Kapitel 8 Integration • Einführung • Grundbegriffe • Integrationstechniken • Uneigentliche Integrale • Mehrfachintegrale • Integration in Polarkoordinaten • Anwendungen Integration — Grundbegriffe Fragestellung bei Integration Bei der Integration geht es anschaulich gesprochen um die Frage der Flächenmessung: Sei dazu eine auf einem Intervall [a, b] definierte, beschränkte Funktion f (x) gegeben. y f(x) a b x Wie kann man dann den grau unterlegten Flächeninhalt zwischen Funktion und x-Achse berechnen (oder überhaupt erst definieren)? Mathematik kompakt 1 Integration — Grundbegriffe Idee bei Integration Man zerlegt die zu bestimmende Fläche in (kleine) Rechtecke und summiert deren Flächeninhalte auf. Will man eine noch bessere Näherung, so muss man die Fläche in immer mehr und immer dünnere“ ” Rechtecke aufteilen. y f(x) a Mathematik kompakt b x 2 Integration — Grundbegriffe Vorgehen bei Integration Im Einzelnen ist folgende Prozedur durchzuführen: • Intervall [a, b] in n Teilintervalle [xi−1, xi], i = 1, 2, ..., n, der Breite ∆xi = xi −xi−1 zerlegen (dabei a = x0, b = xn), a=x0 x1 x2 x3 xn=b • über jedem Teilintervall ein Rechteck konstruieren, dessen Länge einem Funktionswert von f an irgendeiner Zwischenstelle ξi ∈ [xi−1, xi] aus diesem Teilintervall entspricht, f( i) x i-1 i xi xi Mathematik kompakt 3 Integration — Grundbegriffe • alle einzelnen Rechteckflächen f (ξi ) · ∆xi aufsummieren zur Gesamtfläche P sn = n i=1 f (ξi ) · ∆xi , + + + + + + + • Näherungswert sn verbessern, indem man eine feinere Unterteilung (= Partition) des Intervalls [a, b] wählt und damit die Anzahl der Teilintervalle erhöht, aber gleichzeitig die Breite aller verkleinert. y y f(x) a Mathematik kompakt b f(x) anstelle von x a x b 4 Integration — Grundbegriffe Bestimmtes Integral Definition Falls die beschriebene Prozedur für n → ∞ in jedem Fall gegen einen bestimmten Grenzwert konvergiert, so bezeichnet man Rb a f (x) dx := lim n→∞ n X f (ξi) · ∆xi i=1 als bestimmtes Integral von f über dem Intervall [a, b]. Dann heißt die Funktion f integrierbar über [a, b], a untere Integrationsgrenze, b obere Integrationsgrenze, [a, b] Integrationsintervall, f Integrand und x Integrationsvariable. Mathematik kompakt 5 Integration — Grundbegriffe Bemerkungen zum bestimmten Integral • Das Integralzeichen P menzeichen . R ist ein stilisiertes Sum- • Man kann die Integrationsvariable beliebig umbenennen: Z b Z b Z b f (η) dη. f (u) du = f (x) dx = a a a Das bestimmte Integral ist eine reelle Zahl, die nicht von der Integrationsvariable abhängt. Mathematik kompakt 6 Integration — Grundbegriffe Riemann’sche Zwischensummen Obersumme, Untersumme Pn Man spricht bei i=1 f (ξi ) · ∆xi von Riemann’chen Zwischensummen. Das Integral nennt man auch Riemann-Integral. Wählt man ξi derart, dass f (ξi ) im Intervall [xi−1, xi] minimal wird, spricht man von einer Untersumme: y y f(x) a b f(x) anstelle von x a b x Die Rechtecke liegen dann ganz anschaulich direkt unter der Funktion. Analog definiert man Obersummen. Man kann die Integrierbarkeit einer Funktion f (x) auf einem Intervall [a, b] auch so charakterisieren, dass die Folge der Untersummen und die der Obersummen gegen einen gemeinsamen Grenzwert konvergiert. Mathematik kompakt 7 Integration — Grundbegriffe Vorzeichen bei Bestimmung des Flächeninhalts Falls f (x) ≥ 0 für x ∈ [a, b] gilt, so kann man wirklich von einem Flächeninhalt sprechen. Ansonsten gehen die Flächenstücke unterhalb der x-Achse (wo f (x) < 0) mit negativem Vorzeichen in das bestimmte Integral ein. y sin x + x - Mathematik kompakt - 8 Integration — Grundbegriffe Bemerkungen zum bestimmten Integral Für sehr viele Funktionen ist die oben geforderte Konvergenz gegeben. Man kann zeigen: Wenn die Funktion f auf dem Intervall [a, b] stetig ist (evtl. mit Ausnahme endlich vieler endlicher Sprungstellen), dann ist f auf [a, b] integrierbar. Mathematik kompakt 9 Integration — Grundbegriffe Rechenregeln für das bestimmte Integral Für das bestimmte Integral gilt: Ra Rb a) b f (x) dx = − a f (x) dx, b) c) d) e) f) Ra a f (x) dx = 0, Rb Rc Rb f (x) dx = a f (x) dx + c f (x) dx, a<c<b a Rb a Rb α · f (x) dx = α · a f (x) dx, Rb (x) + g(x)) dx a (f Rb Rb = a f (x) dx + a g(x) dx, Falls f (x) ≤ g(x) und a ≤ b, dann gilt: Rb Rb a f (x) dx ≤ a g(x) dx, g) Falls m ≤ f (x) ≤ M für alle x ∈ [a, b], dann gilt: Rb m (b − a) ≤ a f (x) dx ≤ M (b − a). Mathematik kompakt 10 Integration — Grundbegriffe Rechenregeln für das bestimmte Integral (Veranschaulichung) Z b f (x) dx = a Z c f (x) dx + Z b f (x) dx c a für a < c < b y f(x) a Mathematik kompakt c b x 11 Integration — Grundbegriffe Rechenregeln für das bestimmte Integral (Veranschaulichung) Falls m ≤ f (x) ≤ M für alle x ∈ [a, b], dann gilt: m (b − a) ≤ Z b a f (x) dx ≤ M (b − a). M y f(x) m a Mathematik kompakt b x 12 Integration — Grundbegriffe Integralfunktion Wir betrachten das bestimmte Integral über eine stetige, monoton steigende Funktion f (t) ≥ 0 von a (fest) bis zu einer oberen Grenze x > a (variabel). Das derart definierte bestimmte Integral mit