LITERATUR R o l a n d R e c k Wissen ohne Gefühl TRONDHEIM / UMMENDORF. Können Bücher die Welt verändern? Einer, der daran glaubt, ist Markus Maria Sorge. Und weil er daran glaubt, hat er eines geschrieben. Aus Sorge um die Welt. Nicht weniger. Nun, für einen Theologen ist es nicht absonderlich, an die Kraft des Wortes zu glauben. Es ist vielmehr die Mutter aller Überzeugungen für einen Mann des Wortes. Und wer wollte bezweifeln, dass die Bibel als überlieferte Worte Gottes nicht die Welt verändert hat? Es geht Überlebenschancen gering einschätzt. Und dagegen schreibt der 55-Jährige in seinem Erstlingswerk an. Denn als Mensch und erst recht als Theologe ist er der Hoffnung verpflichtet. Die Hoffnung hat Ende diesen Monats einen Ort. In der „Stadt der Liebe“ versuchen die Markus Maria Sorge liest dem Besucher in Ummendorf aus seinem Buch vor. im Buch der Bücher um die Schöpfung, die der liebe Gott uns Menschen zur Bewahrung anvertraut hat. Daran mag man glauben oder nicht, aber dass diese Schöpfung unersetzliche Basis unserer Existenz ist, ist nicht Glaube sondern Wissen. Aber was tut der Mensch mit diesem Wissen? Das ist die zentrale Frage, die sich Markus Sorge stellt. Als Theologe, als Klavierstimmer, als Pendler zwischen Trondheim (Norwegen) und Ummendorf (Oberschwaben), als Vater, als Zeitgenosse, als Schriftsteller. Seine Antwort: „Der Weichensteller“. Der Titel seines Buches ist wohl gewählt, knüpft er doch an das biblische Szenario an, wonach Gottes Werk, die natürlichen Ressourcen, die Quellen menschlichen Lebens, treuhänderisch in menschlicher Verantwortung ruht. Fatal, wenn sie missbraucht wird. Der Mensch als Weichensteller. Sorge entwirft daraus ein „Kriminalszenario für Deutschland“. Ein Theologe schreibt also einen Krimi? Jawohl! Die Spannung wächst. Darin geht es um nicht weniger, als um das Überleben der Menschheit. Und es gehört zum Drama, dass der Autor die 20 Foto: Reck Mächtigen dieser Welt ein weiteres Mal, den Globus vor dem Klimakollaps zu bewahren. Vom 30. November bis 11. Dezember tagen die Staatenlenker in Paris, um ein Abkommen zu erreichen, das die Klimaerwärmung auf ein erträgliches Maß eindämmen soll. Das Wissen ist hier Hoffnung. Markus Sorge hat trotz alledem wenig Hoffnung. Ein Buch, erschienen vor fünf Jahren, hat seine Weltsicht geändert. Es ist das Buch von zwei norwegischen Biologen, die darin ausführen, warum der Mensch zur Selbstzerstörung nicht nur neigt, sondern sie evolutionär in seinen Genen trägt. Selbstzerstörung als biologische Zwangsläufigkeit, als evolutionäres Schicksal. Die Folge: das Armageddon – der Weltuntergang. Es ist die ewige Konkurrenz, die zu diesem Untergang führt. Angelegt in der Fortpflanzung, dem stärksten Trieb nach der Befriedigung von Hunger und Durst, sozial ausgeprägt im Streben nach Beachtung und kulturell übersteigert im Statusdenken und Konsumrausch. „Der Kapitalismus passt als Wirtschaftssystem zur Biologie wie die Faust aufs Auge“, stellt Sorge fest. Die Konkurrenz um das Immer-Mehr endet erst in der Endlichkeit des Globus‘. Und dann ist es zu spät, schlussfolgert Sorge. Aber warum lässt sich das nicht ändern? Weil, so die Sozialbiologen Eivin Roskaft und Terje Bøngard in ihrem Buch „Der biologische Mensch“, Wissen ohne Gefühl zu keiner Verhaltensänderung führt. Wir wissen um die Erderwärmung, aber diejenigen, die dafür maßgeblich verantwortlich sind, die Menschheit der nördlichen Hemisphäre – das sind wir! –, freut sich stattdessen an den warmen Sommern. Noch. Der Prozess ist schleichend, man genießt die schönen Seiten und richtet sich ein. Man baut Dämme, aber ändert sein Verhalten nicht und zwingt deshalb auch die Politik nicht zu Änderungen, verhindert diese gar per Wahlzettel. Die Erkenntnis ist so neu nicht. „Da, wo man nichts fühlt, handelt man nicht“, beschreibt Markus Sorge das Dilemma. Also, so die Schlussfolgerung des Theologen, muss man die Gefühle der Menschen ansprechen. Sie aus ihrer lethargischen Bequemlichkeit wachrütteln. Den Kopf über das Herz mit dem Bauch verbinden, dann ändert sich was, dann ändern sich die Menschen. „Gefühl führt zum Handeln“, ist Sorge überzeugt. Mit dieser Überzeugung begann er zu schreiben. Mehr als zwei Jahre brachte Markus Sorge damit zu, nachdem er zunächst versucht hatte, für die wissenschaftliche Arbeit der beiden norwegischen Biologen einen deutschen Verlag zu finden. Er fand, „dieses Buch muss nach Deutschland, Deutschland hat die größeren Muskeln“. Vergeblich. 