lernten, Kisten zu verschieben und zu
stapeln, um an einen außer Reichweite aufgehängten
Köder zu gelangen.
Eine ganze Reihe von Forschern, so müssen wir leider
vermuten, würde annehmen, daß Katzen, wären sie
genauso klug wie Affen, ebenfalls Kisten stapeln könnten.
Als die Katzen versagten, schrieben sie den Fehlschlag
ihrer Dummheit zu. Adams allerdings war bewußt, daß ein
Fuß ungenügender Ersatz für eine Hand ist. Adams
arbeitete lange und sorgfältig an der Herstellung von
Bedingungen, die der Katze gegenüber dem Affen gleiche
Chancen im Hinblick auf das Stapeln von Kisten
einräumten, konnte letztendlich aber nicht den
gewünschten Erfolg verzeichnen. Das Ergebnis bleibt
offen; jedem Katzenbesitzer steht es frei, seine Katze
diesem Experiment zu unterziehen. Doch es ist schwer, so
zu denken wie ein Wesen ohne Hände: Affen schneiden
immer am besten ab.
Wie viele andere Forscher auch in den Jahren, als
Katzen extensiv in psychologischen Experimenten
eingesetzt wurden, bezweifelte Adams, daß die
angeborene mentale Unterschiedlichkeit von Katze und
Affe so groß ist wie allgemein angenommen. Er glaubte,
daß die Grenzen der Adaption von Katzen womöglich den
von Primaten, ja sogar von Anthroiden erbrachten
Leistungen viel näher sind als bislang vermutet. Hin und
wieder stellte er sogar fest, daß seine Katzen in
-197-
Vorgehensweise und Zeitaufwand mit Kindern
vergleichbar sind, die häufig ähnlichen Tests unterzogen
werden dabei aber gewöhnlich nicht auf dem nackten
Boden einer Scheune schlafen oder bei einer Diät aus
Mehl, Alfalfa-Schrot und Talg ihr Bestes geben müssen.
Nach einigen mit Katzen verbrachten Jahren hatte
Adams sich eine gute Meinung von ihnen gebildet. Er
schrieb ihnen, wie nur wenige vor ihm, fortgesetzte
Umsetzung erprobter Vorstellungen, gewöhnlich Nutzung
deutlicher Vorstellungen und gelegentlich, aber selten,
Nutzung freier Vorstellungen zu; er neigte zu der
Annahme, daß Katzen, da die Häufigkeit freier
Vorstellungen Ergebnis einer Reihe von Assozia tionen ist,
solche Vorstellungen in ihrer gewohnten Umgebung, von
der sie zahlreiche Assoziationen haben, wahrscheinlich
viel selbstverständ licher anwenden, als aus ihrem
Verhalten unter experimentellen Bedingungen geschlossen
wer den kann. Er glaubte, bei einigen seiner Katzen die
Wahrnehmung von Ähnlichkeit in der Verschiedenheit zu
erkennen, womit sie auf der Schwelle zur Schlußfolgerung
und damit zum rationalen Denken stehen würden.
Katzen wurden zudem getestet, um die Frage nach ihrem
Heimfindungsinstinkt zu klären – mag sein, daß sie einen
hoch entwickelten kinesthetischen Instinkt besitzen, den
primitiven Muskelsinn, der Experimenten zufolge bei
vielen Tieren von entschieden größerer Empfindlichkeit ist
als beim Menschen, oder aber der Heimfindungsinstinkt
hat auf irgendeine geheimnisvolle Art eine elektronische
Grundlage. Katzen wurden kopfüber fallengelassen, damit
sie unter Beweis stellten, daß sie sich umdrehten – dank
der
Nutzung
ihres
Schwanzes?
dank
der
Gleichgewichtsorgane
in
ihrem
Innenohr?
Die
Wissenschaft interessiert sich oft für äußerst
geheimnisvolle Dinge und nimmt gelegentlich einiges auf
-198-
sich, um etwas zu beweisen, was nie in Frage gestellt
wurde.
Keine ausgefeiltere Reihe von Experimenten an Katzen
wurde je durchgeführt als die im Jahr 1929 und den ersten
vier Monaten von 1930 unter der Leitung von Audrey M.
Shuey mit zweiundachtzig jungen Katzen im Tierlabor der
psychologischen Abteilung der Columbia Universität.
Nach Miss Shueys Meinung lag die Schwäche früherer
Experimente darin, daß zu wenig Katzen verwendet
wurden, und sie benutzte eine Menge; sie fand die
früheren Tests ziemlich vom Zufall beeinflußt, wogegen in
ihren nichts dem Zufall überlassen blieb. Ihre Tests
wurden nämlich elektronisch gesteuert, was den
Menschen, sofern sie nicht gerade auf dem Land leben,
unfehlbar erscheint.
Ihre Vorrichtung bestand aus zwei ineinander gestellten
runden Käfigen. Das Lockmittel befand sich im inneren
Käfig. Im Boden des Rundgangs zwischen den Käfigen
waren in regelmäßigen Abständen drei leicht erhabene,
aber ansonsten nicht unterscheidbare Platten eingelassen.
Je nach Laune des Versuchsleiters öffnete Druck auf eine
oder mehrere dieser Platten – wenn mehr als eine
betroffen war, dann in erkennbarer Reihenfolge – ein
Türchen im inneren Käfig und somit den Zugang zum
Futter.
Zu
verschiedenen
Zeitpunkten
wurden
fünfundvierzig
Jungkater
und
siebenunddreißig
Jungkatzen, alle zu Beginn des Experiments zwischen acht
und neun Wochen alt, in diese Vorrichtung gesetzt,
während Miss Shuey, wahrscheinlich mit den Gedanken
bei ihrer Promotion, zuschaute.
Nachdem mit ein paar Tieren vorweg experimentiert
worden war, wurde beschlossen, daß die Testreihe
folgendermaßen ablaufen sollte: Zuerst würde der Zugang
zum Futter sich bei Druck auf eine beliebige Platte öffnen,
-199-
dann bei Druck auf zwei beliebige und schließlich bei
Druck auf alle drei. Die Kätzchen hatten für jeden Test
fünf Minuten Zeit; Versagen wurde durch halbstündiges
Einsperren ohne Zugang zum Futter geahndet. Eine ganze
Reihe von Kätzchen unternahm in den ersten fünf Minuten
zunächst einmal gar nichts; eine gewisse Anzahl versagte,
indem sie nur dasaß oder sich putzte, mit dem Schwanz
spielte, nach Schatten jagte, herumsprang, sich wälzte, an
den Wänden entlangstrich. Sie zeigten auch die Neigung,
von Zeit zu Zeit einzuschlafen, ein Verhalten, das die
Versuchsleiterin verärgerte.
Doch sie alle erlernten die ersten drei Schritte. Die
Anzahl der benötigten Versuche zum Erlernen der ersten
Stufe – auf eine beliebige Platte zu drücken reichte von
neun bis 136, die zweite Stufe beanspruchte zwischen
einem und siebzig Versuchen, die dritte von einem bis 121
Versuchen.
Die
große
Unterschiedlichkeit
der
verschiedenen Lernkriterien wurde von einigen wenigen
individuellen Tieren stark erhöht, bemerkt Miss Shuey ein
bischen mürrisch. Und sie schreibt auch noch:
»Unter den Jungkatzen fand sich keine, die einen Schritt
›plötzlich‹ erlernte, in dem Sinne, daß auf einen ersten
Zufallstreffer eine Reihe von perfekten Vorstellungen
folgte. In wenigen Fällen gab es jedoch die geringe Anzahl
von sechs bis zehn zufälligen Erfolgen, denen dann eine
Reihe von fünf bis neun gelungenen Versuchen folgte. Bei
diesen Gelegenheiten war der Blick der Katze stets auf die
innere Tür gerichtet, wenn sie zufällig auf die Platte traten
und dabei sahen, daß die Tür sich öffnete.«
Der letzte Satz sollte eigentlich kursiv gedruckt werden,
wenngleich Miss Shuey seine Bedeutung, zumindest
typographisch, wohl nicht anerkannte. Offenbar hat die
Katze doch, wenn sie etwas mit dem Fuß tut und
gleichzeitig in einiger Entfernung etwas passieren sieht
-200-
und beides in Verbindung bringt, eine Schlußfolgerung
gezogen. (Man darf nicht vergessen, daß Katzen keine
Erfahrungen mit Fernbedienungen haben. Die Vorstellung
von in Raum oder Zeit entfernten Beziehungen ist das
Ergebnis der Fähigkeit des Menschen, solche Beziehungen
mechanisch herzustellen.) Anscheinend versehentlich stieß
Miss Shuey, vielleicht sogar ohne es zu bemerken, auf ein
ziemlich bemerkenswertes Beispiel von Deduktion im
Bewußtsein der Katze. Ihr erschien es verständlich, daß
Katzen schneller lernen, wenn sie sehen, was geschieht,
und genauso war es. Es war verständiges Verhalten seitens
der Katzen. Miss Shuey war allerdings, sofern ihre
Veröffentlichung
ihre
Schlußfolgerungen
richtig
wiedergibt, gleichermaßen interessiert an dem Umstand,
daß achtzig Prozent ihrer Katzen mit den Vorderpfoten auf
die Platten traten oder lediglich hinübergingen,
wenngleich schwer zu erkennen ist, was diese Tatsache
über Katzen aussagt, abgesehen davon, daß sie ihre
Vorderpfoten am vorderen Teil ihres Körpers trägt. Einige
Katzen setzten sich natürlich auch auf die Platten.
Um alle drei Schritte der ersten Testreihe zu erlernen,
benötigten drei Katzen von einundzwanzig bis zu drei ßig
Tests, vierzehn von einundfünfzig bis achtzig, siebzehn
von einundachtzig bis 120, vierzehn von 121 bis 170, drei
von 181 bis 230 und ein armer Trottel 271. Nachdem sie
so weit fortgeschritten waren – auf die Zurückgebliebenen
wartete Miss Shuey nicht – wurden die Kätzchen etwas
komplizierteren Tests ausgesetzt: Um an das Futter zu
gelangen, mußten sie zuerst auf alle drei Platten treten und
dann auf eine von den beiden nicht zuletzt berührten; dann
auf alle drei und noch einmal auf zwei; schließlich auf
sechs, wieder ohne unmittelbare Wiederholung. Für die
Übriggebliebenen wurde dann mit jedem Test noch eine
Platte hinzugefügt, bis es, um auf Stufe zwölf an das
-201-
Futter heranzukommen, notwendig gewesen wäre, jede
Platte viermal zu berühren. Diese Aufgabe meisterte
keines der Kätzchen, zwei jedoch, beiderlei Geschlechts,
brachten es bis auf elf Platten. Eines gab mitten im
Geschehen die ganze Sache auf und jagte lieber seinen
eigenen Schwanz, eine irgendwie doch vernünftigere
Beschäftigung.
Danach wurde von den Kätzchen – inzwischen waren sie
Katzen, und zwar Katzen mit einer merkwürdigen
Weltsicht – verlangt, in bestimmter Reihenfolge auf die
Platten zu treten, und auch in diesem Test erwiesen sich
die individuellen Unterschiede als sehr groß. Auch bei
diesen Versuchen brachte es ein Pärchen weiter als die
anderen. Drei von den vier klügsten Katzen waren Kater;
die Weibchen erzielten bei den grundlegenden Tests einen
besseren Durchschnitt; die Versuchsleiterin fand keine
Rangübereinstimmung zwischen den grundlegenden und
den späteren, komplizierteren Tests.
Nie im Leben, so könnte man meinen, ist auf
ausgefeiltere Art und Weise der Beweis erbracht worden,
daß manche Katzen klüger sind als andere. Was sonst
noch bewiesen wurde – außer versehentlich der Tatsache,
daß Katzen offenbar Ursache und Wirkung in Beziehung
setzen können -, ist nicht ganz klar. Es ist gewissermaßen
interessant zu erfahren, daß Intelligenz bei Katzen genauso
variiert wie bei Menschen: ganz oben ein paar Genies,
ganz unten ein, zwei Idioten, in der Mitte die statistische
Schwemme, zu der auch die meisten von uns gehören. Es
ist lehrreich zu erfahren, daß die Wissenschaft, ähnlich
einem kleinen Kätzchen, hin und wieder ihren eigenen
Schwanz jagt…
Von allen Versuchsreihen erscheinen uns die von Adams
als die produktivsten. Fraglos lassen wir uns mehr von
wissenschaftlichen Beweisen von Intelligenz bei Katzen
-202-
beeindrucken als von Beweisen in umgekehrter Richtung.
Das liegt zum Teil daran, daß wir Katzen mögen, zum Teil
aber auch daran, daß wir eine ganze Menge Katzen
kennen, die uns so ziemlich alle intelligent vorkamen. Die
Katzen unserer Bekanntschaft ähnelten in fast jeder
Hinsicht Adams´ Katzen und nicht Thorndikes; in diesem
Punkt findet unsere Beobachtung überwältigende
Unterstützung in allem, was von Menschen, die Katzen am
besten kannten, über Katzen geschrieben wurde. Der
Mensch weiß am besten Bescheid über das, womit er am
meisten zu tun hat, und gewöhnlich hat man nicht viel zu
tun mit einem Tier, das man nicht mag.
Wir können viel über die Intelligenz kleinerer Affen
erfahren, und diese scheint im großen ganzen der unseren
zu gleichen. Das Bewußtsein der Katze ist vor uns
abgeschirmt, und die Barriere zwischen dem ihren und
dem unseren mag, wie Mr. Adams bereitwillig zugab,
gleichermaßen von unserer Dummheit wie auch von der
der Katze errichtet werden. Wir können nur vermuten, daß
die Katze anders denkt als wir, und nicht nur deshalb, weil
die Katze weniger denkt. Sie kann sich auf uns einstellen,
und in diesem Einstellen erhaschen wir vielleicht einen
vagen Blick auf das, was in ihrem Bewußtsein vor sich
geht. Es kann jedoch auch durchaus so sein, daß von den
zwei Welten, in denen die Katze lebt, die unsere die
geringere ist und die Katze in ihr nur einen kleinen Teil
ihres Bewußtseins nutzt, um sich in ihrer eigenen Welt
voll auszuleben. Dort zeigt sie sich vielleicht in ihrem
vollen Glanz, nicht aber vor Zweibeinern, die sie zwar
mag, denen zu gefallen sie sich jedoch keine übermäßig
große Mühe gibt.
Nicht einmal dieses letztere, eines der Dinge, die alle
Menschen über Katzen »wissen«, ist endgültig sicher. Hin
und wieder, wenn Martini dasitzt und uns aus runden, für
-203-
ihren Kopf viel zu großen Augen anschaut, wenn sie ein
wenig blinzelt, während wir ihren Namen aussprechen,
wäre es ein Leichtes, etwas wie Anbetung in ihrem
Bewußtsein zu unterstellen. Würde ein Hund uns so
ansehen, bestünde gar kein Zweifel. Falls Martini
überhaupt einmal »anbetet«, dann mit dem Gefühl einer
Art Losgelöstheit, beinahe der Erhabenheit. Das hat mit
praktischen Dingen nichts zu tun; als Tier unter Tieren
wird sie sich weiterhin verhalten, wie es ihr paßt, nicht,
wie wir es wünschen. Ihre Haltung ist vielleicht die eines
Philosophen.
Es wäre überaus erfreulich, glauben zu können, daß
Martini uns so betrachtet; wenn eine Katze einen
Menschen bewundert, dann muß mehr hinter diesem
Menschen stecken, als auf den ersten Blick sichtbar wird.
Aber auch wir können nicht in ihr Bewußtsein vordringen.
Wir sind nicht so dumm, sie nach menschlichen Standards
zu testen. Leider kennen wir aber auch keine anderen.
Martini lebt in unserer Welt, doch in die ihre können wir
nicht eindringen.
-204-
Zwölftes Kapitel
Ein, zwei, viele Kätzchen
Ein Hauptanliegen allen Tierlebens ist die Reproduktion,
um die Welt mit Hunden, Kaninchen, Kühen und
Kartoffelkäfe rn zu füllen, und manche dieser Tiere
bringen dabei auf geradezu lächerliche Weise
Rekordleistungen zustande. So ziemlich jedes Lebewesen
würde, in Ruhe gelassen, zur einzigen Spezies werden und
allen verfügbaren Raum besetzen, alles an Nahrung
verzehren, bis keine Lösung außer Kannibalismus mehr
übrigbliebe. Katzen sind ganz besonders interessiert an der
Vermehrung von Katzen, und sie machen auch keinen
Hehl daraus. Ihre Liebesbeziehungen sind von
heißblütiger Gewalttätigkeit und viel Geschrei geprägt;
wenn Super-Katzen Liebeslieder schreiben würden,
berichteten sie alle von den dunklen Verzweiflungen der
Liebe, aber nie von ihren schönen Seiten.
Einmal unternahmen wir eine Wanderung über Land,
und einige Meilen begleitete uns ein Rudel Hunde, das
zufällig denselben Weg hatte. Unter der Vorhut befand
sich eine schöne, recht selbstzufrieden wirkende Hündin,
und neben ihr trabte ein ansehnlicher, großer Rüde, der
ebenfalls nicht gerade unzufrieden mit sich selbst aussah.
Hinter diesen beiden, offensichtlich einem Liebespaar,
-205-
folgte eine Ansammlung von großen und kleinen Hunden
jeder Rasse und Mischung, und ganz am Ende, etwa eine
Viertelmeile hinter den anderen, rannte, keuchend trotz
des kühlen Tages, der kleinste von allen, ein zerzaustes
Restchen der Gattung Hund, dem alle anderen um Längen
voraus waren.