variabler oberer Grenze x liefert die Zuordnungsvorschrift für eine neue Funktion Z x f (t) dt. F̃ (x) := a x ~ F(x):= f(t) dt a x f(t) a Mathematik kompakt x t 13 Integration — Grundbegriffe Ableitung der Integralfunktion Wir betrachten nun den Flächenzuwachs zwischen F̃ (x) und F̃ (x + h). Es gilt: f (x) · h ≤ F̃ (x + h) − F̃ (x) ≤ f (x + h) · h. Division durch h mit anschließendem Grenzübergang h → 0 liefert: F̃ (x + h) − F̃ (x) lim f (x) ≤ lim ≤ lim f (x+h). h h→0 h→0 h→0 Wegen der Stetigkeit von f folgt: f (x) ≤ F̃ ′(x) ≤ f (x) bzw. F̃ ′(x) = f (x). y y = f(x) } h f(x+h) f(x) Flächenzuwachs ~ ~ F(x+h) - F(x) ~ F(x) a Mathematik kompakt x x+h x 14 Integration — Grundbegriffe Ableitung der Integralfunktion Es sei f eine auf [a, b] definierte stetige Funktion. Die durch Z x F̃ (x) := f (t) dt a definierte Integralfunktion hat die Ableitung Z x d F̃ ′(x) = f (t) dt = f (x). dx a Die Ableitung der Integralfunktion ist also gleich dem Wert des Integranden an der oberen Grenze. Die Integration ist demnach die Umkehrung der Differentiation. Mathematik kompakt 15 Integration — Grundbegriffe Stammfunktion Definition Eine Funktion F (x), deren Ableitung gleich einer gegebenen Funktion f (x) ist, d.h. für die F ′(x) = f (x) auf einem Intervall gilt, heißt Stammfunktion von f auf diesem Intervall. Mathematik kompakt 16 Integration — Grundbegriffe Beispiel 1 x3 ist Stammfunktion a) Die Funktion F1(x) = 3 der Funktion f (x) = x2. 3 − 17 ist Stammb) Die Funktion F2(x) = 1 x 3 funktion der Funktion f (x) = x2. Rx c) Die Funktion F̃ (x) = a t2 dt ist Stammfunktion der Funktion f (x) = x2. Hat man aber eine Stammfunktion gefunden (wie in a)), so erhält man durch Addition einer beliebigen Konstanten (z.B. von −17 in b)) eine weitere Stammfunktion, denn die Ableitung einer Konstanten ist immer gleich 0. Es gilt sogar, dass man durch Addition einer beliebigen Konstanten zu einer Stammfunktion alle Stammfunktionen einer Funktion erhält. Mathematik kompakt 17 Integration — Grundbegriffe Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Sei F (x) eine (beliebige) Stammfunktion von f (x). Dann gilt für das bestimmte Integral Z b f (x) dx = F (x)|bx=a = F (b) − F (a). a Mit Hilfe des Hauptsatzes lassen sich bestimmte Integrale ganz einfach in zwei Schritten berechnen: • Man bestimme eine beliebige Stammfunktion F (x) von f (x) (Beachte: F ′(x) = f (x)). • Man werte die Stammfunktion an der oberen und an der unteren Integrationsgrenze aus (F (b) und F (a)) und subtrahiere diese beiden Werte. Mathematik kompakt 18 Integration — Grundbegriffe Beispiel Gesucht ist das bestimmte Integral: Z 2 (x2 − 6 cos(2x)) dx. 1 Eine Stammfunktion von f (x) = x2 − 6 cos(2x) ist 1 3 F (x) = x − 3 sin(2x), 3 denn die Ableitung (Kettenregel!) von F (x) ergibt gerade f (x). Die Stammfunktion an der oberen Integrationsgrenze ausgewertet hat den Wert F (2) ≈ 4.9371, an der unteren Integrationsgrenze erhält man entsprechend F (1) ≈ −2.3946. Subtraktion ergibt F (2) − F (1) ≈ 7.3317. Also ist insgesamt: 2 Z 2 1 3 2 (x −3 cos(2x)) dx = x − 3 sin(2x) 3 1 x=1 ≈ 4.9371 − (−2.3946) = 7.3317. Mathematik kompakt 19 Integration — Grundbegriffe Übung Berechnen Sie mit Hilfe des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung die folgenden Integrale: R R2√ π/2 a) 0 cos x dx und b) 1 x dx. Lösung a) Es gilt: R π/2 0 π/2 cos x dx = sin x|x=0 = sin(π/2) − sin 0 = 1 − 0 = 1. b) Es gilt: R2√ 1 x dx = = R2 1 2 3 2 3/2 x x1/2 dx = 2 3 x=1 23/2 − 13/2 2 (2.8284 − 1) ≈ 1.2189. ≈ 3 Mathematik kompakt 20 Integration — Grundbegriffe Tabelle der Grundintegrale Funktion f (x) xα , α 6= −1 1, x √1 x 6= 0 Stammfunktion F (x) 1 xα+1 + c α+1 ln |x| + c ex ex + c sin x − cos x + c cos x sin x + c 1 1+x2 arctan x + c 1−x2 , |x| < 1 Mathematik kompakt arcsin x + c 21 Integration — Grundbegriffe Unbestimmtes Integral Definition Die Menge aller Stammfunktionen von f R wird mit f (x) dx bezeichnet und heißt unbestimmtes Integral von f . R Die Bezeichnung f (x) dx für das unbestimmte Integral drängt sich durch den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung förmlich auf: Rb Man erhält das bestimmte Integral a f (x) dx, indem man einen Vertreter der Stammfunktionen, geR nannt f (x) dx, wählt und an den Integrationsgrenzen a und b auswertet. Mathematik kompakt 22 Integration — Grundbegriffe Rechenregeln für unbestimmte Integrale Es gilt: a) b) R α · f (x) dx = α · R R f (x) dx, (fR (x) + g(x))Rdx = f (x) dx + g(x) dx. Mathematik kompakt 23 Integration — Grundbegriffe Übung R Worin besteht der Unterschied zwischen cos x dx, Rx R π/2 cos x dx ? 