Sonntag, 04. Oktober 2015 (20:05 bis 21:00 Uhr) KW 40 Deutschlandfunk / Abt. Hörspiel Hintergrund Kultur FREISTIL Nomen est omen? Wie Namen entstehen und wirken Von Rainer Praetorius Regie: Susanne Krings Redaktion: Klaus Pilger Produktion: DLF 2015 M a n u s k r i pt Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - ggf. unkorrigiertes Exemplar - 1 Original-Sprecher im NASA-Kontrollzentrum (mit starken donnernden Geräuschen der startenden Rakete im Hintergrund): "Three, two, one ... and lift-off ... »New Horizons«-Spacecraft ... visited planet Pluto ..." (Läuft - als Atmo - unter nachfolgenden Sprechertext weiter) 1. Sprecher: 19. Januar 2006. Cape Canaveral, Florida. Start einer Atlas-5-Trägerrakete. An Bord befindet sich die Raumsonde "New Horizons". (Donnernde Geräusche der startenden Rakete) Das Ziel der Reise ist Pluto - Zwergplanet und letzter großer Außenposten im Sonnensystem. (Donnernde Geräusche der Rakete werden leiser. Dann Überblendung in nachfolgenden Klangteppich) 1. Sprecher: Am 14. Juli 2015 - über 9 Jahre nach dem Start - erreicht die Raumsonde den Himmelskörper. Ein wahrhaft historischer Moment. Noch nie kam ein von Menschen geschaffenes Objekt derart nah an den Pluto heran. Die ersten scharfen Fotos von der Oberfläche werden zur Erde gefunkt. Endlich hebt sich der Schleier. (Musik kurz freistehend) Noch ist die Menschheit nicht in der Lage ein lebendes Wesen zum äußersten Rand des Sonnensystems zu schicken. Aber als "New Horizons" nach langer einsamer Reise Pluto erreicht, sind zumindest symbolisch mehr als 430 000 2 Menschen des Planeten Erde mit an Bord. „Send-Your-Name-to-Pluto“ hieß die Aktion. Lange vor dem Start der Sonde hatte die US-Raumfahrtbehörde NASA angeboten den eigenen Namen auf eine der längsten Reisen in der Geschichte der Menschheit zu schicken. Aus allen Teilen der Erde besuchten Menschen die entsprechende Website und trugen dort ihren Namen ein. (Musik kurz freistehend) Und somit erreichen genau 434 738 Menschen den Himmelskörper Pluto - in Form ihrer Namen - physikalisch eingebrannt in eine CD. (Musik kurz freistehend) O-Ton 1: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Menschen ohne Namen gibt es wahrscheinlich nicht. Zumindest kennen wir keine Kultur, die ihre Menschen nicht benennt." "Die meisten Menschen arrangieren sich auch mit diesem Namen, identifizieren sich mit dem Namen. Auf jeden Fall ist er Teil ihrer Identität. Ich würde noch 'n Stück weiter gehen: Er ist Teil ihres Körpers! Also Namen werden manchmal wie ein Körperteil empfunden." Musik kurz freistehend. Ansage (3. Sprecherin): "Nomen est omen? Wie Namen entstehen und wirken" Ein Feature von Rainer Praetorius. 3 Musik Läuft unter dem folgenden Selbstgespräch weiter. Sprecherin mit schauspielerischen Ansätzen - trägt das "Selbstgespräch einer genervten werdenden Mutter" vor Als wiederkehrendes Zwischenelement. 1. Teil - Selbstgespräch: "Ich bin im siebten Monat schwanger. Und langsam wird's Zeit. ... Was? ... Nein, ... nicht das mit dem Kind. Der NAME des Kindes sollte langsam vom Himmel fallen!! ... Mutter ruft in sehr schönen Abständen - so etwa alle zwei bis zweieinhalb Tage - bei mir an. Was ich denn von Susanne, Markus oder so halten würde. "Sind doch schöne Namen", findet sie. ... Mag ja sein. Aber irgendwann ist mir bewusst geworden, dass der Name den man seinem Kind gibt ... ja, dass der dem Kind den ganzen Einstieg ins Leben vermasseln kann! ..." 1. Sprecher: Im Jahr 2009 führte die Universität Oldenburg eine Untersuchung durch, die starke öffentliche Aufmerksamkeit erregte. Im Rahmen dieser Studie wurden rund 500 Grundschullehrer - und -Lehrerinnen danach befragt, welche Vornamen bei ihnen die Assoziation "verhaltensauffällig" auslöst. Das Resultat: Als "verhaltensauffällig" stuften 54 Prozent der befragten Lehrer den Vornamen "Kevin" ein. Auf weiteren Spitzenplätzen dieser Negativliste folgten Namen wie Justin, Chantal oder Dennis. Eher verhaltensunauffällig und leistungsstark wurden Kinder eingestuft, die beispielsweise Charlotte, Sophie, Alexander, Simon oder Hannah hießen. 4 In einem der Fragebogen fand sich der Kommentar: "Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose!" O-Ton 2: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Und beim Kevin sieht man sehr schön wie er in den 90er Jahren, auch noch 2000, aufsteigt, ganz steil, und dann seit dieser Stigmatisierung, dieser Verfolgung also richtig abgestürzt ist. Der wird heute kaum noch vergeben." 3. Sprecherin: NAME: Damaris Nübling, Namensforscherin, Professorin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz O-Ton 3: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Und natürlich kann man auch nicht abstreiten dass diese Namen tendenziell eher in bildungsferneren Schichten vorkommen. Was natürlich nicht zu dulden ist, dass sie derartig stigmatisiert werden." "Diese Namen werden heute vermieden. ... weil sie unterschichtig wirken. Warum ... diese Verfolgung dieser Namen ? Ich denke das hängt damit zusammen dass es ... politisch nicht gewollt ist dass wir verschiedene Schichten haben in Deutschland. Natürlich haben wir sie. Und das ist für eine zivilisierte Nation natürlich eine Peinlichkeit oder etwas was nicht geht." "Und ich denke dass ... es ... ein Nebenschauplatz ist, wo wir doch sozusagen auf die Schichten eindreschen können, indem wir deren Namen nehmen. Das sind die Stellvertreter der Schichten. Und Menschen können ... sich als etwas Besseres gerieren, wenn Sie auf diese Namen schimpfen." 5 "Für mich ist das nur eine Möglichkeit sich zu erheben. ... Mehr ist das nicht. Es gibt keinen sachlichen Grund auf diese Namen zu schimpfen!" Musik "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" von Franz Josef Degenhardt Liedtext: "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder. Geh doch in die Oberstadt, machs wie deine Brüder! ..." (ca. 13 Sek.) O-Ton 4: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Anton, Hanna und Karl nehmen ziemlich stark zu, seit den 1980er Jahren ... auch 90er Jahren, nehmen die wieder zu." "Das ist 'ne Gegenbewegung der Oberschicht. Dass die sozusagen die bewährten, alten Namen, die auf Kontinuität setzen vermehrt wieder verwenden." "Ja, das sind konservative Namen, die gegen den Trend gehen, und mit denen sich die Oberschicht mehr oder weniger bewusst absetzt. ... Man nennt das übrigens das onomastische Wettrennen, das mittlere und untere Schichten sich immer an den Namen der Oberschicht orientieren, sie verwenden und dadurch inflationieren, so dass die oberen Schichten immer wieder durch neue Namen sich abheben müssen." Musik O-Ton 5: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Man weiß dass Eltern sich immer ausgefallenere und einmaligere Namen 6 wählen. Aber das sind immer Namen aus sogenannten Prestigekulturen. Und das ist Amerika, vielleicht auch noch die romanischen Kulturen, also Italien, Frankreich, Spanien usw. Aber türkische Namen oder arabische Namen werden noch nicht von deutschen Eltern vergeben, weil das eben nicht Prestigekulturen sind. Das heißt, bei der Ausgefallenheit der Namen spielt immer auch Prestige eine Rolle." 