Nomen est omen? Wie Namen entstehen und

Sonntag, 04. Oktober 2015 (20:05 bis 21:00 Uhr) KW 40
Deutschlandfunk / Abt. Hörspiel Hintergrund Kultur
FREISTIL
Nomen est omen?
Wie Namen entstehen und wirken
Von Rainer Praetorius
Regie: Susanne Krings
Redaktion: Klaus Pilger
Produktion: DLF 2015
M a n u s k r i pt
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©
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1
Original-Sprecher im NASA-Kontrollzentrum (mit starken donnernden
Geräuschen der startenden Rakete im Hintergrund):
"Three, two, one ... and lift-off ...
»New Horizons«-Spacecraft ... visited planet Pluto ..."
(Läuft - als Atmo - unter nachfolgenden Sprechertext weiter)
1. Sprecher:
19. Januar 2006. Cape Canaveral, Florida.
Start einer Atlas-5-Trägerrakete.
An Bord befindet sich die Raumsonde "New Horizons".
(Donnernde Geräusche der startenden Rakete)
Das Ziel der Reise ist Pluto - Zwergplanet und letzter großer Außenposten im
Sonnensystem.
(Donnernde Geräusche der Rakete werden leiser. Dann Überblendung in nachfolgenden Klangteppich)
1. Sprecher:
Am 14. Juli 2015 - über 9 Jahre nach dem Start - erreicht die Raumsonde den
Himmelskörper. Ein wahrhaft historischer Moment. Noch nie kam ein von
Menschen geschaffenes Objekt derart nah an den Pluto heran. Die ersten
scharfen Fotos von der Oberfläche werden zur Erde gefunkt. Endlich hebt sich
der Schleier.
(Musik kurz freistehend)
Noch ist die Menschheit nicht in der Lage ein lebendes Wesen zum äußersten
Rand des Sonnensystems zu schicken. Aber als "New Horizons" nach langer
einsamer Reise Pluto erreicht, sind zumindest symbolisch mehr als 430 000
2
Menschen des Planeten Erde mit an Bord.
„Send-Your-Name-to-Pluto“ hieß die Aktion. Lange vor dem Start der Sonde hatte
die US-Raumfahrtbehörde NASA angeboten den eigenen Namen auf eine der
längsten Reisen in der Geschichte der Menschheit zu schicken. Aus allen Teilen
der Erde besuchten Menschen die entsprechende Website und trugen dort ihren
Namen ein.
(Musik kurz freistehend)
Und somit erreichen genau 434 738 Menschen den Himmelskörper Pluto - in
Form ihrer Namen - physikalisch eingebrannt in eine CD.
(Musik kurz freistehend)
O-Ton 1:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Menschen ohne Namen gibt es wahrscheinlich nicht. Zumindest kennen wir
keine Kultur, die ihre Menschen nicht benennt."
"Die meisten Menschen arrangieren sich auch mit diesem Namen, identifizieren
sich mit dem Namen. Auf jeden Fall ist er Teil ihrer Identität. Ich würde noch 'n
Stück weiter gehen: Er ist Teil ihres Körpers! Also Namen werden manchmal wie
ein Körperteil empfunden."
Musik
kurz freistehend.
Ansage (3. Sprecherin):
"Nomen est omen?
Wie Namen entstehen und wirken"
Ein Feature von Rainer Praetorius.
3
Musik
Läuft unter dem folgenden Selbstgespräch weiter.
Sprecherin mit schauspielerischen Ansätzen - trägt das "Selbstgespräch einer
genervten werdenden Mutter" vor
Als wiederkehrendes Zwischenelement.
1. Teil - Selbstgespräch:
"Ich bin im siebten Monat schwanger. Und langsam wird's Zeit.
... Was? ... Nein, ... nicht das mit dem Kind. Der NAME des Kindes sollte langsam
vom Himmel fallen!! ... Mutter ruft in sehr schönen Abständen - so etwa alle zwei
bis zweieinhalb Tage - bei mir an. Was ich denn von Susanne, Markus oder so
halten würde. "Sind doch schöne Namen", findet sie. ... Mag ja sein. Aber
irgendwann ist mir bewusst geworden, dass der Name den man seinem Kind gibt
... ja, dass der dem Kind den ganzen Einstieg ins Leben vermasseln kann! ..."
1. Sprecher:
Im Jahr 2009 führte die Universität Oldenburg eine Untersuchung durch, die
starke öffentliche Aufmerksamkeit erregte. Im Rahmen dieser Studie wurden rund
500 Grundschullehrer - und -Lehrerinnen danach befragt, welche Vornamen bei
ihnen die Assoziation "verhaltensauffällig" auslöst. Das Resultat:
Als "verhaltensauffällig" stuften 54 Prozent der befragten Lehrer den Vornamen
"Kevin" ein. Auf weiteren Spitzenplätzen dieser Negativliste folgten Namen wie
Justin, Chantal oder Dennis.
Eher verhaltensunauffällig und leistungsstark wurden Kinder eingestuft, die
beispielsweise Charlotte, Sophie, Alexander, Simon oder Hannah hießen.
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In einem der Fragebogen fand sich der Kommentar: "Kevin ist kein Name,
sondern eine Diagnose!"
O-Ton 2:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Und beim Kevin sieht man sehr schön wie er in den 90er Jahren, auch noch
2000, aufsteigt, ganz steil, und dann seit dieser Stigmatisierung, dieser
Verfolgung also richtig abgestürzt ist. Der wird heute kaum noch vergeben."
3. Sprecherin:
NAME: Damaris Nübling, Namensforscherin,
Professorin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
O-Ton 3:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Und natürlich kann man auch nicht abstreiten dass diese Namen tendenziell eher
in bildungsferneren Schichten vorkommen. Was natürlich nicht zu dulden ist, dass
sie derartig stigmatisiert werden."
"Diese Namen werden heute vermieden. ... weil sie unterschichtig wirken. Warum
... diese Verfolgung dieser Namen ? Ich denke das hängt damit zusammen dass
es ... politisch nicht gewollt ist dass wir verschiedene Schichten haben in
Deutschland. Natürlich haben wir sie. Und das ist für eine zivilisierte Nation
natürlich eine Peinlichkeit oder etwas was nicht geht."
"Und ich denke dass ... es ... ein Nebenschauplatz ist, wo wir doch sozusagen auf
die Schichten eindreschen können, indem wir deren Namen nehmen. Das sind
die Stellvertreter der Schichten. Und Menschen können ... sich als etwas
Besseres gerieren, wenn Sie auf diese Namen schimpfen."
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"Für mich ist das nur eine Möglichkeit sich zu erheben. ... Mehr ist das nicht. Es
gibt keinen sachlichen Grund auf diese Namen zu schimpfen!"
Musik
"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" von Franz Josef Degenhardt
Liedtext:
"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder.
Geh doch in die Oberstadt, machs wie deine Brüder! ..."
(ca. 13 Sek.)
O-Ton 4:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Anton, Hanna und Karl nehmen ziemlich stark zu, seit den 1980er Jahren ...
auch 90er Jahren, nehmen die wieder zu."
"Das ist 'ne Gegenbewegung der Oberschicht. Dass die sozusagen die
bewährten, alten Namen, die auf Kontinuität setzen vermehrt wieder verwenden."
"Ja, das sind konservative Namen, die gegen den Trend gehen, und mit denen
sich die Oberschicht mehr oder weniger bewusst absetzt. ... Man nennt das
übrigens das onomastische Wettrennen, das mittlere und untere Schichten sich
immer an den Namen der Oberschicht orientieren, sie verwenden und dadurch
inflationieren, so dass die oberen Schichten immer wieder durch neue Namen
sich abheben müssen."
Musik
O-Ton 5:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Man weiß dass Eltern sich immer ausgefallenere und einmaligere Namen
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wählen. Aber das sind immer Namen aus sogenannten Prestigekulturen. Und das
ist Amerika, vielleicht auch noch die romanischen Kulturen, also Italien,
Frankreich, Spanien usw. Aber türkische Namen oder arabische Namen werden
noch nicht von deutschen Eltern vergeben, weil das eben nicht Prestigekulturen
sind. Das heißt, bei der Ausgefallenheit der Namen spielt immer auch Prestige
eine Rolle."
3. Sprecherin:
NAME: Yusuf Cinar, Industriemechaniker.