0 cos t dt und 0 Lösung R a) Der Ausdruck cos x dx heißt unbestimmtes Integral und steht für die Gesamtheit aller StammR funktionen von cos x: cos x dx = sin x + c. Rx b) Der Term 0 cos t dt ist eine einzelne Stammfunktion von cos x. R π/2 c) Schließlich ist 0 cos x dx ein bestimmtes Integral, dessen Wert gleich der reellen Zahl 1 R π/2 ist. Anschaulich gesprochen gibt 0 cos x dx den Flächeninhalt zwischen der Cosinus-Funktion und der x-Achse über dem Intervall [0, π/2] an. Mathematik kompakt 24 Integration — Integrationstechniken Partielle Integration Die Produktregel der Differentialrechnung für die Ableitung des Produktes zweier Funktionen u(x) und v(x) lautet: (u(x) · v(x))′ = u′(x) · v(x) + u(x) · v ′(x). Integration auf beiden Seiten liefert: Z u(x)v(x) = (u(x)v(x))′dx = Z u′(x)v(x) dx + Z u(x)v ′(x) dx. Nach Umordnung der Terme erhalten wir: Die Integrationsregel der partiellen Integration lautet: Z u′(x) · v(x)dx = u(x) · v(x) − Mathematik kompakt Z u(x) · v ′(x)dx. 25 Integration — Integrationstechniken Bemerkungen zur Partiellen Integration • Die Integrationsregel Partielle Integration“ hat ” ihren Namen erhalten, da sozusagen ein Teil des Integrals, nämlich u(x) · v(x), berechnet R wird und der andere Teil als u(x) · v ′(x) dx stehen bleibt. • Partielle Integration ist nur sinnvoll, wenn das R verbleibende Integral u(x) · v ′(x) dx auf der rechten Seite einfacher zu berechnen ist als das R ′ Ausgangsintegral u (x) · v(x) dx. • Man wähle zur Integration eines Produktes von Funktionen eine Funktion als u′(x) (von ihr muss man die Stammfunktion kennen) und eine Funktion als v(x) (diese Funktion muss man ableiten können). Mathematik kompakt 26 Integration — Integrationstechniken Beispiel Eine einfache Anwendung der partiellen Integration R liefert die Stammfunktion zu x · ex dx: R x R x x x dx = |{z} e · |{z} x − |{z} e · |{z} 1 dx e · |{z} |{z} u′ v u v = xex − ex + c. u v′ Wir wollen nun noch kurz untersuchen, was passiert wäre, wenn wir als u′ bzw. v die jeweils andere Funktion gewählt hätten: Z Z 2 x x2 x x e dx = x · |{z} · |{z} e − · |{z} ex dx |{z} 2 2 |{z} |{z} v v u′ v′ u u Diese Gleichung ist zwar mathematisch korrekt, führt aber nicht weiter, da das verbleibende InteR 2 x gral x e dx komplizierter ist als das AusgangsR x integral xe dx. Mathematik kompakt 27 Integration — Integrationstechniken Beispiel Mit einem kleinen Trick (dem Satz von Pythagoras: sin2 x + cos2 x = 1) lässt sich das Integral R sin2 x dx mittels partieller Integration berechnen: Z sin | {zx} · sin | {zx} dx v u′ R = − | {zx} − (− | {z x} dx {z x} · sin | cos | cos {z x)} · cos v u v′ u R = − sin x cos x + R cos2 x dx = − sin x cos x + R (1 − sinR2 x) dx = − sin x cos x + 1 dx −R sin2 x dx = − sin x cos x + x + c̃ − sin2 x dx Damit ist Z 2 sin2 x dx = − sin x cos x + x + c̃ bzw. Z sin2 x dx = Mathematik kompakt 1 (x − sin x cos x) + c. 2 28 Integration — Integrationstechniken Übung R Berechnen Sie das Integral ln x dx mittels partieller Integration (Tipp: Wählen Sie v = ln x und u′ = 1). Lösung R ln x dx = R ln x dx 1 · |{z} |{z} v u′ = |{z} x · |{z} ln x − u v = x · ln x − Mathematik kompakt R R 1 x · dx |{z} x |{z} u v′ 1 dx = x · ln x − x + c. 29 Integration — Integrationstechniken Substitution Auch aus der Kettenregel erhalten wir eine Integrationsformel. Die Ableitung der verketteten Funktion F (x) = F (g(t)) mit x = g(t) ergibt nämlich: F ′ (x) = F ′(g(t)) · g ′(t). Wenn F (x) Stammfunktion von f (x) ist (d.h. F ′(x) = f (x)), folgt durch Integration Z Z f (g(t)) · g ′(t) dt = f (x) dx. Die Integrationsregel der Substitution lautet: Z Z f (g(t))·g ′ (t) dt = f (x) dx, x = g(t). Mathematik kompakt 30 Integration — Integrationstechniken Beispiel zur Substitution Beispiel Wir wollen im Folgenden das Integral Z 2 1 (ln t) · dt t mittels Substitution berechnen. (Da wiederum das Produkt zweier Funktionen zu integrieren ist, könnte man aber evtl. auch mit Hilfe von partieller Integration zum Ergebnis kommen.) Wir substituieren hier jedoch x = ln t, übersetzen also gleichermaßen von der t“-Sprache in die x“” ” Sprache. Dass gerade diese Substitution gewählt wird, liegt daran, dass die Ableitung von ln t, nämlich 1 , ebenfalls im Integranden steht: Denn wegen x = t 1 und (indem wir dx ln t folgt für die Ableitung dx = dt t dt 1 als Bruch auffassen) dx = t dt. Mathematik kompakt 31 Integration — Integrationstechniken Beispiel zur Substitution (Fortsetzung) Damit liegt folgende Umformung nahe: Z Z 1 (ln t)2 · dt = x2 dx. t Das transformierte Integral in x ist einfach zu lösen: Z 1 x2 dx = x3 + c. 3 Nun muss noch nach t rücksubstituiert werden: 1 3 1 x + c = (ln t)3 + c. 3 3 In der Terminologie der Substitutionsregel ist: f (x) = x2, g(t) = ln t und damit Z Z 1 2 2 (ln t) dt = x dx. · |{z} | {z } t |{z} f (x) f (g(t)) g ′(t) Insgesamt haben wir als Ergebnis erhalten: Z 1 1 2 (ln t) · dt = (ln t)3 + c. t 3 Mathematik kompakt 32 Integration — Integrationstechniken Übung Berechnen Sie mittels Substitution das Integral R 6t dt! 2 t +3 Lösung Es gilt: R 6t R 1 dt = 3 x dx = 3 ln |x| + c 2 t +3 = 3 ln(t2 + 3) + c. Dabei wurde x = t2 + 3 und daraus folgend dx dt = 2t, d.h. dx = 2tdt substituiert. In der Terminologie der Substitutionsregel ist: f (x) = 1 und g(t) = t2 + 3. x Mathematik kompakt 33 Integration — Integrationstechniken Logarithmische Integration Ein Spezialfall der Substitution, die so genannte logarithmische Integration, wird immer dann angewandt, wenn bei einem Bruch als Integranden im Zähler die Ableitung des Nenners steht. Es gilt allgemein: Z ′ g (x) dx = ln |g(x)| + c, g(x) Mathematik kompakt g(x) 6= 0. 