3. Sprecherin: NAME: Yusuf Cinar, Industriemechaniker. Geboren in Deutschland. Aufgewachsen in der Türkei. O-Ton 6: Yusuf Cinar "Mein Sohn, der Mohammed, der war in einem Fitnessstudio, ein Jahr lang, als Mitglied. Und dann hat man dem einfach ohne einen Grund ... gekündigt. ... Wir haben nachgehakt, recherchiert, warum die das gemacht haben. Und haben kein Antwort bekommen." "Mein Sohn wollte sich nochmal bei diesem Studio anmelden. Ist dahin gegangen. Die haben gesagt: Es wäre 'n Aufnahmestopp." "Und die haben gesagt, man müsste auch online sich bewerben. Wir haben das auch online gemacht. Wir haben keinen Erfolg gehabt. Also die haben uns keine Antwort gegeben." "Daraufhin hat der Sohn Verdacht gehabt. Kann ja sein, dass das über mein Name her irgendetwas ist." "Daraufhin hat der sich einfach 'ne neue E-Mail-Adresse erfunden mit 'nem deutschen Namen. Der hieß dann »Marc Kruse«. Und mit dem Namen ... hat der 7 sich dann einfach bei diese Fitnessstudio online gemeldet. Und hat innerhalb von 24 Stunden die Zusage bekommen dass er gern gesehen ist bei diese Studio." Musik (instrumental) O-Ton 7: Yusuf Cinar "Wir sind 'ne ganz normale einfache Familie." "Wir hatten diese Problematik bis heute nicht gehabt." "Das ist nicht in Ordnung. Weil ... wir wollen ja nix geschenkt haben. Wir wollen monatlich unseren Beitrag zahlen und da halt ... Fitness machen." "Ich habe mir nie Gedanken dadrüber gemacht das ... irgendwann mal der Name dem Steine vor die Füße legt." "Ich will jetzt gar nicht weiter darüber nachdenken, wenn er mal fertig studiert ... In so großen Firmen, wenn da auch mit solchen Namen dann Blockaden entstehen. Dann sehe ich hier schwarz für meine Jungs!!" O-Ton 9: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Wir haben jetzt einige Studien vorliegen wo Personen mit einem deutschen ... gegenüber Personen mit einem Migrantennamen sich um die gleiche Wohnung beworben haben, um den gleichen Praktikumsplatz, um den gleichen Arbeitsplatz und mit den gleichen Unterlagen. Also die waren gleich qualifiziert jeweils." 8 1. Sprecher: Namensforscherin Damaris Nübling. O-Ton 10: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Und da ist ziemlich deutlich rausgekommen, dass die die einen fremden ... Vornamen tragen - oder auch Nachnamen tragen - dass die geringere Chancen haben die Wohnung zu mieten, ... den Praktikumsplatz zu bekommen oder ... zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden." Geräusch: Menschliche Stimmen in Eingangshalle. "Ping"-Geräusch eines angekommenen Aufzugs. O-Ton 11: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Das sind ja Klischees. Das sind ja Vorurteile. Und die finden in unserer Gesellschaft täglich statt." "Meines Erachtens gehören die skandalisiert. Das dürfte eigentlich gar nicht sein." Musik (instrumental) O-Ton 12: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Ich würde schätzen: weit über 90 % - wahrscheinlich an die 100 % - unserer Namen sind nicht deutsch, also ausländisch. Das muss man sich klarmachen. Nur manche sind so stark eingedeutscht, dass wir sie nicht mehr als fremd empfinden. Peter, Klaus usw. Aber das sind ihrem Ursprung nach auch Fremdnamen." "Auch die christlichen Namen sind ja im Grunde genommen ausländische Namen. 9 Also rein germanische Namen - und damit deutsche Namen - sind sowas wie Walter, Werner, Irmgard usw. Und die werden ja nun wirklich nicht mehr vergeben." Musik Original-Ausschnitt aus der Hanns-Dieter-Hüsch-LP "Das Wort Zum Montag". Erstes Stück "Legen Sie Ihren Namen an der Garderobe ab": Hüsch hüstelt 2x gekünstelt. "Chromosomen est omen, Omen est Nomen. Name ist Schall und Rauch - und meinen kranken Nachbarn auch." Musik (instrumental) Läuft unter dem folgenden Selbstgespräch weiter. "Selbstgespräch einer genervten werdenden Mutter" Als wiederkehrendes Zwischenelement. 2. Teil - Selbstgespräch: "... Man kann auch ganz anders an die Sache herangehen. Und zwar mit der Frage: Welche Namen haben möglicherweise einen eingebauten Kindes-Schutz? Zum Beispiel Lara oder Lena ... Das sind so kurze Namen - die kann man gar nicht weiter witzig eindampfen. Die lassen sich auch sonst kaum mutwillig verdrehen. Da müssen sich diese Schulhofrüpel schon richtig 'was einfallen lassen, um den Vornamen meines Kindes zu verunstalten. ... Lange Namen sind nun mal leider ein guter Steinbruch für bösartige Jung-Lyriker. Bei kurzen Namen fällt denen nix mehr ein. ... Sowas wie "Eli-sa-beth ist dick und fett" braucht sich dann mein Töchterchen nicht anzuhören. ..." Musik (instrumental) Kurz freistehend. 10 O-Ton 13: Rüdiger Hoffmann, Kabarettist "Mein Sohn heißt ja Mika. Und als der geboren wurde vor sieben Jahren haben wir halt überlegt wie wir ihn nennen." 3. Sprecherin: NAME: Rüdiger Hoffmann, Kabarettist. O-Ton 14: Rüdiger Hoffmann, Kabarettist "Erst fanden wir Kimi schön. So von Kimi Räikkönen." "Dann haben wir das so angegeben da. Dann habe ich 'n Brief bekommen. Der Name wäre Unisex. Also der könnte weiblich oder männlich sein." "Das würde eben auch reichen, wenn der zweite Name ganz eindeutig wäre ... männlich. Dann haben wir halt überlegt." "Mika-Paris ... Das haben wir so angegeben. Dann haben die geschrieben: Beide Namen wären Unisex." "Wir mussten also jetzt noch 'n dritten Namen haben." "Und dann haben wir überlegt. Dann fanden wir Vincent schön. Maxim fanden wir schön. Dann konnten wir uns nicht entscheiden. Und dann habe ich gesagt: Komm, ist doch scheißegal. Wenn der eh schon zwei Namen hat, dann kann er auch vier haben. Er hat jetzt wirklich vier Namen. Er heißt Mika Paris Vincent Maxim Hoffmann." "Ja, es ist jetzt alles vielleicht 'n bisschen kompliziert. Aber ich find's eigentlich schön dass er vier Namen zur Wahl hat. [lacht]" 11 O-Ton 15: Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln "Also zwölf Vornamen für ein Kind geht nicht. Würden wir nicht in das Geburtsregister eintragen." (Sehr kurzes Geräusch oder Musik-Fragment - wenige Sekunden) 3. Sprecherin: NAME: Angelika Barg, Leiterin des Standesamtes Köln - dem zweitgrößten Standesamt in Deutschland. (Gleiches kurzes Geräusch oder Musik-Fragment wie zuvor) O-Ton 16: Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln "Ich möchte mal behaupten, dass hier in Köln so die Höchstzahl bei 6 bis 8 Vornamen liegt." "Das sind Leute die sich nicht entscheiden können für einen Vornamen." "Das mach' ich aber auch daran fest, dass die Welt sehr viel globaler geworden ist. Das Internet, die Handys, das hat eine solche Veränderung mit sich gebracht, eine solche Öffnung." 1. Sprecher: Die Folge: Namen für Neugeborene werden deutlich internationaler - und immer ausgefallener. O-Ton 17: Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln "An exotischen Vornamen haben wir hier in Köln zugelassen Winnetou, Pumuckl, Fanta. Also die Eltern sind grundsätzlich in der Vornamensgebung frei. Aber der Vorname ... darf nicht anstößig sein oder ... Probleme für das Kind mit sich bringen." 