All diese Hunde trabten in Freundschaft miteinander
einher, obwohl sie, getrieben von demselben Wunsch, im
Grunde Rivalen waren. Der erwählte Rüde störte sich
nicht an den Verfolgern, die Verfolger störten sich nicht
aneinander und versuchten auch nicht, das Objekt ihrer
Sehnsucht auf irgendeine Weise zu belästigen. Es war die
freundschaftlichste Massenwerbung, die man sich
vorstellen kann, und außerdem natürlich ein bischen
absurd. Zwar war es nett, diese Fröhlichkeit und
Kameradschaft zu beobachten, und dennoch fehlte in dem
Schauspiel die dramatische Besessenheit, die Menschen
gern in Herzensdingen vorgeführt bekommen. Außerdem
fehlte jegliche Spur von Anstand und Würde.
Müßte eine Katze Zeugin einer solchen Liebesparade
werden, wäre sie bis in die innersten Fasern ihres
gewalttätigen Herzens schockiert. Für eine Katze hat
Liebe nicht das geringste mit Friedfertigkeit zu tun;
Gruppenwerbung ist undenkbar. Wie es das Ziel der Katze
ist, die Welt mit Katzen zu füllen, so richtet sich das
Bestreben des Katers darauf, so zu leben, daß er der
einzige Kater auf der Welt sein wird, und diesen Ehrgeiz
zu stillen, ist er jederzeit bereit. In Anwesenheit einer
paarungsbereiten Katze würde jeder Kater bereitwillig
zum Mörder aus Liebe; er duldet keinen einzigen Rivalen.
Auch kann nicht der geringste Zweifel aufkommen,
wenn ein Weibchen paarungsbereit ist. Wie bei den
meisten vierfüßigen Tieren und im Gegensatz zum
Menschen ist diese Bereitschaft in der Katze nicht ständig
-206-
gegeben, sondern überkommt sie von Zeit zu Zeit. Ein
paar ruhige Katzen befällt diese Empfängnisbereitschaft,
wenn so ein mildes Wort für eine derartige Leidenschaft
überhaupt benutzt werden darf, nur ein paarmal pro Jahr.
Andere Katzen erleben sie häufiger, so daß sie, wenn nicht
unter Kontrolle gehalten, ununterbrochen Junge
bekommen – oder zumindest so ununterbrochen, wie eine
Schwangerschaft von dreiundsechzig Tagen es gestattet.
Und einige wenige, die allerdings den Tierarzt aufsuchen
sollten, sind fast ständig rollig oder, um es etwas höflicher
auszudrücken, empfängnisbereit.
Katzen kennt man erst richtig, wenn man einmal eine
Woche oder zehn Tage mit einem Weibchen auf
Partnersuche zugebracht hat. Dann zeigt sie ihr wahres
Gesicht, was empfindlichen Menschen geradezu peinlich
werden kann. Daß alte Jungfern gern Katzen um sich
haben, was tatsächlich auf viele zutrifft, zeigt, daß sie im
Grunde viel härter im Nehmen sind als Nicht-Enthaltsame
gewöhnlich vermuten. Jemand, der mit einer nicht
sterilisierten Katze oder einem nicht kastrierten Kater lebt,
lernt die harten Fakten des Lebens zwangsläufig kennen.
Kein Tier, abgesehen vielleicht vom Menschen, wenn er
völlig enthemmt ist, kennt so wenig Zurückhaltung wie
ein Katzenweibchen, wenn es ihr in den Sinn und in jede
Faser ihres Körpers kommt, daß es Zeit ist, Mutter zu
werden. Gestern noch war sie so ein munteres Ding,
dachte an nichts als an Jagerei, Fressen, ein bischen
Spielen und eine Menge Schlaf sowie etwas Zärtlichkeit
von Seiten des Menschen. Heute ist sie keineswegs mehr
fröhlich; heute ist die geballte Düsternis ihrer Rasse in ihre
Seele eingedrungen, mitsamt all der Entschlossenheit, die
ihre Rasse so zäh macht. Heute ist sie von Verlangen
getrieben, sie wälzt sich wie wahnsinnig auf dem Boden
und vollführt andere Bewegungen, die vielleicht nur
-207-
beobachtet, nicht aber beschrieben werden sollten.
Und dann ruft sie, wie man so sagt – wie man sagt mit
der angelernten Untertreibung höflicher Umgangsformen,
derer der Mensch sich bedient, um die Natur
umzugestalten und in den Bereich guten Benehmens zu
pressen. Sie ruft nicht unablässig, wenn sie rollig ist.
Selbst dann geht die Katze auch noch anderen
Beschäftigungen nach – sie schläft, aber äußerst wenig,
gewöhnlich, wenn auch nicht immer, frißt sie, fast immer
trinkt sie Wasser. Zu solchen Zeiten uriniert sie auch sehr
häufig und zwar trotz ihres Trainings beinahe überall, wo
es ihr paßt. Und sie streift im Kreise in einem Zimmer
herum, als wäre sie eine Tigerin im Käfig, und soweit sie
es versteht, ist sie tatsächlich eine Tigerin. Immerzu im
Kreis herum läuft sie, und dann, an einem bestimmten
Punkt des Kreises, bleibt sie stehen und schreit.
Ihr Schrei ist wild und nahezu angsteinflößend. Obwohl
man sie kennt, weiß, daß sie selbst jetzt eine sanfte Katze
ist, die ihre Krallen dem Menschen zuliebe einzieht,
schaudert man unwillkürlich, besonders, wenn sie bei
Nacht schreit, in die Dunkelheit hinaus. Dieser wilde, aufund abschwellende Schrei, dieser verzweifelte Schrei
stammt aus der Finsternis des Urwaldes und hallt wider
aus der Finsternis menschlicher Ängste. Als wir noch auf
Bäumen hockten und unsere Greifschwänze um den
nächsten Ast schlangen, müssen solche Schreie,
mannigfach verstärkt, oft genug den Urwald erfüllt haben.
Dann machten sich die kleinen Affen wahrscheinlich noch
kleiner, duckten sich vor einem allzu gut bekannten
Monster und vor einer Wildheit jenseits ihres
Verständnisses. Noch immer peinigt dieser Schrei auf
geheimnisvolle Art, auch wenn er nur von den
Wohnzimmerwänden einer Stadtwohnung widerhallt, die
Ohren des Menschen, und nicht nur aufgrund seiner
-208-
Disharmonie. Dieser Schrei ist unbeschreiblich wild; er
erinnert uns an unsere Zahmheit, an unsere bereitwillige
Hinnahme, vielleicht auch an unsere oberflächliche
Reaktion auf Dinge von äußerster Wichtigkeit. Eine
Katze, die ruft, lebt bis zum Exzeß und macht fraglos
Lärm bis zum Exzeß, aber sie lebt ihr Leben weiß Gott
voll aus oder versucht es zumindest. Und jedes Männchen
innerhalb der Reichweite ihres Rufs weiß, wo sie ist und
was sie will, und die Kater sammeln sich – fauchend,
bereit zum Kampf, der der Verzückung vorausgeht -, um
ihr Begehren zu stillen.
Handelt es sich um eine Mietwohnungskatze, ist ihr Ruf
vielleicht zwischen Wänden gefangen, und nur die
Nachbarn reagieren auf ihr Begehren, allerdings indem sie
an die Decke klopfen oder mehr oder weniger höflich
telefonisch anfragen, ob man nicht irgendwas – ganz
gleich, was – gegen diese Katze unternehmen könnte. Die
Katze aber gibt nicht auf, solange sie rollig ist, und das
scheint manchmal eine Ewigkeit zu dauern. Sie weiß, daß
es Kater auf der Welt gibt, allein schon die Dringlichkeit
ihres Verlangens versichert sie dieser Tatsache, auch wenn
sie im Leben noch kein Männchen zu Gesicht bekommen
hat. Die Zweifel des Menschen kennt sie nicht. Höchste
Erwartungen stellen die Existenz des verlangten Objekts
außer Frage. Irgendwo auf der Welt, soviel weiß die
Mietwohnungskatze, gibt es noch eine Katze, ihr ähnlich
und doch wieder nicht, der es gegeben ist, ihre Sehnsucht
zu stillen.
Martini pflegte in der New Yorker Wohnung
umherzustreifen, schrie mal am Fenster, mal an der Tür.
Als sie noch sehr unerfahren war, schrie sie manchmal
auch einen ihrer Menschen an, als wollte sie sagen: Ihr
habt mir schon so viel Erfreuliches gegeben, da könnt ihr
mir doch sicher auch dies geben, ohne das ich sterben
-209-
muß. Hier vor euren Augen, fügte sie dann noch hinzu,
legte sich hin und wand sich auf dem Teppich. Wir, die
wir zu der Zeit keine Jungen wollten und außerdem
wußten, daß sie zu jung für die Mutterschaft war, konnten
nur mit ihr reden – was ihren Zustand noch
verschlimmerte – und mußten jede Berührung vermeiden,
weil es sie in ekstatische Krämpfe versetzte, was bei
Weibchen in diesem Zustand üblich ist.
Gegen Ende ihres erwartungsvollen Lebensabschnittes,
bevor sie endlich ihre Jungen bekam und dann auf
chirurgischem Wege von ihrem Verlangen erlöst wurde,
fand sie ein Mittel, das von ihrer Seite zwar klug
eingesetzt war, uns und den Leuten, die über uns wohnten,
jedoch das Leben noch schwerer machte. Martini verlegte
ihr Schreien ins Badezimmer, aus dem wir sie nicht
fernhalten konnten, da der Riegel nicht funktionierte. Von
den gekachelten Wänden und den Armaturen hallten ihre
Schreie unglaublich laut wider, und durch die Lüftung
drangen sie in die Stockwerke über uns und sicherlich
auch in einen beträchtlichen Teil der Stadt. Oft dachten
wir, auf dem Dach müßten dicht an dicht die fauchenden
Kater sitzen, zumal Martini mit ihrer siamesischen Stimme
noch lauter und verzweifelter schrie als eine
Durchschnittskatze. Was das Schreien einer Katze in der
Nacht bedeuten kann, weiß
man erst richtig, wenn man eine rollige Siamkatze
gehört hat.
Auf dem Lande stellte Martini im Grunde ein noch
größeres Problem dar. Wenn wir schon junge Kätzchen
bekommen sollten – und Martini erweichte uns ziemlich
schnell -, dann wollten wir Kätzchen von Martinis Art,
wenngleich wir Jerry und Pammy gekannt und geliebt
hatten, die hybride Siamkatzen waren. Das bedeutete, daß
wir einen Partner für Martini aussuchen mußten, was
-210-
wiederum bedeutete, daß sie während ihrer rolligen
Phasen im Haus gehalten werden mußte selbst auf die
Gefahr hin, daß es uns alle drei umbrachte. Diese Zeiten
waren voller Verzweiflung, und hin und wieder entwischte
Martini doch. Allerdings fingen wir sie jedesmal wieder
ein, bevor ein Kater sich ihr nähern konnte. Jedenfalls
waren wir wie auch sie entnervt, wenn sie rollig war, und
als sie irgendwann anfing, fast ständig rollig zu sein,
waren wir fast ständig entnervt.
Auf dem Lande lockte sie natürlich Kater an, die dann
vor der Tür saßen und zurückschrien. Einmal hätte sie sich
um ein Haar einen ihrer Wahl gesichert. Ein großer falber
Kater sprang auf den Holzstapel vor dem geschlossenen
Fenster, durch das Martini in die Welt hinaus schrie. Er
betrachtete sie, erschrocken entweder über ihre
Erscheinung oder aber ihre Stimme, und kletterte aufs
Dach. Martini war völlig aus dem Häuschen. Wild, mit
neuer Verzweiflung schreiend, sprang sie auf den
Kaminsims und versuchte von dort aus verbissen, durch
die Decke zu ihrem Kater zu gelangen. Kurz nach diesem
Vorfall, der ein gewisses Gefühl der Beschämung in uns
hinterließ, arrangierten wir ein Treffen für sie mit einem
ausgewählten
Kater,
sozusagen
unter
rechtlich
abgesicherten Bedingungen.
Wer unkastrierte oder nicht sterilisierte Katzen hält,
muß, ganz gleich, ob auf dem Land oder in der Stadt, auf
ein Leben gefaßt sein, in dem das Geschlechtsleben der
Katze eine beträchtliche, wenn nicht eine Hauptrolle
spielt. Zugegeben, Martini war gewalttätiger als andere
rollige Katzen – sie war und ist eine Katze, die alles sehr
ernst nimmt, und hatte außerdem Zysten an den
Eierstöcken, die der Grund dafür waren, daß sie so selten
Pause hatte. Doch auch die normalste und sanfteste Katze
ist nahezu genauso entschlossen – sie will Junge haben,
-211-
und damit basta.
Ein unkastrierter Kater stellt ein Problem oder eine
Reihe von Problemen dar, die nicht unbedingt einen
solchen Einschnitt im Leben mit sich bringen, dafür aber
anhaltender sind. Das Hauptproblem und auch das
schwierigste besteht darin, daß ein Kater, ob eingesperrt
oder nicht, Duftmarken setzt, im Haus an Wänden und
Türen, draußen an allem, was sich ihm bietet. Das
geschieht, indem er sich der Stelle rückwärts nähert und
Urin von strengem unverkennbaren Geruch verspritzt,
womit er vermutlich andere Katzen beiderlei Geschlechts
davon in Kenntnis setzen will, daß er in der Nähe ist,
bereit zur Liebe oder zum Kampf. Diese Angewohnheit
wie auch der Umstand, daß die Toilette eines Katers
genauso stinkt, macht die Haltung eines Katers in der
Stadtwohnung äußerst schwierig; alles riecht nach Katze,
wie Leute feststellen, denen nie aufgefallen ist, daß die
meisten von Katzen und Menschen bewohnten
Wohnungen überhaupt nicht nach Katze riechen.
Weibchen, ob sterilisiert oder nicht, und kastrierte Kater
hinterlassen keinerlei Gerüche. Ihre Exkremente stinken
natürlich, doch darin bilden sie keine Ausnahme.
Der Kater in einer Wohnung ist zudem so wild
entschlossen herauszukommen, daß er gewöhnlich jeden
bis auf den unbeugsamsten Menschen herumkriegt – und
unbeugsame Menschen sind gewöhnlich nicht von der Art,
die Katzen mag. Napoleon zum Beispiel hallte Katzen fast
bis zum Wahnsinn. Ist der Kater erst einmal draußen in
der Stadt, kommt er zurück, wann es ihm paßt, meistens
spät in der Nacht, und die Gefahr, ihn durch einen Unfall
zu verlieren, ist entsprechend groß. Freilich kommt er
nicht nach Hause, um Junge zu bekommen; es kann aber
auch sein, daß er gar nicht zurückkommt.
Unser Pete war etwa anderthalb Jahre unkastriert und
-212-
äußerst unternehmungslustig. Wir liefen ihn meistens nach
draußen, wenn seine Forderung unerträglich wurde, was
fast immer der Fall war – und monatelang saß er dann| auf
der Treppe, wenn wir spät am Abend aus dem Theater
kamen, dem wir damals unser Berufsleben ge widmet
hatten. Dann saß er eines Abends nicht auf der Treppe,
und unser Rufen brachte ihn nicht zurück, auch der
nächste Tag nicht. Vierzehn Tage lang blieb er aus, und
wir hatten schon die Hoffnung aufgegeben. Doch dann,
eines Nachmittags, kam er zurück – ein schwarzer
Schatten, der die Treppe hinaufhuschte und an der
Küchentür kratzte, um kurz mit Elizabeth zu schimpfen,
die sich nicht genügend beeilt hatte, ihn hereinzulassen,
um Unmengen zu fressen und dann unverzüglich in einen
tiefen Schlaf zu sinken. Sein Aussehen ließ vermuten, daß
er die ganzen zwei Wochen lang nichts gefressen hatte,
doch wir zweifelten nicht daran, daß er gehörig auf den
Putz gehauen hatte. Nach diesem Erlebnis waren wir
erstmalig, wenn auch sehr widerwillig, dazu bereit, eine
Katze ihrer Geschlechtskraft zu berauben.
Wir taten es keineswegs bereitwillig und überhaupt erst
nach langen, betrübten Überlegungen. Einer von uns hatte
oft genug gesagt, daß er niemals die Verantwortung für
das Kastrieren oder Sterilisieren einer Katze auf sich
nehmen würde, der andere, gemäßigtere, war seiner
Meinung. Die Theorie traf auf die Umstände, und die
Theorie zog den kürzeren – und natürlich der Kater
namens Pete. Doch Pete hatte noch viele, meist glücklich
verbrachte Lebensjahre vor sich; er war ein hinreißendes
Haustier und zum Schluß eine gehörige Portion von Kater.
Unsere inzwischen besiegten Skrupel teilten wir mit
vielen Katzenbesitzern, für die das Problem entschieden
dringender ist als für Hundehalter. Eine Hündin kann
eingesperrt werden, wenn sie heiß ist, und wenn es ihr
-213-
auch nicht gefällt, wird sie doch wenigstens nicht schreien.
Ein Rüde geht seinen Geschäften einigermaßen leise nach
und riecht nicht anders als sonst, was für eher an Katzen
gewöhnte Menschen durchaus reicht. Ein Hundebesitzer
stellt sich also nur hin und wieder dieser
zugegebenermaßen beträchtlichen Verantwortung oder
auch nicht.
Das Geschlechtsvermögen anzutasten, bedeutet im
Grunde nichts anderes, als das Leben selbst anzutasten
und das Gemeinschaftsleben, das wir – größtenteils
unbewußt, aber tief empfunden – als unendlich viel höher
einschätzen als das individuelle, da es von Dauer ist im
Gegensatz zum vergänglichen des Individuums. Die Angst
vor Impotenz und in geringerem Maße sogar die Angst vor
Sterilität ist dem menschlichen Bewußtsein tief
eingegraben; vielleicht gibt es nichts, was noch tiefer geht.
Insbesondere beim Mann ist der Verlust der Potenz extrem
gefürchtet; genauso wie die Angst ums Leben nimmt der
Soldat diese verwandte Angst mit in die Schlacht. Viele
Männer würden lieber sterben als vorzeitig zu Eunuchen
werden, oder glauben es zumindest, und das in hohem
Maße ohne Rücksicht darauf, ob sie tatsächlich Kinder
zeugen wollen oder von heftigem Verlangen getrieben
werden. Es geht lediglich um das grundsätzliche
Imstandesein.
