Motivational Interviewing

Verfasst von: Lea Kaspar, Joanna Lang, Saba Chopard, Daniele Contestabile
Dozentin: Dr. Esther Biedert – Psychologische Gesprächsführung, HS 2015
Motivational Interviewing
Einleitung:
Das Motivational Interviewing (MI) ist ein Therapie- oder Beratungsansatz der zum Ziel hat,
intrinsische Motivation aufzubauen oder zu verstärken, um Ambivalenzen zu überwinden und
Verhaltensveränderung hervorzubringen.
Das Modell wurde von William R. Miller und Stephen Rollnick (1991) entwickelt, aufgrund
ihrer praktischen Therapieerfahrung und auf der Basis verschiedener theoretischer Modelle.
Der „Geist“ des MI entspicht Rogers Klientenzentrierter Gesprächsführung (1946). Nach
Rogers ist die Haltung des Therapeuten durch Empathie, Akzeptanz und Echtheit
charakterisiert. Des weiteren nutzt das MI auch aktivere, kognitiv-behaviorale Strategien, die
direktiv auf ein Zielverhalten ausgerichtet sind. Dies beruht hauptsächlich auf dem
transtheoretischen Verhaltensänderungsmodell von Prochaska und DiClemente (1983). Nach
diesem Modell durchläuft man einen Prozess, der sechs Phasen beinhaltet, um eine
Verhaltensänderung hervorzurufen. Diese sechs Phasen sind Pre-contemplation (das
Problemverhalten ist noch nicht bewusst), Contemplation (das Problemverhalten wird
bewusst), Preparation (Vorbereitungen für die Verhaltensänderung), Action (Veränderung des
Problemverhaltens), Maintenance (Aufrechterhaltung) und Termination (dauerhafte
Aufrechterhaltung des neuen Verhaltens).
Miller und Rollnick entwickelten das Konzept ursprünglich für Patienten mit Alkoholsucht.
Definition und praktische Anwendung:
Wann und in welchem Rahmen wird MI angewendet?
Da MI ist besonders für Suchtpatienten empfohlen (Substanzabhängigkeit, Spielabhängigkeit,
Internetabhängigkeit,…), zur Behandlung von Essstörungen, Angststörungen und Zwangsstörungen,
zur Prävention von Risikoverhalten (zu wenig Sport, ungesunde Ernährung, ungeschützter
Geschlechtsverkehr,…), in der Familien- und Paartherapie, sowie bei Problemen mit Jugendlichen und
als Hilfe zur Entscheidungsfindung.
Das MI kann als eigenständige Therapie oder Beratung in Anspruch genommen werden oder als
Begleitbehandlung zu anderen Therapien. Oft dient das MI auch als „Einstieg“ in eine Therapie (Aufbau
von Motivation, um eine Therapie zu beginnen). In allen Fällen darf es aber nur von einer ausgebildeten
psychologischen Fachperson angewendet werden.
Prinzipien:
Das MI basiert auf den folgenden Kernpunkten:
1)Empathie und Akzeptanz: der Therapeut sollte sich in die Lage des Patienten versetzen können,
mitfühlend sein und ihn, egal wie er ist, immer akzeptieren.
2)Therapeut und Patient befinden sich auf der gleichen Ebene: der Patient wird normalerweise „Klient“
genannt und die Idee ist, dass der Therapeut keine übergeordnete- oder Expertenposition einnimmt,
sondern dass er gemeinsam mit dem Patienten die Lösung für dessen Problem findet (Kollaboration).
Verfasst von: Lea Kaspar, Joanna Lang, Saba Chopard, Daniele Contestabile
Dozentin: Dr. Esther Biedert – Psychologische Gesprächsführung, HS 2015
3)Selbstwirksamkeit und intrinsische Motivation aufbauen und verstärken: dem Patient sollte im Laufe
der Therapie bewusst werde, dass er selbst die Kraft und den Willen hat, um etwas zu verändern und
dass er für sich selbst Verantwortung übernehmen muss.
4)Diskrepanz erzeugen: einer der wichtigsten Schritte beim MI ist, dass dem Klient klar wird, dass sein
(Problem-)verhalten positive aber auch negative Aspekte hat und dass zwischen seinem Verhalten und
seinen eigentlichen Zielen und/oder Werten eine Diskrepanz besteht. Dadurch wird kognitive
Dissonanz hervorgerufen, die zum Ziel hat, im Klienten die Motivation freizusetzen, um etwas an
seinem (Problem-)verhalten zu ändern. Wichtig dabei ist wieder, dass der Klient das Pro und Kontra
selbst erarbeitet und dass der Therapeut nur als Stütze oder „Lenker“ dient.