34 Integration — Integrationstechniken Beispiel zur Substitution Beispiel Rp 1 − x2 dx, |x| ≤ 1 wird unter ZuDas Integral hilfenahme der Substitution x = sin t bestimmt. Um diese Substitution auszuführen, schreiben wir uns zunächst eine Art Wörterbuch“ zur Übersetzung von ” der x“-Sprache in die t“-Sprache: ” ” x = sin t 2 = sin2 t x 2 2 2 1 − x = 1 − sin t = cos t (∗) p 2 = cos t 1 − x (Beachte: cos t ≥ 0) dx = cos t also dx = cos t dt. dt Damit erhalten wir folgende Umformung: Z q Z Z 2 1 − x2 dx = cos t = cos t dt. · cos t dt | {z } {z } | √ dx 1−x2 Mathematik kompakt 35 Integration — Integrationstechniken Beispiel zur Substitution (Fortsetzung) Wir entnehmen einer Formelsammlung: Z 1 cos2 t dt = (t + sin t cos t) + c. 2 Wegen x = sin t und entsprechend t = arcsin x und obigem Wörterbuch“ (∗) erfolgt noch die Rück” substitution von Termen in t in x-Ausdrücke: 1 (t + sin t cos t) + c 2 q 1 2 = (arcsin 1 − x + x · x ) + c. {z } |{z} | | {z } 2 t sin t cos t Insgesamt: q Z q 1 arcsin x + x · 1 − x2 +c, 1 − x2 dx = 2 für |x| ≤ 1. Mathematik kompakt 36 Integration — Integrationstechniken Integrationsregeln (Partielle Integration, Substitution) für bestimmte Integrale Die Integrationsregeln (Partielle Integration, Substitution) lassen sich nicht nur für unbestimmte, sondern auch für bestimmte Integrale formulieren. Die Regel der partiellen Integration für bestimmte Integrale lautet dann: Z b a u′(x) · v(x) dx = u(x) · v(x)|bx=a − Mathematik kompakt Z b a u(x) · v ′(x) dx. 37 Integration — Integrationstechniken Integrationsregeln (Partielle Integration, Substitution) für bestimmte Integrale Bei der Substitutionsregel muss man auch die Integrationsgrenzen transformieren: Z b f (x) dx = a Z β α f (g(t)) · g ′(t) dt mit α = g −1(a) und β = g −1(b). Will man diese Transformation der Integralgrenzen (und deren Rücktransformation!) vermeiden, so kann man auch zunächst unbestimmt (d.h. ohne Integrationsgrenzen) integrieren und danach erst in das Ergebnis die Integrationsgrenzen einsetzen. Mathematik kompakt 38 Integration — Integrationstechniken Ausblick • Für die Integration rationaler Funktionen gibt es einen eher aufwendigen Algorithmus, genannt Partialbruchzerlegung. Grob gesagt kann man rationale Funktionen als Summe gewisser rationaler Funktionen einfachster Bauart (so genannte Partialbrüche) darstellen, deren Stammfunktionen sich relativ einfach ermitteln lassen. Wir verweisen hier auf die Spezialliteratur. • Es gibt Integrale, die nicht in geschlossener Form darstellbar, aber für die Praxis äußerst wichtig sind. Ein Beispiel ist das Integral der StandardRx 2/2 1 −t √ normalverteilung Φ(x) = e dt. 2π −∞ Dieses Integral ist in den meisten Formelsammlungen tabelliert. Die Tabelleneinträge sind dabei Näherungswerte, die durch numerische Integrationsmethoden gewonnen wurden. Mathematik kompakt 39 Integration — Uneigentliche Integrale Uneigentliche Integrale Man kann den bekannten Integrationsbegriff für stetige Funktionen auf endlichen Intervallen [a, b] auch noch weiter ausdehnen: So genannte uneigentliche Integrale treten in zwei Fällen auf, nämlich • bei unendlichem Integrationsintervall und • bei unbeschränktem Integranden. In diesen Fällen ist zusätzlich ein Grenzübergang auszuführen: Der betreffende Limes kann existieren, dann konvergiert das uneigentliche Integral und man kann ihm eine reelle Zahl zuordnen. Andernfalls existiert der entsprechende Grenzwert nicht und das uneigentliche Integral divergiert. Mathematik kompakt 40 Integration — Uneigentliche Integrale Beispiel für ein uneigentliches Integral Beispiel Wir betrachten zunächst das Standardintegral Rb 1 2 dx mit fester oberer Grenze b > 0: 0 1+x Rb arctan x|bx=0 = arctan b − arctan 0 = arctan b. 1 dx = 0 1+x2 Anschaulich gesprochen ist damit die Fläche unter der Funktion 1 2 über dem Intervall [0, b] berech1+x net. Wir fragen uns nun, ob auch die (unendlich lange!) Fläche im Intervall [0, +∞) sinnvoll berechnet werden kann. Dazu liegt die folgende Definition nahe: R b dx R ∞ dx 0 1+x2 dx := limb→∞ 0 1+x2 dx = limb→∞ arctan b = π 2. Wir können — da obiger Grenzwert existiert — der angesprochenen (unendlich langen!) Fläche einen endlichen Wert zuordnen. Mathematik kompakt 41 Integration — Uneigentliche Integrale Abbildung: Uneigentliche Integrale y y 1 f(x) = f(x) = 1 1 x 1 + x2 1 x x 0 Mathematik kompakt b 1 2 3 b 42 Integration — Uneigentliche Integrale Übung R∞1 Rechnen Sie das Integral 3 x dx aus! Lösung Zunächst ist: Z b 1 dx = ln |x||bx=3 = ln b − ln 3. 3 x Der Grenzwert führt jetzt aber auf Divergenz: R∞ 1 Rb1 3 x dx = limb→∞ 3 x dx = limb→∞(ln b − ln 3) = +∞. Mathematik kompakt 43 Integration — Uneigentliche Integrale Beispiel: Uneigentliche Integrale Beispiel R2 1 Beim Integral 0 2 dx ist der Integrand 12 an der x x unteren Integrationsgrenze 0 unbeschränkt: 1 = +∞. 