Kunst und Erkenntnis der Innenwelt

Kunst und Erkenntnis der Innenwelt
© Atelier Edition Hanus 2008
Vorbemerkungen
Es gab eine Zeit in der man den Begriff “Kunsttherapie“ nicht gekannt hat, weil er noch nicht
geboren war. Der Verfasser hat bereits im Jahr 1966 in seiner ersten
sich mit den hemen Kunst, K nstler, nnenwelt und
er ffentlichung, die
u enwelt, s chopathologie und he-
rapie des Schöpferischen befasst, grundsätzliche Überlegungen dargestellt, die als ein gedankliches Kon ept f r eine sp ter so genannte Kunsttherapie“ angesehen werden k nnen. n dieser
ahre ur ckliegenden er ffentlichung sind diese hemen im icht einer ph nomeno-
logischen, humanistischen und an einer an C. G. Jung und E. Neumann orientierten Tiefenpsychologie betrachtet worden. Sie haben im Wesentlichen nichts von ihrer Bedeutung verloren
or allem dann nicht, wenn man beim
esen den Begriff K nstler“ gegen das
ort
Kunsttherapeut oder –therapeutin“ austauscht. So gelesen, k nnte dieser Essa auch im ahr
2008 geschrieben worden sein, auch wenn man das eine oder andere heute unter neu hinzu
gekommenen Erkenntnisperspektiven betrachtet und interpretiert.
1978 hat der Verfasser zusammen mit BARBARA BOELKE und GERLACH BOMMERSHEIM das
orum f r nal tische und Klinische Kunsttherapie gegr ndet, das 2008 auf sein 30-jähriges
erfolgreiches Bestehen blickt. Zwischen dem Essa
Kunst und Erkenntnis der nnenwelt“
und den B chern Kogniti e Kunsttherapie – die Gestaltung des Subjektiven als Weg
um ch“
003 und Sch pferische
gisch beratenden und therapeutischen
sungswege – suggestive Aspekte in der psychagorbeit mit objektfreien Bildern“
008 spannt sich ein
weiter Bogen theoretischer, konzeptueller und methodischer Entwicklung kunsttherapeutischer Grundlagen.
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Kunst und Erkenntnis der Innenwelt
Dieser Essay wurde im April 1966 veröffentlicht in: Die Kunst und das schöne Heim,
Der Bereich des Schöpferischen umgreift mehr als das, was man heute Kunst nennt. Durch
die Art der Wissensvermittlung unserer Zeit wird es immer weniger selbstverständlich, dass
eigentlich jeder Akt echter Erkenntnis schöpferisch ist. Schon das Spiel des Kindes ist als eine
Auseinandersetzung mit der Umwelt und der daraus resultierenden Erkenntnis ein schöpferischer Prozess. Indem sich das Kind mit immer neuem Seienden gleichsam spielerisch identifiziert, gewinnt es die Eigenstruktur seines Selbst und begreift die Mannigfaltigkeit des Seienden als sein
egen ber. Es schafft ein lebendiges
erh ltnis om ch ur
mwelt. Das ist
ein Weg, der bei völliger Unvoreingenommenheit und absolutem Freisein von aufoktroyierten
Begriffen und Vorstellungen das Wesen der Dinge transparent werden lässt. Die heutige Pädagogik weiß, dass der Mensch innerhalb dieser Zeit des kindlich schöpferischen Spiels die
wesentlichen Erkenntnisse seines Lebens leisten kann. Über die Wichtigkeit des so verstandenen Spiels in bezug auf die Kunst ist man sich heute ebenso im klaren. Schule und Bildung
beenden in weitem Maße fast immer diese spielerischschöpferische Erkenntnishaltung. Aufge wungene und
bernommene Begriffe und
ormeln ersticken nur u leicht die akti -
lebendige Beziehung von Mensch und Umwelt.
er K nstler ist mehr als jeder andere da u berufen, diese Schranken u durchbrechen und
eine dem Kind analoge Erkenntnishaltung ur ck u gewinnen b w. u bewahren, denn das
Sch pferische ist die gemeinsame
ur el on Erkenntnis und Kunst. Selbst die n chternsten
naturwissenschaftlichen Erkenntnisse sind ohne einen schöpferischen Aspekt nicht denkbar.
Als Kompensation zur heute einseitig intellektualistisch ausgerichteten Erkenntnis zeigt sich
innerhalb der Kunst der Drang nach der Freiheit des Spiels. Indem nun aber bewusst das Spiel
nur um des Spieles willen betrieben wird, ergibt sich der schizophrene Zustand, dass Kunst
und Erkenntnis auseinanderfallen.