Vielleicht, weil das körperliche Risiko einer solchen
Beeinträchtigung geringer ist und auch aus anderen
naheliegenden Gründen sind Frauen dieser schleichenden
Angst weniger stark ausgesetzt. Doch im Mitleid, das zum
Teil aus Verachtung für zu Neutren gewordene Personen
beiderlei Geschlechts besteht, halten sie es wie die
Männer; der Eunuch ist gleichzeitig eine tragische und
eine komische Gestalt und weckt zudem eine
unbehagliche Verlegenheit.
-214-
Aufgrund seiner starken, tief im Unterbewußtsein
verwurzelten emotionalen Beteiligung in diesem Punkt
zögert der Mensch, anderen Tieren das Schicksal
aufzuerlegen, das er selbst so fürchtet. Dieses Zögern ist
bewundernswert in seinem Ausdruck von Menschlichkeit,
wenn es auch natürlich nicht so weit gehen darf, daß es
wichtigeren Dingen in die Quere kommt, wie zum
Beispiel menschlichen Nahrungsquellen, wovon jeder
Stier, bevor er reif für die Schlachtbank ist, ein Liedchen
singen kann. Dieser Haltung zu entrinnen kann sehr
schwer fallen; noch heute sind wir manchmal traurig, weil
Martini keine Jungen mehr bekommen kann, und weil Gin
und Sherry niemals Mutter waren und es auch nie sein
werden. Allerdings wissen wir, daß diese nachträglichen
Skrupel sentimental und anthropomorph sind.
Als bedauerlich sentimental und anthropomorph sind sie
zu bezeichnen, weil sie unseres Wissens auf einer völlig
irrtümlichen Annahme beruhen. Wir vermuten, daß die
Katzen einen schweren Verlustschmerz, unwiderrufliche
Frustration empfinden, wie es Menschen unter ähnliche n
Bedingungen ergehen würde. Unbewußt stellen wir uns
vor, Martini würde kummervoll nostalgisch an frühere
Tage denken und verzweifelt über ihre jetzige
Einschränkung nachdenken; Gin und Sherry wären sich
unglücklich bewußt, etwas verpaßt zu haben, wenn sie
auch nicht recht wüßten, was. Und das stellen wir uns vor,
nicht etwa weil die Katzen uns Anlaß zu der Vermutung
geben, sie würden grübeln und bekümmert sein, sondern
weil wir es einfach nicht restlos aus unserem
menschlichen Bewußtsein verbannen können, daß Katzen
dem Menschen so ähnlich sein müßten, wie sie es eben
hinkriegen.
Die Auswirkungen einer Kastration oder Hysterektomie
auf Katzen sind dagegen im Grunde genommen meistens
-215-
nebensächlich. Beim Kater treten sie deutlicher zutage als
bei der Katze. Der Kater wird, besonders wenn er in
jungen Jahren kastriert wurde, wahrscheinlich fett und
dadurch ein bischen träge. Er mag auch eine etwas
eunuchenhafte Erscheinung annehmen. Das kann zu einem
großen Teil umgangen werden, wenn man sich die oft
gewaltige Mühe macht, einen kastrierten Kater nicht zu
überfüttern, doch zweifellos erscheint der kastrierte Kater
in seiner gesamten Struktur weicher. Manchen Katern
steht es gut zu Gesicht, und solange das Tier nicht restlos
überfüttert ist, schadet es seinem Äußeren auch kaum.
Weitere Veränderungen sind geringfügig; man könnte den
Eindruck gewinnen, daß die Stimme sich ein bischen dem
Sopran annähert, doch abgesehen von Siamkatzen sind die
meisten Katzenstimmen sowieso eher im Sopran
angesiedelt. Die Katze jagt weiterhin mit dem gleichen
Eifer wie zuvor, in Petes Fall nahezu ununterbrochen. Sie
kämpft weiterhin gegen andere Katzen, die ihr über den
Weg
laufen,
und
auch
Kater
kämpfen
unverständlicherweise weiter, wenn ihr Einsatz auch eher
auf eine Rauferei als auf ein tödliches Duell schließen läßt.
Frei von der Beschäftigung mit dem Geschlechtsleben
bleiben sie verspielt, weit über die Zeit hinaus, da der
unkastrierte Kater solch kindisches Verhalten längst
abgelegt hat, und wahrscheinlich sind sie insgesamt
einfach sanfter. Pete war schon vor seiner Operation ein
sanfter Kater und blieb es auch hinterher, obwohl er zu
den wenigen Katzen unserer Bekanntschaft zählte, die im
Spiel mit Menschen nicht so recht auf ihre Krallen achten.
Einige von Petes besten Freunden mußten sich das Blut
von der Hand wischen, mit der sie ihn am Bauch gekrault
hatten, was er sich überaus gern von Menschen gefallen
ließ. Sie hielten ihn trotz allem für einen prachtvollen
Burschen, der er ja auch war; sie spielten in dem Wissen,
-216-
was passieren würde, gern weiterhin mit ihm. Sie nahmen,
wie wir auch, an, daß er lediglich ein bischen vergeblich
war.
Nach unserer nicht unbeträchtlichen Erfahrung mit
sterilisierten Katzen stellten sich keine Veränderungen ein,
die nicht sowohl für die Katze als auch für uns von Vorteil
waren. Martini, die während der letzten Monate ihres
Lebens als rollige Katze einem Nervenzusammenbruch so
nahe war, daß sie unberechenbar wurde und sich ständig
elend fühlte, ist jetzt so fröhlich wie ein junges Kätzchen,
und sie spielt auch wie ein Kätzchen. Sie geht auf die
Jagd, kämpft, wenn nötig, und hat weniger Sitzfleisch als
die meisten Katzen, obwohl sie zur Entstehungszeit dieses
Buchs schon fast fünf Jahre alt ist. Sie ist schwerer als vor
der Sterilisation, teilweise weil sie gedrungen gebaut ist,
und teilweise weil wir drei Katzen zusammen füttern und
sie, wenngleich die kleinste, genauso viel frißt wie die
anderen.
Die anderen beiden, die in jungen Jahren sterilisiert
wurden, zeigten überhaupt keine Beeinträchtigung,
abgesehen
von
der
gewünschten.
Sie
sind
außergewöhnlich gesunde Katzen, haben kaum Fett am
Leibe und sind, insbesondere Gin, schlank und muskulös,
wie es eine Siamkatze nur sein kann. Durch Toben bauen
sie die Energie ab, die sie sonst auf Schwangerschaften
verwandt hätten. Sie wirken überschwenglich und auf
unschuldige Weise glücklich, außer wenn sie nicht zur
gewünschten Zeit nach draußen dürfen oder sich
zerstritten haben.
Unserer Meinung nach ist die sterilisierte Katze die
ideale Gefährtin. Weibchen sind ganz allgemein irgendwie
übersprudelnder als Männchen, auch anmutiger in ihren
Bewegungen; uns kommen sie anhänglicher vor und,
wenn uns dafür auch keine Beweise vorliegen, ein
-217-
bißchen intelligenter. Das sterilisierte Weibchen wirkt
befreit, freier zweifellos, weil es der zwingenden
Verpflichtung entbunden ist, die Welt mit Katzen zu
füllen.
Denn diese Zwänge, die die Katze treiben, verhindern,
wie auch immer die düsteren Ekstasen geartet sein mögen,
die sie kennt, auch die volle Entwicklung ihrer
Persönlichkeit. Nahezu unweigerlich verbringt sie ihre
Zeit, sofern sie nicht unter Kontrolle gehalten wird, in
einem Strudel von Verlangen, dann in einer
ausgedehnteren Phase der Schwerfälligkeit und Plumpheit,
gefolgt von einer kurzen Phase oft größter Schmerzen, und
schließlich hängen ihr dann die Jungen am Schwanz, wenn
sie schon längst wieder bereit ist, von vorn zu beginnen,
und junge Kätzchen können einer Romanze sehr
hinderlich sein. Die Mutterkatze hat wenig Zeit für sich
selbst – um eine freie Katze mit zuckendem Schwanz zu
sein, um holterdipolter über den Rasen zu springen, um
wie ein Kaninchen durchs hohe Gras oder eine Schicht
von Herbstlaub zu hüpfen, um mit der Pfote sanft nach
einer Zinnie zu stupsen, damit sie schaukelt. Eine
Mutterkatze hat ihr festes Arbeitspensum, und vielen sieht
man es auch an, wenn sie reichlich mürrisch und hager
wirken wie Menschenfrauen, die sich zu eifrig der
Aufgabe gewidmet haben, die Welt zu bevölkern.
Abgesehen von der Kastration gibt es unseres Wissens
keine Lösung für einen Kater, der entweder ganz oder gar
nicht Kater ist. Ein Weibchen kann auf chirurgischem
Wege sterilisiert werden, ohne sein Geschlecht
einzubüßen, doch dadurch entgehen sie und ihre
menschlichen Gefährten lediglich der Geburt von Jungen,
die doch – zumindest in den Augen der Menschen – das
einzig Positive sind, was bei der ganzen Prozedur
herauskommt. Dann wäre es schon vernünftiger, der Natur
-218-
ihren Lauf zu lassen.
Vielen Menschen, die gern Katzen um sich haben,
erscheint dies jedenfalls als die klügere Einstellung.
Menschen, die es nicht über sich bringen, eine Katze ihres
wenn auch noch so lästigen erfüllten Lebens zu berauben,
oder die unbegrenzt Platz für Junge haben oder aber keine
tiefverwurzelten Skrupel, die nicht unterzubringenden zu
töten, oder die Katzen als Nutztiere halten und denken, je
mehr Katzen, desto besser, all diese bevorzugen es
vielleicht, der Katze ihr Geschlechtsleben zu lassen. Wer
sich lediglich mit Freunden in Katzengestalt umgeben
möchte, wird es natürlich anders sehen; wer nicht
wünscht, daß seine Katze oder Katzen einen
unverhältnismäßig großen Teil seiner Zeit in Anspruch
nehmen, wird es anders sehen. Da ist es besser, seine
Skrupel zu überwinden, mit dem Vermenschlichen
aufzuhören und den Tierarzt zu rufen.
Sowohl Männchen als auch Weibchen können zu
beinahe jedem Zeitpunkt operiert werden, selbst, falls es
unvermeidlich sein sollte, wenn das Weibchen rollig ist.
Wenn sonst nichts dagegen spricht und der Besitzer sich
dazu entschließen kann, operieren die meisten Tierärzte
die Katzen lieber, solange sie noch jung sind, wenngleich
die Veränderungen eines jung kastrierten Katers
manchmal deutlicher zutage treten als bei einem im
ausgewachsenen Alter operierten. Martini wurde im Alter
von etwa zwei Jahren, ihre Töchter mit ungefähr sechs
Monaten sterilisiert – nachdem sie übrigens beide schon
einmal rollig gewesen waren. In Martinis Fall war die
Operation unumgänglich, wurde ausgeführt, als sie gerade
rollig war, und rettete ihr letztendlich das Leben. Ihre
Töchter wurden aus Gründen unserer Bequemlichkeit
sterilisiert, wenngleich sie schon frühzeitig Symptome der
Zystenerkrankung gezeigt hatten, die ihrer Mutter für fast
-219-
ein Jahr das Leben zur Hölle gemacht hatte. Wie sich
herausstellte, wäre auch für Gin und Sherry die Operation
unumgänglich gewesen; weibliche Siamkatzen, vielleicht
auch nur die aus der Umgebung von New York, scheinen
ungewöhnlich anfällig für Eierstock-Zysten zu sein.
Die Operation des Katers, ganz gleich in welchem Alter,
ist nicht besonders schwer, sofern sie von kompetenten
Händen ausgeführt wird. Katzen neigen gewissermaßen zu
Blutungen, doch nahezu jeder Tierarzt – selbst der
Viehdoktor auf dem Lande, dessen hauptsächliche
Erfahrungen sich auf große Tiere beschränken – kann
einen Kater kastrieren. Die Sterilisation einer Katze ist
zugegebenermaßen etwas anderes; es ist eine schwere
Operation, die, wie alle schweren Operationen, ein
gewisses Risiko birgt. Das Risiko erhöht sich natürlich,
wenn die Katze nicht in einwandfreiem gesundheitlichen
Zustand ist, sei es nach langwährendem Rolligsein oder
was auch immer, oder wenn die Katze zum Zeitpunkt der
Operation gerade rollig ist. Gibt man sie in die Hände
eines erfahrenen Chirurgen, ist das Risiko, die Katze zu
verlieren, nicht groß, bleibt aber zugegebenermaßen auch
dann noch bestehen.
Doch die Geburt ihrer Jungen ist, ganz gleich, was
Leute, die nie einer Katze bei der Geburt beigestanden
haben, leichten Herzens behaupten, ebenfalls eine riskante
Angelegenheit. Die Natur ist, läßt man ihr ihren Lauf, eine
notorische Verschwenderin. Unvoreingenommen gegen
Individuen, lehnt die Natur es doch keineswegs ab, einen
um mehrerer anderer willen zu opfern; der Tod einer
Katze zählt nichts angesichts der Wahrscheinlichkeit des
Überlebens von einem halben Dutzend. Im allgemeinen ist
diese Ordnung hinsichtlich der eigenen Art und auch
anderer Tierfamilien natürlich akzeptabel. Aber im
Einzelfall, im Hinblick auf einen geliebten Menschen oder
-220-
ein liebgewordenes Tier, wird man bemüht sein, diese
Ordnung zu umgehen.
Einem Sprichwort zufolge hat eine Katze wenig
Probleme mit der Geburt ihrer Jungen. Manche haben es
tatsächlich leicht, andere gebären unter großen
Schwierigkeiten, wieder andere sterben bei der Geburt.
Allgemein gesprochen haben kurzhaarige Katzen weniger
Proble me als langhaarige, doch auf diese Faustregel kann
sich ein Mensch, für den seine Katze eine Persönlichkeit
ist, nicht bedingungslos verlassen. Niemand weiß, wie
viele
kurzhaarige
Hauskatzen,
unbeachtete
Scheunenkatzen,
nebensächliche
Küchenkatzen,
ersetzbare Ladenkatzen unter der Geburt sterben; die
menschliche Gesellschaft hat wichtigere Sorgen. Doch
wahrscheinlich stirbt eine ganze Reihe.
Professionelle Züchter, deren Brieftaschen betroffen
sind, überlassen bei der Produktion von Katzen nichts dem
Zufall, vertrauen nicht aufs Glück und alte Sprichwörter.
Sie benutzen keine Katze zu häufig zur Zucht, sie
benutzen keine Katze, die zu jung oder körperlich, aus
welchem Grunde auch immer, nicht auf der Höhe ist, sie
benutzen keine Katze – sie werden sie nicht einmal weiter
halten -, die körperlich so angelegt ist, daß eine Geburt
unmöglich oder extrem problematisch wäre. Bloße
Zuneigung ist oft keine so zwingende Macht wie Geld,
doch sie könnte Katzenbesitzer dazu bewegen, sich
ähnliche Gedanken um ihre Katzen zu machen. Daß
Zuneigung nicht immer zu solchen Erwägungen führt, ist
wahrscheinlich häufiger mit Unwissenheit als mit anderen
Faktoren zu erklären - mit Unwissenheit und dieser
verzückten Freude an kleinen Kätzchen, die selbst bei mit
Katzen durchaus vertrauten Menschen zu einer derartig
unbekümmerten
Gleichgültigkeit
gegenüber
dem
vierfüßigen Leben führt. Weibliche Katzen bereiten nicht
-221-
die geringsten Schwierigkeiten, sofern ihr Besitzer ihnen
gestattet, Junge zu bekommen, wann immer ihnen der
Sinn danach steht, behauptet der Autor eines der jüngeren
Katzenbücher lässig und mit charakteristischem Schwung.
Er meint: Kleine Kätzchen sind possierlich. Sie sind
wahnsinnig komisch, sie sind entzückend, sie sind einfach
wundervoll.
Natürlich sind kleine Kätzchen hinreißend. Katzen auch.
Und man kann behaupten, nicht nur in diesem
Zusammenhang, daß wir zu sehr dazu neigen, die nächste
Generation zu bedenken. Im Hinblick sowohl auf Katzen
als auch auf Menschen gibt es keine Sicherheit, daß die
nächste Generation ge genüber der jetzigen eine
Verbesserung darstellt. Martini ist in unseren Augen viel
mehr Katze als ihre beiden Töchter, und um diese Töchter
zu bekommen, hätten wir Martini um ein Haar hergeben
müssen. Das ist uns aus Unwissenheit passiert, weil wir
hingenommen haben, was wir gehört und gelesen hatten,
statt uns die kleine Mühe zu machen herauszufinden, wo
wir und Martini standen.
Wie schon angedeutet, haben wir die Befruchtung
unserer Katze nicht dem Zufall überlassen. Jedenfalls
gestatteten wir ihr nicht, Junge zu bekommen, wo immer –
und von wem auch immer – sie gerade wollte. Hätten wir
es zugelassen, dann wäre sie mit etwa sechs Monaten zum
erstenmal schwanger geworden, wahrscheinlich vom
ersten Kater, der ihr über den Weg lief, womöglich von
einem kranken Kater, einem Kater mit einem
Geburtsfehler oder schlechten Erbanlagen. Ihre
Mutterschaft war geplant. Wir hatten die Planung für sie
übernommen. Das war nahezu strohdumm und hätte sie
beinahe umgebracht.
Wir haben uns gewaltige Mühe gegeben, was vielleicht
zu unserer Ehrenrettung zu sagen wäre, um einen
-222-
angemessenen Vater für ihre Jungen zu finden. Wir fanden
ihn bei einem bewährten Züchter, arrangierten uns mit ihm
und zahlten nach der Paarung die festgesetzte Gebühr.