40 Absagen, keiner wollte den sperrigen Stoff. Sorge lebt schon seit 1989 in Südnorwegen, in Trondheim, wohin ihn die Liebe geführt hat und wo er zunächst als Lehrer für Religion und Deutsch seine Brötchen verdiente, bevor er zum selbstständigen Klavierstimmer umsattelte. Inzwischen hat den in Köln Geborenen und im Münsterland Aufgewachsenen die Liebe zurück nach Deutschland, genauer nach Oberschwaben, nach Ummendorf bei Biberach geführt. Immer wieder zumindest. Das Szenario seines Buches ist auf die Nahzeit gerichtet. Ausgehend von den wissenschaftlichen Befunden zum Fortgang des Klimawandels und den missratenen politischen Versuchen, ihn zu stoppen, siedelt er das Geschehen „im Sommerloch 2016“ an, in dem „die deutsche Umweltbewegung explodiert“. „Der Nordpol ist erstmalig eisfrei und der Klimagipfel von Paris Ende 2015 kläglich gescheitert“, so viel verrät das Cover des über 500 Seiten dicken Schmökers. Die moralische Frage, mit der sich der Täter – zur Erinnerung: es ist ein Krimi – und damit auch die Leser auseinandersetzen müssen, lautet: „Wer ist schuldiger? Wer einige tötet, doch so Millionen rettet? Oder wer niemanden tötet, aber Millionen sterben lässt?“ Es sind Fragen LITERATUR INFO Geschichte der Weltklimakonferenzen So schön ist die Welt, die es zu schützen gilt. Blick auf den Trondheimfjord. eines Moralisten, der aus Verzweiflung zum Täter wird, indem er mit Terror die Menschen zur Einsicht zwingen will. Das Handlungsmotiv ist hinlänglich bekannt. Man findet es in den Geschichtsbüchern als „Deutscher Herbst“ zum Beispiel. Eine Ewigkeit scheint es her zu sein, dass „Baader & Meinhof“ dafür dingfest gemacht wurden, aber das Thema ist hoch aktuell, denn jeder Glaubenskrieger in den fernen Wüsten und den nahen Metropolen ist davon infiziert. Nicht umsonst spielt in Sorges Roman auch ein Theologe die Schlüsselrolle. Es ist eine vertrackte Geschichte, die schon damit beginnt, dass Markus Sorge sich nicht als Autor ausgibt, sondern Harald Bøttker dafür benennt, ein Deutschnorweger wie er, Theologe wie er, aber anders als er ist Bøttker ein in Ungnade gefallener katholischer Priester, der auf mysteriöse Weise ums Leben kommt. Ein naher Freund findet in dessen Nachlass ein umfängliches Manuskript. So beginnt die Geschichte eines fiktiven Terroristen, unterfüttert mit den tatsächlichen Expertisen der Klimaforscher, die unmissverständlich dazu auffordern: Jetzt zu handeln – soll es nicht zu spät sein! Markus Sorge glaubt nicht, dass sein selbst verlegtes Buch ein Bestseller wird. „Die Chance ist gering.“ Das müsste es aber und zwar weltweit, wenn es die Wirkung entfalten sollte, die er sich erwünscht. Dass das Gefühl – und sei es das Erschrecken oder gar die Todesangst – sich mit dem Wissen paart und Handeln gebärt. Denn das ist die Crux: Wir wissen viel und fühlen wenig. Zu wenig, um der Biologie zu entkommen, meint Sorge und schreibt dagegen an. Ei n Z e i c h e n g e g e n Foto: Sorge Ob in der „Stadt der Liebe“ eine Kehrtwende in der Klimapolitik stattfindet, wird sich zeigen. Ein nicht geladener Konferenzteilnehmer könnte dabei – fühlbar – mitwirken. „El Nino“, das Christkind, kündigt sich als weltweites Klimaphänomen an. Alle paar Jahre wiederkehrend sorgt es zum Jahreswechsel für Dürre und verheerende Orkane – Tendenz: noch verheerender mit Hilfe des Klimawandels! In Paris an der Seine mögen die Staatschefs sich in Sicherheit fühlen, aber in vielen Ländern im pazifischen Raum schon nicht mehr. Asien, Afrika, Südamerika leiden unter „El Nino“, auch Kalifornien, das in diesem Jahr erneut unter extremer Hitze buchstäblich austrocknet. Und Hawaii, die Heimat des US-Präsidenten, findet sich bekanntlich