12 "Osama bin Laden hatten wir 2002 als Wunsch eines Elternpaares. Und diesem Wunsch haben wir - verständlicherweise denke ich - nicht stattgegeben." "In Anbetracht der Geschehnisse von September 2001 war das also ... vollkommen indiskutabel." "Wir haben konkret argumentiert ... damit, dass das Kind also mit diesem Vornamen hier in der Bundesrepublik immer Probleme haben würde." "Und die Eltern sind dann zunächst auch zum Gericht gegangen, um uns anweisen zu lassen den Vornamen einzutragen. Haben dann aber den Antrag zurückgezogen." Musik (wird ausgeblendet) O-Ton 18: Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln "Ich kann mich an einen Fall erinnern, da wollten Eltern für einen Jungen Büb als Vornamen. Das ist 20 Jahre her. ... Wir haben die Eintragung des Vornamens abgelehnt, weil wir der Auffassung waren ... dadurch wird das Kind lächerlich gemacht. Sind dann aber vom Gericht angewiesen worden den Vornamen einzutragen. Heute würden wir nicht mehr vor Gericht gehen! Heute würden wir den Vornamen aber auch nicht mehr ablehnen! Büb ist 'ne ... liebevolle Abkürzung eines männlichen Vornamens. Heute wäre das überhaupt kein Thema mehr! ... Das hat sich in der Tat entwickelt. Früher hamwer ... sind wir sehr viel strenger gewesen." Musik Lied "Hurra, Hurra, der Pumuckl ist da" "Hurra, hurra, der Kobold mit dem roten Haar 13 hurra, hurra, der Pumuckl ist da. Hurra, hurra, der Kobold mit dem roten Haar hurra, hurra, der Pumuckl ist da. ..." 1. Sprecher: Seit den 1960er-Jahren hüpft die trollige Kinderbuchfigur "Pumuckl" durch Hörspiele, Fernsehserien und Spielfilme. (Musik kurz freistehend) Mitte der 1990er-Jahre kam ein Kölner Elternpaar auf die Idee ihrem neugeborenen Kind den Namen "Pumuckl" zu verpassen. Standesamt-Leiterin Angelika Barg erinnert sich noch gut an diesen Fall: O-Ton 19: Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln "Ja, wir haben uns zunächst mit dem Vornamen schwergetan. Aber wir sind vom Gericht angehalten worden diesen Vornamen einzutragen." "Ja, ich stelle es mir trotzdem immer noch so ein bisschen lustig vor einen Bundeskanzler Pumuckl Schröder vor mir zu sehen." Musik Lied "Hurra, Hurra, der Pumuckl ist da" "Hurra, hurra, der Kobold mit dem roten Haar hurra, hurra, der Pumuckl ist da. ..." O-Ton 20: Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln "Das Kind kam mit diesem Vornamen gar nicht klar." Als das Kind 18 war, also ... 2013, ist das Kind an uns als 14 Namensänderungsbehörde herangetreten und hat den Antrag gestellt, dass der Vorname geändert wird." "Das war mir schon einleuchtend." "Weil der Vorname sie belastete. ... Sie wollte kein Pumuckl sein." Musik Lied "Hurra, Hurra, der Pumuckl ist da" "Hurra, hurra, der Kobold mit dem roten Haar hurra, hurra, der Pumuckl ist da. ..." (Wird ein- und ausgeblendet) 1. Sprecher: Belastend können auch Namen sein, die weit weniger grotesk wirken als "Pumuckl". Musik O-Ton 21: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Ich kenn zum Beispiel einen Fall von einer Frau, einer angehenden Orthopädin, die Lilly heißt." Musik O-Ton 22: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Die hieß also jetzt schon Lilly, bevor Lilly modern wurde." "Und hat sehr unter ihrem Namen gelitten, weil dieser Name für Sie Lächerlichkeit ausdrückt, Kleinheit, Niedlichkeit ..." 15 1. Sprecher: Namensforscherin Damaris Nübling. O-Ton 23: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Und sie sagt: ich will Ärztin werden, ich will Orthopädin werden, ich will irgendwann 'mal operieren. Ich will vielleicht auch Chirurgin werden. Und mit diesem Namen wird mich niemand ernst nehmen. Und ich hab das verstanden! Sie hat regelrecht unter ihrem Namen gelitten. Und ich habe ihr empfohlen den Antrag zu stellen den Namen zu ändern." Musik . O-Ton 24: Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln "Ein Name kann hier in der Bundesrepublik nach dem Namensänderungsgesetz geändert werden wenn der Antragsteller Probleme mit seinem Namen hat." 1. Sprecher: Standesamts-Leiterin Angelika Barg O-Ton 25: Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln "Das könnte dann zum Beispiel sein das ein Vorname schwierig auszusprechen oder zu schreiben ist. Das könnte ein Vorname sein durch den die Person verunglimpft wird." 16 1. Sprecher: Oder es könnte ein Vorname sein, der einfach nicht mehr zum Geschlecht der Person passt - wie es bei Transsexualität der Fall ist. Transsexuelle Menschen fühlen sich als Angehörige des anderen Geschlechts. Und möchten das häufig auch im Namen zum Ausdruck bringen. Die Sprachwissenschaftlerin Damaris Nübling hat das Namensproblem von Transsexuellen in einem Forschungsprojekt untersucht. O-Ton 26: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Wir sehen auch in unserem Transsexuellen-Projekt, wo es also um den Namenwechsel geht, dass viele ihren alten Namen, der für das alte Geschlecht steht, so stark verabscheuen, dass sie uns ihn nicht verraten. Also ihn einfach nicht mehr nennen können, einfach weil sie einen solchen Ekel vor diesem Namen haben. Also da sieht man auch wie stark ein Name auch mit Geschlecht aufgeladen ist, und natürlich auch mit einer alten Vergangenheit die damit abgestreift werden soll. Und das zeigt wie viel ... ja Körperlichkeit in den Namen drin steckt. Es ist praktisch wie ein Genital. Das wird wie ein sprachliches Genital empfunden." O-Ton 27: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Die meisten die wir gesprochen haben, die sind sehr sehr glücklich mit ihrem neuen Namen. Die sagen: Jetzt passt der Name endlich zu meiner Identität, vor allem aber zu meinem Geschlecht. Das ist das allerwichtigste. Ganz wichtig ist: 17 Jeder Name hat ein Geschlecht. Es gibt fast keine Namen im Deutschen die Unisex sind, also die kein Geschlecht haben. Fast alle Namen haben ein Geschlecht. Und wenn ich ... mein Geschlecht wechsle, dann ist der Namenwechsel das A und O." "Was es gibt ist nur das Geschlecht des Namens zu ändern. Das wäre dann Martin zu Martina. Oder eine Martina, die zu einem Martin wird. Das ist eine Strategie. Was wir aber auch festgestellt haben ist, dass viele Transsexuelle zu ihren Eltern zurückgehen und sich den Namen abholen, den die Eltern ihnen gegeben hätten, hätten sie das andere biologische Geschlecht bekommen." "Das haben wir nicht erwartet. Aber das kommt tatsächlich sehr oft vor. Das ist eine Versöhnungsgeste gegenüber den Eltern, dass man sich sozusagen den eigentlich für sie bestimmten Namen abholt. Und damit die Eltern auch wieder ins Boot holt und sie an der Namenvergabe beteiligt." Musik 1. Sprecher: Eine ganz andere Form von Geschlechterwechsel gab es bereits vor Jahrhunderten. Musik aus dem 16. bis 17. Jahrhundert Kurz freistehend. Läuft unter dem folgenden O-Ton weiter. O-Ton 28: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Im früheren Ostfriesland - 16. ... 