Martinis Gatte, den wir nie kennenlernten, war ein schöner
Kater, weiß Gott angemessen. Zu ihrem Stelldichein reiste
Martini in einer Kiste vom Grand Central Terminal, wurde
bei ihrer Rückkehr dort abgeholt und in gutem Zustand
nach Hause gebracht. Sie wirkte unserer Meinung nach ein
bischen konsterniert; wir erfuhren, daß sie sehr verwundert
und sehr schüchtern gewesen wäre und daß der Kater
ziemliche Probleme mit ihr hatte, bevor sie ihm zu Willen
war. Außerdem war sie bei ihrer Rückkehr noch immer
rollig; sie schrie noch mehrere Tage lang. So verhalten
sich rollige Katzen ihrer Art, und wir wunderten uns nicht.
Wir lehnten uns mit dem Gefühl, alles Notwendige
erledigt zu haben, zufrieden im Sessel zurück und
warteten auf die Jungen.
In den letzten Stadien ihrer Schwangerschaft gaben wir,
weil man uns dazu geraten hatte, Calcium in Pulverform in
Martinis Futter. Natürlich entwickelte sie einen mächtigen
Hunger, und wir fütterten sie üppig mit dem feinsten
Rindfleisch; sie wurde schwerfällig und verträumt, und
wir zählten die Tage. Wir versprachen so manchem ein
überschüssiges Kätzchen.
Allerdings versäumten wir es, Martini von einem
Tierarzt untersuchen zu lassen. Wir hatten sie nicht
untersuchen lassen, bevor wir sie zum Decken schickten,
wir führten sie auch während der Schwangerschaft keinem
Tierarzt vor. Junge zu bekommen ist völlig normal;
kurzhaarige Katzen haben nicht die geringsten Probleme;
alles geht ganz einfach – nun ja, eine Geburt ist ein
Kinderspiel für eine Katze, das weiß doch jeder. Das
hatten wir in den besten Katzenbüchern gelesen.
Wir bereiteten eine unserer Meinung nach vorzügliche
-223-
Entbindungs- und Säuglingsstation vor und versuchten,
Martinis Interesse zu wecken. Vergebens. Sie suchte sich
auch keinen Platz ihrer Wahl aus, wie es Katzen »immer«
zu tun pflegen. Sie tat nichts als fressen und zunehmen,
und sie wirkte völlig mit sich und der Welt zufrieden.
Dann versuchte sie eines Tages gegen Ende ihrer
Trächtigkeit – für uns völlig unverhofft und bevor wir sie
daran hindern konnten – eine ihrer liebsten und immer
ziemlich ärgerlichen gymnastischen Übungen: in einem
hohen Raum am Vorhang hinauf bis auf die Schabracke zu
klettern und voller Stolz dort sitzenzubleiben. (Bei dieser
Gelegenheit können wir gleich klarstellen, daß es
praktisch unmöglich ist zu verhindern, daß Siamkatzen
irgendwo hinaufklettern.) Diesmal schaffte sie nur ein
kleines Stück des Vorhangs, krallte sich dann fest und
schrie, bis sie gerettet wurde. Für den Rest des Tages blieb
sie sehr nachdenklich, und am nächsten Morgen versuchte
sie, ihre Jungen zur Welt zu bringen. Bis zum Stichtag
fehlten noch zwei oder drei Tage.
Sie nahm die von uns vorbereitete Kiste nicht in
Anspruch; vielmehr suchte sie erstaunlicherweise eine
Stelle auf dem Küchenboden in der Nähe ihres Katzenklos
auf. Als sie schließlich gefunden wurde, war schon ein
Kätzchen tot geboren worden. Sie lag mit dem zweiten in
den Wehen.
Derjenige von uns, der sich gerade in der Wohnung
aufhielt, war nicht derjenige, der aufgrund von Geschlecht
oder Veranlagung besser als Hebamme geeignet gewesen
wäre, und er hatte, obwohl er über Jahre hinweg
zahlreiche Katzen kennengelernt hatte, noch nie einer
Katzengeburt beigewohnt. Vielleicht, so meinte er ein paar
Minuten lang, allerdings schwer verstört durch das tote
Kätzchen, vielleicht sind diese entsetzlichen Krämpfe
dieser hübschen kleinen Katze, dieses unglaubliche
-224-
Krümmen und die offensichtlichen Schmerzen ja ganz
normal. Vielleicht war das gemeint, wenn man von
»leichter Geburt« sprach. Und schließlich wurde
tatsächlich ein zweites Kätzchen geboren. Es war groß,
merkwürdig groß. Es schnappte krampfhaft nach Luft,
wollte leben. Aber Martini, die ihm hätte zur Hilfe
kommen müssen – die Membrane hätte fortlecken müssen,
an der es erstickte, es mit der Zunge hätte trocknen
müssen, damit die aufflackernde Lebenswärme nicht
verlöschte -Martini konnte sich kaum rühren, lag reglos,
völlig er schöpft da. Da, endlich, versuchte der
Anwesende, den Tierarzt zu erreichen.
Er kam etwa zwei Stunden später. Es war keiner von den
uns bekannten Tierärzten; wir hatten zufä llig erst ein paar
Tage zuvor von ihm gehört – hatten zufällig von einem
anderen Katzenbesitzer erfahren, daß er in ganz New York
der beste Katzendoktor wäre. Inzwischen war das zweite
Kätzchen längst tot, obwohl wir versucht hatten, es warm
und am Leben zu halten. (Wir wußten damals nicht genug,
um es künstlich beatmen zu können, wodurch es selbst
unter unseren ungeschickten Fingern vielleicht doch hätte
gerettet werden können.) Und inzwischen war ein drittes
Kätzchen schon halb auf der Welt, und zwar seit über
einer Stunde.
Die Beschreibung der Geburt ist, dessen sind wir uns
sehr wohl bewußt, alles andere als erfreulich. Mit der
netten Vorstellung von tobenden Katzen, von
entzückenden Kätzchen, die uns jung erhalten, die
verlorene Jugend zurückbringen und über die
Schreibmaschine hüpfen, während man versucht zu
arbeiten – was keine unserer Katzen je tun wird, solange
wir bei Verstand und bei Kräften sind -, hatte diese Sache
nichts mehr zu tun. Doch die Geburt ist Teil des Umgangs
mit Katzen, die wie wir Krankheit und Tod und allen
-225-
möglichen Widrigkeiten ausgeliefert sind. Wer sich nicht
einmal um eine Katze halb zu Tode geängstigt und sie
sowohl in krankem als auch in gesundem Zustand gehegt
und gepflegt hat, ist im Grunde nicht wirklich zu ihr in
Beziehung getreten.
Das dritte Kätzchen war also halb auf der Welt, und das
ist wörtlich zu verstehen. Es befand sich halb drinnen,
halb draußen. Martini hatte keine Wehen mehr. Mit
offenen Augen, aber anscheinend ohne etwas
wahrzunehmen, lag sie da an einem dunklen Ort. Sie
weinte nicht, wie sonst schon bei geringfügigen Anlässen.
Sie wartete ruhig auf den Tod. Mag sein, daß sie uns in
diesen letzten, langen Minuten vor dem Eintreffen des
Tierarzts schon nicht mehr sah.
Der holte das halb geborene Kätzchen, und es war tot.
Während wir Martini festhielten, holte er das vierte. Einer
von uns machte sich auf den Weg, ein wehenförderndes
Mittel zu besorgen, wie es auch in ähnlichen Notfällen bei
gebärenden Menschenmüttern eingesetzt wird. Es half ein
wenig; der Tierarzt half, während wir Martini hielten –
und jetzt schrie sie vor Schmerzen. Mit den geschicktesten
Fingern, die wir je gesehen haben, manipulierte er die
Katze, zwängte das Junge abwärts, brachte schließlich den
Kopf heraus; während Martini half, so gut eine sterbende
Katze helfen kann, holte er das vierte Junge auf die Welt.
Es schnappte ebenfalls krampfhaft nach Luft.
Und es bekam Luft, denn der Arzt blies ihm in die
Nasenlöcher, streifte mit flinken Fingern die Membrane ab
und drückte auf die winzige Brust. Es schien tot, und dann
plötzlich begann es sehr rasch zu atmen.
Martini, die auf einem Laken auf dem Tisch gelegen
hatte, wurde jetzt auf den Boden gebettet. Sie unternahm
nichts, lag nur da. Ein Junges war noch zu erwarten,
meinte der Tierarzt. Er versuchte, Martinis Interesse an
-226-
dem lebenden Kätzchen zu wecken, denn es war noch viel
zu tun, was nur ihr zu leisten gegeben war. Doch sie
schien uns nicht zu sehen. Sie wich vor dem Tierarzt
zurück, hatte gerade noch Kraft genug zu fauchen. Der
Kampf auf dem Tisch – in dessen Verlauf sie übrigens
einen von uns in den Finger biß, bis die Zähne auf
Knochen stießen – hatte ihren Kampfgeist bewahrt, aber
nicht viel mehr.
Das lebende Kätzchen wurde, in warme Handtücher
gehüllt, an einem dunklen Ort in einer Kiste untergebracht.
Der Meinung des Tierarztes nach standen seine Chancen
nicht einmal eins zu hundert, und er war ziemlich
verärgert über Martini. Inzwischen war es später
Nachmittag, und er war schon seit zwei, drei Stunden bei
uns. Wir hatten ein offenbar sterbendes Katzenjunges und
eine Katze, die mit viel Glück noch lange genug lebte, um
ein weiteres Junges zu gebären.
Im Augenblick war nichts zu tun, und der Tierarzt mußte
sich auch noch um andere Katzen kümmern. Er verließ
uns und versprach, so bald wie möglich zurückzukommen.
Was das Junge betraf, könnten wir nur hoffen. Martini
hatte seiner Meinung nach gute Überlebenschancen.
Ganz langsam ging Martini in eines der Schlafzimmer,
und wir hockten wohl über eine Stunde herum und
bangten, aber wir liefen sie in Ruhe. Dann kam sie wieder
heraus, noch langsamer als zuvor, durchquerte den Flur –
und schon wieder war ein Kätzchen zu unserem Schrecken
halb auf der Welt. Sie kroch in das kleine Zimmer, das
einem ihrer Menschen gleichzeitig als Büro und
Ankleidezimmer diente, und für Minuten unternahmen wir
noch immer nichts – im Wissen unserer Unkenntnis und
vielleicht auch angesichts einer Aufgabe, der wir uns nicht
gewachsen fühlten. Dann gingen wir zu ihr ins Zimmer.
Irgendwie hatte Martini es geschafft, auf das Sofa zu
-227-
klettern, auf dem einer ihrer Menschen gewöhnlich mehr
Zeit zubrachte, als er so ohne weiteres hätte vertreten
können, und auf dem sie so viele Stunden wie eben
möglich mit ihm zusammen war. Dort hatte sie, diesmal
aus eigener Kraft, ihr fünftes Junges zur Welt gebracht.
Sie hielt es zwischen ihren Vorderpfoten, leckte es und
schnurrte. Nach einem kurzen Blick in unsere Richtung
nahm sie diese Tätigkeit unverzüglich wieder auf.
Wir holten das andere Kätzchen, das noch lebte, und
legten es zu ihr. Sie hielt inne, um es wegzuschieben, und
was dabei in ihr vorging, können wir nicht einmal raten.
Natürlich hing es mit Schmerzen zusammen, mit
unwürdigem Manipuliertwerden, was Martini mehr als
jede andere Katze unserer Bekanntschaft verabscheut. Das
trug zu ihrer Ablehnung bei. Und vielleicht waren in ihren
Augen alle Kätzchen, die sie geboren hatte, bis auf ihr
letztes, das sie hervorgebracht hatte, wie es sich für eine
Katze gehörte, Totgeburten wie das erste.
Das abgelehnte Kätzchen bewegte sich ein bischen, als
wir es Martini wieder dichter zuschoben; es versuchte
schwach, eine Zitze zu erreichen. Wieder schob Martini es
von sich, und wieder legten wir es ihr an. Dann – uns kam
es vor wie ein verdutztes Zusammenzucken – hatte
Martini begriffen: noch ein lebendes Junges. Jetzt leckte
sie es, zog es an sich, legte das andere neben das
Geschwisterchen, um beide zu säugen, und dann begannen
zwei winzige Kätzchen, die aussahen wie weiße Ratten,
zuerst unsicher und dann mit wachsendem Zutrauen zu
trinken. Jetzt hatten wir drei Katzen, von denen keine bei
sonderlich guter Gesundheit war, die alle drei noch
tagelang der Fürsorge des Tierarztes bedurften, aber
immerhin drei Katzen.
Martini akzeptierte die Kiste, die wir vorbereitet hatten,
und auch den von uns gewählten Platz tief im
-228-
Schlafzimmerschrank. Und während der gesamten ersten
Nacht, in der sie entschieden mehr Widerstandsfähigkeit
an den Tag legte als wir, weckte sie uns, damit wir das
Wunder, das sie – unter Beihilfe eines kompetenten
Tierarztes, ihrer beiden Besitzer und des Hausmädchens –
bewirkt hatte. Sie sprang auf ein Bett und weckte den
Darinliegenden, und zwar gründlich. Dann ging sie zurück
zu ihrer Kiste, sich immer wieder vergewissernd, daß der
Mensch ihr folgte, sprang in die Kiste und bettete ihre
Kinder so, daß wir sie betrachten konnten, und schnurrte.
»Süße Kätzchen«, sagte dann der aus dem Schlaf
Gerissene. »Wunderschöne Kätzchen.«
Martini gab sich zufrieden und säugte wieder ihre
Jungen. Der Mensch schlief wieder ein. Eine halbe Stunde
später weckte Martini den anderen Menschen und
wiederholte die gesamte Prozedur. »Babys, dadada«, sagte
der andere Mensch halb im Schlaf, in der seiner Meinung
nach solch winzigen Lebewesen angemessenen Sprache.
»Babys, dadada«, schnurrte Martini. Dann durfte der
Mensch wieder schlafen gehen, doch eine halbe Stunde
später war der erste Mensch wieder an der Reihe. So ging
es die ganze Nacht hindurch, und es war ein glückliches,
wenn auch nicht erholsames Ende einer aufwühlenden
Episode.
Natürlich kann eingewendet werden, daß ja alles gut
gegangen ist, denn jetzt haben wir drei Katzen, und drei
Katzen zu haben, ist immer gut. Wären wir jedoch mit den
üblichen Vorstellungen an die Sache herangegangen,
hätten wir nur eine Katze, denn dann wäre Martini nicht
gedeckt worden. Ihr Becken ist zu schmal für eine normale
Geburt. Hätten wir mit ihrem Tierarzt nicht zufällig einen
Glücksgriff getan, obwohl er, wie es bei Ärzten so oft der
Fall ist, erst geholt wurde, als es selbst für größte
Kompetenz schon fast zu spät war, wäre sie gestorben. Die
-229-
Erde hätte natürlich nicht aufgehört, sich zu drehen, und
auch wir hätten weitergelebt; wir haben schon vorher
Katzen verloren und werden es wohl auch wieder erleben
müssen, selbst Martini ist nicht unsterblich. Doch es ist
bedrückend, schuld am Tod eines geliebten Tieres zu sein.
Unbeholfenheit und Unwissenheit mögen läßliche Sünden
sein, wenngleich wir es bezweifeln; auch diese Sünden
bedürfen der Absolution. Durch Unfähigkeit haben wir
einem entzückenden kleinen Tier, das uns nicht gebeten
hatte, die Verantwortung für es zu übernehmen, sondern
unser gern gesehener Gast war, etwas Böses, beinahe das
Böseste von allem, angetan.
Da Katzen so starrsinnig unabhängig im Hinblick auf ihr
Geschlechtsleben sind und dieses so augenscheinlich als
etwas betrachten, in das der Mensch sich gefälligst nicht
einzumischen hat, fällt es dem Menschen leicht, die Natur
nach ihren Gesetzen walten zu lassen. Außer der einfachen
Entscheidung, die Tür zu öffnen oder nicht, wird ihm
nichts abverlangt. Den Rest besorgt die Katze. Was
danach geschieht, liegt in der Verantwortung der Katze,
und wenn die Katze Pech hat – nun, früher oder später
wird jeder mal vom Glück verlassen. Hat die Katze jedoch
Glück, bringen die kleinen Kätzchen viel Freude und
stocken zudem den Bestand an Katzen auf. Die Katze
hätte im Haus bleiben können, wenn sie gewollt hätte; sie
hätte das Stelldichein platzen lassen können. Natürliche
Instinkte sollten nicht unterdrückt werden.
Das ist eine völlig vernünftige Einstellung. Doch die
Haltung von Hauskatzen ist offenbar leider nicht völlig
durch die Vernunft zu regeln. Katzen sind hochgeschätzte
Mausefallen; im allgemeinen ist das der Grund für ihr
Zusammenleben mit dem Menschen. Doch es ist nicht der
eigentliche Grund für unser Zusammenleben mit Martini;
in der Vergangenheit wie auch in absehbarer Zukunft war
-230-
es und wird es weiterhin so sein, daß sie mehr Mäuse von
den Feldern – tot oder zumindest dem Tod sehr nahe –
nach Hause bringt, als sie aus dem Haus herausschafft. Sie
lebt als Freundin bei uns oder, einfacher gesagt, als
Schmusetier. Um sie zu einem adäquaten Haustier zu
machen, unterdrücken wir viele ihrer natürlichen Instinkte.
Es entspricht keineswegs ihrem Wunsch, nachts im Haus
zu bleiben. Rinderhack, wie Martini und ihre Familie es
vorgesetzt bekommen, ist ein feines Freßchen für Katzen,
aber es liegt nicht in der Natur einer Katze, Kühe durch
den Fleischwolf zu drehen.
Weil Martini als Schmuse- und Hauskatze bei uns lebt,
führt sie in hohem Maße ein Leben unter künstlich
geschaffenen Bedingungen, und dieses Leben ist
weitgehend durch unsere Anforderungen an sie geprägt.