wird in dieser refle i
erdorbenen
ie ollkommene Zweckfreiheit des Spiels in der Kunst
altung herausgenommen aus dem
esamtbereich des
Sch pferischen und f hrt ur erantwortungslosen, immer inhalts rmeren Spielerei, wobei
om Zugewinn neuer Erkenntnis nicht mehr die ede sein kann wenn ich um Beispiel die
Sehnsucht um Ziel meiner Sehnsucht mache, hebt sie sich selbst auf . Ein
ro teil der
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K nstler antwortet nicht mehr mit der einheit des Kindes den Dingen der Schöpfung. Solange diese verdorbene Spielerei im gegenständlichen Bereich bleibt und die gewohnte Hierarchie der Dinge nicht vollkommen gestört wird, ist sie harmlos, denn in Bezug auf die gegenständliche Welt finden sich allen Menschen bekannte, gemeinsame
eset m igkeiten und
nterscheidungsmerkmale. er K nstler begibt sich also nie ber die ren en einer intersubjektiven und damit kollektivistisch vertrauten Weltsicht hinaus. Er betritt kein Neuland. Jedes
Spiel mit ungegenständlichen Elementen ist gefährlich, weil es zur Auseinandersetzung mit
noch nicht fixierten und allgemeinverständlichen Gegebenheiten herausfordert.
amit sehen wir uns der
otwendigkeit gegen ber, eine grunds t liche
Innen- und Außenwelt u treffen.
nterscheidung on
er echte K nstler sollte on der Kindheit bis ins hohe
l-
ter kontinuierlich eine immer feinere Sensibilität seiner äußeren, vor allem aber seiner inneren
Sinne entwickeln. Er erfährt dann den notwendigen Unterschied, der zwischen seinem Ich und
der Außenwelt einerseits und einer Innenwelt andererseits zu treffen ist. Während es zur Entwicklung des Kindes ornehmlich n tig ist, das
sterium der u enwelt u erfahren, ist der
um immer feineren Sensorium werdende K nstler berufen, die diffizile Innenwelt und ihr
Mysterium zu erschließen. Der Tiefenpsychologie war es vorbehalten, auf innere transsubjekti e
ealit ten wieder aufmerksam u machen, deren erkenntnistheoretischer roblematik in
diesem ahmen leider keinesfalls gen gend Beachtung entgegengebracht werden kann. C. G.
Jung hat mit seiner Unterscheidung des persönlichen vom kollektiven Unbewussten Entscheidendes zur Klärung beigetragen. Diese immanent transsubjektiven Realitäten beginnt die neuere iefenps chologie in h her dimensionierte Bereiche“ als die des nbewussten
endieren, um ihnen gerecht u werden“
.
.
e er: Seelenkunde im
u trans-
mbruch der Zeit,
Bern 1964). Mit jedem echt schöpferischen Erschließen der Innenwelt geht ein Individuationspro ess des K nstlers einher, genau wie das Kind in seinem Spiel sich selbst an den Dingen entwickelt und gerade dadurch seiner selbst bewusst wird und die mwelt als
egen ber
erfährt.
n fr heren Zeiten wurde der Erkenntnis der so erstandenen nnenwelt genau die gleiche Bedeutung beigemessen wie der Erkenntnis der u enwelt. Es sei hier nur kur hingewiesen auf
den urspr nglichen Zusammenhang on Kunst,
thos,
agie, eligion und Kult. Es ist uns
nicht möglich, diesen vergangenen Zustand in seiner alten Form wieder heraufzubeschwören,
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aber allein zur Wiederherstellung einer gesunden, wirklichkeitsgemäßen Innen-AußenweltBeziehung ist es nötig, sich mit der Realität einer transsubjektiven Innenwelt positiv auseinander zu setzen. Wir kommen um diese Auseinandersetzung nicht mehr herum.
uns die moderne
s chopathologie in erschreckender
eise.
as eigt
ier kann man sich da on
ber eugen, u welch gef hrlichen olgen es f hren kann, wenn man die mit enormen Kr ften versehenen immanenten Realitäten nicht oder zu wenig beachtet. In der akuten s chose
wird der
ensch durch die autonomen immanenten Konstellationen berw ltigt, so dass sein
m he oll errichtetes und in seiner estigkeit bersch t tes, einseitig umweltbe ogenes
e-
f ge usammenbricht. ndem sein labiles ch weitgehend von diesen Konstruktionen konstituiert wird und durch keinerlei sch pferische
ssimilation der immanent transsubjekti en“
Realitäten gefestigt ist, kann es durch eine akute Expansion jener Kräfte einem totalen Zusammenbruch berantwortet werden.
ches haos positi
ie schwierig es nachher ist, ein solches innerweltli-
u regenerieren, eigen die m he ollen ps chopathologischen herapien.
Angesichts solcher Tatsachen muss man sich fragen, ob die heutigen traditionellen Kunstrichtungen in verantwortungsloser Weise dazu beitragen, diese allgemein zu beobachtende geistige esorientiertheit u unterst t en.