auch im Pazifik. „El Nino“, das Christkind, wie das Klimaphänomen in Südamerika wegen seines verheerenden Treibens zur Weihnachtszeit grotesk liebevoll genannt wird, verkörpert das Gefühl – gerade im christlichen Abendland, wo die Konferenz in der Adventszeit tagt. Und während in Paris die Delegationen und ihre Chefs darum streiten, wer was und wieviel tun muss, um das Schlimmste zu verhindern, wird Markus Sorge wieder einmal in den Flieger steigen, um von Trondheim nach Ummendorf zu düsen. Der Liebe wegen. Ein starkes Gefühl – allem Wissen zum Trotz! Harald Bøttker: Der Weichensteller. Kriminalszenario für Deutschland. Hrsg. Markus Maria Sorge. Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt. Über den Buchhandel ISBN 978-3734793165. Preis: 15 Euro. www.weichensteller.com R e c hts Mit dem Bus nach Wunsiedel Am Samstag, 14. November, findet in Wunsiedel in Oberfranken wieder der jährliche Naziaufmarsch statt. Der Verein „Freunde der Räuberhöhle 2012“ sowie der gemeinnützige Kulturverein „Nätwörk Süd“ organisieren dazu eine Busfahrt nach Wunsiedel, um gemeinsam mit Bürgern der Stadt ein Zeichen gegen Rechts zu setzen. Abfahrt ist um 8 Uhr in Ravensburg. Auf der Strecke Richtung Ulm kann zugestiegen werden. Der Fahrpreis beträgt pro Person 27 Euro. Angemeldet ist nur, wer die 27 Euro bis eine Woche davor überwiesen hat. Sollte kein vollbesetzter Bus zustande kommen oder sich der Termin verschieben beziehungsweise kein Naziaufmarsch stattfinden, wird die Fahrt abge- sagt. Bereits überwiesene Fahrtkosten werden zurückerstattet. Bankverbindung: Freunde der Räuberhöhle 2012, KSK Ravensburg, KTO 101105464, BLZ 65050110 Wichtig: Bitte E-Mail-Adresse und Name auf Überweisung angeben. Rückfragen: [email protected], Tel. 0160-2765096 Es begann mit dem Umweltgipfel 1992 in Rio de Janeiro. Dort beschlossen die 154 teilnehmenden Staaten mit der Klimarahmenkonvention den ersten internationalen Vertrag, der den Klimawandel als Problem benannte und zum Inhalt hatte und die Länder zum Handeln verpflichten sollte. Ein Jahr nach dem in Krafttreten der Konvention 1994, fand in Berlin die erste UN Klimakonferenz statt. Seitdem treffen sich Abgesandte der Vereinten Nationen jährlich zu Verhandlungen, um die Klimaschutzpolitik voran zu treiben. Mit dem Kyoto-Protokoll wurde 1997 die Rahmenkonvention erstmalig um verbindliche Zielwerte, was den Ausstoß von Treibhausgasen in Industrieländern anbelangt, erweitert. Der Zusatz, hält die Staaten zu einer kontinuierlichen Reduktion ihrer Emissionen an, doch mit den USA fehlt die wichtige Unterstützung eines der größten „Treibhaussünders“ der Welt. Denn bis heute haben die Vereinigten Staaten den Vertrag nicht ratifiziert. Dafür konnten Länder wie Russland, Katar und China hinzugewonnen werden. Seit 2011 sind insgesamt 192 Staaten im Boot. Momentan befinden wir uns in einer zweiten Verpflichtungsperiode des Protokolls, die bis 2020 anhält. Doch allzu rosig sieht die Zukunft nicht aus: 2009 scheiterten die Verhandlungen zu einer Post-Kyoto-Regelung in Kopenhagen. Bei der diesjährigen 21. Konferenz in Paris vom 30. November bis 11. Dezember soll endlich eine solche Nachfolge erarbeitet werden. Das Wissen ist vorhanden, es bedarf des Willens. Vielleicht verhilft ja die neue Studie aus Stanford zur Einsicht, die verbindet den Klimawandel mit einem Rückgang der Weltwirtschaft und bezieht sich auf die Leistung der Arbeitskräfte und der Landwirtschaft bei wärmer werdendem Klima. Bis 2100 werden 77 Prozent der Länder weltweit ärmer sein aufgrund des Klimawandels. Katastrophen wie Zyklone sind dabei nicht einberechnet. Eine Erwärmung wird aber nicht aufzuhalten sein. Laut Experten müssten bis 2030 die Klimaschutzmaßnahmen mindestens verdoppelt werden, um die Erderwärmung auf die angestrebten 2 Grad Celcius im Vergleich zum vorindustriellen Zeialter (etwa 1850) zu begrenzen. Begrenzen, nicht stoppen. Was den eisfreien Nordpol aus Harald Bøttkers Buch angeht: bereits 2008 gab es ernste Sorgen um ein totales Abtauen. (sm) 21
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