Wir, nicht etwa Martini, haben beschlossen, daß sie so und
nicht anders leben soll. Folglich kann sie sich nicht in dem
Maße selbst versorgen wie der schwarze Kater, der bei
Brewster die Mülltonnen heimsuchte, und ist auch nicht
SQ hart im Nehmen und so zäh. Sie ist gewissermaßen
eine zivilisierte Katze und hat, da ihr die Zivilisation
aufgezwungen
wurde,
Anspruch
auf
alle
Bequemlichkeiten und Sicherheiten dieser Zivilisation auf
regelmäßiges, anständiges Futter, bei Bedarf auf
Medikamente, auf ein Feuer oder eine Heizung, um sich
zu wärmen. Sie hat außerdem Anspruch darauf, vor ihren
eigenen natürlichen Instinkten geschützt zu werden,
insofern als das volle Ausleben dieser Instinkte sich mit
ihrer derzeitigen Lebensform nicht vereinbaren ließe.
Wenn wir überhaupt Katzen halten wollen, was uns
weder von der menschlichen noch von der
Katzengesellschaft aufgezwungen wird, übernehmen wir
die Verpflichtung, sie bestmöglich an die von uns
gebotene künstliche Umgebung angepaßt zu halten, und
-231-
diese Verpflichtung geht unseres Erachtens auf alle
Katzenbesitzer über. Einer Katze mit dem Wunsch, sich zu
vermehren, die Tür zu öffnen und dann die Geduld zu
verlieren, vielleicht sogar soweit, daß die Katze
abgeschafft wird, eben weil sie sich vermehrt, ist
irrational, wenn nicht schwachsinnig. Und es ist
gewissermaßen unmoralisch, aber durchaus üblich.
Eine Katze kastrieren oder sterilisieren zu lassen, setzt
eine Entscheidung voraus, und es ist immer so einfach,
keine Entscheidungen treffen zu müssen; es gibt immer
einen hieb- und stichfesten Grund, Entscheidungen nicht
zu treffen. Aber die meisten Haus- oder Schmusekatzen –
im Unterschied zu Arbeits- oder Zuchtschaukatzen –
werden ihrem Leben sterilisiert oder kastriert besser
gerecht. Außerdem sind sie, und das betrifft besonders die
Weibchen, im Umgang viel munterer. Ganz gewiß
bereiten sie viel weniger Schwierigkeiten, und im Grunde
genommen steht eine Katze in ihrer Beziehung zum
Menschen immer am besten da, wenn sie keine
Schwierigkeiten macht.
-232-
Dreizehntes Kapitel
Hohe Erwartungen und Anspruchsdenken
Zweifelsohne ist die Katze der Meinung, daß sie vieles um
des Menschen willen aufgegeben hat – die Freiheit in der
Nacht und in den Bäumen, einen Teil der Wildheit, die sie
tief in ihrem Herzen schätzt. Daß sie diese Dinge für
gewisse prosaische Vorteile fahren ließ, für ein warmes
Plätzchen und Futter und Schutz vor dem Regen, mag die
Katze in ihrer Eigenschaft als Realistin wohl erkennen,
doch sie legt keinen Wert darauf, es herauszustreichen. Es
ist Tierart, von mehreren vorhandenen, vielleicht auch
vermischten Motiven das beste in den Vordergrund zu
rücken. Es steht zu vermuten, daß die Katze meint, für die
Freundschaft mit dem Menschen viel geopfert zu haben.
Als Gegenleistung erwartet die Katze zusätzlich zur
peinlichen Erfüllung ihrer körperlichen Bedürfnisse viel
vom Menschen. Sie setzt einen bequemen Schoß voraus,
auf dem sie sitzen kann, und zwar einen, der zur
Verfügung steht, wann immer sie es wünscht. Sie erwartet,
daß der Schoß möglichst an Ort und Stelle bleibt, und wird
böse, wenn er sich erhebt, um das Radio auszuschalten
oder ans Telefon zu gehen. Sitzt sie auf dem Schoß, und
auch bei bestimmten anderen Gelegenheiten, verlangt sie
von Zeit zu Zeit an einer gewissen Stelle hinter den Ohren
-233-
zärtlich gekrault und von sanften Fingern längs der zarten
Knochen des Kiefers massiert zu werden. Schön findet sie
es, wenn zu diesen Liebkosungen noch etwas
Rückenstreicheln hinzukommt, das sich gelegentlich auch
sanft auf den Bauch ausdehnt. Das alles sollte ohne viel
Gefummel vonstatten gehen, vorzugsweise ohne
Belästigung der Schnurrbarthaare und, bei manchen
Katzen, ohne Berührung des Schwanzes.
Doch die hohen Erwartungen der Katze an die
Menschen, mit denen sie sich einläßt, gehen beträchtlich
darüber hinaus und schließen einige davon gelegentlich, in
seltenen Fällen alle, sogar aus. Nicht jede Katze sitzt gern
auf dem Schoß; ein paar, distanzierter, als es
durchschnittlich für ihre Rasse typisch ist, ziehen ein
Minimum an Körperkontakten mit menschlichen Tieren
vor, zweifellos aufgrund der Überlegung, daß
Handanlegen zwar für Hunde in Ordnung, mit der Würde
einer Katze jedoch nicht zu vereinbaren ist. Eine Katze
läßt den Menschen wissen, wie sie über derartige
Angelegenheiten denkt, und erwartet, daß ihre Wünsche
respektiert werden. Will sie angefaßt werden, gibt sie
Bescheid, wenn nicht, ebenfalls, nur lauter. Was die eine
Katze als Liebkosung empfindet, ist für die andere eine
Entwürdigung.
Doch wie stark sie sich auch immer in ihren
persönlichen Vorlieben unterscheiden, erwarten doch alle
Katzen vom Menschen ein Benehmen, das in ihren Augen
manierlich ist; sanft und voller Rücksicht nicht nur auf die
persönliche Würde der Katze, sondern auch auf ihre
einzigartige Körperlichkeit. Katzen verlangen, daß die
Stimmen des Menschen leise und seine Bewegungen
geschickt sind. Sie rechnen nicht mit hastigen
Bewegungen, die sie erschrecken, oder damit, ausgelacht
zu werden oder ihre Schwänze als leicht verfügbaren Griff
-234-
benutzt zu sehen, oder mit überstürzter Annäherung ohne
vorherige Aufforderung. Ganz allgemein gefaßt lehnen sie
jedes Verhalten ab, das sich als »burschikos«
zusammenfassen ließe.
Katzen, die Menschen mögen, sind manchmal in der
Lage, gewisse Mängel im menschlichen Benehmen zu
übersehen, doch keine Katze betrachtet solche Mängel als
etwas anderes als einen Defekt. Eine Katze, die zu oft
getreten wurde – alle Katzen werden irgendwann mal
getreten, und ohne Kooperation der Katze können
Menschen es gar nicht verhindern -, mag ihren
tolpatschigen Freund vielleicht nach wie vor, geht jedoch
nie so weit, daß sie seine Tolpatschigkeit lieben könnte.
Tolpatschigkeit ist in den Augen der Katze eine Todsünde;
sie ist geradezu prädestiniert dazu, gerade die Fehler zu
verabscheuen, derer sie sich selbst frei weiß. In einer
vernünftig eingerichteten Welt wären alle Menschen, mit
denen sich abzugeben Katzen gezwungen sind, sanft,
ruhig von Stimme und Bewegung, behutsam mit den
Händen und hätten vermutlich Augen an den Fußsohlen.
Menschen, die Umgang mit Katzen pflegen, erwerben
wohl einige dieser Eigenschaften oder versuchen es
zumindest, da sie die Beziehung mit der Katze erheblich
vereinfachen. Die von Katzen gepflegte hohe Schule der
Manierlichkeit bringt den Menschen in seiner Welt freilich
keineswegs weiter, denn dort werden ein ruhiges Wesen
und Sanftheit kaum geschätzt und herzhaftes
Durchsetzungsvermögen bevorzugt. Menschen, die Katzen
mögen und von ihnen lernen, werden die Welt vermutlich
niemals beherrschen. Es steht zu befürchten, die
zukünftige Welt könnte wohl eine Welt der Hunde sein,
oder zumindest eine Vorstufe dazu. Kriegshelden mögen
selten Katzen. Sie nehmen das Zepter in die Hand, setzen
dabei ihre Maßstäbe und lehren uns alle übertriebenen
-235-
Respekt vor Direktheit und strengster Sachlichkeit.
Es steht außer Frage, daß längerfristige Beziehungen zu
Katzen den Menschen verändern. Ein Katzenmensch wird
sich kaum jemals dazu durchringen, einen anderen
Menschen kräftig auf die Schulter zu klopfen oder ihm
über die Straße hinweg etwas zuzurufen. Er wird im
Verlauf der Zeit und seiner Katzenfreundschaft feststellen,
daß er lieber lächelt als grölt und seine Zustimmung
anders zeigen möchte als durch Luftsprünge. Solche
Gewohnheiten führen, wie nicht anders zu erwarten ist, zu
einem in gewisser Hinsicht veralteten Lebensstil:
schließlich ist die Katze ein uraltes Tier und in ihren
Verhaltensweisen festgelegt. Auch Katzenmenschen
neigen häufig dazu, ein von ihren Urgroßeltern
hochgeschätztes Benehmen zu favorisieren. Letztendlich
werden solche Menschen nur ihresgleichen mögen, und
ansonsten lediglich die Zustimmung der Katzen finden.
Die Katzen allerdings werden versonnen nicken und sich
an dem Gefühl freuen, die Menschen zivilisiert zu haben.
Sie werden den Menschen so konditionieren, daß ihm
heftiger Lärm auf die Nerven geht. Sie werden dafür
sorgen, daß hastige Bewegungen in ihrer Gegenwart tabu
sind und daß niemand eine Katze bei den Schultern
gepackt, langgestreckt, entwürdigt und ausgeliefert vor
sich baumeln läßt – und daß es sich nicht gehört, eine
Katze beim Nackenfell zu nehmen, auch wenn
Mutterkatzen so mit ihren Jungen verfahren. Eine Katze
zieht es vor, überhaupt nicht hochgehoben zu werden,
doch wenn es nicht anders geht, könnte sie sich zur Not
damit abfinden, vorn und hinten auf die Hände oder den
Arm genommen zu werden, und zwar, bitteschön, richtig
herum. Nichts findet eine Katze am Menschen unhöflicher
als die Angewohnheit, sie auf dem Rücken liegend im
Arm zu tragen, als wäre sie ein Baby, und als wüßte sie
-236-
nicht schon seit über Millionen von Jahren, daß sie mit
den Füßen auf dem Boden zu bleiben hat, wenn sie nicht
gerade springt.
Da sie selbst gern schnurrt, manchmal so leise, daß es
kaum zu hören ist, möchte sie ihrerseits auch gern leise
angesprochen werden, und eine mißtönend erhobene
menschliche Stimme stempelt ihren Verursacher zum
Trampel. Ein Mensch, der unvermittelt eine Katze packt
oder sie rüde aus dem Schlaf reißt, ist es nicht wert, daß
man mit ihm am selben Tisch sitzt; die Canapés, die er in
Reichweite stehen läßt, sind vermutlich ohnehin
ungenießbar, und mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit hat er auch kein behagliches Plätzchen
zu bieten.
Und wozu sollte ein derartig grober Klo tz von Mensch
taugen, wenn er sich weigert, eine Katze zu verwöhnen?
Toleriert kann er werden, vorausgesetzt, er serviert das
allerbeste Rindfleisch, doch geliebt wird er nicht. Unter
diesen Umständen, und nur unter diesen, mag eine Katze
auf den Gedanken kommen, Komfort hinge von der
Behausung ab und nicht vom Zusammenleben mit dem
Menschen.
Eine Katze kommuniziert besser als jeder Mensch, wie
sie behandelt werden möchte, und ein von
Katzenerfahrungen Unbeleckter kann aus ihren
Anweisungen nur lernen. Eines ist sicher: Übereilte
Freundschaften schließt sie nicht. Zuerst möchte sie
schnuppern, Örtlichkeiten und den Menschen mit dem
Geruchsinn abchecken.
Jede Katze wünscht sich Zärtlichkeit, sanfte
Liebkosungen und selbst im Spiel möglichst wenig
Ruppigkeit. Weder ihr Körper, der sehr feingliedrig ist –
die Katze ist wunderbar bewaffnet,, aber nur leicht
gewappnet, und sie ist niemals so kräftig wie ein Hund –
-237-
noch ihre Nerven ertragen die spielerische Grobheit, die
jeden Hund entzückt. Ein Schlag auf den Rücken oder in
die Seite, den ein Hund sehr zu schätzen wüßte, kann eine
Katze verletzen. Ganz sicher würde es sie kränken. Eine
Katze darf auch nicht gedrückt werden, und dadurch stellt
sie eine etwas prekäre Spielgefährtin für sehr kleine
Kinder dar, die es gewohnt sind, Dinge zu drücken, die sie
sehr lieben.
Auf jeden Fall wird eine gesunde, sterilisierte Katze ihr
Leben lang verlangen, daß jemand mit ihr spielt. Das Spiel
mit dem Menschen kann vielerlei Form annehmen,
allerdings stets zu den Bedingungen, die die Katze vorgibt.
Zum Beispiel findet sie bestimmt viele Plätze, wo sie sich
verstecken kann, zumindest ihrer Meinung nach, und von
wo aus sie dann dem vorbeigehenden Menschen vor die
Füße springt. So ziemlich kein Winkel, den eine Katze
und ein Mensch teilen können, wird sich für eine solche
improvisierte Nachbildung des Dschungels als zu klein
oder als zu spärlich möbliert erweisen. Viele Katzen
genießen es, verfolgt zu werden, und Versteckspielen ist
bei nahezu allen, die ihre Menschen wirklich mögen, sehr
beliebt.
Jagen und Gejagtwerden macht Katzen genauso viel
Spaß wie Apportieren. Die meisten Katzen lieben
Spielzeug – kleine Gegenstände, die sich herumstoßen
lassen. Es ist ihnen einerlei, welche Gestalt oder Farbe
diese Dinge haben – keine Katze hat je einen Fisch aus
Zelluloid mit einem Fisch aus Fisch verwechselt. Sie
mögen Tischtennisbälle, obwohl sie sie schnell unter den
Möbeln verlieren. Mehr als alles mögen sie ein Stück
Schnur.
Natürlich sollte sie von einem Menschen in Bewegung
gehalten werden, und nett ist es auch, wenn ein
Papierknäuel daran festgebunden ist. Mit einer Schnur
-238-
kann ein Mensch sogar mit seiner Katze spielen, ohne sich
aus seinem Sessel erheben zu müssen, obwohl die Katze
es gewiß lieber anders sähe. Am liebsten wäre es der
Katze nämlich, wenn der Mensch mit der Schnur ein
Päckchen verschnürt, oder vielmehr versucht, es zu
verschnüren. Das ist ein nicht zu überbietender Spaß. Eine
Katze erwartet, daß ihr Mensch möglichst oft versucht, in
ihrer Gegenwart ein Päckchen zu verschnüren.
Eine Mietwohnungskatze benötigt besonders viel
Zuwendung dieser Art, da sie gewöhnlich weder den
Anreiz noch genügend Raum für die raschen Bewegungen
vorfindet, für die sie gebaut ist und die sie für die
Erhaltung ihrer Gesundheit benötigt. Menschen, die keine
Zeit oder Lust zum Spielen haben, sollten mehr als eine
Katze halten. Zwei oder drei sind natürlich teurer im
Unterhalt und auch nicht so leise, doch sind sie weniger
auf menschliche Spielkameraden angewiesen. Außerdem
machen sie unserer Meinung nach mehr Spaß.
Zwei oder drei Katzen können mehr oder weniger unter
Kontrolle gehalten werden; bei dreien wird viel
Abwechslung geboten, drei können sich einen Napf und
ein Katzenklo teilen. Sie können sich auch, wenn wir mal
nicht zur Verfügung stehen, miteinander vergnügen,
entweder mit dem »großen Spiel«, wie wir es nennen, oder
auch auf ruhigere Art und Weise. Indem sie einander
jagen, bleiben sie im Training, indem sie
zusammengekuschelt schlafen, wärmen sie sich notfalls
gegenseitig. So nehmen sie uns einiges von der Bürde der
Verantwortung von den Schultern, die die Katzenhaltung
mit sich bringt, und laden sie sich selbst auf.
Ob aber ein solches Katzengemeinschaftsleben das ist,
was eine Katze erwartet, wenn sie sich zum
Zusammenleben mit Menschen bereitfindet, ist eine Frage,
die wir nicht mit letzter Sicherheit beantworten können. Es
-239-
ist gut möglich, daß sich jede Katze Menschen ganz für
sich allein wünscht, die einzig ihr gehören. Martini
wünscht ihre Töchter ganz sicher oft genug zum Teufel.
Lange Zeit war sie die Katze, und daß sie jetzt nur noch
die Hauptkatze ist, empfindet sie als Degradierung. Wenn
wir ihr jetzt ein Spielzeug zum Zurückbringen zuwerfen,
sind die anderen beiden als erste zur Stelle und bringen
soviel Durcheinander in das Spie l, daß Martini das
Interesse verliert; findet sie ein angemessenes Plätzchen
auf einem Schoß, kommt mit größter Wahrscheinlichkeit
Sherry und legt sich auf sie.
Auch Gin würde wahrscheinlich ein Dasein als
Einzelkatze befürworten, obwohl sie ihre Mutter sehr
bewundert und unter ihrer Fuchtel steht, während sie für
Sherry eine mildere, oft leicht gereizte Zuneigung hegt.
Sherry dagegen hätte wohl nicht nur lieber noch mehr
Katzen um sich, sondern auch mehr Menschen; sie ist
merkwürdig gesellig.
Die Beziehungen zwischen unseren dreien gestalten sich
vielleicht dadurch komplizierter als normal, weil sie
Mutter und Töchter sind; das Band, das sie vereint, ist
vielleicht
stärker
als
es
zwischen
zufällig
zusammengewürfelten Katzen sein würde. Martini würde
zwei fremde Katzen, die nicht ihre Töchter sind, wohl
nicht so dominieren.
