: Pressetext Me, Myself and I ¬ Selbstdarstellung im digitalen Zeitalter 20/03 - 19/06/16 : Nichts hat die Fotografie und den Begriff des Selbstporträts so sehr verändert und beeinflusst wie die digitale Revolution: Aus René Descartes berühmtem Satz „Ich denke, also bin ich“ ist ein „Ich fotografiere und dokumentiere, also bin ich“ geworden. Seitdem das Smartphone zum Massenartikel geworden ist, hat sich der Blick auf die Welt verändert. Vielen Menschen ist die Kamera zum dritten Auge geworden. Mit diesem Auge zu sehen heißt zugleich gesehen werden. Mit dem Selfie ist ein popkulturelles Massenphänomen entstanden, das eine Grundfrage der Menschheit neu verhandelt: die Frage nach der eigenen Identität, nach dem „Wer bin ich?“. Doch im Selfie wird weitaus mehr sichtbar als ein egozentrischer Selbstentwurf; in ihm materialisieren sich zentrale Themen der Zeit, welche Kultur, Philosophie, Wirtschaft, Theologie, Politik und Kunst gleichermaßen herausfordern: „Wer will, soll, werde oder könnte ich sein?“ und „Wer sind wir?“ – als gesellschaftliche Gruppe, als Nation, als Europäer. Das Selbstbild ist im Netz so bestimmbar wie noch nie, das digitale posthumane Ich ist wandelbar, kreativ und wird immer künstlerischer. Dem wahren Ich bleibt nichts anderes übrig, als sich ebenfalls öffentlich preiszugeben. Die Ausstellung Me, Myself and I, die in Zusammenarbeit mit dem NRW-Forum Düsseldorf entstanden ist, spürt der Frage nach, wie sich Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung unter dem Einfluss der digitalen Medien verwandelt und entwickelt haben, wie das technologische Weltgeschehen unsere Gesellschaft formt und in die menschliche Identität eingreift, wie unsere Identitätsvorstellungen und Wünsche durch die digitale Kommunikation geprägt oder erschaffen werden. In einer Zeit, als Selfies noch kein popkulturelles Massenphänomen waren, lud der Fotograf Jonas Unger (*1975 Cuxhaven I Lebt in Paris) Prominente zum Foto-Shooting ein, gab ihnen eine analoge QuickSnap-Kamera in die Hand und bat sie um ein selbst ausgelöstes Portrait. Die Ausstellung zeigt zum ersten Mal in Deutschland die gesamte Serie, von Supermodel Karolína Kurková bis hin zu Fußball-Bundestrainer „Jogi“ Löw. Mit der analogen Einwegkamera ließen sich die Aufnahmen weder im Vorfeld überprüfen oder selbst begutachten, noch nachträglich manipulieren. Entstanden sind Autoporträts mit besonderem Überraschungseffekt, in denen sich die Prominenten selbst inszeniert haben ohne sich zu sehen. Dirk Witek a.k.a. MC Fitti (*1976 Gifhorn I Lebt in Berlin) kann zweifelsohne als „lebendes Selfie“ bezeichnet werden. Der deutsche Feel-Good-Rapper mit dem stattlichen Vollbart, der verspiegelten Sonnenbrille und der Snapback knipst, was das Zeug hält und montiert sein markantes Antlitz regelmäßig in abgedrehte Collagen oder Fotos. Für die Ausstellung präsentiert MC Fitti sein erstes museales Kunstwerk: eine Bronze-Büste mit Selfie-Arm, die zunächst über Deutschlands Sommerfestivals tingelte, um dann ihren finalen Bestimmungsort zu erreichen. Sein Selbst inszeniert MC Fitti nicht nur mehrmals täglich im Selfie via Instagram, Twitter und Co, er ließ auch schon Masken seines Gesichtes anfertigen, die er gerne weiter verschenkte. Seine Fan-Crowd zückt sofort die Smartphones, wenn dieser irgendwo auftaucht: Die Ehrfurchtsgeste des 21.Jahrhunderts ist der Schnappschuss. Mit ihren Bildern wirft Alison Jackson (*1970 Southsea I Lebt in London) einen imaginierten Blick auf den Celebrity-Kult und in die Privatsphäre Prominenter. Kate, William und Harry in der Badewanne, Angela Merkel und Francois Holland beim tête-a-tête mit Brezeln und Croissants, Lady Gaga in der Künstlergarderobe. Zunächst deutet nichts darauf hin, dass es sich bei jenen intimen Momentaufnahmen um Fälschungen handeln könnte. Erst auf den zweiten Blick erkennen wir als