Tabakpflücker sein im fernen Kanada oder Die Information des

Tabakpflücker sein im fernen Kanada
oder
Die Information des Herrn Thomas aus Wiener Neustadt
(Andreas Domweber, um 1990)
Einmal im Jahr, wenn Kanadas Tabakplantagen zum großen Pflücken rufen, und wer
weiß schon, wann das ist, durchfährt ein kaum zu beschreibendes Maß an
Idealismus, aber auch ein noch weniger beschreibbares Maß an ungeheuerlicher
Gier nach erdiger Arbeit den tabakbepflanzten Boden der würzig duftenden
Latifundien. Den Kontakt nach Kanada läßt sich der idealistische Tabakpflücker, der
nicht notwendigerweise aus den Untiefen mitteleuropäischer Länder zu stammen
hat, von Vorteil soll das aber sein, freilich ohne großes Zutun in Wiener Neustadt
herstellen. Ein gewisser Herr Thomas weiß dort über alles Bescheid, nur über
dessen Pflückerfahrung erfährt der angehende Tabakeur nicht wirklich viel. Für die,
die es interessiert: Da Tabakpflücken in Kanada eine, wie schon oben erwähnt, sehr
idealistische Sache ist, bezahlt der nicht notwendigerweise aus Mitteleuropa
stammende Willige die Reise selbst. Nur sein, wie ebenfalls schon oben erwähnt,
unbeschreiblicher Idealismus verbietet ihm, eine Ungerechtigkeit in der Tatsache zu
sehen, daß dies einen Vorteil für angehende Tabakpflücker darstellt, die nicht aus
Mitteleuropa anreisen, sondern aus Ländern, die näher an der, wie immer schon
oben erwähnten, Plantage liegen. Etwa Kanada. Angekommen, verteilt man den
nicht notwendigerweise willigen Mitteleuropäer, oder den, wie schon längst oben
erwähnt, nicht notwendigerweise mitteleuropäischen Willigen auf sein Zimmer, das
er, ohne zuvor davon gewußt zu haben, mit sechsunddreißig anderen willigen, von
Idealismus erfüllten, aber nicht notwendigerweise, wie schon mehrmals erwähnt, aus
Mitteleuropa stammenden Angereisten zu teilen haben wird. Erfüllt von Glück
bemerkt er den wilden Duft der einzigen Dusche, die ihm und seinen idealistischen
Mitpflückern zur Verfügung stehen wird, mit etwas Angst, doch der Willige weiß, daß
sein Idealismus über Dreck und Gestank steht. Wo alle stinken, achtet man nur auf
den Duftenden, denkt er. Später bemerkt er, daß, wo viele Idealisten schnarchen,
auf den Leisen nicht geachtet wird. Wie schon längst und mehrmals oben erwähnt
und wiederholt, stammt der willige Tabakpflücker nicht notwendigerweise aus den
Untiefen mitteleuropäischer Länder. Tut er dies doch, so hilft ihm abermals nur der
schon erwähnte Idealismus, über das Fehlen morgendlicher Mundhygiene
hinwegzusehen. Bewaffnet mit dem fahlen Geschmack ungereinigter Zähne, der
beim Pflücken der Tabakblätter nicht hilfreich sein wird, geht der willige Idealist der
Plantage zu, absolut, oben erwähnt, gierig nach harter, erdiger Arbeit. Der Willige
weiß noch nicht, daß es ihm anfangs nur schwer gelingen wird, auch nur ein
Tabakblatt richtig zu pflücken. Erst spät wird er diese Kunst beherrschen und
zugleich bemerken, daß er vom Staub des stürmisch über die Latifundie wehenden
Windes blutige Augen bekommen hat. Da er zudem sein idealistisches Plansoll
erfüllt haben wird, trennen ihn kaum noch vierundzwanzig Stunden von seiner
Abreise ins, nicht notwendigerweise, ferne Mitteleuropa. Was wird der willige Idealist
alles erlebt haben! Den pflückenden Konstrukteur, der während des Pflückens eifrig
konstruierte. Den Friseur, der pflückend frisierte. Den Chauffeur, der pflückend
chauffierte. Den weniger idealistischen Monteur, der pflückend so unwiderstehlich
montierte, daß er sein Quadratmeterplansoll nicht erfüllte und hoffte, dafür
geschlagen und entlassen zu werden. Den Parfumeur, der heftigst parfümierte. Den
Billeteur, der usque ad Ende billettierte. Den unwilligen Planeur, der aus Angst die
Plantage planierte...