17. Jahrhundert - kam es nicht selten vor, dass Mädchen typische Jungennamen trugen, wie zum Beispiel Hinrich oder Peter." Musik aus dem 16. bis 17. Jahrhundert 18 Kurz freistehend. Läuft unter dem folgenden O-Ton weiter. O-Ton 29: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "O-Ton - Damaris Nübling - B.WAV" "Einer der Gründe dürfte sein, dass damit Mädchen erbfähig gemacht wurden. Man muss sich das so vorstellen, dass in einer Familie entweder alle Söhne gestorben sind oder zufällig keiner geboren wurde. Das also nur Mädchen vorhanden waren. Und die Mutter war vielleicht über 40. Es war klar, dass das nächste Kind das letzte Kind sein würde. Schon wieder ein Mädchen. Und da konnte es vorkommen, dass dieses Mädchen, um es erbfähig zu machen, um ihm später den Hof zu vererben, man es zum Jungen gemacht hat, und ihm dann einen Jungennamen - meistens übrigens den Vornamen des Vaters oder des Großvaters - gegeben hat." (Musik kurz freistehend. Wird dann gegen Ende des O-Tons abgeblendet.) "O-Ton - Damaris Nübling - B.WAV" "Umgekehrt seltener ... kommt es auch vor, dass Jungen Mädchennamen trugen, wie zum Beispiel Frauke für einen Jungen. Und da sehen wir ... in seinem Taufeintrag, dass die Mutter bei seiner Geburt gestorben ist. Die ist im Kindsbett gestorben. Was damals sehr sehr häufig vorkam. Und da hat man sozusagen die Mutter - im Namen für den Sohn - geehrt. Und hat dem Sohn dann direkt einfach den Mutternamen gegeben." Musik (instrumental) Läuft unter dem folgenden Selbstgespräch weiter. 19 "Selbstgespräch einer genervten werdenden Mutter" Als wiederkehrendes Zwischenelement. 3. Teil - Selbstgespräch: "Auch nicht unwichtig: Dem Vater sollte der Name des Kindes ebenfalls gefallen. ER fand gefühlte 90 Prozent meiner Vorschläge nicht gut. Umgekehrt könnte es etwa in gleicher Größenordnung hinkommen. Inzwischen hat sich da eine gewisse Zurückhaltung auf beiden Seiten breit gemacht. Na ja, so ganz erfolglos war unsere bisherige Namenssuche auch wieder nicht. Immerhin haben wir jetzt eine Negativliste. Das heißt: AUF KEINEN FALL irgendwelche Namen von Vorgesetzten, Ex-Geliebten oder Lieblingsfeinde aus der Nachbarschaft! ..." Musik (instrumental) O-Ton 30: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Man muss sich auch klarmachen, dass die Eltern sich selbst benennen im Grunde genommen, wenn Sie Ihrem Kind einen Namen geben. Das heißt die denken ja gar nicht primär an das Kind. Und sie wissen ja auch noch nicht viel über diesen kleinen Säugling den Sie haben. Man geht davon aus, dass Eltern sich selbst benennen ... über den Namen des Kindes." Musik O-Ton 31: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Aus fremder Perspektive ... ist es ungewöhnlich dass in Deutschland ... eine Person ihr Leben lang den gleichen Namen trägt. Die Menschen ändern sich ja. 20 Was habe ich noch mit einem Baby, oder 'nem Kleinkind oder einer Jugendlichen zu tun? Gar nichts mehr. Der Name bleibt aber sozusagen gleich. Der passt sich nicht ... meinen Lebenszyklen an. Und das ist in anderen Kulturen anders." 1. Sprecher: Namensforscherin Damaris Nübling. O-Ton 32: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Es gibt Kulturen ... in denen dann ... wenn ein Ehepaar ... das Kind bekommt, dass die nach ihrem Kind benannt werden. Und damit einen neuen Namen bekommen." (Musik kurz freistehend) "Das gibt es tatsächlich, dass die Elternschaft bewirkt, dass die Eltern einen neuen Namen bekommen. Und zwar heißen die dann »Vater von X«. Und X ist der Name des Kindes. Oder »Mutter von X«. Und das ist der neue Name den diese beiden Personen dann führen." "Umgekehrt ist es erstaunlich - jetzt für diese Kulturen - dass wir in Deutschland die Kinder nach den Eltern benennen." O-Ton 33: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Die Eltern vergeben Namen. Die haben sehr viel Macht durch das Recht der Namenvergabe. Und deswegen kann man wirklich auch mal überlegen ob es nicht denkbar wäre - wie in Schweden - dass jedes Individuum irgendwann 'mal sich selbst einen Namen geben darf. Wer sagt denn, dass die Eltern das sein müssen!" 21 1. Sprecher: In Deutschland ist es nicht leicht den von den Eltern erhaltenen Namen in einer späteren Lebensphase zu ändern. Da muss das Standesamt schon mit sehr triftigen Gründen überzeugt werden. Ganz anders in Schweden. Dort ist es ohne größeren Aufwand möglich sich bis zu dreimal im Leben einen neuen Vornamen auszusuchen - ganz komfortabel über das Internet. O-Ton 34: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Das machen sehr viele Schweden. Jedes Jahr mehrere 1000. Was für das relativ kleine Land ja dann doch viele sind, jedes Jahr." 1. Sprecher: In Deutschland wird bei amtlichen Vorgängen zunächst der Name abgefragt. In Schweden besitzt jeder Staatsbürger eine zehnstellige Personenkennzahl. Diese Nummer hat dort einen wesentlich größeren amtlichen Stellenwert als der Personenname. O-Ton 35: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Die identifiziert eindeutig jeden Schweden und jede Schwedin." "Die kennt man im Alltag. Jedes Geschäft ... jedes Mieten eines Hauses oder Bankgeschäft usw. ist nicht möglich ohne diese zehnstellige Nummer. Jeder Schwede kennt die auch auswendig." 22 1. Sprecher: Der enge rechtliche Rahmen für Namensänderungen in Deutschland hat eine dunkle Vorgeschichte. 1938 wurde in Nazi-Deutschland ein Namensänderungsgesetz verabschiedet, das auch heute noch die Grundlage für Namensänderungen in der Bundesrepublik liefert. 1. Sprecher: Das Namensänderungsgesetz von 1938 hatte keine parlamentarische Hürde zu nehmen. Denn bereits 1933 wurde das Ermächtigungsgesetz verabschiedet. Auch Rechtsverordnungen konnten danach willkürlich erlassen werden. So kam es im August 1938 zu einer Namensänderungsverordnung, die das Ziel hatte alle in Deutschland lebenden Juden zu stigmatisieren. O-Ton 36: Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln "Man kam auf die interessante Idee: Die müssen neben dem Namen den sie schon immer gehabt haben einen ihn als Juden, oder sie als Jüdin, markierenden Zusatznamen kriegen." (Sehr kurzes Geräusch oder Musik-Fragment - wenige Sekunden) 3. Sprecherin: NAME: Winfried Seibert, Rechtsanwalt. Autor des Buches "Das Mädchen, das nicht Esther heißen durfte" - eine exemplarische Geschichte über NamensWillkür in der NS-Zeit. (Gleiches kurzes Geräusch oder Musik-Fragment wie zuvor) 23 O-Ton 37: Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln "So absurd das alles heute klingt. Aber man hatte ja die Absicht auch mit Namen - wir sind noch nicht beim Judenstern, wir sind noch nicht beim J im Stempel - ... aber man wollte die Juden auf jeden Fall markieren. Und da wollte man mit den Namen anfangen." 