Wir haben nie in Erwägung gezogen, der ausgesprochen
engen Verbindung, die der Martini-Stamm darstellt, noch
andere Katzen hinzuzufügen. Da wir jetzt auf dem Land
leben, haben wir wohl schon an die Anschaffung eines
Hundes gedacht, scheuten jedoch vor den gewiß damit
verbundenen Problemen zurück. Martini hat ohnehin
schon genug Zugeständnisse machen müssen. Nicht
einmal ihr Kratzbaum gehört noch ihr allein.
Ob das Kratzen an Stoff, Teppich, Baumrinde oder
-240-
Tapete wirklich die Krallen schärft, war uns schon immer
etwas zweifelhaft. Die Erklärung ist menschlich, die
Tätigkeit erbarmungslos katzenhaft. Katzen unterscheiden
sich in vielen Einzelheiten, doch alle bestehen darauf,
gelegentlich etwas in die Krallen zu bekommen
und wild daran zu zerren. Jeder Katzenhalter muß damit
rechnen und sich damit abfinden. Wenn er sein Haus nicht
von oben bis unten mit Metall ausstatten will, in welchem
Fall ihn seine Katze wahrscheinlich verlassen würde, kann
der Mensch nichts dagegen unternehmen.
Wer Handbücher über Katzenhaltung schreibt, setzt sich
gewöhnlich unbekümmert über diese Katzengewohnheit
hinweg und behauptet, es wäre nur eine Frage der
Erziehung. Besorgen Sie sich einen guten Kratzbaum,
heißt es da, ermahnen Sie die Katze strengstens, wenn sie
etwas anderes benutzt, und schon ist das Problem gelöst.
Die Kissenbezüge bleiben so, wie sie vom Webstuhl
kamen, und werden nicht schütter; neue Teppiche werden
nicht aufgerauht; Dekorationen bleiben dekorativ.
Nach langjähriger Erfahrung können wir diesen
Optimismus nicht unterstützen. Rüsten Sie Ihr
Wohnzimmer mit Kratzbäumen aus, die nur nützlich und
kaum dekorativ sind, bestäuben Sie Ihre Sessel- und
Sofaarmlehnen mit Pulvern, die angeblich Katzen
abweisen, und hoffen Sie auf das Beste, aber rechnen Sie
bitte nicht damit. Die Katzen werden sich über die Stoffe
hermachen und sie im Laufe der Zeit zerfetzen.
Die Krallen zu beschneiden ist sinnlos und erniedrigend
für das Tier. Die Katze ist ein mit Krallen ausgestattetes
Wesen; Krallen sind nicht nur für ihre körperlichen
Unternehmungen, sondern auch für ihre innere
Selbstsicherheit genauso wichtig wie die Finger für den
Menschen. Eine ihrer Krallen beraubte Katze ist ein tief
unglückliches Geschöpf, das auf Oberflächen ausrutscht,
-241-
auf denen es sich sonst absolut sicher bewegt, dessen
Sprünge unsicher sind, bis die Krallen nachwachsen.
Diese wachsen sehr schnell nach, was bedeutet, daß sie
sehr häufig geschnitten werden müßten, wenn das Ganze
überhaupt einen Sinn haben soll. Und es hat so gut wie in
keiner Hinsicht Sinn; die Katze wird trotzdem weiterhin
an Möbeln kratzen, und dafür reicht auch der kümmerliche
Rest der Krallen. Das Beschneiden der Krallen selbst ist
der Katze zuwider und gar nicht so einfach auszuführen;
statt einer Schere sollten wenigstens Krallenknipser
benutzt werden, und darüber hinaus ist große Sorgfalt
erforderlich, um keine Blutung hervorzurufen, die schwer
zu stillen sein könnte.
Eine Katze, die viel draußen ist, darf natürlich niemals
ihrer Krallen beraubt werden, da ihr Leben womöglich
vom Klettern und ihre Würde von der Fähigkeit zu
kämpfen abhängt. Unsere Katzen, die rausmarschieren,
sobald ihnen jemand eine Tür öffnet, haben lange Krallen.
Auch als sie noch in der New Yorker Wohnung lebten,
hatten sie lange Krallen, und wenn es nach uns geht,
werden sie immer lange Krallen haben.
Freilich benutzen sie hin und wieder den Kratzbaum,
wenn sie ihm zufällig auf dem Weg zu einer Sessellehne
begegnen. Martini benutzt ihn nach alter Gewohnheit
immer noch viel häufiger als die anderen zwei, doch er
gehört ihr nicht mehr allein und hat daher kaum noch
Bedeutung für sie. Zuerst versuchte sie, ihre Jungen vom
Kratzbaum fernzuhalten, kam jedoch schließlich zu der
Überzeugung, daß es die Mühe nic ht lohnte.
Ein weiteres Zugeständnis, das ihr abverlangt wurde und
ihr gelegentlich noch immer schwer im Magen zu liegen
scheint, besteht in der Aufgabe des exklusiven Zugangs
zum Futternapf, der zweimal am Tag für alle drei Katzen
gefüllt wird. Manche Katzenkenner sind der Meinung, daß
-242-
Katzen, falls mehrere vorhanden sind, getrennt gefüttert
werden sollten, wobei einige sogar getrennte Räume
vorschlagen, weil Katzen ihrer Auffassung nach bei
Massenabfütterung
Futterneid
entwickeln
und
Verdauungsstörungen
bekommen.
Doch
den
Konzessionen des Menschen an seine Katzen sind
Grenzen gesetzt, und drei Katzen aus drei Schälchen in
drei getrennten Räumen zu futtern, überschreitet diese in
unseren Augen maßgeblich. Außerdem sind unsere Katzen
nicht sonderlich futterneidisch.
-243-
Vierzehntes Kapitel
Von Katzen und anderen Menschen
Es gibt fröhliche Katzen und weinerliche. Es gibt vor
Begeisterung sprühende und absolut träge Katzen, kluge
Katzen und Katzen, die es kaum mit einer Maus
aufnehmen könne n. Keine andere Tierart bringt so
verschiedenartige Typen hervor – in bezug auf Geschmack
und Appetit, Vorlieben und Haltungen und alles, wodurch
wir letztendlich ein Individuum vom anderen
unterscheiden. Doch keine Rasse (einschließlich der
menschlichen)
weist
geringere
körperliche
Unterscheidungsmerkmale auf. Alle Katzen sehen aus wie
Katzen und betrachten einander als Katzen, ohne eine
bestimmte Abart zu diskriminieren. Hauskatzen variieren
in Gewicht und Größe ungefähr genauso wie Menschen.
Menschen treten in verschiedenen Farbnuancen auf, sind
unterschiedlich gebaut, manchmal stämmig und manchmal
lang und schmal; einige haben runde Köpfe, andere
längliche, ihre Nasen sind aufwärts oder abwärts
ausgerichtet. Ohne gesellschaftlichen Druck würden die
meisten Menschen solche körperlichen Unterschiede
wahrscheinlich genauso nüchtern betrachten, wie Katzen
ihre verschiedenen Variationen akzeptieren.
Doch Katzen wie auch Menschen können unter so
oberflächlichen Dingen wie Färbung und Gestalt leiden.
-244-
Davon kann abhängen, ob das Leben dieses Individuums
in Luxus oder in Mülltonnen oder überhaupt nicht
verbracht wird. Hunderttausende von Katzen müssen Jahr
für Jahr sterben.
Die meisten, die durch menschliche Hand früh zu Tode
kommen, ein unsicheres Leben führen oder schwer
arbeiten, sind gewöhnlich von Farbe, Gestalt und
Fellbeschaffenheit, die sie als »kurzhaarige Hauskatze«
oder »Straßenkatze« qualifizieren. Manche sind sehr
schön; eine der schönsten, die wir je gesehen haben, ist
eine kurzhaarige Hauskatze namens Chinnie, eine silbrig
gestreifte, die in einer Art Katzenheim lebte. Sind sie
gesund und erblich nicht geschädigt, sind diese
Hauskatzen breitbrüstig, wobei die Männchen sich durch
besonders
kräftige
Brustund
Schulterpartien
auszeichnen; sie sind kompakt, auf Stabilität angelegt,
haben eher kurze als lange Schwänze, die zum Ende hin
spitz zulaufen; sie haben kleine Ohren, gewöhnlich an den
Spitzen etwas abgerundet, und eine breite Stirn; ihre
Gesichter sind ziemlich rundlich, das Fell ist kurz und
glatt und fühlt sich weich an.
Keineswegs alle haben diese Charakteristika gemeinsam,
oft genug, weil sie nicht genug zu fressen bekommen,
manchmal aber auch, weil sie überfüttert werden.
Da sie ständig auf Achse sind und allen möglichen
Artgenossen begegnen, treten sie nur selten in den
verlangten Farben auf; viele sind schwarz mit weißen
Flecken an den unmöglichsten Stellen, und nicht wenige,
deren Ahnen Langhaarkatzen begegneten und mit ihnen
das wilde Liebeslied der Katzen sangen, haben ein für
ihren Stand zu langes Fell, das aber für den Aufstieg in
eine höhere Schicht wiederum zu kurz ist. Gewöhnlich
werden sie verschenkt oder finden, wenn überhaupt, dank
ihres eigenen Geschicks und Charmes ein Heim, wie zum
-245-
Beispiel unser Pete. Sie zählen zu den Katzen, die am
leichtesten liebzugewinnen sind, denn sie haben alles, was
eine Katze haben kann, an Intelligenz und Charakter, an
Verspieltheit und Liebesbereitschaft und Verschiedenheit.
Diese Eigenschaften variieren unseres Wissens nicht von
Wurf zu Wurf, und wenn doch, dann sind sie bei der
kurzhaarigen Hauskatze besser ausgewogen als bei den
meisten Rassekatzen, da die Kurzhaarige eine
Kosmopolitin ist, die alles gesehen und jeden getroffen
und sich auf ihren Wanderungen sowohl Wissen als auch
eine Vielzahl von Genen angeeignet hat, die ihre
Selbstgenügsamkeit
und
Anpassungsfähigkeit
gewährleisten. Sie ist ruhig und spricht leise, im
allgemeinen unabhängig vom Geschlecht, im Sopran. Sie
spricht im Grunde sehr selten mit Menschen, es sei denn,
sie verlangt eine Mahlzeit. Die durchschnittliche gesunde
kurzhaarige Hauskatze kann bei jedem Wetter nach
draußen gehen und tut es notfalls auch, ohne daß es ihr
schadet; sie kann sich in wildestem Gestrüpp herumtreiben
und nur mäßig von Kletten befallen heimkommen, die sich
im Fell einer Langhaarkatze nahezu unentwirrbar
verkleben würden, und oft genug kommt sie offenbar mit
einer Ernährung zurecht, die einer Siamkatze den Magen
umdrehen würde.
Von diesen Grundkatzen, vermutlich den Nachkommen
der ägyptischen und der europäischen Wildkatze mit
Beimischungen von nahezu allen kleinen Katzen, die es je
gegeben hat, existieren mehr als von jeder anderen Sorte.
In der Kreuzung mit Rassekatzen, die ihr sehr angenehm
ist, dominiert die kurzhaarige Hauskatze. Das Erbe des
reinrassigen Partners kommt nur in Launen der Natur zum
Ausdruck – vielleicht durch einen auffällig langen Körper
und Schwanz, falls die Hauskatze sich mit einer Siamkatze
eingelassen hatte, vielleicht durch ein besonders langes
-246-
Fell, wenn sie es mit einem streunenden Perser zu tun
hatte. Pam und Jerry waren die Sprößlinge einer
grenzüberschreitenden Begegnung. Ihre Mutter war eine
streunende Siamkatze, ihr Vater ein Landstreicher. Jerry
war insgesamt von tiefgrauer Färbung und sehr schön; sein
Schwanz war vielleicht ein bischen länger, als der seines
Vaters gewesen sein mochte, sein Gesicht ein bißchen
spitzer. Pam war grauweiß und ziemlich langgestreckt.
Beide waren allem Anschein nach Grundkatzen.
Zumindest Pammy war außerdem auch ein wunderbares
Tierchen.
Wie bei anderen Katzen auch und sogar bei Menschen
erreichen nicht alle Individuen den für ihre Rasse
festgeschriebenen Standard. Martini etwa ist für eine
Siamkatze viel zu stämmig, und ihr Schwanz ist nicht lang
genug. Sie hat einen dunkleren Bereich am Bauch, der
nicht ganz der Norm entspricht, und Sherry hat eine
schwache, allerdings sichtbare, Streifenzeichnung an den
Beinen – ein keineswegs ungewöhnlicher Farbdefekt, der
angeblich verschwindet, wenn eine blaue Siamkatze
ungefähr das zweite Lebensjahr erreicht. Auch Sherry ist
eine
merkwürdige
Zusammenstellung;
in
ihrer
Artikulation liegt eine Unsicherheit, die, solange man sie
nicht laufen und springen gesehen hat, schon ein wenig
beunruhigt.
Wir sind, wie inzwischen sicherlich schon festgestellt
wurde, in gewissem Maße Siamkatzen-Fans; lesen wir,
daß jemand schreibt, sie wären vielleicht die zärtlichsten
und intelligentesten von allen Katzen, nicken wir
bestätigend und lesen Martini und Gin und auch Sherry,
wenn sie nicht gerade draußen ist, das Lob laut vor. Und
wir erinnern uns an Geschichten, die in unseren Augen
beweiskräftig sind. Erst neulich zum Beispiel besuchte uns
eine hübsche kleine kurzhaarige Hauskatze, kaum der
-247-
Kindheit entwachsen. Es war eine kalte Schneenacht, und
sie begehrte eindringlich Einlaß.
Wir waren mit Katzen reich versorgt; außerdem
empfiehlt es sich nicht, daß Hauskatzen mit Streunern
Umgang pflegen; solche Begegnungen können zu heftigen
Kämpfen führen. Trotz alledem, man darf eine Katze in
einer nassen, kalten Nacht nicht draußen schreien lassen.
Während unsere drei also auf der Treppe saßen, von wo
aus sie den besten Blick auf die Haustür hatten, lockten
wir die Kleine ins Haus, versorgten sie mit Sahne und
tröstlichen Worten. Sie schleckte die Sahne, schien unsere
Trostworte jedoch kaum zu hören; wir sahen, daß sie gut
gepflegt war, und kamen zu dem Schluß, daß sie ein Heim
hatte, in dem sie aber offenbar einfach nicht hatte bleiben
wollen.
Nach der Sahne war sie für eine Katze ziemlich
phlegmatisch – jedenfalls im Vergleich. Sie saß auf dem
Boden, den Schwanz um sich gelegt, und gab hin und
wieder diesen kleinen, hohen Ton von sich, den Katzen
hervorzubringen pflegen, was wir, weil unsere sich so
anders äußern, fast vergessen hatten. Sie betrachtete die
anderen Katzen mit Interesse, aber fast ohne jede Spur von
Begeisterung. Unsere eigenen reizbaren Tierchen, deren
kleinste
emotionale
Äußerung
einem
Tornado
gleichkommt, staunten im ersten Moment über diese
Ruhe. Dann sprang Gin die Neue voller Wut an, gab
mitten im Angriff auf, schrie und stob buchstäblich in alle
Himmelsrichtungen gleichzeitig davon. Die Besucherkatze
kroch währenddessen unters Sofa und tauchte erst wieder
auf, als der Sturm sich gelegt hatte. Plötzlich meldete
Sherry sich voller Panik, schoß durch das Zimmer und
sprang in die Schornsteinöffnung des Holzkohlengrills,
der glücklicherweise gerade nicht in Betrieb war. Sie
schrie in den Schacht hinauf.
-248-
Martini freilich nahm die Sache dann selbst in die
Pfoten. Nicht gewohnt, von vornherein zum Scheitern
verurteilte Aufgaben hastig anzugehen, begann sie einen
langsamen Vormarsch mit knisternd gesträubtem Fell,
angelegten Ohren und ununterbrochenem drohenden
Grollen. Da wir von ihrem Tierarzt, der viele Katzen
kennt, wußten, daß Martini eine instinktive Mörderin ist,
beschlossen wir, daß es für die kleine Besucherin Zeit war,
nach Hause zu gehen, und schickten sie wieder nach
draußen. Unsere Siamkatzen rannten aufgeregt von Tür zu
Tür, schnitten ihr durchs Glas hindurch Grimassen,
schlugen mit den Schwänzen und stiegen die schlimmsten
Drohungen aus für den Fall, daß sie es noch einmal wagen
sollte, das Haus zu betreten.
Wir sind durchaus nicht der Meinung, daß dieses
Verhalten vorbildlich war oder daß sie auch nur die
Besucherin als eine Artgenossin in Not erkennen und
Mitgefühl hätten aufbringen müssen, vielleicht sogar die
Bereitschaft, das Futter zu teilen. Es gehört sich nicht,
Gäste anzufauchen, und das sagten wir ihnen hinterher
auch deutlich.
Doch gegenseitig versicherten wir uns hinterher, als sie
uns nicht hören konnten, auch, daß wir keine Katzen ohne
Feuer im Leib haben wollten, ohne diese unglaubliche
Aufmerksamkeit gegenüber allem, was um sie herum
vorgeht, die sofortige Reaktion, kurz, ohne all die
Eigenschaften, die wir dieser flinken, klugen, blauäugigen
Rasse zuschreiben. Es ist hübsch, wenn eine Katze
liebenswürdig ist und alles hinnimmt; mit solchen Katzen
ist leicht zu leben. Womöglich klettern sie nicht einmal an
Vorhängen hinauf und brechen nicht genauso unvermittelt
in Wut wie auch in laut schnurrende Liebesbezeugungen
aus. Pete, wenn auch weniger phlegmatisch als unsere
-249-
Besucherin, hatte kein solches Feuer im Leib wie unsere
jetzigen Katzen; wir kennen keine anderen Katzen mit
dieser Veranlagung, abgesehen von denen mit falbem
Körper und braunen Ohren (wie Sherry) und mit blauen,
zur Nase hin schräg gestellten Augen. Doch alle Katzen
dieser Art in unserer Bekanntschaft waren von dieser
sprühenden Intensität, wenn auch zwei oder drei als ältere
Katzen nicht mehr so überschwenglich lebhaft waren.