2 x→0+ x lim Wir betrachten zunächst 2 Z 2 1 1 1 1 1 1 =− − − = − dx = − 2 x x=a 2 a a 2 a x und erhalten nach folgendem Grenzübergang wiederum Divergenz: R2 1 R2 1 0 2 dx := lima→0+ a 2 dx x x = lima→0+ 1a − 1 2 = +∞. Mathematik kompakt 44 Integration — Uneigentliche Integrale Uneigentliche Integrale 1.Fall Definition Bei den uneigentlichen Integralen unterscheiden wir zwei Fälle: Die Funktion f (x) sei auf jedem Intervall [a, u], u ∈ IR integrierbar. Dann definiert man Z ∞ Z u f (x) dx := lim f (x) dx, a u→∞ a wenn dieser Grenzwert existiert. Man sagt: Das uneigentliche Integral existiert oder konvergiert (andernfalls: Es existiert nicht oder divergiert). Mathematik kompakt 45 Integration — Uneigentliche Integrale Uneigentliche Integrale 2.Fall Definition Bei den uneigentlichen Integralen unterscheiden wir zwei Fälle: Die Funktion f (x) sei auf jedem Intervall [a, u] mit a ≤ u < b integrierbar und es gelte: limx→b− f (x) = ±∞. Dann definiert man Z b Z u f (x) dx := lim f (x) dx, a u→b− a wenn dieser Grenzwert existiert. Wiederum sagt man: Das uneigentliche Integral existiert oder konvergiert (andernfalls: Es existiert nicht oder divergiert). Mathematik kompakt 46 Integration — Mehrfachintegrale Doppelintegral als Volumen Wir wollen im Folgenden den Begriff des Integrals Rb a f (x) dx einer Funktion f (x) über einem Intervall [a, b] auf Funktionen in mehreren Variablen verallgemeinern. Dabei sollen — der Anschaulichkeit halber — Funktionen von zwei Veränderlichen f (x, y) betrachtet werden. Gesucht ist hier das Volumen zwischen der Funktion und der x, y-Ebene über einem Bereich B. z f( xi ,h ) i z = f(x,y) hi y 0 xi Bi B x Mathematik kompakt D yk D x ji i 47 Integration — Mehrfachintegrale Bereichsintegral (Gebietsintegral) Wir nennen gewisse einfach zu charakterisierende Mengen der Ebene Bereiche“ und halten fest: ” Definition Unter dem Bereichsintegral (oder Gebietsintegral) der Funktion f (x, y) über dem Bereich B (Konvergenz vorausgesetzt) versteht man ZZ f (x, y) dx dy := B lim n→∞ n X f (ξi, ηi)∆xji ∆yki . i=1 Mathematik kompakt 48 Integration — Mehrfachintegrale Rechenregeln für das Bereichsintegral Für das Bereichsintegral gilt: RR RR a) B α · f dx dy = α · B f dx dy, b) RR c) RR (f + g) dx dyRR BRR = B f dx dy + B g dx dy, BRRf dx dy RR = B1 f dx dy + B2 f dx dy, falls B = B1 ∪ B2 und B1, B2 höchstens Randpunkte gemeinsam haben. Mathematik kompakt 49 Integration — Mehrfachintegrale Bemerkungen zu den Rechenregeln für das Bereichsintegral RR gibt den FlächeninB 1 dx dy R halt von B an. Analog war ab 1 dx = b − a die • Der Ausdruck Länge des Intervalls [a, b]. • Für f (x, y) ≥ 0 gehen Volumina positiv in RR B f (x, y) dx dx ein und entsprechend negativ für f < 0. Analog wurde der Flächeninhalt Rb a f (x) dx im Intervall [a, b] für f ≥ 0 positiv gemessen und für f < 0 negativ. Mathematik kompakt 50 Integration — Mehrfachintegrale Grundidee zur Berechnung von Mehrfachintegralen Man berechnet das Gesamtvolumen als Summe hauchdünner Scheiben mit bekannter Querschnittsfläche, quasi als hätte man einen Holzklotz (das zu berechnende Volumen) in kleine zueinander parallele Scheibchen zerhackt. Die einzelnen Scheiben können dabei durchaus verschieden aussehen, je nachdem an welcher Stelle man sie herausgegriffen hat: z y xa z=f(x,y) S(x) x fest xb B x Mathematik kompakt 51 Integration — Mehrfachintegrale Grundidee zur Berechnung von Mehrfachintegralen RR Das Bereichsintegral B f (x, y) dx dx kann als Summe, oder besser gleich als Integral kleiner Scheiben S(x) geschrieben werden, wobei derartige Scheiben für x ∈ [xa, xb] auftreten und je nach gewähltem x verschiedene Gestalt haben können: Z x ZZ b S(x) dx. f (x, y) dx dx = xa B Die einzelnen Scheiben können wiederum als Einfachintegrale aufgefasst werden: Z y (x) b f (x, y) dy. S(x) = ya (x) Insgesamt wird dadurch das Doppelintegral RR B f (x, y) dx dx in zwei ineinander verschachtelte Einzelintegrale aufgespalten. Dabei ist das innere Integral zuerst zu berechnen. Mathematik kompakt 52 Integration — Mehrfachintegrale Normalbereich (in x) Ein Integrationsbereich B lässt sich als so genannter Normalbereich beschreiben durch: B = {(x, y) | xa ≤ x ≤ xb, ya(x) ≤ y ≤ yb(x)} . y yb(x) B xa xb x ya(x) Mathematik kompakt 53 Integration — Mehrfachintegrale Beispiel Wir beschreiben das Viertel des Einheitskreises im 1. Quadranten (vgl. Abb. ) in der angegebenen Weise als Normalbereich: q B = (x, y) | 0 ≤ x ≤ 1, 0 ≤ y ≤ 1 − x2 . Die obere Grenze yb(x) haben wir durch Auflösen der Kreisgleichung x2 + y 2 = 12 nach y erhalten: p y = 1 − x2 . y 1 x2 +y2 =1 B x 1 Mathematik kompakt 54 Integration — Mehrfachintegrale Berechnung von Bereichsintegralen bei Normalbereich in x, inneres Integral in y Bei einem Normalbereich in x B = {(x, y) | xa ≤ x ≤ xb , ya(x) ≤ y ≤ yb(x)} berechnen wir Bereichsintegrale in der Form ZZ f (x, y) dx dy = B Z x b x=xa Z y (x) b y=ya(x) f (x, y) dy ! dx. Es lassen sich die Rollen von x und y bei entsprechend vorliegendem Bereich natürlich auch vertauschen (man kann Holzklötze nicht nur in x-Richtung, sondern auch in y-Richtung zerhacken, ohne dass sich das Volumen des Holzklotzes verändern würde). Mathematik kompakt 55 Integration — Mehrfachintegrale