Betrachter die Täuschung. Denn es handelt sich um nachgestellte Szenen mit perfekten Doppelgängern. Alison Jacksons Bilder folgen der Ästhetik heimlicher Papparazzi-Aufnahmen, sind aber aufwendig im Studio inszenierte Fiktionen. Sie spielen mit unserem Voyeurismus, unseren Erwartungshaltungen und hinterfragen die Glaubwürdigkeit von Presse- und Medienbildern. Eine Urheberrechtsdebatte entfesselten die sogenannten Affen-Selfies des britischen Tierfotografen David Slater (*1968 Coleford I Lebt in Chepstow), die bei ihrer Veröffentlichung 2011 weltweit für Schlagzeilen sorgten. David Slater war auf die indonesische Insel Sulawesi gereist, um Schopfaffen zu fotografieren. Wie er selbst berichtete näherte sich ein Affenweibchen während einer Arbeitspause neugierig seiner Kamera. Sie untersuchte das Gerät, fand den Auslöser und schoss Hunderte Bilder von sich selbst bis sie nach einer Weile die Lust am Spiel verlor. Als Wikipedia eines der tierischen Selbstportraits in einen englischen Artikel über Primaten einband, legte Slater Beschwerde ein. Die OnlineEnzyklopädie weigert sich, das Bild offline zu nehmen und stützt sich auf die US- CopyrightBehörde. In Großbritannien ist die Rechtslage allerdings anders. Dort können Fotografen das Recht auf ihr Bild beanspruchen, auch wenn sie nicht selbst den Auslöser gedrückt haben. Im September 2015 schaltete sich letztlich noch die Tierschutzorganisation PETA ein und erklärte das Copyright liege nicht beim Fotografen, sondern bei jenem Affen, der den Auslöser gedrückt habe. Kurt Caviezels (*1964 Chur I Lebt in Zürich) Fotografien stellen eine Mischung aus Exhibitionismus und Überwachung dar. Seit 15 Jahren besucht der Schweizer Künstler die im Netz allgemein zugänglichen Webcams von Computern und Fernsehgeräten des öffentlichen und privaten Raums ohne das Wissen der Fotografierten. Kurt Caviezel tritt an die Stelle des Internets. Er beobachtet uns unter dem Deckmantel der Anonymität. Seine Kamera ist ganz einfach die Webcam der anderen. Mehr als drei Milliarden Bilder aus aller Welt hat er bereits gesammelt. Seine Aufnahmen zeigen die erschreckende und zugleich faszinierende Macht der Webcam-Bild-Archive. Kurt Caviezels konzeptionell künstlerische Arbeit stößt in fotografisches Neuland vor. Über Jahre hinweg werden dieselben Räumlichkeiten übertragen, kann der Fotograf das Bildmotiv und den Ausschnitt nicht frei wählen. Es ist ein automatischer Abbildungsprozess: die Welt bildet sich selber ab. Die Webcam wird zum unsichtbaren Beobachter und berichtet ungefiltert über alles, und Keiner hat mehr das Recht an seinen Bildern, sie sind sozusagen autorenlos. Der britische Fotograf und Videokünstler Robbie Cooper (*1969 London I Lebt in Bangok) bildet in seiner Serie Alter Ego Online-Spieler und ihre Avatare ab. So entsteht eine neue virtuelle Identität, der Avatar, der zur Projektionsfläche des Users wird. Der Künstler deckt die anonyme Fassade auf und stellt die Besitzer der Avatare aus, die ja selbst in der Avatar-Erstellung kreativ werden. Er erforschte nicht nur den Umgang mit Online-Welten, sondern interviewte die Spieler über ihre Spielerfahrung und bildete sie auch während des Spielens ab. Das Videoprojekt Immersion zeigt in sich versunkene Videospieler und ihre Reaktionen aus der Perspektive des Monitors. Unter den Teilnehmern waren alle Altersklassen vertreten, sowie auch viele verschiedene mediale Eindrücke: vom Videospiel über Pornos, bis zu Comic- und Sportsendungen, Horrorfilmen und Musik-Videos. Es entsteht ein ambivalentes Bild: der Betrachter kann einerseits auf die emotionale Ergriffenheit der User und ihre stark verzerrten Gesichtszüge reagieren. Er wird jedoch seinerseits selbst zum Betrachter eines Films, genau wie auch die festgehaltenen User auf die Mattscheibe starren. Olivia Muus (*1985 Kopenhagen I Lebt in Kopenhagen) gründete