Von mancher Seite kann der Einwand erhoben werden, dass auf diese Weise Kunst mit Psychologie identifiziert wird und der Begriff Kunst verpsychologisiert werde. Dieser Vorwurf
trifft aber vielmehr jene, welche die moderne Kunst als eine rein psychischemotionale und
daher subjektive Abreaktion und Selbstdarstellung begreifen. Und insofern sie das ist, und sie
ist es tatsächlich häufig, sollte man ihre Beurteilung eben doch der s chologie berlassen.
ndem man die erantwortung des K nstlers betont, die er der ealit t der u enwelt sowohl
als auch jener der nnenwelt gegen ber hat, wird gerade damit die Eigenst ndigkeit der Kunst
bestimmt. Die Ergebnisse von Forschungen auf den Gebieten der Psychologie und Psychopathologie haben uns eine derart differenzierte Vielfalt dieses inneren Bereiches gezeigt, dass
wir mit völlig neuen Maßstäben und verfeinerten Methoden an eine Erschließung derselben
herangehen m ssen.
em K nstler f llt daher innerhalb der bildenden Kunst die besondere
Aufgabe zu, aufgrund seiner schöpferischen Fähigkeiten zu diesem Bereich Zugang zu finden. Er allein kann einen urspr nglichen Be ug u jener
elt f rdern, und alle weitere Er-
kenntnis wird immer on diesem urspr nglichen Be ug abgeleitet werden m ssen.
monendarstellungen der alten
ie
ä-
ochkulturen als bildhafte Entsprechungen f r destrukti e und
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negati e Kr fte erweisen, dass man ahrtausende hindurch berzeugt war, vermittels einer
analogen Objektivierung bestimmter innerer Bereiche diese positiv in das Leben des einzelnen mit einbeziehen zu können. Erschreckende Tatsachen der Außenwelt, wie chaotische
Elemente oder andere Angst einflößende Dinge, können in einer bewussten Auseinandersetung in ihrem
einem
esen erkannt werden. ieser
ngstbe ug ur
K nstler in
eg ist aber ein sch pferischer ro ess, der on
u enwelt u dem der Ehrfurcht f hrt.
useinanderset ung mit der nnenwelt ur cklegt.
ist f r jeden
st somit jeder
nalog ist der
eg, den der
ie Erkenntnis der nnenwelt
enschen f rderlich und sogar notwendig.
ensch um K nstler berufen
iese rage eigt, wie schwer es heute ist, die
Begriffe Kunst und K nstler u pr isieren. uf alle
ne die angef hrte
lle kann festgehalten werden, dass oh-
rundhaltung Elaborate erschiedener Kunstgattungen in diesem Sinne
nicht als Kunst angesprochen werden können. Im Hinblick auf die bildende Kunst steht außerdem fest, dass neben der notwendigen Berufung um K nstler eine anlagebedingte Begabung f r die
mset ung immanent transsubjekti er
orhanden sein sollte.
ro esscharakter der
ealit ten in eine ihnen analoge orm
esentliches Kriterium f r Kunst in diesem Sinne ist, dass sich am
rbeit eines K nstlers mit eindeutiger Konsequenz eine progressive In-
dividuation ausweist. Individuation ohne Ethos ist aber unmöglich, und daraus folgt: Je klarer
und reiner sich eine Individuation erweist, und je mehr sie Hand in Hand geht mit einer klaren
formalen Entwicklung, desto eindeutiger und bestimmter ist die Sprache der Bilder, und desto
Bestimmteres sagen sie ber die nnenwelt aus. n der weiteren olge ergibt sich, dass jene
immanent transsubjekti en
ealit ten“, falls sie in klarer eindeutiger orm ur Darstellung
gebracht wurden, den Beschauer zu einer Auseinandersetzung auffordern. Indem er solcherma en betrachtend on ihnen anger hrt wird, findet er S mbole f r analoge
glichkeiten in
sich selbst und kann durch berraschende E pansionen dieser Bereiche nicht mehr so leicht
zerstört werden. Er weiß sie zu benennen.
Das Sichbefassen mit jenen Gegebenheiten ist heute weit verbreitet. Solche Bereiche werden
vor allem durch Okkultismus und Spiritismus beschworen, zeigen sich aber ebenso in rauschhaften Zust nden als pseudok nstlerische
iederschl ge.
uch diesen
llen kann eine as-
zination auf den unkritischen Betrachter nicht abgesprochen werden. Aber er erfährt hier
nicht, dass diese Bereiche eine Ordnung haben, sondern sieht sich einem ungeordneten Chaos
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ausgeliefert. Solche Niederschläge sind als Experiment sicherlich interessant (Henry Michau . ie nalogie u der k nstlerischen Bew ltigung dieser Bereiche ist aber recht d rftig.
Sie kann etwas drastisch mit folgendem Bild veranschaulicht werden: Eine Erschließung der
“immanent transsubjekti en ealit ten“ durch unsch pferischen
tieferen Erkenntnis als etwa der
sti ismus f hrt u keiner
ckschluss on E krementen auf das eigentliche
erdauten Substan , wie gen sslich diese
esen der
erdauung auch gewesen sein mag. Hier werden
lediglich periphere Fakten gegeben: tieferes Eindringen in diese Sphären und ihre Fassung in
eine relativ adäquate Form ist aber nur im bereits erw hnten sch pferischen ro ess m glich.
So tritt der K nstler immer tiefer in das Geheimnis des Seienden ein. Er trägt dazu bei, die
weitgehend unbekannten immanent transsubjekti en
damit einen f r den
ealit ten“ u erfassen, und schafft
enschen ungefährlichen Zugang zu jenen Bereichen.
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