Berechnung von Bereichsintegralen bei Normalbereich in y, inneres Integral in x Bei einem Normalbereich in y B = {(x, y) | ya ≤ y ≤ yb, xa(y) ≤ x ≤ xb(y)} berechnen wir Bereichsintegrale in der Form ZZ f (x, y) dx dy = B Z y b y=ya Z x (y) b x=xa(y) Mathematik kompakt ! f (x, y) dx dy. 56 Integration — Mehrfachintegrale Beispiel für die Berechnung von Bereichsintegralen Beispiel Wir betrachten den durch die Kurven y = x2 und y = x + 2 berandeten Bereich B: y y=x2 y=x+2 4 B 1 x -1 1 2 Da sich B sowohl als Normalbereich in x als auch als Normalbereich in y auffassen lässt, berechnen RR wir nun das Integral B xy dx dy auf beide Arten. Mathematik kompakt 57 Integration — Mehrfachintegrale Fortsetzung: Beispiel für die Berechnung von Bereichsintegralen Falls das äußere Integral über x und das innere Integral über y läuft, gilt: ! Z 2 Z x+2 ZZ xy dy dx. xy dx dy = x=−1 B y=x2 Das innere Integral berechnet sich dann zu x+2 Z x+2 2 xy x(x + 2)2 x(x2)2 − xy dy = = 2 2 2 2 y=x y=x2 1 3 = x + 4x2 + 4x − x5 . 2 Damit ergibt sich insgesamt: Z 2 3 1 1 x3 + 4x2 + 4x − x5 dx = 12 − 2 −1 2 4 = 5.625. Mathematik kompakt 58 Integration — Mehrfachintegrale Fortsetzung: Beispiel für die Berechnung von Bereichsintegralen Falls das äußere Integral über y läuft und das innere Integral über x, so ist zunächst zu beachten, dass es in zwei Teilbereiche zerfällt: nämlich den Teilbereich mit y ∈ [0, 1] und den Teilbereich mit y ∈ [1, 4]: ! Z √y Z 1 xy dx dy √ y=0 + Z 4 y=1 x=− y Z √ y x=y−2 xy dx ! dy. Für das erste Integral erhalten wir den Wert 0, da in √ R y √ xy dx eine ungerade Funktion x über ein x=− y √ √ symmetrisches Intervall [− y, y] integriert wird. Mathematik kompakt 59 Integration — Mehrfachintegrale Fortsetzung: Beispiel für die Berechnung von Bereichsintegralen Das zweite Integral ergibt: ! Z √ Z 4 y xy dx y=1 x=y−2 = Z 4 1 dy = Z √ 4 x2 y y dy 2 x=y−2 1 ! √ 2 ( y) y (y − 2)2y − dy 2 2 Z 1 4 2 = (y − (y 3 − 4y 2 + 4y))dy 2 1 7 1 32 − − = 5.625. = 2 3 12 Mathematik kompakt 60 Integration — Mehrfachintegrale Übung: Berechnung von Bereichsintegralen Übung Berechnen Sie für den durch die Kurven x = 0, y = 0 und y = −1/2 x + 1 berandeten Bereich B RR das Bereichsintegral B x dx dy. y= - 1 x+1 2 1 y B 2 Mathematik kompakt x 61 Integration — Mehrfachintegrale Lösung zur Übung: Berechnung von Bereichsintegralen Lösung Für die Integrationsreihenfolge außen x, innen y“ ” erhalten wir: ! Z −1/2 x+1 Z 2 ZZ x dy dx. x dx dy = B x=0 y=0 Das innere Integral berechnet sich zu: R −1/2 x+1 −1/2 x+1 1 x dy = xy|y=0 = x −2x + 1 y=0 2 + x. = −1 x 2 Damit insgesamt: Z 2 ZZ x dx dy = B Mathematik kompakt 1 2 − x2 + x dx = . 2 3 x=0 62 Integration — Mehrfachintegrale Lösung zur Übung: Berechnung von Bereichsintegralen (Fortsetzung) Die andere Integrationsreihenfolge liefert (y = −1/2 x + 1 nach x aufgelöst ergibt x = −2y + 2): RR R 1 R −2y+2 x dx dy B x dx dy = y=0 x=0 = −2y+2 x2 dy y=0 2 x=0 R1 R1 = 2 y=0(1 − y)2dy 1 2 (1 − y)3 = −3 y=0 = 0− Mathematik kompakt −2 3 =2 3. 63 Integration — Mehrfachintegrale Lösung zur Übung: Berechnung von Bereichsintegralen Der in der Übung berechnete x-Wert hat eine anschauliche Bedeutung: Er gibt die x-Koordinate des geometrischen Schwerpunktes vom Bereich B an: ZZ 1 xs = x dx dy A B RR mit Fläche A = B 1 dx dy (in der Übung: A = 1). Die Berechnung derartiger Schwerpunkte, Massenmittelpunkte, Flächenträgheitsmomente etc. ist eine typische Anwendung von Bereichsintegralen. Mathematik kompakt 64 Integration — Mehrfachintegrale Dreifachintegrale Bei der Definition von Bereichsintegralen haben wir uns wesentlich vom geometrisch anschaulichen Begriff Volumen“ leiten lassen. Um zu allgemeinen ” Dreifach- bzw. Mehrfachintegralen zu gelangen, ist dieser geometrische Weg nicht länger möglich. Die Definition der Bereichsintegrale kann aber fast wörtlich (um die dritte Dimension oder weitere Dimensionen erweitert) übernommen werden. Auch Dreifachintegrale haben vielfältige praktische Anwendungen, wie etwa die Berechnung der Gesamtmasse eines Körpers bei nicht-konstanter Massendichte etc. Mathematik kompakt 65 Integration – Polarkoordinaten Kartesische Koordinaten oder Polarkoordinaten Bei manchen Doppelintegralen vereinfacht sich die Berechnung, wenn man nicht kartesische Koordinaten verwendet: y dA= dx . dy } }dy dx x sondern dem Problem besser angepasste Integrationsvariable, wie etwa Polarkoordinaten: y O Mathematik kompakt x 66 Integration – Polarkoordinaten Bei Polarkoordinaten sind die Koordinatenlinien für festes r konzentrische Kreise um den Nullpunkt, die Koordinatenlinien für konstantes ϕ sind Halbgeraden, die vom Koordinatenursprung ausgehen. y O Mathematik kompakt x 67 Integration – Polarkoordinaten Es existiert ein wichtiger Unterschied zwischen kartesischen Koordinaten und Polarkoordinaten. Das Flächenelement bei kartesischen Koordinaten ist mit dA = dx · dy überall gleich groß: y dA= dx . dy } }dy dx x Das Flächenelement in Polarkoordinaten hängt offensichtlich von r ab: y O Mathematik kompakt x 68 Integration – Polarkoordinaten Das Flächenelement in Polarkoordinaten lautet: dA = r dr dϕ. y } dj O Mathematik kompakt } rd j dr r +dr r x 69 Integration – Polarkoordinaten Bei der Berechnung eines Integrals in Polarkoordinaten geht man wie folgt vor: Zunächst transformiert man die kartesischen Koordinaten x und y sowie das Flächenelement dA in Polarkoordinaten. Dabei gelten die folgenden Transformationsgleichungen: x = r · cos ϕ y = r · sin ϕ dA = r · dr · dϕ. Nun sind die Grenzen des Integrationsbereichs in Polarkoordinaten anzugeben: Z Z f (x, y)dA = A Z ϕ2 Z r=ra (ϕ) ϕ=ϕ1 r=ri (ϕ) Mathematik kompakt f (r cos ϕ, r sin ϕ) · rdrdϕ. 