3. Sprecher (Zitator): "Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen. Paragraph 2, Absatz 1: Soweit Juden andere Vornamen führen, als sie nach § 1 Juden beigelegt werden dürfen, müssen sie vom 1. Januar 1939 ab zusätzlich einen weiteren Vornamen annehmen, und zwar männliche Personen den Vornamen Israel, weibliche Personen den Vornamen Sara. ... Berlin, den 17. August 1938. Der Reichsminister des Innern" 1. Sprecher: Einen Tag nach der Namensänderungsverordnung folgt ein Runderlass des Reichsinnenministers. Dieser Erlass enthält eine spezielle Vornamens-Richtlinie und - als Anlage - ein Verzeichnis jüdischer Vornamen. O-Ton 38: Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln "Die jetzt in Deutschland geborenen Kinder, die nicht arisch sind, nach der damaligen Definition - also die Kinder jüdischer Eltern - die dürfen überhaupt nur 24 noch Vornamen kriegen an denen man sofort erkennt: Aha, das ist ein Jude. Um das zu schaffen hat man also eine Liste von - wie man glaubte - typisch jüdischen Vornamen geschaffen." Musik in Hintergrund. Abwechselnd sprechen eine weibliche (W = weiblicher Vorname) Sprecherin und ein männlicher (M = männlicher Vorname) Sprecher einzelne Namen aus der Namensliste für jüdische Kinder: " ... Aron (M) ... Assur (M) ... Chawa (W) ... Fradel (W) ... Barak (M) ... Eli (M) ... Lane (W) ... Machle (W) ... Hagai (M) ... Herodes (M) ... Nacha (W) ... Isaac (M) ... Jehuda (M) ... Juda (M) ... Rachel (W) ... Rebekka (W) ... Levi (M) ... Mosche (M) ... Noa (M) ... ... Schewa (W) ... Salomon (M) ... Schalom (M) ... Zewi (M) ..." Musik (instrumental) O-Ton 39: Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln "Diese Namensliste der typisch jüdischen Vornamen - ich hab das mal als Getto der Vornamen für die jüdischen Kinder bezeichnet ... Das sollte es auch sein! die war einmal der Versuch namentlich diese Kinder zu markieren. Also mussten die Namen sehr jüdisch sein. Und sie war auch, das ist völlig eindeutig - und Goebbels hat sowas auch in seinem Tagebuch geschrieben - ... weil die Namen extrem bösartig ausgesucht waren, Schikanen. Man wollte den Leuten weh tun. Wenn sie es wagten im Deutschen Reich Kinder auf die Welt zu bringen, dann mussten die sozusagen auch mit dem Namensgetto bestraft werden." Musik in Hintergrund. >>>> FORTSETZUNG DER GESPROCHENEN JÜDISCHEN NAMEN <<<<< Abwechselnd sprechen eine weibliche (W = weiblicher Vorname) Sprecherin und ein männlicher (M = männlicher Vorname) Sprecher einzelne Namen von der Namensliste für jüdische Kinder: 25 O-Ton 40: Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln "Sie müssen sich bitte vorstellen, diese Negativliste der Zwangsnamen für die jüdischen Kinder ... Ungefähr 300 Namen ... die ist zweimal über den Schreibtisch von Hitler gegangen! Der hat zweimal in dieser Liste rumgestrichen! Und Namen gestrichen bei denen man nur vermuten kann dass er die aus der Liste weg haben wollte weil er Leute kannte die so hießen. Es ist an Absurdität überhaupt nicht mehr zu übertreffen - wenn's nicht so schrecklich wäre." Musik 1. Sprecher: Den ausführenden Personen im NS-Apparat mangelte es teilweise an historischem Wissen in Bezug auf Namen. Viele Namen auf ihrer Negativliste - aber auch einige Namen bekannter Nazigrößen - ließen sich nicht immer eindeutig ethnisch oder religiös zuordnen. In manchen Fällen ergaben sich allerdings peinliche Eindeutigkeiten. Man musste überraschend erkennen: Weit verbreitete Namen wie beispielsweise Joseph, Eva oder Joachim sind Vornamen hebräischen Ursprungs. Die Lösung des Problems: Der Nazi-Apparat bog sich einfach seine Wahrheiten wunschgerecht zurecht. Diese ursprünglich hebräischen Namen seien inzwischen "völlig eingedeutscht", wurde nun amtlich verkündet. Für Joseph Goebbels, Eva Braun und Joachim von Ribbentrop konnte somit erst gar kein Problem mit ihren Vornamen entstehen. 26 O-Ton 41: Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln "Also es ist absurd gewesen! Die hätten, wenn sie 'n bisschen nachgedacht hätten - war aber irgendwo in der Zeit nicht gefragt - hätten sie diesen ganzen Unsinn sein lassen müssen." 1. Sprecher: Viele deutsche Juden die der mörderischen Verfolgung entkommen waren, wollten nach Kriegsende ihre auferzwungenen Zusatznamen Sara oder Israel wieder löschen lassen. Doch die bundesdeutschen Standesbeamten weigerten sich. Sie sagten: O-Ton 44: Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln "Ja, hammer Verständnis für, aber wir haben keine Vorschriften." "Es wäre einfach gewesen einfach zu sagen: Diesen Mist, verstehen wir alle dass das Unrecht war. Wird gestrichen von Amts wegen. Muss keiner kommen. Es hat aber Jahre gedauert bis es tatsächlich gemacht worden ist." Musik 1. Sprecher: Nicht nur den Menschen wollte das NS-Terrorregime ihren Namen vorschreiben. Auch Objekte sollten mit ihrem Namen die neue Zeit wiederspiegeln. So wurden in fast allen Städten und Gemeinden die Bezeichnungen von Straßen und Plätzen geändert. 1. Straßen-Atmo Kurz freistehend. Läuft weiter unter Sprechtext. 27 1. Sprecher: Auch in Köln setzte man den neuen Zeitgeist sehr schnell um. Gleich in der ersten Stadtverordnetenversammlung nach der Machtübernahme der Nazis Anfang 1933 stand der Punkt "Straßenbenennungen" auf der Tagesordnung. Eines der ersten Opfer in der Liste Kölner Straßennamen war der "Platz der Republik". Er wurde umgehend in "Adolf-Hitler-Platz" umbenannt. Der »Kölner Stadt-Anzeiger« schrieb in seiner Ausgabe vom 26. Juni 1933: 3. Sprecher (Zitator): "... »Platz der Republik« ist auch vom sprachlichen Gesichtspunkt gesehen sehr hässlich. Es ist eine ins Deutsche übertragene französische Wendung. ... Die neue Bezeichnung »Adolf-Hitler-Platz« ... hat sich der Bevölkerung schnell und selbstverständlich eingeprägt. ..." 2. Straßen-Atmo Kurz freistehend. Überblendung in Atmo U-Bahn-Wagen (innen) "Atmo-1 Bahn Ebertplatz.WAV" ab 0'57" Original-Ansage: "Nächster Halt: Ebertplatz." 1. Sprecher: Mehr als 80 Jahre später. Der ehemalige »Adolf-Hitler-Platz« in Köln heißt inzwischen »Ebertplatz«. Atmo U-Bahn-Wagen (innen) Fahrgeräusche. Atmo kurz freistehend. Läuft weiter unter Sprechtext - und wird dann abgeblendet. 28 1. Sprecher: Drei U-Bahn-Stationen vom heutigen Ebertplatz entfernt befindet sich der Firmensitz der Namensagentur "Nambos". Das Unternehmen kreiert im Auftrag seiner Kunden Objektnamen aller Art. Zwischen fünf- und 50-tausend Euro berechnet "Nambos" für einen neuen Namen. - Neue Namen für einzelne Produkte, ganze Firmen oder Organisationen. Wer eine Produktneuheit ohne sorgfältig ausgewählten Namen auf den Markt wirft, muß im schlimmsten Fall mit hohen Verlusten rechnen. Die Anforderungen an den neuen Namen sind vielfältig. Natürlich darf die neue Produktbezeichnung keine Kunden abschrecken. Aber auch Ähnlichkeiten mit anderen Waren- oder Firmen-Namen müssen aus juristischen Gründen unbedingt vermieden werden. O-Ton 45: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS "Die größte Schwierigkeit bei Namenssuche mittlerweile ist eben die große Anzahl an bereits existierenden Namen. Das ist eigentlich so das wir sagen können: von 100 Ideen die wir haben, gehen vielleicht zwei. Das heißt 98 % fällt einfach irgendwo durch das Sieb durch." 