1.1 Aufruf Papst Urbans II. zum Kreuzzug

Unterrichtsstunden: Der erste Kreuzzug (1096 –1099)
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Krieg im Namen Gottes?
„Deus lo vult!“ („Gott will es!“), so antwortete eine begeisterte Menschenmenge auf den Aufruf Papst Urbans II. in der Kreuzzugspredigt am 27. November 1095 auf dem Konzil von Clermont. Anders als der Islam, der den
militärischen Kampf (Dschihad) zur Verteidigung des islamischen Territoriums billigt, wird das Christentum von der Idee der Friedfertigkeit und
der Gewaltlosigkeit nach dem Vorbild Jesu bestimmt. So bedurfte es einer
gewissen Transformation des Christentums weg vom uneingeschränkten
Pazifismus hin zur Lehre vom gerechten Krieg (lat. bellum iustum). Nach
dieser müssen letztlich drei Bedingungen erfüllt sein, damit es sich um einen
von Gott gebilligten Krieg handelt: Erstens muss die Kriegserklärung durch
eine rechtmäßige Autorität (König, Kaiser oder Papst) erfolgen. Zweitens
muss es einen „gerechten Grund“ für einen Krieg geben (z. B. die Abwehr
eines feindlichen Angriffs oder die Zurückeroberung eines verlorenen Territoriums). Drittens muss der Krieg mit den richtigen Absichten und Zielen
geführt werden, das heißt, die Verhältnismäßigkeit der Mittel muss gewahrt
bleiben (so wenig Gewalt wie möglich, Schutz der Zivilbevölkerung usw.).
Doch auch wenn der Kampf als gerechtfertigt angesehen wurde, das Kämpfen blieb eine Sünde – ein Dilemma für die sich formierende Ritterschaft.
Als sich in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts abzeichnete, dass das
Reformpapsttum zur Durchsetzung seiner Forderungen militärischer Unterstützung bedurfte, versprach der Papst geistlichen Lohn für die Verteidigung der Kirche (Verbindung von Buße und Kampf). In dieser Situation
kam Papst Urban II. das Hilfegesuch des griechischen christlichen Kaisers
Alexios I. Komnenos von Byzanz gegen die Seldschuken äußerst gelegen.
Er verknüpfte dieses mit der Dämonisierung der Muslime und dem Versprechen auf Vergebung aller gebeichteten Sünden in einem vor Gott nicht
nur gerechtfertigten, sondern von Gott ausdrücklich gutgeheißenen Krieg.
Die Verbindung von „bewaffneter Wallfahrt“ und gottgewolltem Krieg
bewirkte die ausgesprochen hohe Popularität der Kreuzzugsbewegung.
Kritik am Kreuzzugsvorhaben gab es dagegen kaum. Vielmehr verdeutlichen
Darstellungen wie die des Christus militans, der mit dem Schwert zwischen
den Lippen die Kreuzfahrer anführt, dass Gott bzw. Gottes Sohn als
Lehnsherr seinen Vasallen, den Kreuzfahrern, den Heiligen Krieg befiehlt.
Hinzu kam aber auch eine massenwirksame, eschatologisch begründete
Jerusalemsehnsucht (Jerusalem als Ort des Leidens und Sterbens Christi).
Neben diesen religiösen Motiven, die im Licht der aktuellen Forschung
wohl als die vorherrschenden angesehen werden können, spielen bei der Ent-
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Fachwissenschaftliche
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scheidung für eine Teilnahme am Kreuzzug aber auch wirtschaftlich-soziale
und machtpolitische Motive eine Rolle. So erkannte Papst Urban II. die
Chance, seine Position als Oberhaupt der lateinischen Kirche und Christenheit zu stärken, indem er sich spirituell an die Spitze der Kreuzzugsbewegung
stellte. Doch auch nachgeborene Söhne des Adels erhofften sich Einfluss
und Macht in Form von Gebietsherrschaften im Heiligen Land. Europas
Könige und der Kaiser sahen sich, sofern sie nicht in innereuropäische Konflikte verwickelt waren, als Schutzherren der Kirche und damit in der
Pflicht. Der spontane Anschluss an die Kreuzzugsbewegung vonseiten des
niederen Adels, der Bürger und Bauern wurde vor allem durch wirtschaftliche und soziale Probleme in der Heimat (z. B. Hungersnöte, Flucht vor
Schulden, Strafen oder Fehden) begünstigt. Die Gewinnaussichten durch die
Erschließung neuer Märkte der Levante motivierten vor allem Kaufleute,
sich dem Kreuzzug anzuschließen. Letztlich dürfen aber auch das Motiv der
Abenteuerlust und das höfische Ideal, im Kampf Ehre und Ruhm zu erlangen, nicht unerwähnt bleiben.
Die äußerlich durch ein aufgenähtes Kreuz gekennzeichneten Kreuzfahrer
genossen ähnliche Privilegien wie Pilger, z. B. den Rechtsschutz des Besitzes während ihrer Abwesenheit, den Aufschub von Lehens- und Hofdienst
und die Aussetzung von Gerichtsverfahren, ein Moratorium für die Rückzahlung von Schulden sowie die Freiheit von Zöllen und Steuern.
Dieses Bündel verschiedenster Ursachen und Motive erklärt die Begeisterung der Massen, die sich bis zum Fanatismus steigern konnte. Letzterer
war sicherlich für das Unternehmen ebenso „notwendig“ wie auch hinderlich
und kontraproduktiv: „Notwendig“ deshalb, da die Kreuzfahrer enormen
Strapazen und Gefahren ausgesetzt waren. Hinderlich, da die Dämonisierung
der Muslime eine Verhandlungs- und Kompromisslösung ausschloss, die angesichts des aussichtslosen Unterfangens, auf Dauer ein von Feinden umzingeltes Gebiet militärisch zu halten, dringend notwendig gewesen wäre.
Methodischdidaktische
Hinweise
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Die Doppelstunde ist schülerzentriert angelegt. Mithilfe einer Lehrererzählung wird im Einstieg ein situativer Rahmen geschaffen. Dieser lässt die
Schüler in das Geschehen rund um den Kreuzzugsaufruf Papst Urbans II. in
Clermont-Ferrand im Jahr 1095 eintauchen. Der narrative Rahmen setzt
sich in der ersten Erarbeitungsphase fort, indem die Schüler fiktive Gespräche
auswerten, wie sie in Clermont während des Konzils stattgefunden haben
könnten. Aus diesen leiten sie die unterschiedlichen Motive der Menschen
ab, sich auf den Kreuzzug zu begeben.
In der zweiten Erarbeitungsphase beschäftigen sich die Schüler in Grundzügen
mit wichtigen Fakten rund um den ersten Kreuzzug. Sie werten eigenständig mithilfe eines Lückentextes eine Karte aus und verschaffen sich so
einen Überblick über den Weg, die Eroberungen und die Schwierigkeiten,
denen die Kreuzritter ausgesetzt waren. Die dritte Erarbeitungsphase befasst
sich mit der Eroberung Jerusalems. Mithilfe von Text- und Bildmaterial
wird das Geschehen nachvollzogen und bewertet.
In einer letzten Phase erfolgt eine Reflexion über das Vorgehen der Christen
im Heiligen Land sowie eine Bewertung der Vorgänge des ersten Kreuzzugs. Abschließend wird die Frage gestellt, welche Handlungsalternativen es
zu diesem „Heiligen Krieg“ gegeben hätte.
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– Die Schüler kennen die wesentlichen Fakten zum ersten Kreuzzug.
– Sie können unterschiedliche Materialien (Bild- und Textquellen, Texte,
Karten) mithilfe von schülernahen Lernaufgaben selbstständig erschließen.
– Sie sind in der Lage, das Kreuzzugsgeschehen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beurteilen.
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Lernziele /
Kompetenzen
1.1 Aufruf Papst Urbans II. zum Kreuzzug
Der Einstieg in die Sequenz erfolgt mittels einer bildgestützten Lehrererzählung zum Kreuzzugsaufruf Papst Urbans II. Diese wird im gelenkten Unterrichtsgespräch ausgewertet. Eine
ergänzende Lehrerinformation sowie die Erarbeitung einer Karte vermitteln den Schülern
weitere historische Zusammenhänge. Die Ergebnisse werden an der Tafel festgehalten.
Anschließend wird das Thema der Stunde fixiert: Krieg im Namen Gottes?
Einstieg
Lehrererzählung
„Er kommt, er kommt!“, hallt es durch die Gassen des kleinen Städtchens
Clermont in der Auvergne im südlichen Herzen Frankreichs. Schon seit
Tagen ist die Stadt im Ausnahmezustand. Normalerweise ist es um diese Jahreszeit auf den öffentlichen Plätzen der Stadt ruhig und menschenleer, aber
heute schieben sich die Bauern, Kaufleute und Edelleute der umliegenden
Dörfer und Burgen zu Hunderten durch die Straßen.
Ihr Ziel: die Stiftskirche Notre-Dame du Port. Diese Kirche ließ Stephan II.,
Bischof der Auvergne, vor gut hundert Jahren erbauen, nachdem die Stadt
von Normannen fast vollständig zerstört worden war. In der Kirche wird
heute, am 27. November 1095, der Papst, der Stellvertreter Gottes auf Erden,
zu den Gläubigen sprechen.
Bereits seit über einer Woche hält sich Papst Urban II. in Clermont auf, um
mit seinen Bischöfen Angelegenheiten der tief zerstrittenen und gespaltenen
Kirche zu erörtern. Heute aber möchte er zu allen Gläubigen sprechen. Es
sind „schlimme“ Nachrichten aus Jerusalem und Konstantinopel, die ihn zu
diesem Schritt bewegen und ihn eine dramatische Rede halten lassen:
„Geliebtes Volk der Franken!
Aus dem Land Jerusalem und der Stadt Konstantinopel kam schlimme Nachricht und drang schon oft an unser Ohr: Das Volk im Perserreich, ein fremdes Volk, ein ganz gottfernes Volk […], hat die Länder der dortigen Christen
besetzt, durch Mord, Raub und Brand entvölkert und die Gefangenen teils in
sein Land abgeführt, teils elend umgebracht […]. Wem anders obliegt nun
die Aufgabe, diese Schmach zu rächen, dieses Land zu befreien, als euch?
Euch verlieh Gott mehr als den übrigen Völkern ausgezeichneten Waffenruhm, hohen Mut, körperliche Gewandtheit und die Kraft, den Scheitel eurer
Widersacher zu beugen.
Tretet den Weg zum Heiligen Grab an, nehmt das Land dort dem gottlosen
Volk, macht es euch untertan! […]
Jerusalem ist der Mittelpunkt der Erde, das fruchtbarste aller Länder, als
wäre es ein zweites Paradies der Wonne […]. Schlagt also diesen Weg ein
zur Vergebung eurer Sünden, nie verwelkender Ruhm ist euch im Himmelreich gewiss.“
Papstworte zitiert nach: Arno Borst: Lebensformen im Mittelalter, S. 330 f. © 2004 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.
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