das digitale "Museum of Selfies". Eine Hand mit einem Smartphone ragt ins Bild hinein, es scheint, als ob sich der Porträtierte in dem alten Gemälde sich gerade mit dem Handy fotografiert. Als habe ein Kunstwerk ein Selfie von sich gemacht. Die Idee sei ihr beim Besuch der dänischen Nationalgalerie gekommen, schreibt sie. Aus Spaß habe sie ein Foto gemacht und mochte, wie der Gesichtsausdruck der Porträtierten durch die Handy-Hand eine neue Bedeutung bekam. Sie erschafft auf diese Weise ein Paradox: die altertümliche Kleidung und der postmoderne Trend gehen nicht miteinander Hand in Hand, auf diese Weise ironisiert sie. Durch die Umdeutung zur Selfie-Pose erklärt sich so manche rätselhafte Ikonografie, eine seltsam aus der Schulter gedrehte Pose, eine angespannte Haltung des Kopfes, ein Schielen des einen Auges: alles scheint nur der typischen Selfie-Verzerrung geschuldet. Ihr Museum hat sie auf Tumblr eingerichtet und ruft in der digitalen Welt zum Mitmachen auf, per E-Mail oder mit dem Hashtag #museumofselfies auf Instagram. Ob Kölner Dom, Shanghai Tower oder Cheops-Pyramide, Vitaly Raskalov (*1993 Kiew I Lebt in Hong Kong) & Vadim Makhorov (*1989 Nowosibirsk I Lebt in Nowosibirsk) a.k.a. Ontheroofs arbeiten seit fünf Jahren zusammen und haben sich dem Thema der urbanen Erforschung verschrieben, die vor allem darin besteht, auf die höchsten Gebäude der Welt zu klettern und sich dort selbst zu fotografieren. Angefangen hat alles mit einem Video das sie während ihres ersten Climbs auf der Moskauer Brücke in Kiew gedreht haben, innerhalb einer Woche kam es auf über eine Million klicks. Die unerwartete Begeisterung und das positive Feedback des www führte die beiden zu der Idee, den waghalsigen und illegalen Sport weiterzuverfolgen. So erklommen sie den Shanghai Tower im chinesischen Shenzhen, wo sie in einer Höhe von 650m sogar übernachteten. Beim Klettern zusehen kann ihnen jeder, sie filmen und dokumentieren jeden Climb mit einer Go-Pro und einer Canon. „On top“ von jedem erklommenem Bauwerk entstehen Selfies, oder Selfies, bei denen man nur ihre Füße oder Beine in schwindelerregender Höhe baumeln sieht. Ob Sportler, Performance-Künstler oder Fotografen. Angefangen als Hobby verdienen die Mitte 20jähringen inzwischen mit ihrem roof topping und seiner Vermarktung Geld. In Kauf nehmen müssen sie jedoch diverse Einreiseverbote, für Vitaly selbst in seine eigene Heimat. Ohne das Internet gäbe es LaTurbo Avedon nicht, denn sie existiert nur als weiblicher Avatar. Wer hinter der virtuellen Kunstfigur verborgen ist, bleibt ein Geheimnis. 2008 entdeckte die Person hinter LaTurbo Avedon zunächst „Second Life“ für sich. Seit 2012 existiert LaTurbo Avedon als Avatar auch in den sozialen Netzwerken. Dort unterscheidet sie sich letztlich kaum von all jenen echten Menschen, auf die sie trifft. Auch sie als virtuelle Figur will gesehen werden, Videos und Fotos teilen und in den Netzwerken kommunizieren. Nur muss sie dabei keine Angst um ihre Daten haben, denn sie existiert nur im www. Mit ihren Followern kommuniziert LaTurbo Avedon nicht nur, sondern lässt sich von ihnen auch Bild- und Videodateien schicken. Mit 3D-Rendering-Software wie Maya und Cinema4D baut sie daraus faszinierend verschachtelte Polygon-Skulpturen, die sie in „Second Life“-Landschaften oder andere virtuelle Räume verpflanzt. Außerdem kuratiert sie eine Online-Galerie und schreibt Gedichte, die sie aus Textschnipseln von Popsongs, VideospielKomplettlösungen oder Synopsen von Filmen collagiert und anschließend mit sich selbst in der Hauptrolle visualisiert. LaTurbo Avedons digitale Skulpturen, Fotografien und Videos ignorieren das Fehlen der Körperlichkeit und betonen stattdessen die Praxis virtueller Urheberschaft. Ihre neue Selbstportrait-Serie zitiert Jan Vermeer. Außerdem imitiert sie das Internet-Meme „Parked Domain