3. Sprecherin: NAME: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS 29 O-Ton 46: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS "Das heißt bei bestimmten Silben wie »com« z.B. ... oder »Digi«, was früher so im elektronischen Bereich sehr beliebt war, ... braucht man heute gar nicht mehr anzufangen. Weil da sind die Register bis obenhin voll." Musik 1. Sprecher: In der ersten Stufe der Namenssuche wird von den NAMBOS-Mitarbeitern eine große Zahl potentiell geeigneter Bezeichnungen zusammengetragen. O-Ton 47: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS "Und da wird tatsächlich immer so 'ne Größenordnung von 1000 erreicht. Also das ist nicht die Ausnahme, sondern das ist mittlerweile ... fast schon das Mindestmaß. Einfach vor dem Hintergrund dass wir eben schon so viele Marken am Markt haben. Allein in Deutschland eine Million Marken. ... Das heißt, da brauchen wir tatsächlich 'ne sehr große Anzahl erstmal die wir in den Filter stecken können. Weil der leider ziemlich viele Ideen sofort vernichtet." Musik O-Ton 48: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS "Wichtig ist vor allem erstmal das es keine negativen Bedeutungen, Assoziationen in anderen Ländern, in anderen Sprachen gibt. Und dafür haben wir 'n Netzwerk mit Korrespondenten in den jeweiligen Ländern. Und die bekommen dann den Namen und 'n Fragebogen. Da wird dann halt abgefragt erstmal: Kannst Du den Namen überhaupt aussprechen? Hast du alle Buchstaben in deinem Alphabet?" 30 "Da wird gefragt: Wie klingt das? Und dann gibt es tatsächlich negative Bedeutungen. Nicht nur vom ganzen Wort, sondern auch von Bestandteilen des Wortes." 1. Sprecher: Gerade global operierende Autobauer können - oder wollen - es mit ihren neuen Fahrzeug-Namen offensichtlich nicht allen recht machen. Da wäre beispielsweise der »Fiat Uno«. Im Finnischen ist "Uno" mit "Trottel" gleichzusetzen. Oder der »Ford Kuga«. "Kuga" bedeutet auf Kroatisch "Pest". O-Ton 49: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS "Für Kroaten die in Deutschland leben ist das schon irgendwie rollende Pest die da vorbeifährt. Was also jetzt auch nicht so optimal ist." "Also ohne 'ne sorgfältige Überprüfung im Nachgang nutzt der schönste Name nix. Dann habe ich nur 'n Namen, kann ihn aber nicht einsetzen." 1. Sprecher: Ein Name lässt sich insbesondere dann nicht nutzen, wenn er nicht juristisch vollkommen sicher ist. Mit dieser Tatsache sah sich der US-Software-Riese Microsoft in der Vergangenheit immer wieder konfrontiert. 2012 zog das Unternehmen den Namen "Metro" für die kachelartige Bedienoberfläche von Windows 8 zurück. Der deutsche Handelskonzern Metro AG hatte gegen diese Bezeichnung juristische Schritte angedroht. 31 O-Ton 50: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS "Es gibt aber Unternehmen die seit Jahrzehnten schon extrem viel Geld ausgeben um ihren Begriff für sich rechtlich zu monopolisieren. Gerade die Metro ist da sehr stark wenn es darum geht diesen Begriff zu verteidigen." 1. Sprecher: Noch einmal deutlich härter verlief der Namensstreit zwischen Microsoft und der British Sky Broadcasting Group - dem größten Bezahlfernsehanbieter in England, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Software-Schmiede unterlag gleich mehrfach vor Gericht. Zunächst musste Microsoft sein Cloud-Speicher-Angebot "SkyDrive" in "OneDrive" umbenennen. Danach befand ein EU-Gericht, dass Verwechslungsgefahr zwischen dem Microsoft-Videotelefon-Dienst "Skype" und dem Unternehmens-Namen der britischen Sky-Gruppe vorliegt. Markennamens-Experte Markus Lindlar erklärt das Vorgehen des SoftwareGiganten: O-Ton 51: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS "Bei Microsoft hat man wahrscheinlich gedacht: ... Das fechten wir mal aus. ... Wir wissen das die dagegen vorgehen. Aber wir versuchen zu argumentieren dass so ein Begriff eben nicht ... nur von einem verwendet werden darf. Hat aber letzten Endes leider nicht funktioniert." "Das ist eigentlich so die Strategie. Ich glaube nicht dass die das einfach nur vergessen haben - das es Sky schon gibt. Sondern ich glaube dass Sie dann wirklich gesagt haben: Also das wollen wir doch 'mal sehen!" 32 1. Sprecher: Nicht selten kommt es vor, dass ein längst bestehender Firmen-Name zur Handelsware wird. O-Ton 52: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS "Und man ist auch da bereit, wenn man sich in so'nen Namen verliebt hat, auch ziemlich viel Geld dafür auszugeben um den auch verwenden zu dürfen. Wenn jetzt 'n kleine Firma kommt die sagt: Wir heißen seit fünf Jahren aber so. Dann sagt man: Na gut, wieviel wollt ihr haben dafür, dass ihr den Namen aufgebt?" "Und dann werden dann halt 5. 000, 50. 000 oder 500 .000 Euro dann auch mal ausgegeben. Und wenn das dann halt eben 'n Größenordnung ist wie Microsoft ... dann kann sich das auch schon mal sehr schnell potenzieren. Und trotzdem kann es am Ende des Tages 'ne sinnvolle Strategie sein, wenn man so'n einfachen Namen denn dann auch hat." 1. Sprecher: Jedes Jahr ermitteln Marktforschungsunternehmen die wertvollsten Marken der Welt. Lange stand Coca-Cola an der Spitze der Rangliste. Inzwischen hat der USTechnologiekonzern Apple die Führung übernommen. O-Ton 53: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS "Also Apple ist natürlich noch wertvoller. Aber Apple muss auch jedes Jahr Milliarden ausgeben, um immer wieder was zu haben was dann auch verkauft wird. Und bei Coca-Cola, die haben ja die Rezeptur seit 100 Jahren nicht mehr angefasst." 33 Musik Kurz freistehend. Läuft dann unter Sprechertext weiter. 1. Sprecher: Marktmacht drückt sich auch darin aus, wenn eine Marke es schließlich geschafft hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch festzusetzen. Komplett gewonnen hat der Hersteller, wenn es dem Verbraucher gar nicht mehr auffällt das er gerade einen Produktnamen anstelle des Allgemeinbegriffs benutzt hat. Es gibt Waren-Namen, die eine solche Dominanz erreicht haben, dass kaum noch jemand auf die Idee kommen würde, den ursprünglichen Namen auszusprechen. Beispielsweise »Tempo« statt Papiertaschentuch oder »Tesa« statt Folien-Klebeband. Die meisten dürften noch wissen, dass es sich bei diesen Beispielen um Hersteller-Namen handelt. Aber wem ist schon bewusst, dass »Podcast« im Grunde ein Apple-Produktname ist? Der Kunstname »Podcast« setzt sich zusammen aus einer Kurzform des Begriffs "Broadcasting" - also Rundfunk - und eben iPod - dem populären AppleAbspielgerät. Der renommierte Computer-Experte Wolfgang Rudolph ärgert sich schon seit Jahren über solche Fälle sprachlicher Vereinnahmung. In seiner regelmäßigen Internet-Audio-Sendung »Computerclub Zwei« hat er das Problem bereits häufig thematisiert. Beginn der Original-» Computerclub Zwei«-Sendung - Folge 456. Stimme von Wolfgang Rudolph. "CC-Zwei-456_Begruessung.wav" "Hallo und herzlich willkommen zur Folge 456 des CC-Zwei- Audiocast. Die meisten wissen das, das das bei uns Audiocast heißt - und nicht Podcast." "Wir sind eigenständig. Wir machen einen Audiocast." 34 1. Sprecher: Wolfgang Rudolphs Widerstand gegen sprachliche Auswüchse geht noch weiter. Warum nennen wir einen »Laptop« nicht »Klapprechner«? Und einen »USBStick" nicht einfach »Speicherstock«? - fragt der Computer-Fachmann. O-Ton 54: Wolfgang Rudolph, Computer-Experte und Fachjournalist "Wichtig ist mir das ich versuche durch freundliche Provokation die Menschen dazu zu animieren darüber nachzudenken was sie sagen, und nicht einfach alles nachplappern - ohne zu wissen was sie sagen!" O-Ton 55: Wolfgang Rudolph, Computer-Experte und Fachjournalist "O-Ton - Wolfgang Rudolph.wav" "Schlimm sind eigentlich für mich - ... in diesem Schein-Anglizismen - Sachen wie zum Beispiel ... Backshop. Was ist denn das - 'n Rückenladen? Da lachen sich alle Engländer tot darüber. Solcher Quatsch, der erfunden wird - in der Hauptsache von unseren Sprachkaputtmachern. Ich hörte da letztens in irgend so'ner merkwürdigen Werbung: »Ich parshippe jetzt.