Diese Eigenart mögen wir an Katzen, und zum Zeitpunkt,
da dieses Buch entsteht, sind wir weiß Gott gut bedient.
Ob Siamkatzen intelligenter als andere sind, kann
niemand vorbehaltlos sagen, denn bisher wurde nicht
versucht, es zu belegen. Ob Siamesen ihre Menschen in
höherem Maße liebgewinnen als andere Katzen, läßt sich
ebenfalls nur erraten. Martini ist, wie gesagt, ungestüm in
ihrer Liebe, sehr selektiv in bezug auf die Personen, denen
sie ihre Zuneigung gewährt, und außer sich vor Wut bei
allem, was sie als mangelnde Reaktion auf Seiten des
Menschen interpretiert. Im Vergleich dazu war Pammys
Liebe ein ständiges Glimmen. Gin, die zwar nicht gern auf
dem Schoß sitzt, ähnelt in ihrer gelegentlichen
Überschwenglichkeit ziemlich ihrer Mutter, wenngleich
sie im Grunde ein sanfteres Wesen hat – was unserer
Vermutung nach auf die meisten Katzen und sogar auf
viele Menschen zutrifft. Sherry mag gern gestreichelt
werden, aber am liebsten kurz; sitzt sie auf dem Schoß,
dann nicht etwa, um dort zu schlafen. Mag sein, daß sie
überhaupt niemanden übermäßig liebt.
Abgesehen von Pammy, die immerhin zur Hälfte
Siamkatze war, kennen wir keine Katzen anderer Rassen,
die so befähigt sind, ihre Liebe zu zeigen, wie Martini und
Gin zu Zeiten. Pete mochte uns auf tolerante Art; die
langhaarige Pat zeigte, sofern die Erinnerung nicht trügt,
kaum Zuneigung zu irgendwem. Aber ist es Freude über
-250-
unsere Rückkehr, die unsere drei zur Tür treibt, die sie die
Nasen ans Glas pressen läßt, sobald sie das richtige Auto
hören, das zumindest Martini auf Anhieb erkennt? Oder
wenn sie in früheren Zeiten Schritte auf der Treppe
hörten? Oder liegt es in erster Linie an dieser
Wachsamkeit, dieser ruhelosen Neugier, die ihnen allen
eigen ist? Pete kam uns nie entgegen. Trotzdem mochte er
uns und hatte viele menschliche Freunde und wurde
weitgehend als überaus liebenswert und zärtlich
betrachtet.
Menschen unterscheiden sich freilich auf ähnliche Art in
ihrer Fähigkeit, Liebe zu zeigen, und die nach außen hin
phlegmatischen haben ihren Mitmenschen eingeredet, daß
stille Wasser tief seien, eine Behauptung, die
überzeugender Beweise entbehrt. Die meisten von uns
wünschen jedoch ein vernünftiges Maß an Reaktion von
denen, die wir lieben und von denen wir uns Liebe
erhoffen, vorausgesetzt, es artet nicht in Übertreibung aus
und damit in den Verlust der gemessenen Würde. Die
Überschwenglichkeit eines Hundes würde niemand von
einer Katze erwarten und auch nie erleben. Doch es ist
hübsch, hin und wieder zu spüren, daß man geschätzt
wird, und ebendies sagen Siamkatzen ihren Menschen,
wenn sie in der richtigen Stimmung sind. Vielleicht sagen
sie es häufiger als die meisten anderen Katzen.
Kein »Ein-Mensch-Hund« hat jemals schärfer zwischen
Menschen unterschieden als Martini; sie ist eine »ZweiMenschen-Katze«, und zwar eine erbitterte. Gin ist nahezu
genauso festgelegt, obwohl sie fremden Menschen, wenn
sie sie schon seit ein paar Monaten kennt, gestattet, sie zu
berühren, und unter der Berührung vielleicht sogar einen
Augenblick innehält. Sherry zeigt an fast allen Menschen
Interesse und ist nicht so überzeugt davon, daß sie ihr
Übles wollen, und trotzdem bevorzugt sie von den zwei im
-251-
engen Familienkreis zur Verfügung stehenden Schößen
ziemlich ausschließlich den einen.
Siamkatzen sind einigermaßen bekannt für diese
Angewohnheit, sich an einen oder an zwei Menschen zu
hängen und anderen desinteressiert, wenn nicht feindselig,
gegenüberzutreten. Wir haben von einer eindeutig
psychopathischen Katze gehört, die ihr Frauchen nicht nur
allen anderen Menschen vorzog, sondern sogar versuchte,
andere Menschen, die ihr über den Weg liefen, zu töten,
und das im buchstäblichen Sinne. Sie saß gewöhnlich
vorm Fenster ihres Hauses und versuchte auszubrechen,
um die fremden Passanten umzubringen. Wenn diese
Katze medizinische Hilfe benötigte, mußte ihr Frauchen
ihr vor dem Eintreffen des Tierarztes Schlaftabletten
einflößen, denn sonst wäre er gar nicht gekommen. Eine
Katze, die es so weit treibt, braucht ganz offensichtlich
einen Psychiater, doch eine gewisse Neigung dazu ist in
dieser Rasse ange legt.
Menschen mögen gerade diese Veranlagung schätzen
und hinreißend finden. Wir lassen uns gern schmeicheln,
wir Menschen; wir können eine ganze Menge
Sonderbehandlung verkraften; einige allerdings ziehen es
vor, daß die Grenze zur Unterwürfigkeit nicht
überschritten wird. Vielleicht liegt es daran, daß
Siamkatzen in unseren Augen so ideale Haustiere sind,
weil sie immer ein wenig kompromißbereit sind, unter
gewissen Bedingungen nicht so sehr auf der
sprichwörtlichen Distanziertheit der Katze bestehen.
Schließlich ist es erfreulich, von drei erwartungsfrohen
Katzen mit großen, gespitzten Ohren an der Tür
empfangen zu werden.
Doch in erster Linie sind Siamkatzen unserer Meinung
nach besonders munter und besonders schön. Sie haben so
klare Linien, sowohl in ihrem Körperbau als auch in der
-252-
Zeichnung ihres Fells, die eine Wohltat sind in dieser
verschwimmenden Welt, wo nur weniges noch so klar ist,
wie es eigentlich sein sollte. Sieht man eine Siamkatze,
sieht man sie als Ganzes, mitsamt dem zierlichen
Knochenbau und den langen Muskeln; man sieht sie
deutlich, ohne Flausch zwischen dem wahrnehmenden
Auge und der Katze. Und wenn sie munterer Stimmung
ist, ist sie das fröhlichste Wesen der Welt.
Unsere Martini wurde von einem Kater berühmten
siamesischen Geblüts gedeckt, und seine Mutter und sein
Vater, seine vier Großeltern, seine acht Urgroßeltern und
seine sechzehn Ur-Urgroßeltern waren eingetragene
Rassekatzen. Das war Martinis einzige Begegnung mit der
wahren Aristokratie der Katzenwelt, und sie kostete uns
fünfundzwanzig Dollar.
Der Kauf eines jungen Kätzchens von einem guten
Zuchtbetrieb ist die klügste Art der Anschaffung eines
reinrassigen Tieres. Aus einem guten Zuchtbetrieb erhält
man mit ziemlicher Sicherheit eine gesunde Katze von
gesunden Eltern. Zuchtbetriebe behalten keine Katzen, die
nicht besonders gut beisammen sind, und verkaufen sie
gewöhnlich auch nicht an Privatpersonen.
Wichtig ist dabei, daß ein solches Kätzchen ausreichend
lange Zeit bei seiner Mutter bleiben konnte, zum
Zeitpunkt des Kaufs frei von Krankheiten und mit einiger
Sicherheit geimpft ist. Handelt es sich um eine
Perserkatze, wird ihr Fell von der bevorzugten Färbung
sein, und Katzen mit solchem Fell sind im allgemeinen die
schönsten Katzen. Geht es um eine Siamkatze, wird sie
den Körperbau und die Fellzeichnung aufweisen, die diese
Rasse so hervorhebt und auszeichnet, selbst wenn es nicht
fürs Championat reichen sollte. Wir würden Martini gegen
keinen Champion eintauschen, doch sie wäre noch
schöner, wenn sie einen längeren, schlankeren Rumpf
-253-
hätte, und es besteht kein Grund zu der Annahme, daß sie
dann nicht mehr dieselbe Katze wäre. Was die
Persönlichkeit einer Katze betrifft, nimmt man natürlich
ein Risiko auf sich, ganz gleich, wo man sie ersteht.
Aus dem Verhalten eines jungen Kätzchens im Wurf läßt
sich weitgehend auf seine späteren Neigungen schließen;
eines ist gewöhnlich der Anführer, ein weiteres kommt in
der Rangfolge gleich danach, irgendeines nimmt den
letzten Platz ein. Der Anführer mag sich unter Umständen
zu einem wahren Tyrannen entwickeln; wir sind
überzeugt, daß Martini nicht nur ihre Brüder und
Schwestern im Wurf terrorisierte, sondern wahrscheinlich
auch ihre Mutter. Die langsamste Katze ist vielleicht
weniger klug als die anderen oder nicht so gesund.
Manche Katzenliebhaber empfehlen das Kätzchen, das
gleich hinter dem Anführer kommt, und das ist wohl die
sicherste Wahl. Wir allerdings würden uns jederzeit für
den Boß entscheiden, voller Vorfreude auf eine wenn auch
manchmal anstrengende, so aber doch niemals langweilige
Beziehung.
Wir allerdings sind auf die gewöhnlichste Art und Weise
in den Besitz von Katzen gekommen – durch Auflesen auf
der Straße, durch ein Geschenk, durch Kauf, durch
Züchtung. Da wir alle unsere Katzen liebten, waren wir
wohl mit all diesen Methoden zufrieden, wobei die
Aufzucht eigener Kätzchen mit Sicherheit die
anstrengendste ist. Unsere nächste Katze werden wir uns
allerdings kaufen, weil – aber was ist das für ein
Geräusch? Der Wicht ist doch nicht etwa
zurückgekommen? Als sie heute morge n ging, nachdem
Gin sie so wütend angefaucht hatte, sah es aus, als wäre es
ein Abschied für immer. Bei Katzen weiß man jedoch nie;
ihr Verhalten voraussagen zu wollen, wäre absurd.
Erst vor ein paar Tagen, vor ein paar tausend Wörtern,
-254-
war der Wicht noch anonym; es hieß nur »Komm,
Kätzchen, komm«. Sie miaute in einer schlimmen Nacht
vor der Terrassentür, wurde eingelassen und getröstet.
Man erkundigte sich nach ihr, und sie lebte – so redeten
wir es uns ein -, auf der anderen Straßenseite. Ein
hübsches kle ines Ding auf seine etwas plumpere,
unsiamesische Art, mit weißer Brust, kurzem Rumpf,
Streifen und grünen Augen; eine Katze, die so ziemlich
sämtliche Farbkombinationen auf sich vereinte,
einschließlich gedrellt-getigert; eine Katze, die sich für
Anekdoten anbot.
Wie sich herausstellte, lebte sie jedoch nicht auf der
anderen Straßenseite, wo an Katzen nur ein weitgereister
Kater wohnte. Auf der anderen Straßenseite war man
gerade die letzte von den acht Katzen des Sommers durch
Verschenken losgeworden, bis auf besagten Kater.
Natürlich würde man unseren kleinen, miauen den
Besucher aufnehmen] falls wir entschlossen sein sollten,
ihn in den Winter hinauszujagen. Das würde jeder tun.
Aber…
Die Katze hatte sich fraglos selbstverständlich gerade
unsere Tür ausgesucht, und selbstverständlich hatten wir
sie eingelassen. Möglicherweise lernten sie und die
Siamkatzen ja, sich zu vertragen. Wir könnten sie zunächst
getrennt füttern, sie über Nacht in ein Gästezimmer
sperren und hoffen, daß sie an Papierschnipsel im
Katzenklo gewöhnt war. Wir könnten sie füttern und ihr
heißhungriges Schlingen beobachten, sie hochnehmen –
während Martini flucht und Gin faucht und Sherry tadelnd
schreit – feststellen, wie zart sie doch unter ihrem ziemlich
schütteren Fell ist. (Und entdecken, so gut es Laienfingern
möglich ist, daß sie nicht sonderlich schwanger zu sein
scheint.) Sie würde auf dem Schoß des sanften alten
Mannes sitzen, der jetzt bei uns lebt und so gekränkt war
-255-
und nicht begreifen konnte, daß keine der schüchternen
Blauäugigen ihm mehr als eine Berührung gestattete. Von
seinem Schoß würde der Wicht sich auch mit Gewalt nicht
leicht vertreiben lassen.
Zwei Nächte hat sie inzwischen im Gästezimmer
verbracht, und sie ist stubenrein. Sie hat ihr ganzes junges
Leben bis auf vielleicht zwei Wochen mit Menschen
verbracht. In diesen zwei Wochen ist sie scheu geworden,
doch das wird nicht so bleiben. Sie kennt das Geräusch
einer sich öffnenden Kühlschranktür so gut wie jede
andere Katze, und gestern abend versuchte sie, sich zum
Abendessen den anderen anzuschließen. Es kam nicht
gerade zum Augenauskratzen, doch sie mußte entfernt
werden, und dann wollten die Siamkatzen lange Zeit nicht
fressen, sondern nur vor der Tür zum Gästezimmer in
Lauerstellung hocken. Falls wir sie behalten und falls es
noch nicht zu spät ist, müssen wir sie sterilisieren und
impfen lassen. Martini ist sehr nervös, weil sie schon
einmal hier war und jetzt schreit, um wieder eingelassen
zu werden; gestern abend hat Martini einen von uns kurz
angefaucht, und als Gin sich ganz unschuldig von hinten
an sie heranmachte, wurde sie angezischt und geohrfeigt,
bevor Martini sich wieder unter Kontrolle bekommen
konnte…. Falls die teils Tigerkatze, teils Alles-andereKatze zu bleiben beschließt, müssen wir uns anstelle vo n
Der Wicht einen besseren Namen für sie überlegen…. Wir
wünschen den Dingsdas, die sie auf unserer Straße
ausgesetzt haben, die Pest an den Hals, wie allen anderen
auch, die Katzen auf Straßen aussetzen.
Doch die nächste Katze nach dieser, wenn wir denn an
dieser hängenbleiben – und wollen wir es nicht im Grunde
sogar? -, wird mit Sicherheit eine gekaufte Katze sein. Es
gibt in unserer Nähe Zuchtbetriebe für Siamkatzen, also
brauchen wir uns nicht auf unser Glück zu verlassen. Wir
-256-
können unter den zwei oder drei Monate alten Kätzchen
wählen; vielleicht ist es jetzt, da wir auf dem Lande leben
und unsere Katzen sterilisiert sind, mal ganz interessant, es
mit einem Kater zu versuchen.
Doch wir werden niemals, nicht einmal als Amateure,
Katzen züchten, und wir werden sie niemals ausstellen.
Dessen sind wir uns ziemlich sicher. Wir, die nur wenigen
Clubs angehören und diese nur selten aufsuchen, haben
nicht vor, uns einem Katzen-Club anzuschließen. Es mag
ja ganz lustig sein, doch irge ndwie erscheinen sie uns ein
bischen unnormal. Katzen schließen sich nicht zu Clubs
zusammen, und Katzenfreunde sind nicht unbedingt
geselliger Natur.
Aber vielleicht ist selbst diese Behauptung zu weit
gefaßt. Verallgemeinerungen über Katzenfreunde sind fast
so riskant wie Verallgemeinerungen über Katzen selbst;
unter ihnen gibt es fast genauso viel Verschiedenartigkeit
wie unter den schnurrenden (oder fauchenden) Objekten
ihrer Liebe, wenngleich Menschen nicht in so vielen
hübschen Farben auftreten. Kriegshelden halten meistens
nicht viel von Katzen, wird behauptet – und man denkt an
Mohammed vielleicht, der sowohl ein Krieger als auch ein
Prophet war und als großer Katzenliebhaber galt.
Schriftsteller mögen Katzen häufig sehr, wenn es auch ein
paar Katzenhasser unter ihnen gibt; es trifft nicht
notgedrungen zu, daß gute Schriftsteller aelurophil sind
und schlechte nicht, denn auf beiden Seiten bestehen
einfach zu viele Ausnahmen von dieser Regel.
(Shakespeare hatte offenbar nicht viel für Katzen übrig.)
Viele Schauspieler mögen Katzen und können, da sie
meistens körperlich recht attraktiv sind, im Gegensatz zu
den meisten Menschen das Risiko eingehen, sich mit
Katzen fotografieren zu lassen. Viel mehr Frauen als
Männer sind katzensüchtig, doch die bekanntesten und
-257-
redegewandtesten sind Männer, von Mohammed bis Carl
Van Vechten.
Katzen passen in viele verschiedenartige Lebensstile, da
sie selbst in ihrer Eigenschaft als Tiere so verschiedenartig
und anpassungsfähig sind. In einer Stadtwohnung sind sie
recht zufrieden und können dort schadlos während des
Arbeitstags sich selbst überlassen bleiben oder unter
Umständen auch die Wohnung verlassen. Ein möbliertes
Zimmer bietet Platz genug für einen Menschen und eine
Katze, wenn sich nichts Besseres bietet und die
Vermieterin großzügig ist; ein einsam lebender Mensch,
gleich welchen Geschlechts, ist nicht mehr so allein mit
einer Katze auf dem Schoß. Hunde verlangen, abgesehen
von sehr alten Tieren, beträchtliche Vitalität von ihren
Menschen; man muß nach Herzenslust mit ihnen toben,
muß sie Gassi führen. Eine Katze zufriedenzustellen, ist
dagegen nicht schwer, sofern sie ihren Menschen mag und
über ein großes Herz verfügt. Sie kann mit ihrem
Menschen am Feuer dösen und nur von Mäusen träumen –
ihre Träume erkennt der Mensch am Zucken der Muskeln;
manchmal rennt sie beinahe, wenn sie im Schlaf auf Jagd
geht. Am Feuer fühlt sie sich so behaglich wie kaum ein
anderes Tier. Ihr wohnt eine Unrast inne, die nach mehr
verlangt, doch wenn die Rastlosigkeit ihres Menschen mit
den Jahren abgeebbt ist, gibt sie sich zufrieden mit dem,
was sie hat. Eine Katze würde, wenn nötig, auch im
Kloster leben.