Girl“. Dabei handelt es sich um ein Foto eines Mädchens, das beim Anklicken einer Parked Domain erscheint, einer nicht genutzten, also geparkten Webseite. In ihrem Werk huldigt Laturbo Avedon ihrem Idol, der Professorin und Autorin des „Cyborg Manifesto“ Donna Haraway. In Haraways feministischen Essays geht es um die Grenzziehungen von Mann und Frau, Mensch und Maschine sowie Physischem und Metaphysischem. Die Themen Weiblichkeit, Sex, Geschlechterrollen und Identitätsfindung finden sich in den Arbeiten der schwedischen Künstlerin, Fotografin und Bloggerin Arvida Byström (*1993 Stockholm I Lebt in Los Angeles). Sie fotografiert sich oftmals selbst, Glitzer, Pastellfarben und das subversive Moment spielen eine wesentliche Rolle. Sie erschafft dafür eine pastellfarbene, glitzernde Welt im Look der 90er-Jahre. Dabei spielt das subversive Moment eine gewisse Rolle in ihrem Werk. So stellt sie sich zum Beispiel beim Schießen eines Intim-Selfies dar oder im Bett. Das „Regenbogenmädchen“ ist Feministin. Sie dekonstruiert in ihrer Arbeit die klassischen Geschlechterrollen. Sie wählt die Farbe Pink, weil es scheint, als ob man ab einem bestimmten Alter davor zurück schreckt, als ob sie nur dem Kindesalter vorbehalten wäre. So hinterfragt sie klare Rollenvorbilder: kleine Mädchen tragen pink, kleine Jungs blau. : Die Ausstellung wird durch ein vom NWR Forum Düsseldorf und Alain Biber herausgegebenes Katalogbuch (Gebunden / 324 S. / dt./engl. / 29,95 €) mit zahlreichen Abbildungen und Essays von Jerry Saltz, Douglas Coupland, Brooke Wendt, Adam Levin, David Rubinstein, Theresa M. Senft, Jo Berlien und Karen Ann Donnachie sowie von einem umfassenden Veranstaltungsprogramm begleitet. : Analog zeigt das Museums Villa Rot in seiner Kunsthalle erstmals in einer Einzelausstellung in Deutschland unter dem Titel Bin Ich? die SelbstportraitSerie des niederländischen Malers Philip Akkerman (*1957 Vaassen, lebt und arbeitet in Den Haag). Überall sieht man heute Menschen, die sich selbst fotografieren. Oft riskieren sie im Selbstdarstellungswahn sogar ihr Leben. Während das Selfie als neue, kommunikative Spielart der Image-Pflege dient, verhandelt Philip Akkerman in seiner Malerei die Frage nach der Widersprüchlichkeit und Vielfalt persönlicher Identität. Seit dem Abschluss seines Studiums widmet sich der in Den Haag lebende Künstler einem Projekt, das er nun seit über 35 Jahren mit radikaler Konsequenz verfolgt: Er malt ausschließlich Selbstbildnisse. Diese restriktive Vorgabe eröffnet Philip Akkerman ein enormes Spektrum an malerischen Stilmitteln, die er virtuos und mit lustvoller künstlerischer Produktivität einzusetzen vermag. Die selbstgewählte motivische Beschränkung eröffnet ihm jene grundlegende Freiheit, die Möglichkeiten der Malerei neu zu erkunden und auszuschöpfen. Auch Stilelemente kunsthistorischer Vorbilder adaptiert Philip Akkerman mit respektvoller Selbstverständlichkeit, von Rembrandt über van Gogh bis zu Otto Dix oder Lucian Freud. In ihrer offensichtlichen Heterogenität widersetzt sich die endlose Reihe der Selbstporträts jeder psychologisierenden Deutung oder anekdotischen Lesart. Sie berichtet vielmehr von einer anhaltenden Befragung und unablässigen Vergewisserung des eigenen Daseins. Philip Akkerman erprobt und kommentiert die Grenzen des Bildnisses angesichts der permanenten Wandelbarkeit des Selbst. In seiner Malerei veranschaulicht er die menschliche Fähigkeit über die Existenz an sich zu reflektieren. Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie auch unter www.villa-rot.de. Museum Villa Rot Öffnungszeiten : Schlossweg 2 D-88483 Burgrieden-Rot T : + 49 (0) 73 92 / 83 35 I F : + 49 (0) 73 92 / 1 71 90 [email protected] I www.villa-rot.de Mi - Sa : 14 – 17 Uhr So u Ft : 11- 17 Uhr Museumscafé Sa, So u Ft : ab 14 Uhr
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