« ... Hier versucht man wieder irgendeinen Begriff einzufügen den keiner wirklich versteht was es ist. Und anschließend hat diese Firma, die diesen Begriff gebracht hat, wieder den Vorteil - genau wie heute Apple vom Podcast - dass ein Wort kreiert worden ist welches ... immer wieder transportiert und immer wieder zurückführt auf die eigentliche Firma. Und das ist das was ich daran schlimm finde!" Musik (instrumental) 35 Selbstgespräch einer genervten werdenden Mutter" Als wiederkehrendes Zwischenelement. 4. Teil - Selbstgespräch: "... Na ja, wenn einem gar nix mehr einfällt, geht man halt ins Internet. ... Was hier so alles in diesem Forum zu Babynamen steht: ... »Wieso sollte Adolf nicht gehen?«, meint hier einer, »nur weil mal ein Diktator so hieß?« ... Mannomann [entgeistert] ... Oder die hier: »Darf man seinem Kind eigentlich den Namen Mephisto geben, würde mich interessieren.« ... Ahhja, wie wär's denn mit »Judas« zum Beispiel?! Is' doch auch 'n schöner Name! [ironisch] ... Der hier hat auch Nerven: »Also ich würd' mein Kind gern Bierstübl nennen. Ich find' den Namen geil. Schade das es wohl verboten ist ..." Da frage ich mich: Darf man eigentlich solchen Leuten kleine Kinder überlassen? ..." Atmo Fußball- oder Tennis-Stadion 1. Sprecher: Viele Profisportler bewegen sich mit ihren Einnahmen in der Größenordnung von mittleren Unternehmen. Der Vor- und Familienname dieser Sportler wird zum Markennamen. Die Kür der Selbstvermarktung: Ein Spitzname, der allgemein bekannt, aber nicht negativ besetzt ist. Ein solcher Kosename steigert den Bekanntheitsgrad und ist in den Medien wirkungsvoll zu handhaben. O-Ton 56: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Der Rufname - oder der Vorname - ist ja der intimere Teil einer Person. Der wird nur dann verwendet wenn man die Person duzt zum Beispiel, wenn man sie 36 besser kennt. Der Familienname ist der Distanzname, der dann verwendet wird wenn ich die Person nicht richtig kenne und wenn ich sie sieze." 1. Sprecher: Namensforscherin Damaris Nübling, hat sich auch mit Spitznamen bei Sportlern beschäftigt. O-Ton 57: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Und dann ist also interessant dass bei Männern eher auf den Distanznamen zugegriffen wird. Wobei ja der Spitzname sozusagen mehr Nähe herstellen möchte." 1. Sprecher: Prominente Beispiele in Sachen Sportler-Spitzname: Lukas Podolski wird "Poldi" genannt. Und Bastian Schweinsteiger darf einfach „Schweini“ gerufen werden. In beiden Fällen wird also nicht der Vorname, sondern der Familienname verniedlicht. O-Ton 58: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Und ich denke das hat auch 'n bisschen was damit zu tun, dass es ja auch viele männliche Fans gibt von Fußballern und dass sie sozusagen nicht in Homophobie-Verdacht kommen wollen. Wenn sie ja schon ihr Idol ... durch den Kosenamen heranrücken, dann wollen sie sozusagen 'ne gewisse Distanz wahren indem sie nur auf den Familiennamen zugreifen." 37 1. Sprecher: Bei weiblichen Sportlern ist es genau umgekehrt. Hier mutiert der Vorname zum Spitznamen. Aus Stefanie Graf wird "Steffi" und Franziska van Almsick wird schlicht "Franzi" genannt. O-Ton 59: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Überlegen Sie sich nur mal, wie auch die Begrüßungszeremonien sind. Frauen dürfen umarmt werden, dürfen geküsst werden, von Freundinnen wie von Freunden, also von Männern wie von Frauen. Während das ja bei Männern nicht gilt. ... Die Körperdistanz wird ja ... bei Männern eher gewahrt als bei der Frau. Und das schlägt sich namentlich nieder." 1. Sprecher: Diese Aussage zur geschlechtsspezifischen Vergabe von Kosenamen an Sportler hat Damaris Nübling inzwischen auch durch eine wissenschaftliche Untersuchung an der Universität Mainz belegt. Atmo Fußball-Stadion 1. Sprecher: Spitznamen für Spitzensportler folgen also einem weit verbreiteten Muster. Aber natürlich gibt es auch hier viele Ausnahmen. Der legendäre Fußballer Willi Lippens beispielsweise wird - aufgrund seines Laufstils - seit über 40 Jahren liebevoll "Ente" genannt. 38 Eingebrockt hat ihm das der Sportjournalist Jürgen Abel. Willi Lippens steht an der Straßeneinfahrt zu seinem eigenen Restaurant - fünf Kilometer nördlich vom Essener Stadion - und erklärt was der Journalist Abel mit seinem Spitznamen zu tun hat. O-Ton 60: Willi Lippens, Essener Fußball-Legende "Er hat dann das geschrieben unmittelbar nach dem Spiel in Düsseldorf wo ich das 1:0 geschossen hab." 3. Sprecherin: NAME: Willi Lippens, Kult-Fußballer der 60er- und 70er-Jahre. Spieler bei Rot-Weiss-Essen und Borussia Dortmund. (Gleiches kurzes Geräusch oder Musik-Fragment wie zuvor) O-Ton 61: Willi Lippens, Essener Fußball-Legende "Und wir haben dann 1:0 gewonnen. Und dann stand da diese Schlagzeile »Die Ente erschießt die Fortuna«." "Ja, zuerst war ich ja pikiert. Weil wenn man jung ist, dann ist man ja auch eitel und so. Und dann als Ente bezeichnet zu werden ist ja nicht so schön." "Aber dann im Endeffekt habe ich doch schnell gemerkt: Wenn man 'n Spitznamen hat, dann bleibt man auch den Leuten in Erinnerung." 1. Sprecher: Der in Kleve geborene Lippens besaß immer einen niederländischen Pass. Deshalb konnte er auch 1971 in einer Partie der holländischen FußballNationalmannschaft antreten. Es war gleichzeitig sein erstes und letztes Spiel für 39 die Niederlande. Von einigen Spielern im Team wurde er wie ein Ausländer behandelt. Mitspieler Wim van Hanegem setzte den aus Deutschland kommenden Lippens immer wieder vor den Mannschaftskollegen herab - nannte ihn nicht »Ente«, sondern herablassend »Donald Duck«. O-Ton 62: Willi Lippens, Essener Fußball-Legende "Der van Hanegem der hat natürlich ... bei jeder Gelegenheit dann angefangen mit »Donald Duck«." "»Ente« wär ja nicht schlimm gewesen. Weil »Ente« is' ja ... OK, das war sowieso mein Spitzname. ... Von denen die mich Ente genannt haben war das ja immer positiv. Das war ja 'ne Liebkosung normalerweise. Aber diesen »Donald Duck«, das hörte man an seinem Tonfall heraus, dass er das abfällig meinte, dass er mich damit beleidigen wollte. ... Das habe ich ihm dann auch deutlich gesagt, dass ich dat nicht mehr hören wollte." "Ich hab mich auch sehr gekränkt gefühlt im Nachhinein." Musik (instrumental) 1. Sprecher: Spitzname ist nicht gleich Spitzname. Der Grenzverlauf zwischen Liebkosung und grober Kränkung ist schmal. Manchmal wird diese Grenze völlig abrupt überschritten. Das kann absichtlich oder auch unabsichtlich geschehen. Musik (instrumental) 40 O-Ton 63: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Wenn man den Namen manipuliert, verändert, 'nen Spitznamen daraus macht ... ganz harmlos kann das sein. Das kann unter Umständen nur aus Gabriele zu Gaby ... Und das kann Menschen schon sehr sehr irritieren, wenn jemand an ihren Namen manipuliert. Das wäre so wie wenn man am Körper manipulieren würde. Die fühlen sich richtig angegriffen." "Die Namensnennung ist so etwas wie 'n körperlicher Reflex. Also die zucken zusammen ... richtig körperlich, wenn Sie einen Spitznamen zum Beispiel bekommen, den sie nicht wollen. Und das hat mich veranlasst, Namen eher als Teil eines Körpers zu sehen." 