5)Flexibler Umgang mit Widerstand: Widerstand wird als normaler Bestandteil der Therapie
angesehen und sollte keine besonderen Massnahmen oder Besorgnis hervorrufen. Der Klient hat
sozusagen das Recht, auch während der Therapie noch Zweifel zu haben und sollte deswegen nicht als
unkooperativ angesehen werden.
Das MI ist somit ein semidirektiver, Klientenzentrierter Ansatz, bei dem der Therapeut keine klare
Strategie vorgibt, sondern eine Kollaboration mit dem Klienten anstrebt. Die Patient-Therapeuten
Beziehung spielt dabei eine wichtige Rolle. Der Klient ist sein eigener Spezialist und er sollte selbst
möglichst aktiv sein Problem und seine Ziele herausfinden und bearbeiten.
Das globale Ziel der Therapie oder Beratung ist, intrinsische Motivation für eine
Verhaltensveränderung hervorzurufen. Danach kann das Problem weiterhin durch MI behandelt
werden, mit MI und einer Therapie oder nur mit einer anderen Therapie.
Das MI ist im Vergleich zu anderen Therapien relativ kurz und somit auch weniger kostenintensiv.
Strategien:
Der klassische Verlauf beim MI kann man in zwei Phasen aufteilen. In der ersten Phase (readiness to
change) wird zusammen mit dem Klienten die Veränderungsbereitschaft aufgebaut (dem Klienten
sollte klar werden, warum eine Veränderung anstrebenswert ist). In der zweiten Phase werden
persönlich verbindliche Ziele und Wege zur Veränderung in einem konkreten Handlungsplan
aufgestellt. Dabei rückt die Selbstverpflichtung des Klienten in den Fordergrund (Commitment).
Im MI gibt es verschiedene Strategien, um diese Ziele zu erreichen. Diese können teilweise ähnlich sein
wie in anderen Therapiearten (Rogers Klientenzentrierte Gesprächsführung, KVT), aber teilweise auch
sehr speziell.
Wir führen hier die wichtigsten Strategien auf und geben einige Beispiele dazu.
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Aktives Zuhören: Paraphrasieren, Emotionen verbalisieren, Zusammenfassen (wie in der
Klientenzentrierten Gesprächsführung von Rogers).
Offene Fragen stellen: somit hat der Patient die Möglichkeit, zu erzählen und zu reflektieren. Der
Patient sollte auch das Gespräch „dominieren“ und die Möglichkeit haben, problematische Punkte
und Ambivalenzen selbst herauszuarbeiten.
Ambivalenz/Diskrepanz hervorheben: hier geht es darum, dass dem Klienten bewusst wird, dass
sein „Problemverhalten“ positive aber auch negative Aspekte hat. Der Therapeut kann den
Patienten zum Beispiel bitten, positive und negative Aspekte oder Gefühle, die er mit dem
„Problemverhalten“ (z.B. Alkoholkonsum) verbindet, aufzulisten. Wenn dies dem Klienten nicht
möglich ist, kann man zum Beispiel mit einer kleinen Übung „nachhelfen“. Man kann den Klienten
bitten, erst seine Stärken aufzulisten und danach soll er möglichst objektiv eine typische Situation
schildern, in der das Problemverhalten auftritt. Danach wird der Klient darum gebeten, diese
beiden Beschreibungen (von sich selbst und vom eigenen Verhalten) miteinander in Einklang zu
bringen. Dabei wird dem Klienten dann meistens bewusst, dass seine Stärken in dem Moment, in
dem er das Problemverhalten zeigt, nicht mehr besonders präsent sind und dies führt dann zur
Diskrepanz. (Beispielsweise kann ein Alkoholiker normalerweise ein sehr friedlicher, liebevoller
Mensch sein, unter Alkoholeinfluss aber aggressiv werden).
Reflektierendes Zuhören: durch affirmative Aussagen kann der Therapeut das Problem auf den
Punkt bringen.
Verfasst von: Lea Kaspar, Joanna Lang, Saba Chopard, Daniele Contestabile
Dozentin: Dr. Esther Biedert – Psychologische Gesprächsführung, HS 2015
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Der Therapeut versucht herauszufinden, welche äusseren Faktoren den Klienten belasten. Das
können z.Bspl. Freunde, Familie oder die Arbeit sein. Das hilft dem Klienten besser zu verstehen,
was ihm wichtig ist und wofür es sich lohnt, eine Veränderung durchzumachen.