70 Integration – Polarkoordinaten Natürlich kann man bei Polarkoordinaten - wie schon bei kartesischen Koordinaten - die Integrationsreihenfolge vertauschen: Will man zuerst (inneres Integral) nach ϕ integrieren, so wähle man die Grenzen wie folgt Z Z f (x, y)dA = A Z r2 Z ϕa (r) r=r1 ϕ=ϕi (r) Mathematik kompakt f (r cos ϕ, r sin ϕ) · dϕrdr. 71 Integration – Polarkoordinaten Beispiel Wir berechnen im Folgenden die Fläche des Tortenstücks A: y j = p /6 Z Z = Z π/6 ϕ=0 = Z 1 dA = A Z 2 r=0 π/6 x 2 0 rdr Z ! π/6 Z 2 ϕ=0 r=0 dϕ = Z 1 · rdrdϕ π/6 ϕ=0 2 2 r 2 r=0 ! dϕ π π π/6 2dϕ = 2 ϕ|ϕ=0 = 2 · = 6 3 ϕ=0 Mathematik kompakt 72 Integration – Polarkoordinaten Übung Berechnen Sie das Doppelintegral das Tortenstücks A. RR 2dA über xy A y j = p /6 0 Mathematik kompakt 2 x 73 Integration – Polarkoordinaten Lösung Z Z xy 2 dA = A = Z = Z π/6 ϕ=0 Z Z r4dr r=0 ϕ=0 = 2 · rdrdϕ r| cos ϕ · (r sin ϕ) {z } | {z } | {z } ϕ=0 r=0 =x 2 dA 2 π/6 Z π/6 Z 2 2 5 r 5 r=0 π/6 25 ϕ=0 Mathematik kompakt 5 =y ! ! cos ϕ sin2 ϕ dϕ cos ϕ sin2 ϕ dϕ cos ϕ sin2 ϕ dϕ 74 Integration – Polarkoordinaten = Z π/6 25 5 ϕ=0 cos ϕ sin2 ϕ dϕ π/6 1 3 = · sin ϕ 5 3 ϕ=0 25 25 1 3π = · · sin 5 3 6 ≈ 0.26667 Mathematik kompakt 75 Integration – Polarkoordinaten Übung Berechnen Sie den Schwerpunkt des Halbkreises (y ≥ 0) mit dem Radius R. y x R (Aus Symmetriegründen gilt: xS = 0.) Mathematik kompakt 76 Integration – Polarkoordinaten Lösung Die Fläche des Halbkreises vom Radius R berechnet sich (wie erwartet) zu: A= Z π Z R rdrdϕ = ϕ=0 r=0 = Z π ϕ=0 Z π ϕ=0 Z R rdr r=0 ! dϕ ! R r2 dϕ 2 r=0 R2 π R2 π · ϕ|ϕ=0 = = 2 2 Mathematik kompakt 77 Integration – Polarkoordinaten Für die y-Koordinate des Schwerpunkts erhält man: Z Z R 1 yS = · r| sin ϕ} · rdrdϕ {z | {z } A ϕ=0 r=0 =y dA 2 = 2 · R π 2 = 2 · R π Z π π ϕ=0 Z π ϕ=0 Z R r2dr r=0 ! ! sin ϕ dϕ ! ! R r3 sin ϕ dϕ 3 r=0 R3 2 · (− cos ϕ)|π = 2 · ϕ=0 R π 3 2 R3 = 2 · · (−(−1) − (−1)) R π 3 4 ·R = 3π Mathematik kompakt 78 Integration – Polarkoordinaten Beispiel Wir berechnen im Folgenden einen Teil der Fläche einer Archimedischen Spirale: r = ϕ, ϕ ∈ [0, π] y j Î [0,p] x A= Z Z π ϕ rdrdϕ = ϕ=0 r=0 = Z π ϕ=0 Mathematik kompakt Z π ϕ=0 π ϕ3 ϕ r2 2 r=0 ! dϕ 3 π dϕ = = 2 6 ϕ=0 6 ϕ2 79 Integration – Polarkoordinaten Übung Berechnen Sie den Flächeninhalt der Kardioide: r = a · (1 + cos ϕ), ϕ ∈ [0, 2π] y a 0 Mathematik kompakt a 2a x 80 Integration – Polarkoordinaten Lösung Z A= = 2π = Z a(1+cos ϕ) rdrdϕ ϕ=0 r=0 Z 2π Z 2π 1 ϕ=0 = Z ϕ=0 2 2π a2 ϕ=0 2 Mathematik kompakt ! a(1+cos ϕ) r2 dϕ 2 r=0 (a(1 + cos ϕ))2dϕ (1 + 2 cos ϕ + cos2 ϕ)dϕ 81 Integration – Polarkoordinaten A= = = a2 a2 2 2 Z ϕ=0 2 2π a2 (1 + 2 cos ϕ + cos2 ϕ)dϕ 2π 1 1 ϕ + 2 sin ϕ + ϕ + sin(2ϕ) 2 4 ϕ=0 1 2π + 0 + 2π + 0 − (0 + 0 + 0 + 0) 2 3πa2 = 2 Mathematik kompakt 82 Integration – Polarkoordinaten Übung Berechnen Sie das Dreifachintegral folgendes Volumen V : RRR V 1 dV über z 2 z =r2 y 2 x (Die Koordinaten r, ϕ und z heißen Zylinderkoordinaten.) Mathematik kompakt 83 Integration – Polarkoordinaten Lösung V = Z Z Z 1 dV = V Z √ 2Z 2 Z √ ! Z 2 2 = dz dr · r r=0 z=r2 | {z } z=r2 = Z √ 2 r=0 2π r=0 z=r2 ϕ=0 =z|2 Z Z rdrdϕdz 2π ϕ=0 ! dϕ =2−r2 r(2 − r2)dr · 2π √ 2 4 r 4 2 = 2π r − = 2π = 2π 2 − 4 r=0 4 Mathematik kompakt 84 Anwendung: Das Volumen eines Kühlturms Fragestellung Nicht nur die Flugbahnen vieler kosmischer Körper sind Hyperbeln, auch im Bauwesen können z.B. Kühltürme von Kernkraftwerken als Rotationshyperboloide aufgefasst werden. Man erhält einen derartigen Körper, wenn man eine Hyperbel um die y-Achse rotieren lässt. Wir betrachten hier einen Kühlturm mit den Maßen aus folgender Abb: Grundkreisradius 20m, Deckkreisradius 16m, Höhe 18m. Sein Volumen ist unter Zuhilfenahme der Überlegungen aus der Integralrechnung von Funktionen in zwei Veränderlichen leicht zu berechnen. y Deckkreis 16 20 x Grundkreis -18 Mathematik kompakt 85 Anwendung: Das Volumen eines Kühlturms Hyperbelgleichungen Zunächst müssen in der Gleichung einer Hyperbel, allgemein x2 y 2 − 2 = 1, 2 a b die Parameter a und b bestimmt werden. Da die Punkte (16, 0) und (20, 18) auf der gesuchten Hyperbel liegen, erhalten wir die Bestimmungsgleichungen 162 − 02 = 1 =⇒ a = 16, a2 b2 202 − 182 = 1 =⇒ b2 = 182 ·162 162 b2 122 =⇒ b = 18·16 12 = 24. 