1. Sprecher: Diese reflexartige Reaktion auf den eigenen Namen kennt Damaris Nübling aus eigener Erfahrung. In ihrem Fall kommt noch hinzu: Seltene Namen - wie Damaris - verstärken den Effekt. O-Ton 64: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Er ist sehr selten. Und dadurch passiert es mir auch selten bis nie, dass ich auf andere Personen dieses Namens treffe. Und ich muss sagen einmal ... ist das tatsächlich passiert, in einer Straßenbahn. Wo eine Mutter ihr kleines Mädchen gerufen bzw. diszipliniert hat, mit dem Namen Damaris. Und ich bin jedes Mal zusammengezuckt und habe gedacht: so muss es also sein für die Menschen die sich den Namen mit vielen anderen Menschen teilen. Und diese Mutter hat gesagt: »Damaris nimm die Füße vom Sitz!! Und Damaris stell dich richtig hin!! 41 Und geh weg!!« usw. Und ich hab jedes Mal - obwohl ich wusste dass dieses Phänomen existiert ... - bin ich jedes Mal zusammengezuckt, und hab gemerkt wie einen .. die Namensnennung angreift. Und wie man reflexhaft sofort auf diesen Namen reagiert, sich angesprochen fühlt." Musik 1. Sprecher: Seltene Namen und auch private Kosenamen tangieren meist nur einen relativ beschränkten Kreis von Menschen. In einer Paarbeziehung sind Kosenamen häufig ein gut gehütetes Geheimnis - zumindest nach außen hin. O-Ton 65: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Wir wissen leider nur erstaunlich wenig, da sich die Erforschung des Intimbereichs grundsätzlich immer als sehr sehr sehr schwierig erweist. Die Leute geben ungern Auskunft und schwindeln auch gerne wenn sie Kosenamen preisgeben sollen. Selbst dann wenn's anonym passiert, was ja meistens der Fall ist." "Frauen wurden ... früher sehr oft mit Blumen verglichen. Lilie, Röschen, Rose usw. Das sind also alles Metaphern, die die Frau als ein aufblühendes, frisches Wesen konzipieren. Und damit natürlich auch ihr Verwelken wenn sie älter wird implizieren. Und solche Namen sind zum Beispiel heute überhaupt nicht mehr üblich. Das heißt Kosenamen können durchaus auch ein Rollenverständnis deutlich machen. ... Heute sind es Tiere." "Der Einfallsreichtum ist ausgesprochen gering! Mit Abstand am meisten wird der Name Liebling vergeben. ... Dann gibt's solche Wörter wie Schatzi und Schatz, 42 Maus und Mausi, Bär usw. Das sind ja nicht wirklich originelle Namen." "Das ist ganz interessant dass die also auch gegenseitig vergeben werden. Was zeigt, dass in der Paarbeziehungen - das wirkt vielleicht paradox, ist es aber nicht - das Geschlecht gar nicht so wichtig ist." O-Ton 66: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Die wollen sich als Individuum treffen und nicht dauernd das Geschlechterspielchen betreiben. Das Geschlechterspielchen betreibt man im Zuge der Paarbildung." (Musik kurze freistehend. Wird danach abgeblendet) "Sie müssen einfache 'ne Paarbeziehung mit vielen Ansprüchen bilden, wo Geschlecht stören würde. Das Geschlechterspielchen ist anstrengend!" Musik (instrumental) "Selbstgespräch einer genervten werdenden Mutter" Als wiederkehrendes Zwischenelement. 5. Teil - Selbstgespräch: "Wahrscheinlich wird der eigene Name das erste Wort sein, das mein Kind in der Schule schreiben muss. ... Ein unnötig schwieriger Name wäre da blöd ... Und: SCHÖN ANZUSEHEN ... sollte der Schriftzug natürlich auch sein. ... Prima! ... Macht die Sache jetzt noch leichter ... ... Na, was soll's ... Wenn ich an der Haustür ein Paket annehme, gebe ich mir schon lange keine Mühe mehr, das auch nur IRGENDJEMAND das lesen kann, was ich da auf das Mini-Display des Paketboten hin und her krakle. Der sieht auch immer so aus, als würde ihn das nicht die Bohne interessieren. ... 43 Wenn die Göre mal im vertragsfähigen Alter ist, gibt's eh nicht mehr diese vollkommen absurden kleinen Krakel-Displays ... oder gar Papier-Unterschriften mit der bloßen Hand. Da wird dann die Iris meiner wunderschönen Tochter von einem Scanner erfasst! Und schon ist der richtige Name meines Kindes vollkommen fehlerfrei identifiziert. ..." Musik O-Ton 67: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Das ist eben eine weitere Ebene auf der ich mich abheben kann von der restlichen Bevölkerung. Wenn ich ... schon einen bekannteren Namen wähle, dann versuche ich auf der grafischen Ebene exklusiv zu sein." (Musik kurz freistehend) "Und solche Menschen betonen ja immer, dass sie sich eben mit Y schreiben: Yanice. Und nicht mit J oder so. Das ist ihnen auch sehr sehr wichtig, ob mit ck oder mit k, oder nur mit c. Eine Rebeca nur mit c. usw. Da gibt's ja ganz ganz viele Fälle." "Ein Name ist auch auf der visuellen Ebene sehr sehr wichtig. Wir unterschreiben mit Namen. Wir sehen ... den Namen. ... Die Sichtbarkeit ist wahrscheinlich sogar wichtiger als die Hörbarkeit eines Namens." O-Ton 68: Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln "Also ich bin mit meinem Vornamen Angelika sehr zufrieden. Ich habe jetzt in den letzten Jahren festgestellt ... dass es ein Vorname ist der nicht so häufig vorkommt. 44 Und der mich dadurch also dann auch von anderen Frauen unterscheidet." Musik O-Ton 69: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS "Den Namen Markus finde ich selber jetzt nicht so schön." "Aber ich würde mich jetzt auch nicht besser fühlen glaube ich wenn ich jetzt Tom heißen würde." Musik O-Ton 70: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Ich habe ja einen fremden Namen, der meistens nicht gekannt wird: Damaris." "Er ist griechischen Ursprungs. Bedeutet das Kälbchen ursprünglich." Musik O-Ton 71: Rüdiger Hoffmann, Kabarettist "Mein weitaus älterer Bruder - der war schon zwölf als ich geboren wurde - hatte als Vorschlag Knut für mich - weil sein bester Freund so hieß - oder Donald, weil er Donald-Duck-Hefte gelesen hatte. Und da bin ich letztendlich froh, dass sie dann doch Rüdiger genommen haben." Musik O-Ton 72: Wolfgang Rudolph, Computer-Experte und Fachjournalist "Leute die Wolfgang heißen sind die besten Menschen die ich kenne." 45 Musik O-Ton 73: Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz "Ich find den Namen Kevin in keinster Weise schlimm." "Man muss ja auch vielleicht dieser Stigmatisierung entgegentreten indem man seine Kinder erst recht so benennt." Absage (3. Sprecherin): "Nomen est omen? Wie Namen entstehen und wirken" Ein Feature von Rainer Praetorius Es sprachen: Lara Pietjou, Mareike Hein und Michael Witte Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Anna Deim. Regie: Susanne Krings Redaktion: Klaus Pilger Produktion: Deutschlandfunk 2015 Musik Kurz freistehend. Wird dann ausgeblendet. ENDE 46
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