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Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I
Die Willenserklärung
I.
Definition
Die Willenserklärung ist eine W illensäußerung, die auf den Eintritt
eines Rechtserfolges (Rechtsfolge) gerichtet ist.
II.
Tatbestand der Willenserklärung
objektiver Tatbestand
Willensäußerung:
subjektiver Tatbestand
3 Bestandteile:
• Wille wird nach außen zum a. Handlungswille
Ausdruck gebracht
• für Außenstehende als
der
Erklärende
betreffende
will
die
Handlung
Kundgabe eines
überhaupt vornehmen (fehlt
Rechtsfolgewillens/Rechts-
z.B. unter Hypnose oder im
bindungswillens zu
Schlaf)
erkennen
b. Erklärungsbewusstsein
der
Erklärende
Rechtsfolgewillen
will
einen
äußern;
fehlt z.B. bei Unterzeichnung
eines Schecks im Glauben, es
handele sich um eine bloße
Besuchsbestätigung für einen
Vertreter
c. Geschäftswille
der Erklärende will gerade das
tatsächlich
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zustande
Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I
gekommene
Geschäft
mit
seiner Erklärung herbeiführen;
fehlt
z.B.,
wenn
ein
Scheckaussteller
versehentlich einen höheren
Betrag als gewollt einsetzt
III.
Arten der Willenserklärungen
ausdrückliche W E
konkludente
(stillschweigende) WE
ausdrückliche Erklärung des
Aus dem Verhalten des
rechtsgeschäftlichen Willens
„Erklärenden“ ist mittelbar auf
einen bestimmten
Bsp.: A schreibt seinem Mieter B: Rechtsfolgewillen zu schließen
(sog. schlüssiges Verhalten)
„Hiermit kündige ich Ihnen
fristlos.“
Bsp.: Besteigen der Straßenbahn
lässt auf den Willen zum
Abschluss eines
Beförderungsvertrags schließen
Sonderproblem: Schweigen
Grundsatz : Bloßes Schweigen hat keinen Erklärungswert.
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Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I
Ausnahmen:
• Vereinbarung zwischen den Parteien, dass Schweigen als
Erklärung gelten soll
(beachte: die Betonung liegt auf Vereinbarung! eine einseitige
Erklärung eines Vertragswilligen, er nehme bei Schweigen
Zustimmung an, genügt natürlich nicht!)
• sog. normiertes Schweigen oder Schweigen an Erklärungs
statt: in bestimmten Fällen schreibt das Gesetz dem Schweigen
die Wirkung einer WE zu, dabei ist unerheblich, ob der
(schweigende) Betroffene diese Rechtsfolgen gewollt hat oder
nicht
Bsp.: §§ 108 II, 177 II 2, 455 S. 2, 516 II 2 BGB, § 362 HGB
• Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben
(gesetzlich nicht normiert, aber gewohnheitsrechtlich anerkannt);
à Voraussetzungen:
(1.)
Urkunde, in der auf einen (nach Meinung der Parteien)
zustande gekommenen Vertrag und auf seinen wesentlichen
Inhalt verwiesen wird
(2.)
Kaufmannseigenschaft beider Parteien (oder entsprechende
Teilnahme am Geschäftsleben, z.B. Freiberufler)
(3.)
Vertragsverhandlungen vor Absendung des Schreibens
(4.)
Absendung und Zugang des Schreibens alsbald nach dem
(angestrebten) Vertragsschluss
(5.)
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Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I
à Wirkung: widerspricht der Empfänger eines kaufmännischen
Bestätigungsschreibens nicht unverzüglich, kommt der Vertrag
zwischen
ihm
und
dem
Absender
mit
dem
im
Bestätigungsschreiben festgelegten Inhalt zustande
IV.
Wirksamwerden von Willenserklärungen
Nur unvollständige Regelung im BGB: §§ 130-132!
Grundsatz:
Empfangsbedürftige WE werden mit Abgabe und Zugang
wirksam.
Nicht empfangsbedürftige WE werden bereits mit Abgabe
wirksam.
Abgabe einer Willenserklärung
Rechtliche Bedeutung der Abgabe:
• nur abgegebene WE können wirksam werden (s.o.)