2 y2 x Insgesamt ist also 2 − 2 = 1 die Gleichung der 16 24 2 Hyperbel, bzw. nach x aufgelöst: 2 y . x2 = 162 · 1 + 2 24 Mathematik kompakt 86 Anwendung: Das Volumen eines Kühlturms Kreisscheiben Wir stellen uns nun den Kühlturm in (dünne) Kreisscheiben um die y-Achse zerlegt vor. Jede dieser Kreisscheiben hat den Radius x = x(y), der noch von y (der jeweiligen Höhe, an der die Kreisscheibe gemessen wird) abhängt. Die Fläche eines Kreises mit dem Radius r beträgt bekanntlich π · r2; in unserem Fall hat jeder Kreis die Fläche 2 y A(y) = π · x2(y) = 162π 1 + . 2 24 Dabei haben wir die obige Formel (für x2 aus der Hyperbelgleichung) eingesetzt. Mathematik kompakt 87 Anwendung: Das Volumen eines Kühlturms Summation über die Kreisscheiben Wenn wir nun noch über alle (dünnen) Scheiben A(y) aufsummieren bzw. integrieren, gibt sich für das Volumen V des aus vielen Scheiben bestehenden Rotationshyperboloids: R0 R 2 0 y V = −18 A(y)dy = 162 · π −18 1 + 2 dy 24 0 y3 2 = 16 · π y + 3·242 y=−18 2 = 16 π(18 + 3.375) = 5472π. Insgesamt beträt also das Volumen des betrachteten Kühlturms etwa 17191m3 oder über 17 Millionen Liter. Mathematik kompakt 88 Anwendung: Integrale im Straßenbau Fragestellung Besonders in Deutschland wird auf den Autobahnen mit recht hoher Geschwindigkeit gefahren. Ein großes Gefahrenpotenzial bilden dabei Kurven und Ausfahrten, da die Straßenführung an diesen Stellen meist einen Kreisbogen beinhaltet. Dieser Bogen hat, anders als eine Gerade, eine Krümmung K 6= 0, die dafür verantwortlich ist, dass ein Fahrzeug mit zu hoher Geschwindigkeit aus der Kurve fliegt. Das liegt wiederum daran, dass die am Fahrzeug angreifende Zentrifugalkraft F — wie aus der Kinetik bekannt — proportional zur Krümmung K ist, genauer F = Kmv 2 (m Masse des Autos und v seine Geschwindigkeit). Mathematik kompakt 89 Anwendung: Integrale im Straßenbau Wegbeschreibung Bekannterweise beschreibt der Physiker einen Weg in der Ebene (hier: die Straßenführung) durch dessen Koordinaten: x(s), y(s), wobei s ∈ IR ein Parameter ist. Würde man beispielsweise x(s) = s und y(s) = s für s ≥ 0 setzen, so gilt für alle s stets y = x. In diesem Fall ergäbe sich als Weg also die Winkelhalbierende des ersten Quadranten. Mathematik kompakt 90 Anwendung: Integrale im Straßenbau Klothoide Wenn man nun eine Kurve ohne einen so genannten Übergangsbogen direkt aus der Geraden (mit Krümmung K = 0) einleiten würde, hätte das zur Folge, dass beim Durchfahren der Kurve ganz plötzlich die Krümmung von 0 auf einen von Null verschiedenen Wert springen würde (Unstetigkeit!). Aus Sicherheitsgründen benutzt man deswegen im Straßenbau als Übergangsbogen die so genannte Klothoide. Deren Weg“ wird durch die Integrale ” 2 Rs x(s) = 0 cos π u2 du, y(s) = beschrieben. Mathematik kompakt 2 u du sin π 0 2 Rs 91 Anwendung: Integrale im Straßenbau Klothoide Bei Funktionen in einer Veränderlichen wird die zweite Ableitung als ein Maß für das Krümmungsverhalten gesehen. Auch die Krümmung K(s) eines durch x(s), y(s) beschriebenen Weges kann man messen. In fast jeder Formelsammlung findet man hier die Formel (1. und 2. Ableitung werden üblicherweise mit Punkten bezeichnet, z.B. ẋ(s), ẍ(s)): K(s) = Mathematik kompakt ẋ(s)ÿ(s) − ẍ(s)ẏ(s) (ẋ2(s) + ẏ 2(s))3/2 . 92 Anwendung: Integrale im Straßenbau Krümmung der Klothoide Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung besagt nun, dass gilt: 2 2 s s ẋ(s) = cos π und ẏ(s) = sin π . 2 2 Damit ergibt sich für den Nenner (ẋ2(s)+ẏ 2(s))3/2 cos2 π 2 s 2 2 3/2 s + sin2 π = 1. 2 s2 Wegen ẍ(s) = −πs sin π 2 und 2 ÿ(s) = πs cos π s2 folgt schließlich s2 2 K(s) = πs cos π 2 Mathematik kompakt 2 s 2 + sin π = πs. 2 93 Anwendung: Integrale im Straßenbau Krümmung der Klothoide Die Krümmung der Klothoide beginnt also bei K = 0 (für s = 0) und nimmt absolut gesehen stetig zu. Die Kurve hat in jedem beliebigen Punkt eine andere Krümmung. y(s) x(s) Mathematik kompakt 94 Anwendung: Integrale im Straßenbau Trassierung von Straßen mittels Klothoiden Die Trassierung einer Straße mit der Elementfolge Klothoide — Kreisbogen — Klothoide ist damit recht einfach durchführbar. Man nimmt einen Klothoidenteil (beginnend bei s = 0) solange, bis er die (konstante) Krümmung des Kreisbogens erreicht hat. Ans Ende des Kreisbogen setzt man dann das entsprechend umgekehrte“ Klothoidenteil. Dadurch steigt ” die Zentrifugalkraft von Null linear bis auf den Kreisbahnwert an, bliebt dann konstant und nimmt nach Verlassen der Kreisbahn wieder linear auf Null ab. Auf diese Weise trägt hier die Mathematik ihren Teil zum stressfreien Beherrschen von Fahrzeugen vor und hinter Kurven auch bei lebhaftem Verkehr bei. Mathematik kompakt 95 Anwendung: Integrale im Straßenbau Fresnelsche Integrale Die beiden Integrale nennt man übrigens Fresnelsche Integrale. Sie sind nicht analytisch lösbar, die Straßenbauingenieure müssen also mit Tafelwerken (numerische Integration!) arbeiten. Exakt berechenbar — wenn auch nicht mit unseren Mitteln — ist lediglich der Wert der uneigentlichen Integrale: Z ∞ 0 cos π 2 u 2 du = Z ∞ 0 sin π 2 u 2 du = 1 . 2 Man erkennt, dass der Faktor π in den Integralen nicht bloße Willkür ist, sondern aus Normierungsgründen gewählt wurde. Mathematik kompakt 96
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