Doch sie ist auch für das Leben da draußen groß genug;
das gewaltigste Haus und die ausgedehnteste Wiese sind
für eine Katze nicht zu groß, wenn sie sich einmal
eingewöhnt hat. Sie wird das Leben draußen auf eigene
Faust erforschen und alle möglichen faszinierenden
Entdeckungen machen wie auch große Gefahren erkennen;
draußen lebt sie vielleicht nicht so lange wie in einem
-258-
Zimmer, doch ihr Leben wird aufregender sein; sie wird
mit glänzenderen Augen und glatterem Fell – wenn auch
vielleicht voller Kletten – nach Hause kommen und von
ihren Eroberungen berichten. Vielleicht geht sie mit ihrem
Menschen spazieren, was viele Katzen mögen. Manchmal
trottet sie still hinter ihm her, meistens aber tobt sie
begeistert voraus, um ein Dickicht zu erforschen, und
bleibt dann, dem Duft einer Maus nachspürend, zurück,
bis der Mensch sicher ist, daß sie sich verirrt hat, und
stehenbleibt, um sie zu rufen.
Sie mag auch, wenn es denn sein muß mit einer Scheune
einverstanden sein, solange sie Futter und nach Laune ein
menschliches Bein zum Schmusen hat. Zwei oder drei
Katzen unserer Bekanntschaft arbeiten in einer Scheune
bei Ridgefield und kümmern sich um alles, während der
Bauer, dem die Scheune gehört, in seinem Gewächshaus
beschäftigt ist und seine Frau bei uns aushilft. Die Katzen
sind recht zufrieden, wenn auch schwer beschäftigt, und
sie scheinen den fetten Hund, der ebenfalls dort lebt und
öfter ins Haus darf als sie, gar nicht zu bemerken. Wie wir
hören, sind es gute Katzen; seit sie in der Scheune leben,
gibt es keine Ratten und Mäuse mehr, weder in der
Scheune noch im Haus. (Trotzdem: genug ist genug; die
Frau des Gärtners weigerte sich, den Wicht aufzunehmen.)
Eine Katze kann man aus jedem erdenklichen Grund
mögen; die Bestätigung dafür findet sich im Verhalten der
Katze. Falls jemand eine Mausefalle benötigt: Nichts
macht einer Katze soviel Spaß wie die Jagd auf Mäuse;
sucht man ein Schmuckstückchen, bietet sich nahezu jedes
Exemplar dafür an, und wenn Katzen und Polstermöbel
sich schwer vereinbaren lassen, machen sie das doch als
Dekoration wieder wett; wenn jemand allein ist und sich
etwas Lebendiges, Warmes in seiner Nähe wünscht, das
sich seiner Hand anvertraut: eine Katze tut nichts lieber,
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als für einen solchen Menschen zu schnurren. Wer
Unterhaltung wünscht, findet sie ohne großartige
Aufforderung in den entzückenden Beschäftigungen von
Katzen; er muß nur mit ihr spielen oder ihr ein Spielzeug
geben, um die entspannte Schläferin vorm Feuer in eine
radschlagende Akrobatin zu verwandeln. Zu all diesen
Zwecken – Mäusefreiheit, Dekoration, Gesellschaft und
Unterhaltung – halten Menschen sich Katzen. Wer eine
Katze um sich hat, kann auf perfekte Erledigung zählen.
Und auf sehr viel mehr natürlich. Trotz unserer
großartigen Fähigkeit, einander zu vernichten, unserer
Geschicktheit im Niedermetzeln, sind wir doch
Herdentiere, lassen uns zahm in die Vernichtung führen
und führen uns selbst dorthin. Schauen wir eine Katze an,
nehmen wir vielleicht verschwommen diesen anderen,
nicht in Herden geführten Lebensstil wahr, den Katzen
verkörpern und dem sie mehr als jedes andere Tier
anhängen.
Martini sitzt da und schaut einen von uns an, und
obwohl sie bei uns ist, obwohl sie uns mit Sicherheit liebt,
sitzt sie allein da; obwohl Martini und ihre Töchter in
kühlen Nächten zusammengekuschelt schlafen, schlafen
sie allein, wie sie allein ausgehen und allein jagen und
allein die schreckliche Angst vorm Tod erleben, die sie
hochspringen und zitternd an einen Ast gekauert daliegen
läßt, wenn der Hund bösartig ist. Dieses wilde Alleinsein
ist nicht so einfach, wie die Romantiker es darstellen, und
auch nicht so offensichtlich. Eine Katze ist genauso
»zahm« wie ein Hund und macht entschieden weniger
Lärm darum; sie ist vom Dschungel genauso weit entfernt
wie der Mensch und kehrt wie der Mensch dorthin zurück,
um seine Bewohner zu töten.
Und dennoch erkennen wir in ihr ein grundsätzlich und
vielleicht bedeutungsvoll von uns verschiedenes Wesen;
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ihr wohnt eine Fremdheit inne, die vielleicht der Grund
dafür ist, daß viele Menschen einer Katze nicht so sachlich
begegnen können, wie sie alle, abgesehen von den
Züchtern, Hunden gegenüberstehen, ganz gleich, wie sehr
sie sie lieben. Die Katze ist eine Individualistin, ist die
Abweichung von der Norm; sie ist das Wesen, das nie in
Rudeln gejagt und nie in Herden gekämpft und nie in
Versammlungen entschieden hat. Sie besitzt die Würde
der Selbstgenügsamen und das Selbstvertrauen der
Selbständigen. Wenn man beim Anblick einer Katze für
den Augenblick neidvolle Bewunderung für das
nichtmenschlich Freie verspürt, handelt es sich um nichts
weiter als momentane Sentimentalität und Sehnsucht nach
einem Traum. Der Katze sollte man das nicht zum
Vorwurf machen.
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Nachwort
von Otto Penzler
Seien wir ehrlich: Katzen sind gar nicht so intelligent.
Sicher, sie sehen schlau aus, verhalten sich klug in ihrer
Geduld und oberflächlichen Ruhe, doch sie sind es nicht.
Keine Katze hat je eine Symphonie geschrieben, Schach
gespielt oder gewußt, wo Bulgarien liegt. Auf
kulinarischem Gebiet bevorzugt die Katze Mäuse, um
Himmels willen! Ist das etwa intelligent?
Allerdings sind es hinreißende Geschöpfe. Sie drücken
in ihrer Haltung eine stille Würde aus, die uns Respekt
abverlangt. Und häufig tun sie Dinge, die wir Menschen
so liebenswert finden, daß es unmöglich ist, sie nicht ins
Herz zu schließen.
Hier ist ein Buch über Katzen und Menschen, die Katzen
lieben. Frances und Richard Lockridge, ihres Zeichens
Autoren vo n Detektivgeschichten und Katzenfreunde aus
Berufung, wußten, daß das Leben mit dem kleinen Wesen
unaufhörliche Spekulation über sein tiefinneres Wesen
bedeutet. In ihrer Eigenschaft als Schriftsteller (am besten
bekannt als die Schöpfer von der Mr.-und-Mrs.-NorthSerie), nicht als Verhaltens forscher, gingen sie dieses
recht hübsche Problem unwissenschaftlich an, die Lupe
auf ihre Umgebung und auf die kleinen pelzigen Wesen
gerichtet, die ihnen um die Knöchel strichen.
Induktiv – wie der überwiegende Teil der Krimiliteratur
eben nicht vorgeht, in der die Beschreibung eines
einzelnen Schuldigen das Ziel ist – stützen die Autoren
ihre spritzigen Abhandlungen über das Wahre Wesen der
Katze mit Leckerbissen aus der weitgefächerten
Forschung, die zu recherchieren gewiß viel Spaß gemacht
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hat.
Beim Kramen in Beobachtungen und Schlußfolgerungen
früherer Katzengelehrter und Katzenfreunde greifen die
Lockridges voller Freude auf langvergessene, verstaubte
Annalen zurück und tragen genau zur Jahrhundertmitte
Material zusammen. Das Ausmaß von Ailurophobie und
grundlegender Fehlinformation über Katzen, das sich
ihnen auftat, versetzte sie in ein herrliches Fieber der
Empörung. Wenn dieses Buch eine Botschaft enthält, dann
die, die das Wörtchen »und« im Titel impliziert: daß
Katzen und Menschen nicht nur eine natürliche
Verbindung in gegenseitiger Achtung und Zuneigung
eingegangen sind, sondern auch, daß die Ursprünge der
Beziehungen zwischen Katzen und Menschen bis in graue
Vorzeit zurückreichen.
Viele verwöhnte Miezen werden heutzutage als die
höchstgestellten Wesen im Haushalt betrachtet, und die
Lockridges erinnern den Leser, daß die geschmeidigen
Vorfahren eben dieses Tieres mehrere tausend Jahre vor
Christi Geburt in Ägypten zur Gottheit erhoben wurden.
Noch früher, in der frühen Dämmerung der Geschichte
und womöglich sogar Urgeschichte, mag die Katze von
primitiven Stämmen als Totem betrachtet worden sein.
Wie erklären die Autoren diese Verschiebung auf eine
höhere Ebene der Verehrung? Die Katze, so schreiben sie,
war ein hilfreicher kleiner Gott; indem sie das Getreide
jener (Bauern) verteidigte, die sie schützten, hat sie
vielleicht dazu beigetragen, daß sie besser ernährt waren
als die Männer anderer Stämme, und damit stärker. In
einer Welt, wo der Kampf ums Überleben alles war,
mußten werdende Götter irgendeinen eindeutig nützlichen
Wert unter Beweis stellen. Irgendwann erreichte die
Katzenanbetung den Punkt, wo ganze ägyptische
Adelsfamilien den Tod ihrer Katze betrauerten. Trotzdem
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näherte sich geschwind der Zeitpunkt, an dem das kleine
schnurrbärtige Tier vom Sockel gestoßen wurde und
einfach in die Zukunft wanderte, schon auf dem Weg zum
Schmusetier der modernen Zivilisation.
Trotz aller geschmeidig aufgebrachten Gelehrsamkeit
kehren die Lockridges doch immer wieder gern zu dieser
vertrauten Bedeutung der Katzen im Leben des Homo
sapiens zurück. Es ist gewiß eine weitverbreitete
Überzeugung, daß die Welt sich säuberlich in
»Hundemenschen« und »Katzenmenschen« aufteilen läßt.
Ebenso trifft es zu, daß im letzteren Feld ein besonderer
Stolz darauf herrscht, daß Katzen im Gegensatz zu ihren
häufig eifrig um Gefallen bemühten Rivalen nicht
besessen werden können. Doch die Lockridges tun diese
Meinung als gut gemeinte, aber trotzdem irregeleitete
»Katzensentimentalität« ab und widmen einige der
bemerkenswertesten Passagen ihres Buches den
anekdotischen Beobachtungen an sechs Katzen – Pam,
Jerry, Martini (auch als Teeney bekannt), Gin, Sherry und
Pete -, die ihnen ihrer Meinung nach ganz eindeutig
gehörten.
Wenn sie die Sprünge und Spiele ihrer Katzen
beobachten und dem Leser die Feinheiten jeder einzelnen
Katzenpersönlichkeit nahebringen, erweisen sich die
Lockridges als Amateur-Naturforscher erster Sorte. Unter
Beibehaltung
einer
beständigen,
wohlwollenden
Betrachtungsweise streben sie sowohl die Darstellung von
Ritualen (Katzen bei der Werbung, Katzen auf der Jagd
usw.) an als auch Ungewöhnliches (zum Beispiel die
kurzzeitig verlegene Katze). Ihnen ist außerdem bewußt,
daß die Sprache der Katze über ein eigenes Vokabular
verfugt; wenngleich ihr ein Wörterbuch fehlt, kann die
Katzenkommunikation doch von jedem, der sich bemüht,
intuitiv begriffen werden. Als wahrhaft lebendige Sprache
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enthält sie das vielleicht ausdrucksvollste wie auch
geheimnisvollste Geräusch, dessen Tiere, einschließlich
des Menschen, fähig sind – das Schnurren. Was hat es zu
bedeuten? Das weiß niemand ganz genau; fest steht
jedoch, daß diese hörbaren Vibrationen eine Menge
vermitteln und doch nichts spezifizieren.
Die verbale Ausdrucksweise der Lockridges selbst ist
einfach, aber beredt. Gern bereit, den vierbeinigen
Objekten ihres Interesses jegliche Selbstdarstellung zu
überlassen, nähern sie sich gelegentlich dem poetischen
Bereich, wie zum Beispiel bei der Beschreibung der
Siamkatze, der Rasse, zu der sie sich am stärksten
hingezogen fühlen. Die Lockridges glauben nicht nur an
die Vormachtstellung der Katze, sondern auch an die
Überlegenheit derer, die Katzen lieben. (Mark Twain hat
bekanntlich sinngemäß gesagt: Wenn sich der Mensch mit
der Katze kreuzen ließe, ergäbe dies einen besseren
Menschen, doch die Katze hätte das Nachsehen.) Katzen
kommen Menschen entgegen und sind ihnen Gefährten,
wenn sie ihrerseits Dienstleistungen erbringen: Auf diese
Weise erfüllt die Katze eine Aufgabe, die sie nie
beabsichtigt hat und die nie von ihr erwartet wurde, und
die inzwischen uralte und weiterhin bestehende
Partnerschaft ist auch über Generationen hinweg immer
wieder erfrischend.
Viele Krimifans bleiben der Erinnerung an die lauten
selbstbewußten Katzen treu, die 1940 als erste in Frances
und Richard Lockridges The Norths Meet Murder über die
Seiten stelzten.
Martini und ihre Töchter Gin und Sherry lebten bei dem
Amateurdetektiv Jerry North, einem Verlagsangestellten
in Manhatten, und seiner Frau Pam, der klassischen
spinnerten Heldin. Während ihrer Blütezeit in den
Vierzigern und Fünfzigern stellte diese halb Menschen-,
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halb Katzenfamilie im Herzen von Greenwich Village ein
ungeheuer beliebtes Team dar, vielleicht weil ihre
humorvollen Verwicklungen mit Gaunern und Mördern in
willkommenem Kontrast zu den bedeutend bittereren
Schlagzeilen des wirklichen Lebens jener Ära standen.
1936 als Serie fröhlicher Sketche im New Yorker
eingeführt, tauchten die Norths daraufhin in
sechsundzwanzig Romanen wieder auf und erfuhren die
Ehre, sich selbst auf der Bühne, im Radio, im Fernsehen
und im Kino erleben zu können.
Laut Richard Lockridge waren die Norths zunächst
ziemlich autobiographische Figuren. (Cleveres junges
Ehepaar schlägt sich geschickt in der Großstadt durch.)
Sie entwickelten sich jedoch zu unverbesserlichen
Teilzeitspürhunden, nachdem Lockridges Job als Reporter
bei der New York Sun ihm persönliche Erfahrungen mit
einer Serie von sensationellen Mordprozessen einbrachte.
Die Tatsache, daß Frances Lockridge meinte, die
Haushaltskasse durch das Verfassen eines Krimis
aufbessern zu können, spielte eine nicht unbedeutende
Rolle in ihrem ersten Entschluß, den Versuch zu wagen.
Sie begann den Roman ohne die bekannten Norths, die
erst hinzukamen, als Richard sich zur Mitarbeit entschloß.
(Pam und Jerry, das sollte hier angemerkt werden, nannten
die Lockridges auch ein Katzenpärchen, das in den
vierziger Jahren bei ihnen lebte; dieses halbsiamesische
Schwester-Bruder-Gespann tritt auch häufig in von Katzen
und Menschen in Erscheinung.
Die Partnerschaft der Lockridges als Ehepaar und
Autorenteam dauerte einundvierzig Jahre. Außer den
North-Geschichten schrieben sie zusammen eine Serie mit
Inspektor Merton Heimrich von der New York State
Polizei als Helden wie auch eine Reihe mit weniger
bekannten Seriencharakteren: Nathan Shapiro vom New
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York Police Department und Staatsanwalt Bernie
Simmons aus New York. Darüber hinaus veröffentlichten
die Lockridges vier Kinderbücher: The Proud Cat (1951),
The Lucky Cat (1953), The Nameless Cat (1954) und The
Cat Who Rode Cows (1955). Richard allein schrieb 1957,
ebenfalls für Kinder, One Lady, Two Cats. 1960 waren
beide Lockridges Co-Präsidenten der Mystery Writers of
America.
Frances Lockridge starb 1963. 1965 heiratete Richard
ein zweites Mal; er starb 1982 und überlebte seine zweite
Frau Hildegarde Dolson nur um ein Jahr.
Als Schriftsteller, die Sprache begriffen und
wertschätzten, haben Frances und Richard Lockridge ihren
Katzen – im Grunde genommen allen Katzen – auf die
Weise, die ihnen am besten lag, Tribut gezollt. Dieses
hinreißende Buch ist Ausdruck und Höhepunkt ihrer
persönlichen und professionellen Wertschätzung jener
reizenden Tierchen, die ihr Leben so bereichert hatten.
Ich habe mit der Behauptung begonnen, daß Katzen gar
nicht so intelligent sind. Keine Katze hat jemals eine
Symphonie geschrieben, Schach gespielt oder gewußt, wo
Bulgarien liegt. Fairerweise muß ich jetzt allerdings die
Frage stellen: Wie viele Menschen können das von sich
behaupten?
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