Katja Rom, Lars Hilbig Feminismus in der Strömung In unserer Parteiendemokratie beginnt eine politische Karriere üblicherweise in den lokalen Führungsgremien der Parteien, von wo aus dann der schrittweise Aufstieg ("Ochsentour") erfolgt. Für eine erfolgreiche politische Karriere ist außerdem die Einbindung in informelle Entscheidungs- und Machtstrukturen von zentraler Bedeutung. Gerade Frauen aber sind von diesen informellen Kreisen, sei es in Parteien oder Parlamenten, oftmals ausgeschlossen. Hier üben Männer den Schulterschluss gegenüber den Ansprüchen ihrer Parteikolleginnen und verweigern oftmals eine angemessene Unterstützung. Lange Zeit wurde das fds, als Strömung und Karrierenetzwerk im Rahmen eines solchen Männerbundes wahrgenommen. Obwohl dies oft ein billiges Vorurteil ist und nur gelegentlich in den Auseinandersetzungsprozessen der Partei einfließt, müssen wir uns damit doch auseinandersetzen. Schaut man genauer hin, bietet gerade das fds vielen aktiven politischen Frauen ein Netzwerk und eine Plattform. Die erste Generation der Reformerinnen, die aus der ehemaligen PDS kam, wurde mittlerweile ergänzt durch eine ganze Reihe junger Frauen, die selbstbewusst ihre politische Arbeit verfolgen. Innerhalb des fds werden vielleicht genau deswegen bestimmte Diskussionen mit feministischen Fragestellungen nicht geführt. Die Reformerinnen leben vieles, worum auf anderen Ebenen noch gestritten wird. Sie vereinbaren Beruf und Familie, politisches Ehrenamt und Kneipenrunde, ohne noch hinterfragen zu müssen, ob sie das können. Spannender als die Frage, „kann die das“, ist ohnehin eine andere Frage: Verändern die Frauen die Politik, jetzt, da sie näher an der Macht sind? Sind die Mechanismen des politischen Wettbewerbs geschlechtsneutral, die Regeln der Macht ebenso? Vielleicht ist das Besondere an der nächsten Generation der Reformerinnen, dass sie eigentlich nicht typisch weiblich sind, sondern vor allem nicht mehr herrisch-breitbeinig. Die konservative Rolle eines Politikers passt darüber hinaus auch vielen nachfolgenden Männern nicht mehr, die reine Männerbünde meiden und Sechzehnstundentage. Darin könnte die eigentliche Pointe liegen: Dass der Erfolg der Frauen den Männern den Weg eröffnet, sich zu emanzipieren. Soll Politik nicht eine männliche Domäne bleiben, dann stellt eine konsequente Politik der Geschlechtergerechtigkeit mit die wichtigste Aufgabe dar. Dieser Aufgabe müssen wir uns auch innerhalb des fds stellen. Im Hinblick auf Struktur, Hierarchien und Funktion der Strömung, aber auch im Hinblick auf unsere Inhalte und Botschaften. Denn Feminismus ist keine Identität, Feminismus ist ein Prozess. Um überhaupt zunächst eine Annäherung an Feminismus und feministische Ansätze für DIE LINKE und somit auch für das fds zu suchen, lohnt es sich zunächst einmal einige Wahrnehmungen, Beschreibungen und vielleicht auch Vorurteile voranzustellen. Feminismus heute – Badgirl statt lila Latzhosen? Die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts gelten als Geburtsstunde dieses Feminismus im Zeitalter von Geschlechterstudien und Gleichstellungspolitik. Vor allem die theoretisch wissenschaftliche Debatte fußt auf Judith Butlers frühen Beiträgen – wo das Geschlecht (Gender) als performativ erachtet wird, als sich ständig wiederholende und daher schließlich als natürlich angenommene Handlung, nicht als Ontologie (als unverrückbarer Seinszustand). An den deutschen Universitäten wird Judith Butlers Werk immer wieder neu interpretiert, aktualisiert und verteidigt. Dennoch – oder vielleicht auch deswegen – hat der akademische Feminismus in Deutschland fast keine Auswirkungen auf das Alltagsleben von Frauen. Im Gegenteil: nicht zuletzt durch den akademischen Sprachgebrauch, man könnte fast sagen die Entpolemisierung, haben sich feministische Debatten mehr und mehr vom Alltag entfernt und sind dadurch für viele Schichten der Gesellschaft unzugänglich geworden. Der Diskurs hat einen nahezu elitären Charakter angenommen. Weiterhin hat seit Ende der 1980er Jahre in Deutschland eine große Welle der Institutionalisierung von Frauenpolitik stattgefunden, angefangen von der Installierung von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten in den meisten Kommunen und Institutionen bis hin zu den Gender-Mainstreaming-Vorgaben seitens der EU. Das hat allerdings auf der anderen Seite dazu geführt, dass Feminismus den Charakter des Bürokratischen bekommen hat, nicht mehr als Bewegung, sondern als Teil des Staates gesehen wird. Dadurch hat der formalistische Gleichstellungsaspekt enormes Übergewicht bekommen – auf Kosten des kulturellen Aspekts. In die Diskussion gekommen ist in den letzten Jahren noch der sogenannte F-KlasseFeminismus, der Ausdruck stammt von Thea Dorn. Hier treten vor allem Politikerinnen und Frauen aus der Medienwelt auf. Diese Frauen kamen nicht aus feministischen oder sozialen Bewegungen, sondern waren vorher eher »Postfeministinnen«, d.h. sie dachten, sie hätten eigentlich schon alle Chancen der Gleichberechtigung und Feminismus sei überholt. Ihr Ausgangspunkt ist eine gewisse Enttäuschung über die Erkenntnis, dass Frauen immer noch benachteiligt werden – insbesondere bei nach wie vor nicht gelösten Themen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die nach wie vor ungleichen Entlohnungen und Karrierechancen von Frauen. Sie gehen punktuell und pragmatisch an Themen heran, die die Defizite der Gleichberechtigung spiegeln, allerdings nur in den bereits bestehenden Strukturen und Mechanismen. Es gibt kaum Kritik an bestehenden Wirtschaftsformen und sozialer Ungleichheit allgemein, im Gegenteil, die Ungleichheit wird akzeptiert und das Problem hauptsächlich auf die fehlenden Karrierechancen von Frauen reduziert. Diese Einengung der Sichtweise birgt die Gefahr, von neoliberalen Wirtschaftsentwicklungen vereinnahmt zu werden: Verfügbarmachung von Frauen für den Arbeitsmarkt, Flexibilisierung, Nützlichkeitsdebatten. Daher sind die vorgeschlagenen Maßnahmen oft lediglich eine Fortführung alter zeitökonomischer Rezepte (Quote, Kinderkrippen, Männer sollen Hausarbeit machen, usw.) Hinzu kommt eine dezidierte Abgrenzung vom »alten« Feminismus, der zu dogmatisch und radikal gewesen sei, wobei aber häufig keine Kenntnis der Frauenbewegung da ist, d.h. die Ablehnung richtet sich mehr auf die Klischees der Frauenbewegung als auf das, was wirklich war. Neben der Kritik an diesem sehr reduzierten feministischen Ansatz hat jedoch die Debatte um den Feminismus möglicherweise den Weg zurück in verschiedene gesellschaftliche Ebenen eröffnet. Sei es die Initiative Pinkstinks, die Journalistin und Autorin Laurie Penny, das Missy Magazin, die #Aufschrei-Debatte oder der kontrovers diskutierte Artikel „Warum mich der Feminismus anekelt“ der Journalistin Ronja Roenne, das Thema polarisiert immer wieder und damit ist die Frage auch schon beantwortet, ob wir Feminismus noch brauchen. Feminismus ist mittlerweile Teil unserer Gesellschaft geworden und viel mehr als ein politisches Ziel. Er entwickelt sich weg von einer reinen Abgrenzungshaltung gegenüber Rollenbildern und Geschlechterklischees. Hadly Freeman, Kolumnistin des „Guardian“, schrieb, Feministinnen der „vierten Welle“ seien eigentlich längst darüber hinaus, die Lebensentwürfe anderer Frauen zu bewerten und abzuwerten.“ Was für moderne Feministinnen zählt, ist die Möglichkeit, Karriere und Familie, also Präsenz in der Öffentlichkeit und die Intimität eines reichen Privatlebens, zu vereinbaren. Die Distanz zu den Geschlechterklischees verschwindet mehr und mehr, vielmehr werden sie oft gezielt wiederbelebt. Dadurch werden zwar zum einen die herkömmlichen Rollenbilder für Frauen wieder gestärkt, zum anderen gehen viele Frauen mit eben diesen Katja Rom, Lars Hilbig Klischees sehr souverän und spielerisch um. Sexualisierte Selbstdarstellung und Kleidung haben beispielsweise wieder mehr an Bedeutung gewonnen, was aber durchaus auch kritisch reflektiert wird. Es geht insgesamt um den Abschied vom Dogmatismus und der Akzeptanz von jedem Lebensstil auf individueller Ebene. Die Wertschätzung der Differenz und der Unterschiedlichkeit unter Frauen wird hierbei betont sowie die Skepsis gegenüber staatlichen Gleichstellungsprogrammen. Die Aufmerksamkeit ist weniger darauf gerichtet, was von wem gefordert werden soll (was ja ein gemeinsames inhaltliches Programm erfordern würde), sondern darauf, wie einzelne Frauen in ihrem politischen Aktivismus und ihrem Einfluss gestärkt werden können. Gemeinsam ist auch die Skepsis gegenüber festen »Inhalten« einer feministischen Theorie und stattdessen wächst das Interesse an offenen Debatten und dem Austausch von eigenen konkreten Erfahrungen, ohne diese gleich in eine konsistente Theorie zu gießen. Um jedoch persönliche Freiheit tatsächlich leben zu können, müssen die dafür nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Laurie Penny, Journalistin und Autorin bemerkt dazu: „Nennt euch, wie ihr wollt. Wichtig ist, wofür ihr kämpft. Fangt jetzt an«. Laurie Penny hat den Feminismus als Instrument des Angriffs auf den Neoliberalismus definiert – du hast keinen Erfolg, wenn du allein Erfolg hast. Denn beim Feminismus geht es um mehr als um Geschlechter. Penny stellt eine Verbindung zwischen der Unterwerfung der Frau und neoliberalen Kontrollmechanismen her, einer Patriarchie, die ihre Macht auch auf untergeordnete Sexualitäten, Rassen und Flüchtlingen aufbaut. Auch Männer können bei dieser Herangehensweise vom Feminismus profitieren: sie realisieren plötzlich, dass sie Rollen erfüllen sollen, die sie gar nicht mehr erfüllen wollen. Sei es im Bezug auf die Arbeitsstunden, den Karrierezwang oder die Frage, ob und wie weit ein Mann sich Zeit für seine Familie nehmen darf. Darüber hinaus ist der deutsche Feminismus stark geprägt von der Dominanz des »Weißen«. Migrantinnen sind z.B. fast gar nicht am feministischen Diskurs beteiligt und im Gegenteil treten Teile des Feminismus dezidiert anti-islamisch auf. Die Vorherrschaft eines bestimmten westlich-bürgerlichen Verständnisses von Emanzipation und Feminismus ist hier noch weitgehend ungebrochen, also die Tendenz, Frauen aus anderen Kulturen und mit anderen Prioritäten für »unemanzipiert« zu halten. In der Tat, wie Laurie Penny argumentiert hat: es sind nicht nur die Männer und Frauen, die sich ändern müssen, sondern die Anforderungen an das System. Hierfür braucht es, und hier kommt der Politik eine besondere Rolle zu, eine Übersetzungsleistung dessen, was die theoretischen Fundamente und ihre praktische Umsetzung anbetrifft. Fragestellungen und Diskussionsansätze: Feministisches Selbstverständnis • Bewusstsein für die eigenen Stärken und die verschiedenen biografischen Hintergründe schaffen. Gerade das fds bietet die Räume und eine Plattform für politische Akteurinnen. • Die Unterordnung der Frauen geschieht im politischen Raum oft mit egalitärem Vokabular. Sexismus wird nicht so leicht erkannt, es wird verleugnet, dass es ihn gibt. Im Zusammenspiel mit der Angst, zu versagen geben sich Frauen oft selbst die Schuld, wenn sie nicht erfolgreich sind. Darin steckt die richtige Einsicht in die eigene Verantwortlichkeit, aber es fehlt die Systemkritik. • Wir müssen das Verhältnis von Frauen und Männer diskutieren. Es geht nicht mehr nur um die Frage, ob wir gegeneinander oder miteinander arbeiten, sondern um die Art und Weise der Zusammenarbeit. Hierbei spielt auch die Frage eine Rolle, inwieweit die sexuelle Differenz als kulturelles Phänomen positiver Antrieb sein kann. • Feminismus nicht als Anpassungsleistung an (bestehende) gesellschaftliche Erfordernisse begreifen, sondern offen halten für unkonventionelle Lösungen. • Migrantinnen und Vertreterinnen anderer Kulturen einbeziehen Strukturen verändern: • Welche Anforderungen stellen wir an unsere Strukturen um unsere politischen Ideen umsetzen zu können. Welche Alternativen gibt es für „Kneipenrunden“ und „Hinterzimmer“ die trotzdem die im politischen Raum notwendige Verbindlichkeit herzustellen • Unter dem Stichwort doppelte Standards fragen wir uns, inwieweit wir uns am eigenen Anspruch innerhalb der Partei messen lassen können, den wir an sozialen, gesellschaftlichen und arbeitsbezogenen Forderungen in der Politik erheben. Hierbei wollen wir konkret die Bedingungen innerhalb und außerhalb der Parteistruktur untersuchen und u.a. folgende Fragen stellen: • Wie können Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die politische Partizipation von Ehrenamtlichen und bei Parteiangestellten möglich ist? (Wochenendarbeit, Kinderbetreuung) Wie können wir praktisch auf Parteitagen und Terminen gewährleisten, dass Familien, Alleinerziehende etc.pp. partizipieren können, ohne von Vornherein schon unter Druck zu geraten? (Angebot statt Nachfrage) Debattenbeteiligung: • Wie bringt sich die Linke in gesellschaftliche Diskurse ein, die sich vor allem mit einem Rollback neokonservativer Familienbilder und patriarchaler Strukturen auseinandersetzen? • Feministische Debatten sind nicht zuletzt durch ihre starke Akademisierung zunehmend aus dem Alltag verschwunden. Wie schaffen wir es Menschen einzubinden, die geprägt durch Arbeits- und Lebensverhältnisse außerhalb von Partei und Parlament, einen eingeschränkten Zugang zu feministischen Diskursen haben? (Stichwort Klassismus und Elitarismus) • Inwieweit sind sind Lohnarbeit und Arbeitsgesellschaft generell von Anfang patriarchalen Prinzipien unterworfen? These: „Sozial ist, was Arbeit überflüssig macht.“ • Unter den Stichworten „entmachtete Informationspolitik“ und „Avantgardismus“ setzen wir uns mit Informationsasymmetrien und der Vermittlung von Information Katja Rom, Lars Hilbig auseinander: Was bedeutet für uns Emanzipation in der politischen Bildung, wenn nicht die Ermöglichung von Informationen und Vermittlung pädagogischer Werkzeuge, an denen alle teilhaben und nicht wenige? • Wie können Universalismus in programmatischen Forderungen und Eigenverantwortung von Individuen in ihrem Handeln in Übereinstimmung gebracht werden? • Inwieweit sind feministische Theorien, wie z.B. von Simone de Beauvoir noch aktuell? (Das andere Geschlecht) • Was bedeutet Feminismus in Zeiten, in denen Menschen sich nicht mehr in Geschlechterrollen,-bilder und -orientierung zwängen wollen und die Grenzen zwischen den Geschlechtern fließend sind?
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