Geboren in Deutschland. Aufgewachsen in der Türkei.
O-Ton 6:
Yusuf Cinar
"Mein Sohn, der Mohammed, der war in einem Fitnessstudio, ein Jahr lang, als
Mitglied. Und dann hat man dem einfach ohne einen Grund ... gekündigt. ...
Wir haben nachgehakt, recherchiert, warum die das gemacht haben. Und haben
kein Antwort bekommen."
"Mein Sohn wollte sich nochmal bei diesem Studio anmelden. Ist dahin gegangen.
Die haben gesagt: Es wäre 'n Aufnahmestopp."
"Und die haben gesagt, man müsste auch online sich bewerben. Wir haben das
auch online gemacht. Wir haben keinen Erfolg gehabt. Also die haben uns keine
Antwort gegeben."
"Daraufhin hat der Sohn Verdacht gehabt. Kann ja sein, dass das über mein
Name her irgendetwas ist."
"Daraufhin hat der sich einfach 'ne neue E-Mail-Adresse erfunden mit 'nem
deutschen Namen. Der hieß dann »Marc Kruse«. Und mit dem Namen ... hat der
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sich dann einfach bei diese Fitnessstudio online gemeldet. Und hat innerhalb von
24 Stunden die Zusage bekommen dass er gern gesehen ist bei diese Studio."
Musik
(instrumental)
O-Ton 7:
Yusuf Cinar
"Wir sind 'ne ganz normale einfache Familie."
"Wir hatten diese Problematik bis heute nicht gehabt."
"Das ist nicht in Ordnung. Weil ... wir wollen ja nix geschenkt haben. Wir wollen
monatlich unseren Beitrag zahlen und da halt ... Fitness machen."
"Ich habe mir nie Gedanken dadrüber gemacht das ... irgendwann mal der Name
dem Steine vor die Füße legt."
"Ich will jetzt gar nicht weiter darüber nachdenken, wenn er mal fertig studiert ... In
so großen Firmen, wenn da auch mit solchen Namen dann Blockaden entstehen.
Dann sehe ich hier schwarz für meine Jungs!!"
O-Ton 9:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Wir haben jetzt einige Studien vorliegen wo Personen mit einem deutschen ...
gegenüber Personen mit einem Migrantennamen sich um die gleiche Wohnung
beworben haben, um den gleichen Praktikumsplatz, um den gleichen Arbeitsplatz
und mit den gleichen Unterlagen. Also die waren gleich qualifiziert jeweils."
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1. Sprecher:
Namensforscherin Damaris Nübling.
O-Ton 10:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Und da ist ziemlich deutlich rausgekommen, dass die die einen fremden ...
Vornamen tragen - oder auch Nachnamen tragen - dass die geringere Chancen
haben die Wohnung zu mieten, ... den Praktikumsplatz zu bekommen oder ... zu
einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden."
Geräusch:
Menschliche Stimmen in Eingangshalle.
"Ping"-Geräusch eines angekommenen Aufzugs.
O-Ton 11:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Das sind ja Klischees. Das sind ja Vorurteile. Und die finden in unserer
Gesellschaft täglich statt."
"Meines Erachtens gehören die skandalisiert. Das dürfte eigentlich gar nicht sein."
Musik
(instrumental)
O-Ton 12:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Ich würde schätzen: weit über 90 % - wahrscheinlich an die 100 % - unserer
Namen sind nicht deutsch, also ausländisch. Das muss man sich klarmachen.
Nur manche sind so stark eingedeutscht, dass wir sie nicht mehr als fremd
empfinden. Peter, Klaus usw. Aber das sind ihrem Ursprung nach auch
Fremdnamen."
"Auch die christlichen Namen sind ja im Grunde genommen ausländische Namen.
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Also rein germanische Namen - und damit deutsche Namen - sind sowas wie
Walter, Werner, Irmgard usw. Und die werden ja nun wirklich nicht mehr
vergeben."
Musik
Original-Ausschnitt aus der Hanns-Dieter-Hüsch-LP "Das Wort Zum
Montag". Erstes Stück "Legen Sie Ihren Namen an der Garderobe ab":
Hüsch hüstelt 2x gekünstelt.
"Chromosomen est omen, Omen est Nomen. Name ist Schall und Rauch - und
meinen kranken Nachbarn auch."
Musik
(instrumental)
Läuft unter dem folgenden Selbstgespräch weiter.
"Selbstgespräch einer genervten werdenden Mutter"
Als wiederkehrendes Zwischenelement.
2. Teil - Selbstgespräch:
"... Man kann auch ganz anders an die Sache herangehen. Und zwar mit der
Frage:
Welche Namen haben möglicherweise einen eingebauten Kindes-Schutz?
Zum Beispiel Lara oder Lena ... Das sind so kurze Namen - die kann man gar
nicht weiter witzig eindampfen. Die lassen sich auch sonst kaum mutwillig
verdrehen. Da müssen sich diese Schulhofrüpel schon richtig 'was einfallen
lassen, um den Vornamen meines Kindes zu verunstalten. ...
Lange Namen sind nun mal leider ein guter Steinbruch für bösartige Jung-Lyriker.
Bei kurzen Namen fällt denen nix mehr ein. ...
Sowas wie "Eli-sa-beth ist dick und fett" braucht sich dann mein Töchterchen
nicht anzuhören. ..."
Musik
(instrumental)
Kurz freistehend.
10
O-Ton 13:
Rüdiger Hoffmann, Kabarettist
"Mein Sohn heißt ja Mika. Und als der geboren wurde vor sieben Jahren haben
wir halt überlegt wie wir ihn nennen."
3. Sprecherin:
NAME: Rüdiger Hoffmann, Kabarettist.
O-Ton 14:
Rüdiger Hoffmann, Kabarettist
"Erst fanden wir Kimi schön. So von Kimi Räikkönen."
"Dann haben wir das so angegeben da. Dann habe ich 'n Brief bekommen. Der
Name wäre Unisex. Also der könnte weiblich oder männlich sein."
"Das würde eben auch reichen, wenn der zweite Name ganz eindeutig wäre ...
männlich. Dann haben wir halt überlegt."
"Mika-Paris ... Das haben wir so angegeben. Dann haben die geschrieben: Beide
Namen wären Unisex."
"Wir mussten also jetzt noch 'n dritten Namen haben."
"Und dann haben wir überlegt. Dann fanden wir Vincent schön. Maxim fanden wir
schön. Dann konnten wir uns nicht entscheiden. Und dann habe ich gesagt:
Komm, ist doch scheißegal. Wenn der eh schon zwei Namen hat, dann kann er
auch vier haben. Er hat jetzt wirklich vier Namen.
Er heißt Mika Paris Vincent Maxim Hoffmann."
"Ja, es ist jetzt alles vielleicht 'n bisschen kompliziert. Aber ich find's eigentlich
schön dass er vier Namen zur Wahl hat. [lacht]"
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O-Ton 15:
Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln
"Also zwölf Vornamen für ein Kind geht nicht. Würden wir nicht in das
Geburtsregister eintragen."
(Sehr kurzes Geräusch oder Musik-Fragment - wenige Sekunden)
3. Sprecherin:
NAME:
Angelika Barg,
Leiterin des Standesamtes Köln - dem zweitgrößten Standesamt in Deutschland.
(Gleiches kurzes Geräusch oder Musik-Fragment wie zuvor)
O-Ton 16:
Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln
"Ich möchte mal behaupten, dass hier in Köln so die Höchstzahl bei 6 bis 8
Vornamen liegt."
"Das sind Leute die sich nicht entscheiden können für einen Vornamen."
"Das mach' ich aber auch daran fest, dass die Welt sehr viel globaler geworden
ist. Das Internet, die Handys, das hat eine solche Veränderung mit sich gebracht,
eine solche Öffnung."
1. Sprecher:
Die Folge: Namen für Neugeborene werden deutlich internationaler
- und immer ausgefallener.
O-Ton 17:
Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln
"An exotischen Vornamen haben wir hier in Köln zugelassen
Winnetou, Pumuckl, Fanta. Also die Eltern sind grundsätzlich in der
Vornamensgebung frei. Aber der Vorname ... darf nicht anstößig sein oder ...
Probleme für das Kind mit sich bringen."
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"Osama bin Laden hatten wir 2002 als Wunsch eines Elternpaares. Und diesem
Wunsch haben wir - verständlicherweise denke ich - nicht stattgegeben."
"In Anbetracht der Geschehnisse von September 2001 war das also ...
vollkommen indiskutabel."
"Wir haben konkret argumentiert ... damit, dass das Kind also mit diesem
Vornamen hier in der Bundesrepublik immer Probleme haben würde."
"Und die Eltern sind dann zunächst auch zum Gericht gegangen, um uns
anweisen zu lassen den Vornamen einzutragen. Haben dann aber den Antrag
zurückgezogen."
Musik
(wird ausgeblendet)
O-Ton 18:
Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln
"Ich kann mich an einen Fall erinnern, da wollten Eltern für einen Jungen Büb als
Vornamen. Das ist 20 Jahre her. ... Wir haben die Eintragung des Vornamens
abgelehnt, weil wir der Auffassung waren ... dadurch wird das Kind lächerlich
gemacht. Sind dann aber vom Gericht angewiesen worden den Vornamen
einzutragen. Heute würden wir nicht mehr vor Gericht gehen! Heute würden wir
den Vornamen aber auch nicht mehr ablehnen! Büb ist 'ne ... liebevolle
Abkürzung eines männlichen Vornamens. Heute wäre das überhaupt kein Thema
mehr! ... Das hat sich in der Tat entwickelt. Früher hamwer ... sind wir sehr viel
strenger gewesen."
Musik
Lied
"Hurra, Hurra, der Pumuckl ist da"
"Hurra, hurra, der Kobold mit dem roten Haar
13
hurra, hurra, der Pumuckl ist da.
Hurra, hurra, der Kobold mit dem roten Haar
hurra, hurra, der Pumuckl ist da. ..."
1. Sprecher:
Seit den 1960er-Jahren hüpft die trollige Kinderbuchfigur "Pumuckl" durch
Hörspiele, Fernsehserien und Spielfilme.
(Musik kurz freistehend)
Mitte der 1990er-Jahre kam ein Kölner Elternpaar auf die Idee ihrem
neugeborenen Kind den Namen "Pumuckl" zu verpassen.
Standesamt-Leiterin Angelika Barg erinnert sich noch gut an diesen Fall:
O-Ton 19:
Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln
"Ja, wir haben uns zunächst mit dem Vornamen schwergetan. Aber wir sind vom
Gericht angehalten worden diesen Vornamen einzutragen."
"Ja, ich stelle es mir trotzdem immer noch so ein bisschen lustig vor einen
Bundeskanzler Pumuckl Schröder vor mir zu sehen."
Musik
Lied
"Hurra, Hurra, der Pumuckl ist da"
"Hurra, hurra, der Kobold mit dem roten Haar
hurra, hurra, der Pumuckl ist da. ..."
O-Ton 20:
Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln
"Das Kind kam mit diesem Vornamen gar nicht klar."
Als das Kind 18 war, also ... 2013, ist das Kind an uns als
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Namensänderungsbehörde herangetreten und hat den Antrag gestellt,
dass der Vorname geändert wird."
"Das war mir schon einleuchtend."
"Weil der Vorname sie belastete. ... Sie wollte kein Pumuckl sein."
Musik
Lied
"Hurra, Hurra, der Pumuckl ist da"
"Hurra, hurra, der Kobold mit dem roten Haar
hurra, hurra, der Pumuckl ist da. ..."
(Wird ein- und ausgeblendet)
1. Sprecher:
Belastend können auch Namen sein, die weit weniger grotesk wirken als
"Pumuckl".
Musik
O-Ton 21:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Ich kenn zum Beispiel einen Fall von einer Frau, einer angehenden Orthopädin,
die Lilly heißt."
Musik
O-Ton 22:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Die hieß also jetzt schon Lilly, bevor Lilly modern wurde."
"Und hat sehr unter ihrem Namen gelitten, weil dieser Name für Sie Lächerlichkeit
ausdrückt, Kleinheit, Niedlichkeit ..."
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1. Sprecher:
Namensforscherin Damaris Nübling.
O-Ton 23:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Und sie sagt: ich will Ärztin werden, ich will Orthopädin werden, ich will
irgendwann 'mal operieren. Ich will vielleicht auch Chirurgin werden. Und mit
diesem Namen wird mich niemand ernst nehmen. Und ich hab das verstanden!
Sie hat regelrecht unter ihrem Namen gelitten. Und ich habe ihr empfohlen den
Antrag zu stellen den Namen zu ändern."
Musik
.
O-Ton 24:
Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln
"Ein Name kann hier in der Bundesrepublik nach dem Namensänderungsgesetz
geändert werden wenn der Antragsteller Probleme mit seinem Namen hat."
1. Sprecher:
Standesamts-Leiterin Angelika Barg
O-Ton 25:
Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln
"Das könnte dann zum Beispiel sein das ein Vorname schwierig auszusprechen
oder zu schreiben ist. Das könnte ein Vorname sein durch den die Person
verunglimpft wird."
16
1. Sprecher:
Oder es könnte ein Vorname sein, der einfach nicht mehr zum Geschlecht der
Person passt - wie es bei Transsexualität der Fall ist.
Transsexuelle Menschen fühlen sich als Angehörige des anderen Geschlechts.
Und möchten das häufig auch im Namen zum Ausdruck bringen.
Die Sprachwissenschaftlerin Damaris Nübling hat das Namensproblem von
Transsexuellen in einem Forschungsprojekt untersucht.
O-Ton 26:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Wir sehen auch in unserem Transsexuellen-Projekt, wo es also um den
Namenwechsel geht, dass viele ihren alten Namen, der für das alte Geschlecht
steht, so stark verabscheuen, dass sie uns ihn nicht verraten. Also ihn einfach
nicht mehr nennen können, einfach weil sie einen solchen Ekel vor diesem
Namen haben. Also da sieht man auch wie stark ein Name auch mit Geschlecht
aufgeladen ist, und natürlich auch mit einer alten Vergangenheit die damit
abgestreift werden soll. Und das zeigt wie viel ... ja Körperlichkeit in den Namen
drin steckt. Es ist praktisch wie ein Genital. Das wird wie ein sprachliches Genital
empfunden."
O-Ton 27:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Die meisten die wir gesprochen haben, die sind sehr sehr glücklich mit ihrem
neuen Namen. Die sagen: Jetzt passt der Name endlich zu meiner Identität, vor
allem aber zu meinem Geschlecht. Das ist das allerwichtigste. Ganz wichtig ist:
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Jeder Name hat ein Geschlecht. Es gibt fast keine Namen im Deutschen die
Unisex sind, also die kein Geschlecht haben. Fast alle Namen haben ein
Geschlecht. Und wenn ich ... mein Geschlecht wechsle, dann ist der
Namenwechsel das A und O."
"Was es gibt ist nur das Geschlecht des Namens zu ändern. Das wäre dann
Martin zu Martina. Oder eine Martina, die zu einem Martin wird. Das ist eine
Strategie. Was wir aber auch festgestellt haben ist, dass viele Transsexuelle zu
ihren Eltern zurückgehen und sich den Namen abholen, den die Eltern ihnen
gegeben hätten, hätten sie das andere biologische Geschlecht bekommen."
"Das haben wir nicht erwartet. Aber das kommt tatsächlich sehr oft vor. Das ist
eine Versöhnungsgeste gegenüber den Eltern, dass man sich sozusagen den
eigentlich für sie bestimmten Namen abholt. Und damit die Eltern auch wieder ins
Boot holt und sie an der Namenvergabe beteiligt."
Musik
1. Sprecher:
Eine ganz andere Form von Geschlechterwechsel gab es bereits vor
Jahrhunderten.
Musik aus dem 16. bis 17. Jahrhundert
Kurz freistehend. Läuft unter dem folgenden O-Ton weiter.
O-Ton 28:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Im früheren Ostfriesland - 16. ... 17. Jahrhundert - kam es nicht selten vor, dass
Mädchen typische Jungennamen trugen, wie zum Beispiel Hinrich oder Peter."
Musik aus dem 16. bis 17. Jahrhundert
18
Kurz freistehend. Läuft unter dem folgenden O-Ton weiter.
O-Ton 29:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"O-Ton - Damaris Nübling - B.WAV"
"Einer der Gründe dürfte sein, dass damit Mädchen erbfähig gemacht wurden.
Man muss sich das so vorstellen, dass in einer Familie entweder alle Söhne
gestorben sind oder zufällig keiner geboren wurde. Das also nur Mädchen
vorhanden waren. Und die Mutter war vielleicht über 40. Es war klar, dass das
nächste Kind das letzte Kind sein würde. Schon wieder ein Mädchen. Und da
konnte es vorkommen, dass dieses Mädchen, um es erbfähig zu machen, um ihm
später den Hof zu vererben, man es zum Jungen gemacht hat, und ihm dann
einen Jungennamen - meistens übrigens den Vornamen des Vaters oder des
Großvaters - gegeben hat."
(Musik kurz freistehend. Wird dann gegen Ende des O-Tons abgeblendet.)
"O-Ton - Damaris Nübling - B.WAV"
"Umgekehrt seltener ... kommt es auch vor, dass Jungen Mädchennamen trugen,
wie zum Beispiel Frauke für einen Jungen. Und da sehen wir ... in seinem
Taufeintrag, dass die Mutter bei seiner Geburt gestorben ist. Die ist im Kindsbett
gestorben. Was damals sehr sehr häufig vorkam. Und da hat man sozusagen die
Mutter - im Namen für den Sohn - geehrt. Und hat dem Sohn dann direkt einfach
den Mutternamen gegeben."
Musik
(instrumental)
Läuft unter dem folgenden Selbstgespräch weiter.
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"Selbstgespräch einer genervten werdenden Mutter"
Als wiederkehrendes Zwischenelement.
3. Teil - Selbstgespräch:
"Auch nicht unwichtig: Dem Vater sollte der Name des Kindes ebenfalls gefallen.
ER fand gefühlte 90 Prozent meiner Vorschläge nicht gut. Umgekehrt könnte es
etwa in gleicher Größenordnung hinkommen. Inzwischen hat sich da eine
gewisse Zurückhaltung auf beiden Seiten breit gemacht.
Na ja, so ganz erfolglos war unsere bisherige Namenssuche auch wieder nicht.
Immerhin haben wir jetzt eine Negativliste. Das heißt: AUF KEINEN FALL
irgendwelche Namen von Vorgesetzten, Ex-Geliebten oder Lieblingsfeinde aus
der Nachbarschaft! ..."
Musik
(instrumental)
O-Ton 30:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Man muss sich auch klarmachen, dass die Eltern sich selbst benennen im
Grunde genommen, wenn Sie Ihrem Kind einen Namen geben. Das heißt die
denken ja gar nicht primär an das Kind. Und sie wissen ja auch noch nicht viel
über diesen kleinen Säugling den Sie haben. Man geht davon aus, dass Eltern
sich selbst benennen ... über den Namen des Kindes."
Musik
O-Ton 31:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Aus fremder Perspektive ... ist es ungewöhnlich dass in Deutschland ... eine
Person ihr Leben lang den gleichen Namen trägt. Die Menschen ändern sich ja.
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Was habe ich noch mit einem Baby, oder 'nem Kleinkind oder einer Jugendlichen
zu tun? Gar nichts mehr. Der Name bleibt aber sozusagen gleich. Der passt sich
nicht ... meinen Lebenszyklen an. Und das ist in anderen Kulturen anders."
1. Sprecher:
Namensforscherin Damaris Nübling.
O-Ton 32:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Es gibt Kulturen ... in denen dann ... wenn ein Ehepaar ... das Kind bekommt,
dass die nach ihrem Kind benannt werden. Und damit einen neuen Namen
bekommen."
(Musik kurz freistehend)
"Das gibt es tatsächlich, dass die Elternschaft bewirkt, dass die Eltern einen
neuen Namen bekommen. Und zwar heißen die dann »Vater von X«. Und X ist
der Name des Kindes. Oder »Mutter von X«. Und das ist der neue Name den
diese beiden Personen dann führen."
"Umgekehrt ist es erstaunlich - jetzt für diese Kulturen - dass wir in Deutschland
die Kinder nach den Eltern benennen."
O-Ton 33:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Die Eltern vergeben Namen. Die haben sehr viel Macht durch das Recht der
Namenvergabe. Und deswegen kann man wirklich auch mal überlegen ob es
nicht denkbar wäre - wie in Schweden - dass jedes Individuum irgendwann 'mal
sich selbst einen Namen geben darf. Wer sagt denn, dass die Eltern das sein
müssen!"
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1. Sprecher:
In Deutschland ist es nicht leicht den von den Eltern erhaltenen Namen in einer
späteren Lebensphase zu ändern. Da muss das Standesamt schon mit sehr
triftigen Gründen überzeugt werden.
Ganz anders in Schweden. Dort ist es ohne größeren Aufwand möglich sich bis
zu dreimal im Leben einen neuen Vornamen auszusuchen - ganz komfortabel
über das Internet.
O-Ton 34:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Das machen sehr viele Schweden. Jedes Jahr mehrere 1000. Was für das relativ
kleine Land ja dann doch viele sind, jedes Jahr."
1. Sprecher:
In Deutschland wird bei amtlichen Vorgängen zunächst der Name abgefragt.
In Schweden besitzt jeder Staatsbürger eine zehnstellige Personenkennzahl.
Diese Nummer hat dort einen wesentlich größeren amtlichen Stellenwert als der
Personenname.
O-Ton 35:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Die identifiziert eindeutig jeden Schweden und jede Schwedin."
"Die kennt man im Alltag. Jedes Geschäft ... jedes Mieten eines Hauses oder
Bankgeschäft usw. ist nicht möglich ohne diese zehnstellige Nummer.
Jeder Schwede kennt die auch auswendig."
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1. Sprecher:
Der enge rechtliche Rahmen für Namensänderungen in Deutschland hat eine
dunkle Vorgeschichte.
1938 wurde in Nazi-Deutschland ein Namensänderungsgesetz verabschiedet,
das auch heute noch die Grundlage für Namensänderungen in der
Bundesrepublik liefert.
1. Sprecher:
Das Namensänderungsgesetz von 1938 hatte keine parlamentarische Hürde zu
nehmen. Denn bereits 1933 wurde das Ermächtigungsgesetz verabschiedet.
Auch Rechtsverordnungen konnten danach willkürlich erlassen werden.
So kam es im August 1938 zu einer Namensänderungsverordnung, die das Ziel
hatte alle in Deutschland lebenden Juden zu stigmatisieren.
O-Ton 36:
Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln
"Man kam auf die interessante Idee: Die müssen neben dem Namen den sie
schon immer gehabt haben einen ihn als Juden, oder sie als Jüdin, markierenden
Zusatznamen kriegen."
(Sehr kurzes Geräusch oder Musik-Fragment - wenige Sekunden)
3. Sprecherin:
NAME: Winfried Seibert, Rechtsanwalt.
Autor des Buches "Das Mädchen,
das nicht Esther heißen durfte" - eine exemplarische Geschichte über NamensWillkür in der NS-Zeit.
(Gleiches kurzes Geräusch oder Musik-Fragment wie zuvor)
23
O-Ton 37:
Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln
"So absurd das alles heute klingt. Aber man hatte ja die Absicht auch mit Namen
- wir sind noch nicht beim Judenstern, wir sind noch nicht beim J im Stempel - ...
aber man wollte die Juden auf jeden Fall markieren. Und da wollte man mit den
Namen anfangen."
3. Sprecher (Zitator):
"Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von
Familiennamen und Vornamen.
Paragraph 2, Absatz 1:
Soweit Juden andere Vornamen führen, als sie nach § 1 Juden beigelegt werden
dürfen, müssen sie vom 1. Januar 1939 ab zusätzlich einen weiteren Vornamen
annehmen, und zwar männliche Personen den Vornamen Israel,
weibliche Personen den Vornamen Sara.
...
Berlin, den 17. August 1938.
Der Reichsminister des Innern"
1. Sprecher:
Einen Tag nach der Namensänderungsverordnung folgt ein Runderlass des
Reichsinnenministers. Dieser Erlass enthält eine spezielle Vornamens-Richtlinie
und - als Anlage - ein Verzeichnis jüdischer Vornamen.
O-Ton 38:
Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln
"Die jetzt in Deutschland geborenen Kinder, die nicht arisch sind, nach der
damaligen Definition - also die Kinder jüdischer Eltern - die dürfen überhaupt nur
24
noch Vornamen kriegen an denen man sofort erkennt: Aha, das ist ein Jude.
Um das zu schaffen hat man also eine Liste von - wie man glaubte - typisch
jüdischen Vornamen geschaffen."
Musik in Hintergrund.
Abwechselnd sprechen eine weibliche (W = weiblicher Vorname) Sprecherin und ein männlicher
(M = männlicher Vorname) Sprecher einzelne Namen aus der Namensliste für jüdische Kinder:
" ... Aron (M) ... Assur (M) ... Chawa (W) ... Fradel (W) ... Barak (M) ... Eli (M) ... Lane (W)
... Machle (W) ... Hagai (M) ... Herodes (M) ... Nacha (W) ... Isaac (M) ... Jehuda (M) ...
Juda (M) ... Rachel (W) ... Rebekka (W) ... Levi (M) ... Mosche (M) ... Noa (M) ... ...
Schewa (W) ... Salomon (M) ... Schalom (M) ... Zewi (M) ..."
Musik
(instrumental)
O-Ton 39:
Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln
"Diese Namensliste der typisch jüdischen Vornamen - ich hab das mal als Getto
der Vornamen für die jüdischen Kinder bezeichnet ... Das sollte es auch sein! die war einmal der Versuch namentlich diese Kinder zu markieren. Also mussten
die Namen sehr jüdisch sein. Und sie war auch, das ist völlig eindeutig - und
Goebbels hat sowas auch in seinem Tagebuch geschrieben - ... weil die Namen
extrem bösartig ausgesucht waren, Schikanen. Man wollte den Leuten weh tun.
Wenn sie es wagten im Deutschen Reich Kinder auf die Welt zu bringen, dann
mussten die sozusagen auch mit dem Namensgetto bestraft werden."
Musik in Hintergrund.
>>>> FORTSETZUNG DER GESPROCHENEN JÜDISCHEN NAMEN <<<<<
Abwechselnd sprechen eine weibliche (W = weiblicher Vorname) Sprecherin und ein männlicher
(M = männlicher Vorname) Sprecher einzelne Namen von der Namensliste für jüdische Kinder:
25
O-Ton 40:
Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln
"Sie müssen sich bitte vorstellen, diese Negativliste der Zwangsnamen für die
jüdischen Kinder ... Ungefähr 300 Namen ... die ist zweimal über den Schreibtisch
von Hitler gegangen! Der hat zweimal in dieser Liste rumgestrichen! Und Namen
gestrichen bei denen man nur vermuten kann dass er die aus der Liste weg
haben wollte weil er Leute kannte die so hießen. Es ist an Absurdität überhaupt
nicht mehr zu übertreffen - wenn's nicht so schrecklich wäre."
Musik
1. Sprecher:
Den ausführenden Personen im NS-Apparat mangelte es teilweise an
historischem Wissen in Bezug auf Namen. Viele Namen auf ihrer Negativliste
- aber auch einige Namen bekannter Nazigrößen - ließen sich nicht immer
eindeutig ethnisch oder religiös zuordnen.
In manchen Fällen ergaben sich allerdings peinliche Eindeutigkeiten. Man musste
überraschend erkennen: Weit verbreitete Namen wie beispielsweise Joseph, Eva
oder Joachim sind Vornamen hebräischen Ursprungs. Die Lösung des Problems:
Der Nazi-Apparat bog sich einfach seine Wahrheiten wunschgerecht zurecht.
Diese ursprünglich hebräischen Namen seien inzwischen "völlig eingedeutscht",
wurde nun amtlich verkündet.
Für Joseph Goebbels, Eva Braun und Joachim von Ribbentrop konnte somit erst
gar kein Problem mit ihren Vornamen entstehen.
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O-Ton 41:
Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln
"Also es ist absurd gewesen! Die hätten, wenn sie 'n bisschen nachgedacht
hätten - war aber irgendwo in der Zeit nicht gefragt - hätten sie diesen ganzen
Unsinn sein lassen müssen."
1. Sprecher:
Viele deutsche Juden die der mörderischen Verfolgung entkommen waren,
wollten nach Kriegsende ihre auferzwungenen Zusatznamen Sara oder Israel
wieder löschen lassen.
Doch die bundesdeutschen Standesbeamten weigerten sich. Sie sagten:
O-Ton 44:
Winfried Seibert, Rechtsanwalt, Köln
"Ja, hammer Verständnis für, aber wir haben keine Vorschriften."
"Es wäre einfach gewesen einfach zu sagen: Diesen Mist, verstehen wir alle dass
das Unrecht war. Wird gestrichen von Amts wegen. Muss keiner kommen. Es hat
aber Jahre gedauert bis es tatsächlich gemacht worden ist."
Musik
1. Sprecher:
Nicht nur den Menschen wollte das NS-Terrorregime ihren Namen vorschreiben.
Auch Objekte sollten mit ihrem Namen die neue Zeit wiederspiegeln. So wurden
in fast allen Städten und Gemeinden die Bezeichnungen von Straßen und Plätzen
geändert.
1. Straßen-Atmo
Kurz freistehend. Läuft weiter unter Sprechtext.
27
1. Sprecher:
Auch in Köln setzte man den neuen Zeitgeist sehr schnell um. Gleich in der
ersten Stadtverordnetenversammlung nach der Machtübernahme der Nazis
Anfang 1933 stand der Punkt "Straßenbenennungen" auf der Tagesordnung.
Eines der ersten Opfer in der Liste Kölner Straßennamen war der "Platz der
Republik". Er wurde umgehend in "Adolf-Hitler-Platz" umbenannt.
Der »Kölner Stadt-Anzeiger« schrieb in seiner Ausgabe vom 26. Juni 1933:
3. Sprecher (Zitator):
"... »Platz der Republik« ist auch vom sprachlichen Gesichtspunkt gesehen sehr
hässlich. Es ist eine ins Deutsche übertragene französische Wendung. ...
Die neue Bezeichnung »Adolf-Hitler-Platz« ... hat sich der Bevölkerung schnell
und selbstverständlich eingeprägt. ..."
2. Straßen-Atmo
Kurz freistehend.
Überblendung in Atmo U-Bahn-Wagen (innen)
"Atmo-1 Bahn Ebertplatz.WAV"
ab 0'57"
Original-Ansage: "Nächster Halt: Ebertplatz."
1. Sprecher:
Mehr als 80 Jahre später.
Der ehemalige »Adolf-Hitler-Platz« in Köln heißt inzwischen »Ebertplatz«.
Atmo U-Bahn-Wagen (innen)
Fahrgeräusche.
Atmo kurz freistehend. Läuft weiter unter Sprechtext - und wird dann abgeblendet.
28
1. Sprecher:
Drei U-Bahn-Stationen vom heutigen Ebertplatz entfernt befindet sich der
Firmensitz der Namensagentur "Nambos". Das Unternehmen kreiert im Auftrag
seiner Kunden Objektnamen aller Art.
Zwischen fünf- und 50-tausend Euro berechnet "Nambos" für einen neuen
Namen. - Neue Namen für einzelne Produkte, ganze Firmen oder Organisationen.
Wer eine Produktneuheit ohne sorgfältig ausgewählten Namen auf den Markt
wirft, muß im schlimmsten Fall mit hohen Verlusten rechnen. Die Anforderungen
an den neuen Namen sind vielfältig. Natürlich darf die neue Produktbezeichnung
keine Kunden abschrecken. Aber auch Ähnlichkeiten mit anderen Waren- oder
Firmen-Namen müssen aus juristischen Gründen unbedingt vermieden werden.
O-Ton 45:
Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS
"Die größte Schwierigkeit bei Namenssuche mittlerweile ist eben die große
Anzahl an bereits existierenden Namen. Das ist eigentlich so das wir sagen
können: von 100 Ideen die wir haben, gehen vielleicht zwei. Das heißt 98 % fällt
einfach irgendwo durch das Sieb durch."
3. Sprecherin:
NAME: Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS
29
O-Ton 46:
Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS
"Das heißt bei bestimmten Silben wie »com« z.B. ... oder »Digi«, was früher so im
elektronischen Bereich sehr beliebt war, ... braucht man heute gar nicht mehr
anzufangen. Weil da sind die Register bis obenhin voll."
Musik
1. Sprecher:
In der ersten Stufe der Namenssuche wird von den NAMBOS-Mitarbeitern eine
große Zahl potentiell geeigneter Bezeichnungen zusammengetragen.
O-Ton 47:
Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS
"Und da wird tatsächlich immer so 'ne Größenordnung von 1000 erreicht. Also
das ist nicht die Ausnahme, sondern das ist mittlerweile ... fast schon das
Mindestmaß. Einfach vor dem Hintergrund dass wir eben schon so viele Marken
am Markt haben. Allein in Deutschland eine Million Marken. ... Das heißt, da
brauchen wir tatsächlich 'ne sehr große Anzahl erstmal die wir in den Filter
stecken können. Weil der leider ziemlich viele Ideen sofort vernichtet."
Musik
O-Ton 48:
Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS
"Wichtig ist vor allem erstmal das es keine negativen Bedeutungen, Assoziationen
in anderen Ländern, in anderen Sprachen gibt. Und dafür haben wir 'n Netzwerk
mit Korrespondenten in den jeweiligen Ländern. Und die bekommen dann den
Namen und 'n Fragebogen. Da wird dann halt abgefragt erstmal: Kannst Du den
Namen überhaupt aussprechen? Hast du alle Buchstaben in deinem Alphabet?"
30
"Da wird gefragt: Wie klingt das? Und dann gibt es tatsächlich negative
Bedeutungen. Nicht nur vom ganzen Wort, sondern auch von Bestandteilen des
Wortes."
1. Sprecher:
Gerade global operierende Autobauer können - oder wollen - es mit ihren neuen
Fahrzeug-Namen offensichtlich nicht allen recht machen. Da wäre beispielsweise
der »Fiat Uno«. Im Finnischen ist "Uno" mit "Trottel" gleichzusetzen.
Oder der »Ford Kuga«. "Kuga" bedeutet auf Kroatisch "Pest".
O-Ton 49:
Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS
"Für Kroaten die in Deutschland leben ist das schon irgendwie rollende Pest die
da vorbeifährt. Was also jetzt auch nicht so optimal ist."
"Also ohne 'ne sorgfältige Überprüfung im Nachgang nutzt der schönste Name
nix. Dann habe ich nur 'n Namen, kann ihn aber nicht einsetzen."
1. Sprecher:
Ein Name lässt sich insbesondere dann nicht nutzen, wenn er nicht juristisch
vollkommen sicher ist. Mit dieser Tatsache sah sich der US-Software-Riese
Microsoft in der Vergangenheit immer wieder konfrontiert. 2012 zog das
Unternehmen den Namen "Metro" für die kachelartige Bedienoberfläche von
Windows 8 zurück. Der deutsche Handelskonzern Metro AG hatte gegen diese
Bezeichnung juristische Schritte angedroht.
31
O-Ton 50:
Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS
"Es gibt aber Unternehmen die seit Jahrzehnten schon extrem viel Geld
ausgeben um ihren Begriff für sich rechtlich zu monopolisieren. Gerade die Metro
ist da sehr stark wenn es darum geht diesen Begriff zu verteidigen."
1. Sprecher:
Noch einmal deutlich härter verlief der Namensstreit zwischen Microsoft und der
British Sky Broadcasting Group - dem größten Bezahlfernsehanbieter in England,
Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Software-Schmiede unterlag gleich
mehrfach vor Gericht. Zunächst musste Microsoft sein Cloud-Speicher-Angebot
"SkyDrive" in "OneDrive" umbenennen. Danach befand ein EU-Gericht, dass
Verwechslungsgefahr zwischen dem Microsoft-Videotelefon-Dienst "Skype" und
dem Unternehmens-Namen der britischen Sky-Gruppe vorliegt.
Markennamens-Experte Markus Lindlar erklärt das Vorgehen des SoftwareGiganten:
O-Ton 51:
Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS
"Bei Microsoft hat man wahrscheinlich gedacht: ... Das fechten wir mal aus. ...
Wir wissen das die dagegen vorgehen. Aber wir versuchen zu argumentieren
dass so ein Begriff eben nicht ... nur von einem verwendet werden darf. Hat aber
letzten Endes leider nicht funktioniert."
"Das ist eigentlich so die Strategie. Ich glaube nicht dass die das einfach nur
vergessen haben - das es Sky schon gibt. Sondern ich glaube dass Sie dann
wirklich gesagt haben: Also das wollen wir doch 'mal sehen!"
32
1. Sprecher:
Nicht selten kommt es vor, dass ein längst bestehender Firmen-Name
zur Handelsware wird.
O-Ton 52:
Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS
"Und man ist auch da bereit, wenn man sich in so'nen Namen verliebt hat, auch
ziemlich viel Geld dafür auszugeben um den auch verwenden zu dürfen. Wenn
jetzt 'n kleine Firma kommt die sagt: Wir heißen seit fünf Jahren aber so. Dann
sagt man: Na gut, wieviel wollt ihr haben dafür, dass ihr den Namen aufgebt?"
"Und dann werden dann halt 5. 000, 50. 000 oder 500 .000 Euro dann auch mal
ausgegeben. Und wenn das dann halt eben 'n Größenordnung ist wie Microsoft ...
dann kann sich das auch schon mal sehr schnell potenzieren. Und trotzdem kann
es am Ende des Tages 'ne sinnvolle Strategie sein, wenn man so'n einfachen
Namen denn dann auch hat."
1. Sprecher:
Jedes Jahr ermitteln Marktforschungsunternehmen die wertvollsten Marken der
Welt. Lange stand Coca-Cola an der Spitze der Rangliste. Inzwischen hat der USTechnologiekonzern Apple die Führung übernommen.
O-Ton 53:
Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS
"Also Apple ist natürlich noch wertvoller. Aber Apple muss auch jedes Jahr
Milliarden ausgeben, um immer wieder was zu haben was dann auch verkauft
wird. Und bei Coca-Cola, die haben ja die Rezeptur seit 100 Jahren nicht mehr
angefasst."
33
Musik
Kurz freistehend. Läuft dann unter Sprechertext weiter.
1. Sprecher:
Marktmacht drückt sich auch darin aus, wenn eine Marke es schließlich geschafft
hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch festzusetzen. Komplett gewonnen hat
der Hersteller, wenn es dem Verbraucher gar nicht mehr auffällt das er gerade
einen Produktnamen anstelle des Allgemeinbegriffs benutzt hat.
Es gibt Waren-Namen, die eine solche Dominanz erreicht haben, dass kaum
noch jemand auf die Idee kommen würde, den ursprünglichen Namen
auszusprechen. Beispielsweise »Tempo« statt Papiertaschentuch oder »Tesa«
statt Folien-Klebeband. Die meisten dürften noch wissen, dass es sich bei diesen
Beispielen um Hersteller-Namen handelt. Aber wem ist schon bewusst, dass
»Podcast« im Grunde ein Apple-Produktname ist?
Der Kunstname »Podcast« setzt sich zusammen aus einer Kurzform des Begriffs
"Broadcasting" - also Rundfunk - und eben iPod - dem populären AppleAbspielgerät.
Der renommierte Computer-Experte Wolfgang Rudolph ärgert sich schon seit
Jahren über solche Fälle sprachlicher Vereinnahmung.
In seiner regelmäßigen Internet-Audio-Sendung »Computerclub Zwei«
hat er das Problem bereits häufig thematisiert.
Beginn der Original-» Computerclub Zwei«-Sendung - Folge 456.
Stimme von Wolfgang Rudolph.
"CC-Zwei-456_Begruessung.wav"
"Hallo und herzlich willkommen zur Folge 456 des CC-Zwei- Audiocast. Die
meisten wissen das, das das bei uns Audiocast heißt - und nicht Podcast."
"Wir sind eigenständig. Wir machen einen Audiocast."
34
1. Sprecher:
Wolfgang Rudolphs Widerstand gegen sprachliche Auswüchse geht noch weiter.
Warum nennen wir einen »Laptop« nicht »Klapprechner«? Und einen »USBStick" nicht einfach »Speicherstock«? - fragt der Computer-Fachmann.
O-Ton 54:
Wolfgang Rudolph, Computer-Experte und Fachjournalist
"Wichtig ist mir das ich versuche durch freundliche Provokation die Menschen
dazu zu animieren darüber nachzudenken was sie sagen, und nicht einfach alles
nachplappern - ohne zu wissen was sie sagen!"
O-Ton 55:
Wolfgang Rudolph, Computer-Experte und Fachjournalist
"O-Ton - Wolfgang Rudolph.wav"
"Schlimm sind eigentlich für mich - ... in diesem Schein-Anglizismen - Sachen wie
zum Beispiel ... Backshop. Was ist denn das - 'n Rückenladen? Da lachen sich
alle Engländer tot darüber. Solcher Quatsch, der erfunden wird - in der
Hauptsache von unseren Sprachkaputtmachern.
Ich hörte da letztens in irgend so'ner merkwürdigen Werbung:
»Ich parshippe jetzt.« ... Hier versucht man wieder irgendeinen Begriff einzufügen
den keiner wirklich versteht was es ist. Und anschließend hat diese Firma, die
diesen Begriff gebracht hat, wieder den Vorteil - genau wie heute Apple vom
Podcast - dass ein Wort kreiert worden ist welches ... immer wieder transportiert
und immer wieder zurückführt auf die eigentliche Firma. Und das ist das was ich
daran schlimm finde!"
Musik
(instrumental)
35
Selbstgespräch einer genervten werdenden Mutter"
Als wiederkehrendes Zwischenelement.
4. Teil - Selbstgespräch:
"... Na ja, wenn einem gar nix mehr einfällt, geht man halt ins Internet. ...
Was hier so alles in diesem Forum zu Babynamen steht: ...
»Wieso sollte Adolf nicht gehen?«, meint hier einer, »nur weil mal ein Diktator so
hieß?« ... Mannomann [entgeistert] ...
Oder die hier: »Darf man seinem Kind eigentlich den Namen Mephisto geben,
würde mich interessieren.«
... Ahhja, wie wär's denn mit »Judas« zum Beispiel?! Is' doch auch 'n schöner
Name! [ironisch] ...
Der hier hat auch Nerven: »Also ich würd' mein Kind gern Bierstübl nennen.
Ich find' den Namen geil. Schade das es wohl verboten ist ..."
Da frage ich mich: Darf man eigentlich solchen Leuten kleine Kinder überlassen?
..."
Atmo
Fußball- oder Tennis-Stadion
1. Sprecher:
Viele Profisportler bewegen sich mit ihren Einnahmen in der Größenordnung von
mittleren Unternehmen. Der Vor- und Familienname dieser Sportler wird zum
Markennamen. Die Kür der Selbstvermarktung: Ein Spitzname, der allgemein
bekannt, aber nicht negativ besetzt ist. Ein solcher Kosename steigert den
Bekanntheitsgrad und ist in den Medien wirkungsvoll zu handhaben.
O-Ton 56:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Der Rufname - oder der Vorname - ist ja der intimere Teil einer Person. Der wird
nur dann verwendet wenn man die Person duzt zum Beispiel, wenn man sie
36
besser kennt. Der Familienname ist der Distanzname, der dann verwendet wird
wenn ich die Person nicht richtig kenne und wenn ich sie sieze."
1. Sprecher:
Namensforscherin Damaris Nübling, hat sich auch mit Spitznamen bei Sportlern
beschäftigt.
O-Ton 57:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Und dann ist also interessant dass bei Männern eher auf den Distanznamen
zugegriffen wird. Wobei ja der Spitzname sozusagen mehr Nähe herstellen
möchte."
1. Sprecher:
Prominente Beispiele in Sachen Sportler-Spitzname:
Lukas Podolski wird "Poldi" genannt. Und Bastian Schweinsteiger darf einfach
„Schweini“ gerufen werden. In beiden Fällen wird also nicht der Vorname,
sondern der Familienname verniedlicht.
O-Ton 58:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Und ich denke das hat auch 'n bisschen was damit zu tun, dass es ja auch viele
männliche Fans gibt von Fußballern und dass sie sozusagen nicht in
Homophobie-Verdacht kommen wollen. Wenn sie ja schon ihr Idol ... durch den
Kosenamen heranrücken, dann wollen sie sozusagen 'ne gewisse Distanz
wahren indem sie nur auf den Familiennamen zugreifen."
37
1. Sprecher:
Bei weiblichen Sportlern ist es genau umgekehrt. Hier mutiert der Vorname zum
Spitznamen. Aus Stefanie Graf wird "Steffi" und Franziska van Almsick wird
schlicht "Franzi" genannt.
O-Ton 59:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Überlegen Sie sich nur mal, wie auch die Begrüßungszeremonien sind. Frauen
dürfen umarmt werden, dürfen geküsst werden, von Freundinnen wie von
Freunden, also von Männern wie von Frauen. Während das ja bei Männern nicht
gilt. ... Die Körperdistanz wird ja ... bei Männern eher gewahrt als bei der Frau.
Und das schlägt sich namentlich nieder."
1. Sprecher:
Diese Aussage zur geschlechtsspezifischen Vergabe von Kosenamen an Sportler
hat Damaris Nübling inzwischen auch durch eine wissenschaftliche Untersuchung
an der Universität Mainz belegt.
Atmo
Fußball-Stadion
1. Sprecher:
Spitznamen für Spitzensportler folgen also einem weit verbreiteten Muster.
Aber natürlich gibt es auch hier viele Ausnahmen. Der legendäre Fußballer Willi
Lippens beispielsweise wird - aufgrund seines Laufstils - seit über 40 Jahren
liebevoll "Ente" genannt.
38
Eingebrockt hat ihm das der Sportjournalist Jürgen Abel. Willi Lippens steht an
der Straßeneinfahrt zu seinem eigenen Restaurant - fünf Kilometer nördlich vom
Essener Stadion - und erklärt was der Journalist Abel mit seinem Spitznamen zu
tun hat.
O-Ton 60:
Willi Lippens, Essener Fußball-Legende
"Er hat dann das geschrieben unmittelbar nach dem Spiel in Düsseldorf wo ich
das 1:0 geschossen hab."
3. Sprecherin:
NAME: Willi Lippens, Kult-Fußballer der 60er- und 70er-Jahre.
Spieler bei Rot-Weiss-Essen und Borussia Dortmund.
(Gleiches kurzes Geräusch oder Musik-Fragment wie zuvor)
O-Ton 61:
Willi Lippens, Essener Fußball-Legende
"Und wir haben dann 1:0 gewonnen. Und dann stand da diese Schlagzeile
»Die Ente erschießt die Fortuna«." "Ja, zuerst war ich ja pikiert. Weil wenn man
jung ist, dann ist man ja auch eitel und so. Und dann als Ente bezeichnet zu
werden ist ja nicht so schön."
"Aber dann im Endeffekt habe ich doch schnell gemerkt:
Wenn man 'n Spitznamen hat, dann bleibt man auch den Leuten in Erinnerung."
1. Sprecher:
Der in Kleve geborene Lippens besaß immer einen niederländischen Pass.
Deshalb konnte er auch 1971 in einer Partie der holländischen FußballNationalmannschaft antreten. Es war gleichzeitig sein erstes und letztes Spiel für
39
die Niederlande. Von einigen Spielern im Team wurde er wie ein Ausländer
behandelt. Mitspieler Wim van Hanegem setzte den aus Deutschland
kommenden Lippens immer wieder vor den Mannschaftskollegen herab - nannte
ihn nicht »Ente«, sondern herablassend »Donald Duck«.
O-Ton 62:
Willi Lippens, Essener Fußball-Legende
"Der van Hanegem der hat natürlich ... bei jeder Gelegenheit dann angefangen
mit »Donald Duck«."
"»Ente« wär ja nicht schlimm gewesen. Weil »Ente« is' ja ... OK, das war sowieso
mein Spitzname. ... Von denen die mich Ente genannt haben war das ja immer
positiv. Das war ja 'ne Liebkosung normalerweise. Aber diesen »Donald Duck«,
das hörte man an seinem Tonfall heraus, dass er das abfällig meinte, dass er
mich damit beleidigen wollte. ... Das habe ich ihm dann auch deutlich gesagt,
dass ich dat nicht mehr hören wollte."
"Ich hab mich auch sehr gekränkt gefühlt im Nachhinein."
Musik (instrumental)
1. Sprecher:
Spitzname ist nicht gleich Spitzname. Der Grenzverlauf zwischen Liebkosung und
grober Kränkung ist schmal. Manchmal wird diese Grenze völlig abrupt
überschritten. Das kann absichtlich oder auch unabsichtlich geschehen.
Musik (instrumental)
40
O-Ton 63:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Wenn man den Namen manipuliert, verändert, 'nen Spitznamen daraus macht ...
ganz harmlos kann das sein. Das kann unter Umständen nur aus Gabriele zu
Gaby ... Und das kann Menschen schon sehr sehr irritieren, wenn jemand an
ihren Namen manipuliert. Das wäre so wie wenn man am Körper manipulieren
würde. Die fühlen sich richtig angegriffen."
"Die Namensnennung ist so etwas wie 'n körperlicher Reflex. Also die zucken
zusammen ... richtig körperlich, wenn Sie einen Spitznamen zum Beispiel
bekommen, den sie nicht wollen. Und das hat mich veranlasst, Namen eher als
Teil eines Körpers zu sehen."
1. Sprecher:
Diese reflexartige Reaktion auf den eigenen Namen kennt
Damaris Nübling aus eigener Erfahrung. In ihrem Fall kommt noch hinzu:
Seltene Namen - wie Damaris - verstärken den Effekt.
O-Ton 64:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Er ist sehr selten. Und dadurch passiert es mir auch selten bis nie, dass ich auf
andere Personen dieses Namens treffe. Und ich muss sagen einmal ... ist das
tatsächlich passiert, in einer Straßenbahn. Wo eine Mutter ihr kleines Mädchen
gerufen bzw. diszipliniert hat, mit dem Namen Damaris. Und ich bin jedes Mal
zusammengezuckt und habe gedacht: so muss es also sein für die Menschen die
sich den Namen mit vielen anderen Menschen teilen. Und diese Mutter hat
gesagt: »Damaris nimm die Füße vom Sitz!! Und Damaris stell dich richtig hin!!
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Und geh weg!!« usw. Und ich hab jedes Mal - obwohl ich wusste dass dieses
Phänomen existiert ... - bin ich jedes Mal zusammengezuckt, und hab gemerkt
wie einen .. die Namensnennung angreift. Und wie man reflexhaft sofort auf
diesen Namen reagiert, sich angesprochen fühlt."
Musik
1. Sprecher:
Seltene Namen und auch private Kosenamen tangieren meist nur einen relativ
beschränkten Kreis von Menschen. In einer Paarbeziehung sind Kosenamen
häufig ein gut gehütetes Geheimnis - zumindest nach außen hin.
O-Ton 65:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Wir wissen leider nur erstaunlich wenig, da sich die Erforschung des
Intimbereichs grundsätzlich immer als sehr sehr sehr schwierig erweist.
Die Leute geben ungern Auskunft und schwindeln auch gerne wenn sie
Kosenamen preisgeben sollen. Selbst dann wenn's anonym passiert, was ja
meistens der Fall ist."
"Frauen wurden ... früher sehr oft mit Blumen verglichen. Lilie, Röschen, Rose
usw. Das sind also alles Metaphern, die die Frau als ein aufblühendes, frisches
Wesen konzipieren. Und damit natürlich auch ihr Verwelken wenn sie älter wird
implizieren. Und solche Namen sind zum Beispiel heute überhaupt nicht mehr
üblich. Das heißt Kosenamen können durchaus auch ein Rollenverständnis
deutlich machen. ... Heute sind es Tiere."
"Der Einfallsreichtum ist ausgesprochen gering! Mit Abstand am meisten wird der
Name Liebling vergeben. ... Dann gibt's solche Wörter wie Schatzi und Schatz,
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Maus und Mausi, Bär usw. Das sind ja nicht wirklich originelle Namen."
"Das ist ganz interessant dass die also auch gegenseitig vergeben werden.
Was zeigt, dass in der Paarbeziehungen - das wirkt vielleicht paradox, ist es aber
nicht - das Geschlecht gar nicht so wichtig ist."
O-Ton 66:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Die wollen sich als Individuum treffen und nicht dauernd das
Geschlechterspielchen betreiben. Das Geschlechterspielchen betreibt man im
Zuge der Paarbildung."
(Musik kurze freistehend. Wird danach abgeblendet)
"Sie müssen einfache 'ne Paarbeziehung mit vielen Ansprüchen bilden, wo
Geschlecht stören würde. Das Geschlechterspielchen ist anstrengend!"
Musik
(instrumental)
"Selbstgespräch einer genervten werdenden Mutter"
Als wiederkehrendes Zwischenelement.
5. Teil - Selbstgespräch:
"Wahrscheinlich wird der eigene Name das erste Wort sein, das mein Kind in der
Schule schreiben muss. ... Ein unnötig schwieriger Name wäre da blöd ...
Und: SCHÖN ANZUSEHEN ... sollte der Schriftzug natürlich auch sein. ...
Prima! ... Macht die Sache jetzt noch leichter ...
... Na, was soll's ... Wenn ich an der Haustür ein Paket annehme, gebe ich mir
schon lange keine Mühe mehr, das auch nur IRGENDJEMAND das lesen kann,
was ich da auf das Mini-Display des Paketboten hin und her krakle. Der sieht
auch immer so aus, als würde ihn das nicht die Bohne interessieren. ...
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Wenn die Göre mal im vertragsfähigen Alter ist, gibt's eh nicht mehr diese
vollkommen absurden kleinen Krakel-Displays ... oder gar Papier-Unterschriften
mit der bloßen Hand.
Da wird dann die Iris meiner wunderschönen Tochter von einem Scanner erfasst!
Und schon ist der richtige Name meines Kindes vollkommen fehlerfrei identifiziert.
..."
Musik
O-Ton 67:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Das ist eben eine weitere Ebene auf der ich mich abheben kann von der
restlichen Bevölkerung. Wenn ich ... schon einen bekannteren Namen wähle,
dann versuche ich auf der grafischen Ebene exklusiv zu sein."
(Musik kurz freistehend)
"Und solche Menschen betonen ja immer, dass sie sich eben mit Y schreiben:
Yanice. Und nicht mit J oder so. Das ist ihnen auch sehr sehr wichtig, ob mit ck
oder mit k, oder nur mit c. Eine Rebeca nur mit c. usw. Da gibt's ja ganz ganz
viele Fälle."
"Ein Name ist auch auf der visuellen Ebene sehr sehr wichtig. Wir unterschreiben
mit Namen. Wir sehen ... den Namen. ... Die Sichtbarkeit ist wahrscheinlich sogar
wichtiger als die Hörbarkeit eines Namens."
O-Ton 68:
Angelika Barg, Leiterin des Standesamt Köln
"Also ich bin mit meinem Vornamen Angelika sehr zufrieden. Ich habe jetzt in den
letzten Jahren festgestellt ... dass es ein Vorname ist der nicht so häufig
vorkommt.
44
Und der mich dadurch also dann auch von anderen Frauen unterscheidet."
Musik
O-Ton 69:
Markus Lindlar, Geschäftsführer, Namensagentur NAMBOS
"Den Namen Markus finde ich selber jetzt nicht so schön."
"Aber ich würde mich jetzt auch nicht besser fühlen glaube ich wenn ich jetzt Tom
heißen würde."
Musik
O-Ton 70:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Ich habe ja einen fremden Namen, der meistens nicht gekannt wird: Damaris."
"Er ist griechischen Ursprungs. Bedeutet das Kälbchen ursprünglich."
Musik
O-Ton 71:
Rüdiger Hoffmann, Kabarettist
"Mein weitaus älterer Bruder - der war schon zwölf als ich geboren wurde - hatte
als Vorschlag Knut für mich - weil sein bester Freund so hieß - oder Donald, weil
er Donald-Duck-Hefte gelesen hatte. Und da bin ich letztendlich froh, dass sie
dann doch Rüdiger genommen haben."
Musik
O-Ton 72:
Wolfgang Rudolph, Computer-Experte und Fachjournalist
"Leute die Wolfgang heißen sind die besten Menschen die ich kenne."
45
Musik
O-Ton 73:
Prof. Dr. Damaris Nübling, deutsche Namensforscherin und
Sprachwissenschaftlerin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
"Ich find den Namen Kevin in keinster Weise schlimm."
"Man muss ja auch vielleicht dieser Stigmatisierung entgegentreten indem man
seine Kinder erst recht so benennt."
Absage (3. Sprecherin):
"Nomen est omen?
Wie Namen entstehen und wirken"
Ein Feature von Rainer Praetorius
Es sprachen: Lara Pietjou, Mareike Hein und Michael Witte
Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Anna Deim.
Regie: Susanne Krings
Redaktion: Klaus Pilger
Produktion: Deutschlandfunk 2015
Musik
Kurz freistehend. Wird dann ausgeblendet.
ENDE
46