Change talk fördern: Es ist sehr wichtig, dass der Klient anfängt, über eine mögliche Veränderung
und über die Konsequenzen einer solchen nachzudenken. Typische Fragen sind „Was wäre wenn
du so weitermachen würdest, und was würde passieren, wenn du etwas verändern würdest? Wie
würde dein Leben dann aussehen?“. Das hilft, Motivation für Veränderung aufzubauen und
eventuelle Ängste und Zweifel zu identifizieren.
Bestätigung und Lob: es ist wichtig, dass der Therapeut den Fokus auf die positiven, bereits
erreichten Dinge legt. Dadurch wird Motivation und Selbstvertrauen aufgebaut. Auch kleine
Schritte sind wichtig.
Umgang mit Resistenz: es gibt viele verschiedene Strategien, um mit Resistenz umzugehen. Dabei
wird die Resistenz immer wie ein natürlicher Bestandteil im Verlauf der Therapie angesehen, und
sie wird auf die bestehende Ambivalenz zurückgeführt. Das wichtige dabei ist, dass der Therapeut
keine Gegenresistenz leistet, den Klienten beschuldigt oder versucht, ihn mit rationalen
Argumenten zu überzeugen. Ansonsten riskiert man eine lange Diskussion, die einem aber mit dem
Problem nicht weiterbringt.
Beispiele:
 Simple reflection: der Therapeut wiederholt einfach das, was der Klient sagt aber in einem
neutralen Ton. Das entschärft die Situation. Zum Beispiel:
Klient: “Ich habe keine Lust mehr, diese unnötige Therapie weiterzumachen, das bringt
sowieso nichts!”
Therapeut: „Sie haben also im Moment nicht das Gefühl, dass sie es schaffen werden,
diese Therapie für etwas Gutes nutzen zu können?“
 Shifting focus: der Therapeut ändert den Fokus des Gesprächs und geht nicht auf die
Argumente des Klienten ein. Zum Beispiel:
Klient: „Ich verstehe nicht, wieso ich aufhören sollte, Alkohol zu trinken! Ich meine, Alkohol
ist legal und überhaupt, alle Leute trinken doch mal.“
Therapeut: „Ja, das mag sein, aber ich denke, wir sollten uns nicht darauf konzentrieren,
was andere machen, sondern auf das, was für sie wichtig ist. Sie haben mir gesagt, dass
sie sich nicht gut fühlen, wenn sie Alkohol konsumiert haben, sprechen wir doch einmal
darüber.“
 Agreement with a twist: der Therapeut akzeptiert das Argument des Klienten zwar, bringt
aber noch ein neues Element dazu, dass die Situation verändert. Zum Beispiel:
Klient: „Klar, sie haben gut reden! Wenn Sie aber nur annähernd so ein Leben wie meins
hätten, dann würden Sie sicher auch trinken!“
Therapeut: „Bleiben wir gerade hier kurz stehen. Sie haben da ein sehr wichtiges Thema
angesprochen! Da scheint noch mehr dahinterzustecken als nur ein Paar momentane
Probleme. Schauen wir uns doch gemeinsam an, wie ihre Gesamtsituation im Moment
aussieht.“
 Reframing: der Therapeut regt den Klienten an, die Situation aus einem anderen
Blickwinkel zu betrachten. Zum Beispiel:
Klient: „ Ich finde es sehr abwertend, wenn mich immer alle einen Alkoholiker nennen und
sagen, dass ich mir Hilfe suchen soll. Die meinen, alles besser zu wissen und mich belehren
zu müssen.“
Therapeut: „Das kann ich verstehen, wenn sie mir das so erzählen, kommt bei mir aber
auch die Idee auf, dass diese Leute sich eigentlich vor allem Sorgen um sie machen. Das
zeigt, wie wichtig Sie ihnen sind.“
Verfasst von: Lea Kaspar, Joanna Lang, Saba Chopard, Daniele Contestabile
Dozentin: Dr. Esther Biedert – Psychologische Gesprächsführung, HS 2015
Literaturverzeichnis:
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Emmons, K. M., & Rollnick, S. (2001). Motivational interviewing in health care
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Miller, W. R., & Rollnick, S. (1991). Motivational interviewing: preparing
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nd
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Miller, W. R. (1999). Enhancing Motivation for Change in Substance Abuse
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Prochaska, J.O. & DiClemente, C.C. (1983). Stages and processes of selfchange of smoking: Toward an integrative model of change. Journal of
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