• § 130 II: wenn der Erklärende nach Abgabe der WE stirbt oder
geschäftsunfähig wird, bleibt die Wirksamkeit der WE davon
unbeeinflusst
• Anfechtung (§§ 119 ff.): der zur Anfechtung berechtigende Irrtum
muss im Zeitpunkt der Abgabe der WE vorliegen
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Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I
1. Unterscheidung: empfangsbedürftige / nicht empfangsbedürftige WE
empfangsbedürftig
nicht empfangsbedürftig
§ 130 I 1: „eine Willenserklärung, Bsp.: Auslobung, § 657;
die einem anderen gegenüber
Eigentumsaufgabe (Dereliktion),
abzugeben ist“
§ 959; Testament, § 2247
Abgabe,
Abgabe
• wenn sich der Erklärende
durch Entäußerung
der Erklärung entäußert hat
• diese in Richtung auf den
Empfänger in Bewegung
gesetzt hat
• bei Zugrundelegung
normaler Verhältnisse mit
dem Zugang beim
Empfänger gerechnet
werden darf
(kumulative Voraussetzungen,
d.h. alle müssen vorliegen!)
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Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I
2.
Unterscheidung:
Abgabe
empfangsbedürftiger
WE
gegenüber Anwesenden / Abwesenden
Abgabe gegenüber
Abgabe gegenüber
Anwesenden
Abwesenden
1. mündliche WE
1. mündliche WE
Erklärung muss so geäußert
Abgabe erfolgt durch einen Erklä-
werden, dass der Anwesende in
rungsboten: Erklärung muss dem
der Lage ist, sie zu verstehen
Boten gegenüber vollendet sein,
und der Bote muss die Weisung
haben, sie an den Empfänger zu
übermitteln
2. schriftliche WE
2. schriftliche WE
Erklärung muss in der Urkunde
das vollendete Schriftstück muss
fixiert sein und dem anwesenden in Richtung auf den Empfänger
Empfänger übergeben werden
auf den Weg gebracht werden,
so dass mit einem Zugang beim
Empfänger gerechnet werden
kann
V.
Zugang von Willenserklärungen
Definition: Zugegangen ist eine Erklärung, sobald sie derart in den
Machtbereich
des
Adressaten
gelangt
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ist,
dass
bei
Annahme
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gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, er könne von ihr
Kenntnis erlangen.
= > Risikoverteilung wie folgt:
Absender trägt das Risiko,
Empfänger trägt das Risiko,
dass seine Erklärung den
dass er die Erklärung
Empfänger
- gar nicht,
- gar nicht,
- nicht rechtzeitig,
- nicht rechtzeitig,
- nicht richtig,
- nicht richtig,
- nicht vollständig
- nicht vollständig
zur Kenntnis nimmt.
erreicht.
(zu Einzelfragen Brox, AT d. BGB, Rn. 149 ff [Zustellung per Post,
Einschaltung von Mittelspersonen und Kommunikationssystemen])
wichtig: § 130 I 2 BGB (nur noch nicht zugegangene WE kann man
widerrufen!)
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Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I
Zugang gegenüber
Zugang gegenüber
Anwesenden
Abwesenden
1. mündliche WE
1. mündliche WE
Wenn Erklärender annehmen
Bote entäußert sich der
darf, der Empfänger hat die WE
Erklärung so, dass er annehmen
verstanden (eingeschränkte
darf, der Empfänger habe ihn
Vernehmungstheorie = h.M.)
verstanden
2. schriftliche WE
2. schriftliche WE
Erreichen des Machtbereichs des Schriftstück in Machtbereich des
Empfängers + Möglichkeit der
Empfängers, so dass unter
Kenntnisnahme unter normalen
normalen Umständen mit
Umständen = regelmäßig mit
Kenntnisnahme zu rechnen ist
Übergabe
Einzelfälle zum Zugang:
a. Brief wird in den Hausbriefkasten eingeworfen à Zugang spätestens
am nächsten Morgen (zu jeder Tages- und Nachtzeit muss man nicht
nachforschen, ob nicht eine WE eingegangen ist: kein Zugang „zur
Unzeit“, es sei denn es erfolgt tatsächliche Kenntnisnahme)
b. Postlagernd gesandter Brief à Abstellung auf den üblichen
Abholtermin
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c. Mündliche WE wird auf Anrufbeantworter gesprochen à Regeln über
den Zugang unter Abwesenden gelten à Zugang mit Aufsprechen auf
den Anrufbeantworter
d. Fax
à
wie
Brief,
Ausdruck
auf
dem
Empfangsgerät
Zugangsvoraussetzung (d.h. tagsüber Zugang sofort, zur Unzeit am
nächsten Morgen)
e. Geschäftliche E-Mail geht während der Geschäftsstunden ein
à Zugang mit Eingehen (Speicherung auf Mailbox)
f. Geschäftliche E-Mail geht außerhalb der Geschäftszeiten ein
à Zugang mit dem nächsten Geschäftsstundenbeginn
g. Private E-Mail: Zugang erst mit tatsächlichem Abruf (es sei denn,
Teilnahme am Rechtsverkehr im konkreten Fall durch E-Mail
akzeptiert à dann entsprechend wie geschäftliche Nutzung)
h. Einwurf eines Briefes in Hausbriefkasten bei urlaubsbedingter
Abwesenheit à konkrete Abwesenheit für Zugang irrelevant,
Beurteilung abstrakt à keine Besonderheiten
i. Vermieter sendet überraschend (nicht vorher in Aussicht gestellt)
Kündigung per Brief an Mieter, der sich zu längerem Heimaturlaub in
der Türkei aufhält, obwohl er von dessen Abwesenheit weiß
à Zugang erst nach Rückkehr des Mieters (§ 242)
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Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I
Zugangshindernisse:
1. Verweigerung der Annahme bzw. des Anhörens der WE
a. Berechtigte Verweigerung à kein Zugang
Bsp.: ungenügend frankierter Brief (Strafporto); Anschrift nicht eindeutig
b. Unberechtigte Verweigerung à „normaler“ Zugang, wenn die WE
in den Machtbereich des Empfängers gelangt und man unter normalen Umständen mit seiner Kenntnisnahme rechnen kann (dass
er tatsächlich die Kenntnisnahme verweigert, geht zu seinen
eigenen Lasten).
2. Zugangsverzögerung
Wichtig bei fristgebundenen WE (z.B. Kündigung) à Wertung wie oben:
Der Erklärungsempfänger kann sich nicht mit Erfolg auf eine Verzögerung berufen, sofern ihm diese zuzurechnen ist. Dies ist der Fall,
wenn der Empfänger grundlos und unberechtigt den Zugang vereitelt
oder wenn er es unterlassen hat, Vorkehrungen für einen rechtzeitigen
Zugang zu treffen, obwohl es ihm aufgrund besonderer Umstände oblag,
Vorsorge für einen rechtzeitigen Zugang zu treffen (Brox Rn. 158).
3. Zugangsverhinderung
Bsp.: Kündigungsbrief kommt als „unzustellbar“ zurück; E-Mail wegen
Überfüllung der Mailbox „unzustellbar“ à Wertung wie oben (Brox
Rn. 159):
a. Zugangshindernis geht zu Lasten des Erklärenden à kein Zugang
b. Zugangshindernis
geht
zu
Lasten
des
à Wahlmöglichkeit des Erklärenden (heute h.M.):
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Empfängers
Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I
- Erklärender tut nichts, bemüht sich also nicht weiter um den
Zugang à Rechtsfolgen der Erklärung treten nicht ein.
- Erklärender will die Wirksamkeit der Erklärung herbeiführen à
Erklärender muss so schnell wie möglich alles ihm Zumutbare und
nach der Sachlage Erforderliche unternehmen, um den Zugang
doch noch zu bewirken à tut er das, gilt die WE als rechtzeitig
dem Empfänger zugegangen.
VI.
Wirksamwerden
von
WE
gegenüber
Geschäfts -
unfähigen und beschränkt Geschäftsfähigen:
a. Geschäftsunfähige: WE wird wirksam, wenn sie dem gesetzlichen
Vertreter zugeht (§ 131 I BGB).
b. Beschränkt Geschäftsfähige: Grundsätzlich Wirksamkeit der WE
bei Zugang beim gesetzlichen Vertreter (§ 131 II 1 BGB). Außer bei
lediglich
rechtlichem
Vorteil
(Bsp.:
Vertragsangebot
(+),
Kündigungserklärung (-)), vgl. § 107 BGB, dann Wirksamkeit der WE
auch bei Zugang beim Mj. selbst (§ 131 II 2 BGB), siehe Brox Rn.
161.
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