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Beschluss Az. 1 RBs 138/15
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OLG Hamm
17. September 2015
Leitsätze
1.
Eine beharrliche Pichtverletzung i. S.v. Ÿ25 Abs. 1 S. 1 StVG liegt vor, wenn
ein Verkehrsteilnehmer durch die wiederholte Verletzung von Rechtsvorschriften
erkennen lässt, dass es ihm an der für die Teilnahme am Straÿenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der notwendigen Einsicht in zuvor
begangenes Unrecht fehlt. Bei der Beurteilung, ob ein Verstoÿ beharrlich ist,
kommt es auf die Zahl der Vorverstöÿe, ihren zeitlichen Abstand aber auch
auf ihren Schweregrad an. Mangelnde Rechtstreue wird sich daher eher bei
gravierenden Rechtsverstöÿen zeigen, kommt aber auch bei einer Vielzahl kleiner
Rechtsverstöÿe in Betracht. Erforderlich (insbesondere bei einer Vielzahl kleinerer Regelverstöÿe) ist, dass ein innerer Zusammenhang i.S. einer auf mangelnder
Verkehrsdisziplin beruhenden Unrechtskontinuität zwischen den Zuwiderhandlungen besteht.
2.
Bei der Begehung von insgesamt fünf Verkehrsverstöÿen (hier: Geschwindigkeitsverstöÿe, Handyverstöÿe) innerhalb eines Zeitraums von deutlich weniger als drei
Jahren, die jeweils Verhaltensweisen mit einem gewissen Gefährdungspotential
für Dritte betreen, ist die erforderliche Unrechtskontinuität vorhanden.
3.
Ist dem Amtsgericht bzgl. der Verhängung des Fahrverbots nur ein Begründungsfehler unterlaufen ist, bedarf es der Aufhebung des angefochtenen
Urteils nicht, wenn das Rechtsbeschwerdegericht das verhängte Fahrverbot für
angemessen hält.
∗ http://openjur.de/u/862248.html (= openJur 2015, 20199)
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Tenor
1
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroene (Ÿ473 Abs. 1 StPO in Verbindung
mit Ÿ46 Abs. 1 OWiG).
Gründe
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I.
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Das Amtsgericht hat den Betroenen mit dem angefochtenen Urteil wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführer zu einer
Geldbuÿe von 100 Euro verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot
unter Gewährung der sog. Viermonatsfrist festgesetzt. Die Festsetzung des
Fahrverbots hat es im Wesentlichen wie folgt begründet:
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'Zudem war gegen den Betroenen gemäÿ Ÿ25 Abs. 1 Nr. 1 StVG ein Fahrverbot zu verhängen, da bei ihm eine beharrliche Verletzung der Pichten eines
Kraftfahrzeugführers vorliegt. Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Gerichts ist bei sogenannten Handyverstöÿen eine beharrliche Pichtverletzung im vorbezeichneten Sinne gegeben, wenn drei oder mehr einschlägige
Vorbelastungen vorliegen oder zwei einschlägige Vorbelastungen vorliegen und
die verfahrensgegenständliche Tat binnen Jahresfrist nach der letzten einschlägigen Vorbelastung begangen worden ist. Letzteres ist vorliegend der Fall, da der
Betroene durch den Buÿgeldbescheid des Kreises V vom 16.01.2012 wegen eines
sogenannten Handyverstoÿes mit einer Geldbuÿe belegt worden war und er trotz
der erneuten Verhängung einer Geldbuÿe durch den Buÿgeldbescheid des Kreises
V vom 11.03.2014 - bestandskräftig seit dem 27.03.2014 - die verfahrensgegenständliche Tat am 16.09.2014 beging.
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Gegen das Urteil wendet sich der Betroene mit der Rechtsbeschwerde, die er
auf eine nicht näher begründete Sachund Verfahrensrüge stützt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als oensichtlich unbegründet zu verwerfen.
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II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde ist im Ergebnis unbegründet.
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1.
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Hinsichtlich des Schuldspruchs und der verhängten Geldbuÿe hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechts-
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fehler zum Nachteil des Betroenen ergeben (Ÿ79 Abs. 3 OWiG, Ÿ349 Abs. 2
StPO). Der Senat schlieÿt sich insoweit den zutreenden Ausführungen in der
Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft an.
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2.
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Hinsichtlich der Festsetzung des Fahrverbots ist zwar die Begründung des Amtsgerichts, dass bereits bei zwei einschlägigen Vorbelastungen und Begehung der
verfahrensgegenständlichen Tat binnen Jahresfrist eine beharrliche Verletzung
der Pichten als Kraftfahrzeugführer vorliege, im Hinblick auf die hier relevanten sog. Handyverstöÿe rechtlich bedenklich.
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Beharrliche Pichtverletzungen liegen vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer durch
die wiederholte Verletzung von Rechtsvorschriften erkennen lässt, dass es ihm
an der für die Teilnahme am Straÿenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt (vgl.
nur: BGH NJW 1992, 1398; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.04.2014 - IV - 2
RBs 37/14 = BeckRS 2014, 16347).Bei der Beurteilung, ob ein Verstoÿ beharrlich ist, kommt es auf die Zahl der Vorverstöÿe, ihren zeitlichen Abstand (OLG
Düsseldorf a.a.O.; OLG Hamm NStZ-RR 2015, aber auch auf ihren Schweregrad an (vgl. insoweit: BayObLGSt 2003, 132, 133; OLG Hamm NStZ-RR 2014,
59). Mangelnde Rechtstreue wird sich daher eher bei gravierenden Rechtsverstöÿen zeigen, kommt aber auch bei einer Vielzahl kleiner Rechtsverstöÿe in
Betracht. Bei den sog. Handyverstöÿen handelt es sich - gemessen an ihrer
Einordnung im Buÿgeldkatalog (Nr. 246) mit einer vergleichsweise geringen
Geldbuÿe - um solche eher leichteren Rechtsverstöÿe, wobei sie aber in der
Bandbreite der leichteren Rechtsverstöÿe eher im oberen Bereich anzusiedeln
sind, was sich aus der Bewertung (nach neuem Recht) mit einem Punkt und
damit der gesetzgeberischen Einordnung als verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit (Ÿ6 Abs. 1 Nr. 1 lit. s StVG) ergibt. Hier schon
grundsätzlich bei zwei einschlägigen Vorverstöÿen, der letzten Vorbelastung
innerhalb eines Jahres vor der neuen Tat, von einer Beharrlichkeit auszugehen, völlig ungeachtet dessen, aus welcher Zeit die erste einschlägige Vorbelastung stammt, erscheint dem Senat gleichwohl nicht überzeugend. Erforderlich
ist nämlich auch, dass ein innerer Zusammenhang i.S. einer auf mangelnder
Verkehrsdisziplin beruhenden Unrechtskontinuität zwischen den Zuwiderhandlungen besteht (OLG Hamm a.a.O. m.w.N.). Das kann bei diesen vom Amtsgericht aufgestellten Rechtssätzen der Fall sein, muss es aber nicht. Konkret war
es hier so, dass der erste der beiden Handyvorverstöÿe am 10.01.2012 begangen
und am 16.01.2012 mit Buÿgeldbescheid geahndet worden ist. Der zweite einschlägige Vorverstoÿ wurde am 04.03.2014 begangen und mit Buÿgeldbescheid
vom 11.03.2014 geahndet. Es folgte dann der jetzige Verstoÿ am 16.09.2014.
Hier bestehen wegen des langen Zeitraums zwischen der Ahndung des ersten
einschlägigen Vorverstoÿes und der Begehung des zweiten einschlägigen Vorverstoÿes (immerhin mehr als zwei Jahre) Zweifel an einer solchen Unrechtskontinuität, wenn man allein die Handyverstöÿe in den Blick nimmt.
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Der Senat hält gleichwohl eine beharrliche Pichtverletzung für gegeben, wenn
man alle im angefochtenen Urteil aufgeführten Vorverstöÿe seit dem ersten
Handyverstoÿ berücksichtigt. Denn zwischen den beiden einschlägigen Vorverstöÿen hat der Betroene zwei nicht unerhebliche Geschwindigkeitsverstöÿe (jeweils um 22 km/h) begangen, die mit Buÿgeldbescheide von 29.05.2013 bzw.
09.01.2014 mit Geldbuÿen geahndet worden sind.
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Sämtliche Vorverstöÿe sind auch unter Zugrundelegung des neuen, seit 01.05.2014
geltenden Registerrechts verwertbar und unterliegen nicht dem Verwertungsverbot des Ÿ29 Abs. 7 StVG. Mit dem Buÿgeldbescheid vom 11.03.2014 wurde zwar
für den Handyverstoÿ vom 04.03.2014 eine Geldbuÿe von nur 45 Euro festgesetzt. Die Eintragung hierüber war aber nicht nach Ÿ65 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 StVG zu
löschen, weil die Höhe der Geldbuÿe für die Frage, ob die Eintragung zu löschen
ist, auÿer Betracht bleibt (Ÿ65 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 StVG). Damit gilt für diese
und auch alle übrigen Voreintragungen nach Ÿ65 Abs. 3 Nr. 2 StVG, dass sie
bis zum Ablauf des 30.04.2019 nach den Bestimmungen des Ÿ29 in der bis zum
Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung getilgt und gelöscht werden.
Eine Tilgung und Löschung war hier bzgl. der Eintragungen aus den Jahren
2013 und 2014 schon wegen Ÿ29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StVG a.F. ausgeschlossen,
bzgl. der früheren Eintragungen wegen Ÿ29 Abs. 6 StVG a.F.
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Angesichts der Begehung von insgesamt fünf Verkehrsverstöÿen innerhalb eines
Zeitraums von deutlich weniger als drei Jahren, die jeweils Verhaltensweisen
mit einem gewissen Gefährdungspotential für Dritte betreen, was sich aus
der Einordnung als verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit
ergibt (Ÿ6 Abs. 1 Nr. 1 lit. s StVG i.V.m. Tabelle 1 Nr. 11.3.4. BKatV und Nr.
246.1 BKatV), ist die erforderliche Unrechtskontinuität vorhanden. Die genannten Umstände lassen nur die Bewertung zu, dass es dem Betroenen an der
für die Teilnahme am Straÿenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und
der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt.
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Da dem Amtsgericht nur in diesem Punkt und nur ein Begründungsfehler unterlaufen ist, bedurfte es der Aufhebung des angefochtenen Urteils nicht. Der Senat
hält aufgrund der o.g. Umstände das verhängte Fahrverbot für angemessen. In
einem solchen Fall kann das Rechtsbeschwerdegericht selbst entscheiden, auch
ohne das angefochtene Urteil aufzuheben (BayObLG NZV 1997, 489; OLG Düsseldorf NJW 1981, 2478; OLG Hamm NZV 2002, 142; Göhler-Seitz, OWiG,
16. Auage, Ÿ79 Rdn. 45c). Es würde einen Wertungswiderspruch darstellen,
wenn das Rechtsbeschwerdegericht bei einer auch im Ergebnis falschen amtsgerichtlichen Entscheidung in der Sache selbst entscheiden dürfte, bei einer
im Ergebnis richtigen und nur falsch begründeten Entscheidung hingegen zur
Aufhebung gezwungen wäre. Das würde auch der gesetzgeberischen Wertung
des Vorrangs